Falconry Gardens - American Kestrel
31. Dezember 2210
Dass Adrianna ihm Mut zusprach und auch mitkommen würde war etwas, dass Matthew wirklich freute. Es wäre gut ein bekanntes Gesicht neben dem seines Mannes zu haben - auch wenn er eigentlich nicht davon ausging, dass er für Schwierigkeiten sorgte. Eigentlich war es nur eine Vorstellung seiner Person und eigentlich konnte ihm egal sein wie man ihn fand… Aber eventuell vielleicht war er eben doch nicht so abgebrüht wie er gerne tat. Insofern war mentale Unterstützung etwas, dass er sehr gern entgegennahm. „Danke für die Blumen, ich hoffe du hast recht… wird schon schiefgehen. Denke ich. Hoffe ich…“, Cassie lächelte und hab dich Mühe optimistisch zu sein auch wenn der Andere nicht mitkam.
Wahrscheinlich hatte Cameron recht mit seiner Einschätzung, dass er Schwierigkeiten bekommen würde wieder nach Hause zu kommen - ein Grund der an sich lapidar war, in Anbetracht seiner Verfassung aber nachvollziehbar war und keine faule Ausrede.
Matthew hatte zwar prinzipiell nichts dagegen seinen Kumpel auch wieder hierher zu bringen, aber er verstand auch, dass das für den anderen nicht optimal war.
Wer wollte schon drängeln eine Fete zu verlassen, wenn man dadurch einen anderen auch dazu verdammte Fest und heitere Stimmung hinter sich zu lassen. In Abhängigkeit von jemandem zu sein tat dem eigenen Ego nie gut, zumindest dann nicht, wenn man es gewohnt war auf eigenen Beinen zu stehen - und zu dieser Sorte Mensch zählte Cameron Barclay ohne Zweifel.
„Ich würde mich ja dazu bereiterklären, aber…“ - mit einem dankbaren Nicken nahm Cassiel das Bier von Adrianna entgegen und stieß es mit dem unteren Teil der Flasche gegen die Getränke der anderen. „…ich weiß nicht wie nüchtern ich in ein paar Stunden noch sein werde. Und wie schon eine Weisheit der Alten besagt: ‚Ein betrunkenes Pony bricht sich leicht den Hals bei steilen Treppen.‘“ - „Ein Sprichwort der Alten also, ja?“ fragte Addy amüsiert und Matt erwiderte ihr Lächeln.
„Naja sie könnten sowas mal gesagt haben. Ich bin sicher so oder so ähnlich wurde das irgendwann mal formuliert.“
„Auf die Weisheiten der Alten und auf uns, die wir alle noch stehen!“, prostete Addy ihrer kleinen Gruppe zu, woraufhin alle einen kräftigen Schluck tranken.
Hier am Feuer war es angenehm, doch auch wenn der Frühling eindeutig die Oberhand über den Winter gewonnen hatte, so war die Luft doch noch kühl und der Wind mitunter schneidend fröstelig. Da tat es gut an dem wohlgenährten Feuer zu stehen und die züngelnden roten Arme zu beobachten wie sie um sich griffen - scheinbar nach mehr Raum heischend - ohne die Chance die errichtete Stätte zu verlassen.
Und während die Flammen das Holz aufzehrten und knisternd verschlangen, verteilte Addy die Speisen aus dem Korb, wobei jeder genau das bekam was er sich an den Buden ausgesucht hatte.
Clarence hatte Appetit auf Pilzgulasch gehabt und eben jenen bekam er wenig später gereicht. Nur wenige Augenblicke danach stieg der Geruch von würzigen Waldpilzen und Kräutern Cassie in die Nase und ließ seinen Magen knurren. Obgleich er seit seiner Rückkehr gefühlt ständig aß hatte er irgendwie trotzdem ständig Hunger - was nicht zuletzt daran liegen mochte, dass er sein Essen immer mit Clarence teilte.
Auch jetzt stippte er mit der Gabel in die Schale und blickte aus munteren Augen zu seinem Mann empor. „Fast wie früher, weißt du noch?“, fragte er - wohl wissend, dass Clarence nicht vergessen hatte was er meinte.
Früher, noch bevor sie ihr Blechgeschirr erworben hatten, hatten sie viele Mahlzeiten aus einer Schüssel oder von einer Platte gegessen. Meistens irgendwelches Wild oder Wurzelpüree.
Aber damals war das Essen vom selben „Geschirr“ nur eine Notwendigkeit gewesen und einem Mangel an Alternativen geschuldet. Heute pflanzte es ein warmes Gefühl in Matthews Brust, wie es die Flammen nicht tun konnten. „Oh Gott ist das gut!“, verkündete er schließlich aufrichtig überrascht und begeistert und spießte sich sofort noch mehr auf die Gabel.
„Der Fisch ist auch lecker.“, warf Cameron ein, dessen Gesicht seit ihrem Ausflug endlich wieder Farbe bekommen hatte. Ohne Zweifel tat es ihm gut unter Leuten und im Freien zu sein und selbst wenn er es heute nicht mit ins Moonkeepers schaffte, so würde er ohne Frage trotzdem einen besseren Abend hier haben als oben allein auf seinem Zimmer.
„Wer ist Oliver und was fehlt ihm, dass er nicht mit auf dem Fest ist?“, hakte Matthew schließlich nach und schlug den Bogen zurück zu eben jener Person um die Addy sich sorgte.
Die Stimmung an diesem Abend war allseits losgelöst und so herzlich, wie es die bedrückenden Umstände in Denver niemals zugelassen hätten. Selbst am Rande Rio Nosalidas, als die Welt noch in Ordnung gewesen war, war es nie völlig unbeschwert gewesen - auf der einen Seite deshalb, weil Matthew und er nicht wussten was sie erwarten würde sobald sie wieder auf den Clan trafen und auf der anderen Seite, weil Adrianna und Cameron den neuen Anhang des Blonden noch nicht gekannt und nicht gewusst hatten, wie sie mit ihm verfahren sollten.
Auch wenn Clarence es nie so offen zugeben würde, aber die Karten offen auf den Tisch zu legen und offiziell zu machen, dass Matthew nicht nur ein Freund und Weggefährte sondern sein Ehemann war, hatte einige Dinge deutlich leichter gemacht. Nicht nur, dass sie nicht mehr jedes zweite Wort und jede Berührung überdenken und sich zurückhalten mussten machte den Umgang mit anderen Leuten viel einfacher, sondern er hatte das Gefühl, dass die anderen seitdem viel… unbefangener mit Cassie umgingen. Es lag nicht In der Natur von Jägern Außenstehende einzuweihen, vor ihnen über den Clan zu reden oder sie hier zu beherbergen, sei es oben in Barclays Zimmer oder auch nur hier auf dem Hof. Aber mit Angehörigen war man da schon etwas nachsichtiger. Es wurde zwar nicht begrüßt, aber wenigstens geduldet wenn sein Mann Cameron einen Krankenbesuch abstattete und dass sich Clarence seit der Ankunft des Jüngeren wieder ziemlich rar im Alltag des Clans machte, hatte bislang noch keine ernsthafte Rüge nach sich gezogen.
Ein sanftes und durchaus amüsiertes Lächeln schenkte er dem baldigst betrunkenen Pony, das munter die Gesellschaft der anderen Genoss und in den vergangenen Tagen so aufgeblüht und aus sich heraus gekommen war, wie er es von Matthew eigentlich kaum kannte. Anderen zu vertrauen, sich in einer Gruppe wohl zu fühlen und zu scherzen, andere an sich heran zu lassen, all das war eigentlich nicht seine Art - auch wenn er oftmals auf Fremde ganz anders wirkte. Nach all den Jahren miteinander war dem Blonden der Unterschied zwischen dem extrovertiert wirkenden Reed und dem deutlich weniger aufgesetzten Matthew durchaus bekannt und die Art, wie unbefangen sein Mann mit ihren neuen Freunden sprach, versetzte sein Herz durchaus in warme Wallungen.
„Oliver ist für Addy was ganz besonderes. Ihre kleine Schneeflocke“, kommentierte Cameron währenddessen ungefragt und kassierte sich damit postwendend den Tritt zurück, den er zuvor noch an die Rothaarige verteilt hatte.
„Kannst du mal endlich aufhören mir das vorzuhalten? Das ist Jahre her, dass ich das gesagt hab und da war ich rotzbesoffen. Es reicht langsam.“ - Wenn andere dem Kerl seine Jugendsünden mal immer so vorhalten würden wie Cameron das immer mit dem Rest von ihnen tat, würde er seine ständige Stichelei vielleicht hoffentlich überdenken.
„Oliver ist ein sehr guter Freund von mir-“, betonte sie wie es richtig heißen musste und fuchtelte mit einer Hand in Richtung Cameron, damit er bloß die Klappe hielt - denn es lag dem Kerl doch schon wieder auf den Lippen ihren Satz mit Schneeflocke zu ergänzen und das konnte sie nicht zulassen. „-und er bleibt bei solchen Festen lieber Zuhause seitdem er Sehen kann. So viele Menschen auf einem Haufen, das ist nicht gut für Leute wie ihn. Aber ich will auch nicht, dass er an Feiertagen wie heute alleine daheim sitzt während seine Frau mit den Kindern draußen ist, das ist doch traurig sowas. - Genauso, wie wir dich nicht alleine oben im Zimmer sitzen lassen, du Rüpel“, ergänzte sie an Cameron gewandt.
Er mochte sich darüber lustig machen sich um ihren Freund zu sorgen, doch am Ende war es unterm Strich nichts anderes wie mit Cam. Doch während der eine sich aus Trübsal seiner Übungen verweigerte und deshalb nicht auf die Beine kam, gab es für den anderen keine Möglichkeit mehr seinem Schicksal zu entkommen. Umso wichtiger war es ihr, auch nach all den Jahren noch ihrem Kumpanen eine gute Freundin zu sein und ihn nicht Zuhause zu vergessen.
„Weißt du was das ist - ein Seher oder jemand, der zersplittert ist?“, wollte Barclay von seinem Pony wissen, der als einziger darüber nachzudenken schien, dass Matti nicht schon seit Jahren hier und in die Kunst des Jagens eingeweiht war. Und schließlich überlegte er zurück an Addy gewandt: „Wie lange ist das jetzt her, dass er damals exorziert worden ist?“
„Das war… ich glaube, da waren wir gerade erst mit seiner Ausbildung fertig. Kurz danach. Warst du da schon hier, Clarence? Ich weiß es nicht mehr.“
„Mh?“ - aus den Gedanken gerissen blickte er von Sibyll und ihren neuen kindlichen Besuchern zurück zu Adrianna, schließlich zu Barclay und zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Nein, als ich kam, war er schon da. Ich weiß aber auch nicht mehr sicher, wann genau er sich dem Clan angeschlossen hat. Zwei, drei Jahre früher vielleicht?“
„Ja, so in etwa“, stimmte sie dem Blonden überlegend zu, während dieser ein kleines Stück vom frischen Brot mit Kräuterbutter abbrach.
Auffordernd hielt er es Cassie entgegen, der sich nicht erst seit den heutigen Feierlichkeiten, sondern schon seit Ankunft quer durch Falconry Gardens futterte - ganz so als wäre es sein Ziel, mindestens alle kulinarischen Köstlichkeiten mindestens ein Mal probiert zu haben.
„Auch gut?“, forderte er sich die Expertenmeinung des kleinen Vielfraßes ein, der - einem hungrigen Vögelchen gleich - den Brotkrumen aus seinen Fingern pickte und dabei so herzhaft gut gelaunt schien, dass am heutigen Abend gar keinen Raum mehr blieb für traurige Gedanken.
Wie froh er noch immer war, dass sein Mann den Weg zu ihm zurück gefunden hat, konnte er noch immer kaum glauben und selbst wenn es keiner von ihnen ausgesprochen hatte, so waren sie sich doch beide darüber im Klaren, dass heute nicht nur die Jahreswende von ihnen gefeiert wurde, sondern vor allem auch ihr Wiedersehen.
Kurz beugte er sich zum Jüngeren hinüber und hauchte ihm im Stillen einen Kuss auf die Schläfe, damit das Pony auch in bald betrunkenem Zustand nicht vergaß, dass nicht nur der fußfaule Reiter ihn liebte.
„Ich weiß noch, Daisy hat wenige Wochen später rausgefunden, dass sie mit dem zweiten Kind schwanger ist. Und wir haben abends bei der Sitzung entschieden, dass der Clan ihnen zum Ausgleich das Haus unten kauft und renoviert. Du wolltest Balken austauschen, aber Nagi hat dich nicht gelassen. Was habt ihr eigentlich getrieben stattdessen?“
„Mhh… weiß ich gar nicht mehr. Vermutlich den Bergpfad ausgebaut, wie immer“, überlegte der Blonde und stocherte sich durch die Pilze, die er sich nachdenklich einverleibte, während Cameron verurteilend schnaubte.
„Das Scheißteil war auch sowas von überflüssig. Benutzt keine Sau. Das Geld hätten wir lieber in andere Sachen investieren sollen. In Bier zum Beispiel - oder einen anständigen Zaun, damit die Nachbarsplagen nachts nicht bei uns herum springen.“
„Normalität ist das Behagen des kleinen Mannes. Ein Anker für jene, die mit den Wogen des Lebens nicht zurechtkommen. Für jene, die ertrinken im Strom der Welt. Es ist der Tod der Kreativität, der Tod des Starken. Normalität, Matthew, ist für Schwächlinge - merk dir das.“
Und Matthew hatte es sich gemerkt, nicht weil er wollte oder glaubte, dass Le Rouge recht damit gehabt hatte, sondern weil dieser Mann dafür gesorgt hatte, dass man ihm zuhörte. Er hatte es einem sprichwörtlich eingebläut. Schier alles hatte eine Lektion sein können, jede Bemerkung, jede Geschichte, alles was er tat und wie er es tat… und man wusste besser was er gesagt oder getan hatte, wenn er einen danach fragte… Deshalb hatte Matthew sich auch jene Lebensweisheit des Roten eingeprägt, obgleich er schon damals wusste, dass sie Bullshit war.
Normalität war kein in Stein gemeißelter Zustand, kein allgemein gültiger Rahmen. Es war das Leben und die Art wie man es führte.
Le Rouge hatte seine eigene Normalität gehabt - eine die für andere wohl nicht normal gewesen war, für ihn aber der sichere Anker seines Seins.
Für Clarence und Matthew war es lange Zeit Normalität gewesen, einander als Weggefährten zu sehen, später war es normal geworden einander in trauter Zweisamkeit süße Dinge zuzuflüstern und ihrer Leidenschaft freien Lauf zu lassen. Ebenso zum guten Ton gehörte, dass Außenstehende von ihrer Liebe nichts erfuhren.
Für Matthew war es normal gewesen den Älteren nicht vor anderen anzuhimmeln, nicht nach seiner Hand zu greifen und auch sonst keine körperliche Nähe zu suchen. Nur nicht anecken, nur nicht auffallen, irgendjemand könnte ja etwas merken…
Aber seit dem Absturz des Zeppelins war nichts mehr von dem Normalität, was Matthew einst als unumstößlicher Rahmen vorgekommen war.
Das betraf nicht allein die Beziehung zu dem Blondschopf, sondern vor allem auch seine eigene Wahrnehmung. Mehr und mehr wurde dem Dunkelhaarigen klar, dass Le Rouge in Charakterzügen steckte, die er wie die eigenen gepflegt hatte. Skeptisch sein, Leute auf Abstand halten, nur niemanden an sich heranlassen, lügen ohne, dass man es ihm anmerkte.
Aber nach dem Absturz war für all das keine Zeit gewesen, weder für die Scharade des Matthew Reed, noch für das Versteckspiel des Clarence Sky.
Und ganz allmählich hatte sich ihre Normalität geändert und schließlich, am letzten Tag des Jahres, standen sie hier in einer Stadt die Clarence vertraut und Matthew fremd war, mit Menschen auf die sie zählen konnten.
Mit Freunden. Und es fühlte sich herrlich normal an.
Allzu leicht hätte Matthew sich überfordert fühlen können, oder wie das fünfte Rad am Wagen - kannte sein Mann hier doch alles und jeden während er selbst… naja, kaum einen Schimmer von den meisten Dingen hatte. Aber es war keine Schande unwissend zu sein, wenn man unter Freunden war und wenn der Mann - zu dem man unauffällig ein bisschen näher getreten war- nicht nur irgendein Kumpel war, sondern der eigene Ehemann.
„Ich weiß nicht… ich glaube, ich sollte es wissen. Claire hat es mal erwähnt… am Rande irgendwann. Aber ich kann mich nur halb erinnern. Es hat was mit dem Exorzismus zutun… dass irgendwas in der Person zurückbleibt… oder so? Oder die Person hat dann feine Antennen für… übernatürlichen Kram? Oh man, wie peinlich, dass ich das nach all der Zeit nicht sicher weiß.“, entschuldigte er sich mit einem betretenen Schmunzeln und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
Umso dankbarer war er als Clarence ihm ein Stück Kräuterbrot entgegenhielt, ihn still auffordernd abzubeißen. Wie eine kleine hungrige Schildkröte stippte Cassie das Brot aus Clarence‘ Hand und schien dabei wieder vollkommen vergnügt und gelöst, wie man ihm einfach ansah.
„Auch richtig gut.“, bestätigte er schmunzelnd nach dem Bissen und himmelte Clarence an, dessen Zugewandtheit in der Öffentlichkeit etwas ganz besonderes war.
Der so beiläufig scheinende Kuss auf seine Schläfe machte Matthews Knie ganz weich und zauberte ein warmes Kribbeln in seinen Bauch.
„Wir müssen nachher unbedingt einen Stand mit kandierten Früchten finden! Es ist ewig her, dass ich mal welche probiert hab aber ich erinnere mich, dass das unglaublich lecker schmeckt.“ - „Meine Güte, du müsstest zwanzig Pfund mehr wiegen, wenn du immer so viel isst.“, kommentierte Addy und Cassie lachte kurz. „Yeah… ich könnte jetzt sagen, dass ich gute Gene habe - aber das wäre bei meiner Abstammung die Lüge des Jahrhunderts. Ich schieb es also lieber darauf, dass ich unheimlich sportlich bin.“ - das selbe traf im Grunde auf sie alle zu, sofern niemand gezeichnet von Krankheit und Kummer war.
„Den Rest vom Ragout musst du essen, ich bin erstmal satt.“ - trug er Clarence auf - der diesen Satz in den letzten paar Tagen schon öfter zu hören bekommen hatte.
„Und Oliver kommt nicht raus wegen… dem Trubel? Das hab ich irgendwie noch nicht verstanden. Aber es ist schön, dass du nach ihm siehst. Ist ein feiner Zug von dir.“ - Ohhh, danke, Zuckerschnäuzchen. Siehst du, du Klapsbirne - das ist eine angemessene Reaktion.“, stichelte die Rothaarige direkt gen Cameron, welcher theatralisch mit den Augen rollte.
„Jajaja…“
Derweil hatte Clarence den restlichen Gulasch aufgegessen und auch einen Teil der Kohlblätter verzehrt, ehe er den Rest ins Feuer warf wo sie zunächst zischten und schließlich verbrannten. Cassie nahm noch einen Schluck aus seiner Flasche und als er feststellte, dass sie damit schon leer war, lange er nach der des Blonden und fischte sie sich frech aus dessen Fingern, in dem er seine Hand zu sich zog. Der kecke Diebstahl war jedoch noch viel mehr als das, denn Matthew nutzte die Gelegenheit dazu, ihre Finger miteinander zu verschränken und auch nicht mehr zu lösen.
Diese Innigkeit war es, die gern Normalität werden sollte.
Clarence wollte kein Mensch sein, der in immer gleichen Strukturen des eigenen Lebens feststeckte. Genauso wenig wie sein Leben heute dem von vor zwei Jahren glich, sollte heute alles immer gleich bleiben - denn Entwicklung bedeutete Veränderung und ohne jene hätte aus ihnen wohl auch nie ein Paar werden können. Ohne Veränderung wüsste der Clan noch immer nichts von ihrer Ehe, ohne würden sie noch immer nachts an einem Lagerfeuer schlafen statt mit einem richtigen Dach überm Kopf.
Ohne Veränderung wären sie vielleicht noch immer die Schüler vom legendären Nagi Tanka und dem sagenumwobenen Le Rouge.
Und was noch viel wichtiger war:
Wenn alles immer gleich bleiben würde, würde sein Mann ihm auch nicht so frech das Bier aus der Hand stibitzen, nur um dabei nach selbiger zu greifen.
Es war so unglaublich viel anders geworden in den vergangenen zwei Jahren und wenngleich sie auf die ein oder anderen Erlebnisse davon sicher gerne verzichtet hätten, so hatte jedes Unglück sie doch an diesen einen Punkt geführt, an dem sie nun in diesem Moment waren.
„Kandierte Früchte? Ist das nicht dieses Trockenobst?“, versuchte sich Clarence zu erinnern, was ihm allerdings in Ermangelung seines Bieres nun deutlich schwerer fiel. So nüchtern war es schwer sich vorzustellen, was sein Mann damit meinte - aber zweifelsohne klang es nach etwas von den Ständen mit Süßwaren. Mit denen hatte er früher tatsächlich recht wenig Kontakt gehabt, hatte er doch mit Sachen wie Schokolade erstmals in Coral Valley Erfahrungen zugelassen.
„Nein, das was du meinst ist Dörrobst. Matti meint die Äpfel, die so rot glänzen und am Stiel stecken. Hab ich recht?“, forderte sich Addy Zustimmung ein und gestikulierte mit ihrem Stumpf einen Apfel, den sie symbolisch auf ihr Bier aufsteckte. „Die kommen da drauf und dann tauchen die den in eingefärbten Zucker. Wenn man nicht besonders an seiner Kauleiste hängt, kann man sich die mal gönnen. Ich hab mir damals einen von denen geholt und mir fast einen Zahn daran ausgebrochen, hab den Hype nicht so ganz verstanden.“
„Klingt auch nicht besonders lecker“, stimmte der Blonde ihr zu und verzog das Gesicht angewidert, aber er kannte Cassie und seinen fragwürdigen Geschmack für Lebensmittel - ganz ohne Zweifle war das etwas, was dem Taugenichts gefiel. „Wenn du dir was raus brichst, hast du Pech gehabt. Heute findet sich da bestimmt kein Quacksalber mehr, der dich behandelt. Vielleicht kaufe ich dir statt so einem kandierten Apfel also doch besser das Dörrobst?“
Das war eine Drohung, die seinem Mann ganz sicher missfiel; hinsichtlich dessen, dass Clarence im Augenblick der einzige mit Geld in der Tasche war, war sie jedoch ernst zu nehmen und bei Gott, Clarence hatte da schon ganz andere Drohungen wahr gemacht, wenn sich Cassie nicht benommen oder dumme Ideen gehabt hatte.
Trotzdem - oder vielleicht gerade weil der Jüngere manchmal solche fragwürdigen Wünsche hatte - zog Clarence ihn an ihren verschränkten Fingern dichter an sich heran und wusste schon jetzt, dass er seinen Mann nie die ganze Nacht lang würde weiter auf Distanz halten können.
„Also wenn du mein Pony wärst, würde ich dir deinen kandierten Apfel nicht vorenthalten.“ - „Er ist aber nicht dein Pony“, korrigierte er Barclay und fragte sich, seit wann sein Mann überhaupt zu einem Tier geworden war, dessen Besitz er vor diesem Typen verteidigen musste.
„Ich würde meinem Pony auf jeden Fall ein paar mehr Sachen beibringen als ‚irgendwann mal erwähnt‘ und ‚am Rande irgendwann‘. Wobei es aber auch schon ein ziemliches Talent ist, sich das trotzdem einigermaßen zu merken. Alleine dafür hast du dir deinen Apfel schon verdient. Chapeau!“, zog Cam seinen imaginären Hut vor Cassie, was schon mal deutlich mehr Anerkennung war als er Adrianna dafür schenkte, sich um ihren Kumpel zu kümmern.
„Naja, feine Antennen für übernatürlichen Kram ist jetzt auch nicht das Nonplusultra an Fachwissen. Warum klärst du deinen Mann eigentlich nicht anständig auf, wenn ihr schon so lange miteinander unterwegs seid? Ich hoffe, Sky, du schämst dich wenigstens ein bisschen dafür.“ - jetzt auch plötzlich noch Schelte von der Rothaarigen zu bekommen, war das letzte was Clarence gebrauchen konnte und ließ ihn entnervt mit den Augen rollen. So schnell wie sich hier die Fronten ständig gegen jemand neues drehte, kam Claire gar nicht mehr hinterher und wo sich Cam mit Addy eben noch gestichelt hatte, hatten sich die beiden plötzlich auch wieder gegen den Hünen verschworen. So schnell konnte das gehen.
„Jedenfalls ist das weniger eine feine Antenne oder irgendwas, das zurück geblieben ist. Wenn jemand besessen ist, wird der Körper ja quasi übernommen und die Fähigkeiten des Dämons kanalisieren sich durch ihn nur. Wenn der Exorzismus allerdings nicht funktioniert…“- „-weil er zum Beispiel falsch durchgeführt oder unterbrochen wird und der Dämon stark genug ist, um diesen Fehler für sich auszunutzen-“ - „-unterbrich mich doch nicht, du Pappnase?!“, keifte Addy ihren Nachbarn an und gab Barclay einen schmerzhaft aussehenden Schlag mit dem Ellenbogen in die Seite. „Jedenfalls… jetzt hab ich den Faden verloren.“
„Jedenfalls kann es sein, dass der Dämon nicht im Ganzen ausgetrieben wird und einzelne Fähigkeiten in dem besetzten Körper verbleiben. Das nennt sich Zersplittern. Man hat früher davon geredet, dass… dass die Seele des Menschen zerbricht und sich zu Teilen mit der Essenz des Dämonen neu zusammensetzt. Aber was genau passiert, ist nicht ganz sicher“, ergänzte Clarence die junge Frau und erläuterte die Problematik in Zusammenhang mit Oliver nochmals genauer: „Oftmals behalten diese Leute die übersinnlichen Fähigkeiten, die der Dämon in ihren Körper hinein gebracht hat. Sie sehen zum Beispiel, was Dämonen und vermutlich auch Geister wahrnehmen. Nämlich andere übernatürliche Wesen zum Beispiel. Oder die Auren von Menschen.“
„Oliver sagt, er sieht von den anderen Leuten alles in Farben und sie verändern sich, wenn sie gut oder schlecht sind. Er sieht wenn jemand Geheimnisse hat oder sich unwohl fühlt, weil er lügt. Oder sieht, wenn jemand anderes besessen ist“, gab Adrianna einen groben Abriss von dem, woran ihr Freund sie teilhaben ließ. Das war nicht immer viel, aber es half ihr zu verstehen, warum er an Tagen wie diesen nicht vor die Tür wollte. „Wenn zu viele Leute aufeinander kommen und du im Gespräch ständig all solche Dinge vor Augen hast, fällt es dir nicht leicht dich auf die Leute und den Spaß zu konzentrieren. Manchmal ist es einfacher, sich zurück zu ziehen, denke ich.“
„Und deshalb besuchen wir ihn erst im neuen Jahr, wenn der Trubel sich etwas gelegt hat“, fügte Clarence an und drückte dabei eindringlich die Hand des Jüngeren etwas fester in seiner - denn sie beide würden ihren ganz eigenen Trubel mit zu Oliver bringen, sollten sie ihn besuchen - jedenfalls nach dem zu urteilen, was in Denver geschehen war. „Bis dahin… haben wir ja aber auch noch genug anderes zu tun. Im Rathaus unsere Papiere vorbeibringen und eintragen lassen ist das erste, was ich im neuen Jahr erledigen will.“
Denn nicht nur in Coral Valley wollte er ihre Ehe offiziell registriert wissen - in Falconry Gardens sollte das nicht anders sein.
Ein Pony zu sein war definitiv neu und Matthew wusste noch nicht so recht ob er denn überhaupt eines sein wollte - nun da über die Besitzverhältnisse diskutiert wurde und die Bezeichnung immer wieder fiel.
Was ihm allerdings definitiv nicht gefiel war die Bemerkung darüber wer wem was kaufen würde - nämlich Clarence ihm - weil Matthew so ziemlich ohne irgendwelche Münzen hergekommen war.
Vorbei die Zeiten in denen sie sich alles kaufen konnten und er mal eben ein Boot in Auftrag geben konnte.
Zwar hatte Le Vert durchaus Reichtümer besessen, aber Matthew hatte die Münzen die er mitgenommen hatte nach und nach unters Volk gebracht, den größten Teil hatte er verschenkt. Nicht weil er ein heiliger Samariter war - auch wenn das die Begünstigten anders sehen mochten - sondern weil er nichts von dieser Vereinigung der Abartigen haben wollte. Gar nichts.
Wobei auch das nicht ganz korrekt war. Das dunkelgrüne und schlichte, dafür aber umso hochwertigere grüne Cape hatte er behalten. Ebenso wie einen Ring in dessen Mitte ein pompöser dunkelgrüner Edelstein thronte, der so klar war, dass sich schon der kleinste Lichtstrahl darin brach und ihn scheinbar zum Leuchten brachte.
Hätte Matthew den zu Münzen machen wollen, er hätte sicher ein kleines Vermögen dafür bekommen. Aber deshalb hatte er ihn nicht vom Finger des Grünen gezogen. Und derzeit ruhte das Schmuckstück in einem kleinen Säckchen, befestigt an den Gürtelschlaufen seiner Hose und versteckt in der Hosentasche.
Cassie warf seinem Gönner einen vielsagenden Blick zu, der eine Bemerkung über seinen Unmut überflüssig machte. Abhängig zu sein war keine gute Sache - selbst dann nicht, wenn er es von Clarence war.
„Bin ich eigentlich von Verrückten umgeben?“, fragte er an Addy gewandt, während Barclay feststellte wie viel besser er sich um sein Pony kümmern würde, wäre es doch nur seins. Während Clarence darauf beharrte, dass besagtes Pony aber schon ihm gehörte.
Adrianna, die als einzige nicht auf den Zug - den Ponyexpress aufgesprungen war, prostete ihm mit einem Grinsen zu.
„Willkommen in Falconry.“
Cassie trank einen Schluck von dem Bier welches er Clarence gestohlen hatte und erwiderte ihr Lächeln.
Zum Glück für ihn wurde das Thema schließlich auf diesen Unbekannten gelenkt. Oliver, der zersplittert war. Was das bedeutete wurde ihm schließlich von den anderen erklärt, wobei jeder einen Teil zu der Definition beitrug und Matthew recht schnell ein recht deutliches Bild von dem bekam was der Fremde war oder konnte.
Und je deutlicher das Bild wurde umso mehr wurde ihm klar, dass er nicht zu diesem Mann gehen durfte. Keinesfalls. Weil der Kerl sehen würde, dass mit ihm etwas nicht richtig war. Und was dann passieren würde wollte Matthew sich lieber gar nicht vorstellen.
Clarence allerdings schien das anders zu sehen, wie er klarmachte und dabei Matthews Hand drückte. Der Dunkelhaarige war still geworden und in seine Augen war ein zögerlicher, unsicherer Ausdruck getreten. Zwar bemühte er sich weiterhin offen und gut gelaunt zu wirken, doch seine Augen erreichte jene Scharade nicht.
„Klingt in der Tat anstrengend… kein Wunder, dass er sich den Trubel nicht antut.“, merkte Matthew an, wobei er sich alle Mühe gab interessiert aber doch beiläufig zu klingen. Was in Denver mit Ceyda passiert war, war Clarence und Cameron schnell klar gewesen - die junge Frau war von irgendetwas besessen gewesen.
Wovon genau war nie Zentrum der Fragen gewesen, aber ihr Ende hatte durchaus für einige offene Münder gesorgt. Letztlich hatte Clarence seinem Clanbruder irgendeine Geschichte erzählt. Von einem Anthony Kilgore aus Rio Nosalida, der ihm Bannmunition verkauft hatte. Geweihte Kugeln die dem Dämon nicht bekommen waren als er sie abgefeuert hatte.
Damit hatte sich Barclay zufrieden gegeben, sicherlich auch deshalb, weil die Umstände damals zu chaotisch und schnelllebig gewesen waren um sich weiter als nötig mit einem gelösten Problem zu befassen.
Aber Clarence und Matthew wussten, dass das Ceyda-Ding nicht durch irgendwelche Zaubermunition ausgelöscht worden war.
Unbehaglich trat Matthew von einem Bein auf das andere, den Druck der anderen Hand konstant aufrechterhaltend.
„Und kann man… ihn nicht irgendwie heilen?“, stellte er eine naheliegende Frage, auf die Adrianna zunächst mit einem Kopfschütteln antworte, bevor sie erklärte: „Eine Zersplitterung ist unumkehrbar. Das Phänomen selber kommt nicht sehr häufig vor, weshalb es nicht viele Personen gibt an denen man diesen Zustand… naja erforschen könnte.“ - „Aber Nagi hat es versucht. Ausgiebig.“ - Cameron machte eine ausladende Handbewegung. „Er hat sich richtig in Oliver verbissen, wenn du so willst. Hat gelesen, hat rumprobiert. Aber letztlich…“ nun zuckte er die Schultern. „Hat alles nichts gebracht. Manche Dinge kann man eben einfach nicht wieder hinbiegen.“
Bei dieser Formulierung warf Matthew Clarence kurz einen Seitenblick zu als wolle er ihn fragen ‚Was ist, wenn man mich auch nicht wieder hinbiegen kann?‘ - seit Denver hatte sich das Ereignis oder das was auch immer nicht wiederholt und eventuell vielleicht war alles auch nur ein Zufall gewesen und mit ihm war gar nichts - abgesehen von seinem allgemeinen Dachschaden. Aber wenn Clarence glauben würde, dass das so war… dann hätte er nicht so vielsagend seine Hand gedrückt, welche Matthew ihm seither beinahe zerquetschte wie ihm klar wurde. Er zwang sich dazu seinen Griff zu lockern und versuchte, die aufgekeimten Sorgen zu verdrängen. Vorerst war das ohnehin alles was er tun konnte. Aber gerade eben war das leichter gesagt als getan.
Wer in dieser Beziehung von wem abhängig war oder auch nicht, das spielte für Clarence schon lange keine Rolle mehr. Ganz früher, als sie aus dem Wald ihres Kennenlernens aufgebrochen waren, hatte der Blonde alleine Geld für sie beide verdient. Es war wenig gewesen, aber genug um in einer Siedlung trocken unterzukommen und für sie beide drei Mahlzeiten am Tag zu bezahlen.
Erst später, in Coral Valley, war es Matthew gewesen, der ihre leeren Geldbeutel mit einem bedeutsamen Batzen Gold und Silber gefüllt hatte und es wäre gelogen zu behaupten, sie hätten in der Metropole genügsam gelebt. Untergebracht in der pompösen Villa der Hurenkönigin, hatten sie es sich verdammt gut gehen lassen und damit war nicht nur das wunderschöne Boot gemeint, welches sein Mann ihnen zu Ehren ihrer Hochzeit gegönnt hatte.
Essen, guten Wein und Whisky, Kleidung und sogar Schuhe für sie beide - mit all diesen und noch mehr Dingen hatten sie sich eingedeckt und beim Verprassen all der Münzen nur wenig an morgen gedacht. In einer Welt, in der man am nächsten Tag vielleicht schon nicht mehr erwachte weil man des Nachts gemeuchelt worden war, war es fast schon selten dämlich das Gold länger in der Hand zu behalten als nötig.
Trotzdem hatten sie damals schon den ein oder anderen Wunsch gehabt, den sie sich später erfüllen wollten und während ihrer Hochzeitsreise auf dem Boot in manchen Nächten darüber sinniert, wie ihr gemeinsames Leben eines Tages aussehen könnte. Eventuell vielleicht.
Mittlerweile war ihr Erspartes verloren. Die eine Hälfte verschütt irgendwo in den Trümmern des Zeppelinwracks, die andere Hälfte entwendet bei einem Überfall, der den Christen sogar seine Bibel gekostet hatte. Diese war mittlerweile zu ihm zurück gekehrt und zweifelsohne viel wert - aber eben nur emotional und davon ließ sich schlecht etwas kaufen.
Es war nicht so, dass er Cassie das bisschen Geld, was sie momentan besaßen, irgendwie vorenthalten wollte oder dass er ihm bei ihrer gestrigen Shoppingtour vorgegeben hatte, was er sich kaufen durfte und was nicht. Sicher, das ein oder andere Teil hätte seiner Meinung nach auch gerne im Laden bleiben dürfen und dafür drei Silberlinge mehr in der Sparsocke zuhause, aber er hatte noch nie auf diese Weise über seinen Mann bestimmt und würde damit nun nicht anfangen.
Trotzdem gab es eine Ausnahme dieser Regel: Nämlich immer dann, wenn Matthew sich potentiell zu betrinken gedachte.
Dabei musste er nicht mal abgefüllt sein bis zum Rand, nein, es reichte schon eine ganz losgelöste Feierstimmung und da es in der Welt des Matthew Cassiel Reed beinahe immer etwas zu feiern gegeben hatte, war Clarence was das anging zu einem wachsamen aber gebrannten Kind geworden. Da wurden plötzlich teure Flaschen Wein geordert, dem Nachbartisch eine Runde ausgegeben oder eine Horde Kinder bekam eine großzügige Handvoll Münzen, um sich davon etwas feines zu kaufen.
All das mochte per se sehr großzügig von seinem Mann und - bis auf das Ansehen - zweifelsohne selbstlos. Aber weder wollte er, dass Matthew sich aufgrund dessen hier schon zu Beginn einen fragwürdigen Ruf erarbeitete, noch sollte er das kleine bisschen Geld auch noch verprassen, das sie für einen potentiellen Neuanfang in Falconry benötigten.
Doch viel wichtiger als die Frage wer hier Geld locker machte und wer es ausgab, war die Frage danach wer Oliver Hazel war und unter welchen Umständen sie sich mit ihm treffen würden - wenn überhaupt. Der Druck, den Clarence für einen Moment aufmunternd hatte Cassies Hand zukommen lassen wollen, ging mittlerweile vom Jüngeren konstant aus und auch wenn er den Versuch machte noch immer losgelöst und gut gelaunt zu klingen, so merkte Clarence seinem Mann die Anspannung durchaus an.
Möglichst neutral versuchte er den kurzen Blick des Dunkelhaarigen zu erwidern, der sich bewusst dazu zu zwingen schien sich etwas zu entspannen und um es ihm etwas einfacher zu machen, zog Clarence ihn schließlich dicht zu sich, bevor er die Hand des anderen losließ um stattdessen den Arm um seine Schultern zu legen.
„Keine Sorge, mir passiert schon nichts. Du kennst mich mittlerweile lange genug um zu wissen, dass ich immer wieder auferstehe. Wie der Phönix aus der Asche“, überspielte er die kurze Stille, die in der Gruppe eingetreten war und versuchte ihr einen angemessenen Grund zu geben, falls sich doch ein falscher Blick zwischen ihnen eingeschlichen oder Cameron aus seiner sitzenden Position bemerkt hatte, wie verkrampft sie sich aneinander festhielten.
„Seine Frau Daisy und die Kinder haben sich mittlerweile mit der Situation arrangiert und seit Nagi aufgehört hat an ihm herumzudoktern, hat sich die Stimmung zwischen ihr und dem Clan in den letzten Jahren auch wieder deutlich entspannt. Du kannst dir ja vorstellen wer für die Angehörigen immer der Schuldige ist, wenn jemand verletzt oder… im schlimmsten Fall gar nicht von einem Auftrag zurück kommt“, erklärte Adrianna, nachdem auch sie ihr Bier geleert und die leere Flasche auf einer Bank neben dem Lagerfeuer abgestellt hatte. „Stell dir vor, du wärst hier gewesen und Clarence mit uns beiden in Rio Nosalida und wir drei wären alleine mit dem großen Vogel über Denver runter gegangen. Da würdest du auch nicht die Zeppelingesellschaft verklagen, sondern erstmal den bösen Clan, der ihn überhaupt da runter geschickt hat um Falkenküken auszuliefern.“
„Naja - eigentlich haben wir uns freiwillig gemeldet, damit wir heimlich Sky da unten abholen können. Weiß nicht, wer da jetzt genau Schuld hätte“, warf Cameron überlegend ein, doch nicht etwa um nun dem Blonden die Schuld für das Geschehene in die Schuhe zu schieben, sondern um die generelle Vertracktheit der Situation hervorzuheben.
Abermals legte sich eine kurze Stille über die kleine Gruppe, in der niemand mehr durch sein Essen aufgehalten wurde um unverhohlen den Erinnerungen nachzuhängen, die jeder auf seine Weise davon getragen hatte.
Schließlich war es Cameron, der sein Bier auch noch in einem letzten Zug leerte, bevor er es klirrend zur Flasche von Adrianna warf - und damit einen grandiosen Strike erzielte, bei dem beide zu Boden fielen.
„So, Freunde, ich denke, das war das Wort zur Stunde“, versuchte Barclay die Stimmung wieder zu retten und deutete mit einer ausladenden Geste Richtung Gemeinschaftsraum, in dem Sibyll gerade ihre Pinsel reinigte. „Wenn jemand so freundlich wäre, dem Invaliden an seinen für heute angedachten Platz zur alten Schachtel zu bringen, dann wärt ihr endlich frei euch ins Moonkeepers zu begeben und euch in meinem Namen ins Delirium zu saufen. Ich bestehe darauf.“
Als sie heute ihr Heim verlassen hatten um die anderen zu treffen, da hatte Matthew sich einiges ausgemalt aber ganz bestimmt nicht, dass Clarence von ihrer Hochzeit erzählen, ihm die Stirn küssen und ihn zu sich ziehen würde. Augenblicklich fühlte Cassie wie ihm die Wärme in die Wangen schoss und ihm die Knie weich wurden.
Das unwillkürliche Grinsen auf seinem Gesicht wurde zu einem Strahlen von Ohr zu Ohr und er lehnte sich bereitwillig mit dem Rücken gegen Clarence‘ Brust. Kurz war der Gedanke an Oliver und was er sah oder nicht sah vergessen, einfach weil sein Mann und Beschützer seinen Arm um ihn gelegt hatte.
„Was ist los mit dir, hm?“ fragte er leise, den Kopf ein Stück in den Nacken legend und zu Clarence hinaufsehend. Was genau er meinte sagte er nicht, musste er aber auch nicht - weil der Blonde ihn besser kannte als jeder andere. Ohnehin bekam er keine Antwort auf die Frage, weil sich nun mehr ein nachdenkliches Schweigen über ihre kleine Gruppe senkte. Ein paar Augenblicke lang hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.
Matthew dachte an Ceyda, daran was aus ihr geworden war und daran wann es vermutlich passiert war.
Er war mit der jungen Frau im Zeppelin gewesen, sie hatten nach Überlebenden gesucht und… da waren diese Stimmen gewesen. Und ein Licht… die Erinnerungen waren nicht scharf und klar, obwohl all das noch nicht unglaublich lange zurücklag. Mit den Gedanken an diese merkwürdige Situation ging eine weitere, deutlich klarere Erinnerung einher. Die an Gabe und wie er Mister Teds an sich gedrückt und sich gefreut hatte. Sein Plüschtier welches im Wrack des Zeppelins ein wenig angesengt und auch aufgerissen worden war - was der Wiedersehensfreude aber keinen Abbruch getan hatte. Und dann war da noch Lucy gewesen, die neugierig aber durchaus auch taktvoll aufgepasst hatte wie Clarence die Wunden des Jüngeren versorgt hatte.
Andere Kinder wären ängstlich gewesen - aber nicht so Lucy. Angst war nichts das in ihrem Wesen lag… oder gelegen hatte.
Nachdenklich fragte er sich was das Mädchen wohl gerade machte. Die Leute bei denen sie untergekommen war, waren auf den ersten Blick sehr nett… aber war nett das was Lucy verdient hatte nach allem was passiert war?
Cameron riss ihn aus seinen Gedanken, holte sie alle zurück in die Gegenwart in dem er verkündete nun Stellung an der Front beziehen zu wollen. „Mein Stichwort.“, damit richtete Cassie sich wieder auf und löste sich aus der Umarmung des Blonden - was er nicht gern tat, wie er aber versuchte sich nicht anmerken zu lassen.
„Steig auf, Cami - dein Pony ist bereit.“ - „Noch zwei, drei Bier und diesem
Urteil würde ich nicht mehr trauen!“, erwiderte Cameron vergnügt.
„Ehrlicherweise reicht wahrscheinlich schon ein weiteres, Clarence kann das sicher bestätigen.“, räumte Matthew grinsend ein.
Dass er nicht viel brauchte um angeschäkert zu sein wusste er zwar, aber das hielt ihn nur selten von irgendetwas ab. In Kneipen und Bars, wenn die Stimmung allzu ausgelassen oder seine Laune besonders gut war, dann war Clarence stets die Stimme der Vernunft. So war es zwischen ihnen schon immer gewesen.
Trotz der eineinhalb Bier die Matthew schon getrunken hatte, schaffte er es Cameron zu Mrs. McIntosh zu bringen und das ohne Stolperer oder sonstiger Unsicherheiten. Die alte Dame würdigte ihn dabei kaum eines zweiten Blickes, aber sie wandte ihre Aufmerksamkeit gleich Cameron zu und verteilte Aufgaben an ihn.
Cassiel wünschte beiden einen schönen Abend und viel Vergnügen und entschwand schließlich eilig trabend zurück zu den anderen beiden die noch immer am Feuer standen. Eine kleine Weile gesellte er sich noch zu ihnen, wobei er dieses Mal direkt wieder vor Clarence kam und sich dann rücklings an ihn lehnte. Aber je dunkler es wurde umso unausweichlicher war auch der Besuch im Moonkeepers. Und da er ohnehin nicht drumherum kam, war es langsam an der Zeit es hinter sich zu bringen.
„Na los… brechen wir auf, bevor mich der Mut verlässt.“ -„Wirkst gar nicht schüchtern… bleib locker, ist lange her, dass die einen gehäutet haben weil sie ihn nicht mochten.“, zog Addy ihn auf und zeigte ein keckes Schmunzeln welches ihr ausgezeichnet stand und welches der Dunkelhaarige schief erwiderte. „Na dann… auf zum Häuten.“