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Zuhause

29. Dezember 2210


Clarence B. Sky

Als Clarence das zweite Mal wach wurde, dämmerte es draußen bereits wieder. Obwohl in den letzten Wochen deutlich weniger Schnee gefallen war, spürte man noch immer den Winter, der es morgens später hell und abends früher dunkel werden ließ.

Beinahe den ganzen Tag hatten sie verschlafen und bis auf ein Mal, an dem Claire aufgestanden war um sich sauber zu machen und etwas zu trinken, war er nicht von Matthews Seite gewichen.

Irgendwie hatte er gedacht, er würde öfter erwachen. Alpträume haben. Hochschrecken um zu kontrollieren, ob der Jüngere noch da war.

Doch anstatt in Panik zu verfallen, hatte er so gut geschlafen wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.

Blinzelnd blickte er an dem Arm empor, auf dem er seinen Kopf gebettet hatte, und musterte Cassies vertraute Züge unter dem ungewohnten Bart und dem herausgewachsenen Haar. Obwohl er anders aussah als damals, wo sie sich getrennt hatten, erkannte er auch unter dem bärtigen Wilden, zu dem sein Mann fast geworden war, noch immer jenen plappernden Kasper, der Cassie einst gewesen war.

Früher hatte Matthew morgens am Ufer des Sees oder Baches gestanden, wenn sie an einem kampiert hatten, und hatte versucht sein Spiegelbild darin zu richten. Seine alte rostige Schere im Haar, hatte er einzelne Strähnen fein säuberlich heraus seziert, sie gekürzt und damit irgendwie immer einen perfekten Haarschnitt produziert.

Bis heute wusste Clarence nicht, wie man sich selbst die Haare am Hinterkopf so perfekt schneiden konnte wie Matthew und trotzdem hatte der Dunkelhaarige dieses Talent in den vergangenen Wochen ganz eindeutig nicht genutzt. Vielleicht weil er keine Schere hatte. Vielleicht weil er keine Zeit hatte. Vielleicht, weil es ohne Clarence keinen Sinn für ihn gegeben hatte sich schön und tageslichttauglich zu halten, wenn man niemanden mehr hatte, der einem einen Grund dafür bot.

Doch Claire liebte ihn auch so. Bärtig, von der Reise schmutzig und mit neuen Narben, die vorher nicht da gewesen waren.

Für einen Moment noch rollte er sich auf die Schulter des Jüngeren, presste sein Gesicht gegen die so wunderbar warme Haut und seine Nase gegen Cassies Hals, an dem er seine Erinnerung von dem Geruch seines Mannes auffrischte. Dass er selbst davon nicht erwachte, zeigte einmal mehr wie müde und fertig Matthew sein musste – und zwar nicht etwa von dem was vor wenigen Stunden zwischen ihnen geschehen war, sondern von all den Tagen, durch die er davor zu ihm gehetzt war.

Es war ihm egal wie spät es war, ob ihn im Clan schon jemand suchte oder er längst zurück sein sollte, immerhin kamen die Leute da schon irgendwie alleine zurecht und mussten nicht aufgepäppelt werden so wie Cassie, der noch immer Dornröschen spielte und sich schon damals in der Villa Jeynes durch seinen Tiefschlaf von ihm den Spitznamen Prinzessin verdient hatte.

Ein seichtes Schmunzeln legte sich über seine Lippen bei dieser Erinnerung und machte, dass Clarence sich schließlich doch wieder unter der warmen Bettdecke hervor schälte, um sich weiter um die kleine Prinzessin zu kümmern, die einen Prinzen brauchte der sie versorgte. Ein heißer Kaffee, ein gutes Frühstück und ein bisschen Wärme für seine malträtierten Knochen war genau das, was sein Böckchen brauchte um wieder auf die Beine zu kommen, auch wenn er nicht wirkte als habe er auf seiner langen Reise am Hungertuch genagt. Doch es war das eine sich ein Kaninchen zu schießen und etwas anderes, von der reich gedeckten Tafel der Zivilisation zu naschen. Brot, Milch, vor allem aber frisches Obst und Gemüse war das, was Clarence am meisten in den vergangenen Monaten vermisst hatte und auch wenn er nicht glaubte, dass sein Mann die Dörfer und Städte in den vergangenen Wochen gescheut hatte, so glaubte er nicht, dass er auch nur einen einzigen Bissen davon halbwegs genossen hatte.

Vorsichtig drängte er sich gegen Matthews Wange und gab ihm einen warmen Kuss darauf, mit einer Hand über die fremde Brust reibend um die Lebensgeister in ihm zu wecken, fast so als wäre der jüngere ein unterkühltes Kalb in einem Stall, das man erst mit Stroh abreiben musste, damit es wieder auf die Beine kam.

Hey, Prinzessin. Ich steh jetzt auf und mach uns was zu Essen. Du hast noch so… eine Viertelstunde etwa, dann schmeiß ich dich hier raus, damit ich heute noch was von dir hab“, schlug er ihm einen mehr als fairen Deal vor, immerhin war Matthew hoffentlich nicht zurück gekommen, um den Rest ihres gemeinsamen Lebens zu verschlafen. „Danach gehen wir Kain und Abel holen und du kannst nach dem Schwachkopf sehen, den du besuchen willst. Einverstanden?“


Matthew C. Sky

Wortlos waren sie nach ihrem ausufernden Stelldichein eingeschlafen, aneinander geschmiegt und eng umschlungen, wie zwei verlorene Seelen die ohne einander nicht existieren konnten. 

Der Wärme und Behaglichkeit war es geschuldet, dass Matthew schneller einschlief als er es für möglich gehalten hatte und er fiel in einen traumlosen Schlummer, so fest, dass er noch nicht einmal vage zu sich kam als Clarence das Bett zum ersten Mal verließ. 

Über Monate hinweg war Schlaf für den Dunkelhaarigen nicht mehr gewesen als eine Notwendigkeit. Er hatte wenig geschlafen um schnell sein Ziel zu erreichen, er hatte wenig und nur dann gegessen wenn es nötig gewesen war und er hatte einen Scheiß auf die Länge seiner Haare gegeben. 

Bevor er Clarence kennengelernt hatte, hatte er Wert auf sein Äußeres gelegt, aber nach Clarence war ihm nichts gleichgültiger gewesen als sein Erscheinungsbild. 

Scheiß auf die Leute und was sie denken mochten, das hatte er sich gedacht, falls er überhaupt mal einen flüchtigen Gedanken an derartige Lappalien verschwendet hatte. 

Die gesamten zurückliegenden Monate waren eine Episode, die nicht in sein Leben passte. Er hatte nicht gelacht, hatte keinen Moment des Amüsements gesucht und hatte weder im Schlaf Erlösung gefunden, noch selbige im Alkohol gesucht. Matthew’s Leben war hart und rau gewesen, geprägt von nur einem Ziel und als er erfahren hatte, dass Clarence eventuell vielleicht doch noch lebte, da hatte ihn das mit Argwohn und vorsichtiger Freude erfüllt. 

Argwohn, weil er sich hatte nicht komplett sicher sein können, dass der Mann der sich Le Vert genannt hatte die Wahrheit gesagt hatte - und Freude, weil Clarence das einzige war, dass für ihn zählte. 

Man hätte meinen können, dass ein Mensch mit seiner Geschichte nun kaum Schlaf finden würde. Doch Matthew schlief - und er schlief so friedlich, dass man glauben könnte ihm sei im Leben noch nie etwas schlimmes widerfahren. 

Erst als die warme Hand des Blonden über seine Brust rieb, sich dabei auf wunderbare Weise vertraut anfühlend, dämmerte Matthew langsam aus seinem Tiefschlaf herauf. Wie so oft in der Vergangenheit öffnete er auch nun seine kandisfarbenen Augen nicht sofort, sondern gestattete sich, noch ein Weilchen vor sich hin zu dösen. 

An jenem Ort zwischen Schlafen und Wachen, an dem alle Träume auf einen warteten. An jenem Ort war Clarence bei ihm. An jenem Ort waren sie in Sicherheit.

Würde er nun die Augen öffnen, so warnte ihn eine leise Stimme ganz weit weg, wäre er zurück in der kalten Realität. Er würde irgendwo im Nirgendwo sein, die Sachen klamm von der letzten Nacht, das Feuer wäre heruntergebrannt, das erlegte Kaninchen vom Vortag kalt. 

Er würde in einen grauen Himmel blicken, über karges, gelbes Gras hinweg… Nebelschwaden würden sich kräuseln und irgendwo in relativer Nähe zu seinem Lager würde das mürrische Pferd auf ihn warten. 

So würde es sein, denn so war sein Leben ab jetzt - jedenfalls so lange, bis er genug hatte und es sich nahm. 

Also blieb er lieber noch etwas an jenem warmen, behaglichen Ort… an dem Clarence zu ihm wisperte, ihn Prinzessin nannte und seine Wange küsste. 

„…danach gehen wir Kain und Abel holen…“ flüsterte die vertraute Stimme aus seinen Träumen und Matthew seufzte leise. Er vermisste die Hunde, er vermisste ihr Boot, er vermisste Clarence.

„Bleib…“ flüsterte Matthew und selten war jenes Wort mit mehr flehentlichem Klang ausgesprochen worden wie in jenem Moment. Kummervoll zogen sich seine Brauen zusammen und er drängte die Finger in die Bettdecke, so als könne er Clarence damit bei sich halten, so als könne er verhindern, dass der Traum ihn verließ.

Aber das Grau lichtete sich bereits und auch wenn er sich bemühte wieder tiefer zu sinken, nochmal einzuschlafen und sich der süßen Illusion hinzugeben, dass er Clarence sogar riechen konnte…trotz alledem gelang es ihm nicht.

Langsam und widerstrebend öffnete Matthew schließlich die Augen, er blinzelte verschlafen in die triste Ödnis der Natur, blinzelte nochmals und stöhnte verschlafen. 

Wo zum Teufel bin ich?‘ ging es ihm durch den Kopf, doch kaum so gedacht begriff er auch schon. 

Er war nicht mehr draußen unterwegs… und viel wichtiger noch als das, er hatte Clarence gefunden! Als die Erkenntnis Matthews Verstand flutete kam der junge Mann sofort richtig zu sich, er setzte sich auf, scheinbar erschrocken und blickte sich flüchtig in dem Zimmer um, bevor sein rätselhafter Blick sich auf Clarence legte und dort verharrte. 

„Ich bin wirklich hier…“, wisperte er wie zu sich selbst und ließ sich zurückfallen, wobei er erleichtert auflachte. 

„Ich bin wirklich hier!“ wiederholte er und drehte sich auf die Seite, gab Clarence unvermittelt einen festen Kuss auf die Lippen und schenkte ihm das wohl ehrlichste und vollkommenste Lächeln auf der Welt. 

„Hab ich… dich irgendwas von Frühstück sagen hören oder war zumindest das nur ein Traum?“ - nackt wie er noch immer war, schmiegte Matthew sich an den Größeren und drängte das Gesicht gegen seinen Hals, den vertrauten und geliebten Duft seines Bären aufnehmend. 

„Danke, dass du echt und nicht nur ein Traum bist…“, wisperte er mit gedämpfter Stimme gegen die warme Haut. Die Augen hatte Matthew wieder geschlossen und drängte eben jene Freudentränen zurück, die zu Beginn ihres Wiedersehens nicht geweint worden waren. 


Clarence B. Sky

So verschlafen und tief im Traumland versunken wie Matthew dort lag, könnte man meinen, er habe die letzten Wochen keine einzige Nacht unter freiem Himmel an einem Feuer verbracht. Kein Ton schreckte ihn aus dem Schlaf, das erloschene Feuer hatte ihn nicht wach werden lassen um Holz nachzulegen und selbst das laute Klappern der Wägen draußen vor dem Hof auf dem grob gepflasterten Weg hatte ihn nicht wach werden lassen.

Noch halb im Traum strich er mit einer Hand über die Bettdecke, murmelte irgendwas und zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und wären sie nicht beide am Morgen einfach eingeschlafen anstatt sich noch mal frisch machen zu gehen, vermutlich hätte der Blonde die Chance genutzt und seinen Mann mit ein wenig Fummelei unter der Bettdecke geweckt anstelle eines belebenden Abriebs.

Doch anstatt den Jüngeren zu erschrecken, der im Vergleich zu ihm selbst eben nicht die vergangenen drei Wochen unter einem schützenden Dach in den eigenen vier Wänden geschlafen hatte, war es schließlich gänzlich anders herum und ausgerechnet Matthew machte mit seinem plötzlichen Aufsetzen und seinem hellen Auflachen, dass Claire unmerklich zusammenzuckte.

Obwohl die innigen Stunden am frühen Morgen unweigerlich gezeigt hatten, dass sie beide weiterhin aus Fleisch und Blut waren und ganz sicher kein irres Hirngespinst, war es furchtbar ungewohnt so früh nach dem Erwachen schon wieder solche Unruhe um sich herum zu haben. Im Clan war er alleine in seinem Zimmer, hörte außer der Glocke die zum Frühstück läutete eher weniger Krach auf den Fluren – ganz im Gegenteil sogar, versuchten die ersten doch nach ihrer Nachtwache draußen am Zaun schon wieder zu schlafen und andere wiederum auszuschlafen, nachdem sie am Abend davor im Gasthaus zu tief ins Glas geschaut hatten. Selbst Kain und Abel weckten ihn nicht, so wie es sonst früher gewesen war, sondern stromerten jeder für sich über den Hof oder lagen noch in ihrer Hütte draußen neben dem Haus; wenn Clarence nicht wollte, hatte er mindestens mal die ersten zwei Stunden des Morgens niemanden den er zu Gesicht bekommen musste und einigermaßen seine Ruhe.

Doch dass selbst in der kleinen Wohnung hier, in die er sonst nur kam um zu arbeiten, plötzlich wieder Leben herrschte, war nichts das er etwa ablehnte – denn seinen Mann wieder bei sich zu haben hatte er sich schon in jenem Moment gewünscht, als er sich von Matthew in Denver verabschiedet hatte.

Jeden Tag und jede Nacht hatte er an jene letzten Minuten denken müssen, die sie miteinander gehabt hatten und nicht selten hatte Clarence dabei bereut, ihn und Cameron nicht wenigstens bis zur Tür begleitet zu haben. Alleine oben in ihrer Dachkammer hatte er Cassie verabschiedet, ihn gefühlt so lange geküsst bis ihre Lippen wund geworden waren und unzählige Male hatte er sich dabei verkniffen seinen Mann anzuflehen, er möge es sich doch noch anders überlegen und hier bei ihm bleiben. Schließlich war er oben geblieben, Unwillens sich vor allen anderen die Blöße zu geben zu heulen wie ein kleines Mädchen, falls schon jemand anderes wach war. Dass er es sich nach einer geraumen Zeit anders überlegt hatte und die Treppen hinab geeilt war um seinen Mann noch mal ein allerletztes Mal zu sehen, ihn in die Arme zu nehmen und ihm zu sagen er möge auf sich aufpassen, hatte Cassie nie erfahren sollen… denn unten angekommen, war der Torfkopf schon längst mit Barclay aufgebrochen, hinaus in den Schnee, in dem ihre Schritte schon längst wieder von Windböen verweht gewesen waren.

Damals wie heute hatte er es nicht gutgeheißen, dass er alleine mit dem anderen Jäger los zog um Hilfe zu holen; sie beide vor allen anderen und gegen den Rest der Welt, das hatten sie sich versprochen und einander versichert, dass sie als Paar immer die höchste Priorität haben mussten, anstatt sich für andere in Denver in Gefahr zu bringen.

Aber Matthew hatte nicht hören wollen, ganz gleich wenn dieses Versprechen über jeder anderen etwaigen Logik stehen mochte, dass es angeblich Sinn machte alleine mit Cameron loszuziehen.

Was sie von dieser tollen Logik hatten, hatten sie am Ende zu spüren bekommen und es war so gekommen, wie es hatte kommen müssen.

Abwägend beobachtete er den Jüngeren, der sich ungläubig wieder in die Federn fallen und dann zu ihm herum rollen ließ, nur um dem Jäger einen festen Kuss aufzudrücken, den dieser augenblicklich erwiderte. Wenigstens das hatte Clarence in den vergangenen Monaten nicht verlernt, auch wenn er nicht mehr daran geglaubt hatte, jenes Talent je wieder nutzen zu dürfen.

Nein, ganz recht… ich dachte ich mache uns was zu essen, du musst doch sicher Hunger haben nach deiner Reise. Und ich, ich könnte einen heißen Kaffee gebrauchen. Im Gegensatz zu dir hatte ich heute Morgen nämlich keinen“, murmelte er vorwurfsvoll, denn ihm war nicht entgangen wie gesellig sein Mann heute früh mit Liv bei den Stoggs ein Kaffeekränzchen abgehalten hatte, während er selbst um vier Uhr früh aus dem Bett geworfen worden war mit Nachrichten, mit denen er längst nicht mehr gerechnet hatte.

Das Feuer im Ofen brannte längst wieder und hatte die gleiche heimelige Wärme in die Wohnung gezaubert, die heute früh schon im Raum gehangen hatte. Der Bezug der Daunendecke, in den letzten drei Wochen schneeweiß und glatt und unberührt, hatte durch die Nutzung seine ersten Falten bekommen und roch nicht mehr steril nach Wind und Waschmittel, sondern nach der Seife mit der Cassie sich heute früh gewaschen hatte, nach ihnen beiden und ein bisschen auch nach der Wollust der letzten Stunden, als stiller Zeuge dessen, was zwischen ihnen geschehen war. Das erste Mal seitdem er in der Wohnung war hatte er das Gefühl sich nicht mehr in dem Zimmer eines Gasthauses aufzuhalten, sondern in einem kleinen eigenen Lebensraum und augenblicklich kam selbst die kleine Wohnung ihm mehr vor wie ein mögliches Zuhause, als sein Zimmer im Haus des Clans es sich je angefühlt hatte.

„Ach…“, gönnerhaft winkte er ab und relativierte damit den fraghaften Dank seines Mannes, zu dem er ja eigentlich nicht viel beigetragen hatte außer zu überleben, selbst wenn das in Zeiten wie ihren auch schon eine große Leistung war. „Keine Ursache, mach ich doch gern. Ist zwar ein bisschen anstrengend so echt zu sein, aber man tut was man kann.“

Das beschränkte sich bei ihm seit drei Wochen auf Briefe schreiben, verschicken und Landkarten auswerten, aber das war besser als nichts zu tun, so viel stand fest.

Seufzend setzte er sich neben dem Jüngeren im Bett auf und zog ein Stück weit an der Bettdecke, bis er Matthews Brust und seinen Bauch entblößt hatte. Schon bei seinem ersten Erwachen hatte er die Vorhänge der Wohnung wieder aufgezogen um eine vage Ahnung zu haben wie spät es wohl sein mochte. Trotz Dämmerung und Nieselregen fiel jedoch noch immer genug Tageslicht ein, um sich die ramponierte Flanke seines Mannes betrachten und dabei auswerten zu können, ob sich Cassie während seiner leidenschaftlichen Tätigkeit wieder alte Wunden aufgerissen hatte – doch zu seinem eigenen Glück sah alles gut aus und das übermütige Böckchen hatte sich selbst nicht mehr zugemutet als es ertrug. Ganz im Gegensatz zum Bären, der sich vorhin mit ganz schön staksigem Gang ins Bad geschleppt hatte um sich frisch zu machen.

„Mhh…“, murrte er dabei nachdenklich, die Finger noch immer in der Bettdecke versunken und zog sie ein ganz kleines Stückchen weiter zu sich herab, gerade so weit um die dunklen Härchen gen Süden freizulegen und der Fantasie freien Lauf zu lassen, jedoch ohne seinen Mann tatsächlich zu entblößen. Schon vorhin hatte er ihn im Licht gemustert, das erste Mal nach so langer Zeit, und noch immer kam es Clarence fast schon surreal vor ihn wieder bei sich zu haben.

„Ich hab nicht gedacht, dass du noch mal wiederkommst. Wirklich nicht“, fasste er schließlich seine Gedanken monoton zusammen, ohne dabei eben jene Gefühle der Verzweiflung aufkommen zu lassen, die ihn so lange geplagt hatten; es gab nun keinen Grund mehr für diese unbändige Trauer und Clarence wollte sich ihr auch nicht erneut aussetzen, wenn es denn nicht sein musste. Trotzdem war es wichtig seinen Mann wissen zu lassen was seine Beweggründe dafür waren, den Abend so zu planen, wie er es tat.

„Wir essen einen Happen und dann gehen wir zu Cameron. Wenn die anderen beim Abendessen sind. Dann schleichen wir uns halb unbemerkt rein, entkommen den unzähligen Fragen die uns unnötig aufhalten… und dann schleichen wir uns schön wieder hier zurück in die Wohnung, wo du wieder mir gehörst. Ich werd dich heute nicht länger hergeben als nötig, Krankenbesuch hin oder her. Verstanden? Das ist mein gutes Recht als Ehemann, das musst selbst du Dickkopf einsehen.“


Matthew C. Sky

Sie hatten ihre Leben getrennt voneinander begonnen und geführt, lange Zeit ohne Kenntnis voneinander zu haben und ohne zu ahnen, dass es da draußen noch eine Seele gab, die nur für die eigene geschaffen war. 

Im Vergleich zu all den Jahren allein, kannten sie sich erst kurz und doch waren sie einander längst so vertraut, so unersetzlich, dass es in der Einsamkeit kein Glück mehr gab. 

Clarence nahm Matthews Dank nicht wirklich ernst, sondern gab eine gewohnt flapsige Antwort, die Cassie dazu veranlasste mit seinem Zeigefinger gegen Clarence‘ Stirn zu stupsen, die universelle Geste für Du hast einen Vogel. 

Aber egal wie albern sie auch vorgaben zu sein, die letzten Monate hatten etwas mit ihnen gemacht und sie auf eine Weise geprägt wie es bisher nicht der Fall gewesen war. 

Ziemlich direkt und ohne Berührungsängste zog Clarence die Decke ein Stück nach unten und musterte unverhohlen die Narben an Matthews Flanke. 

Unbehaglich ließ dieser die Musterung über sich ergehen und lauschte der nachdenklichen Stimme des Blonden, als jener offenbarte, dass er nicht mit seiner Rückkehr gerechnet hatte. Eine traurige wie auch ehrliche Offenbarung auf die Matthew ebenso ehrlich wie ernst erwiderte: 

„Ich werde immer zu dir zurückkommen. So lange ich atme werde ich dich suchen… und ich werde dich immer finden.“

Wie aufrichtig Matthew das meinte musste er nicht mehr beweisen, sein Hiersein war Beweis genug. 

„Du willst dich zu Cam‘ reinschleichen? Hältst für das für klug? Deine Leute werden Fragen haben… denk ich.“

Er hatte auch Fragen, aber eher an Mo‘Ann - und das wiederum war nichts, was heute noch sein musste. 

Worauf der Blonde hinauswollte mit seinen Plänen war vollkommen klar und Matthew war… nicht abgeneigt, seinem Mann heute in jeder erdenklichen Weise zu Diensten zu sein. 

Er schmunzelte vage, dann streckte er sich - wobei sich seine Muskeln deutlich unter der Haut abzeichneten - und erhob sich schließlich ohne Frösteln aus dem Bett. 

Clarence hatte dafür gesorgt, dass es in dem Zimmer angenehm warm war. Erst jetzt spähte der dunkelhaarige junge Mann bewusst aus dem Fenster und stellte fest, dass es bereits wieder dämmerte. 

„Ach du Schande… ich hab den ganzen Tag verpennt… aber es war der beste Schlaf seit Ewigkeiten. Seit… Denver.“, über die Schulter sah er zurück zu Clarence. 

„Ich geh mich eben frisch machen.“, obwohl er sich vorhin gewaschen hatte war es nach ihrem ausschweifenden Treiben nötig nochmal das Bad aufzusuchen und wie es so seine Art war, brauchte Matthew um einiges länger als es der Wildling gebraucht hatte. Mit dem noch warmen Wasser, dass der Blonde vorbereitet hatte ließ er sich Zeit und rief irgendwann aus dem Badezimmer heraus: 

„Sag mal… du hast nicht zufällig frische Sachen für mich? Irgendwas das trocken ist und nicht nach Rauch oder Schweiß stinkt...?“ - nicht nur an Schlaf hatte es ihm gemangelt sondern auch an Möglichkeiten sich frische Kleidung zu besorgen und die Sache mit dem Auswaschen seiner Sachen war nicht so einfach im nasskalten Winter, wenn nichts mehr trocknen wollte. 

Reichlich zwanzig Minuten später und so sauber wie schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr, verließ er schließlich das kleine Bad, zwei neue Handtücher hatte er in Beschlag genommen, eins trug er um die Hüften, ein anderes über den Schultern. Seine nassen Haare trug er dieses Mal offen und nach hinten gekämmt. 

Er selbst roch nach Seife, das Zimmer nach Kaffee und getrockneten Kräutern. 

„Mhhh… das hier ist schon jetzt das späteste und zugleich beste Frühstück meines Lebens.“, erklärte er schmunzelnd und nahm an dem Tisch Platz, während seine Haut samtig schimmerte und in seinen Augen ein warmer, verliebter Ausdruck lag. 

„Was denkst du… sollte ich mich nicht vorstellen? Gibt es hier keinen Chef? Irgendeinen… großen Guru der sich ans Bein gepinkelt fühlt, wenn ich nicht „Hi“ sagen gehe?“

Wenn das hier das werden sollte, was sie sich erhofften - nämlich ihr Zuhause - wollte Matthew vornehmlich zwei Dinge: Nummer eins war, zu Anfang eine bestimmte Sache klar stellen und sich zum Anderen es sich nicht mit den Leuten zu verscherzen, die das Herz der Stadt waren. 

 


Clarence B. Sky

Clarence hatte in den vergangenen Monaten nicht nur seinen Ehemann und Freund vermisst, sondern vor allem jene eine Person die ihm näher stand als jeder andere Mensch sonst. Es war nicht nur das gemeinsame Einschlafen und Aufwachen, der Sex, die Albernheiten oder gemeinsame Mahlzeiten die er so sehr vermisst hatte, sondern ganz einfache zwischenmenschliche Dinge wie etwa das Stippen gegen seine Stirn als Retourkutsche für seine flapsige Antwort.

Kein anderer Mensch war ihm so nah. Niemand anderes berührte ihn im Gesicht, zupfte an seinem Haar oder lächelte ihn auf eben jene Weise verliebt an wie Cassie es tat, wenn er seinen Bären beobachtete - und auf der anderen Seite gab es niemanden sonst, dem Clarence seine Finger unter den Saum des Pullovers schob wenn sie nebeneinander saßen, dessen Fuß er unter dem Tisch mit seinem anstupste oder dem er so dreist die Bettdecke von der nackten Brust zog, wie er es beim Dunkelhaarigen tat.

Clarence liebte Matthew und ohne ihn fehlte dem Blonden alles was er brauchte, damit er sich fühlen konnte wie er selbst. Selbst jetzt, wo der Jüngere nur für wenige Minuten im Bad war, vermisste er ihn schon an seiner Seite und doch war diese Sehnsucht nichts im Vergleich zu den unerträglich langen vier Monaten, die jüngst hinter ihnen lagen.

Was Claire für klug hielt oder nicht, darüber machte er sich selbst derzeit am wenigsten Sorgen und deshalb ließ er Cassies Bedenken unbeantwortet. Genauso unüberlegt war es immerhin auch, unangemeldet im Clan zu fehlen und sich stattdessen mit seinem Mann in der ungefragt angemieteten Wohnung herum zu treiben, sich im Haupthaus rar zu machen und seine Aufgaben für einen Typen schleifen zu lassen, der mittlerweile sogar der letzten Seele als sein Ehemann bekannt war, ganz ohne, dass er ihn jemals jemandem vorgestellt hatte. Doch wenn er die Wahl hatte zwischen Arbeit oder seinem Mann und einem halbherzigen Tadel, dann war ihm letztere Option deutlich lieber und er würde sich immer wieder dafür entscheiden, ganz ohne zu zögern.

Statt sich also weiterhin auf seinem Zimmer, draußen im Hof oder mit den Hunden vor den Toren der Stadt herum zu lümmeln, war er viel lieber hier – roch den aufkochenden Kaffee, verquirlte Eier mit frisch gehackten Kräutern in einer kleinen Schüssel und schnitt mit einem groben Messer breite Scheiben vom frischen Laib Brot, das Elaine Stogg ihnen mit in den großzügigen Fresskorb gepackt hatte. Clarence konnte nicht von sich behaupten, er hätte in den vergangenen Wochen besonders großem Hunger gefrönt und doch spürte er an diesem Nachmittag das erste Mal wieder annähernd so etwas wie Appetit in seinem Magen aufkommen, der ihm neue Lebensgeister verlieh.

„Ich weiß nicht, ob dir hiervon was passt. Aber die Sachen sind sauber und damit definitiv besser als die, in denen du angekommen bist“, rief er ihm derweil entgegen während der Kaffee durchlief und aus dem Bad der Duft von Seife und Zahnpasta quoll. Obwohl es draußen schon wieder dämmerte und Clarence sich fühlte, als habe er ein Jahrzehnt geschlafen anstelle nur weniger Stunden, kam es nicht vor wie ein später Nachmittag sich anfühlen sollte und als würden sie sich auf ein spätes Mittagessen vorbereiten. Stattdessen lag der Geruch von Frühstück, einem zerwühlten Bett und Morgenroutine in der Luft und jedes einzelne Detail davon fühlte sich so unglaublich gut an, dass es fast zu schön war um wahr zu sein.

Sich etwas in seinen gestutzten Bart grummelnd, das er selbst genauso wenig verstand wie Cassie es im Bad verstehen würde, kratzte er einen kleinen Fleck von der Hose die er aus dem Schrank gezogen hatte, legte sie locker zusammen und warf sie neben die andere, die er ebenso auf dem Bett ausgebreitet hatte. Es war ältere Kleidung von ihm, die ihm früher schon mal gepasst und die er in seinem Zimmer aufbewahrt hatte, bevor er sie vor ein paar Tagen frisch gewaschen und wieder selbst in Gebrauch genommen hatte um nicht noch länger in zu großen Klamotten herum zu laufen – und mit etwas Glück saß sie auch einigermaßen an seinem Mann, wenn dieser nicht in seiner Reiseleitung müffeln und den Schmutz seines langen Ritts wieder auftragen wollte.

Sorgsam und fast so, als sei er bemüht nicht den Anschein zu machen als habe er sein Leben ohne Matthew nicht unter Kontrolle gehabt, bettete er ein frisches Shirt und einen sauberen Pullover zu den Hosen, womit die sky‘sche Kleiderkammer für bedürftige Seelen auch schon fast wieder erschöpft war. Immerhin bot wenigstens die lokale Suppenküche, dank der großzügigen Spende durch Familie Stogg, da doch etwas mehr Auswahl, sodass sein obdachloser Ehemann zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nackt, aber dafür wenigstens nicht hungrig bei Barclay aufschlagen musste.

„Naaah… man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Vielleicht hab ich in der Zwischenzeit schon vergessen wie man kocht, also mach dir noch nicht allzu große Hoffnungen“, nahm er ihm neckisch den Wind aus den Segeln und warf Cassie eine kurzen Blick über die Schulter zu, als dieser sich hinter ihm an den Esstisch setzte. Heute Morgen noch hatte er von selbigem mit vollen Armen die Karten und Pergamente gerafft um sie in eine Schublade zu stopfen, sie genauso in Vergessenheit versenkend wie er es nun auch mit seiner Arbeit tun musste nach Matthew zu suchen, die regelrecht zu seiner Lebensaufgabe geworden war. Doch statt nun Stunde um Stunde weiterhin alleine an dem Zweiertisch zu sitzen und zu schreiben bis seine Hand weh tat, würde er nun endlich mit Cassie auf diesen Stühlen sitzen um zu essen, Karten zu spielen und wieder miteinander zu lachen und das war definitiv viel besser als all die Mühen, die er schon gehabt und die auch noch vor ihm gelegen hatten.

Zu dem Stück Butter, das er schon in der Pfanne geschmolzen hatte, gesellten sich nun die zwei dicken Scheiben Brot, die knusprig im Fett zu rösten begannen. Wenn es nach ihm ging, hätte er Matthew den ganzen Laib direkt wie ein Brötchen aufgeschnitten und serviert, immerhin musste der Kerl halb verhungern so kaputt wie er trotz seiner gestählten Brust aussah; aber der Abend war noch jung und sie mussten nicht alles jetzt sofort verzehren. Notfalls päppelte er ihn eben bis spät in die Nacht weiter auf.

„Naja… es gibt schon einen großen Guru, der sich ans Bein gepinkelt fühlt. Der heißt Nagi und ist gerade etwas abkömmlich hier, deshalb hat seine Tochter so ein bisschen die Koordination übernommen. Aber der willst du dich nicht vorstellen“, riet er Matthew derweil, während er sich um den Kaffeefilter kümmerte und das Brot auf die andere Seite warf.

„Die ist womöglich nicht so gut auf deinen Mann zu sprechen, weil ihr Vater immer den zum Liebling hatte anstatt seiner Tochter. Und dann ist dein Mann mit ihrem Vater raus in die große weite Welt gezogen und kam nicht mehr mit ihm zurück. Da ist eventuell vielleicht so ein bisschen schlechte Stimmung zwischen ihr und deinem Mann. Aber das weiß ich nicht sicher, weil ich ihr immer ganz vorbildlich aus dem Weg gehe. -

Hier… blond und süß. So wie du deinen Kaffee gern hast - und deinen Mann“, rührte er mit einem kleinen Löffel in der Tasse, die er dem Dunkelhaarigen eingeschenkt hatte, und reichte sie ihm hinüber an den Tisch, nur um seine Hände im Anschluss an Cassies Wangen zu legen und auf ihn hinunter zu blicken. Er war gewaschen und sauber, trug das lange Haar artig nach hinten gekämmt und sah trotzdem aus wie ein bärtiger Wilder - ein Anblick den Clarence nicht gewohnt war und der eigentlich sein eigener Job war, nicht der seines Böckchens.

„Wir müssen uns irgendwann später um diese Mähne da auf deinem Kopf kümmern. Du siehst aus wie der große Yeti, hinterher denken die anderen noch, du wärst irgendwas das sie jagen und ausstopfen müssen.“

Sorgsam strich er mit seinem Daumen über Matthews Wangen, bevor er sich zu ihm hinab beugte und ihm einen kurzen aber liebevollen Kuss gab.

„Deinen Bart… kannst du erstmal so lassen. Ist irgendwie ganz niedlich, du siehst fast aus wie ein richtiger Erwachsener damit.“


Matthew C. Sky

In den vergangenen Jahren hatte Matthew sich nur wenig - eigentlich sogar gar nicht - um Jäger und ihre Clans geschert. 

Er wusste, dass man ihnen als Außenstehender besser aus dem Weg ging und dass es unter den einzelnen Gilden sowohl Rivalitäten als auch Koalitionen gab. 

Das Gefüge innerhalb der Clans war ihm aber kaum bekannt und da er bis vor kurzem auch nicht gewusst hatte, dass sein eigener Mann offiziell noch Mitglied der American Kestrel war, hatte er auch keine Veranlassung gesehen sein Wissen diesbezüglich zu vertiefen. 

Umso wichtiger war es zweifelsohne jetzt dem Blonden zuzuhören und auszuloten wie hier der Hase so lief. 

Dass sein Mann ihm direkt davon abriet, sich dem hiesigen Guru vorzustellen ließ den Jüngeren den Kopf schütteln und auf eine Weise schmunzeln die wohl besagte, dass er es besser wusste als sein Gatte. 

„Man schließt Frieden mit seinen Gegnern, nicht mit seinen Freunden.“, entgegnete er und fügte an: „Stell mich ihr vor.“

Dass Clarence es vorzog stattdessen das Thema zu wechseln und dies auch galant tat, ließ Cassie ihm durchgehen wenngleich er darauf bestehen würde, die Tochter des toten Nagi Tanka kennenzulernen. 

„Blond, süß und heiß…“, fügte er der Aufzählung des Größeren hinzu und nippte an dem frisch zubereiteten Kaffee. Das Getränk war so stark, dass es einen Toten zurückholen könnte - wie immer wenn Clarence ihn kochte und beinahe verzog der Dunkelhaarige das Gesicht. Doch er beherrschte sich, langte stattdessen nach der Sahne und gab noch einen Schuss dazu. 

Von der Mähne auf seinem Kopf schien Clarence derweil nicht sonderlich angetan. Etwas, dass Matthew ein amüsiertes Grinsen auf die Lippen zauberte, immerhin schienen ihre Rollen seit seiner Ankunft wirklich irgendwie vertauscht. 

„Oh man, halt doch die Klappe Sky…“, erwiderte er amüsiert und fügte schließlich nach einem Moment verlegenen Schweigens an: „Einer muss die Rolle des bärtigen Wilden ja übernehmen, jetzt wo du dich entschlossen hast die zierliche Prinzessin zu mimen.“ - nicht, dass das wirklich stimmte, aber im Vergleich zu Clarence‘ eigentlichen Proportionen fiel durchaus auf, dass er in den letzten Wochen eine harte Zeit hinter sich gebracht hatte. 

„Hättest dir die Haare nicht abschneiden sollen, dann hätten dir deine Zofen im Clan sicher wunderschöne Zöpfchen geflochten.“ Neckisch zwickte er nach den Lippen seines Mannes, erwischte sie aber nicht, weshalb er seine Aufmerksamkeit zügig dem Essen in der Pfanne widmete. 

„Oh man… ich wusste nicht, was ich für Hunger habe bis eben.“, der Geruch von Rührei mit Kräutern hing in der Luft und ließ Mathews Magen knurren. 

In den letzten Tagen hatte er kaum etwas gegessen, einfach weil seine Vorräte zur Neige gegangen waren und ihm längst nicht mehr der Sinn nach fadem Fleisch stand, dass er ungewürzt überm Feuer braten musste. 

Essen war nicht Genuss sondern nur Notwendigkeit geworden und somit war das, was Clarence ihnen gerade zubereitete wahrlich ein Festschmaus. 

Ohne zu zögern stieß er die Gabel in das Rührei nachdem Clarence ihm einen gut gefüllten Teller hingestellt hatte. 

„Das ist seit langem das Beste das ich gegessen habe…“, verkündete er und nahm noch einen Schluck Kaffee ehe er sich wieder dem Rührei widmete. 

Was die Sachen anging, so hatte er noch keinen Blick darauf geworfen, denn egal was Clarence ihm rausgesucht hatte, es war besser als die Kleidung mit der er gekommen war. Schmutzig und zerschlissen von der weiten Reise und den verlebten Abenteuern war im Grunde nichts mehr zu gebrauchen bis auf den dunkelgrünen Mantel. 

Nach all der Zeit wieder an einem Tisch zu sitzen, nicht nur nicht allein sondern mit Clarence zusammen, das war mehr als er sich noch gestern wirklich hatte vorstellen können. 

Der Weg hierher war wie ein Fiebertraum gewesen und jetzt und hier konnte sich der Dunkelhaarige nur schemenhaft an all die Wochen erinnern die hinter ihm lagen. 

An die Einsamkeit, an die Verbitterung, an die Kälte und den rauen Wind, daran wie geschmacklos das Essen gewesen war und wie schal das Wasser. 

All das war weit weg und obgleich Matthew sonst nie um Worte verlegen war, so fehlten sie ihm an diesem Morgen ein bisschen. 

Er kam sich fremd in der Stadt vor, aber wiederum vollkommen vertraut in der Gegenwart des Blonden. 

„Was meinst du wie lange uns bleibt bis- …“

Ein Klopfen unterbrach seine Stimme jäh und Matthew blickte über seine Schulter in Richtung Tür bevor er den Satz vollendete - obgleich er seine Antwort nun schon bekommen hatte. 

„… jemand nach dir sehen wird? Schätze, da hab ich meine Antwort.“, er schob sich die letzte Gabel Rührei in den Mund und nahm noch einen Bissen Brot den er noch kaute während er sich erhob. 

Zügig tappte er zu den bereitgelegten Sachen, raffte einfach alle zusammen und nickte in Richtung Bad. 

„Im Sinne des Anstands zieh ich mich an bevor dein Clanbruder die Türe eintritt.“, erklärte er sonnig, während es neuerlich klopfte und sich eine fremde Stimme danach erkundigte ob Clarence auch hier war und mitteilte, dass man ihn suchte. 


Clarence B. Sky

 Nagi Tankas Tochter war wirklich kein Thema, das er an einem Morgen - oder besser: einem späten Nachmittag - wie diesem hier vertiefen wollte. Es war ihr erstes gemeinsames Aufstehen seit langem, ihr erstes Frühstück nach so langer Zeit und vor allem der erste Moment absoluter Ruhe nach der ganzen Aufregung, die noch vor wenigen Stunden geherrscht hatte.

Matthews spitzbübischer Kommentar bezüglich seines heißen Kaffees zauberte ein kurzes Schmunzeln auf seine Lippen, das sich schnell wieder verlor als Cassie seinem abgeschnittenen Haar hinterher trauerte. Das hätte der Kerl wohl gerne, dass am besten noch dralle, barbusige Zofen nur darauf warteten sie im Clan zu umsorgen und zu umschmeicheln; ganz offensichtlich tat der Frühling ihm nicht gut, denn der Jüngere musste zu lange in der prallen Sonne geritten sein, wenn er hoffte, dass irgendeine feine Dame sich um sie kümmern würde. Matthew konnte froh sein, wenn Claire ihm noch das nötigste auf dem Kopf gelassen hatte, sobald er später mit ihm fertig war und das wäre noch immer der größte Luxus, der im feinen Clan-Leben auf ihn wartete.

Es dauerte einen Moment bis auch Clarence so weit war sich schließlich mit an den Tisch zu gesellen, da hatte sein Mann bereits die zweite oder dritte Gabel voll Rührei im Mund und wahrlich, es gab nichts das er ihm nach der langen Reise so sehr gönnte wie eine anständige Mahlzeit und einen heißen Kaffee mit Zucker und einem kräftigen Schuss Sahne, so wie er es gern hatte. Es war schön wieder für Matthew zu kochen, ihn vergnügt und quicklebendig bei sich zu haben und wenngleich das kleine Kompliment sicher ehrlich gemeint war, war es doch sicher auch nicht schwer die vergangenen Mahlzeiten des Jüngeren zu überbieten, selbst wenn es nur mit Rührei und geröstetem Brot war.

Still und mit eben jenem seichten Schmunzeln, das Clarence wie so oft auf den Lippen lag wenn er seinen Mann betrachtete, beobachtete er sein Gegenüber dabei, wie er regelrecht ausgehungert über sein Frühstück hinweg fegte, nur um es ab und zu mit einem großen Schluck Kaffee hinunter zu spülen. Selten erlebte man Cassie so unbedarft und zwanglos, denn so wie er auch auf sein gutes Äußeres großen Wert legte, legte er normalerweise auch zu Tisch anständige Manieren an den Tag. Aber heute war nichts normal, weder das gemeinsame Frühstück, noch das gemeinsame Aufwachen oder ihr Wiedersehen und so wie Clarence die Sache einschätzte, würden auch die kommenden Tage alles andere als normal werden.

Zwei oder drei Gabeln Ei hatte er bereits gegessen, da unterbrach ein lautes Klopfen den Jüngeren noch bevor er seinen Satz nach längerem Schweigen überhaupt ausgesprochen hatte und ehe er sich versah, saß er auch schon wieder alleine an dem Tisch, ihm gegenüber ein leerer Teller anstelle seines Ehemanns und vor der Tür irgendein Widerling der ihm den Morgen versaute, der schon seit Stunden keiner mehr war.

Brummend legte er seine Gabel aus der Hand und nahm einen Schluck Kaffee, während er den Vorhang am Fenster neben sich mit einem Finger vorsichtig beiseite schob und die Lage draußen auf dem Hof sondierte - wie ein kleines Kind, das alleine Zuhause war und eingebläut bekommen hatte bloß niemandem die Türe zu öffnen, aber zu neugierig war um die Nase von der Fensterscheibe zu lassen. Er konnte einen dunklen, wedelnden Schwanz entdecken, der zweifelsohne zu Abel gehörte und Kain, der wie immer erst mal durch den Garten stromerte um sein Revier neu abzustecken; wer mit den beiden unterwegs war konnte er sich schon denken, immerhin hatte die gleiche Person ihn schon vor zwei, drei Stunden aus dem Schlaf geklopft - aber da hatte er sich noch erfolgreich schlafend stellen können. Der Drops war nun natürlich gelutscht.

Mit finsterer Mine zog er sich den Pullover zurecht, den er sich auf den Weg zum kleinen Flur übergezogen hatte um nicht nur in Boxershorts vor dem Störenfried zu stehen, und öffnete schließlich die Tür - durch die sich Abel, kaum Bewegung in der Sache, schon direkt mit dem Kopf hindurch quetschte. Wie Zuhause fühlten sich die beiden Quälgeister hier schon auf jeden Fall.

„Einen Taler Gold für jeden, der einem hier seine Ruhe lässt, und ich müsste nie wieder Geld ausgeben“, tadelte er den groß gewachsenen Mann vor seiner Türe und stierte ihm entgegen, fast als hoffe er, den ungebetenen Besuch damit wieder zu vertreiben.

Doch bei Alec, der die ein oder andere Attitüde des Blonden bereits gewohnt war, zogen selbst die besten Taktiken leider schon lange nicht mehr.

Seufzend schloss der Langhaarige für einen Moment die Augen, sammelte sich und hielt ihm schließlich freundlich eine kleine Glasdose mit Korken entgegen:

„Dir auch einen Guten Tag und ein fröhliches: Wie schön dich zu sehen. Ich gehe gerade mit deinen Hunden raus und war heute Mittag schon hier damit du deine Pillen nimmst, aber du hast nicht auf gemacht.“

„Ich hab geschlafen“, konterte Clarence monoton und ohne mit der Wimper zu zucken, immerhin hatte er das ja auch. Vor und nach dem Klopfen, jedenfalls.

„Ja, sicher. Bestimmt. Vor allem, weil ich so zarte Hände habe, die streicheln die Tür ja regelrecht anstatt zu klopfen. Komisch, dass du dieses Mal davon wach geworden bist?“

Der mahnende Blick des anderen zog bei Clarence genauso wenig wie der Vorwurf in seiner Stimme und die fehlende Mitarbeit war es, die Alec schließlich mit einem genervten Grollen nach der Hand des Blonden greifen ließ, um ihm das Pillenglas direkt hinein zu drücken - denn ansonsten konnte er das Ding gleich wieder mit nach Hause nehmen, so wie er seinen Freund kannte.

„Wenn du so weiter machst komm ich mit rein, stopfe dir die Teile höchstpersönlich in den Schlund und steck dir den Kopf so lange ins Wasserfass, bis du sie unten hast. Ich spiele nicht wieder zwei Wochen dein Kindermädchen.“

Gerade wollte Clarence den Mund öffnen um zu widersprechen, da brach in der Wohnung bereits das erste Bellkonzert seitens Abel aus, der nach ausgiebigem Schnüffeln und schließlicher Erkenntnis festgestellt hatte, dass irgendwo ein ausgesprochen großes Geschenk versteckt sein musste - und der damit Kain anlockte, der sich wie aus der Pistole geschossen an ihm und ihrem Besucher vorbei drängte, um in das Gejaule mit einzustimmen.

Die beiden waren so aufgeregt, dass Clarence sich ein erheitertes Grinsen nun doch nicht mehr verkneifen konnte und sich eine kurze Pause zwischen sie legte, in der sich auch für Alec bestätigte: „Also stimmt es, ja? Ist er da?“

„Als ob du wegen den blöden Pillen hier wärst. Denkst du ich bin blöd?“, wollte Claire von ihm wissen und verzog das Gesicht, immerhin konnte er sich ganz genau vorstellen wie das abgelaufen war - nämlich ausreichend Leute die auf Alec einredeten, er solle sich unter einem fadenscheinigen Vorwand hierher begeben, um die Lage zu sondieren und mehr Informationen für die kleinen Aasgeier im Clan zu sammeln. „Himmelherrgott… komm jetzt rein oder bleib draußen und verpiss dich, ich muss die Tür zu machen wenn die Hunde bellen. Sonst dreht die alte Dame von nebenan wieder durch.“


Matthew C. Sky

Wer auch immer vor der Türe stand und klopfte, Matthew kannte die Person nicht. Er kannte sie so wenig wie er die Tochter Nagis kannte oder die Frau am Tor, welche ihn zum Gasthof gebracht hatte. 

In dieser Stadt kannte er niemanden, aber das störte Matthew nicht mehr seit er ein kleiner Junge gewesen war. 

Er kam an jedem Ort zurecht und anders als früher war er nicht allein in jener Stadt voller Fremden. 

Im Badezimmer betrachtete sich der junge Mann neuerlich im Spiegel, besah sich die auffälligen Narben an seiner Seite und den Beinen und beugte sich schließlich nach vorne um sein Gesicht näher zu mustern. Verborgen unter dem dichten Bart gab es eine weitere Narbe, klein und fein aber sichtbar. Und an seinem Schädel das selbe, vom Ohransatz zog sich eine sichelförmige Narbe nach hinten, etwa so lang wie sein Daumen. Keine der Wunden war lebensbedrohend gewesen und keine rührte von dem Angriff der Bestie im Schneesturm her. Es waren Narben wie sie Menschen üblicherweise Menschen zufügten - und jeder mit ein bisschen Ahnung würde das sehen. 

Später würde er sich trotzdem um seine Haare kümmern, doch vorerst musste es reichen, dass er sie zu einem lockeren Dutt zusammenfasste und sich den Bart zumindest etwas in Form schnitt. Für nichts davon brauchte Matthew viel Zeit, immerhin besaß er dafür ein Händchen. 

Anschließend warf er sich eines von Clarence alten Shirts über, es war schwarz und schlicht und es passte dem Jüngeren nahezu perfekt. 

Anders als die Hose, die ihm trotz der Tatsache, dass Clarence mal viel schmaler gewesen war, noch immer reichlich war. Mit seinem eigenen alten Gürtel fixiert, war aber auch jenes Kleidungsstück tragbar und wurde kurz darauf durch Socken komplettiert. Keine Sekunde zu früh, denn schon brach in der Wohnstube ohrenbetäubendes Gebell und Geheul aus und es klang als würden Möbelstücke über den Boden geschoben werden. 

Matthews Herz machte einen Hüpfer und er öffnete die Badezimmertür um hinaus zu gehen, doch da strömten die Hunde schon herein wie ein Schwall Wasser. 

Jaulend und bellend drängten sie in den kleinen Raum und brachten den jungen Mann zu Fall, der kurz überrascht aufschrie und dessen Schrei nahtlos in helles Lachen überging. 

Sowohl Kain als auch Abel wuselten über ihm herum, ihre Ruten wedelten hektisch hin und her und sie schleckten ihn abwechselnd ab wie sie aufgeregt bellten. 

„Schon gut, schon gut…! Nicht so wild, aua! Hey…. !“,noch am Boden liegend schlang Matthew beide Arme um Kain und gab ihm einen Kuss auf die fellige Brust. 

„Seid ihr gute Jungs gewesen, hm? Ja ihr wart gute Jungs, ganz sicher!“ Abel bellte wie zur Bestätigung und ließ sich von Matthew zerzausen, der sich mittlerweile in eine sitzende Position aufgerappelt hatte und immer noch versuchte die zwei Verrückten zu bändigen. 

„Hört auf ihr zwei!“, aber weder der goldene noch der kohlrabenschwarze Wolfshybride ließ von dem lange Verschollenen ab. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt drängten sich beide an ihn und Matthew legte jeweils einen Arm um sie, die Nase abwechselnd im Fell beider vergrabend. Beide waren… Familie… und es bedeutete dem Jüngeren unbeschreiblich viel sie wiederzusehen. Erst jetzt begriff er wirklich, dass alles gut war. Sie hatten es endlich geschafft, ihre Familie war wieder zusammen. 

„Ich hab euch auch vermisst…sehr sogar. Aber ihr habt gut auf euren Dad aufgepasst und das ist das Wichtigste. Gut habt ihr das gemacht, ihr seid die Besten.“, flüsterte Matthew mit belegter Stimme und kraulte die beiden noch einen Moment länger, bevor er den Blick gen Tür wandte und feststellte, dass diese sperrangelweit offen stand und zwei Männer - der eine sein Mann, der andere ihm völlig unbekannt - zu ihm hineinblickten. 

Der Kerl der neben Clarence stand war groß, machte aber eher ein überraschtes statt ein grimmiges Gesicht und wäre der Typ nicht in friedlicher Absicht hier aufgekreuzt, hätte Clarence ihn gar nicht erst reingelassen. Und das bedeutete, dass der Fremde wohl okay war - außerdem hatte er die Hunde mitgebracht, was ebenfalls für ihn sprach. 

All diese Gedanken kamen Matthew binnen wenigen Sekundenbruchteilen und so war es nicht verwunderlich, dass er dem Unbekannten durchaus nett zunickte und sich mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen vorstellte. 

„Hi… ich bin Matt, schätze du hast schon von mir gehört.“ 

Unter kurzem Gebell der Hunde kam der junge Mann schließlich auf die Beine, streichelte Kain und Abel nochmals und wischte sich kurz die Wange am eigenen Oberarm ab. Der nachlässig gebundene Dutt war nun mehr so locker, dass er den Haargummi aus den Strähnen fischte und ihn über sein Handgelenk zog, die Haare kurzerhand offen lassend. Dann verließ  er - nach wie vor flankiert von den beiden Fellmonstern - das Bad und streckte dem Fremden die Hand hin. 

„Danke, dass du auf die Zwei aufgepasst hast.“, er nickte zu den Hunden die erst jetzt von seiner Seite wichen und schließlich auch zu Clarence. „Und wahrscheinlich auch ein bisschen auf ihn, nehm ich an.“ 

Man konnte von Falconry Gardens halten was man wollte, aber es war definitiv sicher, dass es ohne diese Stadtund die Leute darin sie beide nicht mehr geben würde. Clarence sah man an, dass harte Zeiten hinter ihm lagen und er noch weitere Wochen brauchen würde um wieder ganz fit zu werden. Und was ihn selbst anging, so hätte er ohne die Existenz dieser Stadt gar nicht gewusst wohin er hätte gehen sollen um den Blonden zu finden. 

Was auch immer dieser Ort für sie werden würde, denjenigen die dafür gesorgt hatten, dass Clarence noch lebte würde Matthew immer dankbar sein. Und so wie der Fremde und der Wildling beieinander standen, war der Dunkelhaarige definitiv ein Freund und kein Feind. 

Und auch wenn Clarence‘ Freunde nicht automatisch die von Matthew waren, so hatten Clarence‘ Freunde es definitiv leichter mit Matthew. 


Clarence B. Sky

Den Schlag, den es tat als ihre beiden Fellknäuel den Totgeglaubten zu Boden rissen, war so laut, dass man ihn selbst im Eingang noch hörte. „Komm rein jetzt“, zischte er daraufhin ihrem Besucher zu und zog ihn unsanft in die Wohnung, um hinter ihm die Tür ins Schloss werfen und nach dem Chaos weiter hinten sehen zu können, bei dem hoffentlich nicht die Einrichtung zu Bruch gegangen war - immerhin war die Wohnung möbliert angemietet und er hatte gefühlt seinen Erstgeborenen dafür als Pfand eingesetzt, dass die beiden Monster von Hund brav waren und hier drin nichts zerstören würden.

Das Bild, das sich ihnen neben dem Waschbecken im Bad bot, war so lächerlich wie es auch herzerwärmend war und Clarence freute sich für ihre beiden Hunde nicht weniger wie für sich selbst, dass Cassie endlich wieder da war. Wie sehr sowohl Abel wie auch Kain an beiden von ihnen hingen, war im vergangenen Jahr mehr als ein Mal offensichtlich geworden und hatte sich zuletzt beim Wiedersehen nach dem Absturz des Zeppelins gezeigt, als Matthew nach der Bergung von Constantin und ihrem felligen Anhang zum Supermarkt zurück gekehrt war.

Keine Zeit der Welt konnte machen, dass Matthew jemals von seinem Mann oder seinen Hunden vergessen wurden und das Empfangskomitee der beiden war genau das richtige, um ihm das ein weiteres Mal vor Augen zu rufen. Selbst Kain, der die Reise nach Falconry Gardens nicht unbeschadet überstanden hatte, zeigte schon lange keine Anzeichen seiner damaligen Verletzungen mehr außer ein bisschen Felleinbuße an der Flanke, was einem jedoch höchstens beim Streicheln auffiel, nicht jedoch mit bloßem Auge.

Ist er das?“, lehnte sich Alec ihm flüsternd entgegen und nickte gen Bad, woraufhin er sich von Clarence einen irritierten wie auch sprachlosen Blick erntete, unter dem sich der Kerl eigentlich verdient hatte direkt wieder vor die Tür gesetzt zu werden.

„Nein, das ist mein Haus- und Hofsklave, den halte ich schon immer im Bad. Natürlich ist er das!?“

So viel Einfältigkeit hätte er vielleicht an dieser stelle von einem Cameron Barclay erwartet, aber eher weniger von dem dunkelhaarigen Hünen, den Clarence sonst eher für seinen Scharfsinn mochte. Der schien heute jedoch ausverkauft zu sein.

Alec‘s Blick konnte man ansehen, dass er überrascht aber tolerant auf die Partnerwahl des Blonden reagierte und beinahe schon anerkennend nickte ihr Besucher ihm schließlich zu, der es - genau wie alle anderen - nicht gewohnt war, Clarence in einer Beziehung zu erleben; was genau er erwartet hatte würde er vermutlich nicht mal selbst sagen können, aber zumindest vom ersten Eindruck her schien er kein schlechtes Gefühl zu haben.

„Ich schätze, von dir haben alle schon gehört“, korrigierte er scherzhaft und hob die Hand zum Gruße gen Badezimmer, doch schon nachdem der Fremde sich aufgerappelt und zu ihm auf den Weg gemacht hatte, schüttelte er ihm kräftig und herzlich die dargebotene Hand. „Hi Matt, ich bin Alec. Und auf den da hab ich vermutlich mehr aufpassen müssen als auf eure Hunde - aber ich vermute, das weißt du mittlerweile besser als ich.“

Wenn die beiden wirklich schon so lange miteinander unterwegs waren wie Clarence erzählt hatte, durfte sein Faible dafür ihn Schwierigkeiten zu geraten, dem anderen Dunkelhaarigen nur zu gut bekannt sein und angesichts dessen, was hinter den beiden lag, hatte Matthew es auch schon am eigenen Leib mehr als genug erfahren.

Kurz blickte er zwischen Clarence und der neuen Bekanntschaft hin und her, immerhin lebte der Blonde nun nicht mehr alleine in der Wohnung und zumindest in der Theorie sollte er Matt vielleicht genauso um Einladung bitten hier zu sein wie seinen Kumpel, doch die freundliche Begrüßung war nicht gerade ein Rausschmiss und so entschied er sich, die ungewohnte Konstellation mit eben jenen Fragen etwas aufzulockern, die ihm auf der Zunge lagen.

„Du warst ja ziemlich lange verschollen nach dem, was Cameron und dir passiert ist. Ich hoffe dir geht’s gut und du hast gut her gefunden? Die Wege sind etwas schwierig je nachdem aus welcher Richtung man kommt“, deutete er den Fenster, durch das man über den anderen Dächern noch die Spitzen des Grey Eagle sehen konnte. „Liv meinte, du bist mit einem Pferd angekommen. Dann hast du’s hoffentlich nicht über die Berge versucht, das hätte sich sonst alle Fesseln gebrochen. Da oben ist es so kurz nach dem Winter teils ziemlich wild, wenn der Schnee schmilzt und den Schutt von oben mit runter kommen lässt. - Oh, danke!“

Überrascht nahm er Clarence die heiße Tasse ab, die ihm plötzlich mit schwarzem Kaffee entgegen gehalten wurde, und ließ sich gen Tisch manövrieren, an den Clarence ihm einen kleinen Holztritt als dritte Sitzgelegenheit gestellt hatte. Wenn er schon nicht seine Ruhe mit Matthew bekam, wollte er wenigstens noch in Ruhe fertig frühstücken, das war ja wohl hoffentlich das mindeste was man erwarten konnte, wenn der eigene Ehemann nach so langer Zeit endlich wieder auftauchte.

„Alec hat mir den Tipp für die Wohnung hier gegeben, sonst hätten wir heute vermutlich bei den Stoggs schlafen müssen“, zählte Claire einen der vielen Vorzüge auf, die der andere Jäger so mit sich brachte, und streichelte Kain ein weiteres mal über den Rücken, der noch immer aufgeregt durch den Wohnraum seine Bahnen zog. „Der ist okay, sonst hätte ich ihn nicht reingelassen.“

„Sowas wie ein… F… Fr… Freu…“, wedelte Alec Hilfestellung gebend mit der Hand um Clarence auf die Sprünge zu helfen wie das eine Wort hieß, das er so ungern benutzte.


Matthew C. Sky

Der Händedruck des Mannes, der sich kurz darauf als Alec vorstellte war kräftig und dauerte genauso lange wie es richtig war. 

Falls der Dunkelhaarige irritiert von Matthews Anwesenheit war, so ließ er sich das nicht anmerken - was wahrscheinlich daran lag, dass er Zeit genug gehabt hatte sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass Clarence statt einer Partnerin einen Partner hatte. 

Trotzdem war die Situation komisch, was jedoch weniger an Alec oder Matthew lag sondern schlicht und ergreifend den Umständen seines Auftauchens geschuldet war. 

Als Clarence die Stadt hinter sich gelassen hatte, war er in Begleitung des hiesigen Anführers gewesen und er hatte so seine eigenen Vorstellungen von Glaube und Beziehungen gehabt. Und nun war er hier, ohne Nagi Tanka aber verheiratet mit einem verschollenen Typen. 

„Oh je… dann sind mir gegenüber so ziemlich alle im Vorteil. Ich kenne nur… Addy und Cam. Beiden muss ich unbedingt einen Besuch abstatten bevor sie glauben ich will mich drücken… Aber freut mich, dich kennenzulernen Alec.“ - Letzteres war mehr als eine bloße Höflichkeitsfloskel, denn auch wenn Matthew sich gefreut hätte noch mehr Zweisamkeit mit Clarence zu haben, so war es doch schön zu sehen, dass jemand auf seinen Mann acht gab. 

Er konnte eben nicht einfach abtauchen ohne das sein Fehlen bemerkt wurde - und das hieß, dass der Blonde durchaus Teil einer Gemeinschaft war. 

Dass Alec hoffte, er hätte eine gute Reise gehabt und gut hergefunden war ein frommer Wunsch - nett aber vollkommen an der Realität vorbei, was man Cassiel aber nicht unbedingt anmerkte als er vage lächelnd erwiderte: „Ja, eigentlich ganz gut.“ - das war eine glatte Lüge, die so flüssig und unbescholten Matthews Lippen verließ, dass es kaum Anlass gab an ihr zu zweifeln. 

„Um ehrlich zu sein bin ich direkt über den verdammten Berg gekommen… Grey Eagel, wenn der Name auf der Karte richtig eingezeichnet ist… und mich mein Gedächtnis nicht komplett trügt. Ein paar Pfade waren nicht passierbar… aber größtenteils ging es eigentlich.“ 

Matthew wusste nicht viel über Clans und die Kestrels waren da keine Ausnahme. Allerdings war er nicht auf den Kopf gefallen und die imposante Bergkette war allgemein bekannt. Sie fungierte als natürliches Schild gegen Muties und Eindringlinge, sodass sich die Stadt im Falle eines Angriffs nur in eine Richtung verteidigen brauchte.  

„Hatte Glück mit dem Pferd, ist ziemlich trittsicher… und mit dem Wetter. Bis auf ein paar kleinere Stürme war es okay.“ - wahrscheinlich hätten sieben von zehn Leuten den Weg von vornherein lieber drumherum gewählt statt über die Bergkette und die anderen drei hätten auf halber Strecke kehrt gemacht. Aber aufgeben entsprach weder Matthews Naturell noch dem von Clarence. 

Ebenso wie auch der Blonde und der dunkelhaarige Hüne hatte auch Matthew wieder am Tisch Platz genommen, wobei er wieder nach der Tasse langte und einen Schluck nahm, während er den anderen beiden zuhörte. 

Die Art wie sie miteinander umgingen und sprachen war vertraut und freundschaftlich und durchaus warmherzig. 

Niemand sprach so locker mit Clarence der ihn nicht leiden konnte und keiner bekam unaufgefordert einen Schemel und Kaffee angeboten, den der Blonde nicht mochte. 

Matthew schmunzelte ein bisschen während Alec Clarence dazu motivieren wollte ihn einen Freund zu nennen - obgleich für Matthew längst offensichtlich war, dass genau das Alec war. 

„Also dir ist das hier zu verdanken.“, er nickte in den Raum und fügte an: „Nichts gegen den Gasthof… aber hier ist es doch… angenehmer.“ 

Die Stoggs waren sicher anständige Leute und ganz ohne Zweifel war es ein Segen, dass die Frau ihnen Vorräte mitgegeben hatte. Doch ein Zimmer in einem Gasthof war eben genau das und niemals mehr als eine Durchreisestation. 

„Wir wollen nach dem Essen zu Cameron.“, Matthew nahm den letzten Bissen Brot und schaute auf den Teller des Blonden, der langsamer aß als ein Käse reifte. 

Wenn das seit seiner Ankunft hier immer so ging war es kein Wunder, dass sein Bär nur noch ein Dachs war. 

Matthew verkniff es sich zu sagen „Das wird aufgegessen und erzähl mir nicht, dass du keinen Hunger hast.“ - doch sein Blick sagte genau das. 

„Ich wusste nicht, ob er‘s geschafft hat… aber Clarence meinte es geht ihm soweit passabel. Gut genug zumindest um ihn zu besuchen.“ - viel verraten hatte der Blondschopf nicht, aber sie hatten in den ersten Stunden ihre Zweisamkeit ja auch auf andere Art genossen als mit Reden. 

„Ich war noch nie hier, also… was gibts hier so - außer Falken und Pergament?“ - für beides war Falconry Gardens bekannt und für beides interessierte Matthew sich eigentlich keinen Deut. Eigentlich. Sein Blick fiel auf die gläserne Dose mit den Pillen, die Clarence auf das Fensterbrett und gleich neben eine Grünpflanze gestellt hatte, wahrscheinlich in der irrigen Annahme, dort würden sie Matthew nicht gleich auffallen. Aber weit gefehlt und der dunkelhaarige junge Mann ließ sich auch nicht dazu hinreißen sein Interesse zu kaschieren als er unumwunden fragte: „Wofür sind die?“

 


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