Falconry Gardens
29. Dezember 2210
Als Clarence an diesem Nachmittag das erste Mal wieder raus auf den Hof trat, da kamen ihm der noch kahle Garten irgendwie etwas grüner, das Gezwitscher der Vögel deutlich munterer und die letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags irgendwie wärmer vor als in den Wochen zuvor. Es war das eine, die Abende alleine in der kleinen Wohnung zu verbringen, stillschweigend über Pergament und Tinte seinen Kräutertee zu trinken und hinter dem Fenster den immergleichen Ausblick zu haben – doch etwas völlig anderes war es, wenn man sein Leben endlich wieder mit der Person teilen konnte, die man so sehr liebte wie er selbst seinen Ehemann.
Es war schön sich im Bad anzuziehen während an der Küchenzeile das Geschirr klapperte, auf der Bettwäsche zum ersten Mal Falten zu entdecken weil das Bett endlich benutzt wurde und selbst die Hunde hatten ewig nicht mehr so freudig gebellt, kam es ihm vor. Immer wieder jagten sich Kain und Abel durch den Hof, drehten dabei ihre Kreise auch um ihre beiden Herrchen und zeigten ganz deutlich dass auch sie bemerkten, dass ihre Familie endlich wieder komplett war.
Das, was ihnen dreien hier in Falconry Garden so sehr gefehlt hatte, war nicht ein Zuhause gewesen in das sie zurückkehrten. Es waren keine Freunde gewesen, die sie freudestrahlend empfingen oder Ziele, auf die sie sich freuen konnten sie hier endlich zu erreichen. Das, was ihnen gefehlt hatte zum glücklich sein, war Matthew – und den Unterschied sogar an den Hunden zu spüren, ließ ein warmes Schmunzeln auf Claires Lippen erscheinen, das ihm fast so gut tat wie der Jüngere selbst.
„Hetz den alten Mann nicht. Ich muss etwas langsam machen. Hab Angst, dass mich am Ende der Wind noch weg weht“, stichelte er auf das Eilen seines Mannes hin zurück, der ihn vorhin noch durch die Blume hatte wissen lassen, dass er ihn abgemagert fand. Das war Clarence nicht entgangen und sagte mehr über Cassie aus als über ihn selbst, immerhin hatte der Jüngere ihn in Coral Valley nicht auf seine Statur angesprochen, als seine Hosen fast kaum noch zu gegangen waren.
Klimpernd nahm er die Leinen von den Haken neben der Eingangstür und rief die beiden Hunde zu sich, um sie fest zu machen und den Leuten hier ein bisschen Sicherheit vor den Monstern mit Mutter aus ewiges Eis zu geben. Obwohl Kain und Abel schon lange kein Problem mehr damit hatten aufs Wort zu hören, waren sie zu zwei riesigen Wolfshybriden herangewachsen und Claire konnte verstehen, wenn manch einer vor ihnen Angst hatte und sich unwohl fühlte, wenn die beiden nicht angeleint waren.
„Hier, nimm“, hielt er Cassie schließlich auffordernd das Leder entgegen, immerhin hatte er die letzten vier Monate damit verbracht sich um die beiden zu kümmern und nichts ließ einen so gut spüren, dass man Zuhause war, wie anderthalb Zentner Hund an der Hand. Erst als er den dreien das Tor aufgehalten hatte und es hinter ihnen wieder ins Schloss gefallen war, holte er zu ihnen auf und knüpfte auch in Ruhe seine mit Lammfell gefütterte Jacke zu; es war kühl geworden so spät am Abend und würde heute wohl auch nicht mehr besser werden, immerhin war der Sommer dann doch noch nicht ganz gekommen.
Die Straße vor ihrer Wohnung war gepflastert und der kleine Zaun, der ihren Garten umgab, schmiegte sich nahtlos ans Haupthaus an, in dem ihre Vermieter wohnten. In dem kleinen Fenster das zur Straße hin zeigte brannten die Kerzen der Deckenlampe und ein warmes Feuer ließ die Wand hinter der Gardine warm flackern; von der alten Dame war heute nichts zu sehen und Claire zweifelte nicht daran, dass es ihr irgendwann langweilig geworden war nach seinem verschollenen Ehemann Ausschau zu halten, nachdem sie den ganzen Tag die Vorhänge nicht geöffnet hatten.
„Schön, wenn es dir hier gefällt. Ich wollte uns nicht im Gasthof unterbringen, das wäre so… unpersönlich gewesen. Ich wusste ja nicht, in welchem Zustand du hier landest. Da erschien mir etwas eigenes, privateres sinnvoller zu sein“, griff er schließlich die Bewunderung des Jüngeren für seine Auswahl wieder auf und langte schließlich nach Cassies freier Hand, nachdem er auch seinen Schal anständig gerichtet hatte und einigermaßen tageslichttauglich aussah.
„Also, du brauchst ja noch eine kleine Mini-Stadtführung damit du überhaupt weißt, wo du gelandet bist. - Wenn wir hier lang gehen und dann links hoch, kommen wir irgendwann von den Wohnhäusern weg. Da oben sind die Falknerei und die Pergamentfabrik. Im Sommer, wenn hier mehr los ist und die Geschäftsleute ihre Familien mitbringen, ist hier unten in den Gassen mehr los weil die rauf pilgern und sich da oben alles ansehen wollen. Da sind auch einige Wiesen wo man gut sitzen kann, vielleicht ist das Wetter die Tage schöner und wir schauen uns die Ecke da oben an, wenn es nicht mehr nieselt“, deutete er an ihrer Wohnung rechts vorbei, wo sich hinter dem nächsten Haus bereits ihre Gasse einen kleinen Berg empor zu schlängeln schien. Gegenüber von ihrem Haus erstreckte sich die Wohngasse weiter, vereinzelt mit kleinen Innenhöfen die mal mehr, mal weniger bepflanzt waren. „Hier ist es auch nur so eng bebaut, weil wir noch im alten Stadtkern sind. Zwei, drei Straßen weiter wird alles schon etwas lichter. Da kommen dann irgendwann Bauernhöfe, Weiden und so. Aber wir wollen hier lang.“
Nach links, vorbei am Haus ihrer Vermieter und die Straße hinab, die unmerklich etwas abfallend war. Die Pflastersteine, die so alt waren dass sie sich schon glatt abgenutzt hatten, waren etwas rutschig durch den anhaltenden Nieselregen und deshalb vermied er Cassie hinter sich her zu ziehen, sondern gab ihm die Zeit und den Raum den er brauchte, um sich alles in Ruhe anzusehen.
„Wir sind hier in so einer kleinen… Nebengasse, sag ich mal. Auf der anderen Seite sind die Geschäfte. Die Läden sind noch recht gut gefüllt, der Sommer war lang und der Winter kurz. Wir sollten also alles bekommen, was du brauchst. Kleidung, ein paar neue Schuhe, falls du willst. Schnickschnack“, fasste er kurz zusammen und überlegte ob es noch etwas gab, was Matthew benötigen könnte – wobei es vermutlich einfacher und schneller war das aufzuzählen, was Cassie nicht unbedingt haben musste.
„Ich würde dir ja vorschlagen nach deinem Besuch bei deinem Freund noch ein bisschen Bummeln zu gehen, aber du hast ja selbst gesagt, wir wollen zeitig wieder zurück sein, bevor in Barclays Gegenwart noch unanständige Dinge geschehen.“
Der alte Mann nahm Matthews neckende Stichelei entspannt an und konterte sie schlagfertig, was den Dunkelhaarigen amüsiert Schnauben ließ.
Es waren Augenblicke wie dieser, unscheinbar und doch so vertraut und kostbar, dass Matthew nicht anders konnte als glücklich zu sein.
Es war ein Wunder, dass sie beide hier waren - und nicht nur sie beide, sondern auch Kain und Abel.
Aus beiden Wolfshunden waren stattliche Burschen geworden und obgleich Kain ein bisschen kleiner war als sein golden schimmernder Bruder, reichte er mit seiner Schulter bis knapp unter Matthews Nabel.
Die Vorstellung, dass eine Leine beide daran hindern würde irgendetwas zutun war absurd - aber es ging wohl auch eher darum den Einwohnern der Stadt ein Gefühl der Sicherheit zu geben.
Zu Matthews Glück liefen beide ganz entspannt neben ihnen her, zogen und balgten nicht sondern zeigten sich von ihrer besten Seite. Immer wieder schauten beide zu dem Dunkelhaarigen auf der in den letzten Monaten ihr Rudel unvollständig zurückgelassen hatte.
„Gute Jungs seid ihr.“, lobte Matt die bloße Existenz der beiden und lächelte auf sie herab, während er ein paar Schritte vor Clarence ging, der schließlich zu ihnen aufholte. „Ich wäre auch mit einem einfachen Zimmer zufrieden gewesen. Alles ist besser als es die letzten Wochen war…“ - kaum außerhalb der wenigen Siedlungen gewesen, hatte sein Nachtlager aus ein paar Decken und den Kleidern am Leibe bestanden. Von einem Bett hatte er nur träumen können.
„Aber die Wohnung ist wirklich schön.“, er schenkte Clarence ein ehrliches Lächeln und sah sich dann wieder um. Falconry Gardens wirkte verschlafen und doch irgendwie geschäftig. Aktuell waren keine Leute auf der Straße außer ihnen, aber das lag nur daran, dass ihre Unterkunft in einer kleineren Nebenstraße befindlich war.
Gerade wollte Matthew seine Bewunderung für die Leinenführigkeit ihrer beider Babys zum Ausdruck bringen, da griff Clarence plötzlich nach seiner freien Hand. Ohne irgendwelche spürbare Zögerlichkeit umschloss der Blonde mit seiner Hand die des Kleineren als wäre es das natürlichste auf der Welt und als hätten sie das schon immer so getan.
Cassiel sah kurz zu dem Mann neben sich empor um abzuschätzen ob dieser sich irgendwie überwinden musste oder angespannt aussah. Aber nichts davon schien der Fall. Im Gegenteil sogar, der Blondschopf ergriff das Wort und klang dabei so entspannt und locker als würden sie noch in der gemeinsamen Küche sitzen - und nicht etwa in der Öffentlichkeit Hand in Hand spazieren gehen.
Für die Mehrheit der Menschen war es sicher auch ganz natürlich - aber für einen traditionellen Christenjungen der nicht sonderlich an Frauen interessiert war lagen die Dinge anders und waren nicht ganz so einfach gewesen.
„Eine Führung, okay - klingt gut.“, erwiderte Matt, wobei er die Hand seines Mannes kurz drückte und dann aufmerksam seinen Worten lauschte.
Er wusste selbst nicht so richtig warum, aber irgendwie war er merkwürdig angespannt gewesen und nun… entspannte er sich irgendwie. Mit Clarence und ihren Hunden durch diese unbekannten Straßen zu schlendern, seiner Stimme zu lauschen und sich einzuprägen was er erzählte, all das hatte eine besänftigende Wirkung auf ihn.
„Die Falknerei würd ich gern sehen. Nicht unbedingt heute, aber vielleicht die Tage.“ - er schaute in die entsprechende Richtung und lachte kurz auf als sein Mann die Läden erwähnte. „Schnickschnack? Ich steh überhaupt nicht auf Schnickschnack!“, protestierte er - wissend, dass sie beide wussten, er war sehr wohl für alles mögliche zu begeistern.
Zeug der Alten, verzierte Kartendecks, schöne Messer und Tabakdöschen aus Silber… ein buntes Potpourri aus verschiedensten Dingen vermochte es ihn in Kauflaune zu versetzen. Schnickschnack eben.
„Aber ja, ich muss mir dringend einen Überblick verschaffen was es hier so alles gibt. Ich brauche ein paar Sachen. Meinst du, die haben noch offen, wenn wir von Cam wiederkommen?“
Obgleich Matthew in der Natur keinen guten Orientierungssinn besaß, so fiel es ihm in einer Stadt relativ leicht den Überblick zu behalten. Wo was lag, das würde der Blonde ihm kein zweites Mal erklären müssen.
Aber tatsächlich hatte Matthew auch nicht vor Falconry Gardens allein zu erkunden.
„Was ist mit der Frau von Nagi? Mo‘Ann heißt sie, richtig?“ - er wusste, dass das richtig war. Namen und Gesichter merkte er sich zuverlässiger als so ziemlich alles sonst.
„Wie hat sie deine Rückkehr aufgenommen und die Tatsache das… naja, ihr Mann eben nicht wiedergekommen ist? Meinst du, sie wird mich sehen wollen?“
Nicht dass das wirklich eine Rolle spielte was sie wollte. Matthew würde sie sehen wollen und dahingehend war er sich nicht kompromissbereit.
Erst als sie ihre kleine Seitengasse verließen und auf die großen Handelswege zurück kamen, wurde die Kleinstadt wieder etwas lebendiger und erwachte aus ihrem Schlaf, der in den Wohngegenden der Innenstadt herrschte.
Größere Häuser schmiegten ich an kleinere Geschäfte, wobei die Schaufenster eine fast durchgehende Reihe bildeten, nur dann und wann unterbrochen durch eine Seitenstraße. Über manchen Geschäften waren Wohnungen, andere waren nur kleine flachere Gebäude. Ein Großteil der Läden, die hier waren, bestanden noch aus alten Steinen und nur ein geringer Teil der Häuser war mit modernem Gemäuer nachgearbeitet, als der Zahn der Zeit zu sehr an den Außenfassaden genagt hatte.
Die Pflastersteine, die die Straßen der Handelsgassen säumten, waren links und rechts auf den Höhen von Wagenrädern eingesunken und abgenutzt. Trotz der erzwungenen Winterpause war kein Grashalm auf den Wegen zu sehen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass selbst während des Schneefalls der Handel nicht vollends abgerissen war und Falconry Gardens seinem Ruf treu geblieben war: Selbst unter unwegsamen Bedingungen immer ein Ausflugsziel wert zu bleiben und ein Ort zu sein, an dem man Handel und Unterkunft fand.
„Ich glaube schon, dass vielleicht mancher Laden noch offen hat nachher. Aber die Frage ist wofür du heute Abend noch Sachen brauchst, denn da wirst du weder angezogen, noch Zeit für deinen gekauften Schnickschnack haben“, fasste Clarence trocken das offensichtliche zusammen und kam damit galant darum herum direkt auf den Punkt bringen zu müssen, dass er heute definitiv nicht mehr mit ihm einkaufen gehen würden, weil sie definitiv nachher andere Dinge miteinander machen würden, sobald Cassies für seinen Freund schlagendes Herzi befriedigt worden war.
Vereinzelt waren draußen Leute auf den Straßen unterwegs, wovon der ein oder andere ihnen einen kurzen Blick entgegen warf, bevor er sich weiter um seine Arbeit kümmerte. Ein Mann in warmer Arbeitskleidung schaffte gerade eine Schubkarre voller Schafsfelle und Leder an ihnen vorbei und war zweifelsohne auf dem Weg zum Lederer, von dem auch Clarence seine neue Jacke hatte, die angenehm warm ausstaffiert war. Anderes Material lud er vermutlich beim Schuster ab oder bei der Pergamentfabrik, damit die kleineren Lederfetzen zu Bucheinbänden verarbeitet werden konnten, die die nächsten Jahrhunderte überstanden.
„Ich schaue, ob ich uns die Tage was für die Falknerei organisieren kann. Im Winter machen die nicht so viele Führungen weil es sich für einzelne Leute alle paar Tage nicht so lohnt, aber ich denke wenn wir uns rechtzeitig bei jemandem melden, sollte das kein Problem sein. - Hier, da müssen wir uns morgen fürs Frühstück was holen“, hielt er Cassie an der Hand kurz bei sich und brachte ihn auf diese Weise zum Stehen, um mit der freien Hand hinter die Fenster einer Bäckerei zu deuten, die schon geschlossen hatte. Eine ältere, kräftige Dame verräumte gerade die übriggebliebene Auslage; krosse Brötchen, dicke Plunderteile und geflochtene süße Stangen fanden dabei den Weg in einen geflochtenen Korb, vermutlich entweder um morgen als Ware vom Vortag angeboten zu werden, oder um damit nachher die Schweine glücklich zu machen.
Obwohl alles in der Stadt noch etwas auf Sparflamme lief und sowohl die Bäcker, als auch die Metzger und sonstige Handwerker momentan nicht in üppigen Mengen etwas anzubieten hatten wie sie es sonst im Sommer taten, war das Leben hier in Falconry Gardens trotzdem angenehmer und abwechslungsreicher als in vielen der armen Siedlungen, durch die sie auf dem Weg von Denver hierher gekommen waren. Vielerorts hatten sie in den Gasthäusern nichts anderes mehr bekommen als eine trockene Kante Brot und schon reichlich verdünnte Suppe ohne Geschmack - und selbst darüber hatten sie noch dankbar sein müssen. Wie es solchen Gegenden ergehen mochte, wenn der Winter länger anhielt als nur ein Jahr, darüber dachte man am besten gar nicht erst nach.
Ihr weiterer Weg führte sie zwischen zwei der Geschäfte eine schmale, steile Treppe empor - die war zwar nicht besonders angenehm zu erklimmen, aber sie kamen schneller voran als um das Handelsviertel herum laufen zu müssen. Auf der oberen Gasse angekommen, zeigte sich die Bebauung wieder deutlich weitläufiger, mit mehr Wiese zwischen den einzelnen Häuser, die zum Teil noch von Schnee bedeckt war. Von hier aus erkannte man am Ende der Straße das Gasthaus der Stoggs wieder, doch anstatt sich den Weg hinab und damit zurück zu den Toren der Stadt zu begeben, wandte er sich mit seinem Mann und den beiden mittlerweile ortskundigen Hunden gen rechts, was Kain und Abel bereits aufgeregt an ihren Leinen ziehen ließ.
„Tatsächlich muss ich sagen, dass ich… Mo‘Ann schon ein paar Mal mehr gesehen hab als seine Tochter. Das mag daran liegen, dass sie mehr daran interessiert ist als ihre Tochter, was passiert ist… oder daran, dass ich früher mehr Kontakt zu ihr hatte als zu dem Kind“, fasste er beinahe monoton zusammen, immerhin gehörte die Konfrontation mit Nagis Familie zu den weit unangenehmeren Dingen als das Wiedersehen mit seinen Brüdern und Schwestern aus dem Clan, auch wenn er sich dort genauso für seinen Verbleib zu rechtfertigen hatte. Das Kind, wie er es betitelte, war zwar schon längst eine erwachsene Frau - aber sie hatte er kennengelernt als sie es noch nicht gewesen war und deshalb würde es sich in seinen Augen wohl auch nie ändern. Genauso wie in den ihren, immerhin gab es einen Grund für die Distanz, die zwischen ihnen herrschte.
„Sie hat damit gerechnet, dass ihr Mann nach zwei Jahren nicht plötzlich wieder mit mir hier auftaucht. Aber damit zu rechnen und es zu wissen sind zwei unterschiedliche Dinge“, von der Seite her warf er Matthew einen vielsagenden Blick zu, immerhin war es ihnen beiden in den vergangenen vier Monaten damit nicht anders gegangen. Früher hatte er sich das nicht vorstellen können, aber mit seinem heutigen Wissen erahnte er, wie es Mo‘Ann mit der Ungewissheit gegangen sein musste. Sich vorzustellen, das ganze statt vier Monaten gleich ganze zwei Jahre auszuhalten, darauf konnte er dankend verzichten.
Wortlos deutete er auf das große Gebäude am Ende des Weges, der sich vor ihnen bergauf gen Gray Eagle erhob und in jenem großem Blockhaus endete, das man als Ortsfremder nicht zu Unrecht als Rathaus verkannte. Denn genau das war es früher gewesen, bevor der Clan zu groß geworden war und dorthin umgesiedelt war.
Dem Haus sah man an, dass es zum Großteil noch aus einer Zeit lange vor Falconry Gardens stammte; um genau zu sein gehörte die ganze Straße hier oben wie auch der Stadtkern zum Teil zu einer verlassenen Ruinenstadt, die Siedler hier damals im Schatten des Berges wiedergefunden und neu besiedelt hatte. Seitdem war der Ort gewachsen, hatte neuere und schönere Häuser hinzu gewonnen, doch auch den alten historischen Kern hatte man versucht zu sanieren und so beizubehalten, wie er damals von den Alten gebaut worden war - denn Geschichte sollte man nicht vergessen, sondern aus ihr lernen. Meinte die Stadtverwaltung jedenfalls.
„Mo‘Ann ist jemand, der… wissen muss was passiert ist, um damit abschließen zu können. Das ist anstrengend. Ich hab letzte Woche angefangen abends bei ihr in der Bibliothek zu sitzen, aber unsere Gespräche führen zu wenig. Meistens schweigen wir uns über den Tisch hinweg an. Ich glaube, sie denkt sie will ihre ungeklärten Fragen beantwortet haben, aber ist der Wahrheit nicht gewachsen. Das kommt davon, wenn man sein Leben lang über Büchern hängt und vergisst, dass es aus mehr besteht außer Pergament und geschriebenen Worten.“
Ein Grund mehr, wieso Clarence sich so lange vorm Lesen gesträubt hatte - und ein Grund mehr, die Gespräche mit Mo‘Ann so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um bald wieder seine Ruhe zu haben.
„Da wären wir“, entgegnete Clarence schließlich und blieb in ein paar Metern Entfernung kurz mit ihm stehen, um nach dem langatmigen Anstieg des Weges kurz zu verschnaufen. Er war immer wieder erstaunt darüber, wie wenig sich in den vergangenen zwei Jahren hier verändert hatte. Das alte Blockhaus strahlte noch immer in hölzerner Schönheit, mit einem hohen, Fine geschnitzten Eingangstor vor ihren Füßen und einem ausladenden alten Bürotrakt zu ihrer linken, der schon vor Jahrzehnten zu den Wohnräumen der Jäger umgebaut war; zu ihrer rechten erstreckte sich ein großer Hof mit schlecht gepflegtem, beziehungsweise verlebten Rasen, dem man ansah, dass darauf viel trainiert wurde, wenn man nicht gerade auf Mission war. Einige Hindernisse hatte Jaylynn in den vergangenen Jahren neu dazu installieren lassen, Holzgebilde an denen man seine Muskeln, aber auch seine Geschicklichkeit zu Klettern trainieren konnte. Ein hoher, aber halbherzig angebrachter Metallzaun umrundete den Hof mittlerweile, der früher zu Clarence‘ Zeit noch nicht da gewesen war - nach dem was Alec ihm erzählt hatte, hatten es sich Kinder aus der Stadt zunehmend zum Spaß gemacht den Hof als Spielplatz zu missbrauchen und damit es nicht zum Streit mit den Eltern kam, war es so wohl deutlich besser gewesen.
Es dauerte keine zwei Sekunden, da ertönte hinter dem Zaun bereits aufgeregtes Gebell, als zwei weitere Hunde ihre vermissten Freunde erschnüffelten; eine helle Mischlingshündin wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als sie ihre Kumpanen erkannte, und ein etwas kleinerer Rüde - eher ein Schoßhund statt wirklich ein Bewacher - bellte aufgeregt den unbekannten Besuch an, der so frech war hier einfach aufzulaufen, ohne sich vorher offiziell bei ihm anzumelden.
„Hey. Kommt rein, es ist eben vorerst der Letzte zu Tisch“, ließ ein Zischen aus der Eingangstür ihn schließlich den Blick heben und Alec erkennen, der sein Wort eingehalten und die Türwache übernommen hatte. Wenn auf einen Verlass war, dann auf die guten alten fliegenden Händler.
„Hier, gib ihm die Hunde. Er bringt sie in den Hof“, wies er Cassie an, indem er auf die Leinen deutete, die hier im Haus überflüssig waren. Kain und Abel waren hier mittlerweile so Zuhause wie auch ihre beiden Freunde es waren - und Clarence es einst gewesen war, bevor er sein neues Zuhause in Matthew gefunden hatte.
„Wir gehen hinten rum, durch die Küche in die Schlafräume hoch. Da dürften wir keinem begegnen“, weihte er seinen Mann in den Plan ein, der jedenfalls besser war als die Treppe im Hauptraum rauf zu nehmen, wo gerade alle zu Tisch saßen.
Der Flur war weitläufig und dunkel und die Wände mit warmen Holz verkleidet, so wie in einem Großteil des Hauses. Rechter Hand erhob sich eine schwere, zweiflügelige Tür in der Wand, deren Größe erahnen ließ wie groß die Halle dahinter sein mochte und hinter der man lautes Stimmengewirr, Gelächter und das Klappern von Geschirr hören konnte. Zu durcheinander, um klare Gesprächsfetzen zu erhaschen - doch zweifelsohne ging es darum auch um Sky und seinen Ehemann, das wusste Clarence ohne es zwingend hören zu müssen.
„Hier lang. Vorsicht, Treppe“, winkte er am Ende des Flures durch eine offen stehende Tür hindurch, die in einen Raum führte, der etwas versunken im Gebäude ihre große Küche darstellte. Es roch nach Kartoffeln und Gemüse, nach einem kräftig gewürzten Gulasch und zum ersten Mal seit langem spürte Clarence bei dem Geruch wieder so etwas wie Hunger in sich aufkommen, ganz so als wären all die Gewürze und Gerüche vorher gar nicht da gewesen, als auch Cassie noch verschollen gewesen war.
Vorbei an Tröpfen, blubberndem Gulasch und über den groben Steinboden der Küche hinweg an einem kleinen, handbetriebenen Aufzugsschacht vorbei, versteckte sich schließlich auf der anderen Seite der Küche eine schmale Treppe, die nach oben führte und sie auf den oberen Wohnflur bringen würde, der sich der Länge nach über das Gebäude erstreckte und die Schlafzimmer der einzelnen Mitglieder beherbergte. Derer jedenfalls, die das Leben im Clan einer privaten Wohnung bevorzugten.