Zuhause
03. Januar 2211
Sich zu spüren und einander nah zu sein war alles, was in ihrer beider Leben noch wichtig war.
Matthew hatte noch nie eine derart allumfassende Liebe erfahren, wie er sie mit Clarence teilte. War weder so geliebt worden, noch hatte er je zuvor so geliebt. Clarence, der einst so verschlossen und wortkarg gewesen war, einen heimlichen Kampf mit sich selbst ausfechtend, war zu einem Mann geworden der nicht mehr in der Vergangenheit lebte sondern der genießen konnte was die Gegenwart ihm bot.
Und gegenwärtig bot sie ihm Matthew, welcher leise stöhnend seine Hüften auf ihm bewegte und ihnen beiden Lust verschaffte.
Immer wieder küssten sie einander, berührten sich, streichelten sich… und jedes Mal machte es sie beide gleichermaßen trunken nach mehr.
Als der Bär sich schließlich anspannte und versuchte sein Stöhnen am Hals des Jüngeren zu dämpfen, da drängte sich Cassie fester auf seinen Schoß und presste sich regelrecht auf den pulsierenden Schwanz seines Geliebten. Auch er stöhnte sinnlich und losgelöst, ließ sich treiben im Augenblick und genoss unter losgelöstem Keuchen wie sich der üppige Schwanz in seinem Löchlein aufbäumte. Unkontrolliert spürte er ihn zucken… und mit jedem Aufbegehren ergoss sich der Bär in seinem Leib und benetzte sein Löchlein mit seinem Samen.
Das Böckchen, dessen eigene Länge zwar wieder hart geworden war aber nicht ein zweites Mal abgespritzt hatte, schlang die Arme um den Rücken des Hünen und presste seinen Oberkörper gegen den des Anderen. Obwohl sie es nicht wild oder besonders ausdauernd miteinander gemacht hatten, war Matthew erschöpft und zufrieden und selbes galt wohl auch für Clarence, der außer Atem war und ihn mit festem Griff gleichsam daran hinderte, nun vorschnell von ihm abzusteigen.
Die Sinne benebelt vom eben erlebten Rausch, strich Cassiel durch Clarence‘ Nacken und küsste ihn auf den Schopf, während er seine Hüfte noch ganz sacht bewegte. Gemeinsam ließen sie den Höhepunkt des Bären ausklingen und in jenen Augenblicken war die Welt vollkommen. Denn sie bestand einzig und alleine aus ihnen beiden und es gab nichts als Liebe zu spüren.
“Nicht mal… wenn ich wollen würde… könnte ich aufhören dich zu lieben.“, griff er verspätet die Forderung des Blonden auf und besiegelte das Gesagte mit einem neuerlich Kuss.
Zeige-und Mittelfinger legte er dabei unter das Kinn des Älteren und drängte es sanft zu sich empor um die süßen Lippen einzufangen.
Sein Herz klopfte in einem zügigen und stetigen Rhythmus in seiner Brust und er genoss das Gefühl abklingender Unruhe. Jene Momente in denen sie noch eins waren, fest miteinander verbunden und doch die größte Lust vorerst besiegt. Es war kein Sieg der lange anhalten würde - aber für den Moment waren alle Bedürfnisse befriedigt.
Behutsam streichelte er mit der freien Hand zu Clarence‘ Brust und legte sie flach an jene Stelle, an der er das Herz des Blonden schlagen spürte. Jenes Herz hatte Clarence ihm in Coral Valley, vor den Augen und Ohren des Christen-Gottes geschenkt. Und Matt hatte nicht vor es jemals zu verletzen.
„Das war… genau was ich gebraucht habe…“ - stellte er mit einem jungenhaften Grinsen klar und lehnte sich etwas zurück, sich mit den Armen hinter sich abstützend. Noch immer war Clarence in ihm, doch sie wussten beide, dass es an der Zeit war sich zu lösen.
„Fuck…ich glaube…das haben wir beide gebraucht.“ - vorsichtig richtete Cassie sich wieder auf die Knie auf und entließ die Männlichkeit des Bären aus sich.
Weit schaffte er es aber nicht, sondern ließ sich - wenig galant - in das Bett neben Clarence plumpsen, wo er sich umständlich der feuchten Unterhose entledigte und sie aus dem Bett warf.
Zufrieden räkelte er sich nun mehr in den Laken und Kissen, streckte die Arme über den Kopf und verschränkte sie letztlich dahinter.
„Du hast…nicht zufällig etwas von deinen Kräutern parat? Du weißt schon… die besondere Sorte, die einen ganz leicht im Kopf macht?“
Selten genug kam es vor, dass Matthew solches Kraut rauchen wollte. Draußen in der Wildnis war es ihm immer zu riskant erschienen sich zu benebeln - außerdem hatte er von einer dieser Mischungen schon mal fiese Halluzinationen gehabt. Doch hier in der Sicherheit der Zivilisation, mit einem Haus um sie herum und Kain und Abel als Wächter… da kam ihm die Idee ein wenig leicht im Kopf zu werden ganz verlockend vor.
Es war wirklich ein Jammer, dass jeder gute Sex mit Matthew früher oder später sein Ende fand. Auf der einen Seite tat es gut zu spüren, wie die Unruhe im eigenen Leib schließlich zur Ruhe kam, wie sich alles Beben und Drängen behutsam legte und schließlich erstarb – einer stillen Schneedecke im Winter gleich, die sich des Nachts heimlich über Kraut und Pflanze legte und diese ganz eigentümliche Form der Stille mit sich brachte, wenn man des Morgens die Tür hinaus in die Welt öffnete.
Auf der anderen Seite tat es so unheimlich gut dieses Verlangen nach seinem Mann zu spüren und ihm einfach nachzugehen. So viele Jahre hatte es in seinem Leben gegeben, da hatte der brave Christenjunge sich diese Sehnsucht selbst verboten. Gedanken, Blicke, unartige Fantasien – all das und noch viel mehr hatte er von seinem ganzen Sein ausgesperrt und so getan, als wären diese Facetten nicht Teil seiner Selbst. Natürlich änderte es nichts an seinem Charakter wen er liebte oder was er begehrte, es machte ihn weder zu einem besseren, noch zu einem schlechteren Menschen. Aber er war glücklicher seitdem er Matthew hatte und zweifelsohne machte ihn das zu einem wesentlich umgänglicheren Menschen, was wohl so ziemlich fast jeder hier in Falconry Gardens bezeugen konnte, der den Blonden noch aus Zeiten vor dem Dunkelhaarigen in Erinnerung hatte.
Erschöpft und zufrieden, aber auch ein wenig enttäuscht über die die schlussendliche Trennung ihrer Leiber, seufzte der Größere auf und dehnte sich kurz im Sitzen die Schultern und den Rücken, so weit dies der lederne Verband um seine Brust zuließ. Noch immer kribbelte Clarence der Nacken von dem zärtlichen Streicheln seines Böckchens und wacker hielt sich ein Lächeln auf seinen Lippen – eines von jener zufrieden-belämmerten Sorte wie es nur jenen Männern oblag, die mit sich, der Welt und dem eigenen Höhepunkt mehr als zufrieden waren.
„Mhh… ich glaube, das kann ich immer brauchen“, griff er die Worte des Jüngeren auf und korrigierte ihn frech, dem jungen Mann der sich schließlich auf seinem Schoß aufrichtete einen sachten Klaps auf den nackten Hintern gebend, bevor Cassie sich zur Seite weg plumpsen ließ. Ein Anblick von dem man meinen sollte, er wäre inklusive des traurigen Versuchs die besudelte Unterhose loszuwerden wenig charmant; dabei war gerade diese manchmal ungewohnt ungrazile Art etwas, die Claire besonders an dem dunkelhaarigen Taugenichts liebte.
Vermutlich war es nun an der Zeit aufzustehen, sich kurz frisch zu machen und einen neuen Holzscheit im Ofen aufzulegen. Aber wie er über die Schulter zu Cassie zurück blickte, ihn hinter sich auf dem Bett liegen sehend mit einem nicht weniger zufriedenen Ausdruck im Gesicht als bei ihm selbst, da war ihm das im Moment wohl Wichtigste plötzlich ganz klar:
Der gute Anstand und die Realität konnten so spät nachts ruhig noch etwas warten, wenn er stattdessen Cassie und die schöne heile Welt bei sich haben konnte.
Die Arme über den Kopf gehoben und hinter selbigem verschränkt, nackt wie Gott ihn geschaffen hatte, bot Matthew einen wahrlich hingebungsvollen Anblick mit seiner definierten Brust und seinem festen Bauch, der sich mit jedem Seufzen wohlig hob. Ein Bild, welches das Lächeln des blonden Bären zu einem schelmischen Grinsen werden ließ; immerhin gehörte der Kerl niemand geringerem als ihm ganz alleine und das war schon eine recht ordentliche Leistung wie er fand.
„Mich zu fragen, ob ich Kräuter parat habe, ist als würdest du nach Poison Ivy marschieren um zu fragen, ob die noch ein bisschen Sand da haben“, zog er zweifelnd die Brauen empor und damit offensichtliche Parallelen zu eben jener kriminellen Metropole, die auf einem Berg mitten in der Wüste errichtet war.
Matthew sollte es nach all seinen Jahren mit dem Klotz eigentlich besser wissen. Stille Wasser sind tief war ein Sprichwort, das auf den Schamanen passte wie die Faust aufs Auge und auch wenn er natüüürlich nur deshalb in der Kunst der Heilkräuter gebildet war um damit Krankheiten und psychische Beschwerden zu lindern, so war natüüürlich nicht ausgeschlossen, dass das, was den Kranken gut tat, zur Prävention von Erkrankungen beim Gesunden ja auch nicht schaden konnte.
Und wahrlich, Clarence beschenkte sich selbst unglaublich gerne mit Prävention.
An der eigenen Gesundheit sollte man ja nun wirklich nicht sparen.
„Also dass ich den Tag, an dem du mit mir was rauchen willst, noch erleben darf… was ist mit dir, bist du krank? Stirbst du bald?“, wollte er wissen und beugte sich zu Cassie hinüber, ihm die Hand auf die Stirn drückend, so als müsse er ernsthaft noch nach seiner Temperatur fühlen. „Ich kann dir im Vorgarten auch eine Schwitzhütte bauen und dir heute Nacht die bösen Geister mit einem halluzinogenen Trunk austreiben. Gibt vielleicht morgen früh ärger mit den Vermietern, aber das wäre mir die Sache wert. Für meinen Mann nur das Beste.“
Dass er Matthew für seine Anfrage ein wenig aufziehen musste, verstand sich wohl von selbst – denn noch wenige Wochen zuvor, als sie zusammen mit Addy und Cam in der Pago Estrella Vaga über Wein und gutem Essen miteinander geraucht hatten, hatte der Jüngere noch dankend abgelehnt mit wirrem Geschwafel über sprechende Hasen, die sich versucht hatten mit ihm zu unterhalten.
Kopfschüttelnd ob der Vorstellung, wie Matthew high und panisch im Hof umher stolperte, rieb er seinem Mann kurz über den Bauch und tätschelte ihm im Anschluss die Flanke wie er es sonst bei ihren Hunden tat, wenn die beiden brave Jungs gewesen waren. Dass Cassie irgendwie nie fror wenn er hier nackt durch die Bude rannte, verstand der Blonde bis heute nicht und eben jenes Unverständnis lud ihn dazu ein sich kurz neben seinem Mann in die Decke sinken zu lassen und auf dessen Brust zu betten, ihm einen warmen Kuss auf selbige hauchend.
„Wir müssen auch noch unser Geschenk öffnen“, fiel ihm aus heiterem Himmel wieder ein, wobei… ganz so plötzlich kam die Erkenntnis auch nicht, immerhin lag das beste ausgepackte Geschenk ja gerade schon unter ihm. „Was glaubst du, mit was die beiden uns gestraft haben?“ – Dass Cameron und Adrianna ihnen wirklich etwas mitgeben würden beim Neujahrsfest des Clans, damit hatte Clarence überhaupt nicht gerechnet. Irgendwie war es nett, dass die beiden sich nach all den gemeinsamen Erlebnissen dazu verpflichtet fühlten ihnen nachträglich zur Hochzeit ein Geschenk zu überreichen und trotzdem war es ihm auch ein wenig unangenehm, immerhin hatten sie ihre Ehe ja – vor Cam länger als vor Addy – eigentlich versucht geheim zu halten.
Die Frage ob er bald sterben würde war dämlich und übertrieben - und genauso sah Matthew seinen armen irren Mann auch an.
Etwas grantelig wischte er die grapschende Hand die sich in Richtung seiner Stirn aufmachte weg - weil das nun wirklich zu viel des Guten war.
„Ich bau dir gleich eine Schwitzhütte.“ konterte er und Clarence konnte von Glück reden, dass ihr Verhältnis zueinander mittlerweile so innig war, dass er nicht auch noch die Griffel von seinem Bauch wischte.
Manchmal hatte der Waldschrat wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun und machte aus einer einfachen Anfrage die Übertreibung des Jahrhunderts. Und noch vor gar nicht mal allzu langer Zeit wäre der Jüngere darüber so erbost gewesen, dass Clarence noch Tage später Matthews Unmut gespürt hätte.
Zwar stimmte es, dass er in der Vergangenheit nur selten mit Clarence eine dessen besondere Kräutermischungen geraucht hatte - aber der Andere tat ja gerade so als sei es nie vorgekommen. Und als sei der bloße Gedanke daran es zutun schon vollkommen abwegig.
Denn: Cassie war durchaus schon mehr als einmal high gewesen und war dabei nie - selbst als das geröstete Kaninchen zu ihm gesprochen hatte - panisch irgendwohin gestolpert. Von daher war es gut, dass Matt von dieser geheimen Sorge des Wildlings nichts erfuhr.
Clarence bekam die Kurve gerade so noch einmal als er endlich Ruhe gab und sich schließlich wieder zu ihm legte, den Kopf auf seine Brust bettete und sie einfach noch ein bisschen zusammen waren - ohne Sprüche zu klopfen, ohne einander aufzuziehen.
Matthew schloss die Augen für einen Moment und lauschte in die Stille. Das Feuer im Ofen war fast erloschen, die Hunde schliefen und draußen war es ruhig. Falconry Gardens war des Tages eine sehr belebte Stadt, aber nachts konnte man hier eine Stecknadel fallen hören. Der Trubel einer großen Metropole ging jenem Flecken Erde definitiv ab - was gewöhnungsbedürftig aber keinesfalls unangenehm war, wie der junge Mann bei sich dachte.
„Hmmm ich weiß nicht. Du kennst sie besser als ich. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen was es ist, dafür ist es zu groß und zu schwer.“
Der Inhalt der Kiste klapperte nicht und es rutschte auch nichts darin umher. Eingeschlagen war das Präsent in Papier mit gepressten Blumen darin - geschmackvoll und definitiv nicht billig. Das alleine schon war ein Hinweis darauf, dass das Geschenk ernstgemeint war und nicht irgendeinen Quatsch oder Scherzartikel beinhaltete. Aber was genau es sein könnte, dass konnte sich Cassie nicht vorstellen.
„Vielleicht irgendwelches Exorzistenzeug was du für deine Clanarbeit brauchst. Und für mich…“ - er überlegte - aber es wollte sich keine Idee einstellen, was nicht zuletzt daran lag, dass er im Grunde noch nie wirklich etwas geschenkt bekommen hatte. Die Ausnahme dieser Tatsache schlummerte gerade im Flur, aber abgesehen davon…
„Keinen Schimmer.“, fasste er deshalb schlussendlich zusammen und löste eine Hand von hinter seinem Kopf, um sie auf Clarence‘ Schopf zu legen und liebevoll durch die blonden Strähnen zu fahren.
„Wir werden es nicht erfahren, wenn wir es nicht aufmachen und da es offensichtlich vollkommen abwegig ist, dass ich mit dir was rauchen will und ich deshalb auch nichts bekomme, können wir ja jetzt aufstehen und reinschauen, statt noch gemütlich im Bett zu liegen.“
Und weil das so war - und ihn Clarence wirklich ein bisschen gekränkt hatte - entzog er sich als Kopfkissen dem Blonden, richtete sich auf und verließ das Bett. Aber statt nackt zu bleiben zog er sich erst noch frische Shorts an, ehe er zu der großen Kiste tappte und sie nochmals ausgiebig beäugte. Definitiv konnte er schon jetzt sagen, dass er noch nie ein Paket bekommen hatte das so ordentlich eingepackt gewesen war. „Los…komm schon, wir schauen zusammen rein. Es ist immerhin für uns beide.“
Ob Cassie ihn wohl zum Schlafen hinaus in die selbstgebaute Schwitzhütte verbannen würde, sollte er sich wirklich anschicken eine für den Blonden zu bauen? Oder würde er es im Laufe der Nacht nicht doch eher bevorzugen, gemeinsam mit Clarence schweißüberzogen und hitzig auf dem Boden um das Feuer und die ätherischen Kräuter umher zu tollen, während sie voller Wollust miteinander verbunden waren?
So oder so, wenn sein Mann wenigstens in der Schwitzhütte bei ihm war, wäre die Welt für den Jäger voll und ganz in Ordnung.
Zufrieden schloss Clarence die Augen für einen Augenblick, bereits jetzt schon wieder fröstelnd kaum dass die körperliche Betätigung ausgeklungen war. Die streichenden Fingern in seinem Haar taten unheimlich gut und heimelig drängte sich der Blonde dichter an seinen Mann, der von irgendwelchen Arbeitsutensilien sinnierte und dabei das beste Kopfkissen der Welt war.
„Wenn die uns Exorzistenzeug zur Hochzeit schenken… werde ich Addys Geschmack künftig noch mehr hinterfragen als sowieso schon“, nuschelte Claire halb-verständlich gegen die Brust des Jüngeren – immerhin stand das Zimmer der Rothaarigen voller kitschigem Tand und so einzigartig wie ihre über und über tätowierte Haut war, so wenig nachvollziehbar waren viele andere Entscheidungen, die Adrianna in ihrem Leben traf. Von ihr ein Geschenk ausgesucht zu bekommen war sicher reines Glücksspiel und Claire bezweifelte nicht, dass Russisch Roulette einem mehr Vorfreude bereitete als so manches Geschenk der jungen Frau. „Vielleicht haben wir Glück und Barclay hat sie losgeschickt was zu besorgen, dem traue ich noch eher zu, dass… - hey, hey – wo willst du hin? Nein~“
Wehleidig blickte er dem Jüngeren nach, der sich einfach seinem Kopf entzog und aus dem versuch nach ihm zu greifen einfach heraus flutschte wie ein nasser Aal. Ihn erst ködern, indem er dem Blonden durchs Haar kraulte und dann einfach aus dem Blauen heraus aufspringen… das konnte Clarence vermutlich genauso gut leiden wie Matthew, wenn man ihn aufzog.
„Oh nein!“, wiederholte er nur wenige Sekunden später, dieses Mal deutlich emotionaler – denn nur eines war schlimmer als ein sich entziehender Matthew… nämlich ein Matthew, der sich und seinen prachtvollen Anblick einfach wieder anzog, so als wäre es sein gottgegebenes Recht sich einfach zu verbergen, ganz wie es ihm beliebte.
„Du bist grausam. Ich habe einen Sadisten geheiratet, jetzt erkenne ich es ganz deutlich“, brachte er es trocken auf den Punkt, rieb sich kurz über den noch immer entblößten Bauch an dem es ihm fror und versuchte sich dennoch jeden weiteren Kommentar zu verkneifen, bevor Cassie ihm draußen tatsächlich noch eine Schwitzhütte errichtete und ihn dorthin verbannte.
Es dauerte einen kurzen Moment, während dem Clarence im Bad verschwand um sich etwas frisch zu machen und wieder in den roten Strampler zu werfen, bevor ihm auch noch die verbliebenen paar Finger abfroren. Selbige brauchte er nämlich um Cassie ein Pfeifchen zu stopfen, das er mitsamt ledernem Einband aus dem Schrank geholt hatte, bevor das Päckchen auf dem Tisch neben dem großen, eingeschlagenen Geschenk seinen Platz fand.
„Ich frag mich, wer das bis hoch ins Haus getragen hat. Cameron kann nicht Laufen und das Ding ist definitiv zu unhandlich für jemanden, der nur die Hälfte von uns wiegt und nur halb so viele Hände hat“, zerbrach sich Claire schließlich den Kopf und strich kurz mit den Fingern über das derbe Pergament hinweg, in welches das Geschenk eingeschlagen war. Für gewöhnlich tat es ja ein bisschen Leinen, wenn der Inhalt eine Überraschung bleiben sollte und alles andere wurde ohne Einschlag überreicht.
Verziertes Pergament war wirklich etwas für feierliche Anlässe und angesichts dessen, dass sie ihre Eheschließung fernab in Coral Valley gefeiert hatten und das auch schon vor über einem Jahr, wusste Claire nicht wirklich ob er sich nun geehrt fühlen sollte oder alleine schon die Verpackung ein stummer Vorwurf war, dass sie ihren großen Tag ohne den Clan begangen hatten.
Neugierig legte er von hinten die Hände an Cassies Taille ab, im Versuch sich zurück an ihn zu schmiegen und ihm beim Auspacken über die Schulter zu blicken, doch so forsch wie sein Kopfkissen sich aus dem Bett zurückgezogen hatte, so strickt wehrte es auch nun schon wieder die Annäherungsversuche seines Bären ab. Der Ofen bei Cassie war aus – mehr noch als der Ofen der Wohnung, dem Clarence eben im Vorbeigehen nochmals etwas Holz nachgefüttert hatte, damit wenigstens etwas in dieser Wohnung ihm etwas Wärme spendete.
Von der Seite her warf er Matthew einen verdrießlichen ‚Du kannst froh sein, dass du so hübsch bist und ich dich so sehr liebe‘-Blick zu und biss sich hinter geschlossenen Lippen auf die Zungenspitze, damit selbiger Kommentar nicht ungebremst seinen Mund verließ von dem er hoffte, er würde in dieser Nacht dann vielleicht doch noch mal wieder geküsst werden. Stattdessen nickte er schließlich gen Kiste, während er sich brav den Stuhl unterm Tisch hervor zog und darauf Platz nahm, sein ledernes Täschchen noch im gleichen Moment entfaltend, in dem die schöne handgeschnitzte Pfeife ruhte, die er von seinem Mann geschenkt bekommen hatte.
„Na los, mach schon auf. Ich hab schon was zum Hochzeitstag bekommen dieses Jahr, ich bin schon glücklich gemacht worden“, entgegnete Clarence zufrieden und tätschelte zärtlich seine Pfeife, die schon kurz nach Matthews Ankunft eingeweiht worden war. Sie funktionierte ganz hervorragend und der Ausblick darauf, aus ihr nicht nur draußen auf der Bank Tabak zu rauchen sondern sie auch gemeinsam mit Cassie mit Kräuter einzuweihen, war ein ganz und gar fabelhafter.
Das verdrießliche ‚Oh nein!‘ seines Mannes klang verzweifelt und regelrecht enttäuscht. Aber der blonde Kindskopf hatte diese Enttäuschung redlich verdient, in dieser Hinsicht war Matthew definitiv unerbittlich. Wenn es etwas gab, dass er gar nicht leiden konnte, dann war es irgendeine Art der Bevormundung - sei sie nun ernst gemeint oder lediglich um ihn aufzuziehen. Oder eine verquere Mischung aus beiden Extremen. Natürlich hatte es Clarence nicht böse gemeint, aber sein Hang zur Übertreibung und das damit verbundene sticheln gegen ihn war in dem Moment deplatziert gewesen - zumindest empfand es der Dunkelhaarige so.
Viel lieber als sich aufziehen und wie ein Kind bevormunden zu lassen, hätte er im Bett gelegen, gekuschelt und ein bisschen mit Clarence geraucht. Ganz ohne einander irgendwie Sprüche zu drücken.
Nun hätte er das ja auch einfach sagen können statt aufzustehen - aber genau das eben nicht zu können… das war eine charakterliche Eigenart Matthews - und zwar nicht seine Beste. War er einmal angefressen, dann gab es kein simples Zurück und so tangierte ihn das Klagen des Blonden nicht die Bohne.
Noch nicht einmal die Tatsache, dass sich der Wildling schließlich wieder versöhnlich annäherte konnte Cassie besänftigen.
Hatte man es sich einmal mit ihm verscherzt, hatte man schlechte Karten und Clarence - der schon oft unter den Launen des Jüngeren gelitten hatte - wusste das ganz genau.
Auf Reisen und noch lange bevor aus Reed ein Sky geworden war, war es weitaus häufiger vorgekommen, dass Matt keine Lust auf die Gesellschaft des Blonden gehabt hatte. Dann hatte er ihn angeschwiegen, hatte es vermieden in seiner unmittelbaren Nähe zu sein und hatte manchmal sogar lieber gehungert anstatt etwas von dem anzurühren was Clarence gejagt hatte.
Und später… als ihre Beziehung zueinander um eine sexuelle Komponente erweitert worden war, hatte Clarence schnell gelernt, dass es sich nicht lohnte Cassie anzugraben wenn er sauer war - ob nun begründet oder eventuell vielleicht auch nur, weil er manchmal übertrieb.
Glücklicherweise war der junge Mann in jener Nacht nicht so wütend, dass er jegliche Kommunikation mit dem Blonden einstellte oder dessen Gegenwart nicht ertrug - ein solches Level an Zorn ließ sich längst nicht mehr durch Lappalien heraufbeschwören, dazu lag dem Jüngeren zu viel an Clarence. Mitunter wusste der Kerl nicht wann es Zeit für dumme Sprüche war und wann besser nicht, aber wahrhaftig: Cassie liebte ihn mit allem was sein Körper und seine Seele zu bieten hatte.
Kurz warf Cassie einen Blick zu ihm herüber, wie er die Pfeife tätschelte und erklärte, dass er dieses Jahr schon mit einem Geschenk glücklich gemacht worden war. Dass jene Pfeife heute in seinem Besitz war, statt auf seinem Grab zu liegen, war das eigentliche Geschenk und Cassie lächelte kurz, ehe er sich wieder dem Paket widmete.
Nochmals fuhr er mit der flachen Hand über das Pergament und es hatte ein bisschen den Eindruck als würde er sich scheuen die makellose glatte Fläche zu zerstören. An den Stirnseiten des überdimensionierten Pakets war das Pergament kunstvoll eingeschlagen und genau dort löste er die Fixierung vorsichtig um das wertvolle Papier nicht zu beschädigen.
Mit einer Ehrfurcht die man ihm ansah, schlug Matthew behutsam das Papier zur Seite und offenbarte schließlich das was darunter lag.
Eine Kiste.
„Oh…äh….okay.“ - im ersten Moment wusste der Dunkelhaarige offensichtlich nichts mit dem hölzernen Etwas anzufangen. Die Oberfläche war mit silbernen Beschlägen und Schnitzereien verziert.
„Was genau… ist das?“, hilfesuchend blickte er zu Clarence.
„Eine Art… Möbelstück? Oder ein Holzkoffer?“
Was auch immer es war, es war massiv gefertigt und es war eine feine und schöne Arbeit - kein Tand.
„Komm schon, wir sollten zusammen reinschauen.“ mit einem Nicken gen Kiste bedeutete er Clarence doch zu ihm zu kommen und erst als der Größere neben ihm stand bediente Matt die silbernen Verschlüsse. Mit einem leisen Geräusch hoben sich die Bügel aus ihrer Befestigung. Der Deckel sprang dadurch nicht von selbst auf, ließ sich aber schließlich heben und gab den Blick auf das Innere frei. Darin lag - zusammengelegt und dennoch voluminös - eine Bettdecke.
„Hä?“, Cassie blickte in das Innere des Kastens und war sichtlich irritiert.
„Das ist… eine Decke?“ für jemanden der für gewöhnlich schnell im Kopf war, stellte er sich gerade ausgesprochen dämlich an.
Erst als Clarence die Decke herausholte und sie dabei beide feststellten wie riesig sie war, wurde Matthew bewusst, dass es eine Decke für zwei war. Eine für ein Paar. Eine für Eheleute.
„Die ist für uns beide!“, fasste er ungläubig und begeistert zusammen - weil er mit so etwas definitiv nicht gerechnet hatte.
„Endlich muss ich nicht mehr frieren weil du mir immer die Decke klaust.“ - sie wussten beide, dass es eher andersherum war.
„Das ist… das ist…“ - es war so unfassbar aufmerksam, so bedeutungsvoll, so sinnvoll ausgesucht. Er schüttelte den Kopf, strich über den weichen, glatten Stoff und lächelte glücklich gen Clarence.
„Das ist doch verrückt…“
Mit einer absoluten Sorgsamkeit und Hingabe bastelte Cassie an dem bunt gesprenkelten Pergament herum - und bewies damit eine Geduld, die der Blonde nicht gehabt hätte. Das und noch weitere Dinge waren der Grund dafür, warum Clarence seinem Mann in dieser Angelegenheit nur allzu gerne den Vortritt lies. Wenn es nach ihm gegangen wäre, läge die Verpackung des Geschenks schon längst in Schnipseln um den Tisch herum und würde schließlich seinen Weg in den Ofen finden, nur um dort hin hunderten kleinen Flammensprenkeln aufzugehen. Aber Matthew?
Der fügte dem Pergament nicht mal eine einzige kleine Falte zu, fast so als würde morgen der Geschenkpapierhauptwachmann persönlich vor der Tür stehen und das Teil zur Wiederverwertung wieder einsammeln.
Was darunter zum Vorschein kam, war für den Blonden viel interessanter und alleine schon die Farbe der hölzernen Truhe war eine Augenweide, an der man sich selbst im diesigen Schein des Ofenfeuers nicht satt sehen konnte. Glänzend lackiertes, dunkles Holz umgab die feinen Silberbeschläge, zart verziert durch sanfte Schnitzereien, die sich beinahe unaufdringlich über Deckel und die Seiten der Truhe zogen. Sie war nicht prunkvoll gestaltet, kein Möbelstück von dem man sich fragen würde, wie um alles so etwas in ihren Besitz passen sollte und gleichermaßen war sie doch so aufwändig gearbeitet, dass es Clarence daran erinnerte wie es damals gewesen war, als er das erste Mal in die Harper Cordelia hinab gestiegen war.
„Die ist… beides, nehme ich an“, entgegnete er auf Cassies recht hilflose Frage, der mit der Truhe weit weniger anfangen konnte als der Jäger. „Manchmal, wenn wir Geleitschutz geben für Leute, die mit ihrem Planwagen längere Strecken reisen wollen, nehmen die Leute ihre Habseligkeiten da drinnen mit. Schließen Wertgegenstände ein in der Hoffnung, dass sie da etwas sicherer sind, falls Plünderer kommen.“ - Er deutete auf das feine Schloss an der Vorderseite der Kiste, in dem jedoch kein Schlüssel steckte. Vermutlich war der noch in der Truhe selbst, alleine der Not heraus geschuldet, dass er beim Verpacken ansonsten das bunte Pergament durchstochen hätte. „Oder… Man verstaut einfach Dinge darin. Waffen zum Beispiel, wenn man Kinder hat. Damit die sich nicht aus Versehen die Birne weg schießen.“
Früher hatte er dafür einen Schrank gehabt im ehemaligen Nähzimmer seiner Mutter, weit weg von neugierigen Kinderhänden. Aber andere Familienoberhäupter hatten ihre Waffen lieber in Reichweite gehabt - am Bettende zum Beispiel, falls sich des nachts Fremde ungebeten auf dem Hof herum trieben.
Fest und mit einem angenehmen Geräusch sprangen die Bügel aus den Haken, kaum dass Cassie die silbernen Beschläge löste. Ein Moment, den Clarence nutzte um mit den Finger die eingeschnitzten Vertiefungen an der Seite der Truhe nachzufahren. Als Waise, der den noch über gebliebenen Hausstand seiner Eltern übernommen hatte - gesegnet mit Möbelstücken und Alltagsgegenständen sowohl aus der Ehe seiner Eltern, als auch dem früheren Wohnsitz seines Großvaters, der nur wenige Jahre zuvor verstorben war und ihnen seine Sachen vermacht hatte - war es für Clarence zwar immer normal gewesen alles zu haben was man brauchte… was er besessen hatte, war selten neuwertig gewesen. Ein Haus oder gar eine Villa wie die von Jeyne, wo alles blitzte und blinkte und keinen einzigen Kratzer aufwies, war eigentümlich gewesen und trotz ihrer zahlreichen Wochen in Coral Valley hatte er sich deshalb in der Villa nie wirklich angekommen oder willkommen gefühlt, einfach deshalb, weil er das Gefühl gehabt hatte, dort einfach nichts anrühren zu dürfen. Die Harper Cordelia hatte ihm deshalb umso mehr Freude bereitet, auch wenn es selbst hier anfangs seltsam gewesen war, sich ganz frei und ungezwungen fühlen zu dürfen.
Doch es waren auch kleine Dinge wie diese Truhe hier, die ihm mit ihrer unberührten Schönheit etwas besonderes bedeuteten und noch schöner war es zu erleben, dass auch Matthew - der in seinem Leben weit mehr Luxus und teuren Tand gesehen und erlebt hatte als Claire - sich über die einfachen Dinge genauso zu erfreuen wusste wie der brave Christenjunge.
Fast noch besser als der weiche, schilfgrüne Stoff in seinen Händen war der Anblick des Dunkelhaarigen, auf dessen verständnislosen Gesichtsausdruck schließlich ein begeisterter folgte, unter dem sich eben jenes strahlende Funkeln in die kandisfarbenen Iriden strich wie schon damals, als er um Cassies Hand angehalten hatte. In jenen Momenten, in denen der Jüngere ernsthaft berührt und ungläubig war ob des Glücks das ihm gerade widerfuhr, war der einstige Söldner für den Bären schon immer am Schönsten anzusehen.
Ein warmes, liebevolles Schmunzeln hatte von Clarence‘ Lippen Besitz ergriffen und es dauerte einen geraumen Moment, bevor er den Blick von Cassie lösen und wieder hin zu jenem Protagonisten führen konnte, der im Moment tatsächlich zählte: Nämlich die völlig überdimensionale Bettdecke, die er selbst mit ausgesteckten Armen nicht zur Gänze zwischen ihnen aufgespannt bekam.
„Ich glaube, so eine riesige Decke hab ich noch nie gesehen. Höchstens diese Überwürfe, die Jeyne über ihren Betten hatte vielleicht“, erinnerte er sich vage. Tagesdecke hatte das Hausmädchen, das dann und wann vorbei gekommen war um zu putzen, die Teile genannt - und sie beide postwendend dafür geschimpft sie zum gemeinsamen Zudecken zu nutzen, da man damit ja nur am Tag das Bett abdecke. Wofür auch immer. Hatte Clarence bis heute nicht begriffen.
Zum Glück schien das hier keine davon zu sein. Unterhalten, edlem Schilfgrün spürte er dick gestepptes Futter, Daunen vermutlich. Dick genug um sie im Winter beide schön warm zu halten und leicht genug um sich trotzdem noch darunter bewegen zu können, verpackt in einem Deckenbezug der trotzdem robust genug war, um ihnen auch im Sommer eine angenehme Möglichkeit zu bieten sich darunter aneinander zu schmiegen.
„Ab jetzt klaue ich dir nie wieder nie Decke. Ehrenwort“, versprach er gönnerhaft obwohl sie beide wussten, dass es eher Cassie war, der ihn nachts bis an die Außenkante der Decken trieb. Aber die Quintessenz blieb am Ende ja trotzdem die gleiche - denn sein Mann hatte viel viel mehr Decke nötig als der Blonde und mit dem Geschenk nun auch endlich die Möglichkeit, sich sein Recht auf Mehr endlich einzuholen.
„Komm her, du Nackter. Wie fühlt sie sich an, mh? So angenehm wie sie aussieht?“, wollte Clarence wissen, hob die Decke weiter empor und legte einen Teil von ihr schließlich von hinten wie einen Umgang über Cassies Rücken. Gutes Aussehen und ein angenehmes Gefühl auf der Haut konnten immerhin zwei verschiedene Paar Schuhe sein und wenn es einen gab, der regelmäßig nackt schlief und daher Vergleichswerte anführen konnte, dann wohl immerhin Matthew Cassiel Sky.
„Ich befürchte, ich werde mich jeden Morgen mit dir so eng darin einwickeln müssen, dass du an die zwei Stunden brauchst um mir wieder zu entkommen. Mindestens!“, und das war eine berechtigte Ansage, immerhin war Clarence meist schon lange vor Cassie in den frühen Morgenstunden wach. Zeit genug, um fortan seinen Schabernack mit ihm und der neuen Decke zu betreiben - und Möglichkeit genug um selbst ein angefressenes Böckchen künftig an sich zu binden, ganz gleich ob es das wollte oder nicht.
Noch immer lag das warme Schmunzeln auf seinen Lippen, während er die überlangen Seiten vorne um seinen Mann legte und ihn in den Lagen einwickelte, fast so als befänden sie sich noch immer zwei Wochen vor Coral Valley im ersten Schneefall und nicht in einer warmen kleinen Wohnung, die nur ihnen alleine gehörte.
„Die ist unheimlich schön. Hast du die Stickerei gesehen?“, wollte er wissen, doch bevor Cassie antworten konnte, langte er nach der Decke am Rücken seines Mannes. Leider hatte er ihn allerdings schon so gut darin eingewickelt, dass er das Bild nicht bis nach vorne in sein Blickfeld gezogen bekam. „Da sitzt ein Buntfalkenpärchen auf einem Ast. Sowas schenkt man bei Eheschließungen, Hochzeitstagen oder… für frisch Verliebte und so. Das ist…“ - Das war mehr, als Clarence je erwartet hätte beim Gedanken daran, was passieren würde, wenn er Leuten aus seinem Clan davon erzählte, dass Cassie sein Ehemann und nicht nur ein guter Freund war.
Matthew hatte sich nicht vorstellen können was Addy und Cam ihnen schenken würden. Er hatte nicht mit irgendetwas gerechnet- weder mit Tand noch mit solch einer ernstgemeinten Gabe.
Obwohl er beide mochte, hatte er nicht einschätzen können ob sie Clarence und ihn mit dem Geschenk irgendwie aufzuziehen gedachten oder nicht. Und nun, da er vor der offenen Truhe stand und dank Clarence in die Decke eingewickelt war, war er so überrascht und so gerührt, dass er gar nicht anders konnte als sich ungläubig zu freuen.
Dass er eigentlich gerade noch sauer auf den Blonden gewesen war, war schon wieder vergessen.
„Sie fühlt sich perfekt an.“ eingerollt wie ein Rollmops auf zwei Beinen konnte er allerdings weder das aufgestickte Vogelpärchen sehen noch sich anderweitig bewegen.
„Weich aber trotzdem irgendwie robust.“ - der Bezug war nicht aus Seide, so wie in der Villa von Jeyne, aber er war von hervorragender Qualität. Glatt und fein gewirkt - ohne zu kratzen oder rau zu sein.
Einen Moment lang genoss Cassie noch das Gefühl der neuen übergroßen Decke auf seiner blanken Haut, dann obsiegte jedoch die Neugierde bezüglich der Stickerei.
„Lass mich die Vögel ansehen.“, bat er und Clarence gab ihn frei, in dem er die überkreuzten Enden der Decke locker ließ. Matthew wickelte sich aus dem Stoff und während der Blonde die Decke so gut wie möglich hielt, betrachtete Matt sich das Bild.
Die Falken waren naturnah abgebildet und nicht stilisiert. Die verschiedenen Farben und Federmuster waren in sorgsamer Kleinstarbeit von Hand aufgebracht worden, mit einem Auge für Details. Die Vögel waren einander zugewandt, einer ein wenig größer als der andere. Der Ast trug ein wenig Blattgrün und war ebenso sorgsam gestickt wie die Falken selbst. Kein noch so dünnes Fädchen hob sich von dem Bild ab - alles war eben und perfekt. Zweifellos die Arbeit von jemandem der sein Handwerk nicht nur verstand sondern es auch liebte.
„Das ist…so perfekt.“, fast schon ehrfürchtig strich Cassie über die Stickerei und betrachtete sich die Details.
„Es muss ewig gedauert haben das zu sticken. Die zwei müssen das in Auftrag gegeben haben, lange bevor ich aufgekreuzt bin.“
Er hob den Blick wieder gen Clarence und schenkte ihm eines jener jungenhaften, unbeschwerten Lächeln wie er sie irgendwie nur in der Nähe des Blonden zeigte.
„Das heißt, sie haben daran geglaubt, dass ich überlebt habe. Und dass ich hierher finde. Zu dir.“ - mit Fug und Recht konnte Matthew nach vierzehn langen Jahren sagen, dass er wieder Freunde hatte.
Sein letzter Freund, Jamie Flynn, hätte sich für ihn gefreut.
„Wir müssen uns wirklich bei den beiden bedanken… Ich schätze, dass hat alles ein halbes Vermögen gekostet und allein die Idee… Ich dachte irgendwie…“ - ja, was eigentlich?
Ratlos zuckte er mit den Schultern. Er wusste selbst nicht so richtig was er erwartet hatte. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie… das mit uns so positiv aufnehmen und so…ernst nehmen. Und dass sie mich…naja… offensichtlich an deiner Seite gar nicht so schlecht finden.“
Es war eine seltsame Sache mit ihm, war es schon immer gewesen… denn obwohl Matthew Reed ebenso wie Matthew Sky ein selbstbewusstes Kerlchen war der überall schnell Anschluss fand, so war er dennoch immer wieder ehrlich erstaunt, wenn man ihn wirklich gern hatte - und zwar um seinetwillen und nicht weil er nützlich war.
Matthew strich nochmals über die Stickerei, dann schob er sich an Clarence vorbei - wobei er ihn kurz von hinten an der Taille umfing, sich beiläufig auf die Zehenspitzen stellte und ihm flüchtig einen Kuss in den Nacken hauchte. Im Anschluss widmete er sich wieder der Truhe und ein Blick in das Innere offenbarte, dass sogar noch ein Geschenk darin war.
„Da ist noch was!“ rief er überrascht aus und fischte aus der Kiste ein weiteres Geschenk welches sie bisher noch gar nicht gesehen hatten. Es war ein kleines Metallschild, dem rötlichen Glanz nach bestand es aus Kupfer und es trug eine schlichte jedoch unverwechselbare Gravur:
Familie Sky stand in klaren Lettern darauf und Matthew, der bisher schon überrascht und auch gerührt war, konnte den Blick von dem Metallschildchen gar nicht abwenden. Wie einen Schatz musterte er die Türplakette deren Rand dezent verziert war - ohne sie aus der Hand zu geben.
„Sieh nur… das ist für uns und unser Zuhause.“, erst jetzt hielt er die gravierte kleine Platte Clarence hin und nickte ihm zu, sie ihm abzunehmen. „Ich hätte nie im Leben damit gerechnet…“
Hier standen sie nun, zwei erwachsene Männer, denen es dank einer hölzernen Truhe und einer übergroßen Bettdecke beinahe die Sprache verschlagen hatte, obwohl die Gaben alles andere waren als eine Rarität – und irgendwie waren sie es trotzdem, einfach weil man so etwas schönes nicht jeden Tag geschenkt bekam oder sich anschaffte.
All die Traditionen in Falconry Gardens waren ihm nicht neu. Weder Geschenke zur Eheschließung, noch die kleinen Falkenpärchen oder andere kleine Details, die sich dank den namensgebenden Tieren oftmals in Präsenten niederschlugen. Doch all diese Gaben waren Aufmerksamkeiten, die… die immer anderen vorbehalten gewesen waren. Menschen, die ihr Leben mehr in der kleinen Stadt verbracht hatten als Clarence. Jägern, die nicht dank Nagi Tanka mehr außerhalb unterwegs anstatt vor Ort gewesen waren. Bürgern, die sich hier Zuhause gefühlt hatten anstatt fremd und fehl am Platz.
Clarence, dem es die ersten Jahre aus den unterschiedlichsten Gründen schwer gefallen war außerhalb seiner Heimat irgendwo anzukommen, hatte Falconry schon immer als ein friedliches Fleckchen Land empfunden. Aber als Stadt, in der man ankam? Als einen Ort, an dem er sich mit einem anderen Menschen, einem Partner sah? Da war er sich nie sicher gewesen. Das waren Dinge, die sich seiner Vorstellungskraft immer entzogen hatten und auch noch in Coral Valley hatte er sich nicht hierher oder in den Clan zurückkehren sehen. Ein Leben auf der Flucht war ihm – vermutlich mehr der Verdrängung geschuldet – immer angenehmer vorgekommen als die Vorstellung wieder hier zu sein und schließlich auch noch erklären zu müssen, warum ausgerechnet er mit einem Ehemann an seiner Seite wieder auftauche. Noch vor einem Jahr hätte er sich vielleicht lieber eine Kugel in den Kopf gejagt als sich diese Blöße zu geben.
Doch mit Matthew hatte sich nicht nur diese Einstellung zu seinem Leben, sondern auch so viel anderes zum Positiven gewandelt.
Kaum dass er das unbeschwerte Lächeln des Jüngeren auffing, legte sich selbiges auch über Clarence‘ Lippen. Es war ansteckend wenn Cassie sich über etwas ehrlich freute, doch noch ansteckender fühlte sich die Ehrlichkeit an, die die Geschenke von Cameron und Adrianna ausdrückten, ganz ohne, dass die beiden dazu viele Worte hatten verlieren müssen.
Ob die beiden nun schon vor langer Zeit diese Dinge in Auftrag gegeben hatten oder ob es unkompliziert war ein Stickbild dieser Machart und eine große Decke zusammenfügen zu lassen, wusste Clarence wirklich nicht zu sagen – und sprach seine Überlegungen dahingehend auch nicht laut aus, denn dazu genoss er die Begeisterung seines Mannes viel zu sehr. So oder so: Gedanken um das Geschenk mussten sich die beiden zweifelsohne schon eine Weile gemacht haben, denn für alles andere waren die Decke und die Truhe viel zu überlegt, viel zu bedeutend gewählt worden.
„Naja… ich find dich ja auch gar nicht so schlecht an meiner Seite. Wundert mich nicht, dass das anderen nicht anders geht“, fasste er die Worte seines Mannes kurz auf und schmunzelte dabei, immerhin war es lieber man mochte Matthew an seiner Seite, anstatt dass man ihm den dunkelhaarigen Schnösel auszuspannen gedachte. Doch noch bevor er dazu kam weitere freche Konter von sich zu geben, schoben sich erst fremde Finger an seine Taille, bevor ein warmer Kuss unterwartet auf seinen Nacken traf und den Jäger glücklich brummen ließ.
Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn, den sich Clarence glücklich konservierte indem er sich nun seinerseits die Decke selbst um Rücken und Nacken legte und sich zufrieden darin einwickelte. Das Material wirkte, mit den Armen empor gehoben, unheimlich üppig, doch auf den eigenen Schultern waren die Daunen nicht annähernd so erdrückend, wie man hätte meinen können.
„Ich weiß nicht, ob ich… überhaupt damit gerechnet habe, dass uns jemand ernst nimmt. Wenn die Leute uns unterstellt hätten, dass wir sie einfach nur nicht mehr alle haben oder… das nur ein Scherz ist mit uns – ich weiß nicht, ob ich ihnen das hätte übel nehmen können“, nachdenklich schlug er noch eine Lage Decke über seine Arme um den Stoff etwas vom Boden weg zu bekommen, damit er nicht sofort von Ofenasche und Hundehaaren übersäht war, noch bevor das gute Stück das Bett überhaupt erreicht hatte. „Ich weiß nicht mal, ob ich mich selbst ernst genommen hätte, wenn ich an Stelle der anderen wäre.“
Das war ein irgendwie trauriger Gedanke ihre Ehe aus fremden Augen heraus so zu bewerten – aber er war realistisch und so, wie er sich selbst früher zu solchen Themen geäußert hatte, hätte er offene Kritik gegenüber seiner Ehe mit Matthew wohl oder übel akzeptieren müssen.
Nachdenklich strich er über den grünen Stoff hinweg, während sein Mann ein weiteres Mal in die Truhe hinab tauchte, um mit freudiger Überraschung in der Stimme noch eine weitere kleine Aufmerksamkeit hervor zu zaubern, die seinem Blick vorerst verborgen blieb.
Wie einen kleinen Schatz bewahrte Cassie das Etwas in seinen Griffeln und zuerst hätte Claire seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass es vermutlich nicht mehr war als ein kleines Mitbringsel von den Feierlichkeiten zur Jahreswende. Ein bisschen Tand von den Buden oder am Ende doch noch ein kleiner Schabernack als Seitenhieb – ein Jux, den der Blonde den beiden nicht mal übel nehmen konnte, immerhin hatten sie Addy und Cam in Mexico und zeitweise auch in Denver lange genug an der Nase herum geführt.
Erst als er die Hand nach der Plakette ausstreckte um sie Cassie abzunehmen, erkannte er weit mehr als nur handwerklichen Nippes, der am Ende doch für die Handschrift der Rothaarigen und ihre Sammelleidenschaft gestanden hätte. Vielleicht, eventuell vielleicht, war das Türschild doch noch ein kleiner Seitenhieb am Ende, um ihn für die nervigen Lesestunden aufzuziehen, die er mit Gabriel und Lucy verbracht hatte nachdem Cassie mit Barclay hinaus in die Eiswüste ausgezogen war - doch selbst wenn dem so war, dann hatte selbst jener Wink nicht im geringsten etwas bösartiges an sich.
„…Familie Sky“, las er nach einer kurzen Stille eben jene beiden Worte laut, die er bis dahin schon mehrmals überflogen und auch die feine Umrandung mehrfach gemustert hatte. Diese kleine Plakette war ein so… aufmerksames und schönes Geschenk, dass Clarence im ersten Moment gar nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Noch vor einem Jahr hätte er die Schnörkel nicht mal selbst lesen können – und ebenso hätte er noch vor einem Jahr nicht mal gedacht, dass es je wieder eine Familie Sky würde geben können.
Die beiden Worte eingraviert auf der kupferfarbenen Platte zu sehen, stimmte Clarence unerwartet sentimental und so wie die Gravur auf Lebzeit im Metall halten würde – für ewig dort eingebrannt – würde auch ihre Ehe auf Lebzeit bestand haben. Das wusste Claire so unumstößlich wie der Devils Teeth hoch war und sich vorzustellen, dass diese Plakette am Ende eines langen, gemeinsamen Lebens schon seit Jahrzehnten noch immer draußen vor einer Tür hing… das war ein Gedanke, bei dem es ihm ganz warm ums Herz wurde.
„Unser Zuhause…“, wiederholte er die Worte des Jüngeren schließlich und rieb mit dem Daumen sachte über das Kupfer hinweg. Die Plakette war in seiner Hand längst warm geworden und fühlte sich schon jetzt so vertraut an wie die riesige Decke, unter der sie morgen früh beieinander erwachen würden. „Ich weiß, dass du… dass wir…-“ – Doch auch das war nicht der richtige Einstieg für das, was ihm auf der Zunge lag.
„Wenn wir wissen, wie sich die Dinge entwickeln und wenn sich eine… eine Möglichkeit ergeben sollte, dass wir nicht sofort aufbrechen müssen…“, versuchte Clarence schließlich die richtigen Worte zu finden, während er Cassie die Plakette wieder entgegen hielt, um sie ihm zurück zu reichen. Noch immer waren sie in ihrer ursprünglichen Diskussion nicht wirklich weiter gekommen und trotzdem drängte sich angesichts des Schildes für ihr Zuhause die Frage danach auf, wo eben jenes zukünftig sein würde. „Es gibt gute, solide Häuser hier… in Falconry. Es ist noch Geld von früher da, es könnte reichen für eine Anzahlung für ein, ein… für ein Zuhause, meine ich.“
Ein Zuhause zu haben war etwas, dass für Matthew nie zur Debatte gestanden hatte. Einerseits weil man alleine kein richtiges Zuhause haben konnte - dazu brauchte es zumindest noch ein weiteres Lebewesen mit dem man jenen Ort teilte. Und andererseits weil es ein Platz war, an den man immer wieder zurückkehrte.
Und für einen Söldner war es nicht vorgesehen, einen Ort zu haben an dem er sesshaft war. Matthew hatte sich früh damit abgefunden, dass er kein Leben haben würde wie es für andere vielleicht normal war.
Kein Haus, keinen Partner, keine Nachkommen, keinen Alltag.
Sein Leben würde ein Leben auf Reisen sein, ohne festen Wohnsitz und ständige Adresse. Ein Leben in dem es nicht darum ging es mit anderen zu teilen - zumindest nicht auf Dauer.
Diese Vision der Zukunft war trist gewesen - aber Matthew hatte sich damit arrangiert, weil er wusste Tristesse war nicht das schlimmste was einen erwarten konnte.
Aber mit Clarence war alles anders geworden. Plötzlich hatte er einen Partner, eine Familie… und damit hatte er auch irgendwie ein Zuhause.
Zwar nicht als Ort aber in Person des Blonden.
Das Namensschild, welches in seiner schlichten Eindeutigkeit aussagte: er war Teil einer Familie war von all den unerwarteten Gaben vielleicht das mit der größten Aussagekraft. Denn es brauchte einen Platz wo es angebracht wurde, wo es seine Botschaft etwaigen Besuchern kundtat.
Nachdenklich betrachtete Cassie es wieder in seiner Hand nachdem der Blonde es ihm zurückgegeben hatte. Und während er es ansah lauschte er auf die Worte des Wildlings, der ein paar mal neu ansetzte.
In Falconry gab es solide und gute Häuser… Matthew wusste worauf der Größere hinauswollte und es war wahrlich auch nicht das erste mal, dass jenes Thema zwischen ihnen aufkam.
Cassiel schwieg einen Moment lang, nickte zwar auf das Gesagte hin als Zeichen dafür, dass er Clarence gehört hatte, schien aber im ersten Moment nicht willens zu sein etwas dazu zu sagen.
Er war selbst hin und hergerissen zwischen dem was er wollte, musste und zu müssen glaubte.
„Wir…“, setzte er schließlich an, unterbrach sich aber direkt wieder, weil er ganz genau wusste worum es hier ging.
Damals, im Zuber einer Clankneipe fernab von Falconry, hatte Clarence ihn gefragt ob er ihn heiraten würde und Matthew hatte aus einem Impuls heraus Ja gesagt. Er hatte sich die Entscheidung nicht überlegt und er hatte sie auch niemals bereut. Es war ein Schritt gewesen, von dem er nicht gewusst hatte ihn gehen zu wollen. Aber er hatte es gewollt. Und wie.
Clarence war die Antwort auf alle Fragen - auch auf jene, die Matthew sich nie getraut hatte sich selbst zu stellen.
Wollte er heiraten? Wollte er ein Zuhause? Wollte er ankommen und all das haben was für so viele andere vollkommen normal war?
Unschlüssig trat er von einem Bein auf das andere und blickte schließlich von der Plakette auf und zu Clarence.
Jener Mann hatte ihn schon lange vor der tristen Zukunft bewahrt von der er so lange angenommen hatte, sie sei eben sein Schicksal.
„…wir sollten sie uns ansehen.“, sagte er schließlich.
„Die Häuser meine ich.“ - er hatte noch immer Angst davor sich etwas aufzubauen was er hinterher wieder verlieren könnte.
Aber noch größere Angst hatte er davor sich nichts aufzubauen.
„Ich bin…noch nicht lange hier. Aber ich weiß, dass ich überall dort sein will wo du bist… und deshalb ist es eigentlich egal wo wir sind. Wir können…überall zuhause sein. Und ich denke… hier ist ein guter Ort.“
Diesen Eindruck hatte er wirklich, nicht nur weil Clarence hier schon eine Weile lebte und früher schon gelebt hatte.
„Seit David weggegangen ist… gab es kein… naja… kein richtiges Haus in dem ich das Gefühl hatte daheim zu sein. Aber ich glaube…es ist an der Zeit, das zu ändern.“
Es war unnötig zu erwähnen, dass es dazu nötig war gewisse Dinge zu klären. Und eines jener Dinge hieß Mo‘Ann.
„Ich hab Lust, Pläne mit dir zu schmieden. Und zwar im Bett, unter unserer neuen Decke und mit deinen Kräutern.“, nun grinste er schelmisch und entwand dem Blonden die Decke um mit ihr im Arm davonzuhuschen und sich kurzerhand aufs Bett zu werfen, welches den Sprung mit unwilligem Knirschen quittierte.
Cameron und Adrianna, zu denen ein ganz ungeahntes Verhältnis entstanden war nach allem was hinter ihnen vieren lag, hatten viele Dinge nicht geahnt.
Sie hatten damals, im Pago Estrella Vaga, nichts von der intimen Bindung ahnen können, die zwischen Matthew und ihm herrschte. Hätte unter den Überlebenden am Wrack nicht auch die Rothaarige gesteckt, vielleicht hätten sie den Absturz nutzen können um ihren Tod vorzutäuschen und dem Clan endgültig zu entkommen – eine Möglichkeit die Clarence auch dann und wann noch durch den Kopf gegangen war, wann immer er zum Fallenstellen oder Jagen alleine mit Cassie hinaus in die weiße Wüste gezogen war. Auch davon hatten die beiden nichts geahnt. Selbst jetzt, wo sie sich Gedanken darum gemacht zu haben schienen welches Geschenk für eine Eheschließung angemessen war, die bereits über ein Jahr zurück lag… selbst da ahnten die beiden nichts von den Gedanken, die der einstige Söldner und der Jäger sich bezüglich der Möglichkeit eines Hinterhalts und einer Flucht machten.
Ihre Freunde, so kam es Claire just in diesem Augenblick in den Sinn, während auch er das Namensschild in der Hand seines Mannes betrachtete, ahnten nicht nichts, weil sie ihnen solche Fähigkeiten nicht zutrauten. Sondern ihnen kam solch eine Option nicht in den Sinn, weil sie beide ihrer Meinung nach hierher gehörten. Als Familie Sky.
Die Vorstellung, dass Cassie und er hier ein Haus oder eine Wohnung haben und in der Kleinstadt ansiedeln würden, war bei ihren Freunden wohl schon früher gekeimt als bei dem jung vermählten Ehepaar und die Einladung, die damit gleichermaßen einher ging, war auf viel mehr Ebenen ein willkommenes Geschenk als Clarence jemals gedacht hätte. Sie akzeptierten Matthew nicht nur als den Mann an seiner Seite, sondern schätzten ihn als selbigen. Liebten ihn als Freund – wie die überschwängliche Wiedersehensfreude deutlich gezeigt hatte.
Und Clarence, der stets zurückhaltend darin gewesen war echte Freundschaften anzunehmen, der spürte anhand des wohl überlegten Geschenks eine eigentümliche Zuneigung zu den beiden heran wachsen.
Selbst zu diesem vermaledeiten Barclay.
„Sollten wir?“, echote der blonde Bär schließlich und konnte dabei selbst den dünnen Unterton von Überraschung in seiner Stimme vernehmen, der mit Cassies Zustimmung einher ging. Es war das eine, einen vernünftigen Vorschlag zu machen – etwas völlig anderes war es dafür von seinem Mann keine Widerworte zu erhalten bei all den Dingen, die ihnen derzeit im Nacken saßen.
Kurz musterte er den Dunkelhaarigen, fast so als erwarte Claire doch noch eine Auflösung der Zustimmung hin zu einer Offenbarung, dass der Bär wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Doch so ernst gemeint wie die Zustimmung des Jüngeren war, so ernst und überlegt waren auch die Worte, die er an seinen Mann zu richten hatte: Es war an der Zeit das zu ändern, was ihm so lange gefehlt hatte.
Und Clarence hätte es nicht besser auch für sich selbst ausdrücken können.
Einladend hob er die Arme und damit auch die Enden der Decke auseinander um Cassie in einer warmen Umarmung zu begrüßen als dieser auf ihn zukam, doch anstatt seiner Geste zu folgen, wurde Clarence lediglich dem neuen Familienheiligtum beraubt und in der Kälte der Wohnung zurück gelassen.
„Na, das fängt ja gut an“, mokierte er sich postwendend, doch das Leben mit dem frechen Schnösel an seiner Seite war ja bekanntlich noch nie besonders leicht gewesen und auch nun versuchte Claire sein tristes Los mit Fassung zu tragen, was ihm mittlerweile schon leichter fiel als früher.
Kopfschüttelnd klaubte er sein ledernes Täschchen vom Tisch, mit der anderen die Namensplakette neben der Truhe zurecht rückend, damit sie selbst in ihrer Warteposition einen guten Eindruck hinterließ – aber egal was er auch damit anstellen würde, nichts würde dem Ausblick das Wasser reichen das Cassie ihm bot, so verschmitzt und zufrieden mit sich und der Welt auf dem Bett herum lümmelnd, das seit einigen Tagen schon endlich zu ihrem gemeinsamen Domizil geworden war.
Auf der Bettkante unweit von Cassie kam er schließlich zum Sitzen, öffnete den ledernen Einband und breitete den Inhalt auf dem Nachtschrank neben sich aus.
„Ich denke auch, dass das hier ein guter Ort ist. Nicht, weil ich hier schon mal gelebt hab oder die Leute besonders nett sind. Idioten gibt es hier wie überall“, vorsichtig zog er seine neue Pfeife aus dem Leder und öffnete kurz danach eines der Nebenfächer, um eines von mehreren Beutelchen daraus hervor zu ziehen. Noch in Denver hatte er nicht von sich behaupten können noch eine besonders große Sammlung an Kräutern oder Blüten sein Eigen zu nennen – doch die Zeit in Einsamkeit ohne seinen Mann, gebeutelt von Sorge und Schlaflosigkeit, hatte seine Armut schnell wieder beendet und die Kräutervorräte aufgefüllt. „Sondern ich glaube das, weil… die Stadt und die Leute uns nicht völlig fremd sein werden. Wir müssen nicht überlegen ob man uns über den Tisch zieht oder ob das hier… eine sichere Umgebung ist. Ob wir nachts ruhig schlafen können in einem Haus, das nicht mitten in der Stadt steht oder ob irgendwelche Banditen uns nachts ausrauben und einen Kopf kürzer machen wollen.“
Tatsächlich käme er aus naheliegenden Gründen in der Fremde besser mit fragwürdigen Gepflogenheiten und Leuten zurecht, die sich als völlige Irre entpuppten anstatt mit der ständigen Angst, nachts kein Auge mehr zu tun zu können. Doch es gab auch viele andere, ganz pragmatische Gründe, warum es deutlich schlechtere Orte für ein Zuhause gäbe.
„Die Ernten hier sind gut im Sommer und die Bevorratung im Winter ist organisiert, so gut es eben möglich ist. Die Leute leiden keinen Hunger und meistens haben wir hier nur… eher kleinere Delikte, wenn jemand meint, er müsse aus der Reihe tanzen“, führte Clarence auf während er die liebevoll geschnitzte Pfeife befüllte. Doch anstatt sie direkt zu entzünden, fand sie schließlich doch noch einmal ihren Weg zurück auf den Nachtschrank, während Claire sich zu dem Jüngeren wendete und ihn für einen Moment musterte, die Hand auf seinem Knie auflegend und sachte darüber hinweg streichend.
Begraben unter viel zu viel Bettdecke als ein einzelner Mensch gebrauchen konnte lümmelte sein Mann dort herum, fast so als wären sie nie getrennt gewesen – und genauso fühlte es sich beinahe auch an, so lange Matthew bei ihm war. Mit ihm war die Welt heil, ganz gleich was hinter ihnen lag oder noch kommen würde… und Clarence liebte diese Augenblicke der Geborgenheit und Unversehrtheit nicht weniger als er das freche Böckchen selbst liebte.
„Ich glaube, ein Haus… wird uns gut tun. Ein Ort, zu dem wir zurück nach Hause wollen, wenn uns…“ – was passiert, lag ihm auf den Lippen; denn genau selbiges war im letzten Jahr viel zu oft vorgekommen. Am Ende hatten sie ihre Wunden geleckt, irgendwo in der Walachei, ohne Plan und ohne Ziel vor Augen. Ein Zuhause zu haben bedeutete nicht, an einen Ort gebunden zu sein – sondern einen Platz zu haben, an den man gerne zurück kehrte und sich sicher fühlte. An dem man heilen und sich erholen konnte, genauso wie schöne Erinnerungen schaffen.
„Nach Willow Creek hatte ich auch kein Haus mehr, in dem ich mich Zuhause gefühlt habe. Aber hier erinnere ich mich langsam wieder daran, wie sich das angefühlt hat“, er deutete um sie in die kleine Wohnung, die zum Glück deutlich mehr Privatsphäre bot als ein Zimmer oder eine Unterkunft im Gasthof es getan hätte. „Wie es ist, wenn man zurück kommt und es riecht nach den Dingen, die man gern hat. Wenn man an einem Ort Sachen hat, die zu groß sind um in einen Rucksack zu passen oder wenn man über irgendwelche hingeworfenen Mäntel fällt“, zählte er auf, denn in der Neujahrsnacht hatte er seinem Mann ziemlich hinterher räumen müssen; selbst vor nagelneuen teuren Kleidern nahm er keine Rücksicht und darüber, wie die neuen Stiefel am nächsten Morgen ausgesehen hatten, wollte Claire gar nicht reden.
„Ich mag es, wie es sich die letzten Tage angefühlt hat und ich habe mehr Angst davor, dass wir uns so etwas sonst nie trauen werden, als ich… als ich Angst davor habe was passiert, wenn die Dinge hier den Bach runter gehen“, fasste Clarence schließlich sinnbringend das zusammen, was ihm schon längst bewusst geworden war. Es war noch mal etwas gänzlich anderes unter einem gemeinsamen Dach zu leben, einander näher zu sein als auf Reisen, aber gleichzeitig räumlich auch mehr Freiheiten zu haben als ein enges Zelt und zwei Rucksäcke hergaben. Natürlich schaffte ein Haus nicht das Problem mit Mo’Ann und der Bruderschaft aus dem Weg und konnte darüber hinaus auch Tücken und ungeahnte Gründe für Streitereien mitbringen, aber selbst das waren Dinge, vor denen Claire keine Angst hatte.