Doktor Bennetts Haus

22. Mai 2210


Doktor Bennett

Vier Tage nach ihrem innigen Beisammensein, ging es Matthew insoweit besser, als das er in der Lage war einige Minuten aufrecht sitzend zuzubringen.
Die Schwellung in seinem Gesicht war etwas zurückgegangen, die Färbung rund um die Nahtstelle war jedoch nach wie vor dunkelviolett und auch sein Auge auf eben jener Seite war noch blutunterlaufen, wenngleich nicht mehr ganz so massiv. Durch die etwas zurückgegangenen Schwellung konnte Matthew auch wieder besser sehen, was seine Laune insgesamt spürbar aufgehellt hatte.
Auch fernab der kleinen körperlichen Fortschritte die er machte, hatte sich Matthews psychische Verfassung stabilisiert. Er war noch immer ungeduldig wegen all der Dinge die er nicht konnte und es klafften noch immer große Erinnerungslücken was jenen dunklen Tag anging, aber er war zumindest nicht mehr in Hysterie verfallen und es gab hin und wieder Momente, in denen er - in einem Anflug von Galgenhumor - über seinen Zustand scherzte.
Sein Wunsch, Sally Mitchell sehen zu dürfen war noch immer nicht erfüllt worden, dafür hatte man sich in der kleinen Stadt darauf geeinigt, ein Urteil durch die geschädigte Partei zuzulassen. Was das konkret für die junge Frau bedeutete, darüber war sich Matthew noch nicht schlüssig. Wie bei Clarence der Fall lag, glaubte der Dunkelhaarige jedoch zu wissen. In dieser Hinsicht schätzte er den Hünen als unversöhnlich und auch gnadenlos ein. Beide jungen Männer vermieden das Thema jedoch weitestgehend, denn es gab in jenen Tagen wahrlich Dinge von größerer Wichtigkeit als das Schicksal der Steinewerferin.
Nach der letzten Nacht, in der sie als Paar zusammen gewesen waren, hatte Cassiel angefangen sich aktiv um seine Genesung zu bemühen. Er trank und zwang sich zum Essen und auch wenn ihm immer wieder sein Stolz im Wege stand wenn Clarence ihn pflegen musste, so übertrieb Doktor Bennett nicht, als er verlauten ließ:
“Sie befinden sich auf dem Weg der Besserung, mein Sohn. Ohne Zweifel.“
Begleitet wurden diese Worte von einem milden Lächeln, nachdenklich und zugleich vorsichtig optimistisch. Bennett konnte selber nicht glauben das der junge Mann überlebt hatte, denn als er ihn verarztet hatte, hatte zunächst gar nichts darauf hingedeutet das er es schaffen könnte. Zu massiv war die Gewalteinwirkung gewesen als das er hatte echte Hoffnung haben können. Doch mittlerweile schien es so, als würde der Dunkelhaarige ohne bleibende Schäden wieder genesen können. Freilich, lag noch ein weiter Weg vor dem Dunkelhaarigen, aber er war spürbar motiviert ihn auch zu gehen.
„Wenn das so weiter geht, spazieren Sie bald kerngesund aus diesem Haus.“
- „Im Moment wäre ich schon zufrieden wenn ich es ohne Hilfe aus dem Bett schaffen würde. Ein Spaziergang kommt mir unwahrscheinlich vor…“, erwiderte Cassiel und seufzte. Ihm ging das alles viel zu langsam, auch wenn er mittlerweile schon in weit besserer Verfassung war als vor einigen Tagen noch. „Und mir kam unwahrscheinlich vor, je ein vernünftig-artikuliertes Wort aus Ihrem Munde zu hören. Und hier liegen Sie und sind ungeduldig mit sich selbst.“ - die Rüge war nicht besonders scharf, aber der Tadel kam dennoch an. Matthew zupfte unstet an der Bettdecke die über seinem Schoß lag, er selbst war relativ gerade aufgerichtet und blickte auf seine Hände herunter.
Das Licht des noch jungen Tages tauchte das Zimmer in klaren Glanz. Der Schneesturm der zuletzt gewütet hatte, hatte sich letzte Nacht gelegt und nichts als blendendes Weiß und blauen Himmel hinterlassen.
„Geduld ist nötig, geben Sie sich Zeit.“ - dieses Mal schaute er zu Clarence, so als könne der Hüne den Jüngeren etwas in seinem Ehrgeiz bremsen. Dass das durchaus stimmte, hatte er längst bemerkt. Der Einfluss des Blonden auf den Patienten war nicht zu leugnen. Sie taten einander gegenseitig gut und so zweifelte der Mediziner auch nicht daran, dass die Gegenwart des Größeren für Matthews Genesungsheim ausschlaggebend war.
„Geduld ist nicht meine Stärke.“, erwiderte dieser und Bennett hob die Augenbrauen, als wolle er sagen ’Ändern wird sich dadurch auch nichts’.
„Wenn Sie etwas brauchen, ich bin unten.“ - Mit diesen Worten erhob sich der Mediziner der seit Matthews Einlieferung in sein Haus keine einzige Visite versäumt oder verspätet begonnen hatte. Auch Clarence war mehr als geduldet - so schien es - sondern viel mehr willkommen.

Matthew C. Sky

Als Nikodemus das Zimmer verlassen hatte, seufzte Matthew neuerlich und sah zu Clarence. „Wenn ich noch einmal das Wort Geduld hören muss, stürze ich mich freiwillig aus dem Fenster.“ setzte er seinen Mann in Kenntnis. „Da ich das wahrscheinlich alleine nicht schaffen werde, erwarte ich von dir, dass du mir dabei hilfst.“
Clarence half ihm sowieso bei einfach allem. Er wechselte die Laken, er half ihm sich aufzusetzen, er zog ihn an und aus. Nichts - aber auch wirklich gar nichts - konnte Cassiel ohne die Hilfe seines Mannes bewerkstelligen.
Ein zuversichtliches Lächeln erhellte Cassiels Züge und ließ schon wieder erahnen wie er früher ausgesehen hatte und in Zukunft wieder aussehen würde.
Sally Mitchell hatte am Ende gar nichts geändert, außer ihr eigenes Leben verwirkt.
„Du hast den Doc gehört: ich bin auf dem Weg der Besserung. Klingt gut, hm?“ - Das war noch untertrieben, gemessen daran wie schlecht es vor einiger Zeit noch um ihn gestanden hatte. Aber darauf wollte der junge Mann nun gar nicht hinaus.
„Also los, hilf mir in die Badewanne zu kommen.“ - seit gestern Abend hatte er das unstillbare Bedürfnis ein heißes Bad zu nehmen. Dieser Wunsch war ihm gestern jedoch nicht erfüllt worden, was den Drang aber nicht geschmälert sondern ihn nur noch verstärkt hatte. Wenn Matthew etwas wollte, dann gab er erst dann Ruhe wenn ihn ein Stein am Kopf traf oder er es bekommen hatte. Doch in der Tat sprach nichts gegen jenen Wunsch.
Seine Kopfverletzung war frisch versorgt worden, Wundwasser abgetragen und die Nahtränder kontrolliert. Bennett war hochzufrieden mit dem Verlauf der Genesung auch wenn Clarence ihn noch immer behandelte wie ein rohes Ei welches einen Riss in der Schale hatte. Und das war - trotz aller Fortschritte - gut so, glaubte man den Worten des Arztes, die er mit Clarence unter vier Augen immer wieder wechselte.
Doch Cassiel selbst war nicht der Meinung, dass das notwendig war.
Seine Prioritäten lagen anders, er wollte sich nicht länger wie ein Todkranker fühlen und auch nicht mehr so behandelt werden. Mit ein bisschen Glück würde er bei Zeiten wieder er selber sein und damit das so war, musste er sich auch wieder wie er selber fühlen.
„Ich verspreche, dass ich dir sofort sage wenn es mir schlecht geht. Ich Kopfschmerzen kriege oder was auch immer…“ - Clarence musste und sollte sich nicht um ihn sorgen, aber das war - das wusste Matthew mit unumstößlicher Sicherheit - ein frommer Wunsch der sich nicht erfüllen würde. Noch zu gut erinnerte sich der Dunkelhaarige an die Tränen und den Kummer, die Angst im Blick der schönen grau-blauen Augen. Clarence würde immer auf ihn aufpassen und er würde ebenso immer um seine Unversehrtheit fürchten. Ungefragt griff er nach der Hand seines Geliebten, hob sie an die nur noch spärlich lädierten Lippen und küsste sie schweigend. Immer öfter bedurfte es zwischen ihnen keinerlei Worte mehr, es reichte ein Blick um eine Frage oder Bitte zu stellen und manchmal verstanden sie das Schweigen des Anderen besser als alles andere.
Und gerade…musste man kein Genie sein um den Wunsch in Matthews Augen ablesen zu können und Wünsche - das hatte der Jüngere schon vor langer Zeit bemerkt - konnte Clarence ihm nur schwer abschlagen.


Clarence B. Sky

Jeden Tag zusehen zu können wie sein Mann sich etwas erholte und auch sein Äußeres sich Zusehens zu seinem Zustand verbesserte, war mehr als Clarence zu Beginn jemals zu hoffen gewagt hätte. Was begonnen hatte vor einem dunklen Abgrund voller Aussichtslosigkeit, die schlechtesten Prognosen aufgestellt seitens des Quacksalbers, war zu einem kleinen Wunder auf dieser noch kleineren Insel geworden – und damit zu eben jenem Ereignis, um dessen Eintreten der Christ so verzweifelt gebetet hatte.
Bis heute schämte er sich seiner bitterlichen Tränen nicht, weder jenen die er alleine, noch derer, die er in Anwesenheit von Arquin oder Bennet vergossen hatte. Es interessierte den Jäger nicht wie er auf diese Fremden gewirkt haben mochte, für die die Männer und Frauen seiner verrohten Zunft im Allgemeinen sonst nichts anderes waren, als gefühllose und raue Schlächter.
Clarence und seine Genossen mochten sich in einsamen Wäldern gegenseitig ausmerzen und davor auch in Ortschaften keinen Halt machen die nicht gerade zu den Metropolen zählten, doch so wenig er anderen Menschen gegenüber mit der Wimper zuckte, umso mehr bedeutete ihm sein Mann.
Matthew war alles für den Blonden und ihn zu verlieren ein Unheil, das er weder in Cascade Hill, noch sonst irgendwo auf der Welt erleiden mochte. Jahrzehnte hatten zu vergehen, bevor der Tag kam an dem sie sich trennten und dass auch Cassie das mittlerweile eingesehen zu haben schien, machte dessen Motivation eindeutig spürbar.
Seit der Nacht, die sie wider alle Vernunft miteinander verbracht hatten, hatte sich sein dunkelhaariger Patient zusammengerissen und war der Aufforderung seines Bären endlich nachgekommen. Hatte anständig getrunken, sich dazu gezwungen zu essen auch wenn ihm nicht danach war – und letztlich erst dadurch, da war sich Clarence sicher, auch die Kraft zurück gewonnen, die ihn nun aufrecht zwischen ihm und dem Arzt sitzen ließ.
Bennetts Visiten waren mittlerweile zu einem festen Tagespunkt in ihrem gewohnten Ablauf geworden und zumindest gestern war es auch lediglich dabei geblieben. Am Morgen und am Abend hatte er nach seinem Patienten und dessen Angehörigen gesehen, sich beim ersten Mal um die Wunden gekümmert, nach Einbruch der Nacht nach seinem Befinden erkundigt. Es war der erste Tag gewesen, an dem keinerlei Aufregung eine intravenöse Gabe von Schmerzmitteln nötig gemacht hatte und wenngleich Claire seinem Partner dieses gönnen würde, schlug sich das sture Böckchen tapfer.
Schon früh war dem Schamanen aufgefallen, dass der vorlaute Dunkelhaarige mit den skeptischen Augen Schmerzen gut wegzustecken vermochte. Selbst damals in ihrem Todeslager, durchlöchert von Wunden wie ein Laib Käse, hatte Reed unter wachem Zustand weit weniger Äußerungen des Leids von sich gegeben, als er in schlafendem Zustand jemals hätte unterdrücken können. Er besaß ein fragwürdiges Talent dafür sich seine Qualen nicht mal ansehen zu lassen und so kostbar diese Gabe in freier Natur und im Kampf auch war, so wenig sollte Clarence‘ Ein und Alles überhaupt Grund finden, sich seiner Schwächen zu schämen.
Doch Schmerzen hin oder her, der frisch angebrochene Tag versprach bislang ein guter zu werden und Cassie machte nicht den Anschein, als würde er sich lediglich seinem Mann zuliebe zusammenreißen. Seitdem er sich selbst im Spiegel erblickt und unter den ernst gemeinten Worten des Jägers erkannt hatte noch immer wertvoll und liebenswert zu sein, war er von Tag zu Tag immer mehr ein Stück wieder er selbst geworden und somit auch mündig genug, seine Angelegenheiten selbst zu regeln.
Aufmerksam und doch entspannt harrte Claire wie gewohnt auf seinem angetrauten Stuhl neben dem belegten Bett, lauschte dem Gespräch zwischen Patient und Arzt und nichts machte mehr den Anschein, als wäre es jemals nötig gewesen all diese Dinge über Cassies Kopf hinweg klären zu müssen. Wo Bennett zu Beginn nur mit dem Ehemann seines Schutzbefohlenen Kontakt gesucht hatte, blieb Claire heute beinahe völlig außen vor – und wider Erwarten war dem engstirnigen Schamanen das ausnahmsweise mal völlig recht, denn nicht nur konnte Matthew auf diese Weise langsam wieder seine eigenen Entscheidungen treffen, sondern auch kam Clarence nicht mehr in die Verlegenheit, mit dem Quacksalber über grundsätzliche Behandlungsweisen diskutieren zu müssen.
Wenn ich noch einmal das Wort Geduld hören muss, stürze ich mich freiwillig aus dem Fenster. Da ich das wahrscheinlich alleine nicht schaffen werde, erwarte ich von dir, dass du mir dabei hilfst.“ - Es dauerte keine zwei Sekunden nachdem sich die Tür zum unteren Stockwerk hinter dem Arzt geschlossen hatte, da feuerte Matthew in gewohnter Manier die ersten vorlauten Salven seines maschinengewehrartigen Mundwerkes durch den Raum und ließ mit seinem unterhaltsamen Gefasel ein zufriedenes Schmunzeln auf dem Gesicht seines Hünen erscheinen.
Scheinbar nachdenklich blickte Claire für einen Moment zur Decke, zuckte dann aber gleichgültig mit den Schultern: „Dann hätten wir dich wenigstens auch schon mal auf der richtigen Etage für einen Spaziergang, klingt also irgendwie vernünftig.“
Da ihre eigene Auffassung von Vernunft sowieso eine gänzlich andere war als die vom Rest der Welt – wie ihre amourösen Abenteuer in den unmöglichsten Situationen bereits bewiesen hatten – war auch ein mutwilliger Sprung aus der ersten Etage des Arzthauses nicht völlig undenkbar weit hergeholt. Inwieweit es sich mit einem gebrochenen Schädel und zwei gebrochenen Beinen dann aber noch gut spazieren ließ, würde man sehen müssen.
Erst als sich die Stimme seines Nachbarn neuerlich erhob, schaffte es Claire seinen Blick von der Decke zu lösen, doch nur um beinahe schon tadelnd seinen Mann und Geliebten aus wachsamen Augen zu mustern. Dieser unmögliche Kerl machte einen wirklich fertig, jeden Tag ein bisschen mehr und immer dann, wenn man am wenigsten damit rechnete – und dieses fragwürdige Talent baute Cassie auch nun wieder weiter aus, wo er wieder halbwegs unter den Lebenden verkehrte.
Erstens sage ich dir schon gefühlt seit Anbeginn der Zeit, dass du dich auf dem Weg der Besserung befindest. Ziemlich schräge Sache, dass du die Dinge die ich dir predige aber immer erst dann glaubst, wenn der Quacksalber es dir bestätigt. Und zweitens-…“
Doch so weit sollte der Schamane gar nicht kommen, da behandelte Matthew ihn mittlerweile ähnlich wie sein ungeliebter Gesprächspartner Nikodemus es tat, welcher partout nichts von alternativen Heilmethoden hören wollte. Wüsste Clarence es nicht besser, er hätte schwören können, sie hätten auf dieser Insel Cassies verschollen geglaubten Vater kennengelernt.
Ich verspreche, dass ich dir sofort sage wenn es mir schlecht geht. Ich Kopfschmerzen kriege oder was auch immer…
Es war Segen und Fluch zugleich, dass sich sein Mann an einer Wanne voll Wasser seit dem gestrigen Abend intensiver festzubeißen Verstand als an seinem lange gehegten Wunsch eines Pferdes, dessen Anschaffung er sich durch den Kauf des Bootes vorerst selbst auf Eis gelegt hatte. Aber das machte die Sache auch nicht leichter, denn wo Claire noch immer Probleme hatte seinen Partner über einen längeren Zeitraum hinweg zu ein bisschen Belastung zu motivieren, erschien Matthew die Idee eines Bades derzeit wohl wie die beste Idee aller Zeiten.
„Ja, oder was auch immer“, echote der Blonde dementsprechend brummelig, denn Bescheid sagen würde der Dunkelhaarige wohl kaum noch können, wenn er erstmal bewusstlos geworden und mit seinem Dickschädel unter Wasser versunken war.
Ernsthaft böse konnte und wollte Clarence aber nicht auf Cassie sein, ganz und gar nicht. Dass er derartig auf seine Wünsche beharrte und ihn auch dazu anwies ihm beim Sprung aus dem Fenster zu helfen, bedeutete immerhin nur eines: Matthew wurde langsam aber sicher wieder er selbst und ließ sich immer weniger von seinem Zustand herunter ziehen, eine Wende die man Claire mit keinem Gold der Welt würde aufwiegen können.
Wohltuend prickelten die fremden Lippen durch den Kuss auf seiner Hand nach, ein Empfinden das er schmerzlich vermisst hatte während Cassie Bewusstlos gewesen war und das es dem Bären umso schwerer gestaltete, seinem Mann die Sehnsucht nach einem Tod durch Ertrinken im Zuber zu verweigern.
„Das heißt, wenn ich dir geholfen habe aus dem Fenster zu springen, könntest du dir auf deiner Rückkehr von unten selbst das heiße Wasser mit hier rauf schleppen? Wäre eine Überlegung wert“, frotzelte der Jäger stichelnd und befreite seine Hand aus den Fängen des Jüngeren, um ihm anklagend mit dem Zeigefinger gegen die Nase zu stupsen. Dass sich hier oben ein kleines Bad befand, das einst zum Reich von Bennetts Tochter gehört zu haben schien, mochte eine Reise in einen schönen heißen Zuber naheliegend machen – nur leider war die dazu benötigte warme Füllung es nicht.
Schon amüsant wie sich sein Mann mit Bravour so gegen Clarence‘ Hilfe wehren, aber mehrere Gänge die schmalen Treppenstufen hinauf und hinunter kampflos hinnehmen konnte.
Seit Sally Mitchells Kennenlernen hatten sie kein ernst gemeintes Streitgespräch mehr miteinander geführt und auch des Christen gute Vorsätze fortan nicht mehr gemein zu Matthew zu sein, waren vorbildlich eingehalten worden – was nicht immer einfach war, wenn man mit einem derart sturen Esel von Mann verehelicht war. Doch sein Versprechen zu brechen würde nicht mal ein hölzerner Zuber zustande bringen und auch nicht die Tatsache, dass der Berg von Mann schon jetzt wusste, wer am Ende den Jüngeren aus dem vermaledeiten Ding heben musste weil Cassie von alleine nicht mehr hoch kommen würde.
„Folgendes Gegenangebot: Ich besorge mit aus der Küche eine Schere und versuche deine zersäbelte Haarpracht einigermaßen so hinzubekommen, dass du endlich nicht mehr aussiehst wie Frankensteins Monster. Wenn du die Attacke meiner zitternden Pranken auf deinen Schädel überlebst und dabei keinen Herzstillstand erleidest, überlebst du vermutlich auch ein heißes Bad“, schlug Clarence das schlimmste vor, was vermutlich jemals ein Mensch dem Jüngeren angedroht hatte – nämlich andere Hände als die eigenen an das preisgekrönte braune Haar zu lassen. „Deine Hunde müssen wir ja eh hier zurück lassen, weil du dir eine neue Frisur gegönnt hast noch bevor das vereinbarte Jahr vorbei war. Von daher… hast du eigentlich nichts mehr zu verlieren.“


Matthew C. Sky

Was wäre Matthew nur ohne seinen hünenhaften Jäger? Eine Frage die so manches Mal durch den angeschlagenen Kopf des Jüngeren ging, der außer grübeln nicht viel tun konnte. Clarence motivierte und stützte ihn, Clarence gab ihm das Gefühl weder Last noch Ärgernis zu sein und Clarence lenkte ihn so gut es ging von düsteren Gedanken ab. Er war der Fels in der Brandung und ein unerschütterlicher Gefährte an Matthews Seite. Kein böses Wort war in den vergangen Tagen je über seine Lippen gekommen und das obgleich die Situation für den Größeren sicher nicht leicht zu ertragen war.
Die ungeteilte Liebe und Fürsorge die Cassiel immerzu zu spüren bekam wenn der Schamane bei ihm war, war etwas das mit keinem Geld aufzuwiegen wäre. Clarence machte es ihm leicht, sich nicht hängen zu lassen, sich geliebt und kostbar und nicht etwa wie eine Last zu fühlen.
Selbst das Brummen des blonden Bären war wie Musik in Matthews Ohren, denn es sagte ihm Ich bin dagegen, aber du bekommst deinen Willen trotzdem. Wo andere lediglich Unwillen erkannt hätten, wusste Cassiel das Gegrummel richtig einzuordnen, immerhin hatte er Monate damit zugebracht das Brummen des schweigsamen Wanderers in den richtigen Kontext zu setzen. Manche Tage hatte Clarence kaum ein Wort mit ihm gewechselt, getreu dem Motto ‚Wenn es nicht wichtig ist, sprich es nicht aus‘. Und aus eben diesem Grund kannte der junge Mann längst alle winzigen Abstufungen im Brummen des Bären. Von genervt bis angestrengt, von gereizt bis nachgiebig.
„Ich will nicht so vermessen sein und behaupten ich könnte das Wasser selber schleppen, das krieg ich nicht hin.“ , antwortete der junge Mann prompt und ungeniert.
Seine Aussprache war noch immer etwas nasal, geschuldet der Schwellung seiner Nase und der einen Gesichtshälfte. Aber mittlerweile war dieses Handicap bei weitem nicht mehr so offensichtlich wie vor einigen Tagen noch.
Jeder, auch Arquin - dessen Besuche nicht abgeebbt waren - bestätigte Matthew kontinuierlich wie viel besser er von Tag zu Tag aussah und sich anhörte. Die selben Leute die ihm mantra-artig gesagt hatten er müsse sich schonen, denn er sei schwer verletzt, versicherten ihm jetzt das er gewaltige Fortschritte machte. Sein Mann war da keine Ausnahme und obgleich Matthew ihnen glaubte, hatte er dennoch das Gefühl es ging kaum voran. Der Weg ins Bad und in eine Wanne, erschien ihm da bereits derart verlockend wie es vor dem Angriff wahrscheinlich die Aussicht auf ein albernes, ausgelassenes Wettrennen mit Clarence gewesen war.
„Aber ich habe nicht ohne Grund einen großen, starken Kerl wie dich geheiratet.“ Nein, Matt machte keinen Hehl daraus das er Clarence für sein Vorhaben brauchte. Es lag immerhin auf der Hand, dass er sich ohne Hilfe nicht mal aus dem Bett hieven konnte und anders als man es vielleicht vermutet hätte, schämte er sich dessen auch nicht vor Clarence. Ihm zu helfen Wasser in den Zuber zu bekomme, war nicht halb so demütigend wie von ihm aus- und angezogen und mit einem Lappen gewaschen zu werden. Da war Cassiel eigen.
„Und du hast versprochen mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen und zwar in guten wie in schlechten Zeiten.“ Die zugegebenermaßen sehr freie Interpretation ihres Ehegelübdes wurde von einem frechen und für Matthew typischen Lächeln unterstrichen, eines jener Sorte das den Gegenüber genau wissen ließ, dass Cassiel fröhlich auf dem Eis tanzte ohne Angst es könne vielleicht einbrechen.
Das kecke Stupsen des Zeigefingers von Clarence gegen Matthews Nase unterstrich jedoch auch etwas. Nämlich die Ebene von Liebe und Zuneigung die sie mittlerweile erreicht hatten und die über jedes einstmals vermutete Maß hinausging.
Sie hatten ineinander mehr gefunden als einen Freund und Gefährten, einen Ehemann und Liebhaber. Was zu Beginn ihrer Reise nie ersichtlich gewesen war, hatte sich in den letzten Monaten mit jeder gemeisterten Hürde deutlicher herauskristallisiert. Beide Männer, so unterschiedlich sie auch waren, waren das Seelenheil des Anderen. Sie waren zwei Seiten eines Ganzen und ohneeinander wären sie nie vollständig.
“Folgendes Gegenangebot…“ läutete der Ältere seinen Vorschlag ein und ließ Matthew gespannt aufhorchen. Dessen Augenbrauen hoben sich erst überrascht und zogen sich dann widerwillig zusammen als absehbar wurde was Clarence zutun gedachte.
Ja war der Kerl denn verrückt geworden? Wahrscheinlich, denn der Blondschopf schien es wirklich ernst zu meinen, dabei ließ Cassiel immer nur ausgewählte Hände an seinen Schopf. Bekannte und fähige Coiffeure aus Metropolen etwa, oder seine eigenen.
Clarence hatte ihm noch nie die Haare geschnitten und wenn man seine eigene ewig lange Haarpracht so ansah, dann lag der Verdacht nahe das er sich selbst auch noch nie die Haare geschnitten hatte. Eine Rasur der Seiten zählte nicht.
Du willst also meine Haare schneiden?“, hakte er nach und betrachtete seinen liebsten Wirrkopf skeptisch. „Und zwar mit einer Küchenschere…?“ - Hörte Clarence selber wie stümperhaft das klang? Niemand der auch nur ein bisschen Ahnung hatte und kultiviert durchs Leben ging, verwendete eine Küchenschere dafür Haare zu schneiden.
„Ich muss sagen, das klingt nicht nach einem verlockenden Gegenangebot und zwar aus gleich einigen Gründen…Grund eins: die Küchenschere.“ - da bedurfte es hoffentlich keiner näheren Erläuterung. Eine Schere mit der man Schnittlauch zersäbelte oder Hühnerknochen durchtrennte hatte nichts in Haaren zu suchen, schon gar nicht in seinen. „Wer bitte schneidet Haare mit einer Küchenschere? Das ist widerlich.“ - der Pragmatismus des Blonden kannte wirklich keine Grenzen.
„Zum Anderen…nimm es mir nicht übel, Baby, aber ich bin nicht sicher ob du der Richtige bist um meine Haarpracht zu retten. Ich meine…“, er hob die Schultern um anzudeuten das seine Ausführungen offensichtlich waren auch ohne das er es aussprach.
Dass er seine Hunde hier zurücklassen musste, war derart albern und abwegig, dass Cassiel nicht eine Sekunde fürchtete das könne Clarence’ Ernst sein.
Trotzdem hatte er Recht wenn man es ganz streng nahm und selbst wäre dem anders gewesen, so hatte Matthew unlängst das Herumalbern und das Geunke seines Mannes lieben gelernt.
„Ich mache dir auch ein Gegenangebot, okay?“, munter schaute er sich im Zimmer um, als suche er irgendetwas von dem er eigentlich schon wusste das es nicht da war. Dann richtete sich sein Blick wieder auf den Wirrkopf neben dem Bett.
„Du gehst nach Hause und holst meine Schere, damit darfst du dann…an meinen Haaren herumsäbeln und weil dieses Opfer von mir so gewaltig ist - immerhin hast du keine Ahnung vom Haareschneiden - darf ich die Hunde behalten und bekomme anschließend ein Bad.“, natürlich gewann er bei seinem Gegenangebot alles, aber Cassiel befürchtete trotzdem nicht das der schöne Jäger es ablehnte.
„Und bevor du gehst, darfst du deinem armen Mann einen Kuss rauben. Oder….“ er lehnte sich etwas nach vorne, hin zu dem Größeren um die folgenden Worte verschwörerisch zu flüstern. “Du versteckst mich unter deiner Jacke und schmuggelst mich hier raus, nach Hause. Wir legen ab und verschwinden von hier in Richtung Süden. “
Wenn es nach Cassie ginge, würde Clarence das tatsächlich gern versuchen können, auch wenn das Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. Aber allmählich ödete es den Dunkelhaarigen an, immer nur das selbe zu sehen. Er begann seine Tage in diesem Bett, verbrachte sie zum größten Teil in ihm und beendete sie auch am selben Fleck. Er sah immer nur dieses Zimmer, ab und an wechselnde Menschen aber sonst…war immer alles gleich. Und weil nicht mal die Hunde zu ihm durften - was strikte Anweisung von Bennett war - langweilte sich Matthew mittlerweile über weite Strecken des Tages, wenn er nicht schlief und wenn Claire ihn nicht beschäftigte.
“Was sagst du, hm? Haben wir einen Deal?“


Clarence B. Sky

In manchen Momenten schaffte Clarence es zu vergessen wie schlimm es vor wenigen Tagen noch um seinen Mann gestanden hatte und wie viel Sorge Cassie ihm auch heute noch dann und wann bereitete. Etwa wenn er zu lange saß und sich langsam eine eher kränkliche statt vornehme Blässe um seine Nase auszubreiten begann, aber auch wenn die Kopfschmerzen sich langsam wieder anbahnten und dem Jüngeren den Ausdruck eines tapferen Kriegers einbrachten.
Doch jenseits dieser Befürchtungen und weiterbestehenden Ängste um Matthews Leben, blieb unterm Strich zum Großteil des Tages nichts mehr als Erheiterung über jenen Kerl, der es schaffte selbst aus dem Krankenbett heraus das Leben des Jägers zu erhellen.
Nasal und drollig war Cassies Aussprache, machte sogar das düsterte Wort unterhaltsam, auch wenn es gar nicht so gemeint war. Wilde Forderungen aus Matthews Mund zu vernehmen während der Rest seines Gefährten desolat aussah, verlieh dem Söldner eine sicher ungewollte Komik. Doch gerade diese war es die es schaffte, Clarence‘ Zuspruch zu vielen möglichen und unmöglichen Wünschen zu gewinnen.
„Ohoo, da liegt also der Hase im Pfeffer begraben“, mit erhobenen Brauen nickte der Blonde verstehend, halb tadelnd, halb als müsse man für diesen Geniestreich seinen Hut vor Matthew ziehen. „Wunscherfüllung und Muskelmasse, die ehrenwerten Grundlagen einer unerschütterlichen Ehe. Du solltest darüber nachdenken deine Weisheiten in einem Buch zu verpacken, sicher kannst du damit einigen Paaren bei der Bewältigung diverser Krisen behilflich sein.“
Angesichts dessen auf welch wankenden Säulen ihre eigene Beziehung begonnen hatte, konnten sie das vielleicht sogar beide. Vertrauen und Offenheit, neu gefasste Gesprächsbereitschaft und das Ablegen eigener Zweifel am Selbstwert – sie beide waren gut darin sich zu entwickeln um der Partnerschaft Willen und niemand, der sie in Cascade Hill kennen gelernt hatte, würde offen daran zweifeln können, dass sie ihre Sache gut gemacht hatten wenn es darum ging ein stabiles Miteinander aufzubauen.
Das einzige, was diese Ehe je ins Wanken bringen konnte, war schier Matthews Stolz um seine vermeintliche Haarpracht, die schon seit einigen Tagen alles andere mehr war als prächtig. Claire selbst kam sein Vorschlag daher also gar nicht mal so abwegig vor, was sein Göttergatte allerdings völlig anders sah.
„Ich dachte du hast es neuerdings mit den Augen und nicht mit den Ohren. - Ich will deine Haare schneiden. Haare“, griff sich der Wilde in die eigene blonde Mähne um Cassie zu verdeutlichen was er meinte, dabei seine Worte extra so langsam und deutlich formulierend, wie man es sonst nur mit den tauben Dorfältesten tat die schon jenseits der Wahrnehmungsfähigkeit waren. Der vorlaute Taugenichts mochte sich gut darin verstehen wie ein Schaf auf Kufen über dünnes Eis hinweg zu tanzen, aber seitdem er es auf eigenes Drängen hin selbst forciert hatte auch Claires Meinung des Öfteren mal zu hören, stand der Jäger ihm kaum in etwas nach und dabei war es nicht so, als hätte er diese Facette völlig neu für sich entdeckt.
Clarence war schon früher ein ausgesprochen frecher Bub gewesen, sich keiner pampigen Antwort zu schade und auch stets darum bemüht, selbst den kleinsten Augenblick abzugreifen, in dem man jemanden erfolgreich vorführen konnte. Eine Charaktereigenschaft die ihm oft selbst zum Verhängnis geworden war und die sich schnell verloren hatte, als das Leben begonnen hatte ihm gewisse Dinge zu nehmen und ihn alleine zurück zu lassen. Er hatte lernen müssen erwachsen zu werden, und das schneller als gut für ihn gewesen war; eine Erfahrung, die ihn – ganz im Gegensatz zu seinem heutigen Mann – still und ernst hatte werden lassen.
Doch wie Cassie es schaffte dann und wann das jungenhafte Grinsen zurück in das Gesicht des vom Leben verbitterten Jägers zu zaubern, hatte er dann und wann auch verbale Hürden bei seinem Freund und Gefährten eingebrochen und tat es noch. Das mochte zwar in seltenen Fällen zu wilden Mordanschlägen durch Steinschlag führen, aber das waren Dinge, die sich schlecht im Voraus absehen ließen.
Wer bitte schneidet Haare mit einer Küchenschere? Das ist widerlich“, mokierte sich sein verwöhnter Herr Gemahl unterdessen und machte damit seiner arroganten Art man wieder alle Ehre die selbst einen Blinden mit Krückstock erahnen ließ, dass Cassie in den letzten Jahren nie viel Zeit unter dem gemeinen Volk verbracht hatte.
Ich schneide Haare mit einer Küchenschere. Und bis auf deine Wenigkeit, hat sich darüber bislang auch noch nie jemand beschwert.“ – Mal ganz abgesehen davon, was wollte Matthew da eigentlich noch groß retten? Sein Kopf war versaut dank der übereilten Rasur des Quacksalbers, da würde nicht mal ein Haarfritze aus der Metropole etwas anderes empfehlen können als einen Reset durch Vollglatze.
Trotzdem hörte Clarence sich brav die Verhandlungsversuche des Jüngeren an, die alles andere als noch unüberlegt klangen als der Ausgangspunkt an sich schon. Beim nächsten Aufstehen aus dem Bett würde Clarence ihn definitiv bis hinüber zum Fenster schleifen, so viel stand fest – denn so hoch wie der Schnee seit dem gestrigen Sturm schon wieder lag, würde der Jäger sein eigenes Boot vermutlich nicht mal mehr aufgestemmt bekommen, geschweige denn den Hafen wiederfinden.
Als wäre das Gegenangebot dennoch einigermaßen annehmbar, nickte Clarence bei jedem geflüsterten Wort versöhnlich, immerhin waren sie ein Team und damit sollte ihnen Verschwörung eigentlich liegen. Dass die heutigen Tagespunkte jedoch nicht von Clarence abgesegnet werden würden, wurde erst offensichtlich, als sich sein ernstes nicken beinahe schon beiläufig in ein sachtes Kopfschütteln wandelte.
Selbst wenn du dich klein genug für meine Jacke machen könntest, du schaffst es ja nicht mal bis zur Haustür den Schnabel zu halten. Die lassen uns hoch gehen noch bevor du dir draußen den kleinen Zeh abgefroren hast. Außerdem vergisst du, dass du wehrlos bist und ich dich dadurch zu meinem Versuchskaninchen machen kann, wann immer ich will“, gesagt getan, nutzte er Matthews Näherkommen um ihren Deal tatsächlich durch den Raub eines Kusses zu besiegeln, doch sicher anders als es dem jungen Versuchsböckchen lieb gewesen wäre.
„Vielleicht hat Gretchen ja was für Haar da, ansonsten wäre sogar die Geflügelschere besser als das alte rostige Ding, was du sonst immer nimmst. Ich frag mich wie man so verliebt in seine Haare sein und dann dieses Monstrum zum Schneiden benutzten kann, es erschließt sich mir nicht.“
Klar las Claire seinem Mann jeden Wunsch von den Augen ab und natürlich bekam Cassie am Ende doch irgendwie immer was er wollte. Aber niemand hatte gesagt, dass sich sein eigenwilliger Bär auch in den Weg dorthin rein reden ließ – besonders aktuell, wo Matthew jenseits des Bettes ohne Hilfe sowieso nichts ausrichten konnte.
Wann jemals wieder die Gelegenheit kam sich derart über Cassies Sturkopf hinweg zu setzen, stand in den Sternen und war somit eine einmalige Gelegenheit für den armen ausgenutzten Muskelprotz mit den wunschablesenden Fähigkeiten in guten wie in schlechten Zeiten, dass er seinen Mann einfach ein bisschen necken musste. Daran führte gar kein Weg dran vorbei.
„Entweder das, oder ich flechte dir kleine Zöpfchen in das bisschen Haar, was dir noch geblieben ist. Und glaub mir… ich hab lange genug mit drei Frauen unter einem Dach gewohnt, wenn ich eines gut kann, dann ist es Zöpfe flechten. Überleg dir also gut welches für dich das geringere Übel ist.“


Matthew C. Sky

Als Clarence an jenem schicksalhaften Tag einer gewissen Sally Mitchell von der Verbindung von Quentin und Feivel erzählt hatte, waren bei der jungen Frau aus irgendeinem Grund die Sicherungen durchgeknallt.
Eine Frau, die sonst weder durch ihre Schönheit noch Intelligenz zu glänzen pflegte und in ihrem bisherigen Leben ebenso keinen Hang zu Gewalttätigkeit offenbart hatte, hatte plötzlich entschieden diesen Feivel zu töten. Warum? Matthew wusste es nicht, aber es war ihm gleichzeitig nicht egal. Anders als die meisten anderen im Dorf, interessierte ihn das Warum, denn reiner Hass auf Männer die einander liebten erschien ihm viel zu profan für solch einen Entschluss.
Da er sich nicht an sie erinnern konnte, waren all seine Überlegungen mehr oder weniger distanziert. Er war zwar das Opfer, hatte zu der Tat aber keinen Bezug. Mit Clarence darüber zu reden und sich auszutauschen war nicht möglich. In den Augen des Schamanen war Sally Mitchell einfach nur ein krankes Miststück und so blieb Matthew nichts anderes übrig, als sich allein mit der Frage nach dem ‚Warum?‘ zu beschäftigen.
Manchmal geriet er darüber regelrecht ins Grübeln, so sehr das er davon Kopfschmerzen bekam. Aber so sehr wie ihn diese Frage auch beschäftigte, in der Gegenwart des Jägers fiel es ihm schwer seinen Gedanken nachzuhängen.
Clarence war - obwohl konstant in seiner Nähe - immer das Highlight von Matthews Tag. Wenn sie sich nicht gerade gegenseitig anschwiegen schaffte es der Hüne mit zuverlässiger Leichtigkeit Matthews Aufmerksamkeit zu gewinnen und auch bei sich zu behalten. Dann waren nicht mehr Zweifel und Fragen das Zentrum seiner Gedanken, sondern allein Clarence, ihre gemeinsamen Vorhaben und Pläne und eben all das, was der Schamane ihm so zu erzählen hatte.
“Wunscherfüllung und Muskelmasse, die ehrenwerten Grundlagen einer unerschütterlichen Ehe…“, Matthews Lächeln wurde breiter und sonniger und erheitert lachte er sogar auf. Clarence hatte so eine trockene Art an sich die Cassiel einfach amüsierte. Der Blondschopf wirkte oftmals so ernst und stoisch und manch einer mochte seinen Mann sogar für emotionslos halten, aber Matthew kannte den Wildling besser. Er kannte seine Art von Humor und er liebte sie.
Es gab nur wenige Menschen die Cassiel je wirklich zum Lachen gebracht hätten, aber der Blondschopf war eindeutig einer von ihnen. Sie waren auf einer Wellenlänge, selbst was den Humor betraf - auch wenn Cassiel immer wieder konsequent behauptete, der Wildling hätte gar keinen.
Eben noch innerlich frustriert über das eigene Unvermögen sich an den Tag des Anschlags erinnern zu können, schaffte es der Größere mit nur wenigen Worten und binnen kürzester Zeit, den Dunkelhaarigen zu erheitern und die düsteren Gedanken ganz einfach zu vertreiben. Dieses Talent war etwas, von dem der Jäger bestimmt gar nicht wusste das er es hatte, zumindest wähnte Cassiel das so.
„Ja, du schneidest Haare mit der Schere? Wirklich? Welche Haare denn? Deine nicht, so lang wie die sind.“ - stichelte Matthew zurück. „Als würdest du was vom Haare schneiden verstehen…Eher noch werden Kain und Abel zu Pflanzenfressern.“
Clarence mochte ja viele Fähigkeiten besitzen und eine Menge wissen, aber von Haaren verstand er nichts, zumindest nicht wenn man Matthew fragte. Es war schierer Hohn das der Ältere zumeist verboten gut aussah und sein Haar nur so spross. Obgleich nie etwas anderes als Wasser und Kernseife an die goldenen Strähnen gelangte, glänzten diese gesund und waren weich und anschmiegsam. Damit hatte Clarence ihm aktuell einiges voraus, denn von Matthews Haaren war zumindest auf der einen Seite nicht mehr so viel übrig. Bennett hatte sich nicht um seine Frisur kümmern können, als man den jungen Mann halbtot zu ihm gebracht hatte. Das Ergebnis war wenig ansprechend, ein Umstand dem sich Matthew bewusst war und der nicht gerade dazu beitrug, dass er zufriedener war.
Der eitle Jüngling wusste nur zu genau um seine dezimierte Haarpracht, aber das änderte nichts daran das er eigensinnig war.
Dennoch: sein gemachtes Angebot ihn hier heraus zu schmuggeln schien den Blondschopf zu verlocken, er nickte zustimmend bei jedem geflüsterten Wort - nur um plötzlich doch den Kopf zu schütteln. Irritiert über solch einen eklatanten Mangel an Verständnis und Fantasie blickte Matthew seinen Gatten an, welcher seine Notsituation schamlos ausnutzte und sich unvermittelt den in Aussicht gestellten Kuss von seinen Lippen raubte. Gretchen brachte er ins Spiel und deren eventuell-vielleicht vorhandenes Equipment, als würde irgendeine ihrer Scheren besser sein als die, die er besaß. Als würde irgendeine Schere die mangelnden Fähigkeiten des Bären ausgleichen können.
Und als wäre das nicht schon frevelhaft genug, drohte der Wildling ihm auch noch Flechtfrisuren an. Entrüstet schnaubte der angeschlagene junge Mann, reckte stolz sein Kinn empor und schüttelte gespielt verächtlich den Kopf. Der Blick seiner Augen wirkte mürrisch und unzufrieden, gerade wie der eines Kindes.
Natürlich hatte er nicht wirklich damit gerechnet heute aus diesem Zimmer bugsiert zu werden und nach Hause zu kommen, aber die Vorstellung war trotzdem schön gewesen.
„Es bereitet dir Freude deinen verletzten und damit hilflosen Mann zu quälen.“, unterstellte er seinem Geliebten nun und tat so, als mache ihn das unendlich betroffen. Natürlich lag die Sache eigentlich anders, aber just in diesem Moment schien der Vorwurf zu passen.
„Das habe ich nicht von dir gedacht, du hast mich getäuscht…“, sein Seufzen mutete schwer enttäuscht an. Eine theatralische Meisterleistung die keine Würdigung erfuhr. „Aber nun gut…deinem perfiden Plan kann ich im Moment nichts entgegensetzen. Also schön…machen wir es so.“ - selbst ein Matthew Cassiel Sky wusste, wann es besser war sich geschlagen zu geben und in diesem Fall traf das zu. Er konnte das Bett nicht ohne Hilfe verlassen, weder um draußen herumzuspazieren, noch um sich ein Bad einzulassen. Er brauchte seinen blonden Bären - aber wahrlich, es gab schlimmeres als das. Matthew fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar an jener Seite die unversehrt war und zog eine der dunklen Strähnen lang um sie anzusehen.
Er hatte seiner wilden Mähne nie viel abgewinnen können, trotzdem hätte er sein Versprechen es ein Jahr lang nicht zu schneiden nie freiwillig gebrochen.
Es nun den (un)fähigen Händen des Schamanen zu überlassen, obgleich es kaum noch etwas zu verschandeln gab, war trotz alledem ein Schritt der Matthew Überwindung kostete.
„Aber was meine Schere angeht, mein frevelhafter Freund, sie mag alt sein und eine lockere Schraube haben, aber sie ist scharf.“ - seine Finger gaben die eigene Haarsträhne frei und er lehnte sich neuerlich etwas nach vorne zu seinem grausamen Gefährten. Die Augen kurz abwägend zu kleinen Schlitzen verengt, hob Matthew schließlich eine seiner Hände und krallte sich mit den Fingern in Clarence’ blonden Flachs am Kinn, um den Hünen dichter an sich zu ziehen. „Das trifft übrigens alles auch auf dich zu…“, fügte er provozierend an und lehnte sich dann wieder zurück ohne Clarence zu küssen, auch wenn er genau das zuvor andeutete.
„Und dich ersetze ich ja auch nicht…Denke ich zumindest, auch wenn ich wetten möchte das Arquin mir schöne Augen macht.“, Letzteres war eine glatte Lüge, denn auch wenn der Dunkelhaarige ein ungewöhnliches Interesse zu hegen schien, so hatte er weder Clarence noch Matthew je irgendwelche Avancen gemacht. Zumal Matthew aktuell alles andere als verführerisch aussah…Und selbst wäre das anders gewesen, es gab für den jungen Mann niemand anderen als den blonden Wildling, ebenso wie es für sein Haar nur eine Schere gab. Diesbezüglich war er einfach eigen.


Clarence B. Sky

Oh, hätte Cassie um ein ernstes Gespräch hinsichtlich dieser fragwürdigen Sally Mitchell gebeten, sein adonisgleicher Mann hätte sicher genügend Theorien zum Besten geben können, um das Grübeln des sturen Böckchens im Keim zu ersticken.
Sicher war Sally zu einem gewissen Teil einfach nur ein krankes Miststück, aber hinter dieser Fassade lagen bestimmt unendliche Weiten, die man auf ebenso unendlich viele Arten psychologisch auseinander nehmen konnte.
Gerade Clarence, aufgewachsen in einer Welt die Homosexualität weit schlimmer bestrafte als die Fremde es mit Matthew getan hatte, konnte genug Gründe jenseits von krankhaften Denkweisen anführen. Er selbst hatte einst nicht anders gehandelt, hatte seinesgleichen aus der Masse heraus kristallisiert und zugrunde gerichtet, wie er es heute nur noch mit Monstern, Plünderern und anderen Jägern tat.
Ob es Matthew gefiel oder nicht: Sein prüder Christ verstand es ausgesprochen gut sich trotz der Seite auf der er stand in die Feinde ihrer Ehe hinein zu versetzen und mitunter war genau das der Grund, warum er es nicht wollte. So wie es auf Cassies Seite die einfachsten Dinge gab, die schreckliche Erinnerungen in ihm weckten, besaß auch der Schamane eine dunkle Vergangenheit, die man besser nicht zurück an die Oberfläche befördern sollte. Das kranke Miststück, das er selbst einmal gewesen war.
Was geschehen war, war geschehen und bei Gott, er hatte mit dem Dunkelhaarigen wirklich schlimmere Sorgen um die er sich Gedanken machen konnte, als sich dabei auch noch um die beiden Mitchell-Schwestern zu kümmern.
Dass Cassie es tat, ließ dieser sich mit keinem Wimperschlag anmerken – erst recht nicht dann, als er in erheitertes Gelächter ausbrach. Wie gut es tat seinen Mann nach all den Tagen der Bewusstlosigkeit wieder lachen zu hören – ein Laut von dem man Clarence gesagt hatte, er würde es vielleicht nie wieder vernehmen – konnte sein vorlauter Taugenichts sich gar nicht vorstellen. Schon immer hatte der oft viel zu ernste und stoische Jäger gerne dazu beigetragen durch trocken eingestreute Erwiderungen seinen damaligen Gefährten zu unterhalten und auch heute wurde er dessen nicht müde, wie er nur allzu geduldig bewies.
„Wenn man sonst keine Hobbys hat, muss man sich damit begnügen was gerade anliegt“, konterte Clarence dementsprechend unschuldig als seinem Gegenüber klar wurde, welch Freude er angeblich dabei empfand ihn aufgrund seiner Lage ein wenig zu quälen. Ganz leicht und nur ein ganz klein wenig, versteht sich natürlich.
Beinahe ein bisschen melancholisch betrachtete auch Claire die dunkle Mähne seines Mannes, als dieser damit begann eine einzelne Strähne aus dem Gestrüpp zu fischen. Tatsächlich bewies auch Cassie sich als ein ziemliches Vorzeigeexemplar was schnellen und unkontrollierbaren Haarwuchs anging, eine Fähigkeit die der Schamane ihm gar nicht zugetraut hätte – immerhin hatte Claire ihn bis dato ausschließlich mit kurzen Haaren gekannt. Wann immer es möglich war, hatten die schlanken Finger mal hier, mal da die Schere angesetzt und im Gegensatz zu dem unzivilisierten Barbaren, war Matthew selbst im tiefsten Dickicht niemals in die Verlegenheit gekommen wie der wilde Wanderer auszusehen, der er an der Seite des Jägers eigentlich geworden war.
Seinem damaligen Freund-Liebhaber-Wieauchimmermanesnennenmochte den unfeinen Deal mitten auf dem Markt in Coral Valley aufzudrücken, war im Grunde nichts anderes als ein hinterlistiger Scherz gewesen mit dem Clarence hatte ausloten wollen, wie lange es der Schönling tatsächlich ohne seine Routinepflege aushielt. Dass die brauenen Strähnen jemals so lang werden würden, hatte er damals nicht kommen sehen – und doch hatte er das Verwegene und Wilde an Matthew genauso lieben gelernt, wie auch den Mann der daran mit angewachsen war.
Es würde ihm fehlen morgens neben dem Jüngeren aufzuwachen, ihn anzublicken und dessen Gesicht umrahmt zu sehen von der dunklen Pracht; auf der anderen Seite aber hatte Claire nur zu gut in Erinnerung welch stattliches Kerlchen sein Kerl war, trug er die Haare verhältnismäßig kurz geschoren und ordentlich. Nicht selten hatten sich die Köpfe von Männern und Frauen nach diesem verboten gutaussehenden Typen umgedreht und sie beide wussten nur zu gut, dass auch Clarence selbst seine Blicke nicht von Matthew hatte lassen können, wenn auch mehr oder weniger gut verborgen.
Dennoch gab es da erst noch gewisse Hürden zu überwinden, bevor es überhaupt so weit kommen konnte. Warum sein Mann so an diesem alten Drecksding von Schere hing, verstand Claire tatsächlich nicht, dahingehend war seine Unwissenheit also wirklich nicht gespielt. Dass er nun aber auch noch mit dem Teil vergleichen wurde, grenzte beinahe schon an einer groben Beleidigung seines Stellenwerts für den Jüngeren.
Mit verzogener Schnute ließ er sich widerwillig am Bart zu seinem Partner heran ziehen, etwas besänftigt durch den entschuldigenden Kuss den man ihm angedeihen lassen wollte. Doch anstatt es so weit kommen zu lassen, ließ Cassie ihn doch tatsächlich auf dem Trockenen sitzen.
„Na immerhin reden wir hier über mich… ich dachte schon, du spielst damit auf den alten Sack an, der sich dein behandelnder Arzt schimpft“, frotzelte der Jäger und stichelte damit hinsichtlich Cassies zweifelhafter Vorliebe für Sexualpartner, von der Clarence der Meinung war, sein Mann besaß überhaupt gar keine. Obwohl… ein vollständiges Gebiss und einigermaßen annehmlicher Körpergeruch konnte man auch als Vorliebe durchgehen lassen, selbst wenn der Blonde nicht bezweifelte, dass Matthew bestimmt auch schon mal den ein oder anderen hochbetagten Kerl um den Finger gewickelt hatte. Und sei es nur deshalb, sich einen exklusiven teuren Abend auf fremde Kosten ausgeben zu lassen.
„Ich wäre zutiefst empört, wenn du mich ersetzen würdest. Ich hoffe, dass dir das klar ist“ – auch wenn er bezweifelte, dass man das noch groß klarstellen musste. Nehmen ließ Claire es sich trotzdem nicht sich wieder weiter über Matthew zu beugen, kaum da dieser sich von ihm entfernt hatte. „Wie sagt man so schön? Never change a winning team.
Mit den Hände neben dem schmalen Körper auf dem Bett aufgestützt und siegessicher ob seiner baldigen Chance groß als Herrencoiffeur durchstarten zu können, keilte er seinen verletzten und damit hilflosen Mann zwischen seinen Armen ein und unterband diesem die Fluchtwege, um ihm zu entkommen. Ob Cassie wollte oder nicht, aber einem Clarence Bartholomy Sky täuschte man keinen Kuss an, nur um ihm diesen dann nicht auch zu spendieren.
Man mochte sie kindisch schimpfen, die beiden abgehärteten Männer die sonst die unbeugsame See zähmten und schon hunderte von Meilen zu Fuß bewältigt hatten, aber der Jäger liebte jene Tage abgöttisch, an denen sie beide völlig losgelöst und ungezwungen miteinander umgingen. Das war nicht immer so und das wiederum kein großes Geheimnis, dafür hatte einer von ihnen viel zu oft aus den wenig nachvollziehbarsten Gründen schlechte Laune. Sich wenigstens ein Mal trotz der zurückliegenden Strapazen auf einem guten Fuß zu erwischen war ein Tag, den sie sich eigentlich rot im Kalender anstreichen mussten.
„Wie kommst du eigentlich darauf, der Kerl wäre ausgerechnet wegen dir hier, mh?“, kam der Bär seinem wehrlosen Süßen dabei bedrohlich nahe – doch anstatt ihn zu küssen sah man Clarence deutlich an, dass er die unüberlegten Attacken des Jüngeren sehr gut zu seinem eigenen Vorteil auszulegen wusste. „Vielleicht haben Arquin und ich uns ja ausgezeichnet verstanden, während du es bevorzugt hast Dornröschen zu spielen… immerhin habe ich irgendjemanden gebraucht, der mich über deine Abwesenheit hinweg tröstet. Warum sollte er sonst noch jeden Tag vorbei schauen wenn nicht deshalb, weil er sich immer noch Hoffnungen macht den fremden heißen Fast-Witwer abzugreifen, der beinahe wieder zu haben gewesen wäre…?“
Oh, Clarence beabsichtige ganz sicher nicht sich für die Zeit in der Matthew unpässlich war einen Freund mit gewissen Vorzügen anzuschaffen, noch wäre er direkt wieder zurück auf dem Heiratsmarkt gelandet, wäre Cassie tatsächlich abgetreten. Aber gerade übte das Spiel mit dem Feuer eine gewisse Faszination für ihn aus, immerhin konnte sein Mann ja wirklich nicht mit aller Gewissheit sagen was hier los gewesen war, während er selbst im Koma gelegen hatte.
„Er ist ein bisschen komisch in seiner Art, aber ich sage dir… wenn er mir leise Clarence Sai ins Ohr flüstert… da wird mir immer ganz warm im Höschen.“


Matthew C. Sky

Der weise Spruch niemals ein Siegerteam zu ändern, klang aus dem Munde von Matthews Freund irgendwie amüsant und sofort kehrte das freudige Funkeln in die dunklen Augen des Jüngeren zurück. Er hatte dem wilden Barbaren mit den weichen Lippen einen Kuss versagt und nun hatte sich der Hüne aufgemacht um sich zu rächen.
Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in Matthews Bauch aus, kaum da sein eigensinniger Gatte sich erhoben und über ihn gebeugt hatte. Eingekeilt zwischen den Armen des Blonden konnte der angeschlagene Patient in keine Richtung ausweichen und selbst wäre das anders gewesen, so hätte er darauf verzichtet. Viel zu gern ließ sich Matthew nämlich von seinem Jäger einfangen und sich von dessen Lippen zur Geisel nehmen. Eine Vorliebe, die sich seit ihrer Eheschließung immer deutlicher manifestiert hatte.
Niemand konnte im Nachhinein mehr sagen ob ihre Beziehung zueinander auch dann so innig und vertrauensvoll geworden wäre, hätten sie nicht geheiratet oder eine Hochzeit auf später verschoben. So übereilt alles auch gewesen sein mochte, es hatte sich gezeigt, dass das Tempo für beide jungen Männer das vollkommenen Richtige gewesen war.
Sie waren beide eine viel zu lange Zeit um den anderen herumgeschlichen, wie zwei ausgehungerte Wölfe um ein Stück Lammfleisch. Sie hatten einander belauert, sich aneinander aufgerieben und obwohl der Hunger nach mehr immer stärker geworden war, hatten sie sich nicht so richtig nach vorn gewagt. Misstrauisch und skeptisch darüber ob es das Risiko wirklich wert war. Erst ihr Streit in bitterer Kälte, welcher Matthew vor Augen geführt hatte wie sehr er um Clarence fürchtete, hatte den Jüngeren mutig sein lassen. Eine Entscheidung getroffen in weniger als einer Sekunde, die alles für sie beide verändert hatte. So etwas, davon war Matthew überzeugt, passierte einem nur ein einziges Mal im Leben.
“Wie kommst du eigentlich darauf, der Kerl wäre ausgerechnet wegen dir hier, mh?“
Warm traf der Atem des Blonden auf Cassiels Haut auf und seine Augen - eben noch amüsiert funkelnd - verengten sich zu schmalen, abwartenden Schlitzen.
Man konnte von dem Jäger halten was man wollte, man konnte ihn ungehobelt und unkultiviert schimpfen, einen wilden Barbaren ohne Sinn für Kultur und Kunst. Aber eines musste man Clarence einfach lassen: er lernte schnell. Matthews Andeutung nutzte der Schamane gänzlich ungeniert für seine eigene Geschichte und ehe sich Cassiel versah, drehte Clarence den Spieß um und machte Arquin zu seinem Verehrer. Und verdammt nochmal, die Worte verfehlten ihr Ziel nicht.
So wie der Dunkelhaarige wenige Augenblicke zuvor einen Kuss angetäuscht hatte um ihn am Ende doch zu verwehren, überbrückte nun auch Clarence die winzig gewordenen Distanz ihrer Münder nicht. Stattdessen suggerierte er unverblümt, sich während Matthews Koma mit Arquin getröstet zu haben.
Wäre dem wirklich so gewesen, würde der Blondschopf das nicht so mir nichts dir nichts herausplappern, doch davon einmal abgesehen pflanzte die bloße Vorstellung schon Eifersucht in den lädierten dunkelhaarigen Dickschädel. Auf der logischen Ebene seines Verstandes war Matthew völlig klar, dass nicht stimmte was der Ältere da so süffisant in den Raum warf. Clarence nutzte lediglich seine Waffen und verwendete sie gegen ihn, das war nicht fair aber es war clever. Ein wilder Barbar - wie manch einer sicher dachte das Clarence einer war - würde wohl kaum derart geschickt und zugleich unverfroren vorgehen.
Matthew wusste auf das ruchlose Gesäusel seines Mannes im ersten Moment ausnahmsweise nichts zu erwidern. Er wusste wirklich nicht was passiert war während er bewusstlos hier gelegen hatte und genau das war der Punkt warum er überhaupt auf das Gerede des Größeren ansprang und es nicht einfach abtat.
Auf der einen Seite war da also dieser dunkelhaarige Kerl, der jeden Tag bei ihnen aufkreuzte und ihnen erzählte was draußen so los war. Ein Kerl der sie eigentlich nicht kannte und der sich dennoch um sie scherte - aus unbekannten Gründen. Er sah Matthew auch irgendwie ähnlich sodass Clarence ihn möglicherweise beziehungsweise ziemlich sicher attraktiv fand.
Auf der anderen Seite hingegen war Clarence sein Mann und die treuste Seele die Matthew kannte. Wenn er anfing an Clarence’ Liebe zu ihm zu zweifeln, könnte er ebenso gut gleich anzweifeln das Menschen Luft zum Atmen brauchten.
Trotzdem schaffte er es nicht zu verhehlen, dass die Widerhaken des Gesagten sich in seinem Kopf verfangen hatten. Cassiel war in vielen Dingen gut. Aber seine Launen konnte man ihm schon immer an der Nasenspitze beziehungsweise seinen ausdrucksstarken Augen ansehen.
„Vielleicht habt ihr das wirklich…Charmant wie du sein kannst.“, erwiderte der Dunkelhaarige nachdenklich und versuchte dabei nicht angefressen zu klingen, sondern möglichst unbeteiligt, ganz so als ginge ihn all das nichts an und als würde der Versuch ihn aufzuziehen vollkommen scheitern. Er wollte sich nicht anmerken lassen, dass die Vorstellung ihm zusetzte und ihn reizte, aber gut war er darin nicht gerade. „In dem Fall muss ich mich ja fast dafür entschuldigen wieder aufgewacht zu sein. Kann mir vorstellen das hat eure zarte Verbindung erstmal wieder zurückgeworfen…“
An sein erstes Erwachen konnte sich der junge Mann nicht mehr erinnern, aber dafür wusste er noch zu gut wie Clarence neben seinem Bett gewacht hatte, als er endlich wirklich sein Bewusstsein wiedererlangt hatte. So sah kein Mann aus, der sich derweil mit einem anderen tröstete. Zu keiner Sekunde glaubte Matthew wirklich das an den Sticheleien des Blonden etwas Wahres dran war, anderenfalls wäre seine Reaktion weit weniger gemäßigt. „Vielleicht wird dir aber auch nur warm im Höschen weil du jetzt in einem Alter bist, in dem du es nicht mehr so gut halten kannst bei Aufregung…“
Mit gespielter Mitleidsmine legte er den Kopf schief und machte bekümmert „Oooooch mein armer inkontinenter Freund…“ - selbstverständlich war es lächerlich auf dem winzigen Altersunterschied der sie vielleicht trennen mochte, herumzureiten. Aber da musste der Blondschopf nun durch, wer behauptete eine Affäre mit einem Anderen zu haben während sein eigener Mann bewusstlos war und ums Überleben kämpfte, durfte keine Schonung erwarten. „Soll ich Doktor Bennett diskret um ein Hilfsmittelchen für dich bitten? Keine Sorge, Arquin werde ich selbstverständlich nichts von deinem kleinen Problem verraten, damit eurer jungen Schwärmerei nichts im Wege steht.“
So unbekümmert und keck das Gesagte auch klang, es entsprang einem eifersüchtigen Matthew der - das konnte er nicht verheimlichen - Clarence auf den Leim gegangen war. Dass er wusste, dass es sich nur um leere Worthülsen handelte, änderte an der Eifersucht des dunkelhaarigen Schnösels gar nichts, so unlogisch das auch sein mochte. Abwägend wanderten seine Augen nun zwischen den Iriden seines Mannes hin und her. Auf der Suche nach irgendeinem Hinweis darauf, dass seine Worte nicht an Clarence abprallten. Wenn er über seinen eigenen Schatten springen könnte, würde er einfach sagen, dass solche Sprüche nicht witzig waren, dass er die Vorstellung nicht mochte - nicht mal aus Spaß. Aber wenn es etwas gab das Matthew mal den Kopf kosten würde, dann waren das entweder seine Neugierde oder sein Stolz. Beides war unrühmlich stark ausgeprägt und Letzteres verbot es ihm immer wieder einfach zu sagen was er wollte oder was in ihm vorging. „Du bist ein Idiot, Sky. Nur das du das weißt!“, kam es dem jungen Mann schließlich doch noch erbost und unerwartet über die Lippen, womit sich offenbarte das seine Coolness nichts weiter war als Fassade.
Nie würde er freiwillig zugeben mit den eigenen Waffen geschlagen worden zu sein, doch an der Niederlage änderte das auch nichts. Der Punkt ging an den Blondschopf.
Es rettete Clarence buchstäblich den Hals, dass Matthew sich ihrer Verbindung sicher war und weder an Clarence’ Liebe noch Treue zweifelte. Es grenzte nichtsdestotrotz an ein Wunder, dass der Jüngere seinem Gefährten noch keine Kopfnuss für sein loses Mundwerk verpasste. Aber dazu war es noch nicht zu spät, vor allem dann nicht wenn sein unverschämter Gatte weiterhin derart bemüht war Matthew zu ärgern und aus der Reserve zu locken. Clarence gehörte ihm und die bloße Erwähnung das könnte eventuell-vielleicht anders sein, war schon sträflich genug.


Clarence B. Sky

Stures Böckchen neckte Clarence seinen Ehemann zuweilen, hielt ihm damit sein bockiges Verhalten vor Augen und den Dickschädel, welcher damit einher ging. Dieser Name mochte früher den Nagel auf den Kopf getroffen haben und tat es noch, zumindest dann, wenn man ihn im Kontext ihrer sündigen Spiele im Bett vernahm.
Doch war unlängst stur und widerborstig gewesen war, machte seinem Namen kaum noch alle Ehre. Viel eher war Matthew zu einem kleinen Katerchen verkommen.
Er war warm und anschmiegsam, suchte seine Kuscheleinheiten und liebte es trotz allem noch immer, kurze Spiele der Jagd zu zelebrieren. Er haschte nach dem was sich bewegte, war ein stolzes Wesen voller Kraft und Schönheit – aber, und das bewies er auch heute, seine Launen konnten von jetzt auf gleich umschlagen.
Was begonnen hatte in neckischem und doch zärtlichen beieinander, schlug mir nichts dir nichts in eine Situation um, während der sein kleines Katerchen es für sinniger erachtete auf die Lauer zu gehen und sich fürs Gefecht bereit zu machen, die Krallen bereits ausgefahren und doch noch harrend. Die kandisfarbenen Augen, zu abwartenden Schlitzen verengt, unterstrichen das Bild dabei nur zu gut und unlängst war aus einem süßen Spiel bitterböser Ernst geworden, aus dem Claire vielleicht nicht mehr unbeschadet heraus finden würde.
Der Jäger konnte sich nicht daran erinnern, wann Cassie das letzte Mal sprachlos gewesen war und nicht sofort zurück gefeuert hatte. Anstatt seinen vorlauten Schnabel aufzureißen und den Blonden verbal zu Kleinholz zu verarbeiten, sagte Matthew gar nichts – und mehr Worte hätte es auch nicht benötigt um seinen barbarischen, aber durchaus wachsamen Mann wissen zu lassen, wie tief seine Finte getroffen hatte.
Dabei war es gar nicht so, als habe er darauf abgezielt dem Jüngeren ernsthaft einen Stich ins Herz zu versetzen und so drollig Cassies Anblick im Moment auch sein mochte, sicher würde sein Bär nun kein Blut daran lecken. Aber, und das stand außer Frage, wer derartige Sticheleien in den Raum warf und damit in Kauf nahm einen Nerv bei Clarence zu treffen, der konnte auch durchaus mal die eigene Kost vorgesetzt bekommen.
Mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen, das der Größere nur mehr schlecht als recht unterdrücken konnte, musterte er den verbissenen Ausdruck auf Matthews Gesicht ganz genau und harrte der Dinge, beziehungsweise den scharfen Krallen die noch folgen mochten. Die nachdenkliche und durchaus ernst klingende Überlegung seines Mannes war nicht was Clarence als erste Erwiderung erwartet hätte und zeigte deutlich auf, dass Matthew ein derartiges Szenario gar nicht für so unmöglich hielt – auch wenn er sonst immer gerne zu betonen pflegte, wie schwer vermittelbar Claire doch sei.
An Tagen wie diesen durchaus an seinem Leben hängend, erwiderte der Schamane wohlweißlich gar nichts auf den Hinweis der zarten Bindung die durch Cassies Erwachen zurück geworfen worden war, auch wenn er noch immer anzweifelte, er könne auf irgendjemand anderen außer seinen Mann auf irgendeine Art und Weise charmant wirken. Er konnte sich ja nicht mal erklären warum Bennett ihm hier Tür und Tore öffnete obwohl er nicht mal diesem Gegenüber immer der freundlichste Gast war den man sich hätte wünschen können, aber irgendeinen Sinn für verschrobene Fremde mit Hunden von Mutter aus das ewige Eis schienen einige Leute hier auf dieser Insel zu haben.
Wer auch noch einen Sinn für solche Gestalten hegte, war definitiv Matthew – und wenn es auch nur darum ging eine passende freche Antwort zu finden, um das Gesagte seines Wilden auf rügsame Weise zu untergraben.
„…weil ich jetzt in einem Alter bin, in dem ich es nicht mehr so gut halten kann…?“, echote der Jäger daraufhin und seine blonden Brauen hoben sich etwas empor, ungläubig darüber wie weit unter der Gürtellinie Cassie nun kontern musste, um überhaupt gegen seine vorlauten Andeutungen zu kontern. Das helle Schmunzeln wurde derweil zu einem breiten Grinsen, denn spätestens jetzt konnte man sich bei Cassies süßer Schmollerei ganz und gar nicht mehr zurück halten.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der war er nicht in der Lage gewesen aus Cassie schlau zu werden, einfach weil er dessen Ausgangshaltung nicht vollends gekannt hatte. Gemeine Sticheleien, scheinbar bösartige Beleidigungen, schmollende Vorwürfe – all das war für ihn nichts mehr als die zickigen Launen des Söldners gewesen; unliebsame Charaktereigenschaften die man in Kauf nehmen musste, wollte man seinen Weg weiterhin mit den Dunkelhaarigen bewandern.
Doch heute, etliche Monate und ein neues gemeinsames Leben später, wusste Clarence nicht nur akute Begebenheiten neu zu interpretieren, sondern die Erkenntnisse dessen auch auf Vergangenes umzumünzen. Oh was war er nur für ein Narr gewesen, als Cassie ihm damals im gleichen schneidenden Tonfall an den Kopf geschmissen hatte, er wäre dagegen dass der Jäger diesem dummen Wildschwein hinterher hetzte, welches er letzten Endes sowieso nicht gefangen hatte. Genauso gut hätte sein Mann ihm hier in diesem Bett sagen können, er wolle später seine Handschuhe zurück haben – der Tonfall wäre der gleiche gewesen, doch erst heute war Clarence dazu in der Lage eben jenes heraus zu hören, was sein Mann nicht in der Lage war von sich aus zu formulieren:
Ich liebe dich und das hier gefällt mir nicht. Ich werde nicht über meinen eigenen Schatten springen, aber lass mir meinen Stolz.
So wie Matthew heute nicht in der Lage war zu sagen, er hielte dieses Hirngespenst für eine durchaus mögliche Realität, war er auch damals nicht fähig gewesen seine Angst um Claires Leib und Leben zu formulieren. Viele Dinge mochten sich zwischen ihnen bereits gewandelt haben, aber andere Dinge änderten sich vielleicht nie.
Das zu akzeptieren, den anderen zu nehmen wie er war und ihn nicht trotz, sondern wegen seiner Macken zu lieben – das war der Zauber der die beiden jungen Männer umgab und sie beieinander hielt, ebenso wie dieser es auch war, der Clarence dazu brachte nun doch die Distanz zwischen ihren Mündern zu überbrücken.
Den Jüngeren noch immer eingekeilt zwischen seinen Armen, küsste er verliebt das freche Mundwerk seines Gatten, bedachte die fremde Nasenspitze mit seinen Lippen und auch behütend die Stirn des Jüngeren, bevor er seinen Rundgang wieder am vorlauten Schnabel Cassies schloss und ihm einen sanften, aber kurzen Kuss abnötigte.
Noch immer hatte sich das helle Schmunzeln nicht aus Clarence‘ Gesicht vertreiben lassen, aber wie hätte das auch möglich sein sollen? Kaum aus dem Reich der Toten wieder empor gestiegen, schien Cassies derzeit größte Sorge ein möglicher Seitensprung seines Partners zu sein und allen Zweifeln zum Trotz war ausgerechnet dieser verschobene Schwerpunkt es, der Matthew auch noch nach Tagen eindeutig als ihn selbst auswies – trotz Kopfverletzung.
„Selber doof, Sky“, neckte nun der Blonde, frech wie ein kleiner Bube, denn auch Cassie stand einem kleinen bockenden Kind gerade in nichts nach. Selbst heute noch bereitete es ihm ein warmes Prickeln der Magengrube seinen Mann mit diesem Namen anzusprechen und bei Gott, hoffentlich verlor sich dieses Gefühl niemals.
„Was will ich mir einen zweiten Kerl anschaffen, wenn ich mit dem einen kaum fertig werde, den ich schon hab?“ – Eine berechtigte Frage, denn Matthew forderte an manchen Tagen nicht gerade wenig Aufmerksamkeit und wenn er nicht als Patient an ein Bett gefesselt war, forderte er seinen Jäger auch körperlich genug für zwei, wenn die Zeit es zuließ.
„Außerdem ist unser Boot zu klein für einen Harem, das kommt noch hinzu. Da bleibt mir nichts anderes übrig als mich weiterhin meiner monogamen Ehe mit meinem schönen Mann hinzugeben – eine Schande für den Rest der Welt, ich weiß“, seufzte Clarence theatralisch, denn natürlich war es von Anfang an nicht in seinem Sinne gewesen, sich und seinen Adoniskörper den anderen Menschen dieses Landes auf ewig zu entsagen. Den Verlust hinnehmen zu müssen, musste Matthew den Leuten dann irgendwie beibringen.
Clarence für seinen Teil bereute es ganz und gar nicht sich lediglich auf diesen einen Mann konzentrieren zu müssen anstatt sich noch auf irgendwelche Liebhaber aufzuteilen, denn keinem wollte er so gerne gehören wie Cassie und selbst wenn sich ihm die Chance geboten hätte, er wollte auch bei keinem andere Mann liegen solange sein schönes stures Böckchen ihn zwischen dessen Schenkel einlud.
„Ob du also willst oder nicht: Ich und meine nassen Hosen gehören alleine dir, du wirst uns so schnell nicht mehr los werden.“


Matthew C. Sky

Nein, Matthew würde wahrscheinlich nie über seinen Schatten springen und sagen wo ihm der Schuh drückte. Zumindest nicht dann, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte.
Diese Charaktereigenschaft würde es wahrscheinlich für jeden schwer machen jemals wirklich mit ihm als Partner zurechtzukommen. Zwar konnte man mit Matthew durchaus eine Menge Spaß haben, aber andersherum war er launisch und ziemlich kompliziert, man musste ihn lesen können oder - wenn man das nicht konnte - ein dickes Fell haben. Clarence verfügte über beides. Er kannte den Dunkelhaarigen, wusste seine Anwandlungen einzuordnen und noch dazu war er nicht nachtragend oder zartbesaitet. Jede andere Konstellation würde über kurz oder lang zu einem totalen Zerwürfnis führen, da war es nichts weniger als großes Glück, dass sich beide jungen Männer gefunden hatten. Matt, der einen nachsichtigen und doch bestimmten Partner brauchte damit sein Temperament ihm nicht den Hals kostete und Clarence, dem es gut tat hin und wieder aus der Reserve gelockt zu werden, war sein Leben bisher doch viel zu trist und einsam gewesen. Sie bereicherten einander ohne es unbedingt je darauf angelegt zu haben, waren einfach füreinander geschaffen. Manchmal kam Matthew das noch immer surreal vor, wie ein Traum den er hatte weil Rouge ihm irgendeine Droge verabreicht hatte um ihn ruhig zu stellen. Aber wäre das so, wäre Clarence dann in ein Feld voller spinnen gezogen? Wäre er darin fast umgekommen, eingewebt in einen Kokon? Nein, für einen Traum oder eine süße Halluzination war ihr Leben zusammen zu turbulent und zu gefährlich verlaufen. Nein, ihr Zauber entsprang keiner Substanz, sondern sie trugen ihn in sich - jeder für sich allein. Doch nur zusammen konnte er wirken.
Selbst in Momenten die leicht hätten kippen können und früher auch gekippt wären, lösten die Launen des Jüngeren immer seltener eine Krise aus, was allen voran daran lag, dass sie einander mittlerweile viel besser verstanden.
Statt sich stumm zu erheben und Matthew für seinen Hieb unter die Gürtellinie abzustrafen, blieb er bei ihm sitzen und ein helles Schmunzeln nahm sein Antlitz ein.
So selten wie es war, so sehr wärmte es nun das Herz des kampfbereiten Katerchens.
Von den Lippen bis hin zu seinen Augen strahlte Clarence amüsiert und frech, sogar seine Ohren hoben sich ein Stück, so breit war das Grinsen.
Wie ein unverschämter Junge, der sich über irgendeinen verbotenen Schabernack amüsierte, sah der Jäger aus, den ein Großteil der Welt nur ernst und kalt kannte.
Aber die glänzenden grauen Augen die Matthew ansahen waren alles andere als kalt und ernst. Sie waren warm und voller Leben, Augen die Matthew liebte und immer lieben würde. Clarence erwärmte sein Herz und hätte nicht der Blondschopf die winzige Distanz ihrer Lippen überbrückt, so hätte Cassiel es spätestens nun getan.
Sehnsüchtig drängte sich der junge Mann dem von goldenen Flachs umrahmten Mund entgegen, schloss seine Augen und genoss die Liebe und Nähe die sie einander gaben.
Clarence gehörte zu ihm, er machte das er sich leicht und losgelöst fühlte. Der Hüne machte ihn vollständig, er machte ihn glücklich, er machte ihn heil.
Kurz nur währte der Kuss, zu kurz wenn es nach dem Jüngeren ging, aber Clarence beließ es nicht nur bei diesem einen. Noch immer lächelnd hauchte ihm der Schamane einen Kuss auf Nase und Stirn - innige und zarte Berührungen von einem Mann der auf andere grob und ungehobelt wirkte.
“Selber doof, Sky.“, kam es keck über den süßen Mund des Größeren, kaum da seine Lippen wieder frei waren. Auch bei Matthew löste der Nachname seines Liebsten, der unlängst auch sein eigener Nachname geworden war, ein warmes Kribbeln aus und das Lächeln, dass vorhin verschütt gegangen war, kehrte endlich wieder in sein Gesicht zurück. Er hob eine Hand und legte sie an die Wange des Blonden. Mit dem Daumen strich er verliebt über die weiche Haut unterhalb von Clarence’ Jochbein und musterte seinen wilden Barbaren, der so gar nichts Barbarisches an sich hatte, blickte man einmal hinter die Fassade. „Die Welt weiß nicht was ihr entgeht…“, pflichtete Matthew dem Anderen bei, wobei seine Stimme besänftigt und doch heiter klang.
Mit den Fingerspitzen malte er vorsichtig über Clarence’ Nasenrücken hinweg und als er auf der anderen Seite war strich er zurück zu diesem um hauchzart vor bis zur Spitze der markanten Nase zu streicheln. Fasziniert - so als würde er den Hünen zum ersten Mal berühren - glitt Matthew mit dem Finger über die Klippe der Nasenspitze hinaus und führte die Hand an eine von Clarence’ Augenbrauen um dort den Härchen in Wuchsrichtung zu folgen. „Hmmm…“, machte er dabei nachdenklich und noch immer wie gefangen.
„Du könntest der Kapitän des größten Schiffes der Welt sein, größer noch als die Schiffe die die Alten gebaut haben…Ich würde jeden in deinem Harem über Bord werfen, bis nur noch wir zwei übrig sind.“ Verträumt klang das Gesagte, aber Matthew meinte es ganz ernst. Er hatte in seinem Leben nie etwas wirklich nur für sich gehabt, alles hatte er stets teilen müssen. Alles was ihm je lieb und teuer gewesen war, war ihm irgendwann wieder weggenommen worden. Bei Clarence würde ihm das nicht passieren, Matthew würde es schlicht und ergreifend nicht zulassen.
Er wollte diesen Mann, wollte ihn mit Haut und Haaren. Jede Narbe, jede Macke, jedes wirre Haar und alles was zu ihm gehörte.
„Ich liebe dich, Baby.“, erst jetzt ließ er seine Hand wieder sinken und stützte sich hinter sich ein bisschen ab um sich aufzurichten. Die andere Hand legte er in Clarence’ Nacken um den Größeren bei sich zu halten während er ihn küsste.
Die weichen Lippen des Wildlings schmeckten nach Vertrauen und Liebe und nichts anderes sollte jemals wirklich zwischen ihnen herrschen. Matthew glaubte nicht wirklich das der Blonde ihn mit Arquin oder irgendeinem anderen Menschen betrogen hatte, aber allein die bloße Vorstellung gefiel ihm schon nicht. Wenn Matthew seinen Wildling ansah, dann sah er nicht mehr den harten und ernsten Kerl. Er sah keinen schweigenden und miesgelaunten Hünen der andere mit bloßen Blicken zum verstummen brachte.
Matthew sah Wärme und Nachsicht im Stahlblau der fremden Iriden, er sah ein bubenhaftes Schmunzeln auf den geschwungenen Lippen, er sah Hingabe in jeder Regung. Für ihn war es ganz und gar nicht abwegig das sich ein anderer Mensch in seinen Mann verliebte, dass ein anderer Mensch in Clarence das sah, was Matthew erblickte. Sehnsüchtig raunte Cassie in den Kuss, streichelte währenddessen durch den Nacken des Älteren und wickelte dabei eine der blonden Strähnen um einen seiner Finger.
Für eine kleine Weile schien es, als wäre er gänzlich unwillig den Anderen je wieder freizugeben und so ganz falsch war das auch nicht. Dennoch löste sich der Dunkelhaarige schließlich wieder notgedrungen, hielt seinem Gatten jedoch weiterhin dicht bei sich.
„Und wenn du mich auch liebst…“, flüsterte er mit Bedacht, den Blick in die Augen des Hünen gerichtet. „Dann gehst du jetzt los, suchst eine Schere die nicht aus der Küche kommt und machst mich hübsch. Und dann, machst du mir ein Bad.“ Und wenn er all das getan hatte, würden sie weitersehen. Vielleicht - wenn es ihm danach noch gut ging - erlaubte Bennett es ja das er das Bett verließ und mit Clarence’ Hilfe ein bisschen auf den Beinen blieb. Ein frommer Wunsch, den Matthew aufgrund der hohen Unwahrscheinlichkeit nicht offen ansprach.


Clarence B. Sky

Vielleicht wusste die Welt wirklich nicht was ihr entgeht, zumindest kam es Clarence immer öfter so vor wenn er sah, wie der einst vorsichtige und in sich gekehrte Söldner in seiner Gegenwart auftaute. Man mochte ihn für extrovertiert gehalten haben, den schönen und nach Spaß und Zerstreuung suchenden Matthew Cassiel Reed – doch nur wer ihm näher war als Hure, käuflicher Knabe oder anderweitiger Bettgespiele wusste, dass dem ganz und gar nicht so war.
Freche Worte und kecke Konter waren nichts anderes gewesen als Fassade, eine Mauer aus Leben um zu verbergen, wie trist und grau es in Cassies Innerstem ausgesehen hatte. Zweifel hatten viel zu lange diesen Mann kontrolliert; ihm ein falsches Selbstbildaufgedrängt und ein viel zu missratenes Selbstwertgefühl, auch wenn es dafür gar keinen Anlass gab. Als Duzendware hatte er sich damals im dunklen Schlafzimmer der Villa bezeichnet und Clarence wagte nicht anzuzweifeln, dass sein geliebter Mann sich tatsächlich als solche empfunden hatte.
Es musste anstrengend gewesen sein über so viele Jahre hinweg das Bild des großzügigen jungen Reisenden aufrecht gehalten zu haben, sich mit Frauen und Männern zu vergnügen nur um zu später Stunde in aller Einsamkeit die dunkelsten Gedanken über sich selbst zu hegen. Aber vermutlich war genau das der Grund, warum der Jüngere rückblickend stets die Gesellschaft anderer gesucht hatte: Um gar nicht erst bis zu diesem Punkt gelangen zu müssen, an dem seine deprimierenden Gedanken freien Raum zur Entfaltung bekamen.
Es war einfach zu vergessen wer man war wenn man sich nur intensiv und lange genug verlieren konnte, aber niemanden befreite das auf Dauer von dem, was tief in einem schlummerte. Früher oder später brach es heraus, genauso wie es während ihrer innigen Zweisamkeit aus dem Dunkelhaarigen heraus gebrochen war und bei Clarence schon Monate zuvor, im deprimierenden Lager seines angestrebten Todes.
Auch heute glaubte der Schamane nicht daran, alle ihre Selbstzweifel könnten gänzlich aus ihnen vertrieben worden sein – dafür kannte Claire das Leben zu gut. Es war ein mieses Biest, das immer dann zuschlug, wenn man es am allerwenigsten brauchte. Dennoch war es unübersehbar wie gut sie einander taten und dass der jeweils andere ihre besten Seiten zum Vorschein brachte, als hätten sie die fremden Katakomben besucht und dort nach Jahren des Rottens endlich Klarschiff gemacht.
Und eventuell vielleicht, daran glaubte Clarence mit jeder Faser seines Leibes, standen in den dunklen Kellern ihrer Erinnerung eines Tages alle ihre Zweifel und ihre Bedenken anstelle der Liebenswürdigkeiten, die sie beide für die Welt unentbehrlich machten.
Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen betrachtete der Blonde aus aller Nähe seinen Mann und musterte die kandisfarbenen Iriden fasziniert, während Matthews Fingerspitzen ihn zu erkunden begannen als wäre es das erste Mal. Das hauchzarte Streichen der fremden Kuppen war keine neue Erfahrung zwischen ihnen beiden und trotzdem genoss Claire es jedes Mal aufs Neue dem Jüngeren derart nahe zu sein – denn derartige Intimität genoss man zuweilen nicht mal mit den besten Freunden, so hoch war die Gefahr dass einem in den Rücken gefallen wurde und man währenddessen ein Messer zwischen die Rippen bekam. Sie lebten in einer rauen und oft blutrünstigen Welt, doch in Gegenwart von Cassie war sie alles andere als das; eine Erkenntnis die den Jäger immer wieder einfing und ihn vergessen ließ, welche Sorgen ihr Alltag sonst mit sich brachte.
Die Vorstellung wie Cassie tausende von Menschen über Bord warf nur um ihn für sich alleine zu haben, ließ einen weichen Ausdruck in die blaugrauen Iriden des Hünen schleichen und willig ergab er sich in den weichen Kuss, die Androhung des Jüngeren im Raum stehen lassend. Nichts in ihrem Umgang wies mehr darauf hin, es hätte jemals anders zwischen ihnen sein können und nie mehr wollte er die weichen Lippen des anderen missen, während sich fremde Finger verspielt in seinem Haar verloren. Wie war es nur gewesen als sie nicht die beiden Männer von heute gewesen waren, sondern zwei Gefährten auf Distanz und voller Missmut?
Clarence konnte sich nicht erklären wie er so lange die Lippen Cassies hatte entbehren und ihn nicht in seiner Nähe haben können, wie es nur möglich gewesen war, dass so bewusst die Mauern zwischen ihnen aufrecht erhalten hatten. Er machte sich längst keine Vorwürfe mehr darüber, dass sie all das hier schon viel früher hätten haben können – denn wer wusste schon, wo sie dann heute stehen würden? Er mochte sein Leben wie es mit Matthew war und wohin ihre völlig übereilte Hochzeit sie gebracht hatte. Nichts hiervon fühlte sich falsch an, jeder Schritt war richtig – und selbst wenn sie im Streit zwei zurück taten, so fanden sie doch immer wieder schnell zueinander um gemeinsam wieder voran zu gehen.
Zufrieden brummte der Bär in den Kuss aus dem sein Mann ihn schienbar nicht entlassen wollte, der sich aber doch früher oder später lösen musste, wollten sie heute jemals aus diesem Bett hier heraus kommen. Nicht, dass das verlockender gewesen wäre als den Rest des Tages neben Matthew zu liegen, aber Fortschritte machten sie durch ihre verliebte Faulheit auch nicht und dabei sollte eben das derzeit eigentlich an erster Stelle stehen. Eigentlich.
„Ich befürchte…“, raunte Claire leise kaum da seine Lippen wieder der unliebsamen Freiheit übergeben worden waren, „…ich weiß nicht wie ich dich noch hübscher machen soll, also zweifle bloß nicht an meiner Liebe nur weil ich deinen Erwartungen nicht gerecht werde.“
Das wäre dann wohl auch ziemlich anmaßend, immerhin gab sich Clarence zumeist die allergrößte Mühe - auch wenn er nicht immer Lust auf alle verrückten Ideen seines Partners hatte.
„Falls Gretchen nichts außerhalb der Küche hat, besitzt der Quacksalber sicher eine Heckenschere. Ich geb also mein Bestes.“ – Ein eigentlich kecker Scherz der die Äußerungen des Jüngeren mal wieder ganz und gar zu seinem eigenen Vorteil auslegte und diesen hoffentlich nicht allzu zuversichtlich stimme – immerhin war nichts so herrlich wie ein Schnösel der um seine eh schon zerschnittene Haarpracht fürchtete – aber der Clarence durchaus zuzutrauen wäre, so simpel wie der Jäger oftmals die Lösung von Problemen anging.
„Du bleibst genau hier und wartest auf mich, okay? Und dann werden wir sehen, wie wir dich wieder tageslichttauglich bekommen.“
Nicht dass Cassie alleine dazu in der Lage gewesen wäre große Sprünge zu machen, aber man wusste ja nie.
Mit einem wieder aufgeflammten spitzbübischen Grinsen auf den Lippen stahl er abermals seinem Geliebten einen Kuss, der Letzte bevor er sich wiederwillig vom Bett erhob um auf großen Beutezug zu gehen. Schon jetzt hörte er Bennetts Bedenken in seinen Ohren klingeln was das Bad und überhaupt alles anging, denn so sehr der Arzt ihn auch in seinem Haus dulden mochte, so wenig schienen sie oft einer Meinung zu sein. Da lag Cassie schon viel eher mit dem alten Kerl auf einer Wellenlänge. Aber so waren sie nun mal, die Sektenmitglieder der guten alten Schulmedizin.


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