Doktor Bennetts Haus
13. Mai 2210
Das Bitten und Flehen, die verzweifelten Worte und die Stoßgebete die Clarence gen Himmel schickte, all das blieb nicht ungehört, auch wenn ausgerechnet derjenige an den sie adressiert waren, sie nicht vernahm.
Arquin Heath war nur einer der Menschen, der immer wieder Zeuge der traurigen Klagelaute wurde wenn er die Fremden besuchte um sich zu erkundigen wie es dem Verletzten ging und ob es etwas gab das er tun konnte um zu helfen.
Die Antwort die er bekam war stets die selbe: der Zustand des Dunkelhaarigen war schlecht und die Prognose nicht besser. Helfen konnte er nicht, da der Mann des Verwundeten dessen Pflege ganz allein übernahm und auch nicht wollte, dass irgendein anderer Hand an seinen Partner legte.
Doktor Bennett hatte Clarence Stunden nach dessen ersten Besuch bei dem Verletzten noch einmal erklärt, was für Optionen ihm nun blieben und welche Aussichten es gab. Erwachte der junge Mann innerhalb der nächsten zwölf Stunden, könnte man vorsichtig optimistisch sein. Mit jedem weiteren halben Tag der verstrich sanken hingegen die Chancen auf ein Überleben.
Als der Dunkelhaarige am Tag und der darauffolgenden Nacht des feigen Angriffs nicht zu sich kam und sich damit die offene Hoffnung Bennetts nicht erfüllt hatte, sanken die Chancen einer Genesung noch einmal erheblich. Eine bloße Fraktur des Jochbeins hätte keine solch anhaltende Bewusstlosigkeit bewirkt, die nahezue Abwesenheit von Schmerzreaktionen und der schwache Puls des jungen Mannes...all das ließ den Arzt von Stunde zu Stunde pessimistischer werden was ein Überleben betraf.
Als am Abend des dreizehnten Mai noch immer keine erkenn- oder messbare Verbesserung von Matthews Gesundheitszustandes eingetreten war, musste Bennett mit dem Blonden - der sich mittlerweile als Clarence Sky vorgestellt hatte - ein Gespräch führen das er allen Beteiligten gern erspart hätte, dass jedoch unausweichlich war. Als Ehemann des verletzten Matthew Sky war Clarence legitimiert zu entscheiden inwieweit man seinem Partner weiteres Leid ersparen wollte oder ob die Behandlung trotz aller zunehmend düsteren Aussichten fortgesetzt werden sollte.
Nachdem Bennett alle Optionen und Aussichten Clarence dargelegt hatte - ohne ihm zu einer Erlösung oder einer Weiterbehandlung zu raten - war der Hüne wieder in das Krankenzimmer des Dunkelhaarigen zurückgekehrt und hatte sich - wie die Tage davor auch schon - in Gebete vertieft.
Clarence trank zu wenig und aß nichts, Tag und Nacht harrte er an der Seite seines Mannes aus, half Bennett bei der Wundversorgung und schickte jeden außer den Arzt fort, der ihm irgendwie zur Hand gehen wollte. Trotzdem nahm Arquin sich jeden Tag ein paar Stunden Zeit um bei den beiden Männern zu sein, dann saß er stumm an der anderen Seite von Matthews Bett und sah den jungen Mann an. Seine Haut wirkte wächsern, sein Gesicht puppenhaft. Würde sich der Brustkorb nicht in regelmäßigen flachen Zügen immer wieder heben und senken, man hätte meinen können Matthew sei gar nicht echt. Aber das war er - so echt wie der Kummer und der Schmerz des Blonden, der zu keiner Zeit aufhörte um den Bewusstlosen zu kämpfen.
Er wollte und konnte ihn nicht loslassen, selbst wenn er für den Rest seines Lebens in diesem Zimmer auf den Knien hocken musste, die Hand seines Mannes haltend und wissend, dass dieser nie wieder erwachen würde.
Es war am Abend des vierzehnte Mai als Arquin an der Zimmertüre klopfte und kurz darauf eintrat. Der Verletzte lag da wie immer, reglos, das Gesicht verfärbt von Einblutungen und noch immer teilweise geschwollen. Das dunkle Haar war ihm gewaschen worden, das Bettzeug hatte man gewechselt und frisch bezogen. Ein Fenster war geöffnet und ließ frische Luft hinein.
"Es ist kalt und Ihr holt Euch noch den Tod, Sai Clarence." - schon vor Tagen hatte er aufgehört eine Antwort zu erwarten, denn oftmals bekam er sowieso keine.
Dabei war es nicht einmal so, dass der Blonde besonders unhöflich zu ihm war, er war einfach untröstlich und nicht interessiert an neuen Bekanntschaften, an Gerede oder Gegenwart anderer. Arquin verstand das, weshalb er die meiste Zeit im Zimmer Matthews vollkommen still war. Nur ab und zu versuchte er sich an einem Gespräch mit Clarence um ihn zumindest für die Dauer weniger Minuten abzulenken.
"Die Mitchell Schwestern sind noch immer in Gewahrsam.", setzte er Clarence in Kenntnis und umrundete das Bett in dem Matthew noch immer so reglos lag wie seit dem Moment, als er auf dem Markt zu Boden gegangen war.
Arquin schloss das Fenster und zog erst die Gardine und dann den Vorhang davor.
"Gerade...beraten der Bürgermeister und eine Handvoll Zeugen über ihren Verbleib. Seit einigen Jahren ist es eigentlich hier üblich mit Verbrechern so zu verfahren wie in den großen Städten. Mit Anhörungen, Prozessen und einem richterlichen Urteil."
So wie Arquin das erzählte war es überdeutlich, dass auf diesen Satz ein 'Aber' folgen würde und in der Tat fiel dieses Wort, nachdem er sich an die Seite von Matthews Bett gesetzt hatte. "Aber nachdem was passiert ist, fordern die Leute ein Urteil auf die alte Weise. Das würde bedeuten, dass der Geschädigte entscheidet was passiert. Wenn der Geschädigte das nicht kann.. obliegt die Entscheidung seinem nächsten Angehörigen." - wache braune Augen suchten Clarence' Blick.
Er wusste nicht ob er sich dieses Schicksal für die Mitchell Schwestern wünschen sollte oder nicht, was sie getan hatten wir unentschuldbar und grausam - und doch würde Arquin sich stets für ein richterliches Urteil, dem eine Verhandlung vorausgegangen war entscheiden.
Wieder in Schweigen verfallend sah der junge Mann auf den Verletzten und seufzte. Es kam ihm vor als würde er all das schon einmal erlebt haben und in gewisser Weise war das auch so. "Ich hatte mal einen Freund aus Kindertagen...wir sind zusammen aufgewachsen, er und ich und ein paar andere Jungs. Als der Krieg kam, haben wir unsere Stadt verteidigt - und gewonnen - aber mein bester Freund ist gefallen." - seine Stimme war nachdenklich geworden als er sich jener vergangenen Zeit erinnerte, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. "Tut mir leid...mein Geschwafel ist sicher nicht was Ihr nun hören wollt."
"Ich hatte mal einen Freund aus Kindertagen...", klang es jäh in dem kleinen Zimmer wieder. Eine nuschelnde, leise Stimme, kaum mehr als ein Wispern.
Arquin erstarrte für einen Moment ungläubig und schaute mit großen Augen zu dem Verletzten jungen Mann.
Matthew hatte die Augen nach wie vor geschlossen, lag noch immer unbewegt da und doch sprach er weiter - undeutlich und so leise das man es kaum verstand.
"Dieser Garten ist verblüht. Der Feldmarschall lässt alle Rosen köpfen."
Arquin lief es kalt den Rücken herunter und er blickte zu Clarence, dessen Gebete anscheinend erhört worden waren. "Ich geh und hole Bennett.", eilig stand er auf und verließ den Raum um im Erdgeschoss nach dem Arzt zu suchen und ihn zu informieren. Seine schnellen Schritte über den Flur verrieten die plötzliche Aufregung bereits vorab, sodass der Arzt ihm schon auf halbem Wege entgegen kam.
"Was ist passiert?" - Befragte er hastig den entgegenkommenden jungen Mann der kreidebleich aussah. "Er spricht...", weiter kam er nicht, da schob sich Bennett bereits an ihm vorbei und eilte geschwind die Treppe hinauf und in das Zimmer.
Matthew war unterdessen wieder verstummt, vollkommen still lag er in den Kissen - scheinbar als wäre nichts geschehen, doch die Aufregung Arquins und auch die von Clarence sprachen eine gänzlich andere Sprache.
Bennett jedoch war schon ernüchtert als er feststellte, dass der Verletzte nicht bei Bewusstsein war. Das war kein gutes Zeichen, jedoch sparte er sich diese Äußerung noch, immerhin musste er erst ein paar Untersuchungen durchführen. Mit seinem wachen Blick überflog er den Patienten ehe er das Bett umrundete, um an den Liegenden herantreten zu können.
Er nahm den Puls, leuchtete mit einem kleinen Lämpchen nacheinander in die Augen des Dunkelhaarigen und prüfte dann den Schmerzreflex, in dem er in eine von Matthews Fußsohlen piekte. Der Reflex war da, doch der junge Mann wurde nicht wach oder äußerte sich erneut verbal. Nichts deutete auf eine Besserung seines Zustandes hin. "War er wach und orientiert als er gesprochen hat? Was hat er gesagt?", fragte Bennett schließlich an Clarence gewandt und blickte den Blonden auffordernd an. Was immer in dem Zimmer vor sich gegangen war, Anlass zur Entwarnung war es offenbar nicht.
Gesichter waren gekommen und gegangen, Stimmen hatten auf ihn eingesprochen und waren wieder verstummt. Das einzige, was dieser Tage geblieben war, waren Doktor Bennett und Arquin Heath – der eine weil man auf ihn nicht verzichten konnte, der andere weil man ihn nicht los wurde.
Garstige Worte halfen bei dem glatten Schönling ebenso wenig wie beharrliches Schweigen und irgendwann hatte Clarence seine steten Bemühungen um Einsamkeit schlicht und ergreifend aufgegeben. Nicht etwa weil ihm der junge Mann plötzlich ans Herz gewachsen wäre, sondern weil jener offensichtlich keinerlei Bedrohung darstellte, der wider den Anweisungen des Blonden Hand an seinen Mann anzulegen begann.
Arquin für mehrere Stunden des Tages bei sich zu haben, war kein wirklicher Trost für den blonden Jäger, auch wenn gewisse Züge des Fremden unverkennbare Parallelen mit Matthews Art aufwiesen. Beide hielten die Stille auf Dauer nicht aus, versuchten die Leere mit uninteressanten Anekdoten aus ihrem Leben zu füllen oder verstrickten sich sogar in oberflächlichem Gerede, wenn ihnen sonst gar nichts Besseres mehr einfiel. Genauso wie Cassie, besaß auch Arquin ein waches Auge wenn es um seine Mitmenschen ging; nicht selten schon hatte er den Hünen auf gewisse Missstände seiner eigenen Versorgung hingewiesen oder versucht ihn zum Essen und Trinken zu animieren, wenngleich dem Ältesten der Anwesenden beides derzeit auf den Magen schlug.
Wie sehr sein eigenes Leben mit dem seines noch immer bewusstlosen Mannes verknüpft war, würde niemand in dieser Stadt verstehen, der die beiden Männer nicht seit eineinhalb Jahren begleitet hatte.
Wie sollte man auch verstehen vor welchem Schicksal Matthew ihn durch sein bloßes Erscheinen bewahrt hatte, damals, bei ihrem Kennenlernen? Niemand der hier lebenden Bürger verstand welche Bedeutung Cassie für den Christen hatte, welches Geschenk der schöne Dunkelhaarige mit den kandisfarbenen Augen war und welch schier endlosen Schmerz sein Ableben in die Seele Clarence‘ brennen würde, sollte er seinen Verletzungen erlegen.
Alleine die Vorstellung eines solchen Ausganges war für den Jäger unerträglich und so wurde er nicht müde für das Überleben seines Geliebten zu beten und zu bitten, so lange bis seine Zungenspitze und Finger tief in der Nacht taub geworden waren von aussichtsloser Bemühung um das Wunder einer Genesung.
Clarence brauchte niemanden um Matthew zu versorgen, das hatte er in der Vergangenheit nicht und auch heute forderte er sich kein helfendes Paar Hände ein, um die nötigen Tätigkeiten zu verrichten. Waschen, kleiden, betten, die Laken wechseln – es war mühsam und kräftezehrend einen erwachsenen Menschen in einem Bett umher zu bewegen wenn dieser selbst nicht helfen konnte. Aber der Schamane tat es nicht nur aus seinen persönlichen Überzeugungen heraus, sondern vor allem aus Liebe und dem Versprechen, das er seinem Mann vor wenigen Monaten gegeben hatte und welches er auf ewig halten würde: In Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod sie eines Tages schied.
Seit nunmehr zwei vollen Tagen befand Matthew sich in dem Zustand absoluter Bewusstlosigkeit. Wenngleich er keinerlei Reaktionen von sich gab und sich seine Versorgung damit zunehmend erschwert darstellte, wurde Clarence nicht müde, das ihm Bestmögliche für seinen Mann zu tun. Mit duftender Seife, wie sein Schnösel es gerne hatte, hatte er ihn erfrischt und ihm das griffige dunkle Haar gewaschen, hielt ihn mit dem Oberkörper leicht erhöht gebettet damit die vermuteten Schmerzen in einem erträglichen Rahmen blieben. Immer wieder tränkte er Leinenstoff in klares Wasser um Cassie damit Lippen und Mund anzufeuchten, die einzige Möglichkeit ihm derzeit Flüssigkeit zuzuführen; dass dies auf Dauer nicht im Geringsten ausreichen würde, war ihm selbst dabei genauso klar wie Doktor Bennett.
Von Weiterbehandlung oder Erlösung hatte der Quacksalber gesprochen, so als sei Matthew Cassiel Sky irgendein angeschlagener Straßenhund, den man am besten mit einem Kopfschuss von seinem Leid erlöste. Aber wie um alles in der Welt sollte Clarence solch eine Entscheidung treffen können? Wie sollte er den bewusst herbeigeführten Tod seines Mannes riskieren, wenn dieser in den nächsten Minuten erwachen könnte?
Genauso gut konnte man Matthew, der keinerlei Lebensaktivität von sich gab außer seiner flachen Atmung, auch an den anderweitigen Folgen seiner Verletzung erliegen lassen. Ihn verdursten lassen, so schlimm das auch klingen mochte – aber alles war besser als sich mutwillig für dessen Erlösung zu entscheiden, so lange Clarence doch noch immer einen Funken Hoffnung in sich trug und sein Partner derzeit keinerlei Leid zu empfinden schien.
Von beiderlei Seiten flankiert durch seinen Mann und den ungeladenen Besucher, lag Matthew zwischen den beiden Herren, die sich auf ihren mittlerweile gewohnten Stühlen eingefunden hatten. Wie immer wenn er Cassie gerade nicht versorgte oder für ihn betete, hielt Clarence die kühle Hand des Jüngeren in der seinen, hoffnungsvoll dass wenigstens diese vertraute Berührung auf Dauer zum ihm durchdringen würde, wenn schon nichts anderes es tat.
Ein tiefes Brummen drang die Kehle des tätowierten Jägers empor, als Arquin ihm – wie so oft – vom aktuellen Stand der Geschwister Mitchell berichtete. Es war nicht daraus zu entnehmen ob ihm die anhaltende Verwahrung nun zusagte oder Clarence einfach nicht interessierte und obwohl er keinerlei Anschein machte dem Gast aktiv bei etwas zuzuhören, so hieß das nicht, er würde nicht jede einzelne der Silben wach und aufmerksam verinnerlichen.
Oh was würde Clarence nur dafür tun, sämtliche Richter und Geschworenen dieser Welt auf ewig zu verbannen, wenn sich dafür nur die gute alte Selbstjustiz wieder über dem Land ausbreiten würde. Das war ein altbewährtes Prinzip was bislang schon jeden Geschädigten zufriedengestellt hatte und wenngleich es in seiner Heimat vorgeschriebene Strafen für bestimmte Vergehen gab, so war doch nichts der Sache dienlicher, als jenes festgeschriebene Urteil selbst verrichten zu können. Selbst Hammer und Nägel in den Händen zu halten um Plünderer am Wegesrand zu kreuzigen oder eigenständig eine brennende Fackel zum aufgetürmten Holz zu tragen, wenn man im übertragenen Sinne die eigenen Nachbarn in Brand steckte.
Nachdenklich ging ein kurzes Zucken durch die hellen Augen des Jägers, dem beim Starren an die gegenüberliegende Wand gerade tausende passende Einfälle durch den Kopf schossen, welche man an den beiden jungen Frauen in die Tat würde umsetzen können – je nachdem natürlich, wie die Sache hier endete. Am Ende hätte Matthew sicher gegen jeden einzelnen Einfall seines Bären etwas auszusetzen, aber solange er nicht selbst seine sonst so große Klappe auftat um ein Urteil zu sprechen, würde er sich auch nur schwer über die Vorgehensweise seines blutdurstigen Mannes beschweren können.
Doch bevor sich Clarence weiter in seinen grausamen Gedanken verstricken konnte, erinnerte Arquin und sein Geschwafel ihn ein weiteres Mal an Cassie, indem er von seiner Zeit als Kind zu sprechen begann. Wahrlich, wäre jetzt auch noch der Name Jamie Flynn gefallen, der Blonde hätte ernsthaft darüber nachdenken müssen ob die Kollision mit dem Stein den Verstand seines Mannes nicht vielleicht in diesen Halbstarken hinein katapultiert hatte – allerdings passte ein Krieg und eine Stadt nicht in die Erzählungen die er bereits kannte, was die Theorie wieder unwirksam machte.
„Ich hatte mal einen Freund aus Kindertagen...", echote es nach kurzer Stille abermals im Raum und Claire schüttelte entnervt seinen Kopf, augenverdrehend.
„Du wirst langsam gruselig, Arquin. Besser du gehst für heute, du fängst an dich zu… - wiederholen…“
Erst jetzt, als das leise Wispern erneut ansetzte, begriff Clarence endlich, dass es keinesfalls vom langsam verrückt werdenden Arquin stammte – sondern von Matthew.
Schlagartig wandte der Bär sich jenem zu wobei er sich fast einen Nerv im Nacken klemmte, aber selbst das war in dieser Sekunde völlig nebensächlich, solange sein Mann endlich von den Totgeglaubten wieder auferstand.
„Cassie? Cassie, alles ist gut… ich bin hier“, überschlugen sich seine Worte und Clarence konnte den eigenen Puls rasen spüren. Das Herz schlug ihm förmlich bis zum Hals und seine gerade noch zitternden Hände gaben nur deshalb Ruhe, weil er sich damit auf dem Bett aufgestützt hatte um sich vom Stuhl zu erheben.
Über seinen Mann gebeugt harrte der Schamane aus; mit wachem, hektischem Blick musterte er das eingefallene Antlitz seines Geliebten, damit ihm bloß keine Regung entging.
„Der Feldmarschall kann von mir aus sämtliche Blumen im Garten köpfen, wenn du das willst. Aber er wird das nicht tun… solange du ihm nicht dabei zusiehst. Hörst du, Cassie? Du musst die Augen auf machen…“
Vorsichtig löste Claire eine Hand aus den Laken um seinem Mann damit die Haare aus der Stirn zu streichen; im Moment wusste er nicht im Geringsten welchen Schund der belesene Söldner da gerade rezitierte oder in welchen Sphären er sich befand. Ihm fehlte Flüssigkeit, jede Menge Flüssigkeit, das ließ die Patienten schon mal unverständlichen Mist reden – und so einem Taugenichts wie dem sturen Böckchen traute Clarence auch durchaus zu, dass er ihm absichtlich Sorge bereiten wollte um sich für den Moment der Panik im Spinnenfeld zu rächen.
Zumindest hoffte er diese Optionen bis aufs Mark.
„Matthew“, sprach er seinen Mann deshalb nun eindringlicher an, kaum den laut herbei eilenden Schritten auf der Treppe gewahr. „Komm schon, mein Herz, sag was… du hast einen riesigen Stein an den Schädel bekommen, das hier ist nicht lustig.“
Abwartend blickte er in das blasse Gesicht des Liegenden hinab, strich abermals durch das dichte dunkle Haar seines Mannes, doch Matthew war wieder verstummt wie die unzähligen Stunden zuvor. Selbst als der gerade eingetroffene Doktor Bennett an ihn heran trat um ihn zu untersuchen, gab Cassie keinerlei Regung von sich – bis auf ein widerwilliges Zucken mit dem Fuß als der Arzt ihn malträtierte.
Das war gut, das war jedenfalls besser als gar nichts, auch wenn das leise Flüstern natürlich notgedrungen größere Hoffnungen in Clarence‘ Brust geschürt hielt.
„Ich weiß nicht, er hat… nicht die Augen aufgemacht“, fuhren seine hellen Iriden die Gesichtszüge des Unteren ab, bevor er endlich zu dem Quacksalber empor blickte. „Aber er hat einen Gesprächsfetzen wiederholt und… irgendwas von Gärten und Rosen gesagt. Klang wie ein Gedicht, ich bin mir nicht sicher. Aber das ist gut, oder nicht?“
Natürlich war das gut, das wusste selbst er als Schamane. Sprache hieß, dass der Stein das Hirn seines Mannes nicht völlig zermatscht hatte; wenn Doktor Bennet jetzt gleich jedoch etwas völlig anderes behauptete, dann konnte der Jäger ihm nicht dafür garantieren, dass es dem Arzt nicht in den nächsten Minuten so ging.
„Matthew...Komm schon, mein Herz, sag was… du hast einen riesigen Stein an den Schädel bekommen, das hier ist nicht lustig.“, beschwor Clarence ihn eindringlich, doch eine Reaktion des jungen Mannes blieb aus, so als würde er die ungewohnt sanften Worte gar nicht vernehmen.
Im Laufe der letzten Tage hatte Matthew nichts von sich aus getan außer zu atmen - und selbst das war manchmal so wenig und spärlich, dass sein Brustkorb sich kaum hob beziehungsweise senkte.
Was Sally Mitchell vorgehabt hatte - nämlich den ohnehin minderbemittelten Feivel zu töten - mochte ihr am Ende sogar noch gelingen, auch wenn der Treffer den Dunkelhaarigen nicht sofort ausgemerzt hatte. Wie groß das Leid und der Kummer für Clarence war, den sie nur als Quentin kennengelernt hatte, vermochte sich jeder vorzustellen der den Blonden in den letzten Tagen gesehen hatte.
Niemand der Gelegenheit hatte ihn am Bett seines Mannes sitzen oder davor knien zu sehen, bezweifelte die Verbindung und die Echtheit der Liebe, die beide Männer füreinander empfinden mussten und obgleich Cascade Hill City nur ein kleines Städtchen war, so wagte es niemand Zweifel bezüglich der Richtigkeit ihrer Ehe zu erheben. In dieser Hinsicht waren die Leute hier bereits offener als vielerorts sonst der Fall. Solch ein blinder Hass wie Sally Mitchell ihn verspürt hatte war beschämend für die einfachen, jedoch überwiegend aufrichtigen Bürger der Fischerstadt.
Aber auch alles Mitgefühl, alle guten Wünsche und alle Gebete hatten bisher nichts geholfen und selbst jetzt, Augenblicke nachdem über Matthews blasse Lippen wirre Worte gekommen waren, schien Doktor Bennett wenig erbaut. Die Hoffnung die ganz offenkundig bei Clarence aufgekommen war, war etwas das er nicht teilen konnte, denn aus medizinischer Sicht sprach das gezeigte Verhalten des Bewusstlosen mehr für eine Fehlfunktion des Gehirns statt für Genesung.
„Clarence…auch wenn ich Ihren Optimismus verstehe, so kann ich ihn leider nicht teilen.“, eröffnete der Arzt ruhig und mit nachsichtiger Stimme.
In den vergangenen Tagen hatte er Bücher gewälzt in der Hoffnung irgendwo einen weiteren Behandlungsansatz finden zu können, doch leider ohne Erfolg. Obgleich er den Dunkelhaarigen nicht kannte, so reichte die Bekanntschaft mit Clarence und auch die Sinnlosigkeit der Tat an sich aus, um ihn emotional in das Geschehen zu verwickeln.
Er wollte dem jungen Mann helfen und er wollte dem Bärtigen, der sich so aufopferungsvoll um seinen Partner kümmerte, etwas Positives sagen können. Seiner Einschätzung nach wäre das aber lediglich Schönfärberei gewesen anstatt einer ernstzunehmenden medizinischen Diagnose.
„Manchmal kommt es zu einer Fehlfunktion des Gehirns, wenn dieses geschädigt wurde. Dann kann es sein, dass der Patient ohne Bewusstsein Worte von sich gibt. Wie…wenn sich in das statische Rauschen eines defekten Weltempfängers plötzlich Fragmente der richtigen Frequenz mischen.“, der Vergleich war hoffentlich bildlich genug um den Anwesenden zu verdeutlichen wie die Situation war.
„So wie sich der Allgemeinzustand Ihres Mannes zeigt…habe ich Anlass zu der Befürchtung, dass es zu inneren Einblutungen gekommen ist und diese haben zur Folge, dass Druck auf das Gehirn ausgeübt wird. Es wird gereizt und…dieser Reiz äußert sich in Begebenheiten wie gerade eben.“ - ernsten Blickes sah Bennett auf den Liegenden herunter und dann zu Clarence, der sich seit dem Vorfall unermüdlich in der Betreuung seines Mannes zeigte. Mit einem knappen Nicken gen Tür bedeutete der Arzt Arquin das Zimmer zu verlassen um einen Augenblick allein mit dem Anderen zu sprechen.
Dieser verstand den Wink und verschwand mit blassem Gesicht und beinah lautlosen Schritten aus dem Raum. Er musste nicht hören was nun besprochen werden würde um zu wissen, dsas es um Matthew schlechter denn je stand.
Als Arquin gegangen war, presste Bennett für einen Moment die Lippen aufeinander, er war nachdenklich und betroffen, doch sein ernstes Gesicht sprach schon Bände bevor die Worte seinen Mund verließen. „Ich befürchte…Ihr Mann wird die kommende Nacht nicht überstehen. Wenn stimmt was ich vermute, wird er das Bewusstsein nicht wiedererlangen.“ Das war, was am Wahrscheinlichsten eintreten würde, eine Wahrheit die von Anfang an im Raum gestanden hatte und die Clarence bisher trotz allem nicht hatte annehmen wollen. „Und selbst wenn doch, so wird er sehr wahrscheinlich weder wissen wer er ist, noch wer Sie sind. Die Gewalteinwirkung war zu massiv um folgenlos zu bleiben, dass haben wir alle von Anfang an befürchtet.“, Bennetts Tonfall nach bedauerte er seine Worte wirklich und auch in seinen Augen und in seiner Haltung spielte sich der Gram wider. „Sollte er wach werden, bleiben Sie ruhig, bleiben Sie bei ihm…seien Sie da. Was Sie nicht mehr von sich weisen dürfen ist, dass er sterben wird. Ich glaube nicht, dass er noch einmal zu sich kommt. Wahrscheinlicher ist…er entschläft.“, der Patient war dehydriert, seine Atmung zu flach, ihm fehlten sämtliche Nährstoffe und nach allem was er wusste über den Schweregrad der Verletzung und dem allgemeinen Zustand des Dunkelhaarigen, konnte er zu keinem anderen Schluss kommen, so sehr er es auch bedauerte
„Es gibt nichts mehr, dass ich für ihn tun kann. Tut mir leid.“ - einem Anderen zu übermitteln, dass ein geliebter Mensch verloren war, war immer grausam und war Bennett noch nie leicht gefallen, selbst nach Jahren in denen er bereits praktizierte, war daran nichts anders geworden. Jedoch hatte ihn das Leben eines gelehrt: nämlich das es weiterging und das in der Stunde der größten Trauer keine Worte etwas halfen um den Schmerz zu lindern. Nur die Zeit konnte das - und jene Zeit räume er dem Blonden schließlich auch ein, nachdem er versucht hatte, ihm noch etwas Beistand durch seine Gegenwarte zu spenden. Ob dies gelungen war? Bennett zweifele daran und doch verließ er irgendwann das Zimmer des Sterbenden um Clarence Sky Gelegenheit zu geben, die letzten Stunden mit seinem Mann allein zu verbringen.