Falconry Gardens
31. Dezember 2210
Rückblickend wusste Clarence nicht mehr zu sagen, was ihm damals alles durch den Kopf gegangen war. Vor wem oder vor was er Angst gehabt hatte, welchen Unterschied es machte sich Rede und Antwort zu stellen weil man mit einem Mann verheiratet nach Hause kam oder man im Nachhinein irgendwie erklären musste, warum man all die Wochen oder gar Monate gelogen hatte.
Das Wahrscheinlichste war, dass Claire einfach überhaupt nicht nachgedacht hatte – und das wäre ja immerhin auch nicht das erste Mal.
Es gab Dinge, in denen war der Blonde unheimlich gut und bei denen er sich ohne zu zögern mit anderen messen würde, wenn man ihn dazu herausforderte. Es gab auch durchaus schon gute Entscheidungen, die seiner Verantwortung entsprungen waren und trotzdem schaffte er es immer wieder sich im Nachhinein bei einigen Dingen zu fragen, welcher Teufel wohl in ihn gefahren war und was zur Hölle er eigentlich versucht hatte mit seinen Entscheidungen zu erreichen.
Grace war so etwas, bei dem er sich heute noch manchmal den Kopf zerbrach. Es wäre so viel einfacher gewesen einfach dazu zu stehen was er in der Ferne verbrochen hatte und wen er an seiner Seite hatte, doch stattdessen hatte er eine Scharade bevorzugt. Nicht, weil die Geschichte um Grace glaubhafter war – sondern weil es angenehmer war sich hinter Lügen zu verstecken als unangenehmen Fragen zu stellen, auf die man vielleicht keine Antworten hatte.
Doch mit dem Absturz des Zeppelins waren nicht nur die Gläser mit Organgensaft auf dem Frühstückstisch im Bordbistro ins Wanken geraten, sondern vor allem auch ihre ganze gemeinsame Welt. Es waren keine Spinnen oder keine Menschen gewesen, die gedroht hatten ihr gemeinsames Leben zu zerstören, sondern ganz essentielle Dinge, auf die sie einfach keinen Einfluss besaßen. Womöglich fielen morgen früh ein paar Dachziegel über ihrer Haustür herab und schlugen einem von ihnen den Kopf ein – bei ihrem Glück war das definitiv möglich – oder der Grey Eagle entpuppte sich als Vulkan und nach ein paar donnernden Schlägen heute Nacht, würden sie unter einem Hauen Lava zu Asche zerfallen.
Es gab so endlos viele Möglichkeiten, die dazu führen konnten, dass sie sich im nächsten Augenblick schon nicht mehr hatten. So endlos viele, dass Clarence keine einzige Sekunde mehr ohne seinen Mann vergeuden wollte, wenn in der nächsten vielleicht schon alles vorbei war.
Sein Bauch und seine Wangen kribbelten selbst dann noch von dem kurzen warmen Kuss seines Mannes, als sie schon einige Zeit in der Schlange zu den Süßwaren standen und die Auslage betrachteten. Wenn es nach ihm ging, würden sie ja noch immer eher beim Imker stehen oder beim Spanferkel als hier, wo der ganze Zucker regelrecht nach dem Ziehen von kaputten Zähnen schrie und eigentlich hatte er kein gutes Gefühl dabei, ihr Geld für so einen Tand auszugeben. Weder das Kind sollte in seinem Alter solchen Müll in sich rein stopfen, noch wollte er mit einem Typen verheiratet sein, der in ein paar Jahren nur noch Zahnstümpfe im Mund hatte – aber leider konnte der Ältere weder Lucys glitzernden Augen, noch diesem unverschämt niedlichen Lächeln in Cassies Gesicht widerstehen.
„Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob tatsächlich jeder das Zeug probieren sollte“, diskutierte er schließlich mit Lucy, die mit einem eigentümlichen Glanz in den Augen ihre Zuckerwatte in Empfang nahm, den Claire sonst nur hatte, wenn er seine hauseigenen Kräuter geraucht hatte. Die gute Mischung.
In seine Manteltaschen hatte er die beiden rot glasierten Äpfel gestopft – einen für Lucy, einen für Matthew – und eine Papiertüre in der Hand, die ihn jedoch nicht vor der aufmerksamen Zuwendung des Mädchens bewahrte.
„Bevor man nicht probiert hat, kann man nicht sagen, dass man was nicht mag und es nicht essen will. Sagt Evelin und sagen noch ein paar andere“, protestierte Lucy und äffte dabei nicht nur ihre Gastgeberin nach, sondern vor allem auch Clarence, der zu fast jeder Gelegenheit mit allen Kindern hatte diskutieren müssen wenn sie in Denver mal wieder ein Tier geschossen hatten, das die Kleinen weder kannten, noch im Eintopf haben wollten.
„Ich bin mit sicher, dass die paar anderen Leute, die das sagen, in ihrem Leben bestimmt schon genug probiert haben um zu wissen, was ihnen bekommt.“
„Mhh… glaub ich nicht. Nicht die paar anderen Leute, die das sagen und die ich kenne“, konterte sie frech und hatte damit zweifelsohne nicht Unrecht. Bei manchen Sachen war es wirklich gar nicht mal so leicht mit Lucy zu diskutieren, aber das mochte Claire irgendwie. Zweifelsohne hatte sie sich diese dickköpfige Ader angelegt, weil sie in der Vergangenheit genug Endlosdiskussionen mit ihrem kleinen Bruder hatte führen müssen.
Munter schmatzte Lucy auf dem bunt eingefärbten Zeug, das aussah wie frisch gekämmte Schurwolle und das nicht aussah wie etwas, das man sich tatsächlich einverleiben sollte. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihm ein großes Stück abzureißen und mit klebrigen Fingern entgegen zu halten; doch kaum, dass er die Fetzen mit den Zähnen von ihr abgepflückt hatte, bereute er seine mutige Entscheidung auch fast schon wieder und verzog schrecklich das Gesicht, als die Hälfte in seinem Bart hängen blieben.
„Teufelszeug“, schimpfte der Blonde hilflos verloren, als Cassie sich nach einer gefühlten Ewigkeit auch mal wieder zu ihnen zurück bequemte und nach ihrer Meinung zur Zuckerwatte fragte. Vehement fuhr er sich mit der freien Hand übers Kinn und versuchte die klebrigen Fäden, die er sich vielleicht auch einfach aus Prinzip nur einbildete, aus seinem Bart zu wischen. Jedoch ohne nennenswerten Erfolg. „Hier. Ich hab dir das einzig Anständige gekauft, das die da hatten.“
Auffordernd drückte er Cassie die Papiertüte in die Hände, vorrangig um nun beide frei zu haben und sich von der Zuckerwatte zu befreien, doch vor allem um ihn von dem kandierten Apfel in seiner Tasche abzulenken, den er natürlich für seinen Mann geholt hatte. In der Tüte war nämlich nichts weiter als getrocknete, pure Apfelringe – die Clarence als erträglichen Kompromiss für sich selbst geholt hatte, aber das brauchte Matthew ja nicht sofort wissen.
Als Matthew die beiden wiedergefunden hatte und sie etwas abseits der Bude, in der Nähe zu einer Feuerschale stehen sah, da verspürte er eine Wärme in seinem Herzen wie er sie nur Dank Clarence kannte.
Es hatte etwas eigentümlich friedliches an sich beide dort zu sehen, Lucy mit ihrem glücklich-kindlichen Ausdruck in den Augen während sie kleine Wölkchen Zucker von dem Stock abriss und verspeiste. Und Clarence, der sie dabei im Auge behielt und auf sie aufpasste wie es ein großer Bruder oder Vater tun würde.
Es waren Augenblicke wie dieser, klein und scheinbar unbedeutend, die für Matthew alles andere als ohne Bedeutung waren.
In einer Welt in der nur der Stärkste überlebte, hatte der Blonde ihn - der er offensichtlich nicht der Stärkste gewesen war - gerettet und ihn versorgt. Ihn heil gemacht, obwohl doch alles um sie herum so kaputt zu sein schien.
Clarence war nicht wie all die anderen Kerle da draußen, er war jemand der andere achtete, der das Leben an sich wertschätzte - und zwar nicht mal vorrangig das eigene.
Was mit Gabe geschehen war brach Matthew das Herz, aber er war sicher, dass Clarence noch mehr unter dem Verlust litt. Selbst wenn wusste, dass er den Tod des Jungen nicht zu verantworten hatte. Selbst er konnte nicht überall zur gleichen Zeit sein, selbst er konnte nicht alle möglichen Gefahren vorausahnen. Ihn traf keine Schuld und Matthew hoffte, dass Clarence das wusste.
Im Augenblick jedoch schienen Gram und Leid weit weg - und das war gut so. Die Nacht war magisch, erfüllt von einer eigenartigen Friedlichkeit und der Hoffnung, dass irgendwie alles gut werden würde. Es sollten heute keine Tränen fließen und es sollte niemand dunkle Gedanken hegen. Trotzdem war Gabe nicht vergessen. Weder von Lucy, noch von Clarence und auch nicht von Matthew.
„Zuckerwatte zu essen macht Spaß. Es fühlt sich so komisch im Mund an! Als würde man eine Wolke essen!“ konstatierte Lucy, während Clarence noch versuchte seinen Bart von den klebrigen Fäden zu befreien.
Wie eine dünne Spinnwebe hatte sich etwas von dem Zeug an ihn geheftet und es brauchte erst Matthew, der zweimal gezielt die Fäden wegzupfte, um die Reste endgültig zu entfernen.
„Teufelszeug, hm? Warum? Weil es süß ist und klebt?“ - fragte er und spielte offensichtlich auf die Honig-Sache an, gegen die Matthew sich verwahrte.
Zügig schnappte er schließlich die Tüte aus Clarence Hand um endlich seinen kandierten Apfel in Empfang zu nehmen, doch als er hineinspähte lagen darin nur getrocknete Apfelringe. Pur. Ohne Kandis. Ohne Schokolade. „Das kannst du nicht ernsthaft gemacht haben!“ entfuhr es Cassie entrüstet, wobei er sich ziemlich nörgelig anhörte. „Ich geh hier nicht weg bevor ich nicht so einen Apfel habe. - und wenn ich eben die ganze Nacht hier anstehen muss.“
Lucy, die natürlich genau wusste, dass Clarence durchaus einen roten Zuckerapfel für ihn gekauft hatte, verbarg ihr Grinsen hinter der Zuckerwatte und sagte schließlich: „Es gab keine mehr. Nur noch den einen… und Clarence meinte, du würdest wollen, dass ich den bekomme.“, Damit lag sie richtig und Matthew seufzte kurz deprimiert und nickte dann. „Da hat er ganz recht. Ist auch nicht so schlimm, es gibt ja hundert andere Sachen die ich essen könnte.“ - ein kleines bisschen merkte man ihm die Enttäuschung zwar an, aber er probierte tapfer trotzdem einen der Apfelringe auf dem er im Anschluss gelangweilt herumkaute.
„So ihr zwei, wohin jetzt? Ich glaube da hinten ist noch Hufeisenwerfen.“ Aber Lucy sah nicht so aus als würde sie das noch wollen und als sie zu Cassie sah und gähnte, mussten sie beide lachen.
„Okaaaay, wir wollten dich nicht langweilen.“ - „Habt ihr nicht! Ich bin bloß ein bisschen müde.“ erwiderte sie eilig, was Cassie ihr auch eindeutig ansah. „Was meinst du, wollen wir langsam zu den Tilmitts?“
Lucy zögerte kurz. Wahrscheinlich war ihr erster Impuls zu verneinen, doch trotz aller Kindlichkeit die heute an ihr wieder zum Vorschein gekommen war, war sie doch für ihr Alter schon weitaus vernünftiger als gut gewesen wäre. „Wahrscheinlich warten sie schon auf mich und ihr bekommt bestimmt Ärger, wenn ich Mitternacht nicht dort bin um gute Wünsche auszutauschen.“ - Cassie blickte kurz zu Clarence der von der Aussicht Ärger von den Tilmitts zu bekommen wenig beeindruckt schien.
„Wenn wir Ärger bekommen ist das nicht so wild. Mach dir darum keine Gedanken.“ Sie lächelte und nickte. „Vielleicht….“, setzte sie schließlich an „…gehen wir langsam zurück aber machen nochmal einen Abstecher bei dem Mann der Feuer spuckt!“ - „Klingt nach einem Deal, was Claire?“
Der Abend, der so heimelig begonnen hatte oben am Feuer im Hof des Clans und der nun noch inniger in der Stadt weiterging, zauberte dem blonden Bären schon seit Beginn ein wohlig-warmes Gefühl in die Magengrube. Clarence war es schon seit Jahren nicht mehr gewohnt Feiertage auf diese Weise mit einem Menschen zu verbringen den er liebte – und ja, er hatte ganz eindeutig unterschätzt, was für einen großen Unterschied das machte.
Noch während sein Mann ihm die Überbleibsel der Zuckerwatte aus dem Bart zupfte – eine Form der Intimität und Ehre, die ganz alleine dem Jüngeren vorbehalten war – beobachtete Claire ihn mit verliebtem Blick und konnte sich an dem Bild, das sich ihm bot, einfach nicht satt sehen. Vor allem nicht dann, als sich Enttäuschung und Unglaube über das Antlitz des Jüngeren legten ob der völlig ungesüßten Apfelringe, die gedörrt und traurig in der Papiertüte ihr Dasein fristeten.
Cassie mochte sich von ihnen nicht überzeugen lassen, aber das musste er auch nicht. Der Hüne tauchte weit öfter mit der Hand in die Apfelspalten als der offizielle Empfänger jener Süßware und schaute voller Genugtuung Lucy dabei zu, mit welch wackerem Griff sie ihren Apfel vor sich fest hielt, um ihn im dichter werdenden Gedränge nicht zu verlieren.
Es war eine wahrlich gute Idee gewesen noch einen Abstecher zu dem Feuerspucker zu machen, denn auf dem Weg dorthin mussten sie den Marktplatz überqueren, auf dem noch die letzten Reste Spanferkel über offenen Flammen brutzelten. Tatsächlich hätten sie kaum eine halbe Stunde später kommen dürfen und es hätte kein Brot mehr dazu gegeben, doch das Glück blieb ihnen an diesem Abend weiter hold und zumindest Clarence kam auf seine Kosten, wenn Cassie auch noch immer seinem Apfel hinterher trauerte.
Das Fladen von Füllung und pikanter Soße überquellend, wirkte der Blonde schließlich fast noch ein bisschen glücklicher, falls das denn überhaupt möglich war am heutigen Abend.
„Also, wohin nun? Ich glaube, wir müssen da vorne lang. Weg von der Bühne und den Ständen, vorhin stand er extra ziemlich abseits und da war es noch nicht mal halb so voll hier“, versuchte der Blonde revuepassieren zu lassen, wo die Artisten am frühen Abend ihre Position bezogen hatten, bevor sich die Dunkelheit über die Stadt gelegt und das Gedränge immer voller geworden war.
Das Spektakel, das sich ihnen hier oben am Brunnen bot, übertraf das Gewühl in den Gassen der Stadt noch einmal. Der Marktplatz im Herzen der Stadt war schon immer das Zentrum regen Treibens gewesen, ein Ort an dem man sich nicht nur zum Einkaufen traf oder um seine Waren an den Mann zu bringen, sondern auch um sich miteinander auszutauschen. Hier traf man sich, erfuhr den neuesten Klatsch oder setzte selbst das ein oder andere Gerücht in die Welt - oder man staunte zu großen Festen wie der heutigen Jahreswende dem Programm, das einem hier geboten wurde.
Auf einer Bühne zwischen den Buden der anderen Seite des Platzes hatte im Dämmerlicht der einbrechenden Nacht noch ein Talentwettbewerb stattgefunden, mittlerweile spielte muntere Musik und hatte die Leute dazu gebracht, zum Teil eng an eng mit ihren Liebsten zu tanzen, bis es näher auf Mitternacht zugehen würde. Die ausgelassenen Stimmen angeheiterter Einheimischer und Besucher übertraf die musikalische Untermalung beinahe, doch hier vorne am Brunnen, bis zu dem sie sich mit viel Aufwand nun hindurch gequetscht hatten, spielten selbst all die Betrunkenen gar keine Rolle mehr. Das Ahhh und Ohhh, das die Lungen der Umstehenden verließ, hörte sich beinahe an wie der Gesang eines eingeübten Chors und nicht mal Clarence konnte sich seiner Faszination verwehren, als der verkleidete Künstler ein weiteres Mal seinen sachte lodernden Stab vor den Mund führte, um eine Feuerwand vor sich entstehen zu lassen, deren Hitze er sogar bis zu ihrem Stehplatz noch spüren konnte.
„Kein Wunder, dass der sich hier postiert hat. Selbst ich bin froh beim Brunnen zu sein und dabei stehen wir nicht mal in erster Reihe“, rief er über das Stimmengewirr hinweg Lucy und Matthew zu, hinter denen er seine Position bezogen hatte. Eine Hand hatte er dabei auf die Schulter des Mädchens gelegt, damit sie sich nicht aus zu viel falscher Begeisterung heraus irgendwie an den anderen Leuten vorbei drängte um ganz nach vorne zu gelangen und am Ende tatsächlich zu Schaden zu kommen, so wie der Artist immer mal wieder die Leute dazu anhielt ein wenig nach hinten zurück zu weichen, wenn man zum weit nach vorne gerutscht war.
Die Flammen, die in den dunklen Abendhimmel hinauf stiegen, tauchten die Gesichter der Umstehenden in warmes Rot und flackerndes Orange und ließen den Blonden lächeln, wärmer noch als das Feuer selbst. Es war ein idyllisches Bild wie Cassie vor ihm stand, mit welcher Lebendigkeit und Begeisterung er den Trubel in sich aufsaugte und Clarence kam nicht umhin, sich ihm von hinten entgegen zu lehnen und sein Kinn kurz auf der Schulter seines Mannes zu betten, nachdem er den letzten Happen Fladenbrot in sich versenkt hatte.
„Na, was glauben Sie, Mister Sky? Ist das etwa doch noch ein zweiter Zuckerapfel in meiner Tasche oder freue ich mich nur Sie zu sehen?“, flüsterte er ihm keck ins Ohr und kaum gesagt, zauberte er aus seiner ausgedellten Manteltasche eben jene heiße Ware hervor von der es vorhin noch hieß, Lucy hätte die letzte des Standes ergattert. Andere mochten ihren Ehepartnern heimlich Blumen oder Schmuck besorgen und hervor zaubern wenn es nicht erwartet wurde, bei Clarence war es eben Süßkram, den er nun dem Dunkelhaarigen entgegen hielt. „Ich kann doch nicht zulassen, dass mein Mann enttäuscht mit mir ins neue Jahr geht. So einer bin ich nicht.“
Eventuell vielleicht hatte er geplant das Spiel noch etwas weiter zu treiben und zu versuchen den Apfel gar bis zurück in ihre Wohnung zu schmuggeln bevor er ihn überreichte, doch nun, wo Lucy wie in Trance den Feuerbällen dabei zusah wie sie in den dunklen Nachthimmel hinauf stiegen und Clarence endlich sein Spanferkel bekommen hatte, konnte er seinem Mann den einzigen Wunsch nach einem von purem Zucker überzogenen Apfel wohl kaum noch vorenthalten. Das wäre tatsächlich mehr als unfair.
„Ich finde… du könntest deinem guten, bezaubernden Ehemann ruhig noch einen Kuss geben als Dankeschön. Das wäre wirklich mehr als angemessen, denk ich.“
Es war seltsam wie vollkommen sich dieser Abend anfühlte, obgleich die Welt noch immer die selbe war wie vor zwei Tagen.
Die Einsamkeit während seiner Reise hierher und die Dinge die Matthew in Erfahrung gebracht hatte, waren nicht vergessen und nicht nichtig - und doch war alles Vergangene irgendwie weit weg. Selbst wenn einiges davon auch ihre Zukunft betraf.
Während sie zu dritt durch die Stadt gingen, vorbei an lachenden Menschen, an tanzenden Fremden, an geschmückten Buden und kleinen, lodernden Feuerstätten, da war die Welt eigentümlich heil und eigentümlich vollkommen.
Lucy war ausgelassen und interessiert auch wenn sich die Müdigkeit in ihre Augen geschlichen hatte und obgleich sie schon Zuckerwatte gegessen hatte probierte sie schließlich auch noch den kandierten Apfel, den sie nach dem ersten Bissen als unglaublich lecker bezeichnete.
Dass es ein Kampf war ihn zu verspeisen war in Anbetracht des Geschmacks ein Opfer welches man gern erbrachte.
Auch Clarence war letztlich noch auf seine Kosten gekommen und hatte Spanferkel mit Fladenbrot ergattert, eine Speise von der Matthew sich immer mal wieder beiläufig etwas stibitzt hatte - vornehmlich die kross geschmorte Kruste. Darüber hinaus hatte sich der Dunkelhaarige einen Krug Honigwein gekauft - welcher so süß und schmackhaft war, wie er ihn selten so gut getrunken hatte.
Schließlich erreichten sie den Marktplatz und die Feuerkünstler, deren Show eine Vielzahl an Schaulustigen angelockt hatte und die auch sofort die Dreiergruppe in ihren Bann zog.
Während Lucy mit roten Zuckerapfellippen dastand und wie hypnotisiert dem Mann zusah wie er Flammen in den Nachthimmel blies, hatte sich Clarence dicht hinter Matthew gestellt. Eine kleine Weile beobachteten sie die Aktivitäten schon, da lehnte sich der Blondschopf gegen ihn und stützte sein Kinn auf Cassies Schulter, was diesen schmunzeln ließ.
Fürsorglich hob der Jüngere seinen Krug Honigwein an die Lippen seines Mannes, im guten Glauben daran, dass der Wildling vielleicht kosten wollte. Dass jener allerdings etwas anderes plante - nämlich die Übergabe des schmerzlich vermissten Apfels - begriff Cassie erst dann, als Clarence die Leckerei aus seiner Manteltasche zauberte. Eingewickelt in das typische gewachste Tuch präsentierte er Matthew seine Errungenschaft und erntete ein freudiges: „Woah wie geil!“ ein paar Zentimeter hüpfte der junge Mann sogar in die Luft, während er umgehend nach dem Apfel langte und Clarence kurzerhand sein Getränk in die Hand drückte.
„Ich glaub’s nicht, ihr seid solche Schwindler!“, doch sein Tadel war kein echter Tadel, dafür leuchtete die Begeisterung in seinen Augen viel zu sehr. Lucy giggelte frech - wohlwissend, dass ihre Flunkerei keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen würde.
„Es ist ewig her, dass ich so einen gegessen hab.“ - über seine Schulter zurück zu Clarence blickend, himmelte er den Wildling an und beugte sich kurzentschlossen zu ihm, um ihm flüchtig auf den Mund zu stippen. Dann blickte er wieder nach vorne, lehnte sich aber mit dem Rücken gegen den Größeren und machte es sich bequem.
Der rot glänzende Apfel war vollkommen makellos und einen Moment lang musterte Cassie die tadellose Oberfläche beinahe ehrfürchtig, bevor er die Zuckerkruste mit den Zähnen durchbrach, wobei sie mit einem Knirschen zerbarst. Die Süße mischte sich mit der fruchtigen Säure des Apfels - was eine ungeheuer schmackhafte Kombination war - zumindest wenn man ihn fragte - und wie man seinem genüsslichen Seufzen anhörte.
Langsam und jeden Bissen genießend verputzte der Dunkelhaarige die Leckerei in den nächsten paar Minuten, während er den Feuerspucker wieder beobachtete, dessen Show in Kombination mit der Musik etwas regelrecht hypnotisierendes an sich hatte.
Irgendwann blickte er schließlich zu Lucy nur um festzustellen, dass dem Mädchen die Augen zugefallen waren und sie praktisch stehend k.o war.
Kein Wunder nach einem Abend wie diesem.
Dass es mittlerweile wirklich an der Zeit war sie zu den Tilmitts zurückzubringen sah sie widerstandslos ein und so ließ die kleine Gruppe schließlich- etwa eine Stunde vor Mitternacht- den Marktplatz hinter sich und folgte den kleineren Gassen bis zu dem Hof des älteren Paares.
Lucy, die müde aber überglücklich war, bedankte sich mit jeweils einer Umarmung bei Clarence und auch Matthew und quasselte schon auf Mrs. Tilmitt ein, noch während sie die Stufen zur Veranda erklomm.
„Hmmm… und was jetzt, Mister Sky?“, fragte Matthew als sich die Tür zum Wohnhaus geschlossen hatte. Aus Richtung Stadt hörte man selbst hier noch leise Musik und Stimmgewirr, eine Kombination die friedlich und heimelig war. Langsam kam Matt von der Terrasse weg - und auf Clarence zugeschlendert - die Hände in den Hosentaschen vergraben und seinen Mann amüsiert musternd.
„Kennen Sie einen gemütlichen Platz an dem wir auf das neue Jahr warten können?“ - derer gab es zweifellos duzende und doch verließ sich Matthew ganz auf Clarence , der in dieser Stadt zuhause war und sich somit besser auskannte. Und für den Fall, dass er zurück zum Clanhaus wollte, würde Cassie ihm auch dorthin folgen. Egal wohin es den Blonden zog, Matt würde ihm folgen.
In diesem Jahr, im Nächsten und in allen die noch kommen würden.
So untypisch ein festlicher Abend wie dieser hier auch für sie war, so typisch war doch ihr Umgang miteinander. Es war nicht der Zauber des Abends, der sich über sie gelegt hatte und ihrem Beisammensein etwas Frieden verlieh, sondern ihr Miteinander war es, welches das Fest so unheimlich besonders machte.
Es war die Art wie sie sich dann und wann berührten, mal ganz offensichtlich verliebt, mal unscheinbar ehrliche Fürsorge füreinander ausdrückend. Es war die Selbstverständlichkeit, mit der sein Mann sich etwas Spanferkel aus seinem Fladenbrot stibitzte ohne dafür angeklagt zu werden, ebenso wie es ganz selbstverständlich war wie Cassie versuchte ihn mit seinem Honigwein zu tränken, obwohl das über die Schulter hinweg eine der wohl dümmsten Ideen war, die man umsetzen konnte.
Doch es ging nicht darum besonders elegant miteinander aufzutreten, einen guten Eindruck nach außen hin zu machen oder darüber nachzudenken was die anderen wohl dachten, während einzelne Tropfen Honigwein kläglich versuchten sich an seinem Oberlippenbart festzuklammern, bis sie den Kampf schließlich verloren und über die Schulter des Kleineren hinweg tropften. Es ging darum beieinander zu sein, sich Zeit zu nehmen füreinander… aber vor allem ging es auch darum schöne Erinnerungen miteinander zu erschaffen, nach all den düsteren Dingen, die ihnen in den vergangenen Monaten widerfahren waren.
Ihre Ehe, die in solch guter Absicht geschlossen worden war, hatte einen halbwegs guten Start hingelegt, doch war schließlich zu etwas geworden, das weitaus mehr Dramatik an den Tag legte als ihre gemeinsame Reise es jemals zuvor getan hatte. Vielleicht lag das daran, dass Gottes Rache für ihre Sünden sich auf ganz unterschiedliche Weise zeigte oder einfach nur daran, dass sie in ihrem Liebestaumel blind für eben jene Gefahren geworden waren, die sie früher schon zehn Meilen gegen den Wind gerochen hätten, wären sie nicht so verdammt beschäftigt damit einander anzuhimmeln oder ihre ehelichen Pflichten zu zelebrieren. Doch woran es auch immer lag, letztlich waren sie aus all den tiefen Tälern des vergangenen Jahres nur deshalb so gut wieder heraus gekommen, weil sie stets zueinander gehalten hatten – in den schlechten Zeiten genauso wie in den guten, ganz so, wie sie es sich vorm Altar in Coral Valley versprochen hatten.
Selbst nun, wo Lucy wieder zurück bei den Tilmitts war und ihm der Kiefer noch immer ein wenig von der Sprungattacke seines Mannes weh tat – immerhin war es nicht besonders angenehm wenn man mit dem Kinn auf einer Schulter lehnte, deren Besitzer vor Freude in die Luft sprang und einem damit die Zähne aufeinander schlug – konnte das die Laune des Blonden nicht wirklich trüben.
Den Honigwein hatten sie bereits auf dem Weg durch die Gassen zu den Tilmitts vernichtet und gegen zwei Wegbier eingetauscht, die ein paar Meter neben dem Haus vor dem Gartenzaun auf sie warteten, damit die Dame des Hauses sie nicht mit ihrem vernichtenden Blick strafte, wenn sie bereits angetüdelt und mit Alkohol in der Hand das minderjährige Kind zurück in den Schoß der Alten brachten. Eigentlich hatte Cassie zumindest auf dem kurzen Weg erstmal gar nichts mehr gewollt – immerhin vertrug er meistens deutlich weniger als Claire - aber das hatte der Ältere beim Anstehen am Stand ja nicht gewusst und nun ja, gekauft war nun mal gekauft.
„Mister Sky, eine ganz vorzügliche Frage, die Sie mir da stellen“, begrüßte er seinen Mann zurück bei sich am Hoftor, nachdem er davon zurück gekehrt war, Lucy bis zur Tür zu begleiten. Es klang herrlich albern sich gegenseitig ständig so höflich mit dem gleichen Namen anzusprechen und doch hörte er sich selbst nach über einem Jahr nicht satt daran, dass aus Matthew Cassiel Reed sein Mann Mister Matthew Sky geworden war. Aber vielleicht klang das in Wirklichkeit auch gar nicht so seltsam, sondern lag einfach nur an dem ganzen Alkohol, der heute zwischen ihnen floss.
Anerkennend für diese löbliche Wissbegierde nickte er und gereichte dem jungen Mann sein Wegbier zurück; mit dem Spanferkel und dem Fladenbrot hatte er sich zwar endlich eine gute Grundlage fürs Trinken angefuttert, aber nach dem ganzen Zucker in den Äpfeln und im Honigwein tat jener sein übriges, damit der Humpen endlich das ganze Bier aufwog, das sein Mann ihm zu Beginn des Abends ständig weggetrunken hatte.
„Da Sie pünktlich zum Jahreswendfest zu mir zurück gekehrt sind und dies Ihre erste Jahreswende in dieser schönen Stadt ist, sehe ich mich gezwungen, Sie mit den hiesigen Traditionen vertraut zu machen. Folgen Sie mir dazu gern, Mister Sky.“
Einladend bot er Matthew seinen Arm an um sich bei ihm einzuhaken und verneigte sich höflich, immerhin war dies hier eine besondere Nacht und der Mann an seiner Seite nicht minder besonders. Falconry Gardens war mit rein gar nichts mit Coral Valley zu vergleichen und die Gassen hier waren auch nicht annähernd so prunkvoll wie in jener Straße in der sie gelebt hatten, als Jeyne Copper ihnen ihre Villa zur Verfügung gestellt hatte. Es kam auch kein Chauffeur, der wie in Coral Valley die Kutsche vorfahren würde um sie von A nach B zu bringen – aber Clarence brauchte auch all diesen Tand nicht um sich besonders und reich zu fühlen. Das tat er alleine dadurch, dass er seinen bezaubernden Ehemann heute Abend an seiner Seite hatte.
Zufrieden stieß er mit seinem Humpen gegen den seines Mannes und nahm noch ein Schluck von seinem Bier, während sie den Weg zurück gen Marktplatz einschlugen.
„Werter Herr, was wissen Sie über diese bezaubernde Stadt? Nun – lassen Sie mich Ihnen helfen. Es begab sich zu einer Zeit lange vor Ihrer Geburt…“, begann er ausschweifend und deutete in eben solcher Manier über die Gasse die vor ihnen lag, ganz so, als könne er damit die Geschichte selbst offenbaren, „…da kamen ein Haufen wilder Wandersmänner hier an, um nach Arbeit zu suchen. Starke Jäger, die bereit waren in die Wälder vor der Siedlung zu ziehen um dort eben jene Mutanten und Monster zu jagen, die den Menschen in diesem schönen Dorf das Leben schwer machten. Kein Wagen schaffte es unversehrt durch diesen Wald und kein Korn keimte im Schatten der hohen Bäume, die alles rings umher überwucherten.“
Clarence sprach ausschweifend und fast wie eine jener fantastischen Geschichten, die ansonsten von Gauklern durch die Welt getragen wurden um eben jene zu informieren, die des Lesens nicht mächtig waren oder keinen Zugang zu Zeitungen hatten; und beinahe nichts weniger als das war es auch. Nämlich eben jene Geschichte, die man selbst schon den kleinen Kindern über ihre Heimatstadt erzählte und die so – oder so ähnlich – auch am frühen Abend sicher schon auf der Bühne am Marktplatz verkündet worden war, um das Publikum zu unterhalten.
„Diese tapferen Wanderer kamen und sie siegten – und sie fällten die Baume und kürzten das Dickicht, auf dass fruchtbares Land entstand und die Siedlung zur Stadt erwachsen konnte. Um die Einwohner zu schützen und gemeinsam mit ihnen ein einträchtiges Leben zu führen, ließen sie sich schließlich hier nieder und nannten sich fortan American Kestrel – und das zur Stadt gewordene Dorf Falconry Gardens wächst und gedeiht seitdem.
So, wie die tapferen Wandersmänner damals die Kreaturen des Waldes vertrieben haben, vertreibt man in Falconry auch heute noch zur Jahreswende wilde Monster des vergangenen Jahres, um das neue Jahr rein und voller Zuversicht begrüßen zu können. – Und deshalb ist es unabdingbar, dass wir Mitternacht am Marktplatz sind, um verkleidete Trottel mit Bier zu beschütten und anschließend mit Sägespänen abzuwerfen. Vor allem deshalb, weil Ryan dieses Jahr den kürzeren gezogen hat und eines der Monster spielen muss. Ich sehe uns da in der Verantwortung, dem Trottel eine heftige Abreibung zu verpassen.“
„Mister Sky…“ war im Laufe der Zeit vielleicht Clarence‘ Lieblingsbezeichnung für Matthew geworden - eine Vorliebe die ganz und gar auf Gegenseitigkeit beruhte und den Dunkelhaarigen meist dazu brachte vergnügt zu giggeln.
So auch jetzt, als er sich bei Clarence einhakte und kicherte.
Der Blondschopf trug in alter Gauklermanier die Geschichte über die Gründung der idyllischen Kleinstadt vor, wobei er ausladend gestikulierte und mit der Stimme eine regelrechte Dramatik und Heroik erzeugte. Dabei amüsierte er Cassie so sehr, dass dieser unentwegt grinste und schließlich sogar prustend auflachte.
„…kürzten das Dickicht…“, wiederholte er albern lachend als sei das das Lustigste was er je gehört hatte. Kurz hielt sein plötzlicher Lachflash an der seinen Ursprung wohl eher im reichlichen Verzehr von Alkohol hatte, als von der Wortwahl seines Mannes selbst. Bemüht darum sich wieder zu fangen atmete der Jüngere schließlich tief durch und blieb stehen.
„Oh man… wenn du so erzählst…“, wieder musste Cassie lachen, versuchte jedoch, den Satz zu Ende zu bringen was ihm aber nur schwerlich gelang.
Abermals atmete er durch, legte den Kopf kurz in den Nacken und blinzelte die Lachtränen aus dem Augen. „Du musst…aufhören so theatralisch zu erzählen…“, brachte er schließlich hervor und man sah ihm an wie gefährlich nahe er wieder dran war, erneut in Gelächter auszubrechen.
Aber dieses Mal konnte er sich beherrschen und als sie sich kurz darauf wieder in Bewegung setzten - wobei Clarence überhaupt nichts an seiner Art zu reden änderte - da war es gut, dass Cassiel bei dem Größeren eingehakt war, hatte er doch für zwei, drei Schritte eine kleine Schlagseite.
„Auf zum Marktplatz!“, verkündete der junge Mann lauthals, so als sei jenes Ziel von ihm höchstpersönlich auserkoren worden.
„Dieser Ryan… ist das unser obligatorischer Widersacher oder so? Ich frag nur, damit ich Bescheid weiß. Kenne den Kerl ja nicht wirklich. Womit hat er es sich bei dir verscherzt, hm?“
Die paar Worte die er bei seinem Eintreffen mit besagtem jungen Mann gewechselt hatte, hatten kaum ausgereicht um sich ein Bild von ihm zu machen. Aber auch Cameron hatte ihn schon in einem Kontext erwähnt, der nicht darauf schließen ließ als sei Ryan unbedingt beliebt - zumindest nicht in seinem Freundeskreis.
Obwohl Matt am heutigen Abend schon mehr getrunken hatte als er es üblicherweise tat, nahm der junge Mann noch einen Schluck von seinem Bier um es bloß nicht verkommen zu lassen.
Zielstrebig lotste Clarence ihn durch die Gassen, vorbei an Buden, Artisten und Schaulustigen. An geschmückten Häusern, an lodernden Feuern, an Musikern und Tanzenden. Die Stimmung in der Stadt war ausgelassen und jeder schien jedermanns Freund zu sein. Fremde plauschten und lachten zusammen und Leute - einige wesentlich betrunkener als Cassie - erzählten lautstark von Abenteuern, die sie sich höchstwahrscheinlich zusammenfantasierten - oder die im Besten Fall zwar stimmten, aber nicht selbst erlebt worden waren. Am Marktplatz selbst war der Trubel am größten, eine Bühne war errichtet worden auf der vorhin einige Kinder ein Stück aufgeführt hatten, nun gehörte sie einer Gruppe Musiker die mit ihren Klängen die Massen unterhielten.
Einige kleinere und ein größeres Feuer brannten an verschiedenen Stellen des Marktes, über manchen brieten Fleischspezialitäten, um die meisten drängten sich jedoch jene, die sich etwas aufwärmen und ausruhen wollten.
Zu einem jener Feuer lotste Clarence sie beide schließlich. Im Kreis angeordnete Holzbänke luden zum Verweilen ein und Decken aus Wolle zum Einkuscheln. Unweit des Feuers konnte man Speck und Süßigkeiten kaufen um selbige an einem Stock über den Flammen zu rösten.
Aber Cassie hatte weder auf das eine noch auf das andere Hunger.
Ein paar der umstehenden Bänke waren besetzt, aber es war auch noch genügend frei, was Matthew durchaus entgegenkam - denn die letzten Schlücke seines Biers hatten ihm rapide zugesetzt.
„Mister Sky! Ich glaube… Sie haben mich betrunken gemacht.“, setzte er Clarence von seinem Zustand in Kenntnis und lehnte sich an ihn kaum da sie beide auf einer der Bänke Platz genommen hatten.
Seine Aussprache war verwaschen, wenngleich er noch immer nicht richtig lallte und in seinen Augen lag ein aufgeweckter - aber nicht mehr ganz klarer - Ausdruck. „Heute kein Wegbier mehr für mich… außer du willst mich später nach Hause tragen.“, amüsiert schmunzelte er über den Gedanken während er aufmerksam das Treiben um sie herum beobachtete, den Kopf auf Clarence‘ Schulter gebettet. „Ich mag Jahreswenden… wusste ich bis heute nicht, aber jetzt weiß ich es.“
Matthew zum Lachen zu bringen war ein Talent, das er nicht erst seit gestern besaß und für das nicht mal unbedingt Alkohol im Spiel sein musste. Selbst an Abenden, während denen sie in einem notdürftigen Lager mitten im Nirgendwo lagen und nach drei Tagen Regen nicht mal mehr Clarence ein Feuer anbekommen hatte, hatte der Blonde es geschafft den Jüngeren durch irgendeinen dummen Spruch aufzuheitern – und sei es auch nur für einen kurzen Moment.
In das Geräusch von Matthews Lachen hatte sich Claire schon früh verliebt, noch lange bevor er sich überhaupt bewusst gewesen war, dass er den ganzen Kerl mochte, der da auch noch sonst so dran hing. Es war ein Laut voller Wärme und zwar solcher, wie man ihn bewusst noch viel öfter zum Vorschein locken wollte. Es hatte etwas vertrautes, heimeliges an sich den Jüngeren Lachen zu hören und es versüßte ihm den Alltag schon seit jenem Moment, wo der damals Fremde begonnen hatte ihm zu vertrauen und sich sicherer bei ihm zu fühlen.
Sein Leben mit Ruby damals war anders gewesen. Stiller, aber vor allem ernster – was mitunter auch daran lag, dass kurz nach ihrer Hochzeit ein sehr langer Winter eingebrochen war und ihnen das Überleben zur Hölle gemacht hatte. Nicht selten war die Stimmung in ihrem Heim angespannt gewesen und die Rothaarige genervt, wenn ihr Mann nichts besseres zu tun hatte als mit den Kindern umher zu toben; sie hatte Ruhe und Ordnung geliebt und am einfachsten waren die Tage gewesen, in denen er einfach gemacht hatte was sie wollte, damit der Hausfrieden nicht schief hing. Doch Clarence kannte das Leben auch anders. Nämlich mit Freude und Lachen im Haus, etwa dann, wenn seine Eltern miteinander herum blödelten. Wenn Gail ihren Mann neckte oder man sich einfach nur an der tollpatschigen Ader der Familie erheiterte, die sich gefühlt durch jeden Ast des Stammbaumes von der Seite seiner Mutter her zog und auch vor Clarence nicht Halt gemacht hatte, wie Cassie zweifelsohne wusste.
Nicht selten gab ihm Matthew dieses eigentümliche Gefühl von Früher zurück, das mit Worten nur schwer zu beschreiben war. Beinahe nostalgisch ließ es den Blonden manchmal werden, wenn sie miteinander lachten und er sich dabei so familiär geborgen bei seinem Mann fühlte wie früher; es war ein unheimlich befriedigend zu spüren, dass nicht alles, was man nicht mehr hatte, auch für immer verloren sein musste, nur weil es eine Weile nicht mehr da gewesen war. Manchmal kamen die Dinge auf anderem Wege zu einem zurück.
Selbst wenn der Jäger nun des Anstands halber eine ernste Miene ziehen musste – immerhin ging es darum die Ehre der Stadtgeschichte und des Clans zu verteidigen – so konnte er es seinem Mann um nichts in der Welt verübeln, wie sehr ihn selbige amüsierten. Dann und wann zog es mal verdächtig an seinem Arm, wann immer Matthew erneut ins Lachen verfiel und dabei vergaß, dass er mit seinem Körper nicht nur laufen, sondern sich auch dabei koordinieren musste. Doch der bärige Fels in Cassies Brandung ließ nicht zu, dass dem Kleineren etwas geschah.
„Ryan ist… nun jaaa“, erkaufte er sich etwas Zeit, doch die Art wie er die zwei Silben betonte reichte eigentlich schon aus um zu sagen, wie er den Typen empfand.
„Also, hättest du mich etwas früher gefragt, so noch vor ein paar… Jahren oder so, hätte ich den Begriff Zecke ziemlich treffend gefunden. Eine ziemliche Zecke. Frech, anstrengend. Ein überheblicher, anmaßender Typ einfach. Aber jetzt bin ich ja älter und gereifter und hatte etwas Distanz zum hiesigen Geschehen“, holte Clarence zu etwas aus, das sein Mann vermutlich schon wieder als Plappern bezeichnen würde. Aber so war das nun mal, wenn man ihm Alkohol gab und damit die Zunge des sonst oftmals so schweigsamen Jägers lockerte. „Wenn du mich heute fragen würdest, was ich für ein Problem mit dem Kerl hab – was du ja… ganz offensichtlich tust, weil du ja gerade gefragt hast.“
Nickend nahm er noch einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen, während dem ihm gewahr wurde, dass er seinen Satz zwar hatte klingen lassen als sei er beendet, sein Werk jedoch inhaltlich massive Mängel aufwies.
„Ryan! Ja. Naja, heute würde ich sagen, er ist noch ein halbes Kind, das sich beweisen will und das Gefühl hat, keiner gibt ihm die Chance dazu. Angriffslustig ist der. Will führen, aber denkt nicht nach in welche Richtung er überhaupt will und ist danach nicht Manns genug die Verantwortung zu übernehmen, wenn’s schief gegangen ist. Der ist gerade mal… durch die 20 durch oder so, keine Ahnung, jedenfalls wächst dem Typen glaube ich noch nicht mal ein richtiger Bart“ – nicht, dass ein Bart ein Garant für erwachsene Entscheidungsfähigkeit wäre, aber in Clarence‘ Welt war ein Bart schon mal der erste Schritt in die richtige Richtung und verdammt viel wert – „und ich glaube, der müsste sich einfach mal richtig die Hörner abstoßen und wenn der sich dann mal ein bisschen beruhigt hat, wär’s auch schon besser mit dem.“
Zum Glück musste er sich nicht mit jedem aus dem Clan zwingend gut verstehen, so lange alle wenigstens gewillt waren anständig miteinander zu arbeiten. Das war bei Aufgaben, bei denen es nicht vonnöten war miteinander zu reden, eindeutig einfacher als bei Aufträgen außerhalb, für die mindestens mal ein taktisches Gespräch anzufallen hatte.
Als sich noch länger im Ryan zu sorgen, war er lieber gedanklich und physisch bei seinem Ehemann, dem der Humpen Wegbier deutlich mehr zu schaffen machte als Clarence. Zumindest kam das dem Blonden so vor, wobei jemand vollkommen Nüchternes da zweifelsohne ein anderes Urteil abgegeben hätte. So oder so, es kam ihnen unterm Strich allen beiden gelegen, dass an den Feuern noch die ein oder andere Sitzbank frei war und es dauerte keine Sekunde, da ließ auch der Hüne sich wie ein nasser Sack und mit einem beschwerlichen Seufzer auf die Sitzmöglichkeit niederplumpsen.
„So so! Betrunken gemacht, ich? Ja, das klingt nach mir“, stimmte Clarence glücklich zu und nickte anerkennend, sich selbst für diese Meisterleistung jene Ehre zollend, die ihm zustand. Einen Arm hob er um Cassies Schultern, doch nicht etwa um ihn in selbigen zu nehmen, sondern um den Ellenbogen auf der Rückenlehne hinter ihnen aufzustellen und seine Fingerspitzen stattdessen in Matthews dunkles Haar zu versenken.
Wie schon zu Beginn des Abends, hütete sich der Blonde tunlichst davor, dem kleinen Schnösel seine glattgeleckte Friese irgendwie durcheinander zu bringen. Doch durch die kurz geschnittenen Nackenhaare kraulte er seinen Mann dadurch umso fürsorglicher.
„Du kannst auch noch was trinken, wenn du willst. Dann schmeiß ich dich mir nachher über die Schulter. Oder ich such dir einen kleinen Karren und fahre dich da drin nach Hause, während du schon mal vorschläfst“, bot er ihm an, immerhin hatten sie schon sehr lange nichts mehr so zu feiern gehabt wie das heutige Fest und wenn Cassie noch einen über den Durst trinken wollte, sollte er das ruhig tun. Er hatte die Annehmlichkeiten der Zivilisation weit länger missen müssen als Claire. Außerdem war ja auch genau das einer der Vorteile der Ehe – nämlich, dass man immer einen hatte der verlässlich auf einen Acht gab, wenn man sich selbst bis ins Delirium soff.
Amüsiert lachte der blonde Bär schließlich auf, als er sich nochmal vorstellte wie Cassie völlig jenseits von Gut und Böse abgeschossen in einem kleinen Karren vor ihm lag: „Ich leg dir auch meine Jacke über’s Gesicht, damit du schön inkognito bleibst. Falls dir dein guter Ruf die Sache sonst nicht wert ist, mein ich. Mhh…“
Raunend zog er die Finger aus Cassies Nacken zurück und presste ihm stattdessen die Hand gegen die Wange, um den Jüngeren auf diese Weise zu sich zu drängen und ihm einen verliebten, biernassen Kuss auf die Schläfe zu geben.
„Du bist so niedlich wenn du betrunken bist. Hab ich dir das schon mal gesagt?“
Vermutlich hatte er das nicht, immerhin hatte Cassie früher betrunken meistens irgendwelche anderen Leute mit auf sein Zimmer genommen, aber nicht den Blonden.
Heute gehörte das betrunkene Böckchen jedoch ihm ganz alleine und Matthew würde nachher niemanden mit nach Hause nehmen außer ihn.
„Wie du da sitzt, mit deinem angetrunkenen Silberblick und diesem…“, das richtige Wort suchen, deutete er mit dem Zeigefinger auf seinen eigenen Mund – und vergaß dabei kurz, dass sich in der zugehörigen Hand noch ein Bierkrug befand, den er sich kurzerhand vor die Stirn stieß. Aber hatte ja niemand gesehen. Zum Glück.
„Diesem… roten Farbzeugs auf den Lippen von deinem Zuckerapfel. Vorhin dachte ich, Mrs. Tilmitt hat so blöd geguckt weil Lucy so aufgedreht war, aber hier am Feuer s-sieht man… sieht man erstmal richtig, dass du aussiehst, als hätte dich ne Betrunkene geschminkt. Süß.“
So aufmerksam wie Matthew in seinem Zustand noch sein konnte, hatte er der Beschreibung des Blonden in Bezug auf Ryan gelauscht und war insgeheim nicht umhin gekommen, in der Art und Weise der Charakterisierung eindeutige Parallelen zwischen besagtem Ryan und Cameron zu ziehen.
Letzteren hatte Clarence ähnlich beschrieben, nur ohne die mildtätige Note welche er bei Ryan einflocht. Und was war dran gewesen an den Verunglimpfungen gegenüber Cam? Wenig bis nichts.
Und was zog Matthew demzufolge für Schlüsse in Bezug auf Ryan?
Dass er sich von dem Kerl definitiv selbst ein Bild machen würde bevor er ein allzu vorschnelles Urteil fällte. Glücklicherweise war es aber nicht jener Jungspund über den sie sich nun weiter die Köpfe zerbrachen. Und mit den ironischen Worten: „Na wenn dem noch nicht mal ein Bart wächst, kann er ja nur unser Erzfeind sein.“ schloss Matt die Akte Ryan vorerst.
Mit dem Kopf an Clarence’ Schulter gelehnt blickte er einen Moment lang still in die Flammen, die Wärme des Feuers tat gut, jedoch waren es die kosenden Finger des einstigen Wildlings, welche ihm ein warmes und kribbelndes Gefühl in die Magengrube pflanzten.
Die Art wie der Blonde durch das endlich wieder kurze Haar in seinem Nacken strich war vertraut und gab Matthew ein Gefühl von Innigkeit, wie er es erst seit Clarence kannte.
Mehr als die Hälfte seines Lebens hatte Cassie nicht gewusst was es hieß zu lieben… und geliebt zu werden.
Doch nun wusste er es und es bedeutete ihm alles.
„Mmmmh.“, machte er leise und drängte den Hinterkopf an die kraulenden Finger, wie eine Katze es tat, wenn sie fester gestreichelt werden wollte. „Deine Schulter ist kaputt… du kannst mich nich’ tragen.“, erwiderte er ein wenig verspätet und schüttelte sacht den Kopf ohne ihn von Clarence zu heben. „Sir, Sie sind ein schlimmer Schwerenöter! Ich dachte… Sie seien ein… mein Ehrenmann.“, so frech wie der Blonde eingeräumt hatte ihn betrunken gemacht zu haben und so ungeniert wie er ihn verleiten wollte noch mehr zu trinken, so unglaubwürdig klang der Tadel des Jüngeren.
Als Clarence kurz darauf auflachte, sich vermutlich schon bildlich vorstellend wie er Cassie in einem Karren durch die Straßen schob, richtete sich der Jüngere wieder auf und schnaubte voll gespielter Verachtung, allerdings mit einem Schmunzeln im Gesicht welches er kaum verbergen konnte.
„Träum weiter, Blondie. Ich kenne dich… du würdes’ mir mit Asche eine Brille um die Augen mal’n und Herzchen auf die Wangen… un’ dann würdes’ du mich damit aufziehen… so ungefähr…“ - Cassie legte den Kopf schief und dachte kurz nach - was angesichts seines Alkoholpegels einen Moment länger dauerte - ehe er fortführte: „…eine trizillionen Jahre lang.“ - vielsagend betrachtete er seinen Mann. „Was ganz schön lange is‘.“
Dann kicherte er albern als Clarence sich den Krug an die Stirn ditschte, was keinesfalls für dessen Zurechnungsfähigkeit sprach.
„Bist selber betrunken.“, attestierte er - wobei er den Blonden anhimmelte als sei jener eine Lichtgestalt des Himmels. Ein Ausdruck der sich in Skepsis wandelte just in dem Moment als er darauf hingewiesen wurde, dass seine Lippen vom Kandisapfel rot verschmiert waren.
„Was? Wirklich?“ zügig seinen Krug neben sich auf die Bank stellend, wischte er sich kurz energisch über den Mund.
„Du lässt mich so durch die Stadt laufen? Sie sind wirklich ein Schuft…“, aber Matthew wäre nicht Matthew, wäre ihm nicht umgehend die perfekte Racheidee eingekommen. Statt weiter zu versuchen sich die Lippen abzuwischen, lehnte er sich zu Clarence und küsste ihn unverwandt auf den Mund. „Mister Sky…“, flüsterte er schmunzelnd gegen die Lippen - betört vom Klang jener Worte - und versiegelte sie einen Augenblick später erneut mit den eigenen.
Falls sich irgendjemand der anderen Leute daran störte, so sollten diese doch einfach in die andere Richtung sehen, aber es gab aktuell ohnehin niemanden der sie beachtete.
„Hmmm~“ er legte den Daumen unter Clarence’ Kinn und strich mit dem Zeigefinger sanft die eben noch geküssten Lippen nach.
„Du findest mich also süß, wenn ich betrunken bin…hm?“ neckisch blickte er dem Blonden in die Augen. Sein Gesicht war in flackerndes Licht und dunkle Schatten getaucht und doch war ihm alles an Clarence so vertraut.
Mit der freien Hand entwand er dem Anderen sein Bier, stellte es auf der Bank ab und führte die fremden Finger näher zu sich. Erneut küsste er ihn, was seinen Bauch zum Kribbeln brachte und schob Clarence’ Hand zwischen den Knöpfen seines Mantels hindurch. Doch es war nicht die warme Haut unterhalb seines Pullovers die Cassie ihm zeigen wollte.
„Links… links in der Tasche.“, gab er Clarence die Anweisung und schmunzelte keck, in dem Wissen was der Blonde gleich finden würde.
Nämlich ein kleines Glas, gefüllt mit goldgelbem Honig.
„Auf ein…fröhliches neues Jahr, Blondie.“
Ob er Cassie tragen konnte oder nicht, das war ganz alleine Clarence‘ Entscheidung, genauso wie es seine Schulter war, die er für diesen Kraftakt aufs Spiel setzen würde. Immerhin war der Blondschopf für seinen Dickschädel bekannt und sein Mann tat gut daran nicht weiter auf diesem Thema herum zu reiten, denn ansonsten hätte Claire ihm nur zu gerne gezeigt, was er konnte und was nicht.
Alleine seinem Trotz geschuldet, wusste man eigentlich schon, dass in dem Jäger kein besonders großer Ehrenmann steckte und dennoch schien Matthew irritiert über diese Tatsache, beinahe so, als wäre ihm der Schelm in seinem Ehemann noch nie aufgefallen.
„Eine Trizillion Jahre lang?“, echote er schließlich amüsiert und blickte kurz in die Luft, als könne er an den Sternen des bewölkten Himmels grob überschlagen, wie lange das wohl sein mochte. „Gibt’s die Zahl überhaupt, Trizillion? Wie viel soll das sein? Ich glaube nicht, dass ich so lang noch lebe. Aber wenn’s dich tröstet, ich kann dich auch im Jenseits noch weiter damit aufziehen, wenn du willst.“
Das war nicht nur ein Vorschlag zur Güte, sondern vor allem auch ein fest angelegter Langzeitplan von ihm – denn in der Ewigkeit der Verdammnis wurde es nach den ersten drei Dutzend Jahren sicher verdammt langweilig und irgendwie musste man die Zeit ja rumkriegen. Und sei es nur, indem er seinen Mann mit all den Verfehlungen aufzog, die er zu ihrer beider Lebzeit begangen hatte.
Cassie hingegen hatte eine deutlich bessere Idee, wie man die gemeinsame Zeit totschlagen konnte. Eine viel, viel bessere Idee und Clarence verwehrte sich nicht, als der Jüngere sich flugs zu ihm nach vorne beugte, um ihn mit seinen rot verschmierten Lippen innig zu küssen. Den pappsüßen Zucker schmeckte er entgegen dessen, was er bei dem Anblick erwartet hatte, nicht mehr auf dem fremden Mund, doch dafür schmeckte sein Mann mindestens genauso süß – und vor allem viel besser als Zucker es je könnte.
Betrunken und wohlig raunte der Ältere in den süßen Kuss den sein Mann ihm gab und lehnte sich sachte den wohltuenden Lippen entgegen, besonders als sie die seinen ein zweites Mal einfingen. Bereits das Feuer hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass es Clarence nicht mehr ganz so kalt war obwohl es auf Mitternacht zu ging und doch war die Wärme, die der Dunkelhaarige in ihm schürte, eine völlig andere.
Vertraut und prickelnd wogte es in seinem Magen und Clarence nickte leicht, bevor er verzögert ein leises „Mh-hm“ raunte um dem anderen nochmals zu versichern, dass es nichts niedlicheres gab als ein Matthew Cassiel, der sich über den Durst einen angetrunken hatte. Trotz des warmen Kusses hatte er nicht damit gerechnet, dass man ihm deshalb gleich sein Bier abnahm, nur um danach seine Hand zu umgreifen und sie dichter an sich heran zu führen – und vor allem nicht zwischen den Knöpfen des Mantels hindurch, die den Jüngeren so züchtig bedeckt hielten.
„Hey! Himmel, Mister Sky. Sie haben doch nicht mal eine Decke über dem Schoß!“, ermahnte er den Unzucht treibenden Heiden in erschrockener Manier, denn so viel Tatendrang war er selbst von seinem sonst keine Aktivität scheuenden Böckchen nicht gewohnt. Sicher, sie hatten schon das ein oder andere Abenteuer erlebt, aber das war in Coral Valley gewesen wo niemand sie kannte. Selbst wenn Clarence nicht per se davon abgeneigt war ähnliche Errungenschaften auch in Falconry Gardens zu verleben, so hätte sein Mann doch wenigstens ein bisschen mehr für Sichtschutz sorgen können, immerhin waren sie was Abenteuer in der Öffentlichkeit unter warmen Decken anging kein unbeschriebenes Blatt.
Mit skeptischem und zurückhaltendem Blick tastete er schließlich dennoch nach Cassies linker Tasche und war bereits auf eine erschöpfte Naht vorbereitet die dazu führte, dass ein schelmisches Loch ihm direkten Zugang zu Cassies warmer Körpermitte gewährte. Was seine Finger schließlich fanden, war hart und fest – aber definitiv nicht die pralle Manneskraft seines Gatten, dafür kannte er sich in diesen Gefilden zu sehr aus um sie nicht wiederzuerkennen.
„Was hast du gekauft?“, wollte er wissen, ganz so als wäre er nicht erpicht darauf die Überraschung ans Tages- beziehungsweise Flammenlicht zu ziehen. Immerhin hatte Cassie betrunken nicht immer die besten Ideen und am Ende kam es doch noch darauf hinaus, dass man sie gleich vom Feuer entfernen und höflich aber eindringlich bitten würde, doch endlich nach Hause zu gehen.
Mit zusammengezogenen Brauen und einem Blick, als würde er seinen Mann nicht mehr für besonders zurechnungsfähig halten, zog Clarence schließlich den kleinen Schatz aus den Untiefen von Matthews Kleidung hervor – und staunte am Ende doch tatsächlich nicht schlecht angesichts des Mitbringsels, das er heimlich erworben haben musste, als er sich vorhin am Süßwarenstand kurz von ihrer kleinen Gruppe angeseilt hatte.
„Honig!“ – Eine Erkenntnis die der Blonde aussprach, als hätte er in seinem ganzen Leben noch keinen Gesehen. Die goldgelbe Köstlichkeit war gefasst in einem kleinen Schmuckglas und geziert von einem schön gearbeiteten hölzernen Deckel, der in einen Honiglöffel über ging und damit schon regelrecht dazu einlud, hier und auf der Stelle von ihm zu kosten. Doch das Gefäß war noch von Bast und Wachs versiegelt – und das war vermutlich ganz gut so, denn ansonsten würde der Heimweg eine ziemlich klebrige Angelegenheit werden.
„Du bist ganz schön gemein. Man macht sich nicht über einsame Männer und ihre Fantasien lustig, wenn man sie im Geheimen erzählt bekommt“; brummte er schließlich enttäuscht, denn auch wenn es Cassie durchauszustand nicht von allem begeistert zu sein was sein Mann ihm vorschlug, so war es doch mehr als beleidigend am Ende noch für gewisse gelüste aufgezogen zu werden. Immerhin hatte Claire dieses nimmersatte Böckchen auch noch nie für etwas an den Pranger gestellt.
Doch Matthews Blick versprach alles andere als das und der Dunkelhaarige brach auch nicht in Gelächter aus angesichts des verdutzten Eindrucks, den sein Bär mit dem hübschen Glas Honig in der Hand machte.
Es dauerte einen Moment, bis auch er schließlich begriff, was die kleine Kostbarkeit in seinen Fingern bedeutete und ein leises „Oh“ kam ihm schließlich über die Lippen, eng gefolgt von einem deutlich enthusiastischer werdenden „Ohh!“, als auch dem Blonden schließlich dieses Licht aufging.
„Du… das ist gar kein Scherz!“, formte er schließlich in Worte was er sich zusammengereimt hatte und schaute den Jüngeren mit einem Blick an, der einem alles sagte. Begonnen bei der Sorge die er hatte, dass der Steinwurf vielleicht mal wieder seinen Tribut forderte und Cassies Kopf nun doch noch davon kaputt gegangen war – bis hin zu der Erkenntnis, dass der Jüngere vielleicht in weniger als einer Stunde bereits vor ihm im Bett liegen konnte, nackt und flackernde Schatten auf seinem Leib vom prasselnden Ofenfeuer, die zarten Nippel hart und glänzend von süßem Honig, den Claire gewillt war hungrig von ihm zu lecken.
Nickend steckte er den Honig in seine Tasche, nahm noch einen Schluck aus dem Humpen neben sich und erhob sich schließlich schwungvoll, nach Cassies Hand greifend und in hinter sich her ziehend: „So! Ich denke, wir haben alles wichtige gesehen und erlebt. Schön, dass ich dir die Stadt zeigen konnte und es dir so gut gefallen hat. Aber ich denke, wir haben jetzt wichtigeres zu tun als bis Mitternacht hier zu warten. Besser wir gehen jetzt zeitig heim“, schlug er vor und auf seinen Lippen lag ein vergnügtes Lächeln, ähnlich dem eines grenzdebilen Kindes das endlich das Holzpferd aus dem Laden bekommen hatte, nachdem es lange genug deshalb genervt hatte.
Dass der Honig nicht dafür genutzt werden würde um auf einer Scheibe Brot verstrichen zu werden war Matthew beim Kauf des Gläschens klar gewesen. Er würde seine hauptsächliche Bestimmung auch nicht darin finden Tee oder Haferschleim zu süßen…
Clarence indes schien gar nicht zu verstehen was das Geschenk bedeutete und im ersten Moment nörgelte er sogar herum. Es bedurfte allerdings keiner Richtigstellung des Jüngeren, sondern nur einen vielsagenden Blick und ausgedehntes Schweigen bevor der Kupferling auch bei dem Älteren fiel. Der im Schmuckglas befindliche Honig war nicht dazu gedacht ihn aufzuziehen, er war kein Brotaufstrich, kein Süßstoff… Nein, all diese Verwendungsmöglichkeiten waren es nicht, die dem Bären schließlich ein Strahlen ins Gesicht zauberten. Was Cassie betraf, so war er nicht um seinetwillen erpicht auf die Erfahrung, aber er war erpicht darauf Clarence glücklich zu machen und mit ihm Sachen auszuprobieren. Ihre Beziehung lebte von gegenseitiger Wertschätzung und Rücksichtnahme, von liebevollen Neckereien und unerschütterlichem Respekt. Sie wollten beide nur das Beste füreinander und die Art wie Clarence sich freute als er begriff was Matthew ihm da mitgebracht hatte und wofür ließ den Jüngeren zufrieden und schelmisch zu gleich lächeln.
„Yeah… weißt du, ich hab gedacht… manchmal hattest du auch schon die ein oder andere gute Idee. Und man weiß nicht was gut ist bevor man es nicht probiert hat. Und außerdem…“, er legte die Hand an Clarence Wange und beugte sich zu ihm, Clarence einen kleinen Kuss auf die Lippen stippend. „…außerdem werde ich dich dazu anhalten sehr gewissenhaft vorzugehen, wenn du das Zeug auf mir verteilst.“, flüsterte er vielsagend und zwinkerte ihm auch noch zu, ganz so als gäbe es sonst Raum für Missverständnisse, obgleich sein Wink nicht allzu subtil war.
Die Vorstellung wie das zähflüssige Zeug auf seiner Haut landete hatte keinen besonders reizvollen Effekt auf ihn, wie der Bär gedachte es allerdings wieder von ihm zu entfernen schon.
Nur noch wenige Minuten trennten das alte Jahr vom Neuen und unter lautem Johlen und Trommelschlägen wurden die Bestien schließlich auf den Markt getrieben. Irgendeiner der Verkleideten war der bartlose Ryan aber für den interessierte sich Clarence nicht die Bohne. Zügig stand er auf und zog Cassie ebenfalls auf die Beine welcher auflachte und ihm hinterher stolperte. „Waaas? Du spinnst ja!“, er lachte und eilte mit ein paar Schritten an dem Blonden vorbei ohne ihn loszulassen und stellte sich vor ihn, ihm den weiteren Weg abschneidend. „Keinen Schritt weiter, Mister Sky. Der Honig läuft dir nicht davon.“ Nähesuchend schmiegte er sich an ihn, das Feuer im Rücken während die Menschen auf dem Markt entweder lautstark die „Bestien“ vertrieben, miteinander scherzten und lachten, tranken oder zur Musik tanzten. Oder alles zur gleichen Zeit. Die Stimmung war ausgelassener und euphorischer denn je und nun war es Cassie - der sich durchaus für die kostümierten Ungeheuer interessierte - der Clarence hinter sich herzog, weiter in Richtung Marktplatzmitte, wo allerlei Tumult herrschte.
Spielerisch griffen die Monster nach den Zuschauern, fischten sich hier und da Frauen oder Männer aus der Masse um sie zum Schein zu verschleppen. Aber verschleppt wurde heute niemand wirklich, denn kaum mit Reis oder Korn abgeworfen, gaben sie die Entführten auch schon wieder frei.
Die unheimlichen Kostüme der Darsteller waren durchaus beeindruckend - zumindest für Leute wie Cassie, die so ein Schauspiel noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Die Anwohner der Stadt allerdings waren mehr amüsiert als alles andere, es wurde gelacht und gesungen und die ein oder andere entführte Maid gab den Dämonen unbeeindruckt auch einen Kuss auf die Wange. Das ganze Spektakel dauerte nur ein paar Minuten, dann schwollen mehr und mehr Stimmen zu einem Countdown an. Durch eine Gasse aus Schaulustigen wurden die Monster letztlich unter Gröhlen und Gelächter vertrieben und das neue Jahr begeistert begrüßt. Kaum da die Ungeheuer vom Markt verschwunden waren, wurde der Jubel noch lauter und Schüsse in die Luft erfüllten den Nachthimmel.
Cassie hüpfte fröhlich und aufgeregt auf und ab, bunte Schnipsel Pergament wurden in die Luft geschossen und rieselten als bunter Regen herab auf Haare und Schultern der Feiernden.
Glücklich und strahlend drehte Cassie sich zu Clarence herum und schlang in einem Anflug von Euphorie die Arme um dessen Nacken und küsste ihn fest und stürmisch auf die Lippen, so wie es viele der Feiernden mit ihren Liebsten taten. Beflügelt von der Musik, dem Johlen und den guten Hoffnungen für das neue Jahr.
Man weiß nicht was gut ist, bevor man es nicht probiert hat – eine alte Weisheit, die an diesem Abend nicht zum ersten Mal in den Raum geworfen wurde. Doch Matthew hatte damit genau recht, denn genauso wie Clarence sich damals zuerst geziert hatte auf den Jüngeren und das Angebot seines schönen Leibes einzugehen, so sehr genoss er es heute, wenn sie beieinander lagen. Und auf der anderen Seite gab es auch schon ein, zwei andere Dinge, die der Blonde wagemutig in ihr Bett geholt hatte, bis aus einem mutigen Versuch eine beidseitige Vorliebe geworden war.
Mit dem Honig mochte es sich ähnlich verhalten oder vielleicht auch nicht, aber sie würden es beide nicht wissen, wenn sie es nicht wenigstens versuchten. Das schlimmste Ende, was dieses Abenteuer mit sich bringen könnte, wäre sowieso nur eine Begeisterung seitens Matthew und eine plötzliche Ernüchterung bei dem sonst so honighungrigen Bären… vielleicht nebst einem völlig eingesauten und unbrauchbaren Bettlaken, das sich danach einfach nicht mehr retten ließ.
Doch ihre Beziehung lebte nicht von Angst vor dem Unbekannten und falscher Zurückhaltung, sondern ganz alleine von Abenteuerlust, gegenseitigem Vertrauen und dem Mut Dinge zu wagen, die sie vorher für nicht möglich gehalten hatten. Ganz gleich ob amouröse Spielereien mit Honig, das Testessen von Zuckerwatte oder gar sich überhaupt auf eine Liebesbeziehung einzulassen. All das gab es nur, weil sie beide nicht darauf beharrten ihren Standpunkt nicht zu verlassen – sondern weil sie dorthin gingen wo der andere hin ging und weil sie beide dort aufeinander aufpassten, ganz gleich ob ihnen dort Gefahren oder Liebe widerfuhr.
Gefühlt beides gab es in der Nähe der wilden Monster, die um Mitternacht aus ihrem Unterschlupf krochen und damit drohten die Einwohner der Stadt zu verschleppen. Natürlich waren sie Schlimmeres gewohnt – riesengroße Spinnen zum Beispiel oder böse Geister, die einen in tiefen Schlaf versetzten um sich von ihren Träumen zu nähren – und somit waren sie derart gefahrenerprobt, dass sie beide eigentlich kaum Angst haben mussten, dass man ihnen ein Haar krümmen könnte. Trotzdem und gerade deshalb ließ Clarence es sich nicht nehmen, seinen Mann in der Menge trotzdem von hinten zu umarmen und ihn eng bei sich zu behalten, während aus den Reihen vor ihnen mal hier, mal dort einer der Zuschauer entwendet wurde. Cassie war viel zu lange fort gewesen um zuzulassen, dass man ihn nun schon wieder von seiner Seite raubte und außerdem war der Schutz seines Mannes ein ganz wunderbarer Vorwand um sich eng von hinten an ihn zu schmiegen, verliebt seine Nase in das dunkle Haar drängend und genießend, dass ein kleines Wunder geschehen war und er wenigstens die Neujahrswende nicht alleine in Falconry Gardens verbringen musste, wenn das für die vorhergegangenen Feiertage schon nicht zutraf.
Der Höhepunkt der Nacht war zweifelsohne Mitternacht, ein Moment der meistens plus minus einiger Minuten halbwegs pünktlich vom Vorsitzenden des Stadtrats eingeleitet wurde, kurz bevor sich die schallenden Schüsse von Gewehren um die Stadtmauer herum durch den Nachthimmel zogen. Auch dieses Mal gingen die restlichen paar Sekunden des von der Menge ausgerufenen Countdowns im Krach unter, der kurz darauf über die Massen herein brach – gefolgt von einem Regen aus bunten Farben und Flocken, der bei dem windstillen Wetter besonders schon zwischen den Menschen hinab rieselte und einen die Strapazen des vergangenen Jahres wenigstens für einen Moment vergessen ließ.
Es roch nach verschüttetem Bier und dem Rauch der Feuerstätten, nach Bratensoße der letzten noch offenen Grillstände und mal hier, mal da wehte einem der Geruch von Süßkram in die Nase, wenn sich jemand mit einer Tüte voll gebrannter Mandeln durch die Massen quetschte, um noch schnell zu seinen Liebsten zu huschen. Längst hatten die meisten Buden geschlossen, wie immer wenn es auf Mitternacht zuging und dementsprechend voll war es am Marktplatz geworden. Doch all das war nebensächlich als Matthew sich in der Umarmung zu ihm umdrehte und ihm die Hände in den Nacken legte, um ihm einen festen, energischen Kuss aufzudrücken, den Clarence glücklich und mit einem wohligen Gefühl in der Brust erwiderte.
Die Stirn eng an die seines Mannes schmiegend, zog er die Arme etwas weiter um die fremde Taille zusammen und ließ Cassie sogar kurz vom Boden abheben indem er ihn ein Stück weit empor hob, so euphorisch fühlte er sich, weil sein Mann wider aller Erwartung heute bei ihm war. Dass er wieder zu ihm zurück kehren würde und den Angriff in der Schneewürste überlebt hatte, war nicht absehbar und nicht selbstverständlich gewesen und doch fühlte es sich umso selbstverständlicher an, dass sich ihre Bindung zueinander in all der Zeit nicht verloren hatte, sondern sogar noch enger geworden war.
„Mhh… auf ein besseres, zweites Ehejahr, mein kleines Böckchen“, wisperte er seinem Mann entgegen, was zweifelsohne in der Lautstärke um sie herum unterhing, aber das war nicht so wichtig. Stattdessen küsste er den Jüngeren ein weiteres Mal, bevor er ihn endlich wieder hinab ließ.
Nur langsam schwoll das Stimmengewirr um sie herum wieder ab und ließ die Mühen der Musiker wieder in den Vordergrund treten, die sich nicht beirren ließen um die Stimmung weiterhin ausgelassen anzutreiben. Manch einer um sie herum nahm die Mitternachtsstimmung zum Anlass, um sich und seinen Freunden noch eine Runde am Stand zu besorgen, andere mit Kindern, die bis eben noch wacker die Augen offen gehalten hatten, versuchten sich langsam zu verabschieden und den Heimweg anzutreten. Die beiden jungen Männer hingegen nutzten die Nähe, um sich noch ein wenig zur Musik zu wiegen – kein wilder Tanz wie manch anderer ihn in betrunkenem Zustand gerade aufs Parkett legte, aber durch die dadurch entstehenden Ausweichmanöver doch angeregt genug, um offiziell als Tanzen gelten zu können – bevor es schließlich langsam wieder ruhiger um sie herum wurde und sich die Leute in kleine Träubchen an Ständen und Feuer aufteilten oder langsam in den umliegenden Gassen verschwanden, um die Nacht Zuhause ausklingen zu lassen.
„Wie sieht es aus, mh? Noch irgendwelche bestimmten Wünsche oder sollen wir auch langsam zusehen, dass wir unser Feuer zuhause entzündet bekommen?“, wollte er von seinem Mann wissen und hielt ihn dabei tapfer in den Armen, denn so ganz hatte selbst der Tanz die leichte Schlagseite Matthews noch nicht beheben können. „Oder willst du noch mal hoch zum Clan und sicher gehen, ob dein wilder Reitersmann es mitterweile wieder hoch in sein Bett geschafft hat?“
Hatte Cassie vorhin schon gedacht, dass diese Nacht irgendwie magisch war… so entfaltete sich jener Zauber erst vollends, als Clarence seine Arme fester hinter seinem Rücken verschränkte und ihn in einer Anwandlung von Übermut und Liebe nach oben hob.
Matthew schmunzelte mit geschlossenen Augen in den Kuss und lehnte sich den Lippen so weit entgegen wie es ging, ohne den Bären aus dem Gleichgewicht zu bringen. Um sie herum regnete es bunte Papierschnippsel, die Musik spielte, Leute sangen und lachten und obgleich so vieles zugleich geschah, so zählte nur eines:
Sie waren zusammen. Sie waren heil. Sie hatten eine Zukunft.
Kichernd verstärkte Matt seine Umarmung, während sein Herz vor Freude hüpfte. Alles fühlte sich so unglaublich leicht, so unglaublich richtig an.
„Ich tu was ich kann, Bärchen.“, flüsterte Cassie zurück und hörte sich dabei viel sentimentaler an als er wollte. Alles Gute in seinem Leben verdankte er jenem Mann und er würde alles tun, damit ihre Zukunft glücklich und lang sein würde. „Du bist das Beste in meinem Leben, Bärchen. Auf… das die Zukunft so glücklich wird wie du mich machst.“
Fest schmiegte Matthew sich an den Größeren während ihre Umarmung auf ganz natürliche Weise in einen wiegenden, ruhigen Tanz überging, während dem Cassie sich an die Halsbeuge seines Mannes lehnte und seine Wärme wie seinen Duft genoss.
Das neue Jahr war noch jung als Clarence ihn schließlich fragte ob er noch Pläne für die Nacht hatte - eine Frage auf die Cassie erst den Kopf schüttelte, es sich aber schließlich doch noch anders überlegte.
„Lass uns… nach Hause gehen. Aber vielleicht gehen wir vorher doch noch kurz bei Cam vorbei?“ - mit einem Hundeblick der auch das Eis auf dem Devil‘s Teeth zum Schmelzen gebracht hätte, sah er zu Clarence empor - der ihm den Wunsch nicht abschlug.
Obwohl sie beide annähernd gleich viel getrunken hatten, war der Dunkelhaarige weniger gut weggekommen als Clarence. Der Blonde musste so manches mal die leichte Schlagseite seines Böckchens korrigieren, wenn dessen Füße es nicht mehr schafften eine schnurgerade Linie zu gehen.
Mit einer Geduld wie sie einem Schamanen würdig war, brachte der Blonde sie zum Clanhaus wo sie noch ein paar bekannte und unbekannte Gesichter trafen und kurz ein paar Worte der besten Wünsche wechselten. Cameron war auch noch da und in guter Gesellschaft, sodass es nicht nötig wurde ihn ins Bett zu bringen - etwas, wofür Cassie nun selbst Hilfe gebraucht hätte. Als Pony hätte er jedenfalls nicht mehr getaugt.
Glücklich und überaus zufrieden brachte Clarence sie beide schließlich nach Hause und ließ Cassie zuerst eintreten. Vergnügt und gut gelaunt marschierte jener durch den kurzen Flur, zog sich im Gehen den Mantel aus und warf ihn achtlos auf den Boden. Ein paar der kleinen Öllampen sorgten schnell für genügend Licht in der guten Stube, die allerdings alles andere als gemütlich warm geblieben war.
„Das war… die beste Jahreswende aller Zeiten.“, konstatierte der Dunkelhaarige mit leicht nuschelnder Stimme und steuerte zielstrebig den Ofen an, in dem noch ein kleines Nest aus Glut wohnte.
Schwerfällig und ohne seine sonstige Geschmeidigkeit ließ sich Cassie auf die Knie plumpsen, öffnete ohne Umschweife die Ofenklappe und pustete kurz darauf schon in die Glut.
„Komm rein, mein schöner Ehemann… ich mach uns ein Feuer.“, er hob den Blick in Richtung Flur, aus dem Clarence gerade gekommen war und ihn ansah. „Ist so gut wie angezündet.“, abermals beugte er sich zu der Klappe herab und pustete in die Überreste des Feuers, woraufhin die Überbleibsel rot aufleuchteten, bereit zu neuer Stärke zurückzufinden.
Bedächtig schob Matt einen dünnen Scheit in die Luke und abermals glomm das Rot auf, eine einzelne kleine Flamme züngelte wohlwollend an dem trockenen Holz empor und als der junge Mann abermals in die Öffnung blies… erstarb das Flämmchen jäh .
„Neinneinnein…warte!“, murmelte Cassie zu dem Feuer so als könne er mit selbigem in Verhandlung treten und es daran hindern einzugehen.
Schnell schob er den Scheit tiefer in den Ofen, drängte das Glutnest damit jedoch auseinander und musste hilflos mitansehen, wie die kleineren glimmenden Holzstückchen müde wurden und immer verhaltener leuchteten… ehe sie schwarz liegenblieben. Reglos und ohne Chance auf Wiederbelebung. Doch dies zu akzeptieren lag Cassiel fern, der es nicht einsah das offensichtliche anzuerkennen.
Nun sollte es ein weiterer Holzscheit richten - dieses Mal ein größerer - und abermals pustete Matthew in die verbliebene Glut, jedoch vergebens.
Mehr als ein kurzes Aufleuchten brachten seine Mühen nicht.
Als dem Kleineren schließlich klar wurde, dass er die Reste des Feuers auf dem Gewissen hatte, ließ er sich ermattet mit dem Rücken nach hinten gegen den Schrank sinken, streckte die Beine vor sich aus und kommentierte angetrunken nüchtern das Offensichtliche:
„Baby… ich brauch dich.“ - und weil es eigentlich unglaublich war, dass er es geschafft hatte das Feuer in einem Ofen verrecken zu lassen, kam er nicht umhin albern über das eben geschehene zu kichern.
„Hab das Feuer gelöscht… irgendwie…“, mit einem verklärt-glänzenden Blick zuckte er die Schultern in einer ‚Ich kann mir nicht erklären wie das passieren konnte‘ -Geste. „Is‘ einfach ausgegangen… wär dir bestimm‘ auch so passiert.“
Aber selbst in seinem aktuellen Zustand wusste er, dass das nicht stimmte. Clarence hatte Ahnung von so Sachen. Er war der geborene Überlebenskünstler. Und verdammt gutaussehend war er obendrein, wie Cassie es im Stillen bei sich dachte, während er den Blonden nicht aus den glänzenden Augen ließ und ihn unverwandt anhimmelte.