Zeppelin - Boardbistro
12. Juli 2210
Widerwillig manschte Clarence mit der Gabel in seinem Rührei herum und versuchte die einzelnen kleinen Ringe Schnittlauch mit mäßigem Erfolg auf die Zinken aufzufädeln. Eine Gabelzacke hatte er schon zur Hälfte gefüllt, was entweder dafür sprach doch Talent für diese Geduldsprobe zu besitzen oder aber gegen den Koc, der einfach zu viel von dem Grünzeug mit hinein geschnitten hatte.
Mit gen Teller gesenktem Haupt, spähte er unauffällig über den Tisch und blieb kurz an der Wurst- und Käseplatte hängen, die ausgerechnet Adrianna für vier Personen bestellt hatte – und jetzt tauchte Matthew nicht mal auf, der wohl keinen Wert darauf zu legen schien, die Wogen mit der Zeit einigermaßen zu glätten.
„Schläft der immer so lang? Gestern war der Kerl pünktlicher“, wollte die Rothaarige wissen, erntete sich dafür von Clarence jedoch nichts weiter als ein monotones Brummen.
Ihm war nicht mehr so wirklich nach reden zumute, nicht nachdem sich im öffentlichen Waschraum plötzlich die Stimme eines Fremden in ihr Tête-à-tête eingemischt hatte, der sich von ihnen beiden völlig unbemerkt eingeschlichen haben musste, um des nachts mal auszutreten; und auch nicht, nachdem sie zurück an Cassies Zimmer angekommen festgestellt hatten, dass es kein Scherz von ihnen beiden war, niemand habe einen Schlüssel beim Aufbruch mitgenommen.
Mehr oder weniger aufgebrochen hatten sie notgedrungen auch die Tür, ein cleverer aber nicht unentdeckt gebliebener Akt, der wenigstens für kurze Zeit für nächtliche Aufruhr auf dem Flur gesorgt hatte. Zum Vorwurf machen konnte Claire das dem Nachtwächter nicht, der lediglich seine Arbeit verrichtet und die beiden nackten Einbrecher in der Ferne hatte aufhalten wollen; immerhin hatte er seinen Job bezüglich Klarstellung der Begebenheiten und Kontrolle der Identitäten gewissenhaft verrichtet, das musste man ihm lassen.
Wenigstens im Bistro des Zeppelins hatte er das Gesicht des Wächters noch nicht wiederentdeckt und da bislang auch noch kein anderer der Mitarbeiter mit nacktem Finger auf ihn gezeigt hatte um hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln, bestand wohl noch Hoffnung, ihre Geschichte hatte noch keine allzu große Runde gemacht. Was nicht war, konnte aber auch noch werden, immerhin war der frühe Morgen heute nicht viel besser für ihn verlaufen und hatte sich auch noch nicht gebessert ohne den Anblick seines Mannes hier am Tisch, von dem er sich während Sonnenaufgang getrennt hatte um zurück in seine eigene Kajüte zu huschen.
Was in den zurückliegenden Stunden passiert war, war so unwahrscheinlich, dass Matthew die Geschichte niemals jemandem abgekauft hätte der sie zum Besten gab.
Die unanständigen Dinge welche Clarence ihm in der Gemeinschaftsdusche zugeflüstert hatte, hatten letztlich dazu geführt, dass Matthew mehr gewollt und auch bekommen hatte statt nur die brummende Stimme des Bären. Aufgeheizt durch die überaus schlüpfrigen Fantastereien war es binnen weniger Minuten zu intensivem Sex zwischen ihnen gekommen. Clarence hatte ihm demonstriert wie er dem imaginären Fremden zeigen würde, wie er erst seine Finger in Cassiels rosiges Loch versenkte um es zu lockern und Platz zu schaffen für seinen Schwanz. Dabei waren verruchte Worte getauscht worden - vornehmlich von Clarence, denn Matthew war nach kurzer Zeit nur noch in der Lage gewesen zu wimmern und zu stöhnen.
Nach dem Sex hatte sich eine dritte und bis dahin ungehörte Stimme zu erkennen gegeben. Ein Fremder, der heimlich ihr Stelldichein mitgehört und den eigenen Worten nach sehr genossen hatte. Minutenlang hatten Clarence und Matt dann in ihrer Duschkabine gewartet um der Person bloß nicht unter die Augen zu treten, hatte diese doch schon mehr gehört und erfahren - etwa über ihre Vorlieben und Fantasien - als ihnen lieb war.
Und als wäre das nicht schon absurd genug so hatten sie feststellen müssen, dass keiner von Ihnen einen Schlüssel für Matthews Kabine mitgenommen hatte.
Alles in allem war die Nacht derart aufregend und aufreibend gewesen, dass man Matthews Verspätung zum Frühstück gut und gerne mit Erschöpfung hätte erklären können. Aber so war es nicht.
Es lag auch nicht an einem Gefühl von Scham oder an der Furcht entdeckt und vom Zeppelinpersonal entlarvt zu werden.
Die Wahrheit sah ganz anders aus. Tatsächlich hatte Matthew - nachdem er sich beim Nachtwächter ausgewiesen und entschuldigt hatte - diesem ein finanzielles Bonbon für dessen Diskretion gezahlt - und ein weiteres würde der Mann bekommen, wenn sie und ihre Hunde von Bord gegangen waren. Unbehelligt wohlbemerkt.
Darauf hatte sich der beflissene Herr eingelassen und Matthew war zufrieden.
Der Grund für seine Verspätung war simpel: er wollte einfach länger liegenbleiben und sich dann in Ruhe fertig machen.
Dementsprechend gut sah er aus, als er schließlich etwa dreißig Minuten nach Clarence in dem Frühstücksraum auftauchte. Sein Haar glänzte satt und war auf eine Weise unordentlich, wie andere ihn wohl darum beneiden mochten. Mit selbstbewusstem Gang, dem eine ungewollte aber doch augenfällige Eleganz und Geschmeidigkeit innewohnte tauchte er aus dem Treppenflur auf, betrat den Raum und durchquerte selbigen. Die ein oder anderen Blicke richteten sich auf ihn, was daran liegen mochte, dass er um diese Uhrzeit der einzige Gast war der auftauchte. Dagegen sprach jedoch, dass so manches Augenpaar länger auf ihn gerichtet blieb als nur einen flüchtigen Moment.
Matthew trug einen sandfarbenen Pullover der figurnah geschnitten war und seine Schultern ebenso betonte wie seine schmale Hüfte. Seine Beine steckten in verwaschenen Bluejeans und darüber legte sich der Schaft lose geschnürter, schwarzer Boots. Hinter dem unversehrten Ohr steckte eine Zigarette.
"Guten Morgen, Mädels.", grüßte er die Runde so als würde er alle drei Anwesenden schon ewig kennen.
Er zog einen der Stühle zurück und setzte sich dann, langte sofort nach dem Brotkorb der auf dem Tisch stand und bediente sich ebenso selbstverständlich an Käse und Wurst.
Wenn man ihn so sah würde man nicht auf die Idee kommen, er sei wenige stunden zuvor nackt durch die Flure des Zeppelins gehuscht. Adrett, selbstbewusst und umgeben von einer Aura der Selbstverständlichkeit, strahlte Matthew Reed etwas aus, dass den meisten Menschen dieser Epoche fehlte: die unumstößliche Gewissheit, dass es nichts an ihm auszusetzen gab.
Das stimmte freilich nicht immer und es gab auch andere Zeiten, aber von dem devoten Böckchen war aktuell ebenso wenig zu sehen wie von dem selbstkritischen jungen Mann der er von Zeit zu Zeit war. Aktuell - und niemand der ihn nicht gut kannte würde daran zweifeln - ließ der Dunkelhaarige nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass er mit sich im Reinen war, vor nichts Angst hatte, keine Schuld an irgendetwas hatte und es auch für vollkommen legitim ansah, als Letzter zum Gruppenfrühstück zu kommen.
Er sah zu Clarence während er von seinem aus dunklem Teig gebackenen Brötchen abbiss.
Der Blonde hatte wieder den bekannten unordentlichen Dutt - genau von der Art wie Cassie ihn gern zerstörte. Er sah nur mäßig gut gelaunt aus, was aber vermutlich genau richtig war, sollten Adrianna und Cameron doch nichts von ihnen wissen und er schien damit beschäftigt möglichst wortkarg durch den Morgen zu kommen.
"Von dir bin ich ja gewöhnt, dass du zeitig aufstehst. Hätte nicht gedacht, dass das auf euch auch zutrifft." - Adrianna ließ ihn daraufhin wissen, dass 'zeitig' schon mehrere Stunden vorbei war, etwas das Matthew mit einem recht gewinnenden Lächeln und einem Schulterzucken abtat. Er hätte ebenso gut auch sagen können: 'Was solls?'
"Hast noch ne lange Nacht gehabt, was?" - wollte Barclay wissen und sein Blick war der eines Mannes der mehr dazu hören wollte - Indiskretion hin oder her.
Matthew, der am Liebsten geantwortet hätte, dass er die Nacht mit einer wahnsinnig heißen Blondine verbracht hatte, biss sich rechtzeitig auf die Zunge und schüttelte sacht den Kopf. "Nicht was du wahrschlich denkst, Sherlock." - und noch bevor die Elster ihren Schnabel noch weiter in dieses Thema versenkte wechselte Cassie es.
"Ist beschissen kalt geworden über Nacht..." - das warme Sommerklima welches sie in Rio Nosalida noch genossen hatten war kalter Winterluft gewichen und ein Blick aus dem Fenster hatte ihm heute Morgen weißlich-graue Landschaft statt sattes Grün und Goldtöne gezeigt.
Ihr Weg zurück in den Norden rief ungute Gefühle in Matthew hervor und zwar nicht nur wegen der Kälte.
"Wisst ihr, ihr hättet euren Leuten auch einfach einen Falken mit einer Nachricht schicken können: "Haben Clarence gefunden, bleiben noch ein bisschen im Süden damit uns nicht die Eier abfrieren. P.S. Matthew Reed gehört jetzt zu uns." - irgendwie sowas in der Richtung."
Clarence brauchte den Blick nicht heben um den Auftritt seines Göttergatten zu vernehmen, dessen Schritte schon von weitem über die hölzernen Dielen hallten. Es war ein vertrautes Geräusch, so wie einem irgendwann alles urig vertraut wurde, wenn man nur genug Zeit miteinander verbracht hatte. Manchmal reichte der Hauch des fremden Geruchs um zu erahnen wer sich näherte, ein hüsteln oder schwerer Atemzug, um eine geliebte Person ungesehen schon an wenigen Indizien zu entlarven.
Bei Matthew Cassiel Reed lagen die Dinge allerdings noch ein wenig anders. Wenn dieser Mann einen Raum betrat, waren es selten einfach nur seine Schritte welche die Leute aufblicken ließen, sondern seine ganze Aura an sich. Dieser Mann hatte etwas derart selbstverständlich-selbstbewusstes an sich, dass es einem fast unmöglich war sich von seinem Auftritt abzuwenden. Seine Kleidung war lässig aber stilvoll, ohne dabei angestrengt bedacht zu wirken und die Art und Weise wie er die Welt um sich herum betrachtete glich einem jener Blicke, die aussagten dieser Mann war sich selbst der nächste, ohne dabei unsympathisch zu wirken… und der Blonde hatte ihn früher für diese Art sich darzustellen unglaublich gehasst.
Es war eine so glattgebügelte Art, die viele Menschen als angenehm empfanden, dass sie Claire schon wieder zu faltenfrei war. Da gab es nichts an dem man stolpern oder sich reiben konnte, keine Unperfektion im warmen und doch nichtssagenden Lächeln des Dunkelhaarigen und keine Äußerungen die man ihm zum Vorwurf machen konnte außer jene, freundlichen Smalltalk betreiben zu wollen.
Der Jäger mochte solche Menschen nicht, zumeist deshalb weil stille Wasser tief waren und er noch weniger dazu in der Lage war derartigen Typen hinter die Stirn zu schauen, als diese umgekehrt ihm schweigenden Klotz. Da war ihm selbst eine schnell aufbrausende Adrianna lieber, bei der man immerhin zeitnah wusste woran man war, selbst wenn sie einem das Leben nicht immer leicht machte.
Um ehrlich zu sein konnte Clarence selbst nicht sagen woran es lag, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste wie wenig sympathisch ihm Reed damals gewesen war; aber immerhin warum er nicht erst seit heute grundsätzlich schlechte Laune hatte, wenn sie in der Gruppe beisammen saßen:
Er war es einfach nicht gewohnt Matthew mit anderen zu teilen.
Sie waren entweder immer miteinander zu zweit unterwegs wandern gewesen oder in Ortschaften schon nach kurzer Zeit voneinander getrennt, hatten wenige Abende in der Runde irgendwelcher neuer Bekanntschaften gemacht, noch versucht sich irgendwo zusammen Freundschaften zu machen in Dörfern, die sie sowieso nie wieder besuchen würden. Seit ihrer Hochzeit waren sie mehr oder weniger für sich gewesen und die Notwendigkeit, diesen kleinen Kreis durch weitere Individuen außer Abel und Kain zu erweitern, hatte sich nie gezeigt.
Von jetzt auf gleich aber waren sie da, diese Invasoren die auch einen Teil vom Kuchen abhaben wollten, ohne zu wissen, dass das ganze Ding ganz alleine für Clarence angeliefert worden war. Dafür konnte er weder Adrianna noch Cameron einen Vorwurf machen, die beiden wussten es einfach nicht besser – aber wenigstens sein Kuchen könnte sich ein wenig mehr dagegen wehren von andern begeiert zu werden, wenn man das in etwa so definieren konnte. Und sei es nur, indem Matthew einfach den Schalter für ‚Allseits beliebter Sonnenschein‘ ab und zu mal auf Aus stellte.
Die Willenskraft, die es ihn unterdessen benötigte um seine Gesichtszüge im Zaum zu halten als Barclay mehr über die lange Nacht des Frischlings wissen wollte, wäre nicht mal in den zahlreichen Münzen aufzuwiegen gewesen mit denen noch vor wenigen Stunden der Nachtwächter bestochen worden war. Der zwanglose Themenwechsel hin zum Wetter, ein Gesprächsinhalt der immer auf freundliche Weise gut auszumelken war ohne einem gegenseitig an die Gurgel zu gehen, kam also gerade recht – und war angesichts ihrer Reise durch mehrere Zonen von Jahreszeiten sogar wichtig anzusprechen, bevor sie in Poison Ivy anlegten.
„Ob du überhaupt ‘n paar Eier hast, die sich abfrieren lassen, muss sich erst noch zeigen“, warf Adrianna beinahe beiläufig ins Gespräch ein während sie nach der Butter langte und dabei klang, als wäre tiefster Winter wohl die naheliegende Mutprobe für Jäger. Damit hatte sie vermutlich sogar Recht, immerhin erinnerte sich Clarence nur zu gut an die ersten Frostnächte im Zelt noch weit vor Coral Valley, die gerade mal eine träge Ankündigung von Schnee und Eis gewesen waren. Selbst in Cascade Hill hatten sie unter einem festen Dach am warmen Kamin Schutz gefunden, ein Luxus den sie vorerst aus ihrem Tagesplan würden streichen können, brachen sie erst aus Poison Ivy auf.
„Immerhin stellst du lediglich das Vorhandensein seiner Kronjuwelen in Frage und nicht, dass er zu uns gehört. Klingt, als wären wir hier endlich einen Schritt weiter gekommen“, nahm Clarence ihr die Butter unter der Nase weg obwohl Cassie, direkt neben der jungen Frau sitzend, einen wesentlich kürzeren Weg gehabt hätte. Kommentarlos stellte er nicht nur sie, sondern auch den Korb mit dem frischen Obst zu Matthew hinüber und folgte damit einer alten Angewohnheit, die er wohl nie so ganz loswerden würde: Sicherstellen, dass Matthew auch bloß genug aß, damit er bei Kräften blieb. Der Kerl war zwar kein Hemd im Wind, besonders breit gebaut war er nebst seinen Muskeln aber auch nicht und die würden ihn nicht ewig warm halten, je weiter der Winter voran schritt.
Abwartend blickte er zur Rothaarigen empor, die es an diesem Morgen vorzog mit Schulterzucken in ihr Brötchen zu beißen anstatt sich auf das Niveau einer Diskussion herab zu lassen; nachdem sie es geschafft hatte Clarence dazu zu bewegen sich neben Cameron zu setzen damit die beiden Streithähne endlich ihr Kriegsbeil wenigstens für den heutigen Tag begruben, schien sie redlich bemüht zu sein, zum einigermaßen friedlichen Beisammensitzen ihren Teil beizutragen.
Leise klimperte der gläserne Deckel, als Barclay neben ihm nach der Saftkaraffe griff um sich noch ein Glas einzuschenken, wobei er in der ersten Sekunde höchstens die Tischdecke besonders zielsicher traf.
„Das da draußen ist noch ein ziemlicher Witz was Kälte angeht. Als deine Nachricht Zuhause angekommen ist und wir aufgebrochen sind, lag der Schnee auf der anderen Seite des Berges schon kniehoch. Falconry hat Glück gehabt, dass der Wind in den ersten Wochen günstig stand und uns noch ein wenig verschont hat – ich will nicht wissen, wie es mittlerweile da aussieht“, malte er den Teufel an die Wand, während er das Glas leicht in der Hand über die Tischdecke schwenkte damit sie das Verschüttete schneller aufsaugte, und dabei zwischen seinem Sitznachbarn und Reed umher blickte. „In Poison Ivy wird es wahrscheinlich trocken sein, aber gerade nachts fallen oben im Norden die Temperaturen Minus bis in den zweistelligen Bereich, hab ich gehört. Wir müssen uns eh überraschen lassen wie es sein wird wenn wir da ankommen und gegebenenfalls noch was aufrüsten.“
Gegebenenfalls war recht optimistisch formuliert wie Clarence fand, ein Kommentar den er herunter schluckte, indem er das Körbchen mit den noch warmen, hart gekochten Eiern zu Matthew hinüber schob, bevor er sich selbst auch endlich eines der dunklen Brötchen zu seinem zermatschten Rührei nahm. So richtigen Appetit hatte er bislang noch nicht gehabt, etwas das sich nun langsam zu ändern schien, seitdem Matthew endlich zu ihnen an den Tisch gekommen war.
Nachdenklich betrachtete er sich die Eier, die lautlos im Körbchen herum kugelten und sich an einer Seite sammelten, an welcher er schließlich mit dem Blick hinauf in den Raum glitt. Der Speisesaal war unwesentlich voller im Vergleich zu gestern, ein wohl untrügliches Zeichen dafür, wie wenig Interesse daran bestand in eine Metropole wie Poison Ivy zu reisen wenn man nicht von dort kam und es keine Notwendigkeit gab dort aufzuschlagen. Vom letzten Mal mit Nagi wusste er noch, dass das Frühstück morgens im Zeppelin sogar in zwei Wellen stattgefunden hatte weil viel weniger Sitzplätze vorhanden gewesen waren als Tickets verkauft; aber vielleicht trügten ihn seine Erfahrungen auch nur, immerhin war er kein besonderer Experte was das anging.
Lautlos brach er sein Brötchen entzwei und verteilte etwas Marmelade darauf, während Adrianna sich Kaffee nachschenkte und dabei nicht weniger kleckerte als Cameron zuvor noch mit dem Saft. Überhaupt wirkte das arme Tischtuch, als erlebte es gerade den fünften Weltkrieg über sich, sodass man sich fast schon ein wenig für das Chaos schämen musste als zwei weitere Gäste zum Frühstück den Speisesaal über die schmale Treppe betraten, deren Gesprächsfetzen Clarence im Vorbeigehen auffing.
„…-ch hab selten was so Schönes gesehen wie die Berge vorhin mit dem Schneegipfel, auch wenn es ja schon ein bisschen gruselig war, wie dicht wir an der einen Stelle vorbei sind.“ - „Findest du? Immer wieder bemerkenswert, was für ein Angsthase du bist. Manchmal vergesse ich das“, umschlang die junge Frau den Arm ihres Partners, während sie sich wenige Schritte entfernt an das große Aussichtsfenster gelehnt hatten um in die Ferne zu blicken.
„-nd da die Leute aushorchen, welche Route sie nehmen. Dementsprechend könnten wir uns auch unsere Ausrüstung etwas vorbereiten“, schlug Adrianna hinsichtlich der Vorbereitungen weiterführend vor, erhielt jedoch vom Blonden keine brauchbare Rückmeldung, was sie ihren Teelöffel in sein Rührei werfen ließ. „Hey!“
„…-inten müssten wir bald über eine Geisterstadt fliegen, hat einer der Kellner mir heute Morgen verraten als ich uns den Kaffee aufs Zimmer geholt hab“, zeigte die junge Frau am Arm ihres Partners entlang in die Ferne und bekam ein eigentümliches Funkeln im Blick, wie es nur jenen oblag die immer Abenteurer hatten werden wollen, aber nie die Chance gehabt hatte, ihre sichere Komfortzone zu entlassen. „Er hat gesagt, da soll es sogar welche von diesen… Wolkenkratzern geben, wie man sie aus den Geschichten der Alten immer kennt. Sag bloß, da bekommst du wieder Schiss? Keine Angst, ich pass schon auf dich auf.“
Lachend legte sie ihre Arme zurück um den armen Kerl der bestimmt zwei Köpfe größer war als die Kleine und eher wirkte als würde er die Brünette zerquetschen wenn er in ihrer Umarmung ohnmächtig wurde, als sanft zu Boden zu gleiten.
„Wir sind schon noch eine Weile unterwegs, oder?“
„Trotzdem können wir uns doch jetzt schon Gedanken machen, das füllt die Zeit bis wir heute Abend angekommen sind“, verdrehte die Rothaarige die Augen auf die blöde Gegenfrage zu ihrer Antwort und schüttelte den Kopf, immerhin war Clarence bislang dafür bekannt gewesen einer der wenigen hier an diesem Tisch zu sein, mit dem sie auch mal eine halbwegs anständige Unterhaltung führen konnte.
„Nein, das meine ich nicht. Wenn wir erst auf halber Strecke sind…“ - ohne den Satz fortzuführen deutete er auf den Korb mit den Eiern und schließlich auf die zahlreichen Saft- und Kaffeeflecken des Tischtuchs, welche alle eine bestimmte Richtung aufwiesen: Nämlich zur Nasenspitze des Zeppelins hin, dem geringsten Widerstand der Schwerkraft folgend – „…warum warum geht es dann schon jetzt die ganze Zeit bergab? Wir sind ja auch gestern beim Abendessen nicht ständig bergauf geflogen, als wir noch auf der ersten Hälfte waren.“
„Das ist nicht lustig Sky, lass das“, wies Cameron ihn unsicher zurecht und blickte in die Runde, als wolle er die anderen ebenfalls dazu auffordern, den Blonden zum Schweigen zu ermahnen. Letztlich musste er aber erkennen, dass Adrianna mehr daran gelegen war der Theorie des Hünen nachzugehen indem sie nochmals zur Kaffeekanne griff, um dieses Mal langsamer nachzuschütten – und mit schief gelegtem Kopf dem krummen Strahl zu folgen der hauchzart an ihrem Tassenrand vorbei ging, statt wie zu erwarten hinein zu treffen. Der Winkel, der nicht stimmte, war kaum wahrzunehmen wenn man mit Frühstücken und Vergesellschaftung beschäftigt war doch umso prägnanter, kaum da man ihn nicht länger ignorieren konnte.
Geplänkel war das Wort welches Matthew in den Sinn kam, während er der Konversation am Tisch lauschte. Hatte er Eier oder nicht war die Frage die Adrianna umtrieb bis sie ihre Gedanken sortierte und lieber darüber nachdachte ob man in Poison Ivy Vorräte und Ausrüstung aufstocken sollte.
„Das Herz einer Frau – und selbst wenn es noch so gut ist – eroberst du am Besten mit kleinen Aufmerksamkeiten, Mattie.“ – das war eine der zahlreichen „Weisheiten“ Rosalies gewesen und gerade jetzt fiel sie Matthew ein.
Vielleicht sollte er in Poison Ivy versuchen Adriannas Herz zu erobern, in dem er ihr einen schicken Wintermantel kaufte. Oder zumindest eine gefütterte Weste.
Die Vorstellung amüsierte ihn, denn er wusste schon jetzt, dass die Rothaarige sich nichts von ihm kaufen lassen würde. Geschweige denn würde er ihr Herz damit erobern.
Aber das machte nichts. Im Augenblick störte sich Cassie nicht an ihren Spitzen und auch nicht wirklich an der Kälte. Das Thema Wetter war einfach dankbar und es war gut, dass die Ablenkung funktioniert hatte. Später, wenn sie in der Metropole mit dem zweifelhaften Ruf ankamen würde Matthew die neuen klimatischen Bedingungen allerdings verfluchen. Schon jetzt wusste er, dass das so kommen würde. Rückblickend war ihre Flucht vor dem Winter viel zu kurz ausgefallen und von viel zu vielen unfreiwilligen Pausen geprägt gewesen.
In ein paar Stunden würden sie dann wieder im Norden sein und dieses Mal würde es nicht bei ein paar Flocken Schnee bleiben.
„Ich hasse Winter, ganz ehrlich.“ – stellte er ein weiteres Mal seine Abneigung klar und warf sich anschließend eine himmlisch süße Weintraube in den Mund, die er sich etwas umständlich von der Obstplatte geangelt hatte. Eine Mühe, die von Sky nicht ungesehen blieb.
Er warf einen Seitenblick gen Clarence, der ihm ungefragt aber aufmerksam die Schüssel mit Obst heranreichte und auch dafür Sorge trug, dass er sich sein Brötchen bebuttern konnte – noch vor Adrianna.
Vorsichtig schob Matthew nun seine Füße etwas nach vorne, um damit gegen die des Blonden zu stupsen und ihm zu signalisieren, dass er seine umsorgende Art ziemlich süß fand.
„He, klapp deine Stelzen ein, Reed.“, mokierte sich Cameron plötzlich, woraufhin Matt sich sofort zurückzog. „Sorry.“, entgegnete er flapsig und beäugte nicht ohne ein gewisses Interesse, wie der Dunkelhaarige mit dem Saft kleckerte und anschließend über das Tischtuch rieb.
Sich einen neckenden Kommentar verkneifend, brach er sein Brötchen auf, versah beide Seiten mit dem gelben Streichfett und streute dann Salz darüber. Statt Kaffee langte er nach einer Tasse, die mit Kakao gefüllt war und die außer ihm niemand am Platz stehen hatte – was deren Existenz eindeutig als weitere Aufmerksamkeit von Clarence auswies.
Bevor ein verliebtes Schmunzeln sich auf seinen Lippen breit machen konnte, tauchte er das gesalzene Brötchen in den Kakao und biss dann hinein.
Der herrliche Kontrast von salzig und süß breitete sich auf seiner Zunge aus und er seufzte angetan.
Es war eine lange Nacht gewesen mit nur wenig Schlaf, aber er wollte keine Minute, die er mit Clarence verbracht hatte, missen und das Frühstück vermochte es ihn für den Moment absolut zufrieden zu stellen.
Dunkelbraune Augen richteten sich auf Graublaue, aber Clarence erwiderte seinen Blick nicht sondern verfolgte kurzzeitig ein junges Paar. Auch Matthew sah nun zu den beiden hin, lauschte auf das Gespräch welches auch irgendwie Geplänkel war und widmete sich schließlich einem hart gekochten Ei.
Als kurz darauf auch noch Adrianna dafür sorgte, dass die einstmals weiße Tischdecke neue Sprenkel erhielt, hätte es ihm dämmern müssen, aber es war Clarence, der das Offensichtliche zuerst aussprach und damit die bis eben noch herrschende Selbstverständlichkeit des Seins zerstörte.
Matt hielt in seinem Frühstück inne, schluckte den letzten Bissen seines Brötchens herunter und verfolgte mit, wie die Rothaarige erneut versuchte den Kaffee in ihre Tasse zu schütten. Aber der warme Strahl verfehlte das Gefäß haarscharf. Einen kleinen, aber sichtbaren Bogen beschreibend.
Es war nicht viel Neigung, aber nun da man sie einmal gesehen hatte war sie so offensichtlich, dass es unmöglich war sie nicht wahrzunehmen.
„Vielleicht machen wir irgendwo einen Zwischenstopp, füllen Treibstoff auf.“ – warf er ein und Cameron schien die Idee gut zu gefallen, fügte er doch an „Hab gehört, dass das auf manchen Strecken wirklich gemacht wird! Je nachdem wie groß der Zeppelin ist und wie viel…-“ – „Aber nicht auf dieser.“, konterte Adrianna ohne den Anderen aussprechen zu lassen und verzichtete, ganz und gar untypisch, auf Beleidigungen.
Schweigend blickte das ungleiche Team nun auf den Tisch, schien einen Moment zu brauchen das Festgestellte zu begreifen und Schlüsse daraus zu ziehen.
„Gestern zum Abendessen war Bordpersonal an den Eingängen.“, stellte Cassie unvermittelt fest, seine Augen hatten sich eher von dem Frühstück gelöst und nun sahen sich auch die anderen nach allen Seiten um. Aber es gab keine Angestellten im Saal. Weder an den Ein- beziehungsweise Ausgängen noch an dem aufgebauten Buffet. Und wenn er so darüber nachdachte, hatte er auch auf den Fluren heute noch keinen gesehen. Keine Zimmermädchen, keine Pagen, niemanden in rot-goldener Uniform – und dabei fielen die auf.
Ihm wurde flau im Magen und das Gefühl, dass etwas gar nicht stimmte wallte so stark in ihm auf, dass er am Liebsten aufspringen und wegrennen wollte. Aber wohin sollte er rennen? Wohin rannte man denn auf einem Zeppelin der abstürzte?
‚Man rennt nirgends hin, man ist gefangen und machtlos. Man stürzt mit ab. Man stirbt.‘ eine Erkenntnis so kalt und schrecklich, dass Matthew versuchte sie weit von sich zu schieben.
„Wenn wir keinen Zwischenstopp machen, aber sinken…dann…“ – „Stürzen wir ab.“ Sprach die Rothaarige den von Cameron begonnenen Satz leise weiter. Ihre Stimme klang unheilvoll und in ihren Augen meinte der Dunkelhaarige seine eigene Furcht zu erkennen.
„Nein…Moment…“, Matthew hob beide Hände neben seinen Teller, als müsse er diesen dazu mahnen ganz ruhig zu bleiben. „Wir machen keinen Sturzflug. Das hier ist…wir gleiten eher ein bisschen nach unten. Kein Absturz sondern … ein Sinkflug.“ Das klang besser. Viel besser sogar.
„Huch! Pass doch auf!“ – die junge Frau von vorhin rieb sich über den Schoß, auf den ihr Begleiter aus Versehen Tee geschüttet hatte. „Oh nein! Tut mir leid, verdammt…hab‘ ich dich verbrannt?“ erkundigte er sich besorgt.
„Es geht schon, alles gut. Versuch das nächste Mal aber bitte gleich die Tasse zu treffen.“ Die junge Frau lächelte schelmisch und ihr Freund nickte fahrig.
‚Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis die anderen Gäste merken, dass etwas mit der Route nicht stimmt.‘ schoss es Matt durch den Kopf, während er beide beobachtete. Und gleich darauf dachte er:
‚Dann bricht hier die Hölle los.‘.
„Claire.“ – ernst schaute er zu dem Blonden, ihm selbst stand hinter einer erzwungenen Gelassenheit Panik in den Augen und in denen seines Mannes sah er Beunruhigung, was alles in allem die Sache noch schlimmer machte, weil Clarence selten beunruhigt schien.
„Wir gehen zum Kontrollraum, sehen nach dem Kapitän dieses Vogels hier. Im besten Falle… erklärt er uns die Lage und es ist alles in Ordnung.“ – was der schlechteste Fall war, darüber verlor er besser kein Wort jetzt. Er wollte es sich nicht überlegen.
„Und ihr zwei versucht Bordpersonal zu finden. Irgendwen. Wenn etwas nicht stimmt…müssen die Leute instruiert werden damit keine Panik ausbricht.“
Seine Stimme klang gefasst, aber in seiner Brust trommelte sein Herz wie ein wildgewordener Musiker.
Ohne darauf zu warten ob irgendeiner der Drei ein Veto einlegte, stand er von seinem Platz auf und beobachtete dabei unwillkürlich, wie der kleine Rest Kakao in seiner Tasse sich gen Norden neigte. In Flugrichtung. Nach unten.
‚Sinkflug, ein Sinkflug ist kein Absturz.‘, sagte er sich selbst und versuchte sich zu beruhigen. Aber das Fehlen von Personal und die untrüglichen physikalischen Zeichen machten es ihm schwer nicht auf der Stelle durchzudrehen.
Unvermittelt ging ein heftiger Ruckler durch das Flugschiff, so stark, dass es Matthew nach vorne warf und er sich mit den Händen auf dem Tisch abstützen musste, um nicht hinzufallen. Der Stuhl, auf dem er eben noch gesessen hatte, kippte um - ebenso wie die leeren Stühle an anderen Tischen. Die wenigen anwesenden Fluggäste stießen verwunderte Schreie aus.
„Los jetzt.“, Cassie packte Barclay an seinem Arm und zog ihn unsanft auf die Beine. Kaum da er stand schien er sich zu fokussieren und den lähmenden Mantel der Furcht abzulegen. Der Kerl versetzte ihm einen Klaps zwischen die Schulterblätter. „Wir treffen uns wieder hier!“ legte er fest, wogegen Matthew nichts einzuwenden hatte. Adrianna erhob sich nun ebenfalls, sie folgte Barclay und Clarence und Matthew verließen den Raum in Flugrichtung. Sie gingen zügig, rannten aber nicht um nicht noch weitere Unruhe zu schüren welche mittlerweile zwischen den Frühstücksgästen herrschte.
„Richtung Brücke, Richtung Brücke…“ murmelte Cassie und überflog dabei die kleinen Metallschildchen an den Wänden, die den Gästen die Richtung weisen sollten.
Aber von Brücke stand da nichts. Also liefen sie weiter. Eine zweite Erschütterung folgte, warf sie gegen die holzvertäfelte Wand des Gangs, der ganz identisch zu dem aussah über den sie wenige Stunden zuvor noch nackt und kichernd gehuscht waren.
„Scheiße was läuft hier?!“, entfuhr es Matthew aufgeregt, dessen Panik nun ganz dicht unter der Oberfläche lag. Wie ein Monster unter Wasser, verdeckt vom seichten Kräuseln der Wellen.

Irgendwie schien es Usus zu werden, dass ihre heimlichen Anbandlungen unterm Tisch von Barclay abgefangen und unterbrochen wurden, fast so als wolle der Kerl ihre Annäherungsversuche unbewusst unterbrechen oder als gäbe es eine höhere Macht, die sie vor Schlimmerem bewahren wollte.
Vermutlich war tatsächlich eher letzteres der Fall, denn hätten Matthews Füße ihn getroffen, wäre Clarence wie so oft in seinen Bann geraten. Hätte die fremden Füße ebenso sachte an gestupst, wäre vielleicht mit seinen nackten Zehen ein Stückchen am Bein des anderen hinauf gestrichen und hätte sich dabei bemüht seinen schönen Mann nicht allzu vernarrt zu betrachten, ein Unterfangen das ihm nicht besonders gut geglückt wäre. Ihm wäre das junge Pärchen nicht aufgefallen, das sich darüber unterhielt wie ungewohnt dicht sie die Berggipfel gekreuzt hatten und das Neigen der Eier wäre für ihn nichts anderes gewesen als eine Ansammlung von üppigem Frühstück, wie sie es sich hatten gönnen wollen in der Ruhe des Morgens. Das Kleckern seiner zwei Kameraden wäre nichts anderes gewesen als deren Tollpatschigkeit von der sie alle vier durchaus ein wenig ihr Eigen nannten und das zwar etwas war worüber man Scherze machen konnte, sich aber nicht sorgen brauchte.
Doch Cameron fing die Stelzen unterm Tisch ab, er sorgte dafür dass keine Ablenkung herrschte und keine losgelöste Stimmung Teil dieser Unter-dem-Tisch-Runde blieb die dafür sorgen konnte, dass man auch die offensichtlichsten Anzeichen nicht besonders ernst nahm und mit beschwichtigenden Sprüchen überspielte, der allgemeinen Laune zuliebe.
Nun zwang sich der Blonde doch noch eine Gabel voll Rührei zu sich zu nehmen und mit einem Schluck Kaffee hinunter zu spülen, nicht etwa um sich zurück zu lehnen und voller Vergnügen das Chaos zu betrachten welches er gesät hatte, sondern weil gefühlt wenigstens irgendeiner an diesem Tisch ein wenig Ruhe ausstrahlen musste. Es gab so viele Gründe für einen Sinkflug, die sie vermutlich alle gar nicht kannten – immerhin waren sie keine Piloten und hatten keine Ahnung vom Fliegen eines Zeppelins.
„Dann weichen wir eben einem Unwetter aus oder sinken ein Stück ab, damit die Passagiere die Stadt die vor uns liegt aus der Nähe betrachten können, wie die Berge. Das wäre auch eine Möglichkeit“, versuchte er beschwichtigend einzulenken, kaum da Adrianna die Möglichkeit des Tankens sofort wieder vom Tisch gefegt hatte. Das Letzte was sie jetzt gebrauchen konnten war übereilte Panik wenn bislang nichts weiter passiert war außer eine Abweichung vom strickt horizontalen Kurs, denn wenn um sie herum alle von den Stühlen sprangen und wild durchs Bistro rannten, bracht hier mehr oder weniger die Hölle los.
Matthew war es schließlich, der ein weiteres Details entdeckte das man – war man sich dessen erst bewusst – genauso wenig ignorieren konnte wie den Bogen im Kaffeestrahl.
Den einzigen Mitarbeiter, den Clarence heute bislang zu Gesicht bekommen hatte, war der arme Typ der alleine das Buffet aufgestellt hatte. Ziemlich kurz angebunden für die sonstige Freundlichkeit des Personals und mit starr verbissenem Gesicht, was der Hüne noch vor einer halben Stunde damit erklärt hatte, dass er selbst auch angepisst wäre, müsste er die Arbeit ganz alleine machen weil seine Kumpanen sich verzogen hatten.
Jetzt allerdings ließ es sich auch damit erklären, dass irgendwas nicht stimmte.
Ob sie tatsächlich akut abzustürzen drohten, wagte der Blonde noch zu bezweifeln, denn ansonsten hätte man sich nicht die Mühe gemacht durch das Frühstück den Schein von Normalität aufrecht zu erhalten. Womöglich… gab es einfach technische Probleme, die das Bordpersonal mit Hochdruck zu lösen versuchte und die man nicht offen kundtat um mehr Unruhe zu erzeugen, als die ganze Sache wert war.
Sein Blick folgte dem Zuruf seines Mannes, das Gesicht noch immer halb hinter der Kaffeetasse verborgen, um seine Besorgnis wenigstens halb zu verstecken und sich auch vor weiteren Kommentaren zurück zu halten, die nur noch mehr Öl ins Feuer gießen würden. Cassie sah nicht gut aus, Clarence meinte ihm die Anspannung deutlich an und erkannte auch das Funkeln von innerer Panik im Kandisbraun seines Gefährten, immerhin war es nicht das erste Mal, den Jüngeren in solch einem Zustand zu erleben.
Wenn etwas nicht stimmt…, hallte die Stimme des anderen in seinen Ohren nach. Wenn etwas nicht stimmt, dann waren sie am Arsch und ein wenig Panik konnte sie auch nicht mehr tiefer in die Scheiße reiten.
Clarence setzte lautlos die leer gewordene Tasse vor sich auf dem Tisch ab, in welcher er nun wenigstens nicht mehr den schiefen Spiegel seines Kaffees ertragen musste und an dem er sich zum Glück auch nicht mehr verbrühen konnte als plötzlich ein heftiges Beben durch den Speisesaal ging, der ihm die leere Tasse mitsamt einem Teil des übrigen Rührei über den Schoß schubste. Für solche Situationen ist der Fallschutz an den Betten wohl gedacht, ging es ihm seltsamerweise als erstes durch den Kopf und damit schien er nicht der einzige zu sein, denn auf einzelne erschrockene Schreie folgte nun teils unsicheres und schamhaftes Lachen seitens einiger Passagiere. Konnte ja mal passieren, auf Turbulenzen waren sie immerhin hingewiesen worden, vor allem für den Fall, dass sie mal in ein Gewitter oder im Norden in einen Schneesturm gerieten. Alles halb so wild … vorausgesetzt man hatte das Bordpersonal noch nicht vermisst und den Sinkflug nicht bemerkt.
Sinnhaftigkeit sich an dieser Stelle zu trennen hin oder her, es benötigte keine zweite Einladung damit er in Richtung Nase folgte und den Speisesaal hinter sich ließ, Matthew führen lassend, damit dieser die Beschriftungen und Wegweiser schneller und punktueller ins Auge fassen konnte als sein Schüler. Schon jetzt bereute er, dass er seine Schuhe im Rucksack verstaut hatte anstatt sie einfach weiter zu tragen und hatte das Gefühl, dass ihm das heute noch böse zum Verhängnis werden würde; doch auch diesen Gedanken konnte er gar nicht so lange fassen wie nötig, da ein zweites Rucken der Umwelt ihn davon abhielt, indem sie die beiden jungen Männer in ihre Schranken und damit an die Wand wies.
Flackern erleuchtete den dunkel getäfelten Gang, als die Kerzenleuchter durch die Verlagerung der Luft für einen Moment aus der Fassung gerieten, die Flammen ihren unwirschen Tanz jedoch schnell wieder einstellten. Durch den Aufprall halb an der Wand niedergesunken bevor er sich hatte fangen können, tastete er zu seiner Seite nach Matthew, den er Gottseidank schnell genug fand, um sein Handgelenk zu umgreifen und ihn wackelig zurück auf die Beine ziehen zu können.
„Bist du okay?“, wollte er wissen, doch ganz offensichtlich war der andere das so überhaupt nicht, wie seine sich überschlagenden Worte offenlegten und auch der panische Blick ganz eindeutig bewies; fordernd legte er seine Hand in den Nacken des Kleineren und zog ihn etwas zu sich heran damit er ihn ansah, statt völlig den Verstand zu verlieren.
Clarence versuchte seine eigene Unruhe herunter zu schlucken und seinen Herzschlag zur Ruhe zu ermahnen, etwas das ihm nur mäßig gut gelang aber bei weitem besser als seinem Mann.
„Hör mir zu, alles wird gut. Wir fallen nicht, wir verlieren nur etwas an Höhe und das ist noch kein Drama, hast du verstanden? Wir halten... Ausschau nach allem das irgendwie nach Personal klingt, ja? Vielleicht nennen die das Ding hier ja gar nicht Brücke, sondern Cockpit oder… Zentrale. Kommandozentra-“
Ein leises aber hörbares Flomp! zog sich von einer Seite zum anderen durch den Raum, surrte über ihre Köpfe hinweg und versiegte schließlich ungesehen am Ende des Ganges, noch während Clarence sich suchend umblickte. Etwas anderes als die Wände und die Decke ließ sich jedoch nicht erkennen, weshalb er abermals an diesem Morgen schwer schluckte.
„Alles wird gut“, wiederholte er um Matthew zu beruhigen, dieses Mal nicht mehr ganz so überzeugt wie noch vor wenigen Sekunden und schon gar nicht überzeugend, denn kaum ausgesprochen, spürte er diesen kurzen Augenblick des Herzaussetzens und Stürzens den er sonst nur davon kannte, wenn die letzte Treppenstufe unerwartet etwas höher lag als der Rest und man für den Bruchteil zweier Zentimeter in die Tiefe fiel.
Er spürte, wie der Boden unter einem seiner Füße nachgab während er auf der anderen Seite mehr wurde und sich die Nase des Zeppelins in die Tiefe zu neigen begann – ausreichend um zwei erwachsene Männer wie sie von den Beinen zu reißen und den Flur entlang rutschen zu lassen, Claires Ellenbogen in Mitleidenschaft ziehend mit denen er sich versuchte zu bremsen, bevor sie unter einem erneuten Beben auf die Wand am Ende des Ganges trafen. Die Erschütterung war dieses Mal länger, beinahe schon holprig, einer Pferdekutsche gleich die nicht sofort in die Gänge kam und ein paar Anläufe brauchten.
Aus der Richtung aus der sie gekommen waren, konnte man panische Schreie und Poltern entnehmen und es dauerte nur unwesentliche Sekunden, bis der Blonde unter einem panischen „Oh Scheiße!!“ den Kopf ein- und Cassie in seine Arme zog. Klimpernd ergoss sich eine Handvoll silbernes Besteck über die Dielen auf ihre Richtung zu, gefolgt von einer Silberplatte voller Aufschnitt, die es ungebremst durch den Eingang zum Speisesaal geschafft haben musste… und einem Damenschuh, von dem Clarence hoffte, dass es dem dazugehörigen Knöchel den Umständen entsprechend gut ging.
Mit angehaltenem Atem, im Versuch die unaufhaltsam aufwallende Panik zu unterdrücken, hielt er Matthew noch für einen Augenblick eng an seiner Brust unter seinem Kinn bei sich, unfähig Luft zu holen aus Furcht sonst ins Schreien zu geraten und damit womöglich nicht mehr aufhören zu können. Erst langsam begriff er, dass das ruckartige Stottern des Zeppelins nach ihrem Sturz dazu beigetragen hatte, sie wieder einigermaßen in die Waagerechte zu führen und auch die Flammen an den Kerzenhaltern der Wände wieder in eine halbwegs anständige Position zu bringen die nicht vermuten ließ, in den folgenden Sekunden irgendwo aufzuschlagen.
„I-Ich…“, zittrig holte er Luft und ließ den Dunkelhaarigen nur zögerlich wieder etwas los, damit er ihn nicht aus Versehen in seinen Armen zerquetschte. „Ich… b-bin dafür, dass wir in die andere Richtung gehen und auf die Brücke scheißen. Wenn… W-wenn irgendwas sein sollte, können wir da vorne auch nichts helfen.“
Das war offensichtlich – aber was noch offensichtlicher war, war die Tatsache, dass sie einer der ersten sein würden die hier und heute starben, wenn sie sich noch weiter in jene Richtung begaben, die als erstes bei einem Aufprall aufschlug. Das ständige Stottern des Flugschiffs sowie der plötzliche Höhenverlust gerade eben, war – wenn es überhaupt eines war – wohl eher ein Zeichen für Probleme mit dem Triebwerk und wenn dem so war… nun, dann wusste er auch nicht.
„L-Lass uns… zurück“, doch tatsächlich hatte er für einige beträchtliche Sekunden Probleme sich überhaupt vom Fleck zu bewegen, so sehr hatte ihn der Schockmoment von gerade eben unbemerkt gelähmt. Ungelenk versuchte er sich vom Boden aufzurappeln und nicht in eine der Gabeln zu treten die sich zu ihren Füßen breit gemacht hatten, bevor er ein Schlag den Gang erfüllte und Claire zusammenzucken ließ – wie sich herausstellte war es dieses Mal jedoch nur eines der Gemälde das von der Wand gestürzt war und nichts weiter.

Nichts war okay schien Matthews Blick dem Größeren sagen zu wollen, als Clarence versuchte ihn zu beruhigen.
Vernunft und Ruhe - Attribute die den Blonden sonst in kniffligen Situationen auszeichneten, waren derzeit kein glaubhafter Teil seiner Ausstrahlung und Matthew wusste intuitiv, dass rein gar nichts okay war.
Und Clarence wusste es auch. Ein Blick in sein Gesicht reichte aus, um es Matthew zu verraten.
Cassie war noch nie geflogen, aber man wusste einfach wann man geliefert war - so wie man Regen in der Luft riechen konnte noch lange bevor er sich ergoss, oder wie man anhand vom Licht erkennen konnte, dass der Sommer vorüberging. Es waren Dinge die man spürte, tief in seinem Inneren.
Niemand musste ihnen sagen, dass das hier keine gewöhnlichen Turbulenzen waren, sie wussten es.
„Wir sollten...“ - setzte der Dunkelhaarige an, doch was er hatte vorschlagen wollen würde er nie aussprechen.
Der eben noch waagerechte Boden kippte unvermittelt unter ihren Füßen weg, als würde die Luft durch die sie schwebten plötzlich wegsacken - und der Zeppelin in ein Loch fallen.
Sowohl Matt als auch Clarence verloren den Halt und rutschten über den Flur. Was eben noch unten war - nämlich der Fußboden, war plötzlich zur Seitenwand geworden und was vormals eine Wand war, war ihr neuer Boden.
Besteck und Frühstück rollte aus dem Speisesaal herunter, aber anders als Clarence hatte Matthew keine Zeit sich um das Wohlergehen der Person zu sorgen, deren Schuh an ihnen vorbei stürzte.
Clarence presste ihn so fest an sich, dass er kaum Luft bekam aber er versuchte nicht mal im Ansatz sich dagegen zu wehren. Instinktiv klammerte er sich an ihn, die Augenlider zusammengekniffen und mit rasendem Herzen darauf wartend, dass ihr Sturzflug in einen alles vernichtenden Aufprall mündete.
Die Angst die er hatte war mit Worten nicht zu beschreiben, denn es war nicht bloß Angst um sich die er hatte sondern vor allem Angst um Clarence.
Sie würden sterben, Clarence würde sterben und der Gedanke daran machte ihn ganz und gar panisch, ja beinah schon hysterisch. Da waren sie in dieses verfickte Luftschiff gestiegen um mit der Vergangenheit aufzuräumen ohne zu ahnen, damit ihre Zukunft zu beenden.
Tränen wollten in ihm aufwallen aber Matthew drängte sie entschieden zurück, er musste die Fassung wahren, ganz gleich wie.
Der Sturzflug endete unvermittelt und so jäh wie er begonnen hatte, aber die Idee den Kapitän aufzusuchen verwarf Clarence und Matthew widersprach ihm nicht.
Kreidebleich war er geworden, sein dunkles Haar und die großen dunklen Augen ließen ihn beinah wächsern erscheinen. Er nickte geistesabwesend auf den Vorschlag seines Mannes und zuckte ebenso zusammen wie dieser, als ein Bild von der Wand krachte.
Seine Gedanken rasten hin und her, doch es dauerte einen Moment bis es ihm gelang auszusprechen woran er dachte.
„Vielleicht... g-gibt es an Bord ähm... so Dinger wie die Alten sie hatten. Fallschirme...“ - Falls es die gab, dann hätte man ihnen bei Betreten der Maschine davon sagen müssen, aber vielleicht war das auch einfach nur vergessen worden.
Matthew rappelte sich wieder auf und griff nach Clarence‘ Hand.
„Wir bleiben zusammen, okay? W-wehe du lässt meine Hand los, wehe...“, seine Stimme klang verzweifelt, aber anders als der Größere, schaffte er es recht schnell sich wieder aus der Starre der Panik zu befreien. Sie mussten zum Heck des Luftschiffes, dann hatten sie vielleicht den Hauch einer Chance zu überleben.
Das Holz der vertäfelten Wände ächzte und knarrte unheilvoll und aus dem Speisesaal drangen Schreie. Die Leute waren in Panik geraten, rannten wie aufgescheuchte Hühner durch einen Stall in dem der Fuchs wütete.
Mehrere Leute rannten auf sie zu, einer rempelte gegen Clarence, der andere gegen Matt.
„Lauft weg!“ rief einer der Kerle über seine Schulter zurück und Cassie fragte sich, wo zum Teufel sie denn hinrennen sollten.
Der Frühstücksraum, vor wenigen Minuten noch ordentlich und aufgeräumt, war nun in chaotischem Zustand.
Sämtliche Tische und Stühle waren umgekippt und hatten sich an einer Seite des Raums gesammelt. Geschirr, Essensreste und Besteck lag verteilt im Raum. Die meisten Menschen waren schon weggerannt, aber andere - darunter auch das junge Paar - standen wie gelähmt vor den großen Fenstern und starrten hinaus.
Auch Cassie zog es nun in diese Richtung, Clarence dabei hinter sich herziehend. Er umklammerte die Hand des Blonden so fest, dass dieser sich gar nicht so einfach hätte lösen können, wenn er es denn überhaupt wollte.
Vor dem Fenster stehenbleibend blickte Cassie hinaus. Die Welt unter ihnen war ein Gewirr aus Schnee und Stein, vereinzelt stakten Bäume aus dem Eis hervor, wie knochige Finger eines Toten.
Eine Stadt der Alten war ebenso zu erkennen.
Sie waren der Erde viel näher gekommen als noch vorhin, aber noch immer war nicht daran zu denken zu springen. Wenn sie sprangen, würden sie gewiss sterben. Ganz gewiss.
„Wir müssen...nach hinten.“
„I'm learning to fly, around the clouds. But what goes up must come down.“ - die Liedzeile eines uralten Songs ging ihm durch den Kopf und er schüttelte selbigen sachte.
„Vielleicht...wenn wir weiter langsam sinken...dämpft der Schnee den Aufprall und...alles bleibt ganz.“
Aber wie wahrscheinlich war das? Matthew wollte sich einreden, dass es möglich war aber in Wirklichkeit...
Cassie verstärkte den Griff um Clarence‘ Hand wieder und zog ihn weiter, sie durchquerten den Speisesaal und rannten ins Foyer, dort wo man sie gestern an Bord geholt hatte. Eine Menschentraube hatte sich dort gebildet und umringte einen Mann in Uniform. Er war blass und schweißnass, die Leute redeten auf ihn ein aber alles was der Kerl wiederholte war:
„Ich weiß auch nicht was los ist!“
Seine Stimme überschlug sich dabei fast.
Matt zerrte wieder an Clarence obwohl dieser dicht bei ihm war. „Rauf, wir müssen rauf.“
Sie kamen noch etwa fünfzig Meter weit, dann änderte sich mit einem ohrenbetäubenden Knall plötzlich alles.
Eine Explosion erschütterte das Flugschiff, ihre Wucht fegte Menschen von den Füßen und ließ Glasscheiben bersten.
Das Schiff wurde zur Seite geschlenkert, Matthew knallte mit Clarence zusammen gegen ein Treppengeländer.
Das Gewicht des Größeren presste ihm alle Luft aus den Lungen, trotzdem ließ Cassie ihn nicht los.
Überall kreischen Menschen, in der Luft lag der Gestank von brennendem Öl und Holz.
Sie hatten keine Zeit sich nochmal aufzurappeln, da kippte ihre Umgebung beinahe senkrecht nach unten.
Matthew schrie, als die Schwerkraft Clarence von ihm herunterzerrte. Für einen schrecklichen Moment war Matthew sich gewiss, dass er Clarence nicht würde festhalten können, weshalb er ihn weinend anschrie.
„Lass nicht los! Halt dich fest, halt dich fest. H-hörst du, Claire?! Lass mich ja nicht los!“
Zwei Frauen, die an einem weiteren Geländer eine Treppe über ihnen hingen, kreischten gemeinsam - dann wurde eine von ihnen von einem herunterstürzenden Koffer am Kopf getroffen. Ihre Schreie verstummten, ihr Körper wurde schlaff und sie fiel polternd durch den Mittelgang, an beiden jungen Männern vorbei.
Die andere Frau kreischte ihren Namen aus voller Brust.
„Thea! Thea!“ - aber Thea antwortete nicht und würde es wahrscheinlich nie mehr tun.
„Wenn du loslässt, lass ich auch das Geländer los!“
Weinte Matt, damit der Ältere bloß nicht auf die Idee kam sich fallenzulassen. Cassie hielt ihn knapp überhalb des Ellenbogens fest und klammerte sich mit der anderen Hand am Geländer. Er würde seinen Mann niemals loslassen und wenn er sich den Arm auskugelte. Clarence fallenzulassen war keine Option.
Der nächste Ruckler erfasste das hoffnungslos herabstürzende Luftschiff, warf es mitsamt seiner Insassen auf die Seite, wodurch plötzlich unten war was eigentlich oben hätte sein sollen. Die Kerzen waren längst erloschen, Glassplitter lagen herum, doch zumindest hatte sich die Lage temporär wieder so verbessert, dass die beiden nicht Gefahr liefen zu fallen. Doch noch etwas hatte sich durch die Drehung geändert: ganz oben zu sein hieß jetzt: ganz unten zu sein. Es gab keinen sicheren Platz. Egal in welche Etage sie liefen.
„H-hör mir zu Baby, h-hör mir zu...“ Matt weinte, streichelte wieder und wieder über Clarence Wange und sah zu ihm auf. „D-du bist...die Liebe meines Lebens, egal w-was passiert. Ich d-danke dir f-für dich. Du hast m-mich gerettet a-auf jede erdenkliche W-Weise...“
Aus Richtung Speisesaal drängte sich Rauch empor, was hinter ihnen lag war kaum noch zu erkennen, Rußpartikel schwärzten die Luft und würden bald das ganze Luftschiff erfassen.
Irgendwo in Rumpfnähe brannte es und das hieß, sie waren verloren. Cassie reckte sich zu seinem Mann empor und suchte im Chaos ihrer wahrscheinlich letzten Minuten auf Erden die Lippen seines Geliebten.
Es war nicht fair, es war einfach nicht fair.