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Rio Nosalida

11. Juli 2210


Cameron Barclay

Vielleicht wäre jemand anderes mehr darauf eingegangen, hätte sein Beileid zum Tod der Eltern des anderen ausgesprochen oder gefragt wie es kam, dass sie nicht mehr unter den Lebenden verweilten. Doch nicht so Cameron.

Er wusste, das Leben war vergänglich. Bei den einen war die Verlobte gestorben, bei den anderen die Eltern und bei wieder anderen waren es Ehefrau und Kinder. Beim Dritten war es die gesamte Familie die ausgelöscht worden war, bis man als einziger alleine zurück blieb und doch hatten die Toten alle etwas gemeinsam: Sie waren geliebt worden und wurden auch heute noch vermisst. Mal mehr und mal weniger, lagen über manchen Tagen dunkle Schatten voller Trauer und dann wiederum gab es Phasen wo man im Hier und Jetzt so viel Glück fand, dass man gar nicht an sie dachte.

Was Cameron schnell gelernt hatte war, nicht dem hinterher zu trauern was man verloren hatte, sondern dankbar für das zu sein was einem geblieben war. Die schöne Zeit die man gemeinsam verlebt hatte, die guten Erinnerungen und das Leben das man noch immer führen durfte, allen Widrigkeiten zum Trotz. Er selbst war noch hier und der junge Mann ihm gegenüber auch, gemeinsam bei einer Flasche Hochprozentigem und einer Partie Backgammon mitten in der Nacht. Es waren oft die kleinen Dinge auf die man sich freuen konnte und große, die vielleicht noch in der Ferne auf einen warteten – und am ehesten begegnete man ihnen in einer Welt die noch in Ordnung war, etwa wie Falconry Gardens wo er sich angesiedelt hatte, und wo man trotzdem seine Freude daran fand auch mal hinaus in die Welt zu ziehen, um dort Abenteuer zu erleben und dann wieder nach Hause zurück zu kehren.

Auf die Erklärung hin woher sein Boot denn nun stammte, zog Cameron eine gehaltvolle Miene und nickte anerkennend. Immerhin hatte er dafür keine Kirche niedergebrannt, das hätte ihn auch schwer verwundert, da Sky ansonsten ganz sicher nicht an Deck dieses Dings gestiegen wäre.

„Solche Freunde hätte ich auch gerne. Einen kleinen Gefallen tun und zack! – dafür eine kleine Yacht geschenkt bekommen. Macht man unter guten Freunden wohl so, wa? Das sind ja Angewohnheiten in deinen Kreisen…“

Er wusste nicht was das für eine alte Freundin war, die sich mal eben so ein Teil aus dem Ärmel schütteln konnte als Dankeschön, doch normal war das ganz sicher nicht. Ob er das nun als Erklärung so glauben wollte war die eine Frage die sich dabei auftat, die andere war, warum man einen derartigen Freundeskreis aufgeben wollte um wo anders neu anzufangen. Entweder war der Gefallen derart am Rande der Legalität angesiedelt, dass man tunlichst die Beine in die Hand nehmen musste wenn man da raus kommen wollte bevor es zu spät war und man den eigenen Hals in einer Schlinge wiederfand, oder der Kerl war nach all der Zeit einfach müde geworden von den Wohlstandskreisen, in denen er sich da ganz offensichtlich bewegt hatte.

„Kann also sein, dass er seinen Schmuck versetzt hat, um dich durchzufüttern“, griff er die vorherigen Worte Matthews auf und brachte sie auf den Punkt, damit sie nicht geschönt im Raum stehen blieben. „Und das, obwohl du Connections hast zu reichen Leuten, die dir mal eben eine Yacht schenken. Weiß echt nicht ich das traurig oder zum Lachen finden sollte, aber selbst wenn’s nur Sky ist, mir tut’s irgendwie leid, dass er jetzt halb nackt durch die Gegend laufen muss. Bei dem Anblick kommt einem fast schon ein bisschen Fremdscham auf.“

Der Dunkelhaarige klang dabei so, als habe sein Jäger-Kumpan nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich das letzte Hemd verkaufen müssen das er am Leib getragen hatte und als könne er sich wenigstens froh schätzen, dass es in Rio Nosalida heiß genug war, um für seine Nacktheit eine gute Ausrede parat zu haben.

So oder so, Barclay ließ genug durchschimmern wie demütigend es für einen Jäger sein musste so wenig Schmuck am Leib zu tragen und dass das ein Umstand war, den sie schnellstmöglich wieder würden ändern müssen.

Kopfschüttelnd, da er nicht begreifen konnte wie man fast bis auf den letzten Ring fast alles versetzte was man besaß, würfelte er und machte die nächsten Züge in Wechsel zu seinem Nebenmann. Das Spiel ging durch ihr Gespräch nur schleppend voran, aber Eile brauchten sie auch keine haben. Die Nacht war noch jung und Backgammon war kein Wettrennen, genauso wenig wie Schach und ähnliche Brettspiele.

Es verwunderte ihn ein wenig, wie Reed plötzlich wieder mit der Sprache zurück auf Brielle kam, immerhin war sie heute kein Bestandteil seines Lebens mehr und die Umstände nicht zu Vergleichen mit der kleinen Gracie des Dunkelhaarigen, die irgendwo daheim saß und auf ihren Stecher wartete. Aber da man bei den Ganz genauen die so recht wusste, sollte das kein Grund sein, dieses Fass nicht anzubrechen.

„Mhhh… klar, frag ruhig“, murmelte er nachdenklich angesichts seines Dreierpasch und setzte zögerlich die ersten beiden Steine übers Spielfeld, mit denen er einen der fremden Spielsteine vom Brett beförderte, um das Feld danach zu besetzen und dicht zu machen.

Den dritten Stein schon in der Hand und damit über das Spielbrett schwebend, hielt er schließlich inne und hob seinen Blick Matthew entgegen, um diesen für einen Moment still zu mustern. Auch wenn ihm gesagt worden war, Clarence hatte diesen Kerl eingeweiht, so sagte das noch lange nicht aus wie viel Reed tatsächlich über Nagi Tanka wusste. Dementsprechend verwunderlich war es im ersten Moment, welche Ähnlichkeiten der Fremde zwischen den einzelnen Begebenheiten erkannte und dass in ihm intuitiv die gleichen Fragen aufkeimten, die auch andere sich lange vor ihm schon gestellt hatten.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich meine Hand sogar dafür ins Feuer legen, dass er schon früher da gewesen war nur um die Steine zu manipulieren, wegen denen Brielles Bruder damals in den Brunnen gefallen ist. Zu ihm passen würde das jedenfalls“, umriss er grob eine Antwort auf Matthews Frage, setzte den Stein schließlich ab und machte auch seinen vierten und letzten Zug, bevor er sich aufrichtete um sich wieder an die Wand zu lehnen. „Ich glaube nicht, dass seine Sorte Mensch auch nur irgendwas jemals dem Zufall überlässt. Wenn du ihn gekannt hättest… alter Schwede.“

Wer nie auf diesen Mann getroffen war, dem fiel es sicher schwer zu verstehen, wie man ihm nach all dem was vorgefallen war hatte folgen und sich ihm anschließen können. Nagi Tanka hatte diese besondere Aura umgeben, diesen einzigartigen Charakter, der einfach präsent war und keinen Raum für Zweifel in anderen Menschen ließ.

„Ich weiß nicht ob er wirklich so weit gegangen ist die Leute zu beobachten und sich einzelne einfach raus zu picken ober ob wir einfach ungeplante Errungenschaften für ihn gewesen sind. Oder, was ich ihm auch zutraue, ob die die es bis nach Falconry geschafft haben, nicht einfach der Weizen war der sich von der Spreu getrennt hat“, warf er seine Theorie in den Raum, die er nicht erst sein gestern hegte. „Der Kerl war viel alleine unterwegs bevor er Sky hatte. Manchmal ist er mit Neulingen zurück gekommen, manchmal ohne. Ich stell mir also weniger die Frage ob er uns vorher irgendwie ausspioniert, sondern wie viele er auf dem Weg zurück zum Clan vielleicht aussortiert hat, die nicht in sein Beutschema gepasst haben. Menschen mit mehr Zweifel als wir, mit mehr… Eigenständigkeit, die sich seiner Art entgegen gesetzt hat und die er dadurch ni-“

Doch weiter kam er nicht, als ein zaghaftes Klopfen an der Tür ihn unterbrach und seine Aufmerksamkeit forderte, beinahe so als wäre der Geist des Toten auferstanden um sie für ihre elenden Blasphemien Nagi Tanka gegenüber heimzusuchen.

„…sag bloß du hast doch noch ‘ne Perle aufgabeln können und gönnst dir heute Nacht Damenbesuch ohne mich?!“

 


Matthew C. Reed

Ob nun mit oder ohne Schmuck, Clarence hatte so ein Gebimmel gar nicht nötig. Er strahlte auch ohne diversen Schmuck Autorität und Können aus - und das man versuchen würde ihn übers Ohr zu hauen, dass hatte Matthew nie erlebt. 

„Jetzt mach mal halblang, Elster. Du scheinst dich nicht daran zu stören, dass er barfuß unterwegs ist, aber dass er sein Geschmeide nicht mehr trägt tut dir leid.“ - das passte nicht zusammen, nicht in Matthews Welt. 

„Ihr solltet weniger Wert auf solchen Klimmbimm legen. Ist doch nur Tand. Am Ende des Tages kannst du deinen Job nicht besser, nur weil du klimperst wie ein Klingelbeutel nach der Sonntagsmesse. Und Clarence macht seinen nicht schlechter nur weil er eben keinen Schmuck mehr hat.“ - mochte ja sein, dass es ein Aushängeschild in dieser Zunft war und das war Cassie auch egal. Von ihm aus konnten sich alle Jäger die Haare bis zum Arsch wachsen lassen, als Zeichen für ihre Stärke - es war ein Ritual dem man sich fügte, dem man aber nicht unnötig viel Wert beimessen sollte. 

„In den Kreisen in denen ich vorher so unterwegs war, hat man sich nichts daraus gemacht sich zu behängen wie so ein Pony zum Lichterfest. Stelle ich mir auch nicht praktisch vor. Wie will man mit diesen ganzen Ringen ordentlich einen Pfeil auflegen, eine Sehne spannen oder auch nur den Abzug eines Gewehrs betätigen ohne im Bügel hängenzubleiben?“, machte er seinen Standpunkt zum Thema klar und zeigte damit, dass er kein Mitleid mit Clarence hatte nur weil dieser seinen Schmuck versetzen musste. 

„Außerdem hab ich auch Krempel verkauft. Wir haben uns beide durchgefüttert. Denk bloß nicht, ich hätte ihm auf der Tasche gelegen. So war es nicht.“

Ein bisschen war es vielleicht doch so gewesen, aber Cassiel würde sich immer weigern das zuzugeben. 

Die erste Zeit über hatte er gar nichts zu irgendwas beitragen können, weil er bis auf seine Klamotten kaum etwas besessen hatte. Münzen hatte man ihm abgenommen, Wertgegenstände ebenso. Es hatte eine Weile gedauert, bis Matthew wieder ein paar Dinge dazuverdient hatte - um die Münzen dann relativ flink wieder unter die Leute zu bringen. Letztlich stimmte es schon, dass Clarence ihm meist ausgeholfen hatte. 

„Na wie auch immer...“, Cassie würfelte nun seinerseits und machte sich dann daran zu setzen, wobei er versuchte möglichst taktisch vorzugehen, bevor er das Thema schließlich wieder zu Brielle lenkte. 

Natürlich wusste Cameron nicht, weshalb Matthew zurück auf die junge Frau kam. Er wusste ja auch nicht, was Clarence ihm im Detail bereits verraten hatte über jenen Mann, den alle so sehr verachteten. Adrianna hatte von Nagi Tanka so gesprochen, als sei er ein Alptraum der wahr geworden war und der sie verfolgt hatte... und es vielleicht auch immer tun würde, egal ob tot oder nicht.  

Ohne Frage, alle drei hatten unter ihrem Anführer gelitten, hatten wegen ihm die schlimmste Zeit ihres Lebens durchgemacht und trotzdem waren sie ihm im Anschluss gefolgt. 

Die Frage, die Matthew sich stellte war, ob der Tod des Jungen nicht genau kalkuliert worden war, auf das die Verlobte des Anderen in jenen Zustand verfiel und in Folge eines unnötigen Exorzismus verstarb. Der übriggebliebene Barclay hatte nach jenem Verlust keinen Grund gehabt vor Ort zu bleiben. Nichts hatte dafür gesprochen die ausgestreckte Hand des Jägers auszuschlagen - außer vielleicht der Gedanke daran, dass die Geliebte noch leben würde, wäre der Exorzismus nicht fehlgeschlagen. 

Ganz so wie er bei Clarence zufällig zur richtigen Zeit da war, um Ruby-Sue zu überführen und damit jenes Blutbad zu forcieren welches letztlich stattgefunden hatte. 

„Manche Menschen...“, setzte Matthew an und sah Barclay dabei zu wie er seine Züge machte. 

„Manche Menschen sind wie Haie. Sie...wittern das Blut im Wasser und dann kommen sie...um zu fressen.“ - aber war Nagi Tanka solch ein Mensch gewesen? Hatte er nur die Gunst der Stunde genutzt? Zufällig an Beute vorbeischwimmend wie ein Hai?

„Und andere Menschen...die wittern das Blut schon bevor es geflossen ist.“

Er hob den Blick in Camerons Gesicht, aber der Dunkelhaarige schien nicht zu verstehen worauf Matthew hinauswollte. 

Cassie wollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, nicht jetzt. Er war noch lange nicht genug Teil der Gruppe um zu implizieren, dass dieser von allen gefürchtete Mann wohlmöglich Hilfe gehabt hatte um die richtigen Anwärter zu finden, ihnen Fallen zu stellen, sie blindlings hineintappen zu lassen, nur um sie anschließend wieder zu befreien. 

Eine Freiheit, die letztlich nicht nach draußen führte sondern in ein Leben in Ketten - denn einfach gehen, dass konnte man nicht mehr, war man erst Teil der Familie von Nagi Tanka.

Gut möglich, dass Matthew sich auch in diese Idee verrannte, aber lieber irrte er sich diesbezüglich, als dass er den Toten unterschätzte. Was, wenn sie zurückkehrten und jemand wusste über den Mord Bescheid? Was wenn der oder die Helfer jenes Mannes nur auf die Rückkehr des verschollenen Clarence Sky gewartet hatten?

Was wenn noch nicht einmal Adrianna und Cameron wussten, dass sie ihn und sich selbst geradewegs zum Schlachter führten?

Der Versuch, Barclay durch die Blume selbst auf diese Idee zu bringen schien allerdings nicht zu fruchten, weshalb Matthew nochmal ansetzte. 

„Wenn dieser Kerl alles geplant hat um in dem Moment bereit zu sein, wenn ihr empfänglich für ihn und sein Gerede sein würdet... dann würde das einen Heidenaufwand bedeuten. Sogar für jemanden wie ihn. Clarence hat mir ein bisschen was von ihm erzählt... hat ihn einmal als rostigen Nagel beschrieben.“

Ohne mit der Wimper zu zucken, beobachtete er wie Cameron einen seiner Spielsteine einkassierte. Gerade war das Spiel zur Nebensache geworden, auch wenn es ein gutes Fundament bot um miteinander zu reden. 

Wo ein rostiger Nagel war, war vielleicht auch noch ein zweiter oder dritter. 

Cameron, der gerade dabei war seine Vermutungen zu vertiefen, zögerte als es plötzlich klopfte und auch Matt ließ das Spiel nun mehr völlig außer Acht. Er drehte den Kopf in Richtung Tür und musste den Impuls unterdrücken aufzuspringen und eilig zu öffnen. 

„Nicht das ich wüsste... die Mädels fliegen mir allerdings manchmal einfach so zu.“, konterte er locker-flockig und erhob sich von seinem Platz. 

Schon jetzt wusste er, dass da kein heißes Mädel hinter der Türe wartete und tatsächlich hätte es ihn bodenlos enttäuscht wäre dem so gewesen. 

Das Klopfen gehörte zu Clarence und schon als er den Größeren erst nur im Türspalt sah, musste er lächeln. Am Liebsten wäre er ihm um den Hals gefallen, aber dann wäre er wirklich in Erklärungsnot geraten. 

„Sky...“, sagte er deshalb gespielt überrascht und in einem Tonfall, der seine Begeisterung nicht ganz so gut überspielte wie erhofft. 

„Komm rein, Barclay zieht mich gerade beim Backgammon ab...“


Clarence B. Sky

Zumindest in der Theorie hätte Cameron vermuten können welcher Mensch außer ihm noch so geistes- und schlafgestört war wie er selbst, um mitten in der Nacht bei anderen Leuten an der Tür zu klopfen und sie ihrer süßen Träume zu berauben. In der Praxis aber hatte er es nur selten erlebt, dass der werte Mister Sky sich dazu herab ließ, zu unchristlicher Stunde nochmals dem Pöbel einen Besuch abzustatten.

Da Reed aber schon eben bei seinem Überfall nicht gewirkt hatte als würde er eigentlich Damenbesuch erwarten, war die Auflösung des Überraschungsgastes letztlich doch nicht sooo überraschend – eine Tatsache die der andere ziemlich schlecht geschauspielert zu kaschieren versuchte.

Still betrachtete er den Rücken des Neulings und dachte dabei über den rostigen Nagel und den Blut witternden Hai nach, zwei Umschreibungen von denen Cameron eine besser nachvollziehen konnte als die andere. Allzu lange konnte er diesem Gedanken jedoch nicht mehr nachhängen, als sich eine Hand mit unvollständigen Fingern an der Tür neben Matthew vorbei schob und das gute Stück langsam weiter auf drückte, um am dunkelhaarigen Schopf vorbei gen Bett zu spähen.

So beginnen Horrorstreifen im Lichtspielhaus, ging es Barclay durch den Kopf, für den nur noch das leise Knarren der Scharniere fehlte, bedrohliche Hintergrundmusik und der Schatten eines sich langsam erhebenden Messers an der Wand im Flur – bevor Sky den Kleineren beiseite fegte, um im Blutrausch über sein Opfer her zu fallen.

Nicht erst seit gestern versuchten sie beide gleichermaßen eine Begegnung auf kleinerem Raum zu vermeiden, da solche Treffen in der Regel schon nach wenigen Minuten in einem handfesten Streit endeten. Unter offenem Himmel oder im weitläufigen Schankraum eines Gasthauses hatte jeder seinen persönlichen Raum, genug Ausweichmöglichkeiten wenn es einem zu blöd wurde oder im Idealfall jeder einen eigenen Ansprechpartner, um fernab des Notwendigen möglichst wenig Konversation miteinander führen zu müssen. Ihr Wiedersehen war glimpflich verlaufen und sogar der Abend im Pago Estrella Vaga annehmbar, nicht zuletzt wohl auch deshalb, da es genug Neuerungen zu besprechen gegeben hatte um eine persönliche Ebene miteinander vermeiden zu können. Jetzt gerade aber hatte das Raubtier seine Beute in einer Sackgasse überrascht, aus der es kein Entkommen ohne einen Funken Gnade geben würde.

Auch Clarence war in der Stille, die sich kurz über den Flur und das kleine Zimmer legte, anzusehen, dass ihm die Szenerie überhaupt nicht gefiel. Weder, dass Cameron begann mit dem Neuling anzubandeln, noch – und das konnte dem anderen leider nicht zum Vorwurf gemacht werden – dass der Trottel hier seinen Ehemann in Beschlag nahm, um ihn mit den Ausdünstungen seiner Anwesenheit zu verpesten.

Barclay konnte in diesem Moment also von Glück reden, dass Clarence sich zusammenreißen musste um die Stimmung seines Geliebten nicht zu versauen, wenn er nach den Fehltritten der Ankunft noch die Chance haben wollte, die Dinge wieder ein wenig zu kitten. So blieb es bei einem tiefen Atemzug, den er in einem bedrohlichen Brummen wieder entlassen wurde und der ganz alleine schon dazu ausgereicht hätte dem Wicht zu verraten, es war langsam Zeit das Spiel zusammen zu räumen und das eigene Zimmer wieder aufzusuchen.

„Mach dich vom Acker, Barclay, oder ich helfe dir dabei.“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ – Nur noch der Ausruf Ich war aber zuerst hier! fehlte, um den beherrschten Disput zweier Männer von einem Streit zwischen Kindern abzugrenzen und hätten sie noch ein bisschen Sand oder Erde parat gehabt, ganz sicher wäre auch der irgendwann geflogen, wenn es sich angeboten hätte.

Stattdessen ließ der Blonde Blicke sprechen, dass er selten Scherze machte wenn es um Cameron Barclay ging und die von eben jenem schließlich ein genervtes Seufzen forcierten, während er lautstark die Kiste zusammenklappte und sich aus seiner mittlerweile bequemen Position vom Bett hervor kämpfte.

„Den Alkohol kannst du da lassen“, wies Clarence den ungebetenen Gast an, der ihm zum Dank im Vorbeigehen ein halbherziges Arschloch entgegen nölte und den es alle Willenskraft zu kosten schien, den Älteren nicht auch noch grob dabei anzurempeln.

Mit kratzbürstigen Blick schaute er Cameron hinterher, damit dieser auch wirklich die Beine in die Hand nahm und sich endgültig aus dem Staub machte, bevor er es sich am Ende noch anders überlegte um doch noch ein Gemenge vom Zaun zu brechen. Doch so verlässlich wie er einen beschimpfen konnte wenn er angepasst war, genauso zuverlässig verschwand er schließlich um die Ecke und ließ seine Schritte dumpf auf der hölzernen Treppe ertönen, die Clarence eben noch hinauf gestiegen war.

Erst als auch wirklich das letzte aufgewirbelte Staubkorn hinter Barclay wieder zum Erliegen gekommen war, trat der Blonde endlich in Cassies Zimmer ein, stellte den Rotwein aus dem Weingut sowie ein Buch das er mitgebracht hatte auf dem kleinen Tisch ab und gab sich schließlich jener Sehnsucht hin, nach der es ihm schon den ganzen Tag in den verbliebenen Fingerspitzen kribbelte: Matthew.

Ungeachtet ihres Disputs und der Verstimmung seines Mannes, die bis zu ihrem Ablegen vom Flughafen in Rio Nosalida angehalten hatte, legte er die Hände im Nacken des Dunkelhaarigen ab, zog ihn sachte an sich heran und küsste ihn ohne ein weiteres Wort des Grußes, das der Hüne bis dato tatsächlich noch in keiner Silbe verloren hatte. Selbst wenn Cassie ihn von sich stoßen sollte, hatte Clarence sich dann wenigstens eigenmächtig einen Gute-Nacht-Kuss errungen, ohne den die Wahrscheinlichkeit heute Nacht schlafen zu können endgültig unter null fiel.

Wehe du schmeißt mich heute Nacht raus…“, wisperte er leise und küsste seinen Mann erneut, wobei er mit den Daumen warm und weich über die Wangen des anderen streichelte. Stürmisch oder forsch vorzugehen, das konnten sie sich für andere Momente aufheben in denen ihnen in den kommenden Tagen nicht wirklich Zeit füreinander blieb um miteinander innig zu werden – doch gerade wollte er einfach nur bei Matthew sein, dem Menschen den er liebte, und dessen warme Haut spüren die ihm schon den ganzen Tag verwehrt gewesen war.

Ich hab dich heute so vermisst… du hast keine Ahnung wie sehr…“


Matthew C. Reed

 

Der Mann, der da in der Tür stand, hielt es nicht für nötig ihn zu begrüßen – geschweige denn ihn auch nur eines zweiten Blickes zu würdigen. 

Das stählerne Blau seiner Augen war über seinen Kopf hinweg auf Barclay gerichtet während er die Tür weiter aufschob.

Matt wich zur Seite, um Clarence hereinzulassen und verfolgte irritiert das Gespräch beider, was diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdient hatte.

Clarence erteilte dem Anderen eine unmissverständliche Ansage. Es war keine Bitte, es war keine Frage und auch nicht nur eine simple Feststellung, wie es ein ‚Du gehst jetzt besser‘ gewesen wäre. Nein. 

Der Blonde implizierte gleich noch eine Drohung in seinem Satz und in Kombination mit seinem vernichtenden Blick, gab es keinen Spielraum für Verhandlungen. Zumindest nicht dann, wenn man sich nicht auf einen handfesten Disput mit dem Hünen einlassen wollte. 

Cameron, der offensichtlich seinen Platz nicht gerne räumte, war nicht an dieser Art einer Auseinandersetzung interessiert und bewies damit mehr Verstand als man ihm auf den ersten Blick zutrauen mochte.

Murrend und mit einem Blick so finster wie der Himmel hinter dem Fenster, räumte er das Spielbrett ab und klappte es zu, um sich unwirsch zu erheben. Wie sehr es Barclay anpisste von Clarence kommandiert zu werden konnte man ihm deutlich ansehen und Matthew tat der Kerl ziemlich leid. Er hatte es mit seinem Besuch gut gemeint und es war nicht wirklich in Ordnung ihn nun so abtreten zu lassen. Aber der Größere hatte diesbezüglich eine andere Meinung und vertrat selbige überdeutlich.

Selbst jemand der beide überhaupt nicht kannte, hätte bei diesem Aufeinandertreffen der jungen Männer erkannt, dass irgendetwas zwischen ihnen vorgefallen sein musste. Bloße Antipathie schlug sich selten in derartige Bahnen brach, zumindest nicht, wenn man eigentlich im selben Team spielte.

Mit einem wenig versöhnlichen „Arschloch“ stapfte Barclay an ihnen vorbei und schien mit sich zu hadern, ob er den Größeren nicht doch zumindest anrempelte. Aber er ließ es bleiben, genauso wie er es unterließ sich bei Matthew zu verabschieden. 

Dieser stand ein wenig betreten neben der Tür und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, merklich überfordert von der Aktion.

Der Blondschopf schloss indes die Tür, ging zu dem Tisch und stellte seine Mitbringsel darauf ab. Schweigsam – fast ein bisschen eingeschüchtert von dem autoritären Auftritt – beobachtete Matthew seinen Mann dabei wie er wieder zu ihm kam. 

Kein Wort des Grußes kam dem Jäger über die Lippen und Matthew hielt es ganz genauso. Die plötzliche Stille in dem kleinen Zimmer fühlte sich komisch an, doch jede noch so diffuse Anspannung des Jüngeren fiel in dem Moment von ihm ab, als er Clarence‘ Hände in seinem Nacken spürte und kurz darauf an ihn gezogen wurde.

Eine Gänsehaut zeichnete sich auf seinen Armen ab, die er, ohne zu zögern um die Taille des Größeren schlang. Er schmiegte sich sofort an ihn und reckte sich zu dem süßen Kuss ein Stückchen empor. Mit geschlossenen Augen erwiderte er die Zärtlichkeit während sich seine Hände an Clarence‘ Rücken hinabschoben, um sich in den Hosentaschen seiner Jeans zu vergraben. 

„Ich schmeiß dich nicht raus.“, erwiderte er flüsternd und sachte den Kopf schüttelnd, bevor sie einander erneut sanft küssten.

Clarence hatte keinen Schimmer wie unglaublich er Matthew gefehlt hatte und das, obwohl sie doch den ganzen Tag zusammen gewesen waren. Aber es war etwas anderes beieinander zu sein oder miteinander.

Seine Wut und seine Enttäuschung über den Alleingang des Größeren waren nicht aus der Welt, aber gerade sehnte sich alles an Matthew danach Clarence einfach nur nahe zu sein. Es tat so unbeschreiblich gut sich an ihn zu drängen, ihn zu fühlen, seine Haut zu riechen, seine Wärme zu fühlen.

„Du hast mir auch gefehlt…so sehr…“, kleinlaut flüsterte er diese Worte, fast wie ein Geständnis, dass niemand hören durfte außer Clarence selbst. 

Er drängte das Gesicht an die Halsbeuge des Größeren, atmete ganz bewusst seinen Duft ein und spürte darunter wie die Last des zurückliegenden Tages von ihm abfiel. 

Wie sollte er das aushalten? Tage – oder eher wochenlang mit ihm zu reisen, ohne dass die anderen merken durften in welcher Beziehung sie zueinanderstanden?

„Lass mich nicht mehr alleine heute Nacht… Ich brauche dich.“ Seine Stimme klang noch immer gedämpft, weil er sich nicht dazu durchringen konnte sein Gesicht von der warmen Haut zu nehmen. Er wusste, es war unvernünftig, dass sie zusammen waren, dass Clarence gekommen war und Barclay rausgeschmissen hatte. Vielleicht würde sich der Andere nur fragen was sie zu besprechen hatten, vielleicht würde er mit dieser Frage aber auch Adrianna anstecken und vielleicht würde diese sie beide konfrontieren und in die Bredouille bringen. Aber gottverdammt er wusste auch, dass er nach der Partie Backgammon mit Cameron diesem gesagt hätte zu müde für eine zweite Runde zu sein. Und dann wäre er, nachdem die Elster abgezwitschert war, seinerseits über die Flure geschlichen, um bei Clarence anzuklopfen. Nichts uns niemand hätte ihn davon abgehalten.

Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

„Dich zu sehen aber nicht mit dir reden zu können wie immer... das ist Wahnsinn…“ nuschelte er gegen den Hals, zog seine Hände aus den Hosentaschen und drückte Clarence lieber fester an sich, in dem er sie in seinem Nacken verschränkte.

Erst jetzt sah er ihn wieder an und lächelte. Auch wenn er sich dessen gar nicht so bewusst gewesen war, so war er den ganzen Abend aufgekratzt gewesen. Angespannt und aufmerksam, noch mehr als üblich, sodass Cameron ihn als einen der ganz Genauen beschrieb. Aber kaum war der Größere bei ihm, ging es ihm besser.

Wenn sie zusammen waren, schien kein Problem unlösbar zu sein und selbst die berechtigten Sorgen um den weiteren Weg wirkten dann gleich viel weniger prekär.

Der Blondschopf gehörte einfach zu ihm und sollte Matt bisher auch nur ein bisschen daran gezweifelt haben, so hätte ihn der zurückliegende Tag eines Besseren belehrt. 

„Ich bin froh, dass du gekommen bist, sonst hätte ich dich besucht.“, beiläufig wickelte er eine Haarsträhne des Größeren um seinen Finger, betrachtete ihn und suchte nach kurzer Musterung nochmals seine Lippen. Ohne die sonst so schnell aufbrausende Leidenschaft oder Hektik küsste er Clarence, dessen Nähe ihn sich kribbelig und glücklich fühlen ließ. 

„Mhh~“ seufzte er wohlig in den Kuss und löste ihn schließlich um verträumt zu ihm aufzublicken. Dieser Mann war sein Ein und Alles und würde es immer sein.

„Was hast du uns da mitgebracht, hm?“, fragte er leise und nickte in Richtung des Schreibtisches.


Clarence B. Sky

Es war eine Wohltat die sich mit Worten nicht beschreiben ließ, als Cassie ihn mit offenen Armen empfing, auf denen sich augenblicklich eine sichtbare Gänsehaut abzeichnete. Auch wenn er nicht darauf gesetzt hätte, aber es hätte seinem Mann durchaus zugestanden noch zu wütend auf ihn zu sein um ihn heute Nacht anzunehmen hinsichtlich des enttäuschten Blickes, den er sich am Nachmittag von ihm eingefangen hatte.

Auf der anderen Seite, und das hatte die Zeit bewiesen, schafften sie es nur selten, über einen längeren Zeitraum hinweg wirklich böse aufeinander zu sein. Spätestens am Abend, wenn sich das Bett mit nur einem Menschen darin viel zu groß und zu einsam anfühlte, hatten sie schon immer ihre Dispute beiseitegelegt um sich wieder näher zu kommen.

Was in ihrer beider Leben alles vorgefallen war und wen sie schon verloren hatten, hatte ihnen beigebracht nicht zu vergessen, was wirklich wichtig war im Leben. Keine Meinungsverschiedenheit der Welt war es wert, dafür denjenigen herzugeben, der einem immer an der Seite stand und einem bedingungslos den Rücken stärkte, egal was man angestellt hatte. Manchmal war es schwer Dinge hinzunehmen wie eine Fehlentscheidung oder seinen Dickkopf ruhen zu lassen wenn man sich erst man in Rage diskutiert hatte, aber viel schwerer war es noch in das Gesicht des Geliebten zu sehen, wenn sich darin Enttäuschung oder Unmut abzeichneten.

Nach einem Tag voller Entbehrung und Distanz den warmen Atem seines Mannes an seiner Halsbeuge zu spüren, ihn zu riechen und die zarten Finger des anderen weich in seinen Gesäßtaschen zu spüren, war wie Balsam für seine Seele in die der Morgen ein tiefes Loch geschlagen hatte - seitdem sie beim Verlassen der Gaststätte nicht länger Mister und Mister Sky gewesen waren, sondern nur noch Clarence Sky und Matthew Reed.

Ohne den Jüngeren an seiner direkten Seite fehlte ein derart beträchtlicher Teil von ihm, dass er manchmal das Gefühl hatte, nicht länger Luft zu bekommen. Als würde sein blutendes Herz mit jedem Schlag schmerzen und die Luft wie Feuer in seinen Lungen brennen. Er fühlte sich, selbst wenn er groß gewachsen und nicht gerade ein drahtiger Lauch war, beinahe nackt und schutzlos ohne Matthew… der Welt und ihren Abgründen ausgeliefert ohne den Rückhalt, den der Dunkelhaarige ihm so oft bot. Über Jahre hinweg hatte er sich selbst um Schutz vor dieser grausamen Welt eine harte Schalte angeeignet, einem Panzer gleich, den er nur deshalb nicht mehr benötigte, seitdem Matthew nicht nur bei ihm, sondern ein Teil von ihm geworden war.

Es fühlte sich eigentümlich an diesen Schutzschild wieder aufnehmen zu müssen in Gegenwart der anderen, da er ihm einfach nicht mehr passte. Er fühlte sich an wie ein Kleidungsstück dem man entwachsen war, das sich starr und unnachgiebig um einen herum presste und es einem unfähig machte sich so zu benehmen und so zu bewegen, wie man es normalerweise tun würde. Irgendwann, das wusste Clarence schon jetzt, würde diese Maske um ihn so eng werden, dass er kaum noch Luft darin bekam – entweder es bot sich die Gelegenheit sie endgültig abzunehmen, oder er würde eines Tages damit untergehen.

Zu hören, dass es dem anderen nicht besser ging mit der Einsamkeit obwohl sie räumlich nicht getrennt gewesen waren, dass Matthew ihn brauchte und ihn in dieser Nacht nicht mehr missen wollte, ließ den Bären wohlig in den Armen seines Geliebten brummen, der sich dazu anschickte die Hände in seinem Nacken zu verschränken um ihn so dicht wie möglich bei sich zu behalten.

 

 

 

 

Verliebt und mit einer plötzlichen Wärme im Blick, die eben jene Kälte aus dem Raum vertrieb welche die Begegnung mit Barclay mit sich gebracht hatte, blickte er auf den Dunkelhaarigen hinab und betrachtete sich den jungen Mann in seinen Armen. Wo bei ihm selbst Wärme ruhte, herrschte bei Matthew Strahlen im Kandisfarben seiner Iriden und kein Fünkchen jener Traurigkeit war mehr darin zu finden, die ihn früher stets ausgemacht hatte. Wie schön er anzusehen war während er die blonden Strähnen in liebgewonnener Manier um seine Finger wickelte und seinen Bären verliebt betrachtete, dabei leise flüsternd als gelte es zu verhindern gehört zu werden da seine Worte einzig und alleine für Clarence bestimmt waren, würde zum Glück jemand anderes niemals kennenlernen außer der Jäger. Dieser Teil von Reed, hingebungsvoll und warm, gehörte ganz alleine ihm, völlig gleich zu wie vielen Stunden Backgammon Barclay ihn auffordern oder Adrianna ihn aufziehen würde. Es gab Dinge, die konnte er mit anderen teilen - Cassies Gesellschaft etwa oder seine kecken Sprüche – doch die Liebe, die der Jüngere zu geben hatte… eben jene würde Clarence mit allem für sich verteidigen was er besaß, damit sein Mann auch niemals Zweifel daran haben musste, zu wem er gehörte.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen beugte er sich etwas hinab um dem Kleineren einen zärtlichen Kuss auf die Schläfe zu hauchen und sich etwas enger an sich zu schmiegen, Unwillens ihn allzu voreilig wieder loszulassen, nun wo sie sich endlich wieder auf diese zärtliche Weise berühren durften.

Ich hab uns… unseren Wein vom Gut mitgebracht, den wir gestern nicht mehr geschafft haben durch deinen Überfall“, flüsterte er leise gegen die warme weiche Haut unter seinen Lippen und küsste die Stirn seines Geliebten abermals, hungrig nach dem Geschmack des fremden Körpers. Die letzte Nacht war… unbeschreiblich schön gewesen, auch wenn er sich an das Ende nur noch verschwommen erinnern konnte, so schnell wie er im Arm des Jüngeren eingeschlafen war. Leider hatte der Morgen ihnen nicht viel Zeit gelassen um gemeinsam wach zu werden und die Innigkeit der letzten Stunden im Bett ausklingen zu lassen, doch Clarence hatte bei weitem nicht vergessen in welcher verliebten Grundstimmung er heute Morgen aufgewacht war und von der er gedachte, nun in zunehmender Stunde wieder daran anzuknüpfen.

Zärtlich ließ er die Hände von Matthews Hals hinab gleiten, spürte unter seinen Fingern der markanten Brust nach und legte schließlich die Arme um Matthews Taille. Sanft begann er damit sie beide ein wenig zu jenem stillen Takt zu wiegen in dem sie öfters tanzten, zu einer leisen Musik die nur in ihren Köpfen existierte aber sich dadurch nicht weniger innig anfühlte.

Heute Nacht sollten wir unseren Rotwein wirklich trinken, bevor ihn uns jemanden in den kommenden Wochen weg säuft, und machen es uns dabei gemütlich. Nur wir beide, heimlich hier oben auf deinem Zimmer…“

In der Gaststätte des Weinhofes waren sie unter sich gewesen, hatten sich ein Zimmer geteilt mit den anderen beiden fernab ihrer Unterkunft. Heute Nacht war das anders und barg, zumindest für Clarence, einen ganz besonderen Reiz angesichts dessen, sich extra hierher schleichen zu müssen. Stunden in Zweisamkeit waren ab heute noch spärlicher gesät, das stand völlig außer Frage, und nicht immer würden sie das Glück haben ein Zimmer zu erwischen in dem sie sich treffen konnten und das auf einer anderen Etage lag als der Rest. So gesehen war es vielleicht tatsächlich Glück im Unglück, dass die Tickets der Kestrel zusammen gekauft worden waren und ihnen somit dieses kleine abgelegene Nest beschert hatte.

Im wiegenden Takt begann er sich sachte mit Cassie auf der Stelle zu drehen, suchte abermals dessen Lippen und klaubte sich einen Kuss, von denen an diesem Abend hoffentlich noch einige folgen würden.

Du hast mal gefragt… ob ich dir irgendwann mal die Fotos von meinen Kindern zeige und ich dachte, dass heute vielleicht ein guter Tag dafür ist wo niemand von uns sagen kann, was ab Morgen passiert“, setzte er leise an und beobachtete Matthews Reaktion, denn die Erfahrung hatte gezeigt dass das, was er selbst für angebracht hielt, nicht immer auch den Ansichten seines Partners entsprach.

Ich hätte so gerne den Abflug des Zeppelins mit dir alleine verbracht, weißt du… hätte gerne gesehen wie du dich freust, wie aufgeregt du strahlst… da das nicht ging dachte ich, wir teilen vielleicht etwas anderes miteinander heute Nacht. Irgendwas das nur uns gehört und was die anderen beiden Trantüten nichts angeht.“

Seit gestern würden Adrianna und Cameron künftig so viel Zeit von ihnen in Anspruch nehmen und ein Teil ihres Lebens sein, der sich vorerst nicht mehr ausradieren ließ. Nur noch wenige Dinge würden sie unter vier Augen teilen können nebst ein wenig Intimität dann und wann, wann immer sie sich auch bieten mochte – und Clarence würde zu einem Großteil des Tages jenen Mann mimen müssen, der er früher mal gewesen war. Es war ihm wichtig, dass Matthew darunter nicht vergaß zu welchen Menschen er den Blonden gemacht hatte und dass es noch genug außerhalb eines gemeinsamen Alltags gab, den sie miteinander teilen konnten und teilen würden.

Wir müssen auch nicht miteinander schlafen nur weil ich mich hier hoch geschlichen hab, wenn dir nicht danach ist, nachdem ich deine Pläne ungewollt zerschlagen hab. Wir können einfach Zeit miteinander verbringen, uns… noch ein paar Geheimnisse erzählen. Oder einfach nur aus dem Fenster schauen und rätseln, ob wir in der Dunkelheit was von der Welt da unten erkennen. Für mich ist alles schön, solange du bei mir bist“, wisperte er leise und streichelte dabei langsam über Matthews Rücken. Sie würden sich umstellen müssen was qualitative Zeit miteinander anging und die gedachte er fortan auch zu nutzen, selbst dann wenn ihnen nicht jeden Tag nach geheimem Eheleben war.

Oder wir trinken einfach nur unseren Rotwein während du mich betrachten lässt, wie schön mein Mann ist.“ – Ein spitzbübisches Lächeln legte sich bei diesen Worten über seine Lippen, immerhin konnte er nicht mal das einfach so ungeniert tun, wenn die anderen beiden in der Nähe waren.


Matthew C. Reed

Warm und weich, wie Sonnenstrahlen, fühlten sich Clarence‘ Küsse auf seiner Haut an und versprachen Matthew, dass dieser Mann immer auf seiner Seite sein würde. 

Clarence hatte ihn in sein Herz geschlossen wie einen kostbaren Diamanten und Matt, der sich selbst nie als etwas besonderes gesehen hatte, erkannte seinen Wert für Clarence, in jeder seiner Gesten und in jeder Berührung - und sei sie noch so sanft und zart. 

Cassie schloss seine Augen für einen kleinen Moment und spürte den kleinen Küssen nach, welche die wundersame Eigenschaft besaßen ihn sich heil und ganz fühlen zu lassen. 

„Ah den Wein... gut dran gedacht.“, er öffnete die Augen wieder und lächelte ein kleines Lächeln. Vielsagend blickte er zu dem Blonden empor, ein Funkeln in den Augen welches zu bedeuten schien, dass er sich seines ruchlosen Überfalls bestens erinnerte und keinerlei Reue diesbezüglich hegte. 

Er kicherte leise als Clarence vorschlug ihn heute zu trinken bevor er Opfer der anderen Saufnasen wurde, eine begründete Sorge da war Matt sich sicher. Gestern Abend hatte er miterlebt wie trinkfest Adrianna und Cameron waren. Eine Flasche Wein pichelten die wahrscheinlich schon zum Frühstück leer, wenn sie die Chance bekamen. 

Ganz ohne Musik im Hintergrund, fing Clarence an, sich mit Matthew zu bewegen und der Jüngere folgte dem sanften Wiegen geschmeidig. Sein verliebtes Schmunzeln, welches nicht nur auf seinen Lippen lag sondern auch in seinen Augen funkelte, wurde ein wenig zurückhaltender als Clarence die Sprache auf seine Kinder lenkte - aber nicht etwa weil Cassiel die beiden nicht sehen wollte, sondern weil dieses Thema den Anderen schmerzen würde. 

Harper und Cordelia waren weit mehr als die Namensstifter ihres Bootes, sie waren auch weit mehr als Geister aus der Vergangenheit oder verblasste Erinnerungen. 

Sie waren Clarence‘ Babys, seine Kinder, seine Nachkommen - und damit waren sie - für die Dauer ihrer Leben - der Sinn im Leben des Blonden gewesen. 

Dass es sie nicht mehr gab würde immer wehtun, dessen war sich Matthew bewusst und dennoch wirkte Clarence bei seinem Vorschlag weder von Gefühlen überwältigt noch bekümmert. 

Was es mit seiner Idee auf sich hatte und wieso er ausgerechnet jetzt darauf kam, die Fotos seiner Mädchen mit Matthew zu teilen, bewies einmal mehr wie unglaublich sensibel Clarence im Grunde war. In ihm steckte so viel Sanftmut und so viel Liebe, dass er Matthew immer wieder überraschte. 

Weißt du...ich war gar nicht so aufgeregt und hab mich auch nicht besonders gefreut. Ich war ganz cool...“  flüsterte er und musste selbst schmunzeln über diese Flunkerei. „Du hast also nichts verpasst...“, es wäre schöner gewesen, hätten sie den Moment für sich gehabt, aber so war es nun mal nicht gewesen und dies sollte nun kein Anlass sein um dem Augenblick nachzutrauern. 

Dass Clarence dafür einen Ausgleich suchte, etwas, dass ihnen gehörte und nicht durch die anderen oder Fremden annektiert werden konnte, war eine Geste, wie man sie dem frostigen Hünen nicht zutraute. Die Rolle die er fortan wieder zu spielen hatte, stand ihn nicht und doch war es wichtig, dass er sie gut genug spielte. 

„Ich würde gern...die Bilder sehen.“ räumte er ein und fühlte sich wegen dem Vorschlag sogar ein bisschen geehrt. 

Die Schritte die sie bis hierher unternommen hatten , hatten sie beide in unterschiedlichem Tempo gemacht. Es gab Dinge welche dem einen von ihnen leichter fielen und dann wiederum gab es Themen, die waren nicht so mir nichts dir nichts anzusprechen. Clarence‘ Kinder waren ein sensibles Thema und zwar für sie beide. 

Matthew entließ die Haarsträhne aus seinen Fingern, nahm die Hand nach vorne und streichelte behutsam über die verfärbte Haut unter Clarence‘ Auge. Zeit mit jenem Mann zu verbringen war das kostbarste was er sich vorstellen konnte, ganz gleich was sie machten. Hauptsache sie waren zu zweit. Es reichte ein unachtsamer Moment, ein bisschen Pech, eine Sekunde in der sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren...und schon wäre alles vorbei. Der Kerl oder die Kerle, diesbezüglich war sich Matthew nicht sicher ob der Blonde ehrlich gewesen war, der sich mit Clarence geprügelt hatte, hätte ebensogut ein Messer ziehen können statt ihm nur ein Veilchen zu verpassen. 

Besorgt zu sein, damit würde Matt nie ganz aufhören aber was viel wichtiger war als das war, dass aus jener Sorge die Fähigkeit erwuchs schneller zu verzeihen als es vielleicht zu seiner Enttäuschung passte. 

„Erzähl mir ein bisschen von ihnen, wie sie waren...ob sie dir ähnlich gewesen sind. Ich wette sie haben dich auf Trab gehalten. Wenn sie nur halb so viel Dickkopf geerbt haben, wie ihr Vater ihn hat...“

In dieser Hinsicht war der Größere wirklich schlimm. Er war bisweilen kompromisslos und wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es wenig Spielraum für Abweichungen. 

Matthew umfing das Gesicht seines Mannes nun sacht mit beiden Händen, sich weiterhin zu der Melodie wiegend, die es nicht gab und zu der sie sich dennoch wie eine Einheit bewegten. 

Mit den Daumen strich er sanft über die Wangen des Blonden, musterte ihn voller Wärme und Liebe und musste unerwartet hell auflachen, als Clarence meinte, sie müssten auch nicht miteinander schlafen, nur weil er durch die Flure geschlichen war um heimlich herzukommen. 

„Ich habe einige schlechte Angewohnheiten, dass weiß ich - aber mit dir zu schlafen, ist keine davon.“, erwiderte er amüsiert und legte den Kopf schief, was ihm etwas keckes verlieh. 

„Seit ich dich kenne, hast du mir nie das Gefühl gegeben ich müsste gegen meinen Willen etwas tun... egal was. Deshalb... weiß ich schon, dass du nicht hergekommen bist nur damit wir... miteinander rummachen.“

Matthew stellte sich auf die Zehenspitzen, zog sanft am Bart seines Geliebten damit er den Kopf ein bisschen; zu ihm beugte und führte die Lippen an sein Ohr um ihm leise zuzuhauchen:

„Aber... ich hoffe trotzdem, dass wir es tun... Du hast dich gestern...unglaublich angefühlt und ich würde dich heute gern wieder erleben.“ - er küsste das Ohr in das er eben noch geflüstert hatte, schlang die Arme wieder um Clarence‘ Nacken und schmiegte sich an ihn. 

Sein Geliebter sollte nicht denken, dass er auch nur ein einziges Mal mit ihm intim geworden war obwohl er es nicht gewollt hatte. Er gab sich Clarence nicht hin, nur um diesem einen Gefallen zutun und auch nicht, weil er glaubte es sei irgendwie seine Pflicht. 

„Ich liebe dich, hörst du? Und ich habe Angst um dich, deshalb...hab ich auch nicht verstanden warum du den Zeppelin nehmen wolltest, weil du doch weißt, dass meine Kontakte leichter zu erreichen waren als wir noch in Nosalida gewesen sind...“, erklärte er ohne dabei böse oder gar zornig zu klingen. 

Matthew war nicht aus einer Nichtigkeit heraus so enttäuscht, sondern weil er um das Leben seines Mannes fürchtete. 

„Aber nun sind wir hier... auf dem Weg nach Poison Ivy... der Stadt mit der vermutlich höchsten Quote an wöchentlichen Morden...“,

führte Cassie weiter aus und hörte sich dabei wenig begeistert an.

„Du wirst auf dich achten, verstehst du? Keine heimlichen Abwege mehr, keine Prügeleien, keine Alleingänge.“, eindringlich musterte er seinen Wildling, den zu retten und zu befreien oberste Priorität hatte. „Versprich mir das.“

 


Clarence B. Sky

Mit erhobenen Brauen und einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen folgte er den Ausführungen seines Mannes zum Abheben des Zeppelins und nickte dabei verständnisvoll. Natürlich war Matthew die Coolness in Person gewesen, das hatte ja sein megacooles Herumgerutsche auf seinem Sitzplatz eindeutig bewiesen. Besonders das übercoole Aufspringen sobald sie sich wieder in horizontaler Lage befunden hatten und das Gerenne – nein, nein… das supercoole Spazieren von Fenster zu Fenster, an denen er sich gechillt die Nase platt gedrückt hatte, hatten das Bild des entspannten Weltenbummlers, den nichts mehr aus der Ruhe bringen konnte, galant abgerundet.

Statt ihm zu widersprechen, willigte er schmunzelnd und still ein, dass es wohl so gewesen sein musste und Clarence tatsächlich nicht viel verpasst hatte. Unterm Strich – und das war nicht geflunkert – hatten sie schon so viele andere schöne erste Male miteinander verlebt, dass es auf diesen einen Abflug doch auch gar nicht ankam.

Vorsichtig schmiegte er sein Gesicht etwas fester in Matthews warme Hände und genoss dabei das Streicheln über seine Wangen. Das Veilchen, das er sich schon am ersten Abend in Rio Nosalida zugezogen hatte und nicht sein erstes war seitdem sie sich kannten, zierte mittlerweile ein dunkles Lila und begann an den Rändern schon in anderweitige Farben auszulaufen, sodass es ihm nur wenige Beschwerden bereitete. Noch viel zu gut erinnerte er sich an Matthews bekümmerten Blick als er zurück gekommen war, ein Ausdruck den er nicht gerne in den Augen seines Mannes sah und den er ihm bislang nie mit Absicht eingeimpft hatte. Doch wenn Clarence ein Talent dafür besaß etwas magisch anzuziehen, dann waren es die falschen Leute im falschen Augenblick – oder der Sturz von einem Hausdach, da er seinen Gleichgewichtssinn in betrunkenem Zustand nur noch halb so gut einzuschätzen vermochte.

Genauso wenig wie er versucht hatte seine Kletteraktion als dickköpfige Fehlentscheidung zu sehen, hatte er nie das Erbgut seiner Kinder dahingehend mit seinem eigenen verglichen und dass stattdessen Matthew dies nun für ihn tat ließ ihn leise auflachen, sogar für sich selbst unerwartet. Es war immer wieder unterhaltsam die Dinge aus Cassies Blickwinkel zu betrachten und sich davon den Horizont erweitern zu lassen, wie es dem blonden Bären alleine wohl kaum möglich gewesen wäre.

Ich hätte sie eher als trotzig beschrieben, aber dickköpfig ist… mhh, das ist gar nicht so weit hergeholt, glaub ich“, räumte Clarence ein ohne die Dinge zu beschönigen. Vielleicht hätte Cassie, statt Söldner zu werden, eher in die Seelenklempnerei oder die Forschung gehen sollen, ein gewisses Händchen zur fehlerfreien Analyse besaß er jedenfalls. „Wenn ich dir schon gefalle, hättest du deine pure Freude an Harper gehabt. Sie ist… ein kleiner Wildfang gewesen, wie er im Buche steht. Aufgeweckt und immer danach bestrebt ein Schlupfloch in allen Regeln zu finden, durch das sie sich dann mit Gewalt durchquetschen kann. Ein sehr schlaues Kind… und eine kleine Rebellin die Grundsätze ständig hinterfragt, genau wie du das ständig mit mir machst…

An der Diskussion, ob die Hinrichtung von Bonnie und Clyde ihre Berechtigung hatte, hätte sie sicher ihre helle Freude gehabt und Matthew tatkräftig den Rücken mit guten Argumenten gestärkt. Zusammen mit seinem Mann hätte sie wahrscheinlich einem ganzen Clan eine Gehirnwäsche verpassen und die Jäger ihre Kodexe niederlegen lassen können, ein dummer Gedanke der ihn schmunzelnd brummen ließ, da er in der Konstellation bei gewissen Themen sicher keinen einzigen mehr auf seiner Seite gehabt hätte.

Cordy ist mein… mein Nesthäkchen gewesen. Immer ein bisschen kränklich und ein sehr schüchternes kleines Ding. Die meiste Zeit hat sie sich von Harper unterbuttern lassen und ist deshalb ziemlich anhänglich gewesen. Ich musste ihr Sonntagmorgen vor dem Gottesdienst immer die Haare flechten, weil sie mit ihren Locken sonst zu struppig ausgesehen hat für die Kirche. Sie sahen ihrer Mutter sehr ähnlich, die beiden… aber Harper hatte viel von mir, mit ihren graublauen Augen hätte sie jemanden mit Blicken töten können, wenn sie gewollt hätte.

Cassie für einen Moment schweigend musternd, ließ er die Hände über seinen Rücken gleiten, spürte den definierten Muskeln seines Geliebten nach und der Wärme, die von ihm ausging.

Dieser Mann hatte ihm in Coral Valley, noch bevor sie überhaupt richtig zusammen gewesen waren, gesagt, dass vielleicht irgendwo auf der anderen Seite ihre Lieben auf sie warteten, die sie verloren hatten. Sie waren fort, aber Matthew und er, sie waren geblieben und bis der Tag kam, an dem sie heraus fanden ob es ein Wiedersehen gab… dass sie bis dahin die ihnen geschenkte Zeit nutzen sollten um zu leben.

Sein Leben war einsam und kalt gewesen bevor er auf den Findling im Wald getroffen war und ebenso war es seine Erinnerung an das gewesen, was er einst besessen hatte. Clarence hatte gesehen was ihm genommen worden war, doch erst mit Matthew und den Unglücken auf ihrer bisherigen Reise hatte er gemerkt wie viel Wert man auch den kleinen Momenten beimessen musste, die einem das Leben bereicherten. Dass man nicht immer traurig über das sein musste was nicht mehr war, sondern dass es auch möglich war dankbar zu sein für jene warmen Augenblicke, die man als positive Erinnerung fortan in seinem Herzen tragen konnte statt das Verlebte grundsätzlich zu verteufeln. Von seinen Mädchen zu erzählen oder an sie zu denken würde immer etwas Schmerzliches haben, aber es war irgendwie auch schön Matthew an ihnen teilhaben zu lassen. Ihn wissen zu lassen was für wundervolle Geschöpfe sie gewesen waren und dass er eine Liebe für sie empfand die er auch für künftige Kinder empfinden konnte, sollten sie jemals welche haben.

Sanft küsste er seinen Mann, damit in ihm nicht der Gedanke aufkam ihn damit etwas Falsches gefragt zu haben und schob seine Arme wieder zurück um Cassies Rücken, damit er ihm bloß nicht gleich wieder entglitt, nun wo sie sich endlich hatten.

Dass er ihm bislang nie das Gefühl gegeben hatte etwas gegen seinen Willen tun zu müssen, schien offensichtlich zu sein in ihrer doch recht ausgewogenen Beziehung und trotzdem hörte Clarence es gerne vom Jüngeren, der sich vor ihrem Kennenlernen viel zu lange hatte anderen unterordnen und von ihnen befehligen lassen müssen. Sollte jemals der Tag kommen, an dem Matthew anderes verlauten ließ, so wusste der Blonde schon jetzt, dass dann einiges fehlgeschlagen sein musste in ihrem Umgang miteinander – und das wollte Claire niemals erleben.

Umso lieber gab er sich dem sanften Zug an seinem Bart hin, lauschte den geflüsterten Worten seines Geliebten und kam dabei nicht umhin zu spüren, wie sich seine Wangen plötzlich ungewohnt heiß anfühlten. Eine unerwartete Röte schlich sich in sein Gesicht die weniger von Scham herrührte, sondern schlicht und ergreifend daher, dass die Konstellation letzter Nach noch immer ein unerforschtes Novum in ihrem Intimleben darstellte und er derartige Äußerungen dahingehend einfach nicht gewohnt war.

Wenn Matthew wüsste, mit welcher Geschichte er den anderen beiden seinen heute er steifen Gang auf dem Weg vom Weingut zurück in die Metropole erklärt hatte, würde der Dunkelhaarige sich sicherlich auf den Boden schmeißen vor Lachen; seine kleine Notlüge war allerdings das Einzige was ihm auf die Schnelle eingefallen war und so naheliegend, dass weder Cameron, noch Adrianna zu seinem Glück weiter nachgefragt hatten.

Wenn du sagst keine heimlichen Abwege, keine Prügeleien und keine Alleingänge… heißt das, ich darf in Poison Ivy wenigstens die Felswände erklimmen, wenn sich die Möglichkeit dazu ergibt?“, wollte er neckend von seinem Mann wissen und bewies damit mal wieder, wenn es zu seinem eigenen Vorteil war, dann konnte Claire besser als nur ganz genau zuhören und das Gesagte zerlegen. Seinem Tonfall war allerdings deutlich zu vernehmen, wie wenig ernst seine Worte gemeint waren – immerhin hing er an seinem Leben und daran, heute Nacht mit Matthew in diesem Zimmer sein zu dürfen ohne Rauswurf.

Okay, okay… schon gut“, lenkte er daher noch im gleichen Atemzug ein bevor er das drohende Unheil doch herauf beschwor und Matthew am Ende noch dachte, seine Sorgen würden von ihm nicht ernst genommen werden. Denn das wurden sie, dazu wusste der Bär selbst viel zu gut, wie schlimm sie sich anfühlten.

Keine heimlichen Abwege, keine Alleingänge und kein Klettern, ich verspreche es dir. Und Prügeleien nur dann, wenn sie sich auch wirklich nicht vermeiden lassen.“ – Immerhin hatte er sich ja auch die letzten beiden Male nicht auf die Straße gestellt, die Arme offen ausgebreitet und dabei freudig alles herbei gerufen, das mit ihm eine vermeintliche Rechnung offen hatte oder eröffnen wollte. Wenn man ihn alleine irgendwo aufgriff, konnte er sich ja schlecht ohne Gegenwehr zu Boden schmeißen und hoffen, man ließ noch genug von ihm übrig, um am Ende irgendwie zurück zu seinem Mann zu kehren.

„…aber das Gleiche gilt auch für dich. Ich will, dass du auf dich aufpasst und mir Bescheid sagst, wenn du irgendwo hin verschwindest… egal ob alleine oder mit den anderen beiden. Wenn ich dich verlieren sollte, in Poison Ivy oder irgendwo sonst, ziehe ich dir die Ohren lang sobald ich dich wieder in die Finger bekomme. Wenn dir irgendwas passiert…“

Kopfschüttelnd zog er die Brauen zusammen, denn es brauchte keiner weiteren Erklärung was mit ihm geschehen würde, würde Matthew irgendetwas zustoßen. Sein Mann war sein Ein und Alles, nicht umsonst hatte er ihn geheiratet und schlich sich nachts zu ihm aufs Zimmer auch auf die Gefahr hin, sich gegenüber den anderen beiden zu verraten.

Um sich von dem düsteren Gedanken abzulenken was Cassie passieren könnte – immerhin war diesem Kerl seit ihrer Abreise aus Coral Valley schon genug zugestoßen – entließ er Cassie aus seiner Umarmung und tat genau das, wonach er sich schon den ganzen Tag gesehnt hatte: Er nahm ihn an der Hand um ihn hinter sich her zu ziehen, auch wenn es nur die drei Schritte bis zum kleinen Schreibtisch waren.

„Lass uns den Wein aufmachen… Das Bistro hatte schon zu, aber du hast doch bestimmt dein Besteck eingepackt. Wir drücken den Korken einfach rein und trinken aus der Flasche während wir uns vorstellen, ein kompetenter Kellner hätte uns das Ding entkorkt und in schöne Gläser gefüllt. Im gröbsten Sinne sind wir ja noch über Metropolengebiet, das heißt ich bekomme mein Date in Rio Nosalida also doch noch von dir wenn wir es schaffen, es uns hier drinnen irgendwie ein bisschen bequem zu machen.“

Er war noch nie darum verlegen gewesen sich Schulden einzutreiben, weder bei Fremden, noch bei seinem eigenen Ehemann. Genau genommen hatte Matthew ihm zwar nie versprochen ihn hier fein auszuführen, obwohl Clarence es sich eingefordert hatte, aber manchmal musste man diesen kleinkriminellen Söldner auch einfach zu seinem Glück zwingen, wenn er nicht wollte.

„Außerdem muss ich dich korrigieren: Nur weil ich nicht mit dem Hintergedanken gekommen bin mit dir zu schlafen, hab ich auf ein bisschen miteinander rummachen sehr wohl gehofft. Als ob ich auf Knutschen und Fummeln verzichten würde… du solltest mich mittlerweile besser kennen, Mister Sky“, schnalzte er tadelnd mit der Zunge, reichte die Flasche an seinen Mann weiter und ließ sich danach auf dem Tisch nieder, um dem Dunkelhaarigen dabei zuzusehen wie er sich mit der Flasche abmurkste. Wenn Matthew wirklich gedachte ihm heute Nacht nochmal an die Wäsche zu gehen, dann sollte er ihn langsam aber sicher wirklich etwas hofieren – immerhin gehörte sich das so wenn man gute Manieren hatte, wie Cassie immer von sich behauptete.


Matthew C. Reed

 

Cordi und Harper, zwei Kinder ein und desselben Mannes und trotzdem sehr unterschiedlich in ihren Charakterzügen. Matthew lauschte den Erzählungen über die Mädchen, stellte sich vor wie Clarence Cordelia die Zöpfe geflochten hatte, um Ihre Lockenmähne zu bändigen.

Jeden Sonntag aufs Neue, bis es irgendwann keinen gemeinsamen Sonntag mehr gegeben hatte.

Ein schrecklicher Gedanke, der in Matthew Beklemmung aufkommen ließ.

Es war ein großes Glück, dass Clarence bei seinen Erzählungen nicht kummervoll klang. Natürlich schwang Wehmut in den Erinnerungen mit, aber vor allem offenbarte er Matthew seine unerschütterlich Liebe. Eine Liebe, so tiefgreifend, so unzerstörbar, dass selbst der Tod jene Liebe nicht hemmen konnte.

Cordi und Harper mochten längst schon Vergangenheit geworden sein, ihrer Zukunft beraubt. Aber im Herzen des Mannes, den Matthew früher mehr als einmal als Klotz bezeichnet hatte, waren sie quicklebendig und sie wurden noch immer geliebt. Sie würden nie von dort verschwinden, würden nie vergessen werden, völlig egal wie viele Jahre auch vergehen mochten.

Clarence war alles andere als ein Klotz, er war alles andere als kalt oder abgestumpft.

Weder Adrianna noch Cameron hatten auch nur den blassesten Schimmer davon wer und wie der Blondschopf wirklich war. Das wusste nur Matthew – und er liebte ihn für all seine Facetten, für seine Güte, seinen Großmut, sein freches Lächeln, sein überraschtes Lachen.

Er war ein großartiger Mensch und ein fantastischer Vater.

Kurz zogen sich Matthews Brauen verärgert zusammen, nämlich als Clarence versuchte, seine Bitte zu umgehen. Zu seinem Glück war das nur Spaß, aber Cassie hatte in dieser Beziehung nur wenig Humor. „Wie war doch noch gleich mit dem Schlupfloch, dass Harper in jeder Regel gesucht hat?“ – er blickte den Blonden an. „Merkst du selbst, hm?“

Seine Mädchen, besonders Harper, waren offenbar ein charakterliches Spiegelbild ihres Vaters gewesen. „Ich hab dich zweimal für tot gehalten, Claire. Tu mir das nicht nochmal an.“ – es gab Gründe für die Angst Matthews, gute Gründe sogar und Clarence sollte nicht vergessen, was er Matthew schon zugemutet hatte. Sein Freitod im Traum der Vetala war so echt erschienen, dass er dem Dunkelhaarigen von einer Sekunde auf die Nächste alles geraubt hatte was Matt am Leben hielt.

Seine sorge um den Hünen war nicht unbegründet und andersherum galt wohl dasselbe, immerhin hatte auch Cassie schon die ein oder andere Schrame abbekommen. Manchmal durch sein eigenes Ungeschick, manchmal durch unnötiges Provozieren und manchmal, weil er ein Ziel der Bruderschaft des Lichts war. Und ohne Frage war Letzteres die größte Gefahrenquelle.

„Ich verspreche, ich passe auf mich auf und ich verschwinde nicht einfach ohne etwas zu sagen. Im Idealfall… verschwinde ich gar nicht. Und wenn doch, dann nur, um mit dir ein bisschen allein zu sein.“ – lenkte er versöhnlich ein und gab seinem Mann noch einen zarten Kuss auf die Lippen. Widerstandslos ließ er sich von Clarence schließlich mitziehen und beobachtete schmunzelnd, wie er sich auf den Schreibtisch setzte.

Matthew nahm dem Blonden die dargebotene Weinflasche ab und widmete sich dem Korken noch während er amüsiert erwiderte: „Mister Sky, ich weiß nicht wie Sie auf die Idee kommen, dass ich Ihnen ein Date schuldig bin. Meine Ehefrau wäre höchst irritiert, wenn sie davon erfahren würde.“  

Er zog eine Klinge aus einer der Lederlaschen aus dem Harnisch, in dem er kurz von oben unter sein Oberteil langte. Mit dem Messergriff drückte er den Korken nach unten, so beiläufig und mühelos, dass man ihm ansah, dass er darin Übung hatte. Abmurksen musste er sich mit dieser Aufgabe jedenfalls nicht – und wusste auch nicht, dass der Hüne heimlich darauf spekuliert hatte.

 Sie waren es beide gewöhnt zurechtzukommen und auch wenn Matthew den Luxus der Zivilisation zu schätzen wusste, so kam er auch bestens ohne diesen zurecht. Das Messer zurück an den angestammten Platz führend, ging er zu seinem Rucksack, stellte ihn auf das Bett und löste seine verbeulte und zerkratzte Blechtasse von ihrer Schnur, mit der sie außen befestigt war.

Derart ausgestattet, schlenderte er den kurzen Weg zu Clarence zurück und füllte, noch während er ging, den Becher mit Wein.

Er stellte die Flasche auf dem Tisch neben dem Blonden ab und trat an ihn heran, in dem er mit der freien Hand Clarence‘ Beine ein wenig auseinanderdrückte.

„Ihr Wein, Mister Sky.“ Auffordernd hielt er ihm die Tasse hin und zog sie ketzerisch zurück, gerade als sich Clarence‘ Finger um sie legen wollten. Mit herausforderndem Blickkontakt trank Matthew den ersten Schluck und zog den Blonden anschließend mit zärtlicher Bestimmtheit an seinem Bart zu sich heran, um den Wein von sein von seinen Lippen zu kosten. Nur einen winzigen Spalt breit öffnete er den Mund und stupste mit der Zungenspitze verhalten gegen die Lippen seines Geliebten. Ein kurzer und vollkommen sanfter Zungenkuss brachte sie beide für einen Moment zum Schweigen. Ein Augenblick, der Matthews Haut kribbeln ließ und ihn sich augenblicklich warm fühlen ließ. Die Art und Weise wie er sich zu Clarence hingezogen fühlte – nicht nur, aber eben sehr wohl auch körperlich – kannte er nur von dem Blondschopf. Niemand sonst hatte ihn je so fasziniert und für sich eingenommen. Ein Kunststück, welches einzig der Jäger zu vollbringen wusste.

Als Matthew den Kuss wieder löste, war ein verträumter Ausdruck in seine Augen getreten und er überließ die Tasse dem Anderen dieses Mal ohne weitere Spielereien.

„Der ist gut.“, zog er sein Fazit, offenlassend, ob er den Wein oder den Kuss meinte.

Kurz lachte er auf und schüttelte den Kopf, als er erfahren musste, dass der Jäger durchaus darauf spekuliert hatte ein bisschen rumzufummeln – etwas das bei ihnen in neun von zehn Fällen durchaus darin gipfelte miteinander zu schlafen.

„Sie sind so durchschaubar, Mister Sky. Ich weiß nicht recht was ich davon halten soll.“ – der Tadel hatte nur wenig Ernsthaftes an sich, doch statt das Thema weiter zu vertiefen, nickte er gen Bibel auf dem Tisch. „Dort hast du Ihre Bilder verwahrt?“ – ein gutes Versteck, um das er schon seit Coral Valley wusste. Aber auch wenn er von der Existenz der Fotografien wusste, so hatte er es nie gewagt sie sich heimlich anzusehen.

Nun griff der Jüngere nach dem Buch und sah schweigsam auf den Einband hinab. Ein schlichtes Kreuz war in den ledernen Einband geprägt und zeugte trotz – oder gerade wegen – der Einfachheit von Ernst und Würde. Das Buch war schon weit gereist und vermutlich älter als Clarence, der es sein halbes Leben lang mit sich herumgeschleppt hatte, ohne auch nur ein Wort darin lesen zu können.

Cassie und Clarence tauschten Buch gegen Becher und der Dunkelhaarige nahm noch einen Schluck.

„Wollen wir… es uns nicht lieber ein bisschen bequem machen?“ Er verwob seine freie Hand mit den Fingern des Anderen und zog ihn daran sanft vom Schreibtisch herunter.

„Das Zimmer bietet nicht allzu viele Möglichkeiten… aber…“, er zuckte die Schultern „Ich brauch nichts weiter, wenn du da bist.“ – klang das kitschig? Ziemlich sicher, aber es war die Wahrheit.

Er brachte Clarence zum Bett, ließ ihn los und nahm den Rucksack vom Bett, damit sich der Größere setzen und es sich bequem machen konnte. Die Flasche Schnaps, ein Überbleibsel von Barclay, hob er an ihrem Hals hinaus und stellte sie auf den Fußboden, ehe er sich vor den Größeren setzte und mit dem Rücken an seine Brust rutschte, bis er schließlich an ihm lehnte.

Den Kopf ein Stückchen drehend, gab er Clarence einen Kuss auf die bärtige Wange.

„Ist das gut so? Hast du es bequem? Sag wenn ich zu schwer bin oder so.“


Clarence B. Sky

Im Grunde hatte Matthew Recht damit. Seine Angst um den Blonden rührte nicht von irgendwoher, weder von Schrammen die ihm eine überdimensionale Spinne zugefügt hatte, noch von dem hinterhältigen Attentat durch eine Irre irgendwo draußen auf der Insel.

Die Dinge die vorgefallen waren und Clarence ausreichend Sorge um den Jüngeren eingeimpft hatte, hatte sein Mann schon zwei Mal in hundertfacher Intensität erlebt – denn der Hüne war nicht einfach nur verwundet oder außer Gefecht gesetzt worden, sondern hatte dem anderen die wahrhaftige Annahme beschert, sein Ehemann sei tot.

Dass Clarence mittlerweile wieder quietsch fidel war und bis auf ein unmerkliches Humpeln weit weniger Folgeschäden davon getragen hatte im Vergleich zu Cassie, der lange Zeit Schwierigkeiten mit seinem Augenlicht besessen hatte und dem Zittern seiner Finger, war kein Trost angesichts der Bilder die sich einbrannten und vielleicht niemals mehr in Vergessenheit geraten würden.

Sich gefunden zu haben war nicht nur ein Glücksfall gewesen, sondern vielleicht sogar einer der wenigen Einzelfälle in der Welt, in der sie lebten. Lange oder noch nie in ihrem Leben etwas Gutes erfahren, hatten sie im Fremden das erste Licht der Hoffnung gesehen und hatten einander auf mannigfaltige Art vor dem Sterben bewahrt. Aus bloßer Gemeinschaft und Hilfe war so etwas wie eine schweigsame und distanzierte, aber stets verlässliche Freundschaft geworden und aus dieser seltsamen Bindung… eine Liebe, die ihren Weg dahin vielleicht selbst gar nicht so recht nachvollziehen konnte. Sie hatten einander gerettet und das war so kostbar, dass mit aller Macht zu schützen galt, was sie aneinander hatten.

Bevor er es doch noch vermasselte, gab sich Clarence lieber folgsam dem sanften Einlenken seines Mannes hin und beobachtete aufmerksam, wie Matthew unter sein Hemd langte um danach geschmeidig den Wein für sie zu entkorken. Wie attraktiv er dabei aussah während die Muskeln und Sehnen in seinen Armen sich anspannten, sei es auch nur um eine solch lapidare Sache zu vollführen, wusste Matthew sicher nur zu gut – daran zweifelte der Blonde keinesfalls. Sein Partner war sich seiner Wirkung auf andere durchaus bewusst, nicht nur einmal hatte dieser Kerl mit seinem Äußeren und seiner lässigen Art kokettiert um früher hübsche Mädchen in einer Bar, später seinen Bären um den Finger zu wickeln. Es war beinahe unverschämt wie gut Matthew aussah und noch unverschämter war es wie sehr Clarence es genoss, diesen Kerl seit Coral Valley ganz für sich alleine zu haben.

„…ich habe nicht die Absicht, deine Ehefrau von unseren geheimen Treffen während der Reise erfahren zu lassen. Deine Gracie ist ziemlich weit weg, weißt du… und was in Rio Nosalida passiert, das bleibt auch in Rio Nosalida“, erhob er verschwörerisch die Stimme kaum da Matthew wieder zu ihm heran getreten war und öffnete willig die Knie für ihn, damit sie sich wieder möglichst nahe kamen. Ein verschmitztes Grinsen legte sich beim neckischen Spiel um den Wein auf seine Lippen, denn Clarence wusste genau was der andere da tat und Cassie wusste umso besser wie man es tat, um eine gewisse Grundstimmung herauf zu beschwören.

Ihre zweisamen Momente mochten oft wild und ungestüm sein, doch noch öfter bargen sie für Clarence eine prickelnde Erotik, die er sich in diesem Umfang nie hätte vorstellen können in seinem Leben, bevor Cassie dazu gestoßen war. Sei es den Jüngeren nackt in einer heißen Quelle stehen zu sehen, vor ihm auf den Knien - die Handgelenke locker mit einem Gürtel zusammengebunden – oder einfach nur in einen ruhigen Kuss verwoben, während dem er den Rotwein von der Zunge seines Geliebten kostete. Die knisternden Momente hatten auch nach all den Monaten der Ehe nicht an Intensität verloren und noch immer wusste Matthew ihn zu faszinieren wie in der Nacht, in der sie sich zum allerersten Mal geküsst hatten.

Das will ich doch meinen…“, entgegnete er leise und schmeckte dem vertrauten Geschmack auf seinen Lippen nach, nun seinerseits offenlassend, ob er sich auf den Wein oder den Kuss bezog.

Mit Matthew noch immer zwischen seinen Knien, musterte er den Jüngeren schweigsam während er nach der Bibel griff und spürte für den Bruchteil einer Sekunde den inneren Drang ihm das Buch abzunehmen, einfach weil er es gewohnt war die wenigen Habseligkeiten, die er noch von früher besaß, nicht in fremde Hände zu begeben. Die Finger allerdings, die sich gerade um die Bibel legten, waren alles andere als fremd und so wie er sein Leben fortan mit Cassie teilen würde, sah er auch keinen Grund, es mit seinen Sachen anders zu handhaben. Trotzdem konnte er nicht verhehlen dass es ihm innerlich ein wenig mehr Ruhe verschaffte, als sie schließlich wieder Becher gegen Buch tauschten.

Doch auch die letzte unbegründete Sorge sollte sich zerstreuen, als Clarence schließlich vom mit Gracie verheirateten Mister Reed zum Bett dirigiert wurde und dabei keinen Zweifel daran offen ließ, wie wenig seine Frau ihm bedeutete im Vergleich zum Bären. Ihr Alltag mochte oft einfach sein und geprägt von nur wenigen wirklich liebevollen Momenten, dafür war ihre Offenheit zueinander am Abend und in der Nacht zunehmend immens geworden. Sie scheuten sich in diesen intimen Stunden nicht länger den anderen wissen zu lassen wie viel sie einander bedeuteten, Worte die seit gestern umso wichtiger waren zu hören, damit man es im Alltag mit den beiden Kestrel auch nie vergessen würde.

Mit einem wohligen Brummen schaffte er Cassie Platz zwischen seinen Schenkeln bevor er sie anschmiegsam um den Leib seines Mannes lehnte und legte die Arme um dessen Brust, ihn für einen Moment wärmend an sich drückend.

„Nein… so ist es… perfekt“, zufrieden unterbrach er sich selbst durch zarte Küsse auf Matthews Hals, ihn Nähe suchend liebkosend wie er es in den vergangenen Wochen schon oft getan hatte, wenn sie zum Lesen üben so beieinander in ihrem Bett gesessen hatten. Matthew an seine Brust gelehnt und über dessen Schulter auf die einfachen Sätze blickend die der Dunkelhaarige ihm zum üben aufgeschrieben hatte, ließ es sich oftmals gleich doppelt so effektiv arbeiten und die Entlohnung für seine Fortschritte hatte sich später oft aus der Nähe an sich ergeben.

Ihre Lesestunden würden erstmal auf Eis gelegt werden müssen nun wo sie wieder zu Fuß unterwegs waren und sich abends mehr nach Schlaf als nach allem anderen sehnen würden, aber das hieß nicht, dass Matthews begabter Schüler darüber froh war.

„Gib mir noch einen Schluck, mh?“, forderte er und nippte vorsichtig aus dem Becher den Matthew ihm umständlich an die Lippen führte, bevor er die Bibel auf Cassies Schoß hob wie sie es sonst mit dem Notizbuch des Jüngeren taten.

Mit seinen rauen Händen strich er für einen Moment über den ledernen Einband hinweg, in dem Erinnerungen an Zuhause und an Reisen steckten aus einer Zeit, noch lange bevor er seinen Mann überhaupt gekannt hatte. Obwohl er sie besaß seit seine Eltern noch gelegt hatten, hatte er kein einziges Wort aus dieser Bibel gelesen und selbst jetzt, wo er eine grobe Ahnung vom Alphabet besaß, hatte er es sich nicht getraut es zu versuchen – und würde es vermutlich auch für eine lange Zeit nicht tun, da war er sich sicher. Es gab Dinge, die konnte er kaum erwarten wenn er die Möglichkeit dazu besaß und auf der anderen Seite… fühlten sich die einfachsten Sachen manchmal einfach nicht richtig an bis zu einem bestimmten Moment, der vielleicht noch kommen mochte.

„Die hat meinem Großvater gehört. Als wir seinen Haushalt aufgelöst haben um die Wohnung für den nächsten Gemeindevorstand frei zu machen, hat mein Vater sie mir geschenkt. Sie sah damals noch etwas besser aus als heute, die hat immer nur sein Arbeitszimmer oder die Kirche gesehen…“, erinnerte er sich grob daran, wie Barthy Senior das Buch vom schweren Schreibtisch genommen hatte um es ihm in die Hand zu drücken. Er wusste noch wie er beide Hände um den Einband gelegt hatte, damals noch mit zarten schmalen Fingern, die die Wildnis nicht kannten lediglich vom Ausmisten der Ställe und der Feldarbeit ein paar Schwielen gehabt hatten.

Seitdem hatte sich der Einband im Gerumpel seines Rucksacks ein wenig zu seinem Nachteil verändert, aber das tat ihrem Wert für Clarence keinen Abbruch.

Leise ließ er die Seiten unter seinem Daumen blättern, die leicht vergilbt waren und deren Ecken an manchen Stellen eingeknickt waren, wohl um besondere Stellen zu markieren. Doch statt sich zu einer bestimmten Seite vorzukämpfen, schlug der Blonde bis zur letzten auf, sodass sie schließlich auf die eigentlich verklebte Rückseite des Einbands blickten – deren oberes Ende leicht eingerissen war und etwas weg stand.

Mit einem Finger das Innenleben des Verstecks ein wenig heraus ziehend, sortierte er unter den Fotografien ein paar marmorierte Blätter heraus die er wieder hinter dem präparierten Einschub verschwinden ließ und breitete schließlich zwei der drei Bilder vor ihnen raus, eines rechts und eines links im aufgeschlagenen Buch. Sie waren durchzogen von leichten Bruchlinien da er sie früher noch gefaltet versteckt gehabt hatte bevor sie in der Bibel verschwunden waren, ansonsten aber offensichtlich fast besser erhalten als alles andere, was Clarence besaß.

Hier das ist Harper, da wird sie etwa… keine Ahnung… irgendwas zwischen sechs und acht gewesen sein, nehm ich an?“, erklärte er leise und fuhr vorsichtig am Rand des Fotos entlang, um es nicht mit seinen Fingern zu verschmieren.

Sie war furchtbar aufgeregt als der fliegende Händler ihr erklärt hat, was man mit seinem Gerät machen kann. Die Kleine hat immer Spaß daran gehabt, sich wenigstens Zuhause gegen die Regeln im Fort zu stellen und hat natürlich sofort begriffen, dass wir drauf und dran sind was Verbotenes zu tun. Als der Kerl dann so weit war, war ihr das alles doch nicht mehr so geheuer, aber… man sieht das diebische Funkeln noch in ihren Augen, find ich… mhh…“

Ein melancholisches Schmunzeln legte sich in seine eigenen Augen und über seine Lippen während er das Foto betrachtete und sich dabei mit einem Leben konfrontiert sah, das nicht mehr das seine war. An manchen Tagen, wenn sie etwas erlebten das ihn an die beiden erinnerte und alte Gefühle wieder wach rief, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er ein Vater ohne Kinder war. Die Liebe, die die beiden vom Tag ihrer Geburt an in ihm heraufbeschworen hatten, würde sich nie wieder ausradieren lassen und nie darin gipfeln, dass er jemandem stolz von seinen Töchtern erzählte. Er würde nicht mit anderen prahlen können, welcher Spross der erfolgreichste war und zu den alten Erinnerungen würden sich nie wieder neue gesellen, sodass die Geschichten von den beiden eines Tages alle erzählt und gehört sein würden, bis sich ihr Leben wieder in dem stillen Schweigen verlief, indem es sich auch in den letzten Jahren seit ihrem Tod schon verlaufen hatte. Der einzige Ort wo es noch einen Platz für sie gab um zu existieren war sein Herz – und ab heute vielleicht auch ein wenig das von Matthew, nun, wo er Gesichter zu den beiden Mädchen hatte.

Und das hier… ist Cordelia“, tippte er lautlos mit dem Finger unter die andere Fotografie, in der Stimme eine Mischung aus Bestimmtheit und einem eigentümlichen Stolz. Es war nicht geplant gewesen zwischen den beiden so viel Zeit liegen zu haben, aber dass es letztlich doch noch zu einem zweiten Kind gekommen war, hatte ihn gefühlt zum stolzesten Mann im ganzen Madman Forest gemacht. Es hatte keine Rolle gespielt wie schüchtern sie gewesen war oder wie Anfällig für Erkältungen, dass der kleine Dreikäsehoch ein weinerliches Mädchen gewesen war oder ein bisschen mehr Babyspeck als nötig angesetzt hatte. Nicht mal der Name den seine Frau ausgesucht hatte und der so ganz anders war als sein Geschmack es erlaubt hätte, hatte je zugelassen, dass er jemals ein böses Wort dem Nesthäkchen gegenüber verloren hatte.

Aufmerksam und neugierig betrachtete er sich das Bildnis seines kleinen Mädchens und spürte dabei gemischte Gefühle in ihm aufkommen, von denen er nicht alle rechtens zuordnen konnte. Die wenigen Male, die er es sich gewagt hatte sich die Fotografien zu betrachten, hatte er Cordelia meistens gemieden; ihr letzter Anblick zu Lebzeiten war so schlimm gewesen, dass Nagi ihr Gesicht hatte aus seiner Erinnerung radieren müssen, damit er nicht daran zerbrach. Der Gedanke daran sie zu sehen und dabei zu wissen, dass ihre kleine Stupsnase und die pummeligen Wangen wieder aus seinem Gedächtnis verschwinden würden wenn auch das Foto zurück in die Bibel verschwand, war Fluch und Segen zugleich.

Ich hab vor ihr gehockt und ihr gesagt wie schön sie aussieht mit der Blume im Haar, damit sie anständig lächelt auf dem Foto. Der Spaß war immerhin teuer genug, aber mittlerweile…“ – Vielsagend zuckte er mit den Schultern, denn heute wusste er, dass das Ergebnis nicht teuer war, sondern eigentlich unbezahlbar vom Wert, den die Bilder für ihn besaßen. Hätte er sie nicht, wären die Details seiner Mädchen vielleicht irgendwann in seiner Erinnerung verschwommen, bis sie eines Tages gar nicht mehr da gewesen wären.

Sich räuspernd, zog er einen Arm von Cassies Brust zurück und fuhr sich kurz unter den Augen entlang, bevor er seinem Mann einen leisen Kuss ins Haar hauchte.

Wenn sie heute hier wären… Harper hätte dich vermutlich dazu genötigt ihr beizubringen wie du deine Karten zinkst und Cordy hätte dir deinen Wintermantel mit den schlimmen Ohren abgeluchst und versaut, noch bevor es dir aufgefallen wäre. Ich weiß, die beiden hätten dich sehr gemocht… ist schwer dich nicht zu lieben, ich weiß wovon ich rede.“


Matthew C. Sky

Vergangenes...aus einem fernen Leben, das waren die zwei Kinder seines Mannes und doch waren sie nicht wirklich Vergangenheit. Sie würden immer Teil der Gegenwart des Blonden sein, weiterleben in seinem Herzen und in seinen Erinnerungen. 

Vollkommen still saß Matthew zwischen Clarence‘ Beinen und blickte auf die gut erhaltenen Fotografien herunter. 

In seiner Fantasie hatte er sich die Mädchen anders vorgestellt. Irgendwie hatte er immer gedacht, dass Harper ihrem Vater dem Aussehen nach ähnlicher wäre, doch tatsächlich fand er nun, dass das auf Cordelia zutraf. 

Ihr Blick war offen und hatte zugleich etwas schüchternes an sich und ihr kleines Lächeln ähnelte dem, wie es auch Clarence manchmal zeigte. Sie hatte etwas Positives und zugleich Verhaltenes an sich, genau wie Clarence, wenn er nicht gerade den frostigen Jäger mimen musste. So oder so ähnlich hatte Clarence als Kind bestimmt auch dreingeblickt. Beiden Mädchen sah man ihren Charakter an der Nasenspitze an. 

Und man sah auch, dass es Kinder waren die man geliebt hatte.

Schweigsam hörte Cassiel den Erzählungen des Hinteren zu und betrachtete abwechselnd beide Bilder. 

Ob er die Stärke besitzen würde über sie zu reden, wenn er an Clarence‘ Stelle wäre? Er glaubte es nicht. 

Obgleich er Harper und Cordelia niemals kennengelernt hatte, berührte es ihn eigentümlich stark sie nun vor sich zu sehen. Ihre Gesichter wirkten so echt und so lebendig. 

Unvorstellbar, dass sie nicht mehr existierten, unvorstellbar, welchen Schmerz Clarence seither jeden Tag ertragen musste. 

Das Leben war ungerecht, er wusste das nicht erst seit gestern, aber es wurde ihm noch mehr bewusst, nun da er die zwei Mädchen sah und wusste, dass ihre Zukunft bereits ausradiert war. Er dachte an Jamie Flynn, der mit vierzehn Lenzen verbrannt worden war. Er dachte an Brandon Kyle und Christopher Stone, die man wortwörtlich geschlachtet hatte. Ihr Leben war kurz und unvorstellbar grausam gewesen.

Sie waren nur drei Beispiele an denen klar wurde, dass es keine Gerechtigkeit auf der Welt gab und sollte es einen Gott geben, so war er böse statt gütig.

Was den Mädchen widerfahren war und was Clarence durchgemacht hatte, war furchtbar und nichts auf der Welt würde jenen Verlust wieder aufwiegen können.

Matthew musste sich nicht zu ihm umwenden, um zu wissen, dass in das stählerne Graublau von Clarence‘ Augen der Glanz von Tränen schimmerte.

Er wusste es auch so. 

Was er nicht wusste war jedoch was er nun sagen sollte. Er wollte Clarence‘ Erzählung nicht einfach im Raum stehen lassen, wollte nicht so tun als sei alles gut. Das Vergangene war nicht wirklich vergangen und würde es auch niemals sein können. 

Wie sollte ein Vater ohne Kinder je den Schmerz ihres Verlustes vergessen?

„Sie...sind beide unglaublich hübsch.“, hörte Matthew sich schließlich sagen. Seine Stimme klang fremd in seinen eigenen Ohren und er fühlte sich furchtbar unnütz. Er wusste nicht was man in so einer Situation sagen sollte, wie man sich verhielt. Sollte er nachfragen oder lieber nur zuhören?

Ohne das Foto der kleinen Harper zu berühren, deutete er schließlich auf selbiges und sagte leise: „Man sieht ihr an, dass ihr das Ganze nicht ganz geheuer gewesen ist. Aber man sieht auch, dass die Neugierde in neun von zehn Fällen überwogen hat. Sie war sicher sehr mutig…“, inwieweit seine Einschätzung richtig war wusste Cassie nicht, aber da Clarence ihn nicht unterbrach oder korrigierte nahm er an, er lag nicht völlig daneben.

„Und Cordelia…“, er blickte auf die Fotografie. „Sie sieht dir ähnlicher, finde ich. Ich dachte immer, …dass Harper mehr nach dir aussieht, aber Cordelia hat deine Nase und so wie sie auf dem Foto lächelt…erinnert sie mich an dich, wenn du wieder deinen Gedanken freien Lauf lässt und dich irgendetwas freut, über das du nicht reden möchtest.“ In der kleinen Cordelia sah er seinen Mann noch mehr als er ihn in Harper sah. „Und sie hat deine Augen, unverwechselbar. Das gleiche Graublau. Es müsste der Logik wegen kalt sein, aber es ist warm und weich… wie bei dir.“

Cassiel verstummte und machte nachdenklich „Mh~“ während er die Mädchen ansah, die kennenzulernen ihm nicht gegönnt gewesen war.

„Man sieht ihr an, dass sie ein gutes Herz hat. Sie hat…sie hatte…“ korrigierte er sich widerwillig „…den gleichen Sanftmut wie du ihn hast. Während Harper kein Abendteuer zu wild sein konnte.“, schloss er seine Einschätzung beider Mädchen vorerst ab. Wie viel von dem richtig war oder nicht, darauf kam es gar nicht an. Wenn er die Lichtbilder betrachtete hatte er das Gefühl die zwei irgendwie besser kennenzulernen. Natürlich waren es nur Momentaufnahmen, natürlich kannte er sie nicht wirklich, aber ihre Gesichter rührten dennoch das Gefühl in ihm an.

Erst die Worte des Hünen und sein lieber Kuss auf seinen Schopf rissen ihn wieder aus seinen Gedanken. Ob sie ihn gemocht hätten? Vielleicht. Auf der anderen Seite war er der Mann ihres Vaters und in ihrer Vorstellung wäre das sicherlich komisch und falsch gewesen. Immerhin gehörte zu einem Vater auch eine Mutter.

Dennoch lächelte Cassie bei der Vorstellung. Es war ein melancholisches und dennoch dankbares Lächeln. Er hatte die zwei nie kennenlernen dürfen, trotzdem versuchte sein Mann sie ihm nahezubringen, versuchte eine Verbindung zu schaffen die es nie gegeben hatte. Matthew drehte den Kopf zur Seite, hob die freie Hand und wischte mit dem Daumen erst unter dem einen Auge des Blonden entlang und dann unter dem Anderen.

„Sie waren wunderbare Mädchen.“ Er kannte sie nicht, aber in dieser Hinsicht hatte er keine Zweifel daran, dass er richtig lag.

„Beide so unterschiedlich wie auch ihr Vater es ist. Ich glaube… sie waren immer glücklich, wenn du da warst. Sie haben beide diesen Blick… den Kinder nur dann haben, wenn sie behütet werden.“ – in der Beziehung wusste er wovon er redete.

„Und das hast du getan. Du bist ihnen ein wunderbarer Vater gewesen… und bist es noch immer.“ – etwas umständlich lehnte er sich zu dem Blondschopf und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ich schätze mich glücklich, dass du an meiner Seite bist. Und ich bin sicher deine Mädchen waren glücklich dich als Vater zu haben.“

Er selbst hatte keinen Vater gehabt und niemanden der diese Rolle auch nur annähernd eingenommen hatte, aber er wusste noch gut wie sehr er jemanden vermisst hatte der aufpasste. Der einem Geschichten erzählte, der böse Leute fernhielt, der einem das Gefühl gab sicher zu sein – auch wenn man es vielleicht nicht war, weil es keine völlige Sicherheit gab.

Clarence war ein großartiger Vater, dessen war er sich so gewiss wie er auch wusste, dass die Nacht dunkel war.

„Du hast drei Fotos aussortiert.“ -sagte er, den Blick noch immer auf das Profil seines Liebsten gerichtet. Ihm war nicht entgangen, dass er noch mehr Bilder oder Dokumente in der Bibel versteckt hatte, aber wenn er sie nicht zeigen wollte, dann würde Cassie nicht nachbohren. Alles was Clarence ihm zeigte, woran er ihn teilhaben ließ, bewies so deutlich sein Vertrauen in ihn. Es machte Matthew klar, wie sehr er von seinem Mann geschätzt und geliebt wurde. Es war nicht selbstverständlich, dass er ihm seine kostbarsten Schätze zeigte und Cassie erkannte sehr wohl, dass er Teil von Clarence‘ Familie war, selbst wenn Harper und Cordelia ihn nie kennengelernt hatten.

„Zeigst du mir, was auf dem dritten Bild drauf ist?“


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