Harper Cordelia
22. Mai 2210
Kalt zog der Wind am Haar und wirren Bart, während sein Atem vor Clarence‘ Gesicht kondensierte. Längst hatte sich die Dunkelheit der Nacht über die kleine Insel gezogen, unscheinbar wie Kristallblumen bei Frost an einer Fensterscheine entlang kletterten. Man wusste dass sie dort waren, man wusste dass sie wuchsen – und doch fiel einem das rasche Voranschreiten erst dann richtig auf, wenn man eine Weile nicht hingesehen hatte.
Alles, was am Hafen Cascade Hills in der Finsternis zum Meer hinaus geblieben war, waren die kleinen und größeren Lichter fernab der hölzernen Stege. Manche der Handel treibenden Seefahrer hatten sich nach langer Reise schon früh zum Schlaf niedergelegt, andere in der nicht weit entfernten Gaststätte eingemietet um wenigstens für eine Nacht nicht das ewige Schwanken ihres Untergrundes ertragen zu müssen. Diejenigen aber, die noch im Schein ihrer Kerzen an den Tischen saßen oder im Bett lagen, waren die Nachteulen unter den Reisenden; und wenngleich schon seit Tagen nicht mehr ihrer eigentlichen Route folgend, gesellten sich erstmals auch die beiden jungen fremden Männer mit dem eigentümlichen Schicksal zurück unter diese kleine Meute.
Tanzende kleine Schneeflocken trug der Wind mit sich, nicht dicht genug um die eigene Hand nicht mehr vor Augen zu erkennen und doch in überschaubarer Zahl, um dem Abend zumindest einen angenehm geringen Hauch von Winter zu verleihen. Das Wetter, welches sie seit Tagen nur noch durch ein fremdes Fenster hatten beobachten können, war endlich wieder zu einer gemeinsamen Erfahrung auf Haut und Haar geworden und auch wenn der blonde Jäger nicht gedachte seinen Mann diesem Treiben allzu lange auszusetzen, verlieh es dem Geschehen einen angenehmen Hauch von Normalität.
Was das bedeutete, nach all den zurückliegenden Wochen, vermochte wirklich nur das junge Ehepaar zu verstehen, welches in kurzer Dauer so viel miteinander durchgemacht hatte wie manche ihr ganzes Leben nicht. Das Boot, welches als Hochzeitsgeschenk und gemeinsames Heim voller Leben und Freude gedacht gewesen war, hatte seiner eigentlichen Bedeutung bislang kaum nachkommen können. Es war erst Lehrschiff gewesen über einen langen Zeitraum hinweg, begleitet durch Teddy und seine Crew; und später, kaum einen Tag abgelegt aus Coral Valley, war daraus ungewollt eine Art Krankenstation geworden. Selbst jetzt, mit Patient Null mehr oder weniger zurück auf den Beinen, blieben seine Plätze nicht leer – sondern auf die eine Entlassung folgte schon wieder die nächste Aufnahme.
Leise knarrte das Salz unter seinen eigens angefertigten Stiefeln, als Claire die Planke vom Boot hinab lief, welche ihr Heim mit dem Anlegesteg verband. Sicherheitshalber hatte er es sich nicht mal nehmen lassen sein über alles geheiligtes Salz zu verwenden, um die Heimkehr seines Liebsten keiner rutschigen Gefahr auszusetzen. Nichts wollte er dem Zufall überlassen und – soweit es ihm offensichtlich war – hatte er alles in seiner Macht stehende dafür getan, um Matthew das nach Hause Kommen so angenehm wie möglich zu gestalten.
Ein letztes Mal noch zupfte der Bär von Mann seine durch ein ausgeleiertes Haargummi gebändigte Mähne zurecht, bevor er mit kräftigem Griff die langsam vereisende Tür zur Kutschkabine öffnete in der sein Gefährte seit einiger Zeit auf ihn hatte warten müssen. Die wenigen Habseligkeiten von ihnen, die in Bennetts Haus einen Platz gefunden hatten, waren auf der Harper Cordelia verstaut worden, die wuseligen Junghunde im Bad eingesperrt und die Lichter entzündet damit Clarence nicht über seine eigenen Beine stolperte, immerhin waren das die einzigen Füße, die diesen Weg beschreiten würden.
„Ich bin soweit, Süßer. Kann’s losgehen?“
Eine überflüssige Frage wenn man bedachte, dass Matthew kaum eine Wahl und der Hüne ihm auch keine Optionen gelassen hatte. Sie wollten beide dass der Jüngere endlich Heim kam, aber nur Claire würde die Verantwortung dafür tragen müssen wenn etwas passierte – und so hatte es keine Diskussion gegeben welche Maßnahmen dafür getroffen werden mussten. Wärmende Jacke, Handschuhe, sogar eine weite Mütze die Matthews verletzten Kopf geschützt hielt ohne ihn zu sehr zu drücken. Die beste Kutsche mit den meist federnden Achsen, um Cassie die holprige Fahrt bis an den Hafen so angenehm wie nur irgendwie möglich zu machen. So weit hinab an den Steg wie nur möglich, damit der noch immer Genesende nicht länger der Kälte ausgesetzt wurde als nötig.
„Komm wieder in meine Arme Schönheit, da hab ich dich eh am liebsten“, forderte er seinen Mann auf und schob einen Arm an Cassies Rücken vorbei, damit dieser um seine Schultern und seinen Hals Halt finden konnte.
Es war gar nicht so einfach gewesen wie gedacht, Matthew aus Bennetts Haus heraus zu bekommen; kaum ihre Pläne gegenüber dem Arzt geäußert, hatten sie sich einen elendig langen Vortrag anhören müssen. Was alles passieren könnte wenn sie Cassie dieser Belastung aussetzten und dass es weit länger dauern würde als im überschaubaren Haus, sollten sie einen Arzt benötigen. Doch nicht nur das hatte sie am Ende lange aufgehalten, auch der Weg die Treppe hinab und in die Kutsche war alles andere als im Flug vergangen nachdem sich Clarence schon an frühen Mittag so unsanft den Rücken an seinem Mann verhoben hatte – doch das würde der trotzige Jäger als allerletztes beklagen. Niemals, solange es darum ging seinen Mann endlich zurück nach Hause zu holen.
Vorräte, frische Lebensmittel, Holz, neue Kerzen, nicht zuletzt Schmerzmittel falls es Matthew doch wieder schlimmer traf. Es gab nichts, was der Schamane den Nachmittag über nicht organisiert hätte, auch wenn er seinen Partner dafür ein paar Stunden hatte alleine lassen müssen. Zeit, die Cassie hoffentlich dazu genutzt hatte sich nach dem abgebrochenen Abenteuer zu erholen um für die Ankunft Zuhause gewappnet zu sein.
So wie der Bär den Kleineren vor gut einer halben Stunde bereits in den Wagen bugsiert hatte, drängte er auch nun wieder seinen anderen Arm unter Cassies Knien hindurch um ihn ein Stück näher zum Ende der Bank und somit zu sich zu ziehen. Jefferson, ihr Kutscher und der Lichtblick von Claires gesamtem Nachmittag, war unlängst von seinem Bock hinab gestiegen um den beiden jungen Männer im Anschluss wenigstens mit der Wagentür behilflich sein zu können. Nach dem Einkauf vor wenigen Stunden, den Jefferson ihm hinab zum Hafen gefahren hatte, war der Dunkelhaarige die wohl wertvollste Fracht für heute.
Geschafft von den ungeplanten Strapazen des Tages, blies Clarence sich eine der hellen Strähnen aus dem Gesicht welche sich aus dem Haarband gelöst hatten: „Also, auf ein Neues… Halt dich gut fest, unsere Treppe ist nicht gerade so komfortabel wie die beim Quacksalber.“ – Auf den letzten Metern auch noch zu stürzen wäre nicht das, was er als Abschluss des Tages bevorzugen würde.
Abgesehen vom normalen abendlichen Wahnsinn seinem Partner beim Fertigmachen für die Nacht zu helfen, würde der Weg vom Steg bis hinab ins Bett die letzte Anstrengung des heutigen Tages sein und fragte man den eigentlich gut belastbaren Hünen, war er recht dankbar um diese Tatsache. Sicher, der Zustand seines Mannes und die damit einhergehende Angewiesenheit auf Hilfe war nach wie vor kein Last für ihn, aber das bewahrte selbst einen Mann wie Claire nicht vor der psychischen Anspannung die es bedeutete, seinen angeschlagenen Gefährten völlig unüberlegt aus dem Bett zu nehmen und auf eine derartige Reise zu schicken. Von den Möglichen Zwischenfällen mal ganz abgesehen. Aber wann waren die beiden jungen Männer mal nicht unüberlegt gewesen wenn es darum ging, endlich zusammen zu sein?
Es war kalt in der Kutsche in der Matthew saß und auf Clarence wartete. Durch die von Eisblumen verzierte Scheibe blickend, beobachtete er das Treiben der Schneeflocken im Licht der Laternen und goldenen Fenster der Schankhäuser. Trotz der Jacke, einer Decke, Handschuhen und Mütze fror er, aber er würde sich darüber niemals beklagen.
Nach all den Tagen in denen er nichts anderes gesehen hatte als das Zimmer von Bennett’s Tochter, war jeder Windhauch und jede Schneeflocke ein Geschenk. Die kalte, reine Luft in der Nase und in den Lungen zu fühlen belebte ihn, obgleich er nach all den Strapazen des heutigen Tages eigentlich todmüde sein sollte.
Bennett hatte gegen ihr Vorhaben lautstark protestiert, hatte sowohl Clarence als auch Matthew beschworen, dass Haus nicht zu verlassen. Auf ein Duzend Gefahren hatte er hingewiesen, nur um letztlich einsehen zu müssen, dass die beiden jungen Männer ihre Entscheidung getroffen hatten.
Sie waren beide nicht wie der Rest der Menschen in dem Fischerdorf, sie waren zäh, sie wussten auf sich aufzupassen. Arquin Heath hatte die Neuigkeiten ebenfalls erfahren, aber als einziger nicht versucht sich einzumischen. Nachdenklich und schweigsam hatte er Matthew angesehen - was selten genug war, weil er sonst ebenso gern zu reden schien wie Cassiel selbst. Dann hatte er genickt und gesagt: “Lange Tage und angenehme Nächte, Sai. Möge Euer Weg stets stets aufwärts führen, mit Sonne und Wind im Rücken.“
Matthew war es vorgekommen als hatte er eigentlich noch mehr sagen wollen, aber noch ehe er den Anderen danach hatte fragen können, hatte dieser sich abgewendet und war gegangen. Seither hatte Matt ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Doch nicht nur Arquin hatte ihm gute Wünsche mit auf den Weg gegeben. Gretchen, die achtjährigen Zwillingsbrüder Noah und Joseph - zusammen mit ihrer Mutter Marie, die Eheleute Maddy und Cliff Rogers, der Vater von Sally und Molly Mitchell, Hank Mitchell. Und letztlich natürlich auch Nikodemus Bennett, der ihm versichert hatte, auch weiterhin die Behandlungen durchzuführen sollte sich sein Zustand verschlimmern oder einfach sein Rat gewünscht sein.
Die Freundlichkeit die man Clarence, aber vor allem ihm entgegenbrachte, war etwas besonderes und trotz der Tatsache das ihm hier beinahe das Leben genommen worden wäre, so konnte Matthew nicht sagen, dass er mit Cascade Hill City nur Schlechtes in Verbindung brachte. Die Gutmütigkeit der anderen Menschen wog nicht auf was Sally Mitchell getan hatte, sie wog sogar schwerer. Während der Dunkelhaarige nun voller Aufregung und Vorfreude wartete, betrachtete er die Szenerie hinter der Glasscheibe. Es war anders hier zu sitzen und hinauszusehen, als im Zimmer zu sein und aus dem Fenster zu blicken. Hier fühlte er sich als Teil der realen Welt, während er sich im Haus des Arztes mehr und mehr wie ein Geist zu fühlen begonnen hatte.
Nein, nicht eine Sekunde hatte es Matthew bereut den Weg bis hierher auf sich genommen zu haben. Ein Großteil hatte ohnehin Clarence für ihn getan. Stundenlang war er fort gewesen, hatte Besorgungen erledigt und Vorkehrungen getroffen. Unermüdlich war er treppauf- und treppab gelaufen, hatte alles in der Kutsche verstaut was ihnen gehörte. Matthew hatte zu all den Vorkehrungen nicht wirklich etwas beitragen können, aber wie auch schon in den zurückliegenden Tagen, hatte der Blondschopf ihm auch dieses Mal keinen Vorwurf gemacht. Er hatte einfach getan was nötig war, so wie er das immer tat. Kein nörgeln, kein maulen. Aber nicht nur dass er kein einziges Mal geächzt oder geseufzt hatte im Beisein Matthews, nein, Clarence hatte dem Kleineren auch immer wieder zu verstehen gegeben, dass er ihn wirklich auf die Harper Cordelia holen wollte. Er tat es nicht nur weil Matt ihn darum gebeten hatte, sondern weil es sein eigenes Anliegen war. Und nun da es fast soweit war, wurde der junge Mann immer aufgeregter. Schon viel zu lange war es her, dass er ihr Zuhause gesehen hatte, dass sie gemeinsam in ihrem Bett gelegen hatten, gemeinsam hoch zum Himmel sahen um Sterne zu betrachten. Sie ihr eigenes Essen aßen und einfach begannen wieder ihr Leben zu führen, statt als Gast und Patient im Hause eines anderen Mannes auszuharren. Bei aller Freundlichkeit und allen guten Bemühungen, so hatte Matt sich im Hause des Mediziners zwar nie unwillkommen, aber auch nie zuhause gefühlt. Wer konnte es ihm da verdenken, dass er mit jeder verstreichenden Minute immer unruhiger wurde?
Die abwartende und nachdenklich-gespannte Mine des verletzten Ex-Söldners, hellte sich jedoch unvermittelt auf, als er hinter der Scheibe Clarence erblickte.
Dieser strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe er die Tür zur Kabine öffnete um Matthew endlich nach Hause zu holen.
Obwohl frierend, strahlte der Jüngere regelrecht vor Freude. Wärme flutete sein Herz beim Anblick der Liebe seines Lebens. Clarence zu sehen, im Freien und umrahmt von den zarten Schneeflocken, statt in einem wohl-temperierten Zimmer, war nach all der Zeit schon wie ein bisschen nach Hause kommen. Ungewohnt und doch bekannt und schmerzlich vermisst.
Es bedurfte keiner zweiten Aufforderung des Schamanen, damit Matthew zu ihm rutschte, die Arme um ihn schlang und damit die bereits bekannte Position einnahm, in der Clarence ihn zu tragen pflegte. Obgleich voller Vorfreude, erkannte Cassiel auch die Erschöpfung im Antlitz seines Liebsten und wie schon so oft, hatte er deswegen ein schlechtes Gewissen.
„Nenn mich nicht Schönheit, ich sehe aus wie ein Obdachloser nach einer Schlägerei…“ - leider traf er mit dieser Beschreibung den Nagel auf den Kopf, aber jetzt gerade war Matthew das beinahe egal. „Mein armes Baby…wenn wir Zuhause sind, ruhst du dich aus…“, bevor Clarence ihn schließlich aus der Kabine hievte, gab Matthew ihm einen Kuss auf die Stirn, die von der kühlen Luft auch ganz kalt geworden war.
Tief atmete Cassiel durch, kaum da sich der Blonde mit ihm auf den Armen aufgerichtet hatte. Wie ein neugieriges Kind betrachtete Matt die Welt um sich herum und sogar die Schneeflocken auf dem Gesicht zu spüren, erfüllte ihn mit Freude und Sentimentalität. So lebendig wie er sich gerade fühlte, hatte er sich seit seinem Erwachen aus dem Koma nicht mehr gefühlt.
Bei jedem Schritt knirschte Salz und Splitt unter den Stiefelsohlen des Hünen und jeder Atemzug kondensierte in weißen Wölkchen. Der Schnee, die Lichter, der Geruch der eisigen Nachtluft, Clarence… all das war so schön, dass Matthew ganz und gar vergaß wie gefährlich es eigentlich war was sie hier gerade machten. Ein falscher Schritt würde ausreichen und schlimmes könnte geschehen. Matthew wandte schließlich den Blick nach vorne, dorthin wo ihr Ziel gut vertäut am Steg lag und auf sie wartete. Lichter erhellten das Bootsdeck und durch das Fenster im Boden - durch das sie sonst hinauszusehen pflegten wenn sie im Bett lagen, schien es ebenfalls hell. Die Szenerie war vollkommen, alles schien so friedlich und perfekt.
„Sieh dir nur den Schnee an…wie er glitzert.“ - in den unzähligen gefallenen Flocken spiegelte sich der goldene Schein der Lichter und obgleich schon oft genug im Leben gesehen, kam es Matt gerade vor als könnte es nichts schöneres geben als heimzukehren und dabei das Funkeln der eisigen Flocken zu bestaunen, die sich wie glitzernde Watte auf den Streben und Geländern gesammelt hatte.
Abermals küsste Matthew seinen Gefährten, dieses Mal liebevoll auf die Wange. „Du hast mich wirklich nach Hause gebracht…“, flüsterte er ungläubig und ergriffen, auch wenn ein kleiner Teil des Weges noch vor ihnen lag. Zweifel daran, dass Clarence ihn heil nach unten bringen würde, hatte Matthew allerdings nicht im Geringsten. “Dankeschön.“
Alleine Matthews Anblick, sein Strahlen und die völlig lebendige Körperhaltung gaben dem Schamanen die gute Gewissheit nicht bereuen zu müssen, welche Entscheidung sie gemeinsam getroffen hatten. Nach allem was geschehen war und welche Befürchtungen der Blonde noch immer um das Leben seines Mannes hegte, war es ein höchst gefährliches Wagnis Cassie unter dem behütenden Dach des Arztes hinaus zu holen und doch konnte man der aufblühenden Vitalität des anderen schon jetzt entnehmen, dass sie keine bessere Wahl hätten treffen können.
Das vertraute Gesicht, seit Tagen eingefallen und kränklich fahl, hatte unter der Frischluft und Bewegung einen völlig anderen Ausdruck angenommen. Auf Matthews Wangen hatte sich eine gesunde Röte geschlichen die ihn gleich viel weniger gebrechlich aussehen ließ wie noch vor wenigen Stunden und auch wieder ordentliche Kleidung zu tragen – wenngleich lediglich für den Transport – verlieh ihm einen ganz neuen Anblick. Die wärmende Mütze verdeckte das, was Sally Mitchell ihm angetan und Bennett durch seine Rasur verschlimmbessert hatte; was blieb waren lediglich die angeschwollenen und lividen Verfärbungen in Cassies Gesicht, die noch erahnen ließen, was ihm geschehen war.
Doch genauso wenig wie der Jüngere sich mit seinem Anblick bislang angefreundet hatte – ein Umstand der durch seine Aufforderung ihn nicht länger Schönheit zu nennen wieder greifbar wurde – so wenig sah Clarence in dem jungen Mann etwas anderes als den Menschen, den er liebte und dem er geschworen hatte bei ihm zu sein, in Gesundheit wie auch in Krankheit. Und das war Claire. Bei ihm. Nicht, weil er sich dazu durch seinen Schwur verpflichtet sah, sondern weil er es aus tiefstem Bestreben heraus selbst nicht anders wollte.
„Ich kann dich auch obdachlose Schlägerschönheit nennen, wenn dir das eher beliebt?“, hakte der Bär von Mann neckend beinahe beiläufig nach. Vor etlichen Monaten hätte Cassie diesem Kosenamen tatsächlich noch alle Ehre gemacht, als er heimatlos, blutverschmiert und großmäulig an einem Baum gelehnt im Wald gesessen hatte. Vielleicht war Clarence zu dieser Zeit bereits im Hungerwahn gewesen mit massiv getrübten Sinnen, aber schon damals hätte er schwören können, dass niemand so verwegen und gutaussehend vor sich hin krepierte wie der fremde Kerl mit Pfeil im Leib.
So wenig wie er damals zugelassen hatte jener Typ würde einfach so ungesehen sein Leben aushauchen, kam dem Schamanen jenes Szenario heute in den Sinn. Wenige Stunden war es erst her, dass er befürchtet hatte Cassie könne sich Daheim nicht gut genug aufgehoben fühlen, doch so schnell wie jene Zweifel in ihm aufgekommen waren, wusste Matthew derartige Bedenken zu zerstreuen. Eine unheimlich kostbare Gabe seines Mannes – nicht etwa weil Clarence sich dessen Versorgung nicht zutraute, sondern weil er befürchtet hatte, dem Jüngeren könne es schwer fallen damit auch die Möglichkeit abzugeben, jemand anderen für gewisse Hilfestellungen einzufordern als sein armes Baby damit zu belasten.
Egal welche Details sich in ihren Ängsten unterschieden, am Ende war der Kernpunkt jedoch genau der gleiche. Matthew hatte daran zu kauen gehabt, sein Mann könne ihn nicht Zuhause haben wollen und Claire hatte befürchtet, dass sein stures Böckchen nicht nach Hause kommen wollte. All die Anspannung und der spätere Zwist waren so unnütz gewesen wie der plötzliche Jahreszeitwechsel kurz vorm Devils Teeth und damit ein untrüglicher Beweis dafür, dass sie noch lange nicht perfekt darin waren einfach miteinander zu reden wie zwei erwachsene Menschen. Aber was machte das schon? Sie befanden sich auf dem besten Weg dorthin und dieser begann damit, den Angeschlagenen erstmal rein in ihr vorgeheiztes Heim zu bugsieren.
Wortlos nicke er Jefferson zum stillen Dank seiner Dienste entgegen, den Sold längst entlohnt den sie ihm schuldig geworden waren. Wie etliche andere, die Clarence heute bei seiner Tour getroffen hatte, fühlte sich auch der Kutscher spürbar in der Schuld dessen was eine der Ihren angerichtet hatte. Unter reichlich Diskussion hatte er versucht dem fremden Reisenden seine Dienste umsonst zur Verfügung zu stellen und wären die Umstände ihres Aufenthaltes andere gewesen, als Jäger hätte er dieses Angebot nur allzu gerne angenommen. Doch was Sally getan hatte war nicht die Schuld der restlichen Mitbürger; weder Jefferson, noch Bennett, noch den Verkäufern wollte er etwas schuldig bleiben und wenngleich vehement durch den alten Herren abgelehnt, würde er doch noch am Ende des Tages seine Münzen auf dem Schreibtisch im Büro vorfinden – wenn er es nicht denn schon getan hatte.
Das leise Knirschen von Split und Salz begleitete ihren Gang weg von der Kutsche und ihrem begehrtesten Ziel des heutigen Tages entgegen, während die schwebenden Flöckchen das tapfere Bündel der beiden Männer umrahmte. Selbst die Kälte hatte Clarence‘ Motivation nicht trüben können die anstrengenden Vorbereitungen für Cassies Heimkehr zu treffen und unterm Strich hätte es angesichts des tiefen Winters kein besseres Wetter dafür geben können. Sein Schnösel bekam ein bisschen frische Luft in die Lungen, kein ausgeprägter Frost vereiste ihnen den Weg und selbst der Schnee erhöhte einem nur die Vorfreude auf das weiche warme Bett welches das ihre war und nicht länger das einer fremden Tochter.
„Wüsste ich es nicht besser, man könnte meinen, der Quacksalber hätte dich schon wieder heimlich abgeschossen während ich nicht da war“, nur zu gerne hätte er den Blick ebenfalls gehoben um wenigstens für einen Moment das weiße Treiben mit seinem Partner zu bestaunen, aber das Gewicht des Jüngeren trug sich nicht von alleine und wenigstens einer von ihnen beiden musste seine Augen dort belassen, wo sie miteinander hintraten – wobei er zu einem Kuss auf seine bärtige Wange natürlich nicht Nein sagte. „Bedank dich nicht, obdachlose Schlägerschönheit. Ich mache das ganz alleine für mich und mein sehnendes Herz, nur, dass du das weißt.“
Dennoch schüttelte Claire mit einem amüsierten Schnaufen sein goldenes Haupt, unermesslich froh über die Tatsache, dass Matthew überhaupt noch danke sagen konnte und in den Genuss kam mit derart kindlichem Staunen den Schneefall zu betrachten. Allen düsteren Prognosen zum Trotz hatte er überlebt, war erwacht, erinnerte sich, war noch der Alte – wenn es nach dem Jäger ging und sein Rücken nicht so unangenehm ziehen würde, sie hätten sich gerne noch eine Weile an Deck setzen können.
Auf der anderen Seite waren es jedoch nicht nur diese Aspekte die ihn davon abhielten gemeinsam noch ein wenig an der frischen Luft zu bleiben, denn kaum da er unter äußerster Achtsamkeit die ersten Stufen hinab in den Bauch der Harper Cordelia erklommen hatte, hörte man bereits das aufgeregte Bellen ihrer beiden Gefährten aus dem hinteren Teil ihres Heims dringen. Das Bad war viel zu klein für die beiden Hunde, die es seit Tagen nicht mehr gewohnt gewesen waren irgendwo eingesperrt zu werden und schwere, sich nähernde Schritte etwas unheimlich spannendes, das natürlich erkundet werden wollte.
Kaum unten angekommen und die Schwelle zum Wohnbereich passiert, stupste Claire die eben noch offen stehende Pforte vorsichtig mit der Schulter so gut wie es ging zu, damit nicht auch noch der Rest der Wärme ihr heimeliges Reich verließ. Schon vor seiner letzten Fahrt zu Bennett, kaum eine Stunde zurückliegend, hatte er damit begonnen den Ofen zu befeuern und es ihnen auch sonst so gut es ging komfortabel zu machen. Der Duft von brutzelndem Lamm und frischen Kräutern verbreitete sich aus dem Bereich der Küche, wo auch noch eine Schale voller gewürfeltem Gemüse darauf wartete später angebraten zu werden; es war rein und ordentlich, ein völlig ungewohnter Anblick wenn man daran dachte wie schnell sie beide zum Ausbruch von geordnetem Chaos neigten und dass Clarence selbst in seiner heiligem heiligen Kräuterbeutel alles wild durcheinander warf.
Von der Decke im Hauptraum und Schlafbereich, bereits angeschafft und angebracht lange bevor das Thema Heimkehr überhaupt aufgekommen war, hingen an einer aufgespannten filigranen Metallkette kleine flackernde Öllämpchen, die ihnen anstelle ihrer sonstigen Beleuchtung an diesem Abend sanftes Licht spendeten. Ruhig und heimelig ließen sie die Schatten des Interieurs über die Wände tanzen und tauchten ihre Umgebung in ein viel wärmeres, aber auch mehr gedämmtes Farbenspiel – damit Matthew sich so wohl und behaglich fühlte wie nur irgendwie möglich und besonders an den Abenden nach anstrengenden Tagen besser zur Ruhe kam.
„Home sweet home, Mister Sky“, schob er seine Arme unter Matthews Körper so gut es ging nach, um auch die letzten Meter unbeschadet überstehen zu können. „Immerhin hab ich dich jetzt endlich offiziell Zuhause über die Schwelle getragen und nicht nur über die von Jeynes Villa. Lieber spät als nie.“
Wahrlich, Matthew hatte sich noch nicht mit seinem Äußeren arrangiert und würde es wohl auch so schnell nicht können. Dazu waren die Veränderungen - aus seiner Sicht - zu gravierend und vielleicht auch zu schnell hintereinander eingetreten. Als sie Coral Valley verlassen hatten, war sein Körper zwar längst von unzähligen Narben übersät gewesen, aber zumindest sein Gesicht war intakt gewesen. Wenn man ihn angesehen hatte, waren die Blicke von Frauen wie auch Männern des Öfteren einen Moment länger an ihm haften geblieben - darauf hatte Matthew sich nichts weiter eingebildet, aber nur weil es eben selbstverständlich gewesen war. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie er sich unverschämt elegant zu bewegen pflegte, hatte der junge Mann hingenommen, dass er gutaussehend war und es immer Blicke gab, die an ihm haften blieben. Seit Ablegen von der Spinneninsel war das ähnlich gewesen, aber... die Blicke der Leute hatten sich verändert. Sally hatte ihn interessiert aber auch abschätzig angesehen und offen ihr Interesse an der Narbe geäußert, die seine linke Gesichtsseite zeigte. Und dann hatte sie - ganz aus dem Blauen heraus - auch noch dafür gesorgt, dass seine rechte Gesichtshälfte entstellt wurde. Nein, Matthew konnte sich mit seinem Äußeren nicht mehr anfreunden, wenn er in den Spiegel sah, dann kam er sich zu fremd vor und noch immer wünschte er sich, er könne zurück zu jenem nebeligen Morgen als sie an der Insel angehalten hatten. Nur dieses Mal würde er Clarence sagen sie mussten weitersegeln, noch ein paar Meilen in Richtung Süden… Dort würde es keine Spinnen geben die ihnen nach dem Leben trachteten.
Aber er konnte nicht in die Vergangenheit reisen und so blieb ihm nichts weiter übrig, als sich mit dem zu arrangieren, was die letzten Wochen und Monate aus seinem einst makellosem Gesicht gemacht hatten.
Unverkennbar war die Tatsache, dass Matthew es seither mied über sein Aussehen zu reden und sei es auch nur um Clarence aufzuziehen. In dieser Hinsicht hatte er sich in den letzten Wochen sehr verändert. Aber seit heute Mittag klar geworden war, dass er nach Hause kommen durfte, waren all die Verletzungen und optischen Einbußen nicht mehr so wichtig - zumindest aktuell nicht - auch wenn er sich nach wie vor schwer mit Komplimenten tat, die sein Aussehen einbezogen. So wie etwa beiSchönheit der Fall.
Wichtig war ihm Clarence, wichtig waren ihm Kain und Abel, wichtig war ihm ihr gemeinsames Zuhause. Dass Clarence ihn wieder heim geholt hatte, bedeutete dem Kleineren mehr als er fähig war auszudrücken. Er war überwältigt von dem Gefühl der Wärme das der Hüne in ihm auslöste, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Dieser Mann war seine Familie und nirgends anders wollte er sein als mit ihm Zuhause.
"Niemand hat mich abgeschossen....Wenn ich trunken bin, dann nur vor Freude.", konterte er derweil gewohnt schlagfertig und machte damit einmal mehr deutlich, dass Sally Mitchell ihm zwar den Schädel eingeschlagen hatte, Cassiels Wesen aber ansonsten nichts hatte anhaben können.
Langsam nur setzte der Wildling einen Schritt vor den anderen, stets darauf bedacht nicht doch noch das Gleichgewicht zu verlieren und mit Matthew auf den Armen hinzuknallen. Obwohl in den zurückliegenden Tagen beide jungen Männer eine gewisse Routine entwickelt hatten, der Eine im Tragen, der Andere im sich tragen lassen, war es nicht so einfach bei den herrschenden Witterungsverhältnissen unbeschadet im Bauch des Bootes anzukommen. Vorsichtig nahm Clarence die Treppenstufen nach unten, während Matt über seine Schulter zurückblickte und dem fallenden Schnee zusah. Zu gern wäre er noch ein Weilchen an Deck geblieben, hätte die klare Nachtluft in seine Lungen strömen lassen und dem böigen Wind beim Heulen zugehört.
Aber kaum da Clarence es geschafft hatte die Tür zu öffnen, wurde Hundegebell laut und Matthew wurde sich gewahr, dass Kain und Abel auf sie warteten.
„Warte, ich helfe dir mit der Tür…“, Clarence war schon dabei diese mit den Schultern hinter sich zuzudrücken, aber da es hier unten alles etwas beengt war wenn man einander trug, half Matthew nach in dem er einen Arm vom Nacken des Hünen löste und der Pforte einen einigermaßen kräftigen Schubs versetzte. Kaum ins Schloss gefallen, sah Matthew wieder nach vorne in den diffus beleuchteten Raum. Zahlreiche kleine Lämpchen hingen von der Decke und spendeten sanftes Licht. Gedämpft genug, um nicht in seinen Augen zu stechen und doch ausreichend hell, um erkennen zu lassen wie aufräumt und sauber alles war. „Home sweet home, Mister Sky. Immerhin hab ich dich jetzt endlich offiziell Zuhause über die Schwelle getragen und nicht nur über die von Jeynes Villa. Lieber spät als nie.“ - Matt wandte ungläubig seinen Blick von den vielen Lichtern und sah Clarence prüfend an. War das hier wirklich sein Clarence? Der selbe unordentliche Kauz der alles durcheinanderwarf und scheinbar für gar nichts eine Ordnung fand, noch nicht einmal für seine ungezähmte Mähne? Aber sogar die hatte er heute mit einem Haargummi zusammengebunden. "Ja...ja das hast du in der Tat...", murmelte Matthew leise. Er war fasziniert von allem was sich ihm gerade bot. Die heimelige, wohltuende Wärme gepaart mit der Gewissheit endlich wieder dort zu sein wo er hingehörte. In der Luft hing der würzige Geruch von gebratenem Lammfleisch mit Kräutern, ein Essen so gut und zünftig wie es Gretchen nicht zu Stande brachte. Grobes Salz, Pfefferkörner, Thymian, ein gutes Öl... mehr brauchte es gar nicht um Lammfleisch zuzubereiten. Einfache Zutaten für einfache Männer.
Bei der Aussicht auf derart gutes Essen knurrte Matthews Magen und verriet dessen Hunger - ein Gefühl welches der Dunkelhaarige schon verloren geglaubt hatte, hatte er es doch seit dem Anschlag nicht mehr verspürt. "Home sweet Home...", wiederholte er und schüttelte mit einem Lächeln den Kopf.
"Das letzte Mal das es hier so ordentlich war, war der Tag als sie zu Wasser gelassen wurde.", Clarence hatte sich nicht lumpen lassen, so viel stand fest. Er hatte sich eine Menge Arbeit gemacht, Zeit und Mühe investiert - selbst ein Blinder würde das erkennen.
"Ich weiß gar nicht was ich sagen soll...Das kannst du doch unmöglich alles heute geschafft haben? Du bist ja verrückt." Das Lächeln auf seinen Lippen hatte sich längst auch in seine Augen gestohlen, ebenso wie der Lichterglanz der vielen Lämpchen sich in ihnen spiegelte. Noch auf den Armen seines Liebsten, zupfte sich Matthew vorsichtig die Mütze vom Kopf, behielt diese aber ordentlich in der Hand statt sie - wie sonst - einfach irgendwohin zu werfen. Dann küsste er Clarence neuerlich auf die Wange. Erst einmal, dann ein zweites und drittes Mal. Und weil der Hüne entweder nicht begriff, dass Cassiel mit seiner Wange nicht zufrieden war, oder aber mit Absicht nicht sein Gesicht zu dem Dunkelhaarigen drehte, umfasste dieser schließlich das bärtige Kinn und zwang Clarence dazu, sich ihm richtig zuzuwenden. Ohne zu zögern suchte der Kleinere nun die Lippen seines Mannes um sie sanft und voller Hingabe zu küssen. Endlich waren sie wieder da wo sie beide hingehörten. Für Clarence war das vermutlich nichts besonderes mehr, so oft wie er alleine am heutigen Tage hier gewesen war um aufzuräumen, neue Vorräte herzubringen, die Sachen zu verstauen die er zu Bennett gebracht hatte weil Matthew sie dort gewollt oder gebraucht hatte. Aber für den Jüngeren war es etwas überaus besonderes wieder hier zu sein. Mit liebevoller Zartheit hielt Matt den Kopf seines Gefährten bei sich so lange er ihn küsste. Er wollte ihn eigentlich gar nicht mehr freigeben, aber letztlich löste sich Matthew doch von ihm, sog seine eigene Unterlippe ein Stückchen ein und biss überlegend darauf.
Freude, Ungeduld und Neugierde lag in seinem Blick und man konnte ihm ansehen, dass er unbedingt auch den Rest ihres Heims ansehen wollte. "Gibt es noch mehr Überraschungen?", fragte er schelmisch, wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort, so viel Geduld brachte er einfach nicht auf. Außerdem kannte er den Blondschopf mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er - wenn er sich vorgenommen hatte alles richtig zu machen - sich nicht mit halben Sachen zufriedengab.
"Zeig sie mir, los! Und dann setz mich ab, du hast mich genug rumgeschleppt für heute." - das ein oder andere Mal würde Clarence ihm sicherlich noch helfen müssen heute, aber Dank der kurzen Laufwege waren sie selbst dann nicht wirklich voneinander getrennt wenn Matt im Schlafbereich lag und Clarence in der Küche stand. Ein weiterer Vorteil endlich wieder hier zu sein.
Die Freude in Matthews Gesicht zu sehen, die Ungläubigkeit in seiner Stimme vernehmen zu können und den faszinierten Blick des Jüngeren auf sich spüren zu können – all das war weit mehr noch als das, wofür der Christ über Tage und Nächte hinweg gebetet hatte.
Er hatte Gott angefleht seinen Mann überleben zu lassen, ihm nicht den einzigen Menschen zu nehmen der ihm seit langem wieder etwas bedeutete und den er so sehr liebte, wie er nie wieder für einen anderen empfinden würde. Mit allem hätte er ihn nach Hause geholt und wieder zu sich zurück genommen, egal wie schwer die Einbußen auch hätten wiegen mögen.
Doch Cassie, zwar noch schwach auf den Beinen und wenig Belastbar mit alltäglichen Forderungen, hatte kaum Schäden zurück behalten bis auf sein ramponiertes Gesicht und ein paar Verwirrungszustände dann und wann, die dem aufmerksamen Jäger bei weitem nicht entgangen waren. Das alles war ihm recht, damit konnte er leben und arbeiten – solange der Dunkelhaarige nicht völlig eingeschränkt war und aufgrund dessen früher oder später die Freude an seinem Leben verlor, das auf lebenslanger Angewiesenheit basiert hätte.
„Ja das hab ich in der Tat“, wiederholte Clarence derweil belustigt die leisen Worte seines Partners und betrachtete diesen mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen.
Es war kein Wunder dass der Getragene sich verzückt erschlagen fühlte von dem was sich ihm bot, denn wie er selbst just in diesem Augenblick erkannte, hatte es hier wirklich seit Ewigkeiten nicht mehr so rein und ordentlich ausgesehen. Dieser Umstand entsprang nicht von irgendwo her, auch wenn das natürlich das Optimum gewesen wäre. Ein ewig sauberes und aufgeräumtes Heim, wie geleckt, egal in welche Ritze man auch blickte.
Aber so gerne Claire auch ein von Natur aus strukturierter Kerl gewesen wäre, brauchte er Anregung und triftige Gründe um seinen Kram zurück an Ort und Stelle zu bringen. Frisch abgelegt aus Coral Valley und gepaart mit Cassie, welcher nicht weniger verkommen war was Ordnung anging als er selbst, hatte das Innere des Boots schon nach wenigen Stunden auf See ausgesehen, als hätte man hier eine der illegalen Handgranaten vom Schwarzmarkt Poison Ivys hochgehen lassen.
„Ich mag verrückt sein, das lässt sich nicht bestreiten“, schüttelte der Bär der Ehrlichkeit halber sein blondes Haupt, wobei vereinzelte unzähmbare Strähnen zurück in sein Gesicht fielen. Vorsichtig schob er seinen Arm hinter Cassies Rücken nach, damit dieser ihm nicht tiefer sank und irgendwann plötzlich zu Boden glitt. „Aber fertig gebracht hab ich das sicher alles nicht heute, ich wa-…mhh…“
Aber warum diskutieren, wenn man sich stattdessen viel lieber von seinem Mann küssen lassen konnte?
Bei Gott, es war bei weitem nicht das erste Mal Matthews Lippen zu küssen seitdem dieser von den Toten wieder auferstanden war. Aber wüsste der Jäger es nicht besser, er hätte schwören können, dass sein Mann völlig anders schmeckte in gewohnter Umgebung.
Ihre Nähe zueinander, auch unter dem Dach des Arztes, war unbestreitbar schön und vertraut gewesen. Aber trotzdem hatten sie sich dabei in einer fremden Umgebung befunden, in einem fremden Haus und sie waren Gast gewesen anstelle von Eigentümer. Natürlich war es prickelnd gewesen das unschuldige Bett von Bennetts heiliger Tochter zu entweihen, aber letztlich waren sie selbst dort im Unterbewusstsein nicht frei gewesen das zu tun, wonach auch immer es ihnen bestrebte. Sich zu küssen wann immer sie wollten, sich nahe zu sein ohne den Unmut ihrer Gastgeber herauf zu beschwören.
Hier allerdings, im Bauch der Harper Cordelia, gab es keine Sittengebote. Es war ihr Reich, ihr Territorium, ihr Zuhause; diese Gewissheit alleine war es, die den Kuss seines Liebsten zu etwas viel mehr Betörendem und Besonderem machte, als es unter der Obhut des Quacksalbers je hätte sein können.
„Mhh… wo war ich…“, versuchte der blonde Bär murmelnd den Faden wiederzufinden, die Augen noch immer geschlossen, kaum da sein Partner ihn wieder frei gegeben hatte. Matthew wieder hier zu haben fühlte sich surreal an, aber es hätte dennoch keine schönere Empfindung sein können.
„Richtig, richtig… Überraschungen“, half Cassie ihm auf die Sprünge und erst jetzt öffnete Claire wieder seine graublauen Augen, um den schönen Mann auf seinen Armen für einen Moment fasziniert zu mustern. „Ich wusste nicht in welchem Zustand du nach Hause kommen würdest, also… hab ich versucht das Beste aus allen möglichen Umständen zu machen.“
Zurückblickend, nicht nur bis zum Abend als sie sich das erste Mal überhaupt geküsst hatten sondern auch bis zu ihrem Kennenlernen, schienen sie sich heute in einem völlig fremden Universum zu befinden. Der junge verletzte Kerl, großspurig und kaltschnäuzig, war seinem ersten Eindruck im Verlauf nie wieder gerecht geworden. Wie ein Fremder wirkte er im Vergleich zu seinem damaligen Ich und selbst in direkter Gegenüberstellung zum jungen Mann am Fuße des Devils Teeth wie ein völlig anderer, aber das war keine Vorstellung die mit etwas Negativem behaftet war. Eine Beziehung, so innig und nah wie die heutige – einfühlsam, zugewandt und liebevoll – hätte er sich zu Beginn ihrer wagemutigen Annäherung niemals in Kombination mit Matthew vorstellen können und dass es trotzdem so gekommen war, bedeutete Clarence mehr als alles andere.
Sie waren sich nicht länger distanziert, keine Mauern trennten sie mehr voneinander. Was sie ineinander hatten, die Gewissheit sich aufeinander verlassen zu können und selbst über alle vernünftigen Maße geliebt zu sein, waren zwei Kostbarkeiten, die mancher Mensch ein ganzes Leben lang nicht erfuhr. Wen kümmerte es schon, dass sie zusammen ihrem harschen und harten Auftreten nicht gerecht wurden wenn man sie nur erst mal im Umgang miteinander sah? Clarence jedenfalls, der abermals hatte lernen müssen wie schnell alles vorüber sein konnte von einer Sekunde auf die andere, wollte sich nicht länger darum scheren was andere dachten, wenn es automatisch hieß sich zurückhalten zu müssen seinem Partner gegenüber. Immerhin hatten sie nur sich und niemand anderen sonst.
„Ich hab jeden Tag nach dem Spaziergang mit den Hunden ein wenig geputzt um die Hütte sauber zu bekommen und unseren Scheiß aufgeräumt, weil…“, sachte hob Claire die Schultern während er hinter sich blickte und danach seitlich an sich hinab; mit Cassie auf den Armen war es unmöglich sich der schweren, vom Schnee nass gewordenen Stiefel zu entledigen, sodass das Thema sauberer Boden gerade eigentlich wieder hinfällig geworden war.
Nichtsdestotrotz schien es ihm offensichtlich warum hier nun alles eine gewisse Ordnung hatte, auch wenn Cassie den Grund der Bemühungen noch nicht zu erkennen schien.
„Naja, weil… wenn wir dich schneller auf die Beine bekommen als deine Augen heilen, wäre es schon gut, wenn du dir nicht den Hals brichst hier drin. So wie ich dich kenne, rennst du in ein paar Tagen genau so unüberlegt hier durch die Gegend wie ich damals.“ – Und ja, Claire war genug gestürzt, wenn auch nur aus dem Bett.
Natürlich waren Matthews Belastbarkeit und sein Augenlicht noch immer ein heikles Thema bei dem der Optimismus des Schamanen nicht versiegen wollte, aber sein Mann sollte sich Zuhause willkommen und gut aufgehoben fühlen. Egal mit welchem Handicap er hier einzog, egal wie lange seine Genesung dauern würde. Claire mochte keinen Einfluss auf die schönen kandisfarbenen Augen besitzen, aber er konnte mit seinem Dunkelhaarigen immerhin das Laufen üben und dabei sollte ihnen nichts, aber auch gar nichts im Wege stehen.
„Und weil du vermutlich auch hier für eine Weile noch mehr Zeit des Tages im Bett verbringen wirst als sonst wo“, leitete Clarence das Thema sehr bewusst von den weniger erfreulichen Umständen der Heimkehr weg zu den hoffentlich erquickenderen Überraschungen des Abends, „hab ich versucht es dir wenigstens so annehmbar und komfortabel wie möglich zu machen. Es ist keine Gaststätte im Schnöselviertel deines CV’s, aber es ist ein Anfang.“
Vorsichtig bugsierte der Hüne sie beide durch den vergleichbar schmal geschnittenen Durchgang ins Schlafzimmer, wo für die nächsten Tage vermutlich ein Großteil ihres gemeinsamen Lebens stattfinden würde. Auch hier flackerten kleine Öllämpchen an der Decke, tauchten ihr Schlafgemach in eine warme und heimelige Atmosphäre und versprachen weit mehr Erholung als die sterilen weißen Laken im saubergeleckten Haus des Arztes.
Ihr Bett, sonst zumeist unterlegt mit dem altbekannten Berglöwenfell welches vor ihrer Bindung ganz alleine der Schamane des Nachts bewohnt hatte, war durch neue wärmende und kuschelige Auflagen ausstaffiert worden. Bär, Wolf, aber auch exotischere Tiere von Übersee hatte Clarence sich einiges kosten lassen und wenn es sein musste, hätte er auch sein letztes Hemd dafür ausgegeben anstelle seines hart erarbeiteten Schmucks. Weder Kälte noch Eis sollte seinen Mann einholen wenn in der Nacht das Feuer erstarb oder die Tür zu ihrem Heim zu lange aufstand, den kalten Winterwind durch sämtliche Ritzen wehend.
Sorgsam und das reißende Ziehen in seinem Rücken ignorierend, setzte er seinen Partner vorsichtig auf der Bettkante ab, kaum dort angekommen. Sie hatten einen langen anstrengenden Tag hinter sich – alle beide – und im Moment wünschte sich Clarence nichts so sehr wie endlich anzukommen und es sich Zuhause unerhört bequem zu machen – dort wo sie beide hingehörten und man so unverschämt frei sein konnte, wie es in fremden vier Wänden nicht ging.
„Lass uns dich aus der dicken Jacke und den Schuhen raus holen und dann sag unseren beiden Jungs hallo, mh? Die beiden sind schon den ganzen Nachmittag am durchdrehen, ich könnte schwören die haben geahnt dass du Heim kommst.“
Selten - vielleicht sogar nie - zuvor hatte Matthew sich derart geliebt und geschätzt gefühlt, wie in jenen Minuten nach Erreichen der Harper Cordelia. Clarence hatte sich solch eine Mühe gemacht alles herzurichten, obgleich er schon genug damit zu tun gehabt hätte die notwendigen Kleinigkeiten zu schaffen. Es wäre nicht nötig gewesen den Boden zu wischen, es wäre nicht nötig gewesen den Küchentisch aufzuräumen, den Abwasch zu erledigen und alles Geschirr wegzuräumen.
Die duzenden Lichter die von der Decke baumelten, reihten sich ein in die Liste der Dinge, die Clarence für ihn getan hatte ohne das er es hätte gemusst. Der Blonde war derart bedacht darauf Matthew seine Heimkehr schön zu gestalten, dass er den sonst so vorlauten Burschen damit regelrecht sentimental werden ließ.
Wie ein kleiner Junge sah sich Matthew in dem Raum um, lauschte aufmerksam den Erklärungen seines Mannes und verspürte noch nicht einmal einen Stich von Kummer, als der Hüne sein schlechtes Augenlicht erwähnte. Der Dunkelhaarige war so maßlos glücklich wieder hier zu sein, dass kein Schatten von Zweifeln seine Freude trüben konnte.
So beiläufig als würde er geradezu nichts wiegen und als könne Clarence ihn auch noch den Rest des Tages herumschleppen, trug er Cassiel durch den Wohnbereich und steuerte mit ihm geradewegs in Richtung Schlafhöhle. Der schmale Flur war ebenso aufgeräumt und ordentlich wie die Räumlichkeit davor und das gleiche galt auch für ihr Bett.
Wo sonst über ihren Decken und Kopfkissen das einzelne Berglöwenfell ausgebreitet lag, auf dem tagsüber nicht selten die Hunde eingerollt waren und schliefen, lagen heute die verschiedensten Felle übereinander.
Für Matt war es schwierig zu erkennen wo ein Fell aufhörte und ein Neues anfing. Manche waren hell, andere fast schwarz. Einige wiesen exotische Flecken auf, andere waren einfarbig. Eines stach besonders aus der Masse heraus und wirkte schon vom bloßen ansehen so unheimlich weich, dass es Cassiel zu faszinieren wusste. Weiß wie frisch gefallener Schnee und ebenso zart muteten die Härchen jenes Fells an, auf dem ein Muster von Leopardenpunkten zu sehen war.
Wie majestätisch musste das Lebewesen gewesen sein, als der Pelz noch ihm gehört hatte und was für Unsummen mochte Clarence allein für dieses Fell bezahlt haben? Beinahe war es Matthew zuwider sich auf diesen kostbaren Errungenschaften niederzulassen, aber der Jäger fackelte nicht lange und setzte ihn umsichtig auf die Bettkante.
Wie unglaublich weich und anschmiegsam sich die Felle auf nackter Haut anfühlen mochten, blieb dem Dunkelhaarigen aktuell noch verborgen, denn seine Finger waren nach wie vor behandschuht. Seiner Faszination tat das jedoch keinen Abbruch.
„Ach du heilige Sch-… Ach du liebes bisschen…", bekam er gerade noch die Kurve und fügte zügig an: "Das hat sicher ein Vermögen gekostet…“ Nicht das Matthew daran Zweifel hatte und nicht das sie nicht genügend Gold zur Verfügung hatten. Doch der Hang zur Verschwendung lag eigentlich eher bei ihm statt bei Clarence, der eher in Verzicht geübt war. „Das ist viel schöner als in Coral Valley…“ – der Vergleich allein war schon eine Sünde, immerhin war das hier ihr Zuhause. Kein Zimmer – noch nicht einmal in der schönsten Villa – würde je damit konkurrieren können was der Jäger hier geschaffen hatte.
Fragend sah der junge Mann seinen Gefährten an, der so viel mehr war als bloß das. Clarence öffnete bereits seine Jacke um ihm zu helfen aus dem wärmenden Kleidungsstück zu kommen, da dieses in ihrem behaglich-warmen Zuhause nicht nötig war. Widerstandslos ließ sich der Jüngere dabei zur Hand gehen während er den Größeren musterte.
Was sie sich im Gotteshaus der Christen geschworen hatten, waren damals schöne Worte gewesen. Groß und bedeutungsschwanger. Ihre Bedeutung jedoch vollends zu verstehen, dass war Cassiel zu jenem Zeitpunkt gar nicht möglich gewesen, weil er nie eine Beziehung geführt hatte wie er es mit Clarence tat.
Was es hieß für jemanden da zu sein, ganz egal welche Einschränkungen und welches Mühsal es bedeutete, wie es war jemanden so bedingungslos zu lieben auch wenn alles auf Messers Schneide stand…all das brachte der Wildling ihm bei. Jeden Tag ein bisschen mehr, seit Matthew aus dem Koma erwacht war.
Er wusste selbst nicht so richtig warum, aber noch während sich der Schamane daran machte ihm die Schuhe von den Füßen zu ziehen – die Jacke lag bereits neben Matthew auf dem Bett – fing er an zu weinen. Sein plötzliches Schluchzen war nicht Ausdruck von Trauer oder Schmerzen, sondern viel mehr von Überwältigung. Er hatte so ein unverschämtes Glück, dass Clarence bei ihm war und wusste noch nicht einmal womit er dessen vorbehaltlose Liebe verdient hatte.
Die Welt die sie umgab war ein rauer und unerbittlicher Ort und bis auf wenige Ausnahmen hatte sie sich ihm immer nur in jenem Gewand präsentiert. Auf Momente der Freude war immer unermessliches Leid gefolgt, auf einen Schimmer von Hoffnung, stets Gewalt und tiefere Verzweiflung als zuvor. Wann immer er gedacht hatte es würde bergauf gehen, hatte das Schicksal ihn erneut zurückgeworfen. Wieder und wieder, so lange bis Matthew angefangen hatte alles und jeden skeptisch zu hinterfragen. Er misstraute guten Menschen, er misstraute guten Momenten, er misstraute seinem Glück. Aber Clarence…Clarence passte nicht in die Gleichung des Lebens, bei der am Ende aus Erfahrung heraus immer Schmerz und Leid stand. Er bewies, dass es so nicht zwingend ausgehen musste. Er war die Variable, die alles nicht nur besser sondern perfekt machte.
Der Blondschopf hätte gehen können, kaum da Sally Mitchell ihn mit dem Stein erwischt hatte und es den Anschein gehabt hatte er würde sterben. Er hätte all ihre gemeinsame Habe nehmen und verschwinden können, so wie es vermutlich jeder außer ihnen beiden gemacht hätte. Ständig wurde gestorben, ständig musste man Verluste hinnehmen – warum nicht das Beste daraus machen? Aber das war nicht Clarence‘ Art, ebenso wenig wie es die von Matthew war. Und obwohl der Dunkelhaarige seinem Mann vertraute, konnte er manchmal einfach nicht fassen, dass ausgerechnet sie beide einander gefunden hatten. Unwirsch wischte Matt sich die Tränen von den Wangen und zog sich danach schniefend nacheinander die Handschuhe aus. „Ent-…schuldigung... Ich weiß nicht was…was mit mir los ist.“, Noch immer kniete Clarence vor dem Bett, noch immer hielt er mit der einen Hand seinen Fuß im Schuh fest, während die Finger der anderen an der Schleife der Schnürsenkel lagen, doch hatte er aufgehört diese öffnen zu wollen. Wenn Matthew ihn so ansah, mit seinem Zopf, den von der Kälte geröteten Wangen, den müden und zu gleich aufmerksamen Augen…dann fühlte er sich so hilflos überfordert vor Dankbarkeit und Reue, dass er nicht wusste wohin mit sich.
„Ohne dich…w-wäre ich gar nichts.“, setzte er weinend nach, meinte das allerdings nicht lediglich auf seinen Gesundheitszustand bezogen, auch wenn der Größere das nun vielleicht denken mochte. Clarence hatte ihn aus den verschiedenen Scherben, die sein Innerstes gebildet hatten wieder zusammengesetzt. Er hatte sich nicht täuschen lassen von seiner großen Klappe und dem scheinbar übermächtig wirkenden Ego. Er hatte angefangen ihn zu lieben, einfach so, obwohl aus Matthews Sicht kaum etwas liebenswert an ihm gewesen war. Und mit jedem Tag den sie zusammen waren, festigte der Schamane das Gefühl in Matt, dass vielleicht am Ende doch alles gut gehen würde. Sie würden zusammen alt werden, würden ihr Leben zusammen verbringen, Tiefen überwinden und einander niemals verlieren. Erfahrungsgemäß lief es aber nicht so... Und trotzdem vertraute Matthew dem Hünen, der nicht müde wurde ihm zu beweisen das er immer an seiner Seite war.
„Was du… schon alles für mich… gemacht hast… I-ist nicht selbstverständlich. Nie-niemand würde das alles tun…“ Zumindest bezweifelte er das stark. "Ich l-liebe dich, Claire... Ich liebe dich s-so sehr." Das und nichts anderes war die Quintessenz Matthews Tränen. Die Liebe zu seinem Mann.
Für den blonden oft schweigsamen Mann, der zu viele Verluste hatte ertragen müssen als sie für einen einzelnen Menschen zu verkraften gewesen wären, bedeutete Matthew einfach alles.
Es wäre ein leichtes gewesen sich weiteren Kummer zu ersparen, ihn einfach im Hause des Arztes zurück zu lassen und darauf zu hoffen, dass der junge Mann das Verlassen sein spürte – und daraufhin gar nicht mehr die Kraft aufzubringen vermochte, jemals wieder aus seiner Bewusstlosigkeit zu erwachen. Er hätte geschlafen, frei von Schmerz und dem Anblick seines ramponierten Antlitz‘; hätte auf Dauer nichts Ausreichendes zu sich nehmen können und irgendwann, nach wenigen Tagen, hätte er einfach losgelassen. Er hätte seinen letzten Atemzug getan, friedlich in den weißen Laken, während wenigstens Clarence die Früchte ihrer Arbeit fortführen und mit Boot und Gold in den Taschen sein Leben verleben konnte. Eine neue Heimat finden, eine neue Liebe – schön und makellos und frei von Einschränkungen, die ihn in seinen eigenen Plänen beschneiden würden.
Vielleicht wäre es das wirklich gewesen, das Leichteste. Vielleicht. Für jeden anderen Mann, aber nicht so für den Jäger.
Weder Freiheit noch Boot, noch Gold oder ein aktives Leben mit körperlicher Betätigung würden ihm jemals all das aufwiegen können, was Cassie ihm gab. Es half ihm kein Gold beim Überleben, wenn das herzliche Gelächter seines Mannes nicht in seinen Segelohren widerschallte, keine Sekunde Segeln auf See befriedigte seine Lust nach Abenteuer, wenn das Nörgeln des Jüngeren ihm dabei kein Lächeln auf die Lippen zauberte. Kein Braten dieser Welt – noch so fein gewürzt mit exotischen Kräutern – würde ihm munden, wenn neben ihm nicht das Besteck seines Partners klapperte und kein Bett wäre weich und samten genug um ihm Schlaf zu schenken, wenn er neben sich nicht die regelmäßigen Atemzüge seines frechen Schnösels vernahm.
Matthew machte sein Leben nicht bunter oder lebenswerter – er war das Leben des Blonden und hätte er seinen Mann nicht, hätte er kein Leben mehr das gelebt werden musste. Bei Gott, sie mochten auch heute noch streiten und sich in den Haaren liegen wie zu ihren schlimmsten Tagen auf Beginn ihrer Reise, aber war das nicht der Charme der sie umgab? Hatten sie sich nicht trotz dieser Meinungsverschiedenheiten kennen und lieben gelernt, eben weil sie waren wie sie waren?
Ihre Liebe war nicht perfekt, sie redeten aneinander vorbei, kamen darüber hinaus in Diskussion und endeten in Disput. Ihre Beziehung war nicht frei von Makeln so oft wie sie nicht den Mut dazu aufbrachten genau da auszusprechen, was ihnen eigentlich auf den Herzen lag. Doch Perfektion war nichts, was Clarence in seinem einstigen Weggefährten gesucht hatte und deshalb sollten ihre Gefühle zueinander das genauso wenig sein. Ihre Liebe sollte sich echt anfühlen und widerstandsstark gegen alle Zufälle und Rückschläge sein, die da kommen mochten – und das war sie, das konnte niemand bestreiten.
Noch während das erste leise Schluchzen das behagliche Schlafzimmer erfüllte, hielt der Jäger in seinen Tun inne und hob wachsam den müden Blick empor zu seinem Mann. In den vergangenen Monaten hatten sie sich völlig neu kennengelernt und aus bislang unbekannte Weise dem anderen offenbart; sie hatten ihre schwachen Seiten so offen gelegt wie sonst nur die starken bekannt gewesen waren, hatten sich neu kennengelernt und dennoch nicht voneinander abgelassen. Der Tiefgang zweier Charaktere, erst recht im Blickfeld wenn man sich näher kam als jedem anderen Menschen sonst, hatte entgegen aller zu treffenden Erwartungen nicht zu einem Zerwürfnis zwischen ihnen geführt – sondern hatte sie noch mehr miteinander verbunden gemacht. Auf völlig natürliche Weise hatten sie sich in eine gleiche Richtung entwickelt, hatten unbekannte Sehnsüchte und unausgesprochene Wünsche im anderen erfüllt. Selbst Cassie mit seinem Hang zur Sentimentalität in jenen Momenten die sein blonder Wildling nicht kommen sah, berührte damit jedes Mal aufs Neue etwas in Clarence, was jener längst vergessen geglaubt hatte.
„Schon gut, mein Herz… du musst dich nicht entschuldigen“, legte sich das Brummen des Hünen beschwichtigend zwischen sie, bevor Clarence für einen Moment schwieg und seinen Mann einfach nur betrachtete. Narben von Säure bedeckten seine eine Wange, während die Ausmaße von Sallys Angriff noch immer die andere Gesichtshälfte in Beschlag nahmen. Obwohl Matthew seinem ursprünglichen Aussehen derzeit in nichts mehr glich und mittlerweile absehbar war, dass sich das auch nicht mehr ändern würde was den giftigen Spinnenspeichel anging, hatte Claire ihn niemals anders gesehen als früher – musterte er seinen Vordermann, war er noch immer der dunkelhaarige Taugenichts von einst und egal wie lange er ihn sich auch betrachtete, es schmälerte weder seine Liebe noch seine Hingabe für diesen Mann.
Vorsichtig ließ er den fremden Stiefel zu Boden sinken, legte seine kräftigen Hände auf Matthews Unterschenkel ab und strich sanft an diesen herauf, während er sich zwischen die Knie seines Partners drängte. Noch immer auf dem Boden hockend, dankte ihm sein Rücken den heutigen Tag immer weniger aber wenn der Jäger daran dachte was Matthew die vergangenen Tage alles an Schmerzen hatte erleiden müssen, verblassten seine eigenen Wehwehchen bis zur Unkenntlichkeit.
Obwohl es für Clarence in gewisser Weise selbstverständlich war so umsichtig alles vorzubereiten, hatte es dennoch als Überraschung für seinen Heimkehrer dienen sollen – doch Tränen, das war sicher das letzte was er bewusst hatte forcieren wollen, wenngleich sie keiner Trauer entsprangen. Cassies Geschichte war ihm schon länger nicht mehr fremd und ebenso wenig dessen Talent viel zu geben, aber nur selten zu erkennen, womit er sich selbst etwas verdient hatte. Es brach Claire das Herz zu spüren wie wenig sich sein eigener Mann als wertvoll genug für so viel Mühe sah und wenngleich eine traurige Erkenntnis, war Matthew unheimlich… süß in seiner Überforderung. Der vorlaute Kerl konnte so oft so wüst und überbordend sein, fuhr einem über den Mund wie es ihm beliebte und drückte anderen seinen Geschmack auf, ob es einem gefiel oder nicht. Dann und wann wirkte er sogar in den liebevollsten Momenten auf stolze Weise unnahbar – und Clarence liebte all das, denn unterm Strich ließ es die weibischen Allüren einer Frau dennoch missen. Matthew gab ihm das Gefühl von Augenhöhe, davon die typischen Aufgaben eines Mannes in der Beziehung – wie Claire sie kannte – nicht erfüllen zu müssen, aber zu können, wenn er denn wollte. Wenn ihm danach war, dann musste er nicht ewig stark und nicht der Beschützer sein und dennoch hatte er sich mit seinem Dasein als Mann nie mehr identifiziert als in jenen Momenten, in denen er seinen eigenen Mann behüten konnte.
„Womöglich hast du recht… vielleicht macht sonst keiner außer mir solche Sachen. Aber ich bin auch nicht irgendjemand. Ich bin dein Ehemann und ich liebe dich“, erhob der Blonde nach einer kurzen Stille wieder seine Stimme, nachdem er seinen Gegenüber schweigend gemustert hatte. „Sieh mich an, Matthew.“ Beruhigend hatten sich seine Pranken auf den Oberschenkeln seines Partners eingefunden und strichen diese warm und langsam entlang, den Blick des Jüngeren suchend.
„Ich kann dir nicht versprechen, dass wir zusammen alt und grau werden. Dass keiner von uns beiden stirbt, bevor unsere Zeit gekommen ist… oder dass wir beide immer quietsch fidel durch Wälder und über Wiesen hüpfen. Ich kann dir nicht versprechen, dass das hier die letzten Narben deines Lebens sein werden und ich wenigstens den Rest meiner Finger bis zu meinem Ableben behalten werde“, sprach Claire das unvermeidbare aus, denn wenn er auch viel konnte, so war er kein Hellseher. Bei ihrem Glück riss sich irgendwann noch mal jemand in einer Bärenfalle ein Bein ab oder stach sich an einem Ast ein Auge aus. Es war gut diese Dinge nicht vorausahnen zu können, denn alles andere hätte sie nur übervorsichtig gemacht und ließ sie ihr Leben miteinander nicht mehr in vollen Zügen genießen.
„Aber was ich dir versprechen kann ist, dass egal was kommt, ich immer an deiner Seite sein und dich immer lieben werde. Immer“ – das zu betonen, so mochte man meinen, wäre angesichts ihrer Zuneigung zueinander kaum mehr nötig gewesen. Doch in der Welt, in der Matthew aufgewachsen war, war eine solche Annahme nicht selbstverständlich.
Er war bei einer Mutter aufgewachsen die ihm keine Liebe gezeigt hatte, hatte seinen Bruder ziehen lassen müssen an welchem er gehangen hatte. Die Männer, auf die er danach getroffen war, hatten ihm alles andere als Schutz und Vertrauenswürdigkeit geboten. Dass sich Cassie überhaupt auf Clarence eingelassen hatte nach all seinen schlimmen Erfahrungen in Kindheit und Jugend war ein Wunder und der Bär würde den Teufel tun, diesem unbändigen Vertrauen nicht gerecht zu werden. Er konnte sich nicht vorstellen was es bedeutete auf all diese schlimmen Arten verletzt worden und davon gezeichnet zu sein, aber Clarence wollte sich mit keinem Hauch in die bereits bestehenden Erfahrungen seines Partners einreihen. Sei es auch nur, indem er ihn verließ.
„Krankheit, Verletzungen, irgendwelche… Einschränkungen… - sie mögen unsere Pläne auf die Probe stellen, aber nicht meine Gefühle zu dir. Verstehst du? Ich will dich, egal was zu dir gehört oder eines Tages gehören wird. Ich werde an deiner Seite sein, bis einer von uns beiden sein Leben aushaucht und ich werde immer in deinem Namen und für dich so lange sinnlos Münzen für unnötigen Luxus aus dem Fenster hauen, bis du es wieder selbst kannst.“
Aufmunternd legte sich ein schelmisches Grinsen über die Lippen hinter den Bart, während er eine Hand von Cassie nahm um damit an den nahen Fellen zu zupfen. Natürlich hatte das alles ein Vermögen gekostet und natürlich hätte es einfaches Schaf und ein bisschen Fuchs auch getan. Aber wer kaufte so etwas schon, wenn man auf dem Markt stand mit der Frage im Hinterkopf: Was würde Matthew tun?
„Du bist alles was ich will, Cassie“, wiederholte der Blonde eindringlich und ließ keinen Zweifel daran offen, dass er meinte was er sagte. „Und deshalb bekommst du von mir alles, was du verdienst. Weil du es mir wert bist und weil ich weiß, dass ich dir genauso viel bedeute.“
Jemandes Herz zu sein, war etwas das Matthew nicht kannte und das ihn auf überwältigende Weise mitnahm. Er war vor Clarence niemandes Ehemann gewesen, er war niemandes Vater, niemandes Sohn. Alle Menschen die ihm einst etwas bedeutet hatten waren fort, entweder tot oder verschollen - vielleicht auch verschollen und tot. Sein Bruder hatte ihn allein gelassen, seine Mutter ihn oft vergessen, sein Stiefvater war der Mörder seiner Mutter und hatte ihn verschachert wie ein Stück Vieh.
Was danach gekommen war, war ein endloser Reigen aus Grausamkeiten, falschen Hoffnungen, verzweifelten Freundschaften und zerschmetterter Träume.
Traurige Wahrheit war - und ein nicht minder trauriges Resümee bisher - Matthew war allein gewesen, die meiste Zeit seines Lebens und vielleicht war das der Grund warum er immer wieder die Fassung verlor, in Momenten, die ihm nahe gingen.
Der Jäger vor dem sich so viele Leute fürchteten, besaß das seltene Talent ihn zu verstehen und ihn immer wieder - regelrecht unermüdlich - aufzubauen. Er wurde es nicht leid ihn in den Arm zu nehmen, ihm gut zuzureden, ihm klarzumachen nicht allein zu sein. Eine lästige Aufgabe, aber der Wildling ertrug sie mit Fassung und so als würde es ihm wirklich nichts ausmachen.
Clarence berührte Cassiel auf eine Weise, wie ihn noch nie jemand berührt hatte und irgendwie wusste Matthew, dass das nicht richtig war. Er sollte nicht so überfordert sein und seinen Ruf als Heulsuse ausbauen, aber genau das war der Fall, immer mal wieder und erst recht in Ausnahmesituationen wie der, in der sie beide sich aktuell befanden.
Sechsundzwanzig Jahre hatte es gedauert bis er den Blonden getroffen hatte. Sechsundzwanzig Jahre, in denen er nur auf der Flucht gewesen war, immer auf sich allein gestellt, immer misstrauisch und niemals bereit sich auf jemanden wirklich einzulassen. Sechsundzwanzig Jahre, in denen er niemanden gehabt hatte zu dem es sich gelohnt hätte aufzuschauen.
Verraten und verkauft hatte man ihn, ihm Versprechungen gemacht ohne je vorzuhaben sie zu halten. Das war nicht richtig, es war nicht fair - und doch ließen sich all die verlorenen Jahre nicht zurückholen und auf bessere Weise neue verleben.
Aber selbst bei aller Verzweiflung, bei allem Kummer über das was er all die Zeit nicht gehabt hatte, so war sich Cassel vollkommen der Tatsache bewusst, was er jetzt hatte. Sechsundzwanzig Jahre hatte er gekämpft und verloren, hatte niemanden gehabt außer sich selbst - aber mittlerweile hatte er Clarence und zu ihm lohnte es sich aufzusehen selbst dann, wenn der Hüne kniete.
Mit geröteten Augen blickte Matthew in die Iriden seines Liebsten und wusste, dass dieser Mann alles war was er brauchte und alles was er wollte. Vergangen waren die Jahre vorher, aber was vor ihnen lag, würde alles ausmerzen das einst schmerzhaft gewesen war. Clarence musste nicht versprechen das sie nie wieder scheitern würden, er musste auch nicht versprechen das nie wieder eine Narbe sich zu denen gesellen würden, die sie schon hatten. Das wäre lächerlich und sie wussten beide, dass das vermutlich nicht passieren würde. Alles was er versprechen musste - und auch versprach - war das er ihn niemals verlassen würde. Clarence würde nicht gehen, er würde nicht zur Vergangenheit werden, zu einem Kapitel das weitergeblättert wurde. Denn Clarence war kein Kapitel, Clarence war das Buch von Matthews Leben.
Ohne ihn würde es keinen Anlass geben weiterzumachen und deshalb musste der junge Mann auch in einem Punkt widersprechen:
„Niemand haucht sein Leben aus, hörst du? Niemand…“, das würde Matthew ihm nicht durchgehen lassen. „Wenn du das nicht versprechen kannst…ich verspreche es. Ich verspreche das wir zusammen… zusammen alt und grau werden. Ich lasse dich nicht vorher gehen und ich werde dich vorher nicht verlassen…“, es gab noch so viel das sie erleben mussten, so viel das Cassie mit seinem Liebsten machen wollte. „Ich gehöre dir und du gehörst mir… Was wäre ich ohne dich, hm? Niemand.“
Freilich, er könnte sein Gold verprassen, könnte es sich in den besten Freudenhäusern nett machen - aber am Ende des Tages wäre er ein Nichts und ein Niemand. Er würde niemandem mehr bedeuten als eine schöne Lüge so lange er dafür bezahlte und das entscheidende war, er würde auch niemandem mehr etwas bedeuten wollen. Allein Clarence war es, der zählte und lieber gab Cassiel all sein Augenlicht her als das er auf den Wildling verzichten würde.
Sie hatten beide schreckliche Zeiten hinter sich, aber nichts würde je so grausig für den Kleineren sein können, wie der Verlust des Blonden und deshalb würde er auch nicht zulassen das dergleichen passierte.
Mochte sein, dass es immer wieder Augenblicke geben würde in denen der Dunkelhaarige an seinem Glück mit dem Wildling zweifelte, aber im Grunde war jede Minute mit Clarence heilsam. Weil der Ältere einen Zauber an sich hatte, der den Jüngeren heil machte, obwohl so viele Menschen alles versucht hatten ihn nachhaltig zu zerstören. Am Ende brauchte es nur einen Mann um Matthew glücklich zu machen.
„Du bist alles was ich will, Cassie.“ - wisperte der Hüne derweil, so als hätte er die Gedanken seines Böckchens irgendwie aufgeschnappt, und ließ nicht zu, dass dieser daran zweifeln konnte. Wenn Matthew sich umsah, die weichen Felle unter den Fingern spürte und das sanfte Licht im Gesicht des Größeren, dann konnte er gar nicht anders als sich gewollt, geliebt und angekommen fühlen.
„Du bedeutest mir wirklich viel…alles…um genau zu sein.“, stimmte er zu und lächelte vage. Vorsichtig strich er eine der Haarsträhnen aus Clarence Gesicht, ehe er die Hände an die fremden Wangen legte und sich zu ihm herabbeugte.
Die eben noch vergossenen Tränen waren bereits wieder versiegt, hatten keine Chance gehabt sich zu etablieren an diesem Abend.
Während Kain und Abel noch immer gespannt hinter der Tür im Badezimmer bellten, schloss Cassiel seine Augen und überbrückte jene spärliche Distanz, die noch zwischen ihren Lippen geherrscht hatte. Behutsam war der Kuss in den der Dunkelhaarige seinen Wildling verwickelte. Der Tag war lang gewesen und sicher ungleich anstrengender für den Größeren als für Matthew selbst. Mit einer Mischung aus Unschuld und Verlockung, die allein Matthew zu eigen war, nahm er die fremden Lippen ein ohne irgendetwas zu fordern. Voller Zärtlichkeit stupste er mit der Nasenspitze gegen die des Knienden, öffnete seine Lippen einen winzigen Spalt und lud seinen Liebsten schüchtern ein, ihn zu erobern. Er wollte ihn nicht ihm Sturm erobern, wollte ihn auch nicht zu irgendetwas drängen das in der heutigen Nacht vielleicht nicht angemessen war.
Es war ein Angebot, nicht mehr und nicht weniger. Matthew liebte diesen Mann und zu keiner Sekunde sollte Clarence das vergessen. Sie gehörten zusammen, sie gehörten hier hin. Auch wenn er manchmal sentimental wurde, auch wenn es manchmal so schien als würde er alles anzweifeln, in Wahrheit war sich Matthew keiner Sache so sicher wie seiner Liebe zu Clarence. Ihm nahe sein zu wollen war keine Frage der Uhrzeit oder seines Zustandes, er wollte den Hünen immer. Und wenn dieser ihn auch wollte, so konnte er ihn haben...
Liebevoll kämmten Cassiels Fingerspitzen durch den weichen Bart und gaben jenen auch nicht frei, als er schließlich den Kuss wieder löste und Clarence aus nächster Nähe in die Augen sah. Es gab keine Worte die treffend beschreiben konnten wie sehr der Dunkelhaarige seinen ungleichen Partner vergötterte. Aber in seinen Augen stand all seine Liebe und Hingabe geschrieben, so deutlich das nur ein Narr es nicht erkennen würde.
Der Stoff, aus dem Legenden gemacht waren, ruhte nicht irgendwo in fernen Ländern und exotischen Abenteuern – er saß hier, genau vor Clarence, auf ihrem gemeinsamen Bett und schaute ihn an.
Jener Mann, der der Welt sicher noch als Matthew Cassiel Reed bekannt war und mittlerweile einen neuen Nachnamen trug, baute sich von Tag zu Tag weiter seinen Ruf als Mythos aus, ohne es zu wissen. Da saß er, der erbarmungslose und begabte Söldner, Schüler vom Besten der Besten; durchlöchert und dem Teufel dieser Welt in die Augen geblickt, war er dem Tod von der Schippe gesprungen und hatte ein herausragendes Comeback hingelegt in einer Metropole, unter Bezahlung einer der einflussreichsten Frauen dieses Kontinents. Er erlegte monströse Spinnen mit bloßen Händen, überlebte tödliches Gift und trug die Narben dieses Kampfes als Trophäe auf seiner Haut. Er trug alleine ganze Bären aus den Wäldern um sie von den Toten wiederauferstehen zu lassen – und nicht zuletzt, auf dem aktuellen Punkt seiner Lebenslinie, hatte man ihn mit einem riesigen Geröllstein erschlagen und ihm den Kopf zertrümmert. Doch Matthew Cassiel Reed, furchteinflößend wie ein Gespenst in dunkler Nacht und windiger als ein Kater mit sieben Leben, hatte selbst einen gespaltenen Schädel überlebt und warm am Ende siegreich auf einem eigens gezähmten Braunbären vom Kriegsschauplatz davon geritten.
Natürlich war das übertrieben und natürlich entsprach nur die Hälfte davon der Wahrheit. Aber so oder so ähnlich – dafür legte Clarence seine Hand ins Feuer – sprachen irgendwo die betrunkenen Wanderer in einer zwielichtigen Gaststätte über seinen Mann. Irgendjemandes Ohren würden diese Gerüchte auffangen, ein weiterer würde die Erzählungen ausbauen und irgendwann, vielleicht nicht gar heute oder morgen, würde man dem dunkelhaarigen Söldner ganze Loblieder singen.
Solch ein Mann, von den Toten schon zwei Mal wiederauferstanden und sogar in der Lage dazu anderen das Leben neu zu schenken, musste einfach glaubwürdig sein wenn er versprach, dass niemand von ihnen starb. Dass sie beide zusammen alt und grau werden würden, ohne vorher ihren letzten Atem auszuhauchen. Es mochte töricht, kindisch und völlig surreal sein – aber nicht nur wollte Claire die Worte seines Geliebten glauben, er tat es.
Ein sachtes Lächeln legte sich über die Lippen des Jägers während seine Augen sich in den kandisfarbenen Iriden des Jüngeren verloren, ein Anblick so vertraut und Geborgenheit spendend, dass Clarence für einen Moment alles um sie herum vergaß. Was kümmerte einen schon der Braten im Ofen, das gewürfelte Wurzelgemüse auf der Ablage, das erregte Gebell der Hunde im Bad oder gar eine Sally Mitchell in den Katakomben der Stadt, wenn man einen Mann wie Matthew vor sich sitzen hatte?
Nein, egal was auch immer der Quacksalber behauptet hatte vor ihrem Aufbruch – Cassie nach Hause zu holen, ihn dorthin zurück zu bringen wo er hingehörte, war die beste Entscheidung die sie jemals hätten treffen können.
Sachte schmiegte er seine Wangen in die Hände seines Gegenübers, von den lästigen Strähnen in seinen Augen befreit und wie Wachs in der Nähe zu seinem Partner. Was er einst gewesen sein und was ihn bewegt haben mochte, all die eisigen Blicke die er Fremden schenkte und die Distanz die er genauso aufrecht zu erhalten versucht hatte wie der Söldner – es wurde unbedeutend angesichts des Zaubers, den ihre gefundene Nähe zueinander barg. Was sie aneinander hatten war einzigartig; ihre Herzen, so unterschiedlich sie ihren Charakter auch geprägt haben mochten, sehnten sich beide nach dem gleichen Ziel und Clarence wurde niemals müde, es Hand in Hand mit seinem Mann anzusteuern. Die Welt, in der sie lebten, mochte hart und unerbittlich sein. Voller Enttäuschungen und Schmerz. Doch mit Cassie das Wagnis einzugehen Leben und Liebe einzuatmen, für das zu kämpfen was andere für hoffnungslos hielten - nichts hätte ihn mehr mit Zufriedenheit erfüllen können und eventuell vielleicht sogar ein bisschen mit… Freude.
Verloren schloss der Blonde seine Lider kaum da sich sein Mann zu ihm hinab beugte, raunte leise in den zärtlichen Kuss und ergab sich in das berauschende Gefühl der Wärme, welches einzig und alleine Matthew in seiner Brust zu erwachsen lassen wusste. Alles, was er einst gedacht hatte über Liebe, Vertrauen und Intimität zu wissen, wurde nichtig unter den zarten Strahlen der behütenden Zuneigung, mit denen sein Partner ihn bedachte. Den heißen Atem des Jüngeren auf seinem Gesicht zu spüren, seine Lippen zu schmecken, den vertrauten Berührungen der fremden Finger zu erliegen… das alles und noch viel mehr war wie Magie für seine Sinne, umrahmt von den Räumlichkeiten die sie ihr Zuhause nannten. Vor wenigen Monaten noch hätte Claire niemals gedacht dieses Gefühl jemals wieder zu verspüren, hätte nie geglaubt eines Tages wieder Teil einer Familie zu sein. Es war das eine mit jemandem zu leben, dann und wann das Bett miteinander zu teilen, sich zu kennen und einander doch nicht zu verstehen; dieses einzigartige Empfinden angenommen und angekommen zu sein allerdings, dieser Hauch den man als Kind zwischen seinen Eltern verspürte und den man später in anderen Menschen suchte, den gab ihm ganz alleine Matthew. Es bedurfte keiner Kinder um eine Familie zu gründen, benötigte keine Hunde um sich komplett zu fühlen. Solange der Dunkelhaarige bei ihm war, ihn mit derartiger Zärtlichkeit und Sicherheit bedachte, war die Welt heil und sein Herz nicht länger voller Narben.
„Ich liebe dich so sehr…“, zittrig seufzte der bärige Hüne, die Finger seines Gegenübers noch immer im wirren Bart versunken, und wandte unmerklich das Haupt um Matthew einen warmen Kuss auf dessen Handballen zu hauchen. Es war verrückt wie sehr sich sein Leben dank dieses Mannes in kürzester Zeit verändert hatte und noch verrückter war es, wie sich all seine Empfindungen ganz natürlich nach Matthew ausrichteten. Wo ihn bis zum späten Mittag noch Angst und Bange um den anderen befallen hatten, unfähig die unterschwellige Sorge um das fremde Bewusstsein seit dessen Erwachen hinweg zu fegen, schien das Leben plötzlich wieder in Ordnung zu sein. Matthew war wieder wo er hingehörte, war dort wo der Schamane die Kontrolle über seinen Zustand behielt, anstatt sie in fremde Hände ablegen zu müssen denen er nicht vertraute.
Vorsichtig ließ er seine Nasenspitze über die seines Gefährten streichen und betrachtete sich mit verhangenen Iriden schweigend den Blick des anderen, unter dem er sich so wertvoll und geliebt fühlte wie selten zuvor in seinem Leben. Matthew mochte sich seines eigenen Werts dabei nicht immer bewusst sein und die unerschütterliche Loyalität seines Bären dann und wann in schlimmen Momenten anzweifeln, aber das gab sich nichts – Clarence wusste für sie beide welch unverzichtbaren Pol sein Mann in ihrer Bindung darstellte und wurde nicht müde, ihm dies immer wieder aufs Neue zu beweisen.
Warm und weich waren die fremden Lippen, als er sie erneut mit den seinen zusammenbrachte und bedächtig küsste. Es brauchte keine ausufernden Worte um den Bären sich nach dem anderen sehnen zu lassen, noch forsche Finger auf seinem Leib oder gar eine simple Anfrage, wie es früher zwischen ihnen üblich gewesen war. Wenn Matthew ihn so ansah, voller Verliebtheit und Wärme in den tiefbraunen Iriden, legte sich unaufhaltsam eine prickelnde Gänsehaut über Claires Leib und ein Gefühl breitete sich in ihm aus, wie ganz alleine Cassie es durch seine Art zu beschwören vermochte.
Hauchzart stahl sich die Zungenspitze des Bären durch das Lippenrot des Sitzenden hindurch, streifte die seines Geliebten und verwickelte sie wider Erwarten doch nicht in einen sinnlichen Kampf – sondern zog sich zurück, den Geschmack Matthews einfangend und genießend, während Clarence abermals leise gegen den fremden Mund seufzte. „Du ahnst nicht… wie sehr ich dich hier vermisst habe…“, streichelten die Pranken des Wildlings zart die Beine hinauf auf welchen sie ruhten, nur um sich am Ende vorsichtig unter die straffen Oberschenkel zu drängen.
Nähe suchend und doch nicht fordernd, zog er Cassies Leib etwas dichter an sich heran und schmiegte sich sachte gegen ihn, ihre Lippen neuerlich miteinander versiegelnd noch bevor Widerworte daraus entweichen konnten. Wenigstens für diesen einen Moment sollte nicht zählen was gewesen war, sondern was sie jetzt im Augenblick hatten: Sich, und das würde ihnen so schnell niemand mehr nehmen können, nun wo ihre Familie wieder Zuhause vereint war.
War er ein Held? War er ein Mythos? Wurde irgendwo über ihn geredet? Vielleicht, nein wahrscheinlich sogar, denn irgendwie fanden ihn die richtigen Leute immer.
Egal wo er sich aufhielt, egal wie lange er aus gewissen Städten auch verschwunden war und blieb, über kurz oder lang erreichten ihn die Nachrichten, die für sein Ohr gedacht waren. Früher oder später fanden die Aufträge ihn - und zwar nicht aus Zufall und weil er eben irgendwer war, sondern weil er er war und weil er einen Ruf hatte der sogar in seiner Branche außergewöhnlich war. Matthew Reed, Kopfgeldjäger den die wenigsten Menschen erkennen würden wenn er vor ihnen stand, war durchaus keine unbekannte Größe in jenem ganz speziellen Metier.
Nicht viele kannten sein Gesicht, aber seinen Namen kannte man durchaus, hier und da und in einschlägigen Kreisen. Dass aus Matthew Reed seit geraumer Zeit Matthew Sky geworden war, war etwas das er selbst nicht verbreitet hatte und auch nicht zu verbreiten brauchte. Dafür hatte er Jeyne Copper, die Frau welche Clarence abschätzig als Hurenkönigin bezeichnete, zweifellos gesorgt. Was immer ihr zu Ohren kam, ihre Vögelchen trugen es weiter, sodass über kurz oder lang jeder davon erfuhr den es irgendwie zu interessieren hatte.
Aber seine Aufträge waren Matt nicht wichtig, hatten selten Priorität gehabt und würden selbige an der Seite seines Hünen auch nicht mehr bekommen. Bedeutsam war nicht, wer in irgendwelchen zwielichtigen Kneipen saß und von Reed als sichere Bank für einen riskanten Auftrag sprach. Matthew wollte nicht für irgendeinen Fremden wichtig sein, sondern nur für Clarence. Er war der Mann für den Matthew etwas besonderes sein wollte. Nicht Legende, nicht Mythos, nicht Lichtgestalt sondern einfach nur liebenswert genug um immer bei ihm zu bleiben. Und wenn ihm das gelingen sollte, dann wäre er der reichste Mensch der Welt, auch ohne je wieder einen einzigen Auftrag angenommen zu haben.
Verliebt streichelten seine Finger durch den blonden Bart, zupften verträumt an dessen Spitzen, so wie es bereits vertraute Tradition geworden war. Matthew wartete darauf was der Größere nun tun würde. Wollte er ihn küssen? Wollte er mehr? Oder würde er sich weiter seinen Aufgaben widmen und seinen desolaten Ehemann ausziehen und dann Essen kochen um den Tag abzuschließen?
So oder so, alles stand ihm frei zu tun, der Dunkelhaarige war für alles offen. Für Ruhe und Schlaf, aber ebenso für intime Zweisamkeit. Das Brummen des Bären war untrüglicher Indikator dafür, für welche Richtung er sich entschieden hatte und ein zufriedenes Lächeln legte sich auf Matthews Lippen, bevor der Blondschopf jene erneut sanft küsste. Ein warmes Kribbeln breitete sich in Cassiels Bauch aus und eine feine Gänsehaut legte sich auf seine Arme.
Immer wenn der Ältere ihn küsste, entflammte er Matthew mit spielender Leichtigkeit und wann immer er ihn wissen ließ ihn zu lieben, machte der Bär von einem Mann ihn so wahnsinnig glücklich, dass der Kleinere gar nicht wusste wohin mit sich.
Die Welt war schön und golden, wenn Clarence jene magischen Worte sprach. So golden wie sein Haar, so golden wie die Weizenfelder im August unter einem blauen Himmel. Für einen flüchtigen Augenblick ließ der Wildling seine Zungenspitze zwischen Matthews Lippen gleiten und erntete ein sinnliches Raunen des Jüngeren. Doch so sehr sich Matt auch danach sehnte mehr von jener Zunge zu spüren, sein Mann entzog sich ihm wieder. Verträumten Blickes öffnete Cassie seine Augen wieder und betrachtete den Blonden, versucht ihn erneut zu küssen. Aber auf der anderen Seite wollte er es nicht erzwingen, wollte sich seinem schönen Mann weder aufdrängen noch falsche Assoziationen in ihm wecken. Also schwieg er still, erwiderte den sanften Blick auf ebenso sanfte Weise.
Es war schon eigenartig wie sehr sie sich heute von den Männern unterschieden, die sie vor ein paar Monaten noch gewesen waren. Ein einziger Blick zwischen ihnen war heute um so vieles vielschichtiger und emotionaler als es damals ganze Gespräche gewesen waren. Sie verstanden sich wortlos und waren sich doch nicht zu fein, dass Offensichtliche in Worte zu kleiden - denn es gab keinen Anlass mehr die eigenen Gefühle vom anderen geheim zu halten.
"Du ahnst nicht… wie sehr ich dich hier vermisst habe…“ Warm brandeten die Worte gegen Matthews Mund und abermals lächelte dieser. Natürlich wusste er es nicht ganz genau, aber wenn er sich umsah und bedachte was der Jäger alles getan hatte um es ihm hier so anheimelnd und schön wie möglich zu machen, dann hatte Matthew eine ziemlich gute Ahnung in welche Richtung es ging. „Hmmm….Wie sehr denn?“, fragte er dennoch keck und gleichwohl scheinheilig zurück, ganz so als brauchte er eine genaue Erklärung und Beschreibung. Dabei hatte sein Liebster eine ganz eigene Art um ihm zu zeigen wie sehr er ihn vermisst hatte und diese Art war ganz nach Matthews Geschmack. Die rauen Bärentatzen wanderten seine Oberschenkel hinauf, schlugen einen Haken und schoben sich darunter um ihn - so als gäbe es nun gar keine Alternative mehr dazu - dichter an die Bettkante zu ziehen.
Auch wenn die Initiative für den nächsten Kuss nun von Clarence ausging, so ließ es sich Matthew nicht nehmen die Zärtlichkeit zu erwidern. Wohlwollend lehnte er sich zu seinem Liebsten, seufzte in den sanften Kuss und zog den Größeren dabei etwas dichter an sich.
Der Blonde sollte nicht glauben das Matt hilflos war und nicht zeigen konnte was er wollte. Noch immer kniete sein Wildling vor ihm auf dem Boden, wodurch es für den Kleineren leicht war auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Die Finger, welche eben noch im dichten Bart des Wildlings vergraben gewesen waren, verschränkten sich nun hinter Clarence’ Nacken um den Blonden noch enger an sich zu ziehen.
„Komm zu mir, hm? Komm hoch zu mir…“, flüsterte er mit samtiger Stimme, kaum da sich ihre Lippen für einen kurzen Moment trennten. “Komm hoch zu mir…“
Matthew, der seit dem Anschlag von Sally Mitchell Schwierigkeiten damit hatte sich selbst an- und auszuziehen, machte sich nun daran die Jacke des Größeren zu öffnen.
Es dauerte länger als gewöhnlich und letztendlich brauchte er auch noch ein bisschen Hilfe von Clarence, aber als die Front der Jacke geöffnet war, schaffte es Cassiel alleine, diese von den breiten Schultern des Bären zu streifen und somit den ersten Schritt zu tun, den Hünen zu entkleiden.
Kaum so geschehen drängte er seinen Kopf gegen die freigelegte Halsbeuge seines Mannes und verteilte zarte Küsse darauf. Oh wie sehr er diesen Mann liebte wusste wohl Gott allein, wenn es diesen denn gab.
Der Schamane roch nach Schnee, nach Winter, nach Freiheit und es gab da diese Stelle an seinem Hals - direkt unter seinem Ohrläppchen - die liebte der Jüngere ganz besonders. Exquisit weich und warm war es dort und Matthew bildete sich ein, dass sein Liebster an jener Partie ganz besonders wunderbar nach sich selbst duftete.
„Oh Baby, oh Baby ich liebe dich so sehr…“ - wie konnte es sein, dass er einst ohne ihn gelebt hatte? Wie er das damals geschafft hatte war ihm rückblickend ein Rätsel.
Wäre Cassiels Gesicht nicht ohnehin bunt verfärbt, auf seinen Wangen hätte Clarence nun eine sanfte Röte erkennen können, als dieser ihn neuerlich ansah.
Notgedrungen - um seinem Wunsch die nötige Deutlichkeit zu vermitteln - trennte Matt sich von seinem Liebsten und rutschte auf dem Lager aus Fellen ein Stück nach hinten.
Clarence musste ihm also folgen wenn er ihn denn nochmals küssen wollte, aber das sollte auch nicht das Problem sein, immerhin war ihr Bett groß genug für sie beide.
Ungeliebt und oft bemängelt war seine Behaarung einst gewesen, nicht selten das Ziel von dreisten Kommentaren und kecken Sprüchen, welche eindeutig unter die Gürtellinie gingen. Einen wilden Barbaren und ungepflegten Wilden hatte jener Mann ihn einst geschimpft, welcher heute kaum noch seine Finger aus dem blonden Flachs lassen konnte.
Sanft und lockend zupften die fremden Fingerspitzen an seinem Bart, verteilten das warme Kribbeln über Clarence‘ Gesicht und ließen ihn wissen, dass sein Partner offen für alles sein mochte – und trotzdem genau wusste wohin die Reise gehen sollte, wenn es denn alleine nach ihm ging.
In keinen anderen Situationen neckte der Jüngere ihn auf jene Weise und betrachtete ihn mit derart wartendem Blick als dann, wenn er sich mehr von seinem Bären erhoffte als einen einzigen bloßen Kuss vorm Abendessen. Ihre Ehe, schon seit ein paar überschaubaren Monaten bestehend, mochte noch nicht allzu viele Traditionen entwickelt haben im direkten Vergleich zu Paaren, welche schon seit Jahren miteinander verbunden waren. Und doch, so hatten sich die beiden jungen Männer lesen und verstehen gelernt, ganz ohne miteinander große Worte wechseln zu müssen.
Mit keinem Deut wehrte sich der Jäger als Cassie sich in seinem Nacken verschränkte um ihn zurück an sich zu ziehen und keine Silbe des Widerwortes kam über seine Lippen, während sein schöner Mann kurz darauf die Entscheidung traf, ihn von seinem warmen Mantel zu befreien.
Die Sehnsucht, die er nach Matthew hegte, war über allen Zweifel erhaben; schon lange ging es nicht mehr darum aneinander Triebe anzubauen wenn sie Sehnsucht nacheinander verspürten, sondern um das Teilen von innigster Intimität. Die emotionale Reise, auf die der Dunkelhaarige ihn schon vor geraumer Zeit mitgenommen hatte, hatte sämtliche fragwürdigen Entscheidungen ihrer gemeinsamen Vergangenheit ausgemerzt.
Es brauchte keine Frage mehr umeinander nahe zu kommen, kein Einholen der anderen Meinung zu jenem Thema oder wochenlanges Anstauen von Anspannung, nur um sie letztlich aneinander zu lösen. Was Cassie ihm gab und seine wispernden Worte versprachen, waren nicht länger ein Deal um miteinander über die Runden zu kommen, sondern waren ein essentieller Teil ihrer Liebe zueinander und dem Wunsch, einander näher zu sein als jedem anderen Menschen der sie umgab.
Raunend gab sich Clarence den kosenden Lippen hin die ihn erkundeten kaum da sein Hals freigelegt war und lautlos streifte er auch die letzten Reste seines Mantels von den Händen, die ihm verblieben waren. In keiner Sekunde, seitdem sein Partner erwacht war, hatte er jemals dessen Begabung ihn zu verführen angezweifelt, noch etwas Abstoßendes in ihm gesehen, wie es bei manchen ihrer fremden Besucher der Fall gewesen war. Cassie mochte – wenigstens für den Augenblick – nicht mehr voll und ganz aussehen wie er selbst… aber der Jäger wusste unumstößlich, dass er es noch war und mehr brauchte es nicht um ihn sich nach dem anderen verzehren zu lassen.
„Nicht…“, wehte es leise über die Lippen des verlorenen Bären kaum da man es gewagt hatte sich von seinem Hals zu lösen und ihm die Liebkosungen seiner Haut zu unterbinden. Es schien ihm ein Frevel zu sein, dass sein Mann so schändlich dazu veranlagt war immer genau dann aufzuhören wenn es am schönsten war aber nicht umsonst hatte Matthew sich erfolgreich einen Ruf darin gemacht, andere spielend um den Finger zu wickeln. Wann auch immer er jemanden gewollt hatte, nach wem auch immer er begehrte, der Söldner hatte sich schon immer geholt was er wollte – und Clarence bildete darin keine Ausnahme.
Mit verhangenem Blick öffneten sich die blaugrauen Iriden, folgten im Dämmerlicht des Schlafzimmers der schmalen Gestalt auf dem Bett und selbst wenn er gewollt hätte, so konnte sich der Hüne dem Jüngeren kaum mehr entziehen. Die vertraute Stimme seines Mannes lockte ihn, dunkel und weich wie Samt legte sie sich um seine Sinne und benebelte sie, eine Gabe die Matthew selbst nach all den zurückliegenden Monaten und all den verlebten Verletzungen durch Spinnen und Wahnsinnige nicht eingebüßt hatte.
Kribbelnd glitten die verführerischen Schenkel über Claires Hände hinweg, zwar noch in Hose gekleidet und verhüllend was darunter lag, aber das machte den Schamanen nicht weniger spüren welche Kraft selbst nach Tagen des Liegens noch immer in ihnen steckte. Wie sie sich anfühlten wenn sie sich fest und fordernd um die eigene Hüfte legten, hatte Clarence nicht vergessen und so ertappte sich der Blonde selbst dabei, wie er sich im anbahnenden Hunger langsam über die zuvor noch geküssten Lippen leckte.
Wenngleich es nichts Wehrhaftes gab das gejagt werden musste und auch keine Lauer nötig war, um einer potentiellen Beute aufzuliegen, erhob sich der junge Mann der oftmals verglichenen Raubkatze gleich vom Boden, um sich geschmeidig hinauf auf das Bett zu seinem Partner hinauf zu begeben. Die flackernden Flammen der kleinen Lämpchen tauchten Matthew in tanzende Schatten; sie nahmen zum großen Teil das unnatürliche Farbenspiel aus seinem angeschlagenen Gesicht und gleichsam machten sie unkenntlich, welche Teile von Verletzung verfärbt waren und welches Rot dem Feuer oblag.
Opulente Felle und die ungewohnt breiten Ausmaße ihrer eigenen Schlafstätte im Gegensatz zum keuschen Gemach der Doktorstochter ließen die Gestalt seines Geliebten um ein vielfaches zaghafter erscheinen als er tatsächlich geworden war. Sie kleideten den schönen Schnösel in unbedarfte Unschuld, die seinen älteren Gemahl anzog wie Licht die Motten und der verträumt-sehnsüchtige Blick Cassies war es, der sein Übriges dazu tat um den Jäger vergessen zu machen, wie seine ursprüngliche Abendplanung einstmals ausgesehen hatte.
Das Haus des Arztes war schön gewesen aber fremd, die Laken weich aber nicht die ihren. Erst hier, zurückgekehrt wo Matthew hingehörte, schien sich sein ganzes Sein zu fügen, wie es ihm am besten stand. Das alte Berglöwenfell roch nicht mehr alleine nach Clarence und das weiche Kissen nicht länger ausschließlich nach dem Dunkelhaarigen; Laken und Daunendecke und Federbett waren zu ihrem geworden und nur mit Cassie in ihnen versprachen sie das heimelige Gefühl der Geborgenheit, ohne die der Größere selbst unter Bennetts Dach einfach nicht zur Ruhe gekommen war.
Umsichtig begab sich Claire zurück zwischen die Knie seines Angebeteten, unfähig zu begreifen was die Heimkehr seines Mannes mit ihm machte, und ließ schweigend seinen Blick über den vertrauten Leib gleiten. Blass hob sich ein schmaler Schimmer Haut auf Höhe des fremden Bauches ab dort wo das Hemd des Jüngeren schier unmerklich ein Stück weit empor gerutscht war und machte den feinen Streifen dunklen Haares zu erahnen, der den Weg in tiefere Gefilde wies.
„Das hier war… sicher nicht mein erster Gedanke als es darum ging, dich endlich nach Hause zu holen…“, murmelte Clarence fasziniert von den Anblick der sich ihm bot, während er sich mit den Finger einer Hand langsam unter dem fremden Hemdsaum verlor um diesen sachte ein wenig weiter hinauf zu schieben. Beinahe klang es als bedürfe es einer Entschuldigung für das, was sich zwischen ihnen so offensichtlich anzubahnen drohte; dass das nicht stimmte wussten sie beide, nichtsdestotrotz folgte die Logik in der Welt des Christen oftmals anderen Regeln.
Das leise Rascheln der Stofflagen war das einzige was neben ihnen den Raum erfüllte und begleitete Clarence auf seinem Bestreben der blassen Haut entgegen. Warm und prickelnd fühlte sich der Bauch seines Geliebten an kaum da der Jäger seine Zungenspitze darauf niedergelegt hatte und sie sinnlich bis hinauf in die verführerische Vertiefung von Matthews Nabel gleiten ließ, auf den er schließlich einen genussvollen Kuss hauchte. Sie mochten beide lange über den einbrechenden Winter geschimpft, den Morgenfrost verflucht und den Schnee verdammt haben… aber kein Sonnenstrahl der Welt hätte ihnen eine Nacht des Wiedersehens derart verzaubern können wie lautlose Schneekristalle über dem Fenster ihres Bettes gepaart mit dem prasselnden Knistern eines Feuers im Ofen, da war sich der Bär sicher.
Verloren ebnete er sich einen Weg aus sanften Küssen hinauf, vergrub seine Nase für einen Moment in dem fremden Hemd kaum da er den Saum wieder erreicht hatte und schloss die Augen. Vor wenigen Tagen noch war es undenkbar gewesen seinem Mann überhaupt jemals wieder nahe zu sein und heute lagen sie hier – beinahe heil, beinahe unversehrt, beinahe als hätte sich niemals eine Fremde mit einem riesigen Stein zwischen sie und ihr Glück gestellt.
„Lass mich nie wieder alleine, hörst du? Nie wieder…“, vibrierte das tiefe Brummen des Wildlings leise im Stoff der fremden Kleidung und Clarence schmiegte sich enger zurück an seinen Partner, so weit bis sie sich endlich wieder auf Augenhöhe waren und Matthew unter ihn gebracht war, dort wo der Hüne ihn am liebsten hatte. „Nie wieder…“
Es war kein Hexenwerk selbst durch die vielschichtigen Lagen aus derbem Stoff zu erahnen, dass seine unterschwellige Erregung bereits wohlbekannte Früchte getragen hatte auch ohne ihn dafür übermäßig berühren zu müssen. Doch sein eigener Ehemann war sicher der letzte vor dem sich der Christ deshalb schämen würde, immerhin trug jener Mann nicht geringfügig zu diesem wohligen Umstand bei und diente Clarence auch jetzt wieder als Quell seiner Lust, die sündigen Lippen des Jüngeren mit den seinen erobernd.
Zu sehen wie Clarence abwog und überlegte, nur um sich letztendlich doch zu erheben, amüsierte den Jüngeren des ungleich anmutenden Paares. Matthew hatte seinen Bären zu nichts aufgefordert, ihn zu nichts gedrängt, denn er wollte nicht das in dem Hünen falsche Assoziationen aufkamen.
Dereinst, in einem scheinbar anderen Leben, hatte die Hurenkönigin mit Clarence allein unter vier Augen gesprochen und hatte angedeutet, dass Matt jemand war, der sich für bestimmte Gefallen gern auf bestimmte Weise revanchierte. Das war keine Lüge gewesen, so gern Matthew das auch von sich behaupten würde. Aber schon seit geraumer Zeit hatte der Dunkelhaarige sich in jener Hinsicht gewandelt. Mit Clarence zusammen zu sein, hatte nichts von einer Revanche und mit ihm zu schlafen entsprang keiner Berechnung seinerseits. Es lag kein Deal zugrunde und Cassiel wollte nicht, dass sein Liebster das vielleicht denken mochte. Die Zeiten in denen es Teil ihrer Abmachung gewesen war, dann und wann miteinander zu verkehren, waren vorbei und würden auch nicht mehr zurückkehren.
Zu ihm auf das Lager aus opulenten Fellen zu kommen, war eine Einladung gewesen. Ein Vorschlag, keine Anweisung - und hätte Clarence seinem ursprünglichen Plan für die Nacht folgen wollen, es wäre in Ordnung gewesen. Aber so kam es nicht und noch bevor sich der wilde Barbar erhob, wusste Matthew das er es tun würde. Es lag in Clarence’ Blick, in dem ein räuberisches und sehnsüchtiges Funkeln zu finden war und den Schamanen verriet. Mit kraftvoller Eleganz erhob sich der Hüne vom Boden und begab sich auf dem Bett erneut zwischen Matthews Schenkel, ihn musternd als wäre der Jüngere vollkommen unversehrt. Das sanfte Licht der kleinen Öllämpchen kaschierte einen Großteil dessen was Sally Mitchell ihm angetan hatte, aber selbst wäre das nicht so gewesen: Matthew hatte keinen Anlass sich unwert oder ungeliebt zu fühlen, nicht so lange der Blondschopf ihn auf jene Weise ansah. Behutsam legten sich die Finger des Wildlings auf den kleinen Spalt nackter Haut an Cassiels Bauch und spürbar zuckten dessen empfindliche Muskeln unter dem zarten Streicheln.
Es war ungewohnt so berührt zu werden, denn wenngleich sie beim Umgang miteinander oft Körperkontakt hatten, so fühlte sich allein jenes winzige Streichen über seinen Bauch prickelnd und verheißend an. „Das hier war… sicher nicht mein erster Gedanke als es darum ging, dich endlich nach Hause zu holen…“, wisperte Clarence und Matthew hob den Blick von der liebkosenden Tatze hinauf in das Gesicht seines Mannes. “Ich weiß, Baby…Ich weiß.“, so wenig wie Matthew wollte das Clarence falsch von ihm dachte, so wenig wollte der Blondschopf das der Kleinere falsche Rückschlüsse zog. Sie waren sich beide so ähnlich trotz all der Unterschiede die sie beide ausmachten. Eine Tatsache die Cassiel gerade wieder offenbar wurde. "Du bist nicht so jemand..." nicht schmutzig, nicht verdorben und nicht berechnend wenn es darum ging von Matthew zu bekommen was er wollte. Die fremden Finger hatten sich unter dem Stoff seines Oberteils verloren und streichelten über die schutzlose weiche Haut darunter, zärtlich und liebevoll. Die Besitzansprüche die Clarence an Matthew stellte, waren unmissverständlich und deutlich, aber sie entbehrten jedweder Grobheit. Sich einem anderen Menschen, einem Mann hinzugeben der so viel kräftiger und stärker war als der Dunkelhaarige, war für diesen lange Zeit unvorstellbar gewesen.
Mittlerweile jedoch war es selbstverständlich und erforderte weder Überwindung noch Matthews Mut. Es war etwas ganz natürliches geworden sich in die wohlwollenden Tatzen des Bären zu begeben und der Kleinere liebte die Wärme die von Clarence' Berührungen und seinem Tun ausging. Selbst der Blick seines Wildlings war sanftmütig und spendete dem Kleineren das Gefühl von Geborgenheit. Ein helles, vorfreudiges Keuchen entfloh Matthews Lippen, noch während der blonde Schopf sich absenkte. Sekunden später spürte Cassiel die Zungenspitze des Hünen auf seinem flachen Bauch und abermals entkam dem jungen Taugenichts ein wohliges, leises Stöhnen. Bei Gott niemand würde ihm glauben wenn er auch nur versuchen würde zu beschreiben wie sehr ihn die Nähe des Jägers erregte, wie sehr es ihn anfachte allein schon dessen Zunge auf seiner Haut zu spüren.
Der kleine Pfad den Clarence sich hinaufküsste beschwor kribbelnde Hitze im zierlichen Leib des Unteren herauf und machte, dass Matthew bereits anfing sich unruhig zu winden.
Es dauerte nicht lang, da war der Blondschopf wieder auf Augenhöhe mit Matthew und kaum so geschehen äußerte der Wildling leise eine ernste Bitte an ihn: "Lass mich nie wieder alleine, hörst du? Nie wieder..." - und obgleich Matthew nichts dafür konnte das Sally Mitchell ihn hatte tot sehen wollen, fühlte er sich schuldig ob der Konsequenzen die sie nun auszubaden hatten. Es tat ihm ungeheuer leid, seinem Mann solche Sorgen und Ängste bereitet zu haben. Niemals hatte Matthew gewollt, dass Clarence um ihn weinte, seinen Tod betrauernd noch ehe er eingetreten war. Wie nah die Ereignisse dem Älteren gingen, erkannte Cassiel gerade nicht zum ersten Mal, doch daran gewöhnt hatte er sich trotzdem noch nicht - und würde es vermutlich auch nie tun. Behütend legte sich eine von Matthews Händen an den Hinterkopf des Schamanen und streichelten behutsam durch die blonde Mähne.
"Ich hab dich nie allein gelassen, Baby. Hab ich nie...und werde ich nie.", wisperte er zurück und brachte seine freie Hand hin zu Clarence' Wange damit dieser den Kopf hob und ihn ansah. "Niemand kann mich dir wegnehmen...und jeder der versucht dich von mir zu trennen, wird in mir seinen schlimmsten Feind kennenlernen." - seine Stimme war leise, die Worte ernst - und doch lag Zuversicht und ein Lächeln in den Zügen des Dunkelhaarigen. "Frag mal dieses riesige Spinnenmonster...Das hat mich kennengelernt..." - und zum Dank hatte es ihm eine brennende Säurewunde beigebracht die seine Haut nachhaltig verätzt hatte. Aber er hatte Clarence trotzdem gerettet und heute waren sie hier. Ein bisschen lädiert zwar und noch nicht ganz wieder die alten, aber lebendig und noch immer zusammen. Mit Bedacht verschloss der einst als kulturloser Wilder verschmähte Barbar die Lippen seines jüngeren Gefährten und wurde von diesem bereitwillig empfangen.
Die schlanken Finger die sich eben noch im gebändigten, blonden Schopf verloren hatten, gingen nun auf Wanderschaft, streichelten Clarence Nacken hinab und tauchten lautlos unter den Kragen des Pullovers seines Liebsten. Kaum merklich hob Cassiel auch seine Hüfte ein kleines Stück empor, sich an Clarence' Lenden reibend und wohlig in den Kuss seufzend. Es war nur eine winzige Regung und mutete gar unscheinbar an, doch was er durch den Stoff der fremden Hose deutlich zu spüren vermochte war alles andere als das. Angefacht von der fühlbaren Härte des Größeren, öffnete Cassiel seine Lippen, neckte Clarence es ihm gleich zutun nur um den Bruchteil einer Sekunde später ihre Zungenspitzen sanft gegeneinander stupsen zu lassen. Zufrieden schnurrte das verletzte Kätzchen auf als es endlich wieder die neckische fremde Zunge spüren durfte, die es so sehr liebte und schätzte. Allein mit Clarence hier zu liegen und sich zu küssen war etwas das den jungen Mann ungemein erregte und ihm zugleich eine tiefe emotionale Befriedigung verschaffte.
Unruhig - und weil der elende Pullover des Größeren ein lästiger Störenfried war - zog Matthew seine Hand unter dem Stoff wieder hervor, glitt zielstrebig an den Seiten des Hünen hinunter um die Finger im unteren Saum zu vergraben um das Oberteil nicht nur nach oben zu schieben, sondern es - mit ein wenig Hilfe - vollständig über Clarence Kopf zu ziehen und den Größeren komplett davon zu befreien. Notgedrungen mussten sie sich dafür voneinander trennen, eine Todsünde, für die der Kleinere jedoch durch den Anblick seines stattlichen Mannes entschädigt wurde. Mit unschuldiger Miene sah Cassiel zu seinem Gatten empor, biss sich sinnlich auf die Unterlippe und ließ die Fingerspitzen behutsam über die bunten Flanken des Jägers tanzen. Jedes Bild, jede Linie, jeder Muskel war ihm vertraut und doch hatte Clarence nichts von seiner Faszination auf Matthew eingebüßt. "Ich weiß...dass das hier nicht dein Bestreben war als du mich hergeholt hast...", griff der Dunkelhaarige die Worte von vorhin wieder auf. "Aber nun sind wir hier...und ich...ich habe Lust auf dich, Claire." Eigentlich war das offensichtlich, denn andernfalls wäre sein Tun äußert widersprüchlich gewesen, und doch wollte er Clarence wissen lassen, dass er ihn begehrte und wollte - und zwar nicht als Wiedergutmachung für dessen Mühen. "Mhmmm~" gurrte der Jüngere leise. "Hilfst du mir mit den Sachen, Baby?" - noch immer trugen sie beide ihre Schuhe und lagen nicht zur Gänze auf den Fellen. Aber wenn es nach Cassiel ging, dann würde sich das schnellstmöglich ändern.