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Eiswüste

13. Juli 2210


Clarence B. Sky

Vier Mal von einem surrenden Seil erwischt und beinahe bis auf die Knochen aufgeschnitten zu werden, war natürlich eine außergewöhnliche Leistung.

So außergewöhnlich, dass alle am Bett Anwesenden - außer Lucy – schon beim Zuhören wussten, was das für ein Humbug war, den der Kerl da von sich gab.

Skeptisch, so als würde er wortlos sagen Verarsch mich nicht, stierte er Cassie entgegen und schüttelte dabei unmerklich den Kopf. Sein Mann war schwer verletzt, zu schwer als dass er für irgendwelche Scherze oder Lügengeschichten aufgelegt war. Wenn Matthew nicht vor dem Kind sagen wollte, was es gewesen war, wäre es wohl besser gewesen den Mund zu halten anstatt sich irgendeine Flunkerei aus der Nase zu ziehen.

Hätte sein Mann sie nicht weg geschickt, spätestens jetzt hätte Clarence es selbst getan. Um seines Partners Willen, der sich nicht mehr als nötig vor Fremden bloßstellen lassen musste wenn er Schmerzen hatte, aber auch um einen Schlussstrich zu ziehen unter dieses Ammenmärchen, das nicht zu ertragen war.

Sich an der letzten Wunde oberhalb der Gürtellinie zu schaffen machend, abgesehen von der Schulter die noch mal eine ganz andere Hausnummer war, lauschte er konzentriert der leisen Erzählung des Jüngeren, während er die letzten Stiche setzte und die blutigen Wundränder zusammenzog. Viel war es nicht, was Cassie von sich gab und auch auf den zweifelnden Blick des Älteren fügte er weniger an, als gut für ihn war.

Wenn der Dunkelhaarige ein Talent hatte, dann war es wirklich Clarence auf die Palme bringen zu können, ohne mehr als fünf Wörter dafür benutzen zu müssen.

Und Stimmen in einem Wrack richten einen so zu? Wusste ich gar nicht, das müssen ja… schneidende Worte gewesen sein.“ – Ein Wortspiel, das momentan alles andere als lustig war und sich bei ihm auch nicht danach anhörte, als würde es ihn amüsieren.

Mit purer Resignation im Gesicht, tauchte er den Lappen zurück ins warme Wasser und wrang ihn etwas aus. Zusehen zu müssen, wie sein Mann litt und Schmerzen hatte, tat ihm in der Seele weh und wenn er gekonnt hätte, Clarence hätte augenblicklich alles stehen und liegen gelassen. Er hätte ihnen etwas zu Essen und zu Trinken geholt und in nicht mehr als zehn Minuten wären sie schon so weit gewesen den Vorhang hinab zu ziehen, sich gegenseitig die Wunden zu lecken statt zu nähen und danach eng aneinander geschmiegt einzuschlafen.

Gerade als er den Lappen wieder zur Hand genommen und sich etwas aufgerichtet hatte um an Cassies Schulter zu kommen, spürte er die kalte Hand seines Mannes auf der eigenen. Mit den letzten Kräften war ihr Halten vehement und beinahe verzweifelt, einem Ertrinkenden gleich der versuchte nach dem letzten Strohhalm zu greifen, um nicht unter zu gehen.

Er hatte zuerst die Intention sich über Cassies Einwand zu erheben und weiter zu machen – immerhin kannte er Matthews Probleme mit der Wundversorgung und wie gerne er drum herum kam, wenn es nur irgendwie ging.

Mit leisem Plätschern sank der Lappen zurück ins warme Wasser als der Blond den fremden Blick auffing, der einem glatt das Herz zerreißen könnte, wenn es der Anblick der zahlreichen Wunden nicht schongetan hätte.

Cassie… mein Böckchen…“, brummte er leise und wischte die blutig nasse Hand etwas an seiner Hose ab, bevor er die Finger unter das fremde Kinn legte und es etwas zu sich anhob.

S-Sieh… mich an, mh? Und dann überleg dir, was dein zotteliger Grummelbär ohne dich machen soll, wenn du in den nächsten Tagen Fieber bekommst…?“

Das wäre das wohl schlimmste Szenario, denn kurz danach käme die Blutvergiftung und wenige Tage später hätte er vermutlich keinen Mann mehr, den er nähen und versorge musste, wenn irgendetwas war.

Aus eigener Erfahrung wusste Clarence, dass die Zukunft der eigenen Gesundheit ihm weit weniger Angst machte als die Sorge um den Jüngeren. Und umgekehrt?

Da war das oftmals nicht anders, wie man am aktuellen Zustand Cassies sah. Ihm war es so wichtig gewesen, dass der Blonde mit seinen zerschundenen Füßen nicht ins Wrack ging, dass er darunter sich selbst völlig vernachlässigt hatte.

Du… darfst mich nicht alleine lassen, hörst du? Und deshalb wirst du auch tapfer sein… und das hier zu Ende durchstehen. Weil ich einen starken, mutigen Mann geheiratet habe, den ich abgöttisch liebe und dem nichts passieren darf“, erklärte er ihm leise und lehnte sich etwas weiter nach vorne, um das Gesagte mit einem kurzen, sanften Kuss zu unterstreichen. Wie ein Siegel legten sich seine Lippen auf die des Verletzten, um keine Widerworte zu dulden.

Wenn es zu schlimm wird, dann erinner dich daran, für wen du das machst. Genauso wie ich die ganze Nacht an dich gedacht habe gestern.“

Stundenlang war er durch die Kälte geirrt, mit nackten Füßen im Schnee. Die Schmerzen waren schon nach kurzer Zeit kaum mehr zu ertragen gewesen und mit jedem weiteren Schritt hatte er gedacht sich die Zehen abzubrechen, wenn er nicht aufpasste und falsch auf einen Stein unterm Schnee trat… bis zu jenem Moment, als er kaum noch etwas gespürt hatte.

Die Angst, die damit einher ging das Gefühl in den Beinen zu verlieren, war nur durch den Gedanken an seinen Mann gelindert worden und hatte ihn durchhalten lassen, bis er fernab des Wracks das Spiegeln von warmem Licht gebrochen in den Fenstern des Markts hatte sehen können.

Komm, kleines Böckchen… wir machen weiter und… ich erzähle dir dabei eine Gesichte zur Ablenkung. Okay?“, schlug er vorsichtig vor und langte wieder in die provisorische Schüssel nach dem Lappen. Die bereits genähten Wunden waren verbunden und hier oben stand nur noch die Schulter an – vermutlich am schmerzhaftesten, aber vielleicht kamen ihm dann die restlichen Schnitte an den Beinen auch nur noch halb so schlimm vor.

Vorsichtig tupfte er über die weniger zerfetzten Wundränder und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Weder wusste er wie er hier anfangen, noch wie er es verbinden sollte, wenn er erst mal fertig war.

Hab ich dir… schon davon erzählt, wie die Jungs aus dem Dorf und ich so einem alten Kautz eins ausgewischt haben, als ich noch klein war? Das war so ein Kerl… der einen ständig schräg angemacht hat, obwohl man gar nichts getan hat. Manchmal hat er uns unsere Sachen abgenommen und verlangt, dass wir mit unseren Eltern wiederkommen um uns für unser Verhalten zu entschuldigen, weil er sie uns sonst nicht zurück gegeben hat. So einer war das“, erzählte er leise und langsam, damit er alles ein wenig in die Länge ziehen konnte und er nicht fertig war, bevor der Verband auflag.

Vorsichtig tauchte er eine Ecke des Lappens in einen der tieferen Risse und versuchte, so gut wie es ging den Schaden zu begrenzen.

Er hat ziemlich nah am Wald gewohnt, in dem es vor Geistern und Muties nur so wimmelt und einer von den Jungs war schon ziemlich früh im Stimmbruch. Also haben wir beschlossen… dass es vielleicht klug wäre ihn nachts als Geist zu überkommen und ihm ein bisschen Angst zu machen, damit er es sich beim nächsten Treffen lieber drei Mal überlegt, ob es sich wirklich lohnt uns zu schikanieren.“

Mit einem leisen Plätschern sank der Lappen zurück ins Wasser wo er ihn ausdrückte, während er mit der anderen Hand die Umgebung der aufgerissenen Wunde abtastete.

Ich glaube… hier steckt noch was in der Schulter… kann das sein? Fühlst du das?“, wollte Clarence wissen und fuhr mit dem Finger eine harte Länge nach, die er unter der Haut ertasten konnte. Ein Holzspan vielleicht oder ein Stück Metall, das am Geländer verbaut worden war.


Matthew C. Sky

Bestimmt war es ihm schon schlechter gegangen, bestimmt hatte er schon schlimmere Schmerzen gehabt und bestimmt war er schon erschöpfter gewesen. 

Aber jetzt und hier konnte Matthew sich nicht daran erinnern wann und wo das gewesen sein sollte. 

Die Schmerzen nagten an ihm, machten ihn mürbe. Das Adrenalin, das ihn den Tag über agil gehalten hatte, war mittlerweile abgebaut und hatte nichts als leidvolle Erschöpfung hinterlassen. 

Matthew fühlte sich schwach und elend. Überall brannten die Wunden, pochten die Ränder unter dem Zug der Fäden. 

Er wollte nicht einen einzigen weiteren Stich erdulden müssen, wollte nicht mehr, dass Clarence mit dem Lappen über die Schnitte wischte. Er wollte sich hinlegen, schlafen und einfach nichts mehr spüren. Wenigstens über Nacht wollte er den Schmerzen entkommen, auch wenn diese Vorstellung wahrscheinlich ohnehin utopisch war. 

Eigentlich war er nicht weinerlich und es war untypisch, dass er sich derart anmerken ließ wie schlecht es ihm ging. Aber auf der anderen Seite war Clarence nicht irgendwer. Er war kein flüchtiger Bekannter oder gar Fremder, vor dem man sich besser zusammenriss und sich bloß nichts anmerken ließ. Er war auch keine dubiose Gestalt oder windiger Geschäftspartner, der besser niemals erfuhr sollte man Schwachstellen haben. 

Clarence war sein partner in crime. 

Er würde ihn immer zusammenflicken und er würde immer wissen was in Matthew vorging, egal wie sehr er es zu verbergen versuchte. 

Oft genug ließ sich Cassie trotzdem nichts anmerken, schluckte Schmerzen herunter, zeterte selten wenn es ernst war und dafür umso mehr wegen winzigen Kratzern. 

Man konnte sagen, je schlimmer er dran war umso weniger jammerte er. War Matthew still, dann war das gemeinhin kein gutes Zeichen. Aber heute war das anders. 

Heute waren seine Reserven aufgebraucht und er wollte sich nicht mehr verstellen, nicht vor seinem Mann - der sich ohnehin die schlimmsten Sorgen machte, wie er schließlich erzählte. 

Fieber, Blutvergiftung, Tod. Aussichten die düster und nicht erstrebenswert waren. 

„Ich l-lass dich n-nicht alleine. D-du solltest nicht an s-sowas denken, B-Baby.“

Clarence hatte ihn schon oft versorgt und ihn schon mindestens einmal gerettet von Wunden, die hätten tödlich sein müssen. Er war akribisch und er war genau, deshalb würde er alles so gut behandeln, dass eine Blutvergiftung keine Chance haben würde. 

Etwas kraftlos aber dennoch so energisch wie er konnte, erwiderte er den Kuss des Blonden, um zu zeigen, dass er durchaus noch Kampfwille besaß. 

„D-dann m-mach weiter. Ich h-halt d-das schon aus...“

Fest biss er die Zähne aufeinander während er versuchte sich auf die Geschichte zu konzentrieren, wie Clarence mit seinen Freunden als Junge einen alten Kauz erschreckt hatte. Ob das stimmte oder nicht...Cassie wollte sich nicht festlegen aber gegenwärtig war das auch nicht wichtig. 

Die Geschichte lenkte ihn ab, zumindest ein bisschen und das allein war Sinn und Zweck der Erzählung. 

Mit geschickt gesetzten Stichen verschloss Clarence die letzte klaffende Wunde an Matthews Oberkörper und dieser seufzte erleichtert, als der letzte Faden gekappt wurde. 

„Du w-warst ein...frecher kleiner Kerl. Ich w-wette... du hattest einen schlimmen Ruf in d-deinem D-Dorf.“

 

Zittrig wischte er sich mit dem gesunden Unterarm über die Stirn und setzte sich wieder etwas weiter auf. 

Als letzte große Wunde oberhalb der Gürtellinie machte sich der Blonde nun daran seine Schulter zu inspizieren. 

Die ohnehin fleischige, ausgefranste Wunde war auf der Expedition heute nicht schöner geworden, das konnte Matthew sich vorstellen wenngleich er das Elend ja nicht sah. 

Clarence jedoch sah es...und in dessen Gesicht konnte Matthew nur zu deutlich ablesen, wie hässlich der Anblick sein musste. „Schau n-nicht so betreten. D-das wird schon.“

Aber schon wenige Augenblicke später, schrie er auf und zuckte von Clarence weg. 

Die Blicke der am Feuer Sitzenden, bisher weitestgehend diskret von ihnen abgewendet, richteten sich nun auf sie beide. Aber das war Matthew egal, ein heiß-glühender Schmerz schoss durch seine Schulter als der Wildling die Wunde abtastete und dabei für Cassie spürbar einen Fremdkörper streifte.

Unwillkürlich zuckte der Dunkelhaarige zurück und drehte sich von Clarence weg, damit dieser nicht mehr an seinen Rücken kam. 

„Fuck! Nicht anfassen!“ zischte er verängstigt und verärgert und funkelte Clarence an, wie ein giftiges kleines Wiesel. 

Die Frage danach ob er das spürte erübrigte sich damit. 

Matthew spürte es sehr genau. 

Erschrocken blickten die Kinder zu ihnen herüber, in ihren Gesichtern stand Furcht, aber im Augenblick tat Matthew das noch nicht einmal leid. Er hatte keine Nerven mehr für die Befindlichkeiten anderer, er hatte noch nicht einmal mehr Nerven für sein eigenes Befinden. 

Clarence tat gut daran ihn kurz in Ruhe zu lassen und die Finger von ihm zu lassen. 

Der Blonde sah blass und müde aus, er schien erschöpft von der Prozedur und Cassie zweifelte nicht daran, dass es ihn wehtat ihn so zu sehen. 

Taktvoll und um ihnen zumindest ein bisschen Privatsphäre zu verschaffen erhob sich der Bär von Mann und zog den Vorhang ihrer Schlafstätte vor. So waren sie vor fremden Blicken geschützt und die anderen wiederum vor dem nicht sehr ermutigenden Anblick der beiden. 

Allmählich beruhigte Matthew sich wieder, sein Herz klopfte zwar immer noch so schnell als wollte es sich überschlagen, aber zumindest pendelte sich der gleißende Schmerz wieder auf Normalniveau ein. 

„T-tut mir leid...“, er schluckte und sah um Entschuldung bittend zu seinem Mann. 

„Ich v-versuche...nicht mehr zu z-zucken.“

Wahrscheinlich würde er das nicht schaffen, aber immerhin hatte er aufgehört so sehr zu zittern, dass ihm die Zähne ständig klapperten. 

„Mach...weiter...mach es schnell und...hör nicht auf, auch w-wenn ich schreie.“ - er lächelte schräg und erschöpft. 

„Ich h-hör mich fast an, als wären wir im Bett, hm?“

 


Clarence B. Sky

Ob er einen schlimmen Ruf in seinem Dorf hatte oder nicht, daran konnte ich Clarence kaum mehr erinnern. Gerade befürchtete er einfach nur, dass er einen schlimmen Ruf hier in ihrem Lager bekam.

Für Cassie war das, was er mit ihm machte, kaum auszuhalten und nicht erst jetzt hatten das auch die anderen bemerkt. Die Kinder schauten immer mal wieder verängstigt zu ihnen hinüber und auch der Rest war längst nicht mehr so ausgelassen ob dem Zuwachs weiterer Überlebender wie vorhin noch.

Eine betretene Stille hatte sich über das Lagerfeuer gelegt und wurde nur durch das schmerzgeplagte Stöhnen hinter dem Vorhang durchbrochen, den Clarence noch ein Stückchen weiter vor seinen Mann gezogen hatte um ihn vor den Blicken der anderen zu schützen.

Den ganzen Tag über war Cassie zusammen mit Ceyda im Wrack gewesen, hatte Zoe, Abel, Kain und die anderen gerettet, die ob ihrer Freude übers Tageslicht und Matthews Talent die Zähne zusammenzubeißen sicher alle nicht gemerkt hatten, wie ramponiert der Dunkelhaarige bereits war. Man konnte ihnen ja nicht mal einen Vorwurf machen, immerhin war es schwer über die eigene Rettung hinaus noch etwas anderes zu sehen. Doch nun, angekommen und weit entfernt von Adrenalin oder Aufgaben, schien auch dem letzten unter ihnen aufzufallen, wie sehr ihre Retter am Ende waren.

Es dauerte nicht lange, da hatte Ceyda sich längst niedergelassen und in ihre Decke eingewickelt während Gabriel ihr von seinem Tag erzählte und Matthew ließ sich erschöpft in die frische Hose helfen, die vom Hängen am Feuer noch warm war.

Den Splitter in der Schulter hatte der Jäger ihm notgedrungen mit dem frisch gewetzten Taschenmesser aus der Haut schneiden müssen, so tief hatte das Holz gesessen, dass er nicht einfach so mit den Fingern dran gekommen war. Selten war es ihm so unangenehm gewesen seinen Freund und Partner zu versorgen wenn er verwundet war und noch nie hatte es ihm selbst dabei so weh getan. Mit dem letzten Schluck Whisky den Claire in seinem Rucksack gefunden hatte und auf den hölzernen Griff der Axt beißend, hatte sein Mann es so gut ausgehalten wie es nur ging. Doch war er bei dem schnellen, präzisen Schnitt noch erstaunlich kontrolliert geblieben, war es schließlich das Reinigen und Vernähen der geschaffenen Wunde, die ihm das meiste abverlangt hatte.

Unter Clarence‘ warmem Pullover, den er dem anderen übergezogen hatte, war der dicke Verband der sich zum besseren Halt um Schulter und Bauch zog, kaum zu erahnen. So gut wie es ging hatte er noch zwei Nähe in die klaffenden Fetzen gesetzt um wenigstens zum Teil alles beieinander zu halten, den Rest hatte er offen gelassen, auch damit die Wunde sich durch Blut und Wundwasser selbst etwas reinigen und alles ungehindert abfließen konnte.

Die Nähte an den Beinen waren nach der Schulter nur noch halb so schlimm erschienen, vor lauter Erschöpfung hatte Cassie beinahe keine Kraft mehr gefunden um aufzubegehren – was seinem Bären fast etwas recht gewesen war, denn dadurch kam er auch nicht in den fragwürdigen Geschmack von unterhaltsam gemeinten Sprüchen. Dass sein Mann sich aktuell nämlich fast anhören würde wie während ihren amourösen Stunden, hätte er lieber überhört… gerade klang Matthew nämlich alles andere als das.

Okay… wir sind fertig“, ließ er seinen Mann wissen. Er selbst war blass geworden, einerseits wegen der Müdigkeit und Erschöpfung, andererseits weil es ihm furchtbar an die Nieren ging seine bessere Hälfte so gebrochen und schmerzgeplagt zu sehen.

Um zu demonstrieren dass es sein ernst war, wischte er die Nadel mit einer sauberen Ecke des Tuches ab und legte sie beiseite.

Constantin hatte ihnen mit andächtigem Respekt schon vor einigen Minuten etwas Eintopf und abgekochtes Wasser gebracht, von dem der Blonde nun letzteres zur Hand nahm und Cassie entgegen reichte

Hier, du trinkst jetzt was und isst danach. Du musst doch ausgehungert sein… wehe, du fällst mir vom Fleisch.“

Vorsichtig stellte er auch das Behältnis mit Eintopf in seine Reichweite und warf Matthew den Löffel hinein, damit er das Fleisch nicht mit den Fingern hinaus fischen musste.

Schon damals als sie sich kennengelernt hatten, beide auf ganz eigene Weise verletzt und unfähig alleine zurecht zu kommen, hatte Clarence nahtlos darauf geachtet dass sein dunkelhaariger Findling ausreichend zu sich nahm und sich nicht verweigerte. An den Tagen, als das Fieber bei Matthew besonders hoch gewesen war, hatte er ihn an sich gelehnt und ihm zaghaft das Wasser per Hand eingegeben oder ihn gefüttert wenn der Taugenichts es zugelassen hatte, ganz ähnlich wie auch sein Mann beim ihm, nachdem sie dem Feld voller Spinnen entkommen waren.

Egal was kam oder was sein würde, sie würden immer aufeinander aufpassen und sich gegenseitig aufpäppeln. Keine Wunde konnte zu tief und keine Krankheit zu schwer sein, dass sie davon entzweit wurden.

Das wird wieder“, sprach er ihnen heiser Mut zu und warf nun auch die restlichen benutzten Lappen ins Wasser, um ein wenig Ordnung in ihrem kleinen Lager zu schaffen. Abel und Kain hatten sich auch wieder beruhigt, nachdem sie kurzweilig Anstalten gemacht hatten ihn anzuknurren, als es für sie so ausgesehen hatte als würden ihre Herrchen einander weh tun.

Sich auf die frei gewordene Fläche zwischen ihnen aufstützend, lehnte er sich zu Cassie nach vorne um ihm zwischen zwei Schlucken Wasser einen kurzen Kuss zu klauben; nur allzu schnell wurde er davon aber wieder abgehalten, als irgendetwas vorsichtig an seinem Oberteil zupfte.

„Clarence? Kannst du…“ – Zögernd blickte Gabriel, der sich heimlich von hinten angeschlichen hatte, zu Matthew hinüber. Mit dem Dunkelhaarigen hatte er noch nicht zu tun gehabt, weshalb man dem Jungen seine über den Tag hinweg verlorene Unsicherheit nun wieder deutlich ansah. Trotzdem schien er ein Anliegen zu haben, das wichtiger war als seine Angst vor Fremden.

„Kannst du… Mister Teds auch wieder gesund machen? So wie Zoe und Matthew?“

Seinen Kumpanen fest an einem Arm festhaltend, ganz so als befürchte er der Doktor könne ihn an sich reißen und loslegen noch bevor er das Einverständnis dazu gegeben hatte, zeigte Gabriel ihm mit der freien Hand den Riss im Fell des Teddys. Wer so gut Leute zusammenflickte, der war sicher auch in der Lage sein Stofftier zu nähen, diese Hoffnung sah man dem Jungen deutlich an und auch beim Rest des Fells schien er Hoffnung zu haben.

Wieder schaute er unsicher zu Matthew hinüber, der nicht wirklich so aussah als hätte er heute noch etwas für Mister Teds übrig nachdem er zuvor schon Lucy weg geschickt hatte.

„Er hat auch ü… - Er ist auch ger…- Er ist auch gefunden worden!“, schien es ihm schwer über die Lippen zu gehen, von Überlebenden, einer Rettung oder dem Absturz zu sprechen. „Also hat er doch auch einen Arzt verdient, oder? Ich und Lucy brauchen keinen, also kann Mister Teds untersucht werden? Oder?“

Kurz zögernd, streckte er ihm schließlich auffordernd den Teddy entgegen, nicht ohne dabei zu Matthew zu schielen – ganz so als müsse er darauf vorbereitet sein schnell das Weite zu suchen, falls sein Teddy heute doch noch keinen Termin beim Arzt bekam.


Matthew C. Sky

Als er heute Vormittag losgezogen war, hatte er nicht damit gerechnet, dass er am Abend mit duzenden Stichen genäht werden musste. 

Er hatte auch nicht damit gerechnet, dass Clarence ihn mit seinem Messer filetierte um einen großen Holzsplitter aus seinem Fleisch zu schneiden. 

Und hätte Matthew doch damit gerechnet, hätte er definitiv besser auf sich aufgepasst. 

Der Blonde hatte sein Möglichstes getan schnell und präzise zu arbeiten, er war schweigsam gewesen und konzentriert, aber hatte nicht vereiteln können, dass Matthew dann und wann leise schrie oder vor Schmerzen gepeinigt stöhnte. 

Der Jüngere hatte sich sehr bemüht leise zu sein und nicht allzuoft weg zu zucken oder zu heftig zu zittern. Aber er hatte es Clarence vermutlich trotzdem nicht leicht gemacht. Matthew wusste nicht wie lange die Prozedur letztlich gedauert hatte, aber irgendwann legte Clarence die spitze gebogene Nadel weg und sagte die erlösenden Worte. 

„....wir sind fertig.“

Cassie, dem kotzübel war und dessen Gesicht eine kreidebleiche Farbe angenommen hatte, blieb ermattet liegen. Er wagte es nicht sich zu rühren und auch nicht erleichtert durchzuatmen. Stattdessen rührte er sich gar nicht vom Fleck. Mit geschlossenen Augen versuchte er, die brennenden Schmerzen zu ignorieren die mittlerweile überall pochten. 

Es gab keine Stelle an seinem Körper die nicht wehtat und auch wenn er sonst nicht zartbesaitet oder empfindlich war, so war das Maß für diesen Tag voll. 

Er wollte nichts essen, nichts trinken... sondern einfach nur schlafen. Aber Clarence war unerbittlich was das anging und auch wenn der Dunkelhaarige furchtbar blass und erschöpft aussah, so wollte der Größere unbedingt, dass er trank und aß. 

Unwillig öffnete Cassie die Augen, richtete sich auf und nahm den Becher mit Wasser um einen kleinen Schluck zu trinken. 

Die noch lauwarme Flüssigkeit tat seiner trockenen Kehle gut und belebte ihn ein bisschen. 

Während Matthew also ein bisschen was zu sich nahm, kam Gabriel mit zögerlichen Schritten zu ihnen gewatschelt. 

Er hatte Mister Teds dabei und eine Frage auf dem Herzen. 

Immer wieder schaute er schüchtern zu Matthew hinüber, als sei er unsicher was ihn anging. 

Aber diese Unsicherheit konnte Cassie ihn nicht verübeln, immerhin hatte er geschrien und gestöhnt, war blutüberströmt gewesen und sah jetzt wahrscheinlich aus wie ein Halbtoter. 

Matthew steckte sich gerade eines der heißen Fleischstückchen in den Mund und kaute müde darauf herum, als ihn abermals der ängstliche Blick des Jungen traf, ganz verstohlen von der Seite. 

„Clarence hat mich schon... oft zusammengeflickt. Er ist ein guter Doc.“, bestätigte er die Hoffnung des Jungen. 

„Mister Teds ist...in guten Händen bei ihm.“, erschöpft lächelte Cassie ein bisschen und warf Clarence einen Blick zu, der besagte, dass es für ihn in Ordnung wäre, wenn sich der Blonde nun noch um das Stofftier kümmerte. 

Dass dieser noch Kraft und Elan für die Versorgung des Teddys hatte, war einer von tausend Gründen warum Matthew ihn liebte. 

Der bärtige Hüne, der Berg von Mann dessen bloße Erscheinung anderen Respekt einflößte... war in Wahrheit so zart. Seine Hände waren behutsam und sanft, er war umsichtig, geduldig und liebenswürdig. 

Gabriel, der mit allen Erwachsenen merklich fremdelte, hatte instinktiv hinter die Fassade des Bären geblickt. Für ihn schien klar, dass der tätowierte, breitschultrige Kerl mit dem dichten Bart und den langen Haaren vertrauenswürdig war. Und zwar so vertrauenswürdig, dass er ihm bereitwillig Mister Teds überreichte, nachdem Clarence eingewilligt hatte den Patienten zu behandeln. 

Matthew beobachtete den Lagerarzt dabei mit verliebtem Blick, sah ihm dabei zu wie umsichtig er den pelzigen Patienten versorgte und wie gewissenhaft er dabei vorging. 

Mit brummelnder Stimme - weil er hochkonzentriert war - erklärte er Gabriel sein Tun und sorgte damit für große Augen bei dem Jungen. 

„Wird er...wieder heil?“, fragte er neugierig, aber auch mit der aufrichtigen Besorgnis eines Kindes in der Stimme. 

Für ihn war Mister Teds ein Stück seines alten Lebens, eines besseren wie Cassie hoffte. 

Clarence blieb derweil fokussiert bei der Sache und machte eine vorsichtig optimistische Prognose.

Er nähte das Stofftier, holte sogar etwas frisches Wasser und ein sauberes Stofftuch um die Wunden etwas zu reinigen. Dann entfernte er vorsichtig mit dem Rasiermesser die verkohlten Haare, nicht komplett aber doch so, dass das Fell nicht mehr annähernd so rußgeschwärzt war wie noch zuvor. Das Loch - wo das Schwänzchen ausgerissen war - wurde ebenso geflickt wie der Riss im Rücken. Das schlackernde Bein wurde dem Patienten ebenso wieder fest an den Körper genäht, sodass Mister Teds schließlich rundum versorgt war. Staunend hatte Gabriel jeden Schritt der Behandlung verfolgt, während auch Matthews Fokus auf dem Arzt gelegen hatte - nur aus ganz anderem Grund. 

Seine Aufmerksamkeit richtete sich voll auf Clarence, darauf wie sehr er sich Mühe gab, wie ordentlich er vorging und wie ernst er die Besorgnis des Kindes nahm. 

„Er braucht noch einen Verband wie...“, krähte Gabriel und schielte ungewollt auffällig zu Matthew, was diesen leise auflachen ließ. Ein Fehler, denn weder die frischen Nähte noch seine Rippen duldeten ein Lachen, weshalb es schnell wieder erstarb. 

Die Notwendigkeit eines Verbandes war dem behandelnden Arzt aber ohnehin klar, weshalb Mister Teds ordentlich einen angelegt bekam. Clarence bandagierte sorgsam den Rücken ein und das einstmals verletzte Bein. Das Stofftier sah aus, als sei es ein Kriegsversehrter aber Gabriel war so zufrieden und erleichtert, dass er ganz aus dem Häuschen geriet. Ein paar Tränen schimmerten in seinen Augen und er lauschte Clarence’ Worten aufmerksam. Der Verband, so der Arzt, müsse nun über Nacht dran bleiben. Morgen solle Mister Teds wieder bei ihm vorstellig werden zum Verbandswechsel. Nun müsse der Patient schlafen. 

Ehrfürchtig nahm Gabriel sein geliebtes Stofftier wieder an sich und widerstand dem Drang, ihn fest an sich zu knautschen damit der Verband ja nicht verrutschte. 

Die Freude über die Rettung seines Kumpanen stand ihm im Gesicht geschrieben und auch wenn er Clarence nicht um den Hals fiel - dafür war der Junge einfach zu schüchtern- so sagte seine Mimik alles über seine Erleichterung. Artig bedankte er sich, versicherte Clarence auf Mister Teds aufzupassen und morgen zur Kontrolle wiederzukommen. Dann ging er zurück zu seiner Schwester - zuerst ein paar Schritte angemessen langsam, ehe er die letzten Meter zu ihr rannte. „Er hat Mister Teds gerettet!“, freute er sich und damit schien zumindest für heute alles einigermaßen wichtige für Gabriel in Ordnung zu sein. 

Die ganze Gruppe war erschöpft, warm und satt - ein Luxus sondergleichen. Nur Jeremy und Constantin waren noch wach, die anderen schliefen bereits oder hatten sich zumindest hingelegt. 

„Du bist...ein Held für den Kleinen.“, fasste Matthew schließlich seine Beobachtung zusammen und lächelte vage. Er war noch immer blass aber sein Blick war nicht mehr ganz so gequält. 

„Und für m-mich auch.“ Matthew setzte sich aufrecht hin, stellte den Eintopf weg den er bis zur Hälfte aufgegessen hatte und legte eine Hand auf die von Clarence, der gerade alle Materialien zusammen und aufräumte. 

Sanft hob er die Hand des Blonden und legte sie sich an die Wange, schmiegte das Gesicht dagegen und schloss für einen Moment wieder die Augen. 

„Danke, d-dass du so bist... und dass du mir damals die Zeit gegeben hast zu erkennen, dass ich mich in dir getäuscht habe.“ - wochenlang hatte Matt ihn misstraut, hatte heimlich darauf gewartet, dass der Blonde ihn angriff oder ihn irgendwohin führte wo Rouges Leute schon auf ihn warteten. Er hatte dem Größeren das Schlechteste zugetraut und dieser wiederum... hatte ihn gewähren lassen, ohne die Geduld zu verlieren. 

Mit blutleeren Lippen küsste Cassie die Handfläche seines Geliebten und betrachtete ihn auf warme, verliebte Weise. 

Es war ein Blick der besser und deutlicher beschrieb, wie sehr er Clarence liebte... und wie vollkommen.

Wieder küsste er die Tatze seines Bären, dann gab er sie schließlich frei und nickte zu den Utensilien auf ihrem Bett. 

„Wenn du...soweit b-bist...sehe ich mir noch deine Füße an. Also r-räum die Wasserschale noch nicht weg, sondern hol mir frisches Wasser und saubere Verbände. Aber zuerst... musst du auch was essen.“  - er schon die Schüssel mit dem Eintopf zu ihm und nickte bekräftigend. „Und dann...schlafen wir. M-morgen geht’s uns beiden besser.“

 

 


Clarence B. Sky

Beinahe aufopfernd hatte Clarence sich um das Kuscheltier gekümmert, das eigentlich nur aus Stoff und Füllung besaß und daher den wertvollen Faden kaum verdient hatte. Doch in seinen Augen – und das merkte man ihm an – war ein verwundetes Stofftier für ein Kind eine beinahe schlimmere Wunde als die eigenen Kratzer. Vor allem dann, wenn man sonst nichts mehr besaß.

Gabriel hatte den ganzen Tag lang weder über seine Schrammen an Ellenbogen und im Gesicht geschimpft, noch hatte Lucy irgendeinen Mucks von sich gegeben, obwohl man ihr ansehen konnte, dass die seit dem Morgen Kopfschmerzen zu haben schien. Doch der einfache Teddy, der wider Erwarten von Cassie zwischen den Trümmern im Wrack aufgefunden worden war, hatte dem kleinen Jungen trotz der Wiedersehensfreude sichtlich das Herz gebrochen und damit auch seiner Schwester, die ihn feste in den Arm genommen hatte, kaum dass dem Kleinen all die Verletzungen seines wohl besten Freundes aufgefallen war.

Findest du das komisch? Dass ich dem armen Mister Teds genauso viel Aufmerksamkeit schenke wie dir?“, wollte er leise wissen als sie schließlich wieder alleine waren, legte bereitwillig die Hand an Matthews Wange und streichelte ihm zart mit dem Daumen über die malträtierte Haut. Sein Mann sah müde aus und abgeschlagen, er hatte heute für andere alle Kraft aufgezehrt die er noch besaß – und noch weit viel mehr, als selbst Claire ihm zugetraut hätte.

Du bist auch mein Held. Heute noch mehr als sonst…“

Abgekochtes Wasser, saubere Verbände, warmes Essen… der Blonde brauchte nichts von alledem, solange er nur Matthew bei sich haben konnte. Was brachte ihm ein Dach über dem Kopf wenn er es nicht mit dem Kerl teilen konnte den er liebte und auch ein provisorisches Bett würde ihm keinen Schlaf spenden, wenn der ruhige, vertraute Atem des Jüngeren nicht neben ihm ging.

Zaghaft streichelte er mit dem Handrücken über die Wange seines Geliebten und musterte ihn warm, wie ein filigranes Unikat aus Glas, das so besonders wertvoll und ganz alleine seines war. Er mochte etwas ramponiert sein und seine Lippen blass zersprungen, aber das nahm Cassie nichts von der Faszination, die er auf den Bären ausübte.

Wir haben uns beide gegenseitig Zeit lassen müssen... Ich dir ganz am Anfang und du mir… kurz vor und in Coral Valley.“ – Es fühlte sich an als wäre es bereits eine halbe Ewigkeit her, dabei waren es nur wenige Monate, die sie von ihrem Dasein als Freunde im Vergleich zu ihrer Ehe trennten. Wie dieses Leben ausgesehen hatte ohne Ring und ohne Ja-Wort, daran konnte sich Clarence schon gar nicht mehr erinnern.

Ich hab damals Angst gehabt… als wir die Hunde gekauft haben und du nachmittags im Zuber so sauer auf mich warst… dass du mich noch in der Stadt verlässt, wenn ich es nicht schaffe einen Schritt auf dich zuzugehen. Wusstest du das? Die Angst… dass ich dich verlieren könnte… hat mir die Angst davor genommen, einen Schritt auf dich zuzugehen.“

Und schließlich, als Matthew ihn nicht von sich gestoßen hatte als er ihm auch seine Liebe gestanden hatte, war es gar nicht mehr schwer gewesen auch einen übernächsten Schritt zu wagen und bei dem Mann bei sich im Zuber um dessen Hand anzuhalten.

Je schneller die Dinge ihren Lauf genommen hatten,  umso weniger Angst hatte Clarence noch davor gehabt zu seinen Gefühlen wie auch zu sich selbst zu stehen. Das einzige, worum er sich heute noch fürchtete, war die Möglichkeit eben jenen Menschen zu verlieren, der ihn so viel gelehrt hatte.

Du hast mich so mutig gemacht… und so stark. Nur weil man keine Angst vor Muties und Geistern hat, heißt das nicht, dass man ein guter Mann ist. Das hast erst du aus mir gemacht“, wisperte er leise, lehnte sich über die Schüssel voll Eintopf hinweg und küsste Matthew vorsichtig – beinahe so wie der Kleinere es damals bei ihm getan hatte, über der dampfenden Blechschüssel voller Dora, die heute noch auf der Harper Cordelia auf sie wartete… nur mit dem Unterschied, dass wann anders schon heute war.

Wir gehören zusammen, egal was passiert. Egal ob… irgendeiner von uns ein paar Narben mehr oder weniger hat in ein paar Jahren…“, fasste er das Geschehene dabei in Worte zusammen und hauchte einen weiteren Kuss vorsichtig auf die Narbe an Matthews Haaransatz, „…egal ob wir auf irgendeine Weise verunglücken… oder ein bärtiger Trottel sich eines schönen Tages mal das Bein bricht, weil er doch wo rauf geklettert ist, was ihm zu hoch war. Ich denke nicht… dass es noch irgendwas geben kann, das uns zwei Verrückten voneinander trennen könnte. Du etwa?“

Die Höhen und Tiefen, die andere Paare durchmachten nur um sich danach zu trennen, hatten sie beide längst durchlebt – und waren doch noch hier, gemeinsam und nicht gewillt, einander zu verlassen.

Mit einem möglichst aufmunternden Lächeln in seinem erschöpften Gesicht, küsste er seinen Mann ein weiteres Mal, bevor er sich wieder auf seinem Platz niederließ und nach der nun gemeinsamen Blechschüssel zu greifen, die sie sich fortan würden teilen müssen. Er wusste noch genau wie sie damals das Set gekauft hatten mit zwei Bechern, zwei Schüsseln und doppeltem Besteck… vorrangig, weil sie in der Masse darauf Rabatt bekommen hatten, nach einigen Monaten war es jedoch immer wieder ein putziger Anblick gewesen, wie sich ihr nur durch die Dellen zu unterscheidendes Geschirr nebeneinander reihte während das Essen kochte.

Nun war das Set getrennt, aber wenigstens sie beide wieder miteinander vereint.

Mit leisem Klappern stach er sich ein Stück Fleisch auf die Gabel und ließ es in seinem Mund verschwinden, bevor er ein zweites Stück aufsammelte und es Cassie so lange entgegen hielt, bis dieser sich endlich geschlagen gab.

Was war das, bevor’s gestorben ist? Hoffentlich kein Hund“, wobei sich die Wahrscheinlichkeit durch Abel und Kain schon mal deutlich verringerte, welche die Ohren aufgeregt in ihre Richtung gehoben hatten. Kurzerhand warf Clarence jedem von den beiden ebenfalls ein Stück warmes Fleisch zu, immerhin sahen ihre Lieblinge nicht weniger ausgehungert aus wie sein Mann.

Ich hab heute, als Adrianna wach war, ihr gesagt dass wir zusammen und verheiratet sind“, erwähnte er schienbar beiläufig und ließ sich ein weiteres Stück angedeihen, um sein aufkeimendes Magenknurren zu ersticken. „Wenn sie wieder etwas mehr bei Kräften ist, können wir kaum den anderen allen eintrichtern, dass sie den Rand halten sollen. Schien mir so unkomplizierter, ich hoffe du hast kein Problem damit.“

Auffordert stippte er das Fleisch gegen Matthews Lippen, damit er noch etwas aß und die kommenden Tage zu Kräften kam.

Sie meinte sie sei überrascht, dass ich überhaupt in der Lage wäre was aufzureißen, so wenig wie ich mit Fremden reden würde. Konnte ihr da nicht mal widersprechen. - Iss jetzt und guck mich nicht so an, als hättest du einen Geist gesehen“, forderte er ihn auf und versuchte Cassie die Gabel voll Fleisch zwischen die Lippen zu schieben, ungeachtet dessen ungläubigen Blicks.


Matthew C. Sky

Nein, Matthew fand es nicht komisch, dass Clarence der Versorgung eines Stofftiers ähnlich viel Aufmerksamkeit schenkte wie der Versorgung von ihm. 

Tatsache war, Mister Teds war alles was Gabriel von seinem Zuhause noch hatte. Abgesehen von Lucy. 

Der Teddy erinnerte ihn hoffentlich an eine Zeit in der seine Welt noch in Ordnung gewesen war und vielleicht war seine Welt nun auch wieder ein bisschen mehr in Ordnung gekommen. Matthew wünschte es sich für ihn. 

Dass Clarence ihn nicht weggeschickt hatte, zeigte einmal mehr wie feinfühlig er war. 

Früher hatte der Blonde Kinder regelrecht gemieden. Er hatte Aufträge abgelehnt oder nur widerwillig ausgeführt wenn Kinder beteiligt waren, er war mürrisch gewesen, bis hin zu feindselig. 

Cassie hatte das lange Zeit nicht einordnen können, hatte ihn gedrängt oder angemotzt wenn Clarence mal wieder Leute hatte abblitzen lassen. Mittlerweile wusste er natürlich Bescheid und hätte den Rand gehalten, wäre es dem Blonden zu viel geworden. 

Aber... irgendwie war dieser  Fall seither nicht mehr eingetreten. Der einstmals störrische und kühle Wildling... legte seinen Schutzpanzer immer öfter auch vor anderen ab. 

„Du warst schon immer ein guter Mann.“, widersprach der Dunkelhaarige leise und erwiderte schwach die kleinen Küsse seines Geliebten. 

„Du hättest mich nicht fragen müssen...ich wär auch bei dir geblieben ohne Heirat. A-aber... ich b-bin froh, dass du gefragt h-hast.“  für ihn hatte eine Hochzeit nie zur Debatte gestanden. 

Wer hätte ihn schon haben wollen für mehr als ein, zwei Nächte? 

Widerliches Drecksstück...du ekelst mich an!‘

Es war Clarence‘ Stimme gewesen, aber es war nicht Clarence selbst. 

Etwas benommen schüttelte Cassie den Kopf und der Blondschopf fand Worte der ganz anderen Art. 

Er redete davon, dass sie einander nie verlassen würden, dass es nicht darauf ankam ein paar Narben mehr oder weniger zu haben. Nichts konnte sie trennen. 

Matthew erwiderte das erschöpfte Lächeln des Größeren und auch dessen zarten Kuss. 

„Ich glaube...wir haben schon so viel geschafft...wir bleiben zusammen bis...zum Schluss.“

Wann auch immer Schluss sein sollte. Hoffentlich erst in etlichen Jahrzehnten. 

„Das hoffe ich zumindest schwer.“

Er hob schwach seine gesunde Hand und strich Clarence sein Haar zurück. 

„Du gehörst m-mir und ich gehöre dir. Vergiss das niemals, okay?“ 

Er schluckte und verlagerte, leise stöhnend, seine Position in dem er sich etwas mit dem Rücken gegen das Regal lehnte. Müde betrachtete er seinen Mann, wie dieser zu essen anfing und musste schließlich das zweite Stück Fleisch essen, gegen das er versucht hatte sich zu wehren. Lustlos - er war schon satt - kaute er darauf herum und  schloss dabei müde die Augen. 

Es ging ihm nicht gut und er konnte daraus auch keinen Hehl mehr machen. 

„Es war...eine Art Antilope. Irgendwas exotisches...aber kein Hund. Außerdem... hast du wohl schon schlimmeres gegessen als Hundefleisch.“, er öffnete ein Auge um zu Clarence zu schielen ob dieser noch ordentlich aß. 

Dann machte er die Augen wieder zu und versuchte sich zu entspannen. Ein Versuch, der nicht sehr erfolgreich war, denn Clarence erwähnte vollkommen beiläufig, dass er reinen Tisch bei Adrianna gemacht hatte. 

Sofort öffnete Matthew die Augen wieder und sah entgeistert zu dem Blondschopf. 

„Du hast was getan?“ völlig unspektakulär hatte Clarence das verkündet und er tat auch jetzt so , als habe er nur übers Wetter geredet. 

Dass das nicht stimmte, nicht stimmen konnte war Matthew vollkommen klar. Ungläubig musterte er Clarence deshalb auch und ignorierte dessen Versuch ihm ein weiteres Stück Fleisch in den Mund zu schieben, in dem er dessen Hand zur Seite schob. 

„Du hast ihr die Wahrheit über uns gesagt? Wie...“ 

Es war Matthew noch gut im Gedächtnis geblieben wie unsicher Clarence in Bezug auf seine Sexualität war. 

Weder erlaubte es ihm sein komischer Gott, noch die Gesellschaft in der er aufgewachsen war. 

Noch dazu...war er ein konservativer Kerl und mochte es nicht, Einblicke in ihr Intimleben zu gewähren. 

Für ihn war es befremdlich, vielleicht sogar peinlich gewesen offen dazu zu stehen wen er liebte. Und für Matthew... war das okay gewesen. Ganz besonders in Bezug auf den Clan, der für Clarence eine Art Ersatz-Familie gewesen war. 

Adrianna reinen Wein einzuschenken hieß unweigerlich, zu ihnen beiden zu stehen und vielleicht auch mit Fragen konfrontiert zu werden, die unangenehmer Natur waren.   

Es hieß, eine Wahrheit auszusprechen die sich selbst einzugestehen bei Clarence lange Zeit gebraucht hatte. 

Es war eben nicht, als redete man über das Wetter. 

Zumindest nicht für Clarence, dem man lange Zeit eingeredet hatte, dass Liebe zwischen zwei Männern Teufelszeug war. 

Benedict war für eben jene Wahrheit gestorben, deshalb... nahm Cassie es dem Anderen auch nicht ab, dass er so cool war wie er sich gab. 

Für andere mochte es normal sein, aber nicht für einen bibeltreue Christen. 

Skeptisch neigte Cassie den Kopf zur Seite und wartete darauf, dass Clarence seine Flunkerei als eben diese enttarnte. Aber das tat er nicht und schließlich wurde Matthew klar, dass sein erzkonservativer Bär aus dem Wald der Verrückten offenbar wirklich reinen Tisch gemacht hatte. 

„Mhhh...hat sie es überhaupt richtig mitbekommen?“, er schmunzelte, weil der geschwächte, benommene Zustand der jungen Frau vermutlich der Grund dafür war, dass Clarence es sich getraut hatte, seine Gefühle für ihn zu formulieren. 

Er konnte sich einigermaßen gut vorstellen wie Clarence herumgedruckst und nach den richtigen Worten gesucht hatte, während Adrianna ihm gar nicht oder nur schwerlich folgen konnte. Und Gegenfragen hatte sie bestimmt auch nicht gestellt. In diesem Zustand hätte man ihr alles sagen können ohne damit rechnen zu müssen, dass sie Einwände erhob oder einen löcherte.  

Aber...war das wichtig? So richtig nicht. 

Hätte man dem Jüngeren damals in Coral Valley erzählt, dass der schweigsame Hüne eines schönen Tages von sich aus auch nur irgendeiner Menschenseele erzählte, dass er einen anderen Mann liebte... dass er, ihn - Matthew Reed - liebte, der Dunkelhaarige hätte es nicht geglaubt. 

Zum Einen, weil Matthew sich selbst nicht für liebenswert hielt...und zum Anderen, weil Clarence einfach so... reserviert gewesen war. Sie hatten eine sehr eigenwillige Beziehung zueinander unterhalten und obwohl sie einander schon vor ihrer Ehe nahegestanden hatten, so hatten sie erst nach ihrer Heirat so richtig zueinander gefunden. 

Jeden Tag hatten sie einander mehr vertraut, hatten sich besser aufeinander eingelassen und sich dem anderen mehr geöffnet. Mittlerweile gab es nichts mehr, dass Matthew Clarence nicht anvertrauen würde und wie sich zeigte... war Clarence über sich selbst hinausgewachsen in dem er Adrianna die Wahrheit gesagt hatte. 

Selbst wenn die Rothaarige in schlechter Verfassung war und kaum etwas mitbekommen haben sollte, so schmälerte es nicht den Mut, den Clarence aufgebracht haben musste um reinen Tisch zu machen. 

Statt noch etwas zu essen schüttelte Matthew den Kopf und drehte ihn zur Seite um seine Ablehnung final auszudrücken. 

„Iss du... ich bin satt, ich hatte genug.“

Ob der Größere nun Hunger hatte oder ihm nur den Gefallen tat, er aß den Rest des Eintopfs artig auf und als er das getan hatte winkte Cassie ihn zu sich. 

„Komm mal her.“, bat er und legte die Arme um seinen Bären, als dieser zu ihm gerutscht war. 

Nähesuchend schmiegte Matthew seine Wange an die des Hünen und drückte ihm dann einen festen Kuss auf das Ohr.  

„Was hat sie gesagt und...wie fühlst du dich jetzt?“ , wollte er wissen und dann, ohne auf eine Antwort zu warten:

„Du bist verrückt, Clarence Sky. Einfach verrückt.“

 


Clarence B. Sky

Manchmal war sich Clarence nicht sicher, ob sein Mann ihn nicht vielleicht doch für einen anspruchslosen Wilden hielt – denn egal ob er schon mal schlimmere Sachen gegessen hatte oder nicht, so hieß das doch nicht automatisch, dass es ihm nichts ausmachen würde Hund zu essen.

Demonstrativ ließ er ein weiteres Stück Fleisch hinter seiner Kau-Luke verschwinden und konzentrierte sich darauf irgendetwas wie Wild herauszuschmecken um Matthews Behauptung von Antilope zu überprüfen, während Matthew so tat, als habe er Tomaten auf den Ohren.

„Du hast was getan?“ – „Wasch denn?“, echote er mit vollem Mund und versuchte den anderen anzusehen, als wäre das ja nun kein allzu großes Drama, gefolgt von einem kurzen Schulterzucken, das er schon im gleichen Moment wieder ob der einschießenden Schmerzen bereute. 

„Du hast ihr die Wahrheit über uns gesagt? Wie...“ – „Wie? Na mit meinem Mund und Worten. Jetzt tu nicht so, als wüsstest du nicht, wie sowas geht.“

Schlürfend leerte er die eigentlich fade Brühe aus der Schüssel, die angesichts ihrer Lage aber doch beinahe wie ein Festmahl anmutete. Ihm war nicht danach aus dem was er getan hatte eine große Sache zu machen; nicht weil es keine war, sondern weil es sich eigentlich sowas von normal anfühlen sollte, anderen Menschen den Mann an seiner Seite als seinen Mann vorzustellen.

Letzte Nacht, als er völlig durchgefroren am Supermarkt angekommen und auf Ceyda getroffen war, hatte er als allererstes nach dem dunkelhaarigen, tätowierten Kerl gefragt, der sein Ehemann war. Es hatte ihn kein Zögern und kein Überwinden gekostet Matthew vor Fremden so zu nennen, denn seine Sorge um den anderen hatte alles überwiegt und in diesem Moment war es ihm scheißegal gewesen, was eine Ceyda oder ein Jeremy davon hielt. Es war ihm wichtig gewesen, dass die beiden verstanden warum er so in Sorge um diesen Typ war und dass es keine Option für ihn darstellte zu bleiben, sollte er nicht schon bei den anderen bekannt sein.

Es war in Ordnung Cassie am warmen Lagerfeuer in den Arm zu nehmen, sich ein provisorisches Bett mit ihm zu teilen und nicht vor den anderen zu verhehlen, dass Clarence womöglich in einer schwierigen Situation eher den Retter der restlichen Überlebenden versorgen würde als eben diese.

Wenn es für ihn nicht schwer war seine sonstigen Bedenken zu vergessen vor völlig Fremden die ihn ablehnen könnten, dann sollte es auch kein Problem vor eben jenen zu Matthew zu stehen, die ihn schon seit Jahren mochten anstelle weniger Stunden.

Hey!“, empört ließ er den Löffel geräuschvoll in den Blechbecher stoßen und blickte schließlich wieder vom Essen auf. „Natürlich hat sie das mitbekommen. Warum bist du so fies?“

Das Grinsen Matthews implizierte beinahe, er hätte ihr das im Schlaf ins Ohr geflüstert – wenn er denn überhaupt zur Bewegung seiner Lippen irgendeinen Ton von sich gegeben hatte.

Am Ende schien Claire nun doch ungewollt durchblicken zu lassen was für eine große Sache das war und das konnte man ihm nicht mal übel nehmen, immerhin war Cassie schon immer gut darin, den Berg von Hünen aus der Reserve zu locken.

Brummend, weil sein Mann Salz in ein Wunde gestreut hatte von der der Jäger nicht mal wusste dass sie da gewesen war, leerte er seinen Eintopf und schielte skeptisch zu seinem Übeltäter hinüber, als dieser ihn plötzlich doch noch zu sich bat.

Doch egal wie fies oder frech der Kerl zu ihm war, Clarence hatte ihm noch nie lange böse sein können.

Grummelnd wie es einem alten Brummbär alle Ehre machte, schob er klappernd das Blechgeschirr und die Schüssel mit dem Lappen aus dem Weg, um danach umständlich zu Cassie hinüber zu rutschen.

Die Arme seines Mannes fühlten sich wie Balsam um seine geschundenen Schultern an und der feste Kuss ließ sein Ohr kribbeln, wie nur das Böckchen es schaffte.

In Momenten wie diesen wusste er wieder, was ihm alles gefehlt hatte, bevor der Findling in sein Leben getreten war.

Mit einem leisen Seufzen ließ er den Kopf auf Cassies Schulter sinken und drückte sich etwas fester an ihm, nur hier die Erholung findend, die er nach zwei Tagen wie den zurückliegenden wirklich brauchte.

Ich bin nicht verrückt. Vielleicht ein bisschen… fanatistisch“, griff er den Begriff auf, mit dem man hier draußen die Leute bezeichnete, die aus seiner Heimat kamen und als völlig irre angesehen wurden, „…aber sicher nicht verrückt. So weit ist es noch nicht mit mir.“

Höchstens verrückt vor Liebe, das würde er sich gerade noch so gefallen lassen.

Denk Kopf etwas fester an die fremde schulter schmiegend, schloss er für einen Moment die vor Müdigkeit brennenden Augen.

Sie hat gesagt… dass ihr herzlich egal ist mit wem ich es treibe, solange es ihr dreckig geht“, versuchte er Adriannas Worte einigermaßen geordnet wiederzugeben. Die Rothaarige war schwach und im Delir gewesen, doch mit jedem Schlückchen Wasser ein klein wenig besser zu verstehen. Natürlich hatte sie sich, ihrer eigenen Natur treu, die Dinge etwas derber von sich gegeben, aber das musste er Cassie nicht unter die Nase reiben.

Und danach meinte sie… wenn ich mir schon endlich was aufreiße, ob ich mir nichts besseres hätte suchen können.“

Ein schmales Lächeln legte sich über seine Lippen, denn unzweifelhaft war das nicht als bösartiges Gefecht gegen Matthew auszulegen, dafür kannte er die junge Frau einfach zu gut. Sie hatte eben ein freches Mundwerk und dass sie das nicht einmal verlor wenn ihr ein Arm abgetrennt worden war, zeigte nur, dass sie ihren Kampfgeist noch lange nicht verloren hatte.

Ich hab ihr gesagt, dass es für mich nichts Besseres geben kann als dich. Damit hat sie sich zufrieden geben… erst mal, denke ich.“

Lautlos hob er den Kopf von der Schulter, um sich den Jüngeren aus nächster Nähe zu betrachten.

In dem fremden Gesicht erkannte er seine eigene Erschöpfung wider, seine Angst um den Menschen der ihm mehr bedeutete als das eigene Leben und in Matthews Augen die warme Zuneigung und Liebe, die auch er für den Jüngeren empfand.

Dass sie beide überlebt hatten, war ein so glücklicher Zufall, er konnte es noch immer nicht wirklich fassen.

Beinahe hätte er ihn verloren, nachdem er ihn – gefühlt – doch gerade erst gefunden hatte. Was geschehen wäre, wäre Cassie wirklich verunglückt, konnte Clarence für sich selbst nicht mal in Gedanken ausmalen.

Ich glaube… sie war so verstimmt, weil sie wusste… dass sie dich jetzt so schnell nicht mehr los wird…“ – und er auch nicht, denn wenn sie schon beide eine solche Katastrophe überlebten, würde Clarence seinen Geliebten nie mehr aus den Augen lassen.

Mühsam schluckte er den Kloß in seinem Hals herunter, der sich bei dem Gedanken daran seinen Mann zu verlieren schon wieder anbahnte, und zupfte zart an Matthews Pullover.

Du hast… mir immer noch nicht gesagt wo deine Schnitte herkommen. Ein paar Stimmen in einem Zeppelinwrack allein werden dieses Debakel wohl kaum angerichtet haben… Was ist passiert? Ceyda… hat keine solcher Schnitte. Warst du übermütig und musstest den Held spielen, mh?“


Matthew C. Sky

Es hätte normal sein sollen, aber man musste nicht in den Madman Forest gehen um für gleichgeschlechtliche Liebe gelyncht zu werden. 

In nahezu allen kleinen Siedlungen und Dörfern hatte sich die Annahme festgesetzt, dass ein Mann zu einer Frau gehörte und folglich eine Frau zu einem Mann. 

Fühlte man sich hingezogen zu einem Menschen des eigenen Geschlechts... war das nur selten kein Problem. 

In einer losen Gruppe Überlebender wo man kaum etwas miteinander zutun hatte und nur durch Zufall überhaupt die Bekanntschaft des jeweils anderen gemacht hatte, mochte das unproblematisch sein. 

In der Gemeinschaft einer kleinen Stadt oder Dorfes, tief verwurzelt im Familienclan, da sah die Sache anders aus. 

In den Metropolen lagen die Dinge anders. Die großen Städte waren nicht dem Aberglauben unterworfen, wer es sich leisten konnte, der frönte dem schönsten Leben und dem konnte es egal sein wen man liebte. 

Clarence hatte also weit mehr Mut gehabt als er vorgab nötig gehabt zu haben, aber weder er noch Matthew lebten ihr Leben unter einer Käseglocke. 

Sie wussten beide, dass es kein Selbstverständnis war dieses Thema klar und deutlich zu kommunizieren. Dass der Bär von Mann es trotzdem getan hatte zeigte, dass er nicht mehr bereit war einen Hehl aus etwas zu machen, dass für sie beide vollkommen natürlich war. 

Und es musste sie - zumindest hier - nicht scheren was andere darüber dachten. Sie brauchten weder den Segen von Adrianna, noch den von Ceyda oder Jeremy. 

Und was irgendwer davon halten mochte, dass sie einander liebten, dass war Matthew vollkommen egal.

Er wusste nämlich aus erster Hand, dass Männer weitaus öfter auf Männer standen als sie es zugaben. Und manche von ihnen standen sogar auf kleine Jungs. 

Nein, mit Cassie brauchte niemand darüber streiten was Sünde war, was sich gehörte oder was der Natur entsprach.

Er lachte leise, was seine Brust schmerzen ließ und küsste nochmal Clarence‘ Ohr. 

„Das klingt...wirklich nach ihr.“

Er kannte Adrianna weder lange noch gut, aber das Statement hörte sich ganz nach der jungen Frau an. 

„Ich weiß, dass das...schwer für dich war. D-deshalb hätte ich es n-nie von dir verlangt. Aber...“, er lächelte, was die Erschöpfung in seinem Gesicht beinahe verschwinden ließ, dann neigte er den Kopf und legte behutsam seine Lippen auf die des Blonden. Zart küsste er den Mund seines Geliebten, öffnete den eigenen einen kleinen Spalt breit und lud Clarence ein, seine Zunge gegen die eigene zu schmiegen. Es war ein süßer Kuss voller Liebe und er machte Matthews Bauch kribbeln und seine Lippen prickeln. 

„...es ist schön, dass ich das hier jetzt tun kann, wann immer ich will.“, flüsterte er gegen den Mund seines Mannes, ehe er die weichen Lippen nochmals behutsam für sich einnahm. 

Verträumt blickte er Clarence danach an, lehnte die Stirn an die des Größeren und musterte ihn aus der Nähe. 

Der Blonde sah müde und abgekämpft aus und er brauchte - wie sie alle - eine Pause. 

„Ich erzähl dir was passiert ist, aber zuerst... zuerst sehe ich mir deine Füße an und wir legen uns hin.“

Er löste das Band aus den gebändigten Haaren, woraufhin die blonde Mähne herab auf Clarence‘ Schultern fiel und sein Gesicht umrahmte. 

Vorsichtig kämmte er mit den Fingern durch die Strähnen, dann richtete er sich weiter auf. 

„Ich lege noch etwas Holz nach und hole frisches Wasser.“ und weil er wusste, dass Clarence protestieren würde, schnitt er ihm das Wort ab, noch ehe der Hüne es ergriffen hatte. 

„Ich schaff das schon. Ich passe auf.“

Und so war es auch. 

Schwankend kam er auf die Beine, tat wacklige Schritte und legte Feuerholz nach, gab den Hunden noch etwas Fleischreste und humpelte nochmal nach draußen um sich zu erleichtern. Mit im Schnee gewaschenen Händen kam er zurück zu ihrem Lager gehinkt, wobei er sich wieder Mühe gab, sich seine Schmerzen nicht so sehr anmerken zu lassen. 

Während frisches Wasser auf der zweiten Feuerstelle kochte, sammelte er frische Verbände ein, die Clarence mit den Kindern heute vorbereitet hatte. Mit noch heißem Wasser und sterilen Stoffen kehrte er zu ihrem Bett zurück wo Clarence bereits wartete. 

Er hatte die Schuhe ausgezogen, die Verbände aber noch nicht gelöst. Stattdessen wies er auf seine Blechtasse in der sich Wasser und seine Zahnbürste befand. 

Ungefragt - weil er sein eigenwilliges Böckchen kannte - erklärte er, sich die Zähne schon geputzt und die Zahnbürste dann ausgekocht zu haben, damit auch Matthew sie ohne Bedenken benutzen konnte.  

Diese Geste fasste auf verschroben-innige Weise ihr ganzes Verhältnis zueinander zusammen. 

Matthew, der in vielerlei Hinsicht merkwürdige Macken hatte und Clarence, der jede dieser Macken respektierte. Sie ergänzten sich auf eine Weise, wie es viele Menschen gar nicht konnten. Man hätte annehmen können, dass es aktuell schlimmere Dinge gab, als sich eine Zahnbürste zu teilen und obwohl der Blonde am heutigen Tage schon genug getan hatte und sicher erschöpft war, hatte er sich die Zeit genommen, seine Zahnbürste abzukochen - nur damit Cassie sie nehmen konnte. 

Der Dunkelhaarige nahm eben jene Geste mit einem beinah verlegenen Lächeln zur Kenntnis, bedankte sich fast schon schüchtern und ließ den Bären wissen, dass As nicht nötig gewesen wäre. Wäre es auch nicht. Aber, dass Clarence es trotzdem getan hatte, war schmeichelnd und unglaublich liebevoll und Matthew wusste es mehr als zu schätzen. 

Während das heiße Wasser abkühlte, putzte Matthew sich die Zähne und widmete sich dann der Versorgung seines Bären. 

Unter den Verbänden an Clarence‘ Füßen bot sich ein blutiges Schlachtfeld. Die tiefen Schnitte hatten es dem Schamanen nicht gedankt, dass dieser den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war. Das Gewebe war geschwollen, das Fleisch tiefrot. Geronnenes Blut klebte an den Wundrändern fest und ließ sich nur dank dem warmen Wasser wieder anlesen. 

Alles in allem sahen die Füße des Hünen aus, als sei er durch ein Feld voller Scherben gewandert  - was der Wahrheit leider nur allzu nahekam. 

Es dauerte eine Weile und brauchte Geduld und Akribi um die zerschnitten und zerfranstem Sohlen zu reinigen und zu verarzten. Nähen kam nicht in Frage, dazu war das Gewebe nicht frisch genug und gab außerdem nicht genug heile Haut her. 

Also machte Matthew die Wunden sauber, trocknete sie und legte zum Schluss einen neuen, gut gepolsterten Verband an um die Füße vor weiteren Schäden zu schützen. 

Erst als all das getan war, die Utensilien gereinigt und verräumt waren und die alten Verbände über dem Feuer auskochten, hatten die beiden jungen Männer wirklich Zeit füreinander. 

Matthew kletterte nach hinten auf ihr provisorisches Bett und nach einigen Minuten in denen er vergeblich versucht hatte eine bequeme Position zu finden, gab er schließlich auf. Zusammengekrümmt und vor Schmerzen fast rasend, blieb er einfach auf der Seite liegen und beobachtete, wie Clarence umständlich seinen Platz neben ihm einnahm. 

„Komm her. Was machst du... soweit weg von mir?“, mokierte er sich und klang beinah schon weinerlich. Ungeschickt robbte er selbst zu seinem Bären hin, weil es ihn- Schmerzen hin oder her - einfach zu diesem Kerl zog. Komme was wolle. 

Unverzüglich schob Cassie seine Finger unter den Pullover des Größeren und streichelte seinen Bauch, den Kopf bettete er auf der Brust seines Mannes und schloss erschöpft die Augen. „Morgen...bleibst du liegen. Deine Füße brauchen Pause... und d-du auch.“, nuschelte Matthew leise und zupfte unzufrieden an dem Pullover des Blonden herum. 

„Ist...dir noch kalt?“, wollte er wissen, was übersetzt so viel bedeutete wie die Frage, ob er den Pullover nicht lieber ausziehen wollte. 


Clarence B. Sky

Es hatte, nüchtern betrachtet, nur Vorteile, dass er sie auch vor Adrianna geoutet hatte.

Einerseits war es eine riesige Last die nun von seinen Schultern genommen war und auch wenn er das zum Glück nicht offen gefragt wurde, aber Clarence fühlte sich seltsam erleichtert, dass die Katze nun sinnbildlich aus dem Sack war.

Kein Katz-und-Maus-Spiel mehr, kein heimliches Verstecken und den anderen eine Gehirnwäsche verpassen, sobald die Rothaarige wacher wurde. Sie mussten keinem Erklären die Klappe zu halten und damit kam man schon zum zweiten Punkt:

Andererseits konnten sie sich nun endlich nahe sein und einander küssen, welches Augenpaar auch immer auf sie gerichtet sein mochte – da hatte Matthew voll und ganz recht.

Es war ein schönes Gefühl mit seinem Ehemann zusammen sein zu können, so wie jeder andere es auch ohne Gewissensbisse tun würde.

Matthew war der Mensch auf der Welt, der ihn am besten kannte. Der ihm, wenn er Wasser holen und Holz nachlegen wollte, das Wort abschnitt noch bevor Claire die Stimme erhoben hatte und der ihn mit diesen verliebten Augen musterte, während er ihm die blonde Mähne entwirrte.

Sie hegten und pflegten sich beide gegenseitig wie ein altes Ehepaar, Gaben aufeinander acht und hatten versprochen, in guten und in schlechten Zeiten füreinander da zu sein.

Eben jenes Versprechen lösten sie seit gestern ein weiteres Mal ein.

Als sie endlich mit allem fertig und beide in ihrem provisorischen Schlafgemach waren, zog Clarence sorgsam hinter sich den Vorhang zu und verbarg sie somit vor den Blicken der anderen. Die meisten hatten sich schon hingelegt oder schliefen gar; nur Constantin war noch wach, kümmerte sich um das Feuer und dachte vermutlich über Dinge nach, welche sie alle aktuell beschäftigten.

Er hatte nicht einmal mehr die Kraft sich gegen Cassies Anweisung morgen liegen zu bleiben zur Wehr zu setzen, so enorm spürte er die Müdigkeit auf sich einströmen, als er endlich von den Füßen gekommen war und lag.

Morgen… mache ich vermutlich keinen einzigen Handschlag mehr. Und du auch nicht“, fügte er leise hinzu, zog Cassie etwas dichter an sich heran und gab ihm einen zufriedenen Kuss auf den dunklen Schopf. Zufrieden deshalb, weil es warm war und sie beide satt, aber auch weil sie einander überhaupt noch hatten.

 

Dass er am nächsten Tag keinen einzigen Handschlag mehr erledigte, bewahrheitete sich in der Nacht relativ zügig. Die Lagerfeuerluft hatte seine Kehle trocken wie Schleifpapier gemacht und auf ein leises Schnarchen war plötzlich kein weiterer Laut mehr gefolgt – die Folge des Hämatoms an seinem Hals, das ihn immer weiter hatte zu schwellen lassen, bis er von der Trockenheit wie zugeklebt war.

Es war Matthews panischem Rufen und der Schlaflosigkeit Constantins zu verdanken gewesen, dass letzterer aufgesprungen war um Wasser zu holen und Clarence zu beruhigen. Seine Lippen waren schon blau gewesen, so wenig Sauerstoff hatte das krächzende Quietschen seiner Atemzüge noch durchgelassen und so atemnötig war er durch die angsteinflößende Unruhe seines Mannes geworden, dass er sich nicht mehr die wenigen Ressourcen hatte einteilen können, die er noch hatte.

 


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