Eiswüste
13. Juli 2210
Stille legte sich über den dunklen Spalt.
Eine Stille, die jegliches Krächzen, jedes Knarren und Heulen entbehrte.
Es war eine Stille wie ein schwarzes Loch, das alles in sich hinein fraß, um zu wachsen und noch mehr zu verschlingen.
Jedes Rascheln, jedes Reiben ging unter und verblasste zu einer Kälte, die einem bis tief ins Mark hinein kroch und frieren machte. Anstelle von Rauschen, hörte man das Klirren von heranwachsenden Eiskristallen in den Ohren brechen und der kondensierende Atem hüllte einen ein in Nebel, der einem die Sicht raubte, auf dass man sich verlief.
Die Dunkelheit hatte sich hinter Matthew überschlagen und aus einem hellen Einstieg in den Spalt war eine Schwärze geworden, die lautlos hinter dem jungen Mann zusammenbrach, einer Welle gleich, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Existenz zerteilte, um eins zu werden mit den endlosen Tiefen, die schon tausende Menschen verschlungen hatte. Sie brauchte ihre kalten Hände nicht auszustrecken um den Mann zu assimilieren… sie hatte es bereits getan und ihn eins werden lassen mit der bedrohlichen Leere.
„Kommst du mich holen? Ich bin hier… hier hinten. Kommst du zu mir?“, hallte die Stimme des kleinen Mädchens leise durch den Gang, fast gewispert, als wäre sie das Licht am Ende des Tunnels selbst, das zu Matthew sprach.
Leises Lachen, fern und so still als wäre es lediglich ein Atmen gewesen, wehte aus den metallischen Wänden heraus wie Kristallglas, über dessen Rand man mit einem nassen Finger strich. So schnell wie der Laut herbei geweht war, war er auch schon wieder vergangen und ließ einen daran zweifeln, ob er tatsächlich zugegen gewesen war.
„Mir ist so kalt… und meine Hände bluten. Hörst du mich…? Kannst du dahin kommen, wo ich bin…?“
Leise schallten schmale Kinderfüße im Gang wider, huschend am Ende des Tunnels, und erstarben in der Stille, die sich über alles gelegt hatte.
Nichts war mehr geblieben außer dem Licht weit vor Matthew, das den fahrigen Weg in eine Richtung wies. Hinter ihm war Schwärze, Metall und Wand… und der schmale Spalt, den er selbst noch hinter Ceyda durchschritten hatte um sich dabei die Schulter weiter aufzureißen, war verschwunden.
Die Narben, die der Absturz in das Wrack gerissen hatte, schienen langsam zu verheilen und Wunden wie Wege wurden zunehmend unsichtbar in dem tristen Gang, den Matthew beschritt.
Selbst der Punkt, an dem er sich bewegte, wurde zunehmend unangenehm eng… alles und jeden in die Richtung treibend, in der das fahle Licht sanft und Hoffnung versprechend schimmerte. Als Ziel, als Lager… als Ort, wo alles in Ordnung sein würde.
Wo Cameron wartete.
Wo Abel und Kain eng aneinander gerollt beisammen lagen.
Wo Ceyda bereits angekommen war.
Wo das kleine Mädchen seine Hilfe brauchte.
In Sicherheit.
In Sicherheit…
„Cassie? Cassie, komm her! Ich hab sie gefunden!“, hallte Clarence‘ kräftige Stimme an den unebenen Wänden entlang und durchschnitt die bedrohliche Stille, die einem vor lauter Leere dumpf in den Ohren schmerzte.
„Hier vorne, du musst dich beeilen! Ich brauche dich hier… hier hinten, ich sehe im Licht alles ganz genau! Im Licht sind wir!“
Licht…
Licht…
Licht…
Im Licht…
Komm ins Licht…
Komm zu uns…
Metallisch schnitt sich eine Eisenstrebe durch eine der zerborstenen Holzplanken, streifte Matthews Wade und riss ein blutiges Loch in die Hose. Bedrohlich und endgültig versank das Rohr in der anderen Seite der Wand und verhakte dich dort, um als Mahnmal und Hindernis zwischen den Beinen des jungen Mann zu verharren.
So plötzlich wie das Klirren des Eisens erklungen war, erstarb das Geräusch wieder und blieb als Vorwarnung in der Luft hängen.
„Ich will zu meinem P-Papa…“
„Kommst du zu uns, Cassie? Wir warten! Komm schon, wir brauchen Hilfe…
Kommst du?
Komm endlich…
Komm, du widerliches Drecksstück!“
Weißt du noch damals, wie sie geschrien haben?
Weißt du noch, wie ihr Blut in der Luft gerochen hat…?
So kalt… und so alleine…
Weißt du noch, wie sie geschmeckt haben…?
Ein Surren legte sich in die Luft, als eine weitere Eisenstrebe Matthew nachjagte und ihn am Oberschenkel erwischte, bevor sie sich in der gegenüberliegenden Wand verkeilte. Als würde sie sich herantasten, zielte die Gefahr immer weiter gen Herzhöhe, als sie ihn das nächste Mal an der Taille traf.
Du widerliches Drecksstück!
Dutzendware!!
Du ekelst mich an.
Komm ins Licht…
Komm ins Licht…
Komm ins Licht…
Du weißt, dass du ihr nie etwas bedeutet hast, oder?
Sie war eine Hure… eine widerliche Hure, die jedem Dahergelaufenen ihre stinkende Fotze gezeigt hat…!
Kein Wunder, dass aus dir nichts Besseres geworden ist…
Du fickst jeden und lässt dich von jedem ficken...
Denkst du, ich brauche dich für etwas anderes?
Er lobt dich wie ein Tier, damit er dir seinen dreckigen Schwanz reinstecken kann…
Du bist abartig… abartig!
Komm ins Licht
Ein spitzer Schrei überschlug sich den schmalen Gang hinab, gefolgt von dem Geräusch zerreißender Kleidung und atemlosen Grollens. Es war eine Stimme die eindeutig zu Ceyda gehörte und die ihre panischen Schritte auf unebenem Wrackgrund überdeckte, als versuche sie vor etwas wegzurennen, vor dem es kein Entkommen gab.
Dunkles Blut zierte die metallischen Wände, während ihr Wimmern den Spalt hinab gen Matthew schallte und sie versuchte sich vor irgendetwas zu wehren, gegen das sie nicht genügend Kraft hatte.
Hilflos bäumte ihre schmale Gestalt sich vor dem Licht auf, durchflutete ihre nackte Brust von der sie sich Pullover und Hemd bereits herunter gerissen hatte, bevor ihre Silhouette am Horizont des fahlen Lichts verschwand.
Manchmal ist man der Jäger
Und manchmal der Gejagte…
…nies nehcfähcS sad remmi tsriw du rebA
Aber du wirst immer ein Schäfchen sein….
…nies nehcfähcS sad remmi tsriw du rebA
Verdorbenes Schäfchen…
Dreckiger Bastard…
Schäfchen…
Dein Schäfer ist der Mann an deiner Seite…
Abartiges Stück Dreck…
Dein Schäfer ist der Mann der dich fickt...
Von allen Seiten schallte es lautlos von den Wänden wider, während der Gang sich hinter dem jungen Mann in Trümmer auflöste. Es gab kein Zurück mehr, nur noch ein Vorwärts über Trümmer, Gerümpel und an den Eisenstangen vorbei, die noch immer auf ihn abzielten.
„Keiner will dich hier, hörst du? Verschwinde!“, flüsterte die Stimme des kleinen Mädchens hallend über den Gang hinweg. „Keiner will dich hier, du Missgeburt…“

Konnte man sich in einem Gang verirren, der nur in eine Richtung wies?
Konnte man in der Schwärze des Nichts die Schuld der eigenes Existenz erkennen?
Konnte man in der Stille des Wracks die Stimmen jener vernehmen, die einen verachteten?
Ja.
Der Weg hinter Matthew war längst in sich zusammengefallen. Lautlos und still, wie ein einzelnes Blatt welches von einem Baum wehte. Man bemerkte das einzelne Blatt nicht, man sah das einzelne Blatt nicht.
Man sah erst, wenn der Baum kahl war.
War hinter ihm überhaupt je ein Eingang gewesen?
Und wenn ja, ein Eingang wohin?
Obwohl niemand sprach, hörte Matthew Stimmen. Er hörte sie in seinem Kopf, nicht mit seinen Ohren aber das machte keinen Unterschied.
Sie waren dennoch so real wie die eisige Winterkälte.
Clarence rief nach ihm und Matthew blieb stehen, plötzlich war er wie ein Reh im Lichtkegel einer Öllampe.
Sein Mann konnte nicht hier sein.
Sein Mann war nicht im Licht.
Mit schnell klopfendem Herzen verharrte er in dem viel zu kleinen Tunnel. Er spürte die Kälte des Metalls und die Wärme des Holzes, spürte wie der Gang schmaler wurde und ihn vorwärts treiben wollte.
Mit einem mahnenden Zischen durchtrennte ein eisernes Seil die Luft, peitschte gegen seine Wade und schnitt in das Muskelfleisch.
Matthew gab einen überraschten Schmerzlaut von sich und senkte den Blick herab, sein Herz raste. Er sah Blut sein Hosenbein tränken, sah wie der Stoff sich damit vollsog wie Löschpapier Tinte… dann blickte er wieder zum Licht.
Clarence rief.
Clarence rief ihn zu sich.
Aber Clarence konnte nicht hier sein.
Matthew setzte sich vorsichtig wieder in Bewegung. Er presste die Hände auf die Ohren um die Stimmen auszublenden.
Die Stimmen, die ihn ein Dreckstück nannten.
Ein Schäfchen.
Abartig.
Dutzendware.
Die Worte schnitten tief, tiefer als die Seile welche aus den Trümmern nach ihm schnappten, seine Kleidung durchtrennten und klaffende Schnittwunden hinterließen.
‚Er ist nicht hier. Er würde mich nie…nie so nennen.‘ - und doch plärrte Clarence ihn an, sagte widerliches Dreckstück zu ihm und klang dabei so angeekelt, dass es dem Dunkelhaarigen Tränen in die Augen trieb.
Er blickte zurück, doch falls es je ein Zurück gegeben hatte so war es nun nicht mehr da. Es gab nur den einen Weg, den Weg zum Licht und je näher er ihm kam umso lauter wurden die Stimmen, umso mehr drangen sie in ihn ein, versprühten ihr Gift und ernteten Schmerz.
„Halt’s Maul!“, rief Matthew plötzlich aus dem schwarzen Gang dem Licht entgegen.
Ceydas Gestalt war wie ein Schatten im hellen Schein gewesen. Sie hatte wild gestikuliert, sie hatte geschrien. Und dann war sie fort gewesen.
Dorthin aufgebrochen wo Clarence schon war.
Wo Kain und Abel schliefen.
Wo Adrianna und Cameron warteten. Sie warteten auf ihn.
„Warum sollte jemand auf ihn warten?“
„Damit sie ihn herumreichen können .“
„Herumreichen?“
„Herumreichen wie das Dreckstück das er ist.“
„Wer oder was ihn fickt, das war ihm immer schon egal.“
Gelächter hallte von den schroffen Trümmerwänden wider.
Matthews Schritte wurden eiliger bis er fast rannte, aber egal wie weit er lief, das Lachen verfolgte ihn.
Ein weiteres Stahlseil peitschte sirrend durch die Luft und streifte seine Brust, doch statt eines blutigen Striemens zerteilte es lediglich die ersten Lagen Stoff - nicht aber Clarence’ Pullover, in den der Blonde sein Böckchen eingewickelt hatte.
„Nicht weil er dich liebt, sondern weil er dich hasst.“
Wehte die fremde Stimme aus dem Licht.
„Du dummer Junge… glaubst du wirklich, er will etwas anderes von dir als dich zu ficken?“
„Halt’s Maul…“
„Mach dich nicht lächerlich… Er…“
„Halt einfach dein dummes Maul!“
„Du hast nur ein Talent…“
„Halt dein verfluchtes Maul!“
„…und das ist, für andere die Beine breit zu machen. Du…“
„Sei verdammt nochmal einfach still!“ brüllte Matthew in das Licht und tatsächlich senkte sich jäh eine Grabesruhe hernieder.
Die einzigen Geräusche die der Dunkelhaarige noch vernahm, war das eigene Keuchen und sein hämmernder Herzschlag. Mit dem Handrücken wischte er sich trotzig über die Wange, dann setzte er seinen Weg weiter fort. Zweimal geriet er dabei ins Stolpern, weil der Untergrund so uneben war.
Das Licht derweil… pulsierte träge und lockend. In einem ganz eigenen Rhythmus, gleichmäßig und stumm. Es war, als würde man einem Herzen beim Schlagen zusehen.
Ein faszinierender und beängstigender Anblick.
Matthew blieb stehen und presste für einen Moment die Hand auf den Schnitt an seiner Taille. Neben sich am kalten Metall, waren Schlieren von dunklem Blut, als hätte sich jemand mit einer verschmierten Hand beim Gehen abstützen müssen.
Auch Matt betrachtete seine Finger. Sie glänzten schwarz.
Nichts hatte mehr eine Farbe hier unten.
Es gab nur Licht und Dunkelheit.
Und es gab… den Geruch von Blut.
Zögerlich setzte Cassie sich wieder in Bewegung bis er das Ende des Tunnels erreichte und sich vor ihm das Licht wie eine gleißende Wand auftürmte.
„C-Ceyda?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Fiepen und er räusperte sich.
„Ceyda! Egal was du siehst oder hörst…b-bleib stehen hörst du? Bleib stehen wo du b-bist und w-warte!“
Ein tiefes, nicht menschliches Grollen war die Antwort auf sein Rufen und hinter ihm knarrte und quietschte der Trümmergang. Vorsichtig streckte Cassiel einen Arm vor sich aus und berührte mit blutverschmierten Fingerspitzen das Licht. Er rechnete damit zu verbrennen, aber das tat er nicht. Der grelle Schein war weder kalt noch warm, er war einfach… das Äquivalent zur Düsternis.
Das Äquivalent.
Das Gegenteil.
Matthew zog hastig seine Hand zurück und wischte das Blut an seiner Hose ab.
So wie das hier nur ganz anders war es gewesen, als er mit Clarence in Miami gewesen war.
Eine der großen Metropolen der Alten.
Nur dass sie nie dort gewesen waren.
Matthew erinnerte sich an alle Einzelheiten des Traums, er erinnerte sich an die Zufälle, an die Spiegelungen in den glänzenden Fensterscheiben. Er erinnerte sich an Clarence und daran, wie er sich in den Kopf geschossen hatte.
Die Vetala nährten sich an ihren Opfern während diese wohlige Träume träumten. Diese unheilvollen Wesen töteten einen während man schlief ohne es zu ahnen.
Schlief er jetzt auch?
Nein. Nein. Das hier war anders. Das hier war gleich.
Es war wie das Licht zur Dunkelheit.
Es war das Gegenteil.
„W-Was immer du bist… ich hab dich durchschaut, hörst du?!“ - er leckte sich über die Lippen.
Der Zeppelin war ein Grab und diese Stadt? Die war auch ein Grab. So viele Tote. So viele verirrte Seelen.
So viel Futter für die Totenfresser.
„Ich weiß…w-was du vorhast. Aber du…kriegst uns nicht.“
Matthew versuchte entschlossen zu klingen, so entschlossen wie man eben sein konnte in solch einer Lage. Clarence, der richtige Clarence, der hätte längst gewusst was hier vor sich ging. Aber er war nicht hier und er würde auch im Licht nicht auf ihn warten.
Er wartete draußen auf ihn, draußen beim Lager - und dorthin hatte Matthew vor auch zurückzukehren.
„Ceyda! Ceyda rede mit mir. Du darfst nicht… du darfst den Stimmen nicht glauben, hörst du? Den Stimmen die… die dir schreckliche Sachen sagen.“
Noch immer bekam er keine Antwort. Trotzdem straffte er seine Schultern und trat hinaus aus der Dunkelheit und hinein ins Licht.
Und kaum so geschehen, drang das Klirren zahlloser kleiner Silberglöckchen durch die Luft. Ein beruhigendes Geräusch, sommerlich und friedvoll und doch assoziierte Matthew mit diesem Klang nicht etwa Geborgenheit und Heimat - sondern das Nahen des reinweißen Schimmels des gütigen Mannes. Des Schäfers.
„Willkommen daheim, Junge.“
Draußen heulte und pfiff der Wind. Sicher schon seit einer Stunde.
So klar der Tag am Morgen auch gewesen war, so langsam und unauffällig war der Himmel auch zugezogen. Anfangs beinahe weiß, waren die wattigen Wolken durch den Ausschluss der Sonne beinahe dunkelgrau geworden und ließen die Welt unter sich das volle Ausmaß ihrer Gewalt spüren.
Lucy und Gabriel wären am liebsten hinaus gerannt, vermutlich hatte der Junge nie bewusst Schnee erlebt und das Mädchen es schon wieder vergessen, so klein musste sie beim letzten Mal gewesen sein. Im sonnigen Rio Nosalida kannte man die Kälte wahrscheinlich nur aus der Nacht, doch sie auf solche Weise zu erleben, das forderte die Aufmerksamkeit der beiden Kinder – und er konnte es ihnen nicht mal übel nehmen.
Es hatte lange gedauert, bis er sie hatte verstehen machen, dass sie erst wärmere Sachen für die beiden finden und sauber machen mussten und dass der Schnee nicht von jetzt auf gleich hinfort schmelzen würde. Morgen war immer noch ein Tag, an dem man das kalte Weiß erleben und erforschen konnte, doch heute standen noch wichtigere Dinge an, auch für die beiden Quälgeister, die eigentlich gar keine waren.
Für zwei Kinder, die ohne Eltern unterwegs und mit einem Zeppelin abgestürzt waren, schienen sie alle beide einigermaßen gefasst und wenigstens Lucy zeigte kein Fremdeln den Erwachsenen gegenüber, die das Wort über das Camp und auch die beiden Kleinsten hatten. Auch wenn sie schon in einem Alter schien, in dem man in der Lage war gerne und lang zu diskutieren und am Ende beleidigt zu sein, schien sie es völlig einzusehen, dass sie angesichts der aktuellen Lage kein Mitspracherecht hatte sondern das Kind sein durfte und musste, das sie eigentlich noch war.
Natürlich war es nicht einfach gewesen den beiden nahe zu legen was alles anstand wenn man es hier erträglich machen wollte, vor allem deshalb, weil man ihnen erst einmal erklären musste, wieso und weshalb man nicht sofort aufbrach um ein Dorf oder eine Stadt zu suchen.
Adrianna, die noch immer tief und fest schlief und deren Verband nicht schlechter aussah als in der Nacht wenige Stunden zuvor, hatten sie vorerst gemieden und sich um wichtigeres gekümmert:
Lucy hatte Stoffe und Kleidung in brauchbar und unbrauchbar sortiert, damit Clarence sie in Streifen reißen und Gabe sie in ein ausgebeultes Stück Metall mit Schnee werfen konnte, um sie später gemeinsam auszukochen, am Feuer zu trocknen und danach zusammenzulegen.
Sie hatten zusammen einige der Schränkte und Tische umgeschoben, die als Bett oder Schlafschutz fungierten, um jedem einen festen Platz in geordneten Riegen zuzuweisen, ohne sich einander die Wärme des Feuers zu nehmen oder gar Privatsphäre – denn aus den Stoffen, die groß genug waren, hatten sie Bettdecken und Vorhänge für die nun allesamt einigermaßen überdachten Betten geknotet. Jeremy würde würdig trauern können, wenn er seine Familie heute nicht mehr fand, Adrianna konnte in Ruhe und fernab der Blicke zu Kräften kommen, Ceyda musste sich nicht der wachsamen Blicke so vieler Männer ausgesetzt fühlen und er selbst würde ein paar ruhige Minuten mit seinem Mann haben, um eben jene Dankbarkeit des Überlebens des anderen auszuleben, die Jeremy gegebenenfalls nicht verspürte.
Sicher, die einzelnen Lager waren durch den harten Untergrund und die wenigen Möglichkeiten der Polsterung alles andere als bequem… aber es war mehr, als man je hätte ob ihrer Situation erwarten können.
Mittlerweile köchelte eine eintönige und dünne Suppe über dem Feuer vor sich hin. Bestehend aus Wasser, Fleisch und einer Hand voll getrockneter Kräuter, die Lucy und Gabriel aus seiner Sammlung hatten heraussuchen dürfen auf dass die Kinder nicht die ganze Gruppe vergiftete, war ihr Essen besser als nichts und auch Adrianna hatte er einen guten Becher voll fettiger Brühe einflößen können, damit er hoffentlich ihre Lebensgeister wechselte, wenn es schon das Wechseln des Verbands nicht tat.
Als der Schneefall draußen noch erträglich gewesen war, hatte er vor dem Gebäude im Schnee Pfeife geraucht und versucht durch das weiße Flimmern hindurch etwas drüben am Wrack zu erkennen… ohne wirklichen Erfolg. Dass Jeremy noch nicht zurück gekehrt war um ihn für Hilfe zu holen, sollte sich als einigermaßen gutes Zeichen interpretieren lassen und doch kannte er das Schicksal gut genug, um sich vorzustellen zu können, dass alle drei beim Trümmerrutsch erschlagen oder Jeremy bei der Umkehr gestolpert und im Schnee erfroren war.
Da jedoch noch lange kein Abend Einzug über den Himmel hielt, versuchte Clarence noch immer seine Sorge herunter zu schlucken und hatte sich gemeinsam mit der ebenfalls zunehmend ängstlichen Lucy abgelenkt, indem die Kinder ihm einen Verband umgelegt hatten. Lediglich provisorisch, schlang sich nun ein langes Stück Stoff um seinen Oberarm, direkt unter der Achsel – und einmal um seine Brust herum, feste zusammengezurrt. Das hielt seine Schulter hoffentlich erst mal in der Pfanne und ihn davon ab den Arm unüberlegt so schnell zu heben, dass es weh tat.
„Okay… ihr habt alles, ja? Die Decke? Und eure Becher?“
Kurz lehnte er sich nach vorne um auch alles im Blick zu haben. Zu dritt auf dem Lager der Kinder sitzend und mit dem Rücken an das flach aufrecht gestellte Regal gelehnt, teilten sich die beiden einen Überwurf und auch sein Blechgeschirr hatte er hergegeben, damit die beiden aus Schüssel und Becher genug abgekochtes heißes Wasser tranken. Das würde sie nicht nur warm halten, sondern auch ein wenig satt und die Suppe etwas aufsparen bis sie wussten, wie viele Überlebende die anderen noch gefunden hatten… oder eben nicht.
„Gut… dann los. Aber ich lerne noch, also keine doofen Kommentare“, warnte er die beiden vor und schlug die erste Seite des Buches auf, das auf seinem Schoß lag.
Moby Dick weckte in ihm dunkle Erinnerungen an Schmerzen und daran das Bett zu hüten, aber auch an eine sehr warme Zeit voller Zuneigung mit seinem Mann, eng aneinander geschmiegt in ihrem Bett. Wenigstens war es nur der Zeppelin gewesen der zerschellt war und nicht etwa die Harper Cordelia…
Eigentlich kannte er die ersten drei Kapitel schon auswendig, dennoch versuchte er sich die Mühe zu machen sie tatsächlich zu lesen, damit die Kinder nicht den Unterschied merkten und er dann etwas besser im Trott war.
„Worum geht’s in der Geschichte?“, wollte Lucy wissen und hob den Buchdeckel auf seinem Schoß an, um sich die abgeblätterte, goldene Prägung mit dem Wal anzusehen.
„Wollt ihr euch nicht lieber überraschen lassen? Das ist doch viel interessanter, als alles schon zu Beginn zu wissen…“
„Ja, aber Gabe mag keine Drachen, die machen ihm Angs- hey!“ – Mit verzogenem Gesicht rieb sie sich über die Lippen, in die ihr Bruder sie heimlich unter der Decke gekniffen zu haben schien.
Da mochte es wohl jemand ganz und gar nicht, wenn seine Geheimnisse ausgeplaudert wurde… was Clarence gut verstehen konnte, wie er den Jungen mit einem warmen Lächeln wissen ließ.
Blutend lag Matthew auf dem Rücken und blickte zu dem dunkler werdenden Himmel auf.
Die Sonne war im Begriff unterzugehen, dass sah er nicht an der gelben Kugel selbst - denn die war hinter einer Wolkendecke ziemlich versteckt - aber er sah es an den Farben der Wolken.
Sie waren hellgrau und anthrazit und hatten einen rötlichen Schimmer, dort wo sie dünn genug waren um das Abendlicht hindurchscheinen zu lassen.
Ein schöner Anblick. Melancholisch irgendwie.
Er hörte Ceyda rufen, sie klang aufgeregt aber nicht in Gefahr und er versuchte ihren Ruf zu erwidern, aber seine Stimme war so dünn und so schwach.
Außerdem war ihm schlecht. Kotzübel um genau zu sein. Und würde sein alter Lehrmeister und Folterknecht jetzt hier sein um ihm zu sagen, dass Schmerz nicht wehtat er würde ihm das Maul stopfen. Elende scheiß Binsenweisheit.
Schmerz tat verflucht weh, deshalb hieß es ja Schmerz!
Tatsächlich fühlte sich der junge Mann aktuell außer Stande sich zu beherrschen und darauf zu fokussieren, das heiße pochende Ziehen durchtrennter Muskeln nicht zuzulassen.
Der Schmerz hatte ihn einfach überwältigt und nun lag der Dunkelhaarige seit Minuten im Schnee und wartete darauf, dass die Übelkeit und der Schwindel nachließen.
Wenigstens - und das war wirklich ein Lichtblick - würde er in der hereinbrechenden Finsternis nicht allein sein, wenn er den Rückweg antrat.
Wieder rief Ceyda und Matthew versuchte sich aufzurappeln. Die Schnitte die er sich im Wrack zugezogen hatte waren echt gewesen, die dazugehörigen Stimmen aber...?
Mittlerweile kam ihm die ganze Episode wie ein wirrer Traum vor. Die Dunkelheit, das Licht, die Stimmen, die Erinnerung an das Pferd des gütigen Mannes.
Kurz nachdem er ins Licht getreten war, waren alle Geräusche verstummt und ein heißer, stechender Schmerz war durch ihn gegangen. Viel zu kurz um zu schreien, aber derart heftig und unerwartet, dass er sonst mit Sicherheit geschrieen hätte.
Und dann... war plötzlich auch das Licht weg gewesen und der Schmerz wieder vollständig verklungen.
Als wäre er nie da gewesen.
Danach hatten Ceyda und er sich wiedergefunden , kurz pausiert und sich schließlich bewusst getrennt, um in einem anderen Teil des Flugschiffes zu suchen, aber bisher hatte die junge Frau niemanden gefunden.
Bisher.
Den Rufen Ceydas nach hatte sie nun zumindest eine Person aufgespürt. Wenige Minuten später rief sie wieder, dieses Mal überrascht und Matthew stellte sich vor, wie sie zusammenzuckte als sie die zwei Überlebenden erblickte, die Cassie zu ihr geschickt hatte.
Constantin hatte an Board des Zeppelin gearbeitet, er hatte die Tiere versorgt, die als Fracht mitgereist waren.
Und Zoe... zu wem Zoe gehörte, wussten sie alle.
Von dem Trubel auf der anderen Seite des Flugschiffes ungerührt, waren derweil die anderen zwei Überlebenden.
Matthew drehte den Kopf zur Seite und betrachtete einen der Geretteten.
„Clarence bringt mich um.“ er hustete, was höllisch wehtat.
„Wahrscheinlich bringt er uns beide um. Und deinen Bruder gleich mit dazu.“
Schuldbewusst winselte der schwarze Wolf und legte den Kopf wieder zurück in den Schnee, dicht an Matthews Wange.
Abel indes legte sein Kinn auf den Oberschenkel des jungen Mannes, der einzigen Stelle die nicht wehtat - zumindest auf der einen Seite nicht. Sein Pendant hatte einen tiefen Schnitt abbekommen.
Eisern presste Cassie seinen Arm gegen seinen Bauch um die Blutung zu stoppen. Etwas, dass natürlich seinen Rippen nicht allzu gut tat. Er musste aufstehen, das wusste er, aber er hatte schon Schwierigkeiten sich hinzusetzen...
Aber sowas zählte nicht. Er konnte ja schlecht hier liegenbleiben.
„Na los... auf ein Neues.“
Mit dem gesunden Arm stützte er sich im Schnee ab und stemmte sich hoch, seine Sachen waren mit Blut vollgesogen und sein zerbissener Arm pulsierte heiß und klebrig.
Lautlos standen Abel und Kain auf. Der helle Rüde schonte ein Bein etwas, dem dunklen Wolf fehlte augenscheinlich nichts außer einer Ohrspitze.
Beide beäugten das Mühsal Matthews aufzustehen, fiepten leise vor Unbehagen und wedelten vorsichtig mit den Ruten, als der junge Mann endlich stand.
Schwer atmend ließ er den Kopf hängen und kniff die Augen zu, die Welt um ihn herum drehte sich viel zu schnell und er war drauf und dran bewusstlos zu werden, doch bevor es soweit war, packten ihn ein paar kräftige Arme unter den Schultern um ihn zu halten.
„Hey hey. Nicht zusammenklappen.“
Matthew kannte die Stimme nicht, aber das Knurren von Kain und Abel konnte er einordnen.
Er öffnete träge die Augen wieder und versuchte seinen Körper zu straffen und seinen Muskeln zu sagen, sie sollten ihn gefälligst tragen.
„Schon gut, ich bin okay...geht schon wieder.“
benommen wich Matthew ein Stück zurück, wobei seine Beine ein wackliges Konstrukt waren.
Der Fremde ließ ihn nur zögerlich los und behielt die Arme ausgestreckt, für den Fall, dass Matthew nochmal wegsackte - was er aber nicht tat.
Nun stapfte auch Ceyda auf ihn zu. Sie blieb in ein paar Metern Entfernung stehen, atmete erschöpft durch und wedelte mit der Hand in Richtung des braunhaarigen Mannes.
„Das ist....“, sie keuchte. „Miguel Carlos.“, stellte sich der Mann vor und Matthew nickte.
„Jeremy ist mit Zoe und dem Pagen schon aufgebrochen. Ich hab noch eine Frau gefunden. Sie ist schon zum Lager.“
Matt nickte. Ceyda musterte ihn aus der Distanz, dann nickte sie zu den Tieren.
Kain hatte sich quer vor den jungen Mann gestellt und Abel schirmte ihn vor Miguel ab.
„Die gehören zu euch, nehm ich an.“ - „Was hat sie verraten?“, fragte Matthew lakonisch zurück und lächelte erschöpft. „Weiß auch nicht, vielleicht ihr Schutztrieb.“, auch sie lächelte vage.
„Du siehst nicht gut aus. Wir sollten gehen... schaffst du es oder soll ich den Schlitten holen?“
Wie sich zeigte, schaffte Matthew es.
Doch der Rückweg dauerte wesentlich länger, weshalb die kleine Gruppe erst in der Finsternis den Supermarkt erreichte.
In der Dunkelheit vor der Tür konnte man einen noch dunkleren Schemen ausmachen und das sporadische Glühen einer Pfeife.
Jeremy, Zoe und Constantin waren schon vor einer Weile angekommen und nun löste sich auch Ceyda von dem kleinen Tross um vorzulaufen.
„Es geht ihm soweit ganz gut.“, ließ sie Clarence ungefragt wissen ehe sie an ihm vorbei und in die Wärme schlüpfte.
„Geh ihr nach, ich schaff den Rest alleine.“ Matthew wollte ein paar Minuten mit Clarence und ihren zwei Wildfängen allein haben und schon gar nicht wollte er, dass ein Fremder ihn zu seinem Mann eskortierte.
„Nein, ich pass besser auf dich auf.“ erwiderte Miguel, der außer einer Schramme im Gesicht und einer Brandwunde am Arm keine nennenswerten Verletzungen davongetragen hatte. Matthew hätte bestimmt über so viel Engagement gelacht ginge es ihm nicht so bescheiden. Deshalb sparte er sich das Lachen.
„Der Mann da draußen, der da vor der Türe steht...“ - er deutete mit dem Zeigefinger des gesunden Arms auf Clarence.
- Hmhm was ist mit dem?“
Miguel blieb an seiner Seite, zwar getrennt durch Abel, aber dicht genug um ihn zu stützen falls nötig.
„Der passt auf mich auf.“
Matthew musste nicht zu dem anderen sehen um zu wissen, dass die Botschaft nun endlich angekommen war.
Miguel schwieg einen Moment, dann nickte er.
„Okay, verstehe. Kein Problem...ich dachte nur es sei sicherer.“
Aber noch sicherer als in der Nähe seines Mannes und ihrer gemeinsamen Zöglinge konnte Matthew nirgends sein. Miguel, der das begriff löste sich also aus seiner Position neben Matthew und stiefelte zügiger nach vorne.
Und obgleich Cassie sich hätte unbehaglich fühlen sollen, so ganz allein in der Dunkelheit dieser Geisterstadt, so empfand er gerade nichts weiter als Dankbarkeit, als er sah, dass sich der dunkle Schemen seines Mannes in Bewegung setzte um ihn abzuholen.
Das leise Glimmen seiner Pfeife konnte das heulen des Windes nur mäßig überdecken. Durch jedes Loch und jede Spalte schien das biterkalte Wetter zu ziehen und hinterließ ein Pfeiffkonzert, dass man glatt meinen konnte, ihr verlassener Markt wäre von Geistern heimgesucht worden.
Trotzdem hielt die aufgestellte Regalwand das Schlimmste ab, ihr Lager warm und die Kinder einigermaßen zufrieden in der miserablen Lage.
Clarence hatte sich mit zunehmender Dunkelheit solche Sorgen gemacht, dass er gerade hatte seinen Mantel überwerfen wollen, um letztlich doch nach dem Rechten zu sehen. Nicht mal nach ein paar Stunden waren die drei zur Mittagszeit zurück gekehrt, was ihn erst sauer hatte werden lassen, schließlich bekümmert. Er hatte es noch nie gemocht, wenn sein Mann angeschlagen war und dabei Pausen oder eine warme Mahlzeit verweigerte und doch kannte Claire ihn gut genug um zu wissen, dass Cassie nicht einfach alles stehen und liegen lassen konnte, wenn er gerade bei etwas voran kam.
Nicht zurück zu kommen, musste nicht heißen, dass etwas geschehen war. Es hieß vielleicht, es war jemand gefunden worden den sie erst stabilisieren oder für den sie einen neuen Schlitten bauen mussten, weil sie alles in Reichweite hatten. Sie mussten vielleicht Trümmer stabilisieren, um einen Verletzen darunter heraus zu ziehen. Vielleicht hatten sie noch mehr Kleidung und Nahrung gefunden oder Medikamente und waren gerade dabei, alles zusammen zu tragen.
Das und noch mehr hatte Clarence sich gesagt um seine Besorgnis zu besänftigen und genau in jenem Moment, als er sich den Mantel über geworfen hatte weil alles gute Zureden nicht mehr half, hatte er die Rufe draußen vor der Tür gehört.
Seitdem hatte der Blonde Jeremy seinen neuen Platz gezeigt, hatte mit ihm Sachen für Zoe heraus gesucht und mit ihm die Schrammen gesäubert, welche die Kleine hatte. Erstaunlich leicht war der Lockenkopf verletzt – zumindest körperlich. Das mochte vor allem auch daran liegen, dass ihre Mutter Mary sie bei dem Absturz mit dem eigenen Körper geschützt hatte.
Die Wunden, die Zoe hatte, waren eher seelischer als körperlicher Natur. Einen ganzen Tag und eine Nacht hatte sie verängstigt, ohne Wasser und Nahrung, in völliger Kälte, am Leichnam ihrer erschlagenen Mutter gewacht und gehofft, dass ihr Vater sie finden und retten würde.
Genau das hatte er getan und in Jeremys Gesicht sah man den zerrissenen Ausdruck eines Mannes, der um seine Frau trauerte und gleichsam unendliches Glück wegen des Überlebens seines Kindes verspürte. Zoe war eisig kalt und sprach wenig, was man ihr aufgrund ihrer Situation auch zugestehen konnte; vielleicht würde ihre Zunge etwas auftauen wenn es auch ihr Körper getan hatte, weshalb Jeremy nun mit ihr dicht beim Feuer saß und versuchte, ihr ein wenig heißer Brühe einzuflößen.
Auch Ximena – die nur Spanisch sprach - und Constantin waren kurze Zeit darauf eingetroffen und alle beide hatten, wie auch zuvor Jeremy, ihm zuerst die Frage beantworten müssen, ob es Ceyda und vor allem Matthew gut ging.
Mit Lucy und Gabriel hatte er genug Lager vorbereitet, um auch gefundene Überlebende aufteilen zu können und so dauerte es nicht lange, bis die beiden sich eine Stelle ausgesucht und sich in trockene Tücher gewickelt hatten, um sich ebenfalls am Feuer zu wärmen. Die Verletzungen der beiden waren überschaubar, lediglich der ein oder andere tiefe Schnitt blutete noch immer und musste später von ihm genäht werden und Constantin hatte sich gestern ein paar Finger einrenken müssen, um zurecht zu kommen.
Beide waren sie gestern erst spät wieder zu Bewusstsein oder aus den Trümmern raus gekommen, die sie eingeklemmt hatten. Jeder für sich die vernünftige Entscheidung getroffen, sich einen halbwegs sicheren Unterschlupf im schneegeschützten Inneren zu suchen und dort zu übernachten; später hatten sie nach Nahrung und Brauchbarem gesucht genauso wie sie hier im Lager es gestern schon getan hatten, nur um heute aufeinander zu treffen.
Die Rückkehr seines Mannes dauerte ihm viel zu lange und doch war es schon zu dunkel, um ihm blind in eine Richtung entgegen zu kommen. Seine Pfeife lenkte ihn, ganz im Gegensatz zu sonst, heute nur wenig ab und als schließlich Ceyda aus der Dunkelheit vor ihm auftauchte um ihm zu sagen, seinem Mann gehe es soweit ganz gut, brauchte es keine weitere Sekunde mehr, um die Glut im Schnee auszukopfen und seine Pfeife im Mantelinneren verschwinden zu lassen.
Soweit ganz gut hieß, dass es Matthew ganz und gar nicht mehr so ging wie am Vormittag als er aufgebrochen war.
Er war erst ein paar Meter auf die dunklen Schemen in der Schneeverwehung vorgelaufen, da durchschnitt ein aufgeregtes Blaffen die Luft und ließ Clarence wie angewurzelt stillstehen, um ungläubig eben jenem Schatten entgegen zu blicken, der sich aus dem dunklen Wust löste.
Erneut schallte ein lautes Bellen durch die Luft, gefolgt von einem dritten, als sich anschließend ein dunkler Hund mit Mutter aus ewiges Eis aus dem Dunkel heraus löste um ihm um die Beine zu rennen und aufgeregt an ihm empor zu steigen.
„K… Kain… mein guter, guter Junge…“ – er wusste gar nicht wie ihm geschah, voller Unglauben fuhr er dem dunklen Hund durchs Fell den Claire damals mühsam aufgepäppelt und von dem er gedacht hatte, ihn nie wieder zu sehen.
Aufgeregt mit der Rute schlagend und lautstark bellend, wandte er sich wieder in die Richtung aus der er gekommen war - mit einem Ausdruck im aufgedrehten Gesicht, als fände er den Titel Guter Junge meilenweit untertrieben.
Clarence ließ sich nicht zwei Mal auffordern ihm zu folgen, bis Kain ihn auch zu seinem anderen Herrchen geführt hatte… und zu seinem Bruder, mit dem der Jäger genauso wenig gerechnet hatte wie mit den ganzen Überlebenden, die Cassie und Ceyda in seine Richtung geschickt hatte.
Nicht mal genügend Luft um Abel bei seinem Namen zu rufen fand er mehr, so wenig hatte er die beiden bei Rückkehr an Matthews Seite erwartet und so sehr überrumpelten ihn Tränen der Überraschung und Erleichterung, während denen er den hellen Hund zwischen den Ohren kraulte.
„D-Du… hast unsere H-Hunde dabei!“, brachte er es mit erstickter Stimme auf den Punkt, ganz so als müsste er es Cassie noch mal sagen, falls er es nicht selbst gemerkt hatte.
Einen stillen Moment lang sah er seinen Mann einfach nur an, erkannte die Erschöpfung, die Schmerzen in seinem Gesicht und verschmiertes Blut auf der Stirn des Dunkelhaarigen. Alles Dinge die ihm nicht gefielen und die er weiter erkunden würde wenn Matthew wieder im Warmen war, die aber noch zwei Sekunden warten konnten, solange der Jüngere in der Lage war, halbwegs alleine zu stehen.
Mit dem Handrücken wischte er sich durch die Augen, bevor er Matthew an der Schulter zu sich zog und ihn vorsichtig in seine Arme schloss. Er war so unendlich dankbar dass sein Mann wieder da war und nicht nur das, sondern sogar mit Abel und Kain im Schlepptau.
Wie viel Glück konnten sie haben, dass keiner von ihnen vieren gestorben war? Wen mussten sie nur alles auf der Seite haben, dass ihnen niemand genommen worden war?
„Ich… l-liebe dich so… - g-geht es dir gut? Was ist passiert?“, wollte er mit heiserer Stimme wissen und strich Cassie mit der Hand über die blutige Stirn, doch das Rot war schon festgetrocknet.
„E-Erzähl… mir alles und s-sag mir… wo du unsere beiden gefunden hast. Hast du d-dir weh getan im Wrack? M-Muss ich… muss ich dich f-flicken?“
Eine unnötige Frage, immerhin kannte er Matthew. Dem Hünen reichte ein einziger Blick in sein Gesicht um zu erkennen, die Antwort auf seine Fragen war einheitlich „Ja“ und im schlimmsten Fall würde ihn diese Sisyphusaufgabe bis tief in die Nacht hinein beschäftigen.
Vermutlich würde Claire, wenn es so weit war, dann doch seinem Mann ins Gewissen reden und seine Drohung vom Morgen wahr machen müssen; doch bis dieser Punkt erreicht war, lag noch viel Zeit vor ihnen.
„Ihr habt euch… w-wirklich viel Zeit gelassen, mh? Ich dachte schon…“, er seufzte und unterdrückte damit ein Schluchzen, „…ich dachte, ihr wärt verschüttet worden und… kommt vielleicht gar nicht mehr w-wieder. Sogar… L-Lucy und Gabriel wollten schon… schon los und nach euch suchen…“
Schniefend kämmte er mit der guten Hand durch Cassies Haar und kontrollierte, ob das verschmierte Blut auch nicht von einer Kopfplatzwunde kam, die sein Mann versuchen würde ihm zu verschweigen.
Kain sprang erneut an ihm hoch – zum Glück, denn Matthew sah nicht so aus als würde er gerade einem solchem Stoß standhalten können – und der Blonde interpretierte als Schubs in die richtige Richtung, um seinen Mann erneut an sich zu ziehen.
Warm raunend küsste er das durchfrorene Böckchen und schloss dabei für einen Moment die Augen. Die Lippen des anderen waren kalt und trugen den Geschmack von Eisen auf sich, etwas das der Blonde nicht gerne an seinem Partner wahr nahm und das doch besser war, als wäre er gar nicht zurück gekehrt.
„K-Komm… komm mit mir ins Warme, ans Feuer zu den a-anderen. Gabe und ich… haben Verbände gemacht und L-Lucy… beim Kochen geholfen. Sogar Addy war kurz wach“, schob er dabei einen Arm um Cassies Rücken um ihn zu stützen und fuhr mit der anderen Hand ihren beiden Hunden über den Kopf, um sie zum Mitkommen aufzufordern.
„Du legst dich… artig hin und ich schaue, was dir alles fehlt. Wir bekommen das hin, okay? Ich versuche auch… nicht mehr mit dir zu schimpfen als nötig.“
Die Hunde - die wahrscheinlich mehr Wolf waren als alles andere - stürmten zu eben jenem dunklen Schemen der unverkennbar zu Clarence gehörte.
Obwohl Matthew kaum mehr als Umrisse erkennen konnte, rührte es ihn an zu sehen, wie sein Mann auf ihn zu gehumpelt kam und wie er von Kain überwältigt wurde.
Matthew lief noch ein paar Schritte, dann blieb er stehen, flankiert von Abel der aufgeregt kläffte, ihn aber nicht verließ.
Die beiden Rabauken wieder bei sich zu haben… wieder komplett zu sein… dass war ein Gefühl unter dessen Wucht man schon mal in Tränen ausbrechen durfte und genau das tat Matthew auch als Clarence näher kam.
Seine vertraute Stimme tat so gut und hatte nichts mit dem bösen Zischen gemein, das Matthew im Zeppelin gehört hatte.
Clarence weinte Tränen des Glücks und der Überraschung und stellte völlig perplex fest, dass Matthew ihre Hunde gefunden hatte, eine Feststellung die der Dunkelhaarige mit einem kurzen Lachen quittierte.
Der Zauber des Augenblicks… lag nicht in der verschneiten Kulisse, nicht in den Sternen die vereinzelt durch die Wolkendecke funkelten. Er lag… im tränenerstickten Lachen des Blonden und im aufgeregten Bellen von Abel und Kain. Matt, der unglaublich erschöpft war, fand in eben jenem Moment vollkommenen inneren Frieden.
Ihre Familie war wieder vollzählig und egal was es gekostet hatte: der Preis dafür war nicht zu hoch gewesen.
Clarence’ so glücklich zu erleben, rührte in Cassiel etwas an für das er selbst keine Worte hatte.
So viele Jahre hatte dieser Mann nicht gelacht, noch nicht einmal gelächelt… Nun betrachtete der Jüngere ihn und die Hunde, sah sich zufrieden seine Familie an und stellte für sich im Stillen fest, dass er zu jeder Zeit immer alles tun würde um sie vollständig zu halten. Und Clarence glücklich.
Das Lachen dieses Mannes war magisch und er wollte es hören. An jedem einzelnen Tag seines restlichen Lebens.
Müde wischte er sich mit dem Daumen die Tränen unter den Augen ab und schniefte leise.
Ihm tat alles weh, die zahlreichen Schnitte hatten ihn einiges an Blut verlieren lassen, dazu die Anstrengung und die Kälte. Trotzdem schmälerte das seine Freude und Dankbarkeit in keiner Weise.
„S-sie waren noch im Frachtraum. Ich h-hab vorher Constantin gef- gefunden und d-dann…unsere Jungs gesucht.“
Der Frachtraum war fast vollständig zerstört gewesen und in den verbliebenen Käfigen hatten viele tote Tiere gesteckt. Die meisten zerquetscht, andere durchbohrt von den Metallstäben ihres Gefängnisses und wieder andere waren vermutlich erfroren. Einige wenige Gatter waren auch offen gewesen und von den Insassen keine Spur.
Doch viel war ohnehin nicht übrig gewesen.
„Ich w-wollte nicht… d-dass es so spät wird. Ich wusste du m-machst dir Sorgen. T-tut mir leid.“
Vorsichtig und dennoch bestimmt schloss der Blondschopf ihn endlich in die Arme und Matthew ließ sich ungewohnt schwach ein bisschen in diese fallen.
Alles zusammen genommen war er jetzt in einem deutlich schlechteren Zustand als heute Vormittag, aber immerhin hatten sie einige Überlebende gefunden, womit sie zumindest ihr Ziel erreicht hatten.
„Ssscht… hey alles g-gut. Ich h-hab doch v-versprochen d-dass… ich dich nicht alleine lasse.“
Aber er hatte dennoch gewusst, dass Clarence vor Sorge verrückt werden würde. Denn andersherum hätte ihn ein solches Versprechen auch nicht beruhigt. Sie waren beide zu lange Teil dieser rauen Welt um sich von Worten nicht etwas vormachen zu lassen.
Alle Versprechen einer baldigen Rückkehr waren vergebens, wenn das Wrack ihn verschlungen hätte. Manche Ereignisse ließen sich nicht verhindern, aller guten Vorhaben zum Trotz. Da half es wenig, wenn man dem anderen versprochen hatte wohlbehalten zurückzukehren.
Leise raunend erwiderte Cassie nun den süßen Kuss den Clarence ihm gab und hob den gesunden Arm, um die Hand für die Dauer jenes Augenblicks an die bärtige Wange zu legen, wie er es so oft tat.
Ein leichter Wind frischte auf, wirbelte Schneekristalle um ihre Beine und trieb die Wolken weiter auseinander, sodass silbriges Mondlicht über die leeren Straßen der Stadt floss und schließlich auch die beiden jungen Männer umhüllte.
Trotz der Wärme die der Blondschopf mitgebracht hatte fröstelte Cassiel spürbar in der Umarmung, was den Größeren schließlich dazu brachte den Kuss zu beenden und ihn stattdessen in Richtung Lager zu lotsen.
„Ihr s- seid fl-fleißig gewesen.“ erwiderte der Jüngere mit bibbernder Stimme und lächelte bei der Vorstellung wie Clarence die Kinder beschäftigt und zu sinnvollen kleinen Arbeiten angehalten hatte.
„Ich h-hab mir n-nichts anderes gedacht. A-aber…w-wie geht’s dir, hm?“ Wahrscheinlich hatte sich Clarence nicht geschont. Für den Moment aber wusste er von sich selbst abzulenken in dem er Adrianna erwähnte.
„W-wie geht’s ihr? K-konnte sie etwas essen und t-trinken? H-hat sie F-Fieber bekommen oder i-ist n-noch alles g-gut soweit?“ wollte er genaues über Adriannas Zustand wissen, als sei er selbst nicht lädiert genug. Aber die junge Frau, die ihn eigentlich nicht leiden konnte und die zu verachten Matthew vorgehabt hatte kurz nach ihrem Kennenlernen, war ihm mittlerweile unerwartet ans Herz gewachsen.
Wahrscheinlich eine einseitige emotionale Verbindung, aber wenn man einem Menschen den Arm abhakte und dieser sich dafür auch noch bedankte, dann war das ein sehr tiefgreifendes Ereignis und konnte einen zum Umdenken bringen. Die junge Frau war so tapfer gewesen, so stoisch in ihrerArt und so…verbissen, wenn es darum ging gegen den Tod zu kämpfen, dass es unmöglich war ihr etwas anderes zu wünschen als jenen Kampf zu gewinnen.
„I-ich h-hab H-Hunger und m-mir ist kalt. Richtig k-kalt. Und ich b-bin s-so m-müde…“
Räumte er ein, was so viel bedeutete, dass er nicht gegen den Vorschlag des Größeren protestieren würde.
Sich hinzulegen klang in seinen Ohren gerade einfach nur traumhaft. Gemeinsam durch den Schnee humpelnd, während Abel hinkend folgte und Kain artig an Matthews Seite blieb so als habe er ein schlechtes Gewissen, erreichten sie schließlich den Supermarkt.
Von drinnen wehten leise Stimmen nach draußen und obgleich sie eine Gruppe Fremder waren, so war es doch gut diese Stimmen zu hören. Sie waren alle Überlebende und in diesem Schicksal vereint, ganz gleich was sie sonst alles voneinander unterscheiden mochte.
Clarence wollte gerade schon die Tür öffnen, da hielt Matthew ihn an der Hand zurück.
„W-warte noch k-kurz.“, umständlich und mit zittrigen Fingern kramte er in seinen Hosentaschen und winkte den Blonden schließlich wieder zu sich als er fündig geworden war. „Komm h-her, ich h-hatte dir noch w-was anderes versprochen h-heute.“, Cassie lächelte und hob vielsagend das Haarband in die Höhe.
„M-mach dich bisschen k-kleiner für mich.“ , bat er und musste schmunzeln als der Blonde ihm diesen Gefallen tat.
Den Schmerzen in seinem zerbissenen Arm zum Trotz hob er selbigen an und streckte ihn aus, fasste mit der gesunden Hand die ungebändigte Mähne zusammen und brachte Ordnung in das Chaos. Etwas umständlich schlang er das Haarband um den geformten Knoten, zurrte es fest und fixierte so das Haar an Ort und Stelle zu einem Dutt.
„Jetzt ist a-alles wieder richtig...“ er lächelte zufrieden mit dem Ergebnis und drückte den blutigen Arm wieder an seine Brust. „Lass uns reingehen...d-du gehst v-vor und ich k-komm mit den b-beiden nach. S-sie w-werden einen extra P-Platz brauchen.“
Er liebte die zwei, aber sie konnten unmöglich mit auf die Konstruktion die als Bett fungierte. Nicht nur weil sie dann selber keinen Platz mehr haben würden um sich vernünftig auszustrecken, sondern auch weil jeder der beiden mindestens dreißig Kilo wog und ihr provisorisches Bett diese Mehrbelastung vermutlich gar nicht aushalten würde.
Als Clarence die Tür öffnete schlug Matthew warme Luft entgegen und die eigene Kälte wurde ihm noch mehr bewusst. Mit den Hunden im Schlepptau trat er ein und schob im Anschluss wieder das Regal vor den Eingang.
Die Stimmen waren nun lauter, er hörte Ceyda langsam und deutlich sprechen und dann eine andere Frau auf Spanisch antworten. Ihre Stimme war hektisch und Cassie verstand sie nicht richtig... hoffentlich hatte Ceyda da mehr Glück.
Kain und Abel wedelten aufgeregt mit den Ruten, anders als den meisten anderen Überlebenden hatte ihnen die Kälte weniger zugesetzt, wohl aber der Hunger und auch wenn die Suppe nur dünn sein mochte, so hatte sie den Duft von Fleisch und Kräutern in den Raum gebracht.
Cassiels Magen knurrte leise vor sich hin während er näher kam und schließlich das neu aufgeteilte und sinnvoll arrangierte Lager betrat.
Clarence hatte Ordnung aus dem Chaos geschaffen, was zuvor noch wild verstreut oder auf einem Haufen gelegen hatte, war gestapelt und einander zugeordnet. Es gab ein Regal in dem ihre Nahrung lag, die Kleidung war zusammengelegt worden, es gab Verbandszeug, Stoffstreifen kochten über einem zweiten Feuerplatz aus und über dem Hauptfeuer hing ein provisorisches aber zweckdienliches Gefäß in dem die Suppe köchelte.
Die Schlafplätze waren verrückt und verbessert worden, wacklige Konstruktionen gegen stabilere ersetzt und über jedem Schlafbereich spannte sich mindestens ein Vorhang um so etwas wie Privatsphäre zu ermöglichen.
„Hi!“, machte er in die Runde und hob den gesunden Arm. Die spanisch sprechende Frau nickte ihm zu, Zoe sagte nichts - sie kuschelte mit ihrem Papa und schlief fast im Sitzen, Miguel und Constantin nickten und erwiderten seinen Gruß und Ceyda sagte: „Komm, iss was, du siehst aus als kannst du es brauchen.“
Und wahrlich, dass konnte er. Trotzdem schüttelte er den Kopf.
„Ich m-muss das erst v-versorgen lassen...“
Was er meinte war unnötig zu sagen, der Ärmel seines Oberteils war mit Blut getränkt.
„Tut‘s sehr weh?“ fragte Lucy. Sie sah ihn mit großen Augen an und Gabriel schaute nicht weniger verängstigt drein.
„N-nein. Ist n-nur ein Kratzer.“, Matthew rang sich ein Lächeln ab, ließ die Hunde mit einer Handbewegung absitzen und setzte sich dann in Bewegung um die zwei Kinder anzusteuern.
Vor ihnen ging er in die Hocke. „Du zitterst! Du brauchst ein heißes Bad!“, verkündete der Junge und Cassie lächelte erneut. „Oh j-ja...ein h-heißes Bad wäre sch-schön. Aber... es g-geht schon wieder w-wenn ich eine Weile hier drin b-bin. Hattet ihr einen g-guten Tag? Clarence h-hat gesagt ihr h-habt ihm geholfen.“
Lucy nickte und Gabriel sah verschmitzt in Richtung Clarence. „Er hat uns auch vorgelesen.“ verriet er und Cassie sah auch zu dem Blonden hinüber.
„Mo-Moby Dick?“ -„Ja glaub ich!“
„O-okay. Ich g-geh mich jetzt kurz ausruhen. A-aber vorher...w -will jemand z-zu dir.“
Matthew zog einen der insgesamt drei Pullover aus seinem Hosenbund, langte unter den Stoff und zog einen Plüschteddy unter seinem Pullover hervor.
Mister Teds war an einer Seite etwas schwarz versengt und sein Stummelschwanz war abgerissen. In seinem Rücken war ein Loch - dort hatte ein Holzstück in ihm gesteckt, aber Matthew war sicher, dass sie diese Wunde genäht bekamen.
Gabriels Augen füllten sich schlagartig mit Tränen als er das Stofftier sah und er riss es Matthew förmlich aus der Hand bevor er ihm weinend um den Hals fiel und schluchzte.
Cassie legte den gesunden Arm um das Kind und hielt es bei sich so lange der Junge es brauchte. Dann gab er ihn frei und wuschelte ihm durch das Haar.
„Sch-schon gut. P-pass gut auf ihn a-auf.“
Vermutlich würde Gabe ihn so schnell nicht mehr weglegen.
„Danke.“ sagte Lucy, die ihren Bruder nun an sich drückte während dieser wiederum seinen Teddy an sich knautschte.
„Gern geschehen.“ und wirklich: das war es.
Matthew erhob sich wieder und humpelte zu ihrem Lager, hin zu Clarence um endlich auch nach ihm zu sehen. Das hatte den ganzen Tag ja niemand getan.
Wie so oft und wie man auch aus eigener Erfahrung wusste, war man am meisten abgeschlagen, wenn man erst einmal angekommen war.
Man arbeitete sich plötzlich nicht mehr warm, hatte keine Ablenkung mehr von den eigenen Schmerzen und wurde sich schlagartig bewusst, wie kaputt man eigentlich am Ende des Tages war.
Deutlich spürte Clarence die Schwäche des Kleineren in seinen Armen, fühlte das friedende Bibbern des vertrauten Leibes und hoffte inständig, dass sein Mann in den kommenden Tagen nicht noch krank wurde.
Gerade wollte er nichts lieber als ihn rein in die Wärme bringen, ihn in eine warme Decke einwickeln und vom Dunkelhaarigen zu retten, was noch zu retten war. Nur weil er heute noch wohlauf war und laufen konnte, hieß das nicht, dass er das gesundheitlich auch noch morgen früh oder in ein, zwei Tagen schaffte; umso vehementer würde er Cassie an ihren Schlafplatz verweisen, ganz gleich welche Argumente sein Mann dagegen aufbringen würde.
Bevor er sich allerdings in die Wärme einladen ließ, hielt Matthew ihn zurück, um das am Morgen gegebene Versprechen einzulösen. Eine Geste die angesichts seines Zustands völlig unnötig war, wie Clarence versuchte ihm beizubringen, die sein sturer Partner sich aber nicht nehmen ließ… und irgendwie hatte er damit auch recht, immerhin wäre der Bär dabei wohl genauso dickköpfig gewesen. Versprochen war versprochen und bislang hatten sie einander noch immer alles gehalten, egal was es gewesen war.
Jedoch ließ er es sich ebenso nicht nehmen, sich beim Aufrichten auf dem Weg noch einen Kuss von seinem Mann zu stehlen: „Komm jetzt, mein kaltes stures Böckchen… der König will dich drinnen in seinen Gemächern haben, wo er dich wieder aufwärmen kann.“
Er musste dort nicht Im Dienste seiner Majestät stehen, wie Cassie es noch vor zwei Nächten frech formuliert hatte. Einfach nur da sein würde dem Bärenkönig heute schon völlig ausreichen.
Als sie endlich das sichere Lager erreicht und betreten hatten, überschlug Clarence kurz die Anzahl der Anwesenden. Mitsamt den Neuen waren sie komplett und hatten niemand draußen in der Kälte vergessen, auch keines von den Kindern und keinen Hund.
Es war eine seltsame Atmosphäre, die sich über den Supermarkt gelegt hatte. Wo am Morgen noch alles trist und grau gewesen war und eine bedrückte Stimmung über ihrer viel zu kleinen Runde gelegen hatte, herrschte jetzt plötzlich… das pure Leben.
Jeremy strich durch das Haar seiner Tochter, Ximena und Ceyda versuchten sich mit Händen und Füßen miteinander zu verständigen. Über allem lag nun der Geruch von warmem Essen anstelle von verstaubten Lumpen und einem ruinösen Lager. Miguel unterhielt sich mit Akzent aber gut verständlich mit Constantin und über allem hing plötzlich eine Art Hoffnung und Frohsinn, die es noch wenige Stunden zuvor nicht gegeben hatte.
Clarence hatte mit den Kindern einige Schlafstätten mehr gezaubert, von denen nun zum Glück einige belegt worden, andere aber noch frei waren. Er bezweifelte, dass sich alle füllen würden und doch hatte auch ihre kleine Gruppe noch einen Verschollenen zu beklagen. Der Blonde mochte nicht viel von Cameron Barclay halten, doch einen schmerzhaften Tod in einem abstürzenden Zeppelin, das wünschte er nicht mal diesem Typen.
Im hellen Schein des Lagerfeuers ließ sein Mann sich gleich viel besser betrachten und gerade die Stille, die schlagartig um Clarence herum herrschte, verriet einem, was er davon hielt seinen Mann so zu sehen. Das verschmierte Blut an dessen Stirn war eindeutig das geringste Problem gewesen. Seine Hosenbeine waren blutgetränkt, ebenso sein Pullover, und die Kleidung ziemlich durchlöchert. Nach Bloß mal im Wrack gewesen und Leute gesucht sah das nicht gerade aus und dass Lucy mit ihrem kleinen Bruder im Schlepptau auf sie zustürmte um Cassie zu überfallen, kam ihm da gerade Recht.
Unauffällig und wortlos ließ er sich etwas zurück fallen, betrachtete sich den Jüngeren mit etwas Distanz und machte sich dann auf den Weg zu ihrem Lager, das nun weiter am Rand lag – so, dass man alles im Überblick hatte und etwas außen vor schlief.
Matthews Anblick tat ihm im Herzen weh, mehr noch, als wäre er selbst verletzt worden. Dieser Mann war alles was er hatte und jeder Schnitt, jeder Blutstropf hielt ihm vor Augen, dass er nicht ausreichend auf ihn Acht gegeben hatte. Hätte er vehementer sein sollen am Morgen? Hätte er darauf bestehen sollen, selbst nach Überlebenden zu suchen?
Was dann gewesen wäre, würden sie nie erfahren und doch nagte das ungute Gefühl an ihm, nicht genug getan zu haben.
Sich selbst anbrummend so wie er es sonst nur dann in den seltenen Fällen tat wenn Matthew ihn mit etwas enttäuscht hatte, legte er eine Handvoll frischer Verbände auf ihrem provisorischen Bett parat, deckte ihre Unterlage mit einem anderen Stoff ab um nicht alles in Blut zu tränken und zog an einem dünnen Faden seine Nadel aus dem Gefäß, in dem auf dem zweiten Feuer frische Stoffe auskochten. Zoe hatte er damit eine Schnittwunde am Arm genäht, die sie sich beim Hinausklettern aus dem Wrack zugezogen hatte aber selbst wenn die Neuen auch noch versorgt werden mussten, die kurz vor Cassie eingetroffen waren, so ging sein Mann definitiv einfach vor.
Sorgsam schlug er die sterile Nadel in sauberem Stoff ein und machte dich danach daran, warmes Wasser zum Reinigen der Wunden heran zu schaffen. Den neugierigen Blick von Gabriel und Matthew hinüber zu seiner Wenigkeit nahm er dabei durchaus wahr – aber auch, was oder wen Cassie aus seiner Kleidung zauberte.
Mister Teds, den Gab tränenreich vermisst hatte auch während er mit den Kindern alleine gewesen war, war endlich zu seinem Besitzer zurückgekehrt so wie Abel und Kain zu ihnen. Das Bild, welches Matthew abgab mit dem kleinen Jungen im Arm, konnte es einem ganz warm werden lassen in der Magegrube – und heiß auf dem Bauch selbst, als Kain ihn von hinten anrempelte und Claire dabei das heiße Wasser ein wenig auf sich verschüttete.
„Ahh… du musst aufpassen, du Rabauke! Los, da hin, das ist euer Platz“, rief er den dunklen Hund und dessen Bruder auf eine Decke neben ihrem Bett ab, die er dort für die beiden ausgebreitet hatte. Dass sie nun tatsächlich genutzt wurde anstatt in einigen Tagen deprimiert weggeräumt zu werden… das war etwas, das er immer noch nicht so richtig begreifen konnte. Ganz im Gegensatz zum Grund, warum die beiden so aufgeregt waren.
„Mhh… ihr habt bestimmt seit gestern nichts mehr getrunken, mh? Das ist es“, erkannte er des Pudels Kern und kramte stattdessen im Rucksack nach der Blechschüssel der beiden. Wenn er damals schon gedacht hatte, er würde seinen Rucksack gut einpacken können, hatte er das Talent seines Mannes massiv unterschätzt. Der hatte so viel Kram hier rein gestopft, dass Claire beinahe Angst haben musste, die Nähte würden ihm platzen.
Diesmal ohne etwas zu verschütten, schaffte er seinen beiden Lieblingen etwas abgekühltes Wasser herbei und ging in angemessenen Sicherheitsabstand, da die beiden sofort darüber herfielen wie die Irren. Sicher knurrten ihnen auch ordentlich die Mägen, jedenfalls falls sie sich im zerstörten Frachtraum ihre Mitreisenden nicht zu Leibe geführt hatten.
„Hier“, forderte er schließlich auch Matthew auf und hielt ihm seinen zerbeulten Blechbecher entgegen, als der Jüngere sich endlich von Gabe und Mister Teds gelöst hatte um zu ihm zu finden, wo er hingehörte. „Trink was, du siehst furchtbar aus. So hab ich dich nicht losgeschickt heute Morgen.“
Er versuchte wirklich den Vorwurf aus der Stimme zu lassen, was ihm – für seine Verhältnisse – auch recht passabel gelang.
Als er leer war, nahm er ihm den Becher wieder ab und legte unumwunden kommentarlos Hand an seinen Mann an, um ihm aus den vollgebluteten Kleidern zu helfen. Im besten Fall sah er in den Lumpen weit schlimmer aus als es darunter tatsächlich war und er begab sich umsonst in horrorartiges Kopfkino. Doch wie sich mit jeder Schicht herauskristallisierte, waren sie vom besten Fall Lichtjahre entfernt.
Seufzend ließ er die Kleidung beiseite fallen, nahm die Hand seines Mannes in die eigene und wendete ihm vorsichtig den Unterarm, in dessen Haut sich alles abzeichnete, aber nicht die Trümmerteile eines Wracks.
„Waren das unsere?“, wollte er wissen, immerhin war er nicht auf den Kopf gefallen was Wunden anging. Aber im Frachtraum waren vielleicht auch noch andere Tiere gewesen, die alle das gleiche Problem gehabt hatten: „Sie müssen… unheimliche Angst gehabt haben. Werden erst in einen Käfig gesperrt, bis alles anfängt zu beben… und dann die lange Warterei, bis sie gefunden werden. Ich hätte… besser darauf bestehen sollen zu laufen statt zu fliegen, dann wäre ihnen das erspart geblieben… - und dir auch“, fügte er deprimiert hinzu und drehte Cassie vorsichtig an den Schultern herum, um sich auch seine Rückseite betrachten zu können.
Nein, so wie jetzt hatte Clarence ihn heute früh nicht losgeschickt. Sogar Matthew musste das einsehen.
Verlegen senkte er den Blick und sagte nichts dazu, weil alles was er sagen konnte ohnehin nur wie eine Ausrede klingen würde.
Im warmen Schein des Feuers trat er ein Stückchen näher an ihr neues Lager und betrachtete sich angespannt die zurechtgelegten Verbände, die ausgekochte Nadel samt Faden. Er wusste, was kommen würde, würde unangenehm werden, aber es war unerlässlich, dass er sich versorgen ließ, sonst würde er in ein paar Tagen garantiert eine Blutvergiftung haben.
Schon so manches Mal hatte Clarence ihn zusammenflicken müssen, aber egal wie sehr sich Matthew vorher betrank oder wie wenig Stiche es nur brauchte… ausgerechnet beim Nähen war er zimperlich.
Er hasste das Gefühl wenn der Faden durch seine Haut gezogen und dann festgezurrt wurde, vom Stechen der Nadel ganz zu schweigen.
Aber jammern hatte noch nie geholfen und deshalb hatte er in der Vergangenheit auch kaum gejammert.
Vorsichtig half Clarence ihm aus den verschiedenen Schichten Kleidung, bis alle Pullover und Shirts abgelegt waren und Matthew nur noch ein Unterhemd als Oberteil trug. Ein Hemd, dass mehr verriet als es noch verdeckte.
„Du h-hast einen schönen Platz aus diesem Ort g-gemacht.“, sagte er leise, die Stimmen der anderen im Hintergrund. Zu sagen, es sei ein Ersatz für ein Heim, wäre wahrlich zu viel. Aber es war auf jeden Fall mehr ein provisorisches Zuhause als ein Notlager. Clarence hatte aus dem was sie hatten das Beste herausgeholt und es war ihm gelungen einen Platz der Wärme und Sicherheit zu schaffen, an dem man sich ausruhen und wieder zu Kräften kommen konnte. Und das war das Wichtigste. Dass man einen Ort hatte an den man gern zurückkehrte von draußen.
Ohne etwas zu erwidern - er war vermutlich zu bekümmert von seinem Anblick - half Clarence ihm auch noch aus dem vollgebluteten Unterhemd. Dann nahm er vorsichtig seine Hand um einen besseren Blick auf den Unterarm zu bekommen und betrachtete die ausgefranste Bisswunde.
Matthew musste gar nichts sagen, der Größere erkannte auch so was er sah und wusste, dass diese Art von Verletzungen nicht vom Klettern im Wrack herrührten.
„K K-ain… er war eingeklemmt, ich hab versucht ihn zu bef-freien. Er hatte Schmerzen und A-Angst und…dann ist das passiert.“ auch wenn es nicht so wirkte als sei Clarence wütend auf den dunklen Wolfshund, so wollte Cassie auch nochmal bekräftigen, dass es keine böse Attacke gewesen war. „I-ich h-hab ihn rausgezogen und d-dann hat er s-sofort losgelassen.“, erklärte er bibbernd während Clarence ihn an den Schultern drehte um auch seinen Rücken zu kontrollieren. Die Wunde an der Schulter, die schon heute Morgen hässlich gewesen war, war den Tag über hinweg nicht schöner geworden. Die Ränder des klaffenden Lochs waren fransig und trocken, das Blut längst angetrocknet und geronnen an den äußeren Bereichen. Nur im Innern, dort wo das Geländer ihn gepfählt hatte, schimmerte zähflüssiges Blut.
Von seiner linken Seite erstreckte sich der dunkle Bluterguss seiner gebrochenen Rippen und des geprellten Unterbauchs bis zum Rücken hin, sodass ein Teil der tätowierten Flügel dunkel-lila verfärbt war.
„D-du k-kannst nichts d-dafür, niemand w-wusste, d-dass das T-Teil abstürzt.“ Duzende Zeppeline legten jeden Tag in Rio Nosalida an und und ab und von denen stürzte nicht ein einziger hinunter. Natürlich gab es solche Unglücke hin und wieder, aber dass ausgerechnet sie abstürzen würden wenn sie ein einziges Mal flogen…damit hatte nun wirklich niemand rechnen können.
Langsam drehte Matthew sich wieder zu Clarence um, sah in das bekümmerte, besorgte Gesicht seines Geliebten und seufzte leise.
„Ach B-Bärchen…a-alles w-wird gut. W-wir h-haben uns und d-die zwei B-Babys, w-wir k-kommen hier weg. W-wir s-sind schon h-hundert M-Meilen w-weit gelaufen. W-wir schaffen auch d-das.“
Er hob den gesunden Arm und legte ihn über Clarence gesunde Schulter um ihn sanft an sich zu ziehen und ihn zu drücken. Er liebte diesen Mann so sehr und es war schmerzlich zu sehen, dass er sich Vorwürfe machte.
Vorsichtig - um seine Sachen nicht noch mit Blut zu verschmieren, stellte sich der Kleinere kurz auf die Zehenspitzen und stahl seinem Bären einen Kuss.
„D-Du flickst m-mich wieder zusammen und in…ein, zwei T-Tagen g-gehts schon wieder b-besser, hm?“ Vielleicht war das wirklich so, vielleicht würde Cassie aber auch die kommenden ein, zwei Tage komplett durchschlafen.
Aktuell war ihm jedenfalls danach.
„F-Fuck…m-mir ist s-so k-kalt. B-Beeil dich, okay?“
Clarence bekam noch einen Kuss, dieses Mal auf die Wange. Ceyda, die zu ihnen geschaut hatte wandte nun den Blick ab und wieder gen Flammen.
Der Dunkelhaarige war in keiner guten Verfassung, dass sah man schon von weiten.
„W-weißt du… da drin… in…d-dem Wrack…“, Cassie leckte sich über die Lippen und zögerte. Der Blondschopf der bereits alles vorbereitet hatte, tat ein paar letzte Handgriffe, mischte heißes Wasser mit kühlem Wasser das zuvor schon abgekocht worden war. Dann tunkte er eines der sauberen Tücher hinein, wrang es aus und begann vorsichtig damit, den warmen Lappen über die blutverschmierte Haut seines Böckchens zu bewegen. Konzentriert und mit ruhigen Händen, als sei Cassie aus hauchdünnem Glas.
Er löste die getrockneten Blutschlieren und legte auf diese Weise erstmal die eigentlichen Wunden frei und verschaffte sich einen Überblick. Nicht alle Verletzungen würden genäht werden müssen, aber einige der Schnitte waren zu tief um sie offen zu lassen.
Zitternd vor Kälte versuchte Cassie die Schmerzen auszublenden die er überall hatte und die durch die warme Raumtemperatur auch noch zu Pochen anfingen.
„D-da w-war etwas…eigen-artig.“
Er wusste selbst nicht so recht wie er die Situation beschreiben sollte. Zum Einen erinnerte er sich nicht mehr besonders gut daran - so als wäre alles ein Alptraum gewesen. Und zum Anderen machte das Erlebte auch kaum einen Sinn. Trotzdem wollte er Clarence davon erzählen, einfach weil es zum Teil die Schnitte und Wunden erklärte. Und natürlich auch, weil er wissen wollte was sein Mann davon hielt.
Mit einem interessierten „Hi.“ machte Lucy unvermittelt auf sich aufmerksam. Sie war bis auf wenige Meter herangekommen und schien kein bisschen Angst vor dem Blut zu haben, dass sie auf Matthews Körper sah.
Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schien nicht so recht zu wissen ob es in Ordnung war hergekommen zu sein.
„Du bist ziemlich verletzt.“, stellte sie besorgt fest und schaute zu Matthew. „Es g-geht s-so. Cl-Clarence versorgt m-mich. Er ist g-gut darin.“ erwiderte Cassie, ohne sich der Gefahr seiner Worte bewusst zu sein. Denn Kinder hatten das Talent zwischen den Zeilen Dinge zu hören und anders als Erwachsene konfrontierten sie einen unbefangen mit der Wahrheit. So auch Lucy als sie sagte:
„Das heißt wohl, dass du dir öfter wehtust. Du solltest besser auf dich aufpassen.“
Eine Feststellung so unumstößlich wahrhaftig und so trocken kommentiert, dass sie auch von Clarence hätte stammen können.
„M-Manchmal.. g-geht das nicht so g-gut. Aber d-du hast schon recht.“ - damit schien Lucy zufrieden. Sie wirkte noch immer besorgt und angespannt, aber auch noch immer unschlüssig. Sie sah aus wie jemand der etwas wissen wollte, sich aber nicht getraute zu fragen.
Das Thema Wrack war nun allerdings erstmal vom Tisch so lange das Mädchen bei ihnen war, immerhin sollte sie nicht noch mehr verängstig werden als sie vermutlich ohnehin schon war.
„Wird das jetzt zugenäht?“ wollte sie an Clarence gewandt wissen. „Ich hab schon mal gehört, dass ein Junge genäht werden musste.“, ihrem Geplapper nach zu urteilen hatte sie nicht nur keine Angst vor Blut, sondern war auch noch sehr interessiert am Thema Wundversorgung.
Cassie, der eigentlich hart im Nehmen war, gab der Kleinen keine Antwort, stattdessen ließ er Clarence leise wissen, dass er sich setzen musste.
„N-nur k-kurz. Ich muss nur k-kurz… ausruhen.“, versprach er während er sich schon auf das Bett setzte und sich etwas nach hinten lehnte, sich mit dem gesunden Arm hinter sich abstützend. Kaum eine halbwegs angenehme Position gefunden, machte er die Augen zu, hörte das Knistern des Feuers, die Stimmen der Überlebenden und das leise Plätschern von Wasser, wenn Clarence den Lappen neu benetzte und dann auswrang.
Lucy schien instinktiv zu begreifen, dass die Situation ernst war, sie schwieg still und betrachtete beide jungen Männer mit großen Augen, jeden Handgriff des Schamanen verfolgte sie aufmerksam und gespannt. Ihr Blick glitt zum Gesicht des Dunkelhaarigen als die Nadel zum ersten Mal durch seine Haut stach, sie sah das widerwillige Zucken seiner Mundwinkel, das Zusammenziehen seiner Brauen und das Rümpfen seiner Nase. Aber was sie nicht hörte, war auch nur der geringste Schmerzlaut.
Nach ein paar Stichen öffnete Cassie die Augen wieder und sah, dass Lucy noch immer da war. Sie erwiderte seinen Blick, noch immer nicht die Frage stellend ob sie näher herankommen durfte. Aber das musste sie auch nicht.
„D-du machst m-mich n-nervös w-wenn du da so stehst. Setz d-dich dahin w-wenn du versprichst d-dich nicht zu übergeben.“, Matthew deutete mit einem Nicken zu einem kleinen Hocker auf Rollen, der hinter dem Tresen gestanden hatte und nun im Lager seinen Platz hatte.
Lucy nickte zügig, huschte zu der Sitzgelegenheit und kam dichter zu ihnen gerollt.
Ob er aus diesem Ort einen schönen gemacht hatte oder nicht, ob Kain Angst gehabt hatte oder aus Bösartigkeit zugebissen hatte, wer wie auf welche Weise Schuld für ihren Absturz trug oder nicht… all das schien Clarence gerade nicht im Geringsten zu tangieren. Was er tat war schweigen – denn das konnte er gut – und missmutig dreinblicken – den das konnte er auch nicht schlecht.
Cassie sah… wie geschreddert aus und nicht zuletzt die klaffende Wunde an seiner Schulter versetzte dem Blonden einen schmerzhaften Stich in die Brust. Er hätte gestern Abend schon danach sehen müssen, spätestens aber heute Morgen. Matthew hätte mit dieser Schulter niemals irgendwohin gehen dürfen, aber hatte der Jäger ihn aufgehalten? Hatte er darauf bestanden sich die Wunden seines Mannes anzusehen und zu versorgen, bevor er ihn zurück hinaus ans Wrack gehen ließ?
Was für ein miserabler Ehemann war er selbst nur, dass er sich erst jetzt die Zeit nahm anständig nach Cassie zu schauen, wo es vielleicht längst zu spät war um etwas zu retten.
Die Wunde an der Schulter war ein derart ausgefranstes und klaffendes Koch, dass es Clarence kurz ganz anders wurde, so wie man es nur dann verspürte, wenn einem Menschen dem man liebte etwas geschah. Bei einem selbst war man oft härter im nehmen, aber bei anderen? … Bei dem eigenen Partner?
Alles gute Zureden half nichts, auch nicht die Umarmung des Jüngeren, dessen Haut sich unterkühlt und dadurch beinahe fremd anfühlte auf seiner Haut. Nur weil sie schon so weit miteinander durchs halbe Land gelaufen waren, hieß das nicht, sie würden damit auf wundersame Weise eine Blutvergiftung von Cassie abhalten können, geschweige denn gemeinsam auch aus dieser Eishölle raus kommen, ohne dass auf dem Weg einer von ihnen beiden seinen Wunden erlag.
Beinahe halbherzig erwiderte er den Kuss und hielt Cassie dabei noch für einen Moment länger bei sich, als dieser anbahnte sich schon wieder von ihm lösen zu wollen. Anstatt den Tag miteinander zu verbringen und zu feiern, dass sie sich aller Widrigkeiten zum Trotz noch hatten, waren sie heute kaum beieinander gewesen und auch jetzt blieb nicht viel Zeit für Nähe, weil andere Sachen dringlicher waren.
„Morgen… lässt du andere gehen. Du bleibst hier, bei mir“, wisperte er seinem Mann leise zu. Nicht drohend, aber auch nicht als Frage, so als blieben Matthew noch andere Optionen. Es reichte völlig was der andere nicht nur alles an Verletzungen, sondern auch was er heute geleistet hatte.
Miguel oder Constantin, sogar Ximena waren aktuell besser beisammen als der Dunkelhaarige. Es war nun an der Zeit einen Schritt zurück zu gehen wo sie alles gerichtet hatten für einen guten Start im Lager, auch andere konnten ab heute ihren Teil zur Gruppe beitragen.
Nochmal drückte er Matthew kurz an sich und hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe, bevor er ihn gehen ließ und sich mit ihm niederließ um mit der Arbeit an seinen Wunden zu beginnen.
Aus Erfahrung wusste er, wie zimperlich das Böckchen sein konnte wenn es darum ging Schnitte zu nähen, auch wenn die Entstehung ihn oftmals kaum interessierte.
Vorsichtig reinigte er mit angenehm warmem Wasser die viel zu kalte Haut, begann mit dem zerbissenen Arm und verschaffte sich einen Überblick. Nicht alle der Einkerbungen waren tief und nur eine Stelle war groß genug um einen einzigen Knoten hinein zu setzen und so viel Platz zu lassen, damit links und rechts Wundwasser auslaufen und den Speichel des Hundes hinaus spülen konnte, um sich hoffentlich nicht zu entzünden.
Lucy, die mit weit weniger Unbehagen die Wunden des Rückkehrers inspizieren wollte, nahm unterdessen kein Blatt vor den Mund und sprach das Offensichtliche aus, was Clarence sich bislang verkniffen hatte.
„Lucy ist ein schlaues Mädchen, du solltest besser auf sie hören“, pflichtete er der Kleinen beiläufig bei und wischte vorsichtig die Wunden aus, wobei er Cassie an der Hand festhielt, damit er den Arm nicht weg zog. Dass am Wrack etwas eigenartig sein sollte, glaubte er auch ohne weitere Ausführungen nur gerne – immerhin war das ein abgestürzter Zeppelin und es würde ihn schwer wundern, wenn da alles in Ordnung wäre.
„Ein Teil… muss genäht werden. Damit die Wunden nicht so offen stehen. Dann heilen sie besser, entzünden nicht so schnell und… hinterlassen nicht so schlimme Narben“, erklärte er Lucy nebenläufig, wobei er sich hauptsächlich auf Cassies Arm konzentrierte.
Die Nadel schon in der Hand, stach er bei der breitesten Wunde durch die erste Hautschicht und verstärkte dabei etwas den Griff an Cassies Hand, um ihn bei sich zu halten.
Nur zu gut erinnerte er sich noch daran, als er Matthew damals das erste Mal genäht hatte. Gezetert und geschimpft hatte der Dunkelhaarige mit ihm, weil er nicht gerade zimperlich die Nadel in ihn rein steckte und auch beim Reinigen der Wunden wenig Vorsicht walten ließ.
Der Bär von Mann, der sonst so vorsichtig und behutsam mit seinem Gefährten umging, kannte keinen Spaß wenn Matthew verletzt war – und würde es sich niemals verzeihen, wenn er wegen Cassies quengeln eine Wunde nicht ausreichend versorgte, nur weil er sich nicht traute dem anderen diese unangenehmen aber unabwendbaren Schmerzen zuzufügen.
Mit geübten Fingern zog er die gebogene Nadel durch die Haut, den Faden durch das zerfetzte Fleisch hindurch und zog die auseinander stehenden Schnittränder eng aneinander.
„Wieso nähst du nicht alles zu?“, wollte Lucy unterdes wissen, die auf ihrem Hocker nicht bis ganz zu ihnen heran gerollt war – sich aber so weit mit ihrer neugierigen Nase in ihre Richtung reckte, dass man Angst haben musste, sie fiel gleich herunter.
„Weil… man das bei Bissen nicht macht. Im Speichel sind Bakterien, die alles schlimm entzünden können. Wenn man es offen lässt… können die Bakterien besser raus fließen. Wenn ich es zunähen würde…“
Vielsagend blickte Clarence zu Cassie empor, ohne dabei sein Gesicht zu heben.
„…dann ist der Arm vielleicht in drei Tagen drei Mal so dick und dann können wir ihn abhacken, genau wie den von Adrianna.“
„Aber die wurde doch nicht gebissen, oder doch?“, wollte Lucy wissen und reckte sich noch ein bisschen weiter nach vorne um sich den Knoten ganz genau anzusehen, den Clarence auf die Naht setzte.
„Naja… die wurde vom Wrack gebissen, wenn man es nicht ganz so genau nimmt. Nur mit dem Unterschied, dass das Wrack im Gegensatz zu Kain nicht losgelassen hat.“
„Und welcher ist Kain?“, wollte sie wissen und betrachtete sich die riesigen Hunde, die aus ihrer Warte so groß erscheinen mussten wie kleine Muties.
Schon beim Reinkommen hatte er bemerkt, wie die Augen der Kinder beim Angesicht der Tiere angefangen hatten zu leuchten. Doch so brav Abel und Kain auch waren, letztlich waren sie mehr Wolf als alles andere und der respektvolle Abstand, den sie wohlweißlich von den Tieren gehalten hatten, war nicht unbegründet.
Auch Gabe blickte immer wieder zu ihnen hinüber, doch Ceyda hatte ihn unter ihre Fuchtel genommen und hielt ihn eisern davon ab, zu den beiden Männern hinüber zu traben. Sonst würde sich wohl doch noch jemand übergeben.
Der Hund, der verantwortlich für den zerbissenen Arm seines Mannes war, gähnte unschuldig und blickte derweil drein wie die personifizierte Unschuld, während Clarence den Arm in saubere Verbände einwickelte und den Stoff unter den Lagen feststeckte, um alles zu fixieren.
„Jetzt vorne. Kannst du… dich etwas zurück lehnen, damit ich an alles dran komme? Geht das mit der Schulter?“ – Doch ob es ging oder nicht, Cassie musste es irgendwie schaffen, wenn er heute noch mal schlafen und Clarence weniger Sorgen machen wollte.
Auch die Wunden an der Flanke und dem Bauch wurden aufmerksam ausgewischt und von seinen wachsamen Augen betrachtet. Cassie konnte versuchen ihn anzuflunkern und Dinge schön zu reden und manchmal wollte das auch funktionieren – aber wenn der Blonde eine Flunkerei mit eigenen Augen entlarven konnte, dann gab es keinen Grund, den Mantel des Schweigens über die Dinge zu legen.
Auffordernd deutete er mit dem blutigen Lappen auf Cassies Flanke, die seine Aufmerksamkeit gefordert hatte. Die Wundränder am Bauch waren ausgefranst und aufgeschürft, sicher weil sein Mann sich hatte irgendwo hindurch quetschen musste. Die Flanke allerdings…
„Was ist das? Wo kommt das her?!“, wollte er wissen und wischte abermals durch die glatte Wunde hindurch. Der Schnitt war tief, tiefer noch als wenn man sich irgendwo aufratschte, weil man ein Stück Metall in der Wand übersehen hatte.
Unter anderen Umständen - unter besseren - hätte Matthew auf den altklugen Kommentar von Lucy etwas freches gekontert um auch gleich Clarence einen mitzugeben.
Aber dazu war er nach diesem Tag nicht mehr in der Lage. Ihm war schlecht und die Schmerzen wurden nicht besser während Clarence an ihnen arbeitete und sich nicht beirren ließ.
Akribisch wusch er die blutigen Löcher und Schnitte aus, inspizierte die Wundränder und vernähte sie dort wo es angebracht und möglich war.
Matthew wusste, dass der Größere alles nach bestem Wissen und Gewissen verarztete und dass er dabei keine falsche Rücksicht nahm auf seine Schmerzen.
Cassie lauschte dem Gespräch zwischen Clarence und Lucy, nahm aber nicht an der Konversation teil.
Ihm waren die frechen Sprüche vergangen, ihm war alles vergangen. Trotzdem biss er die Zähne zusammen um sich bloß nicht anmerken zu lassen wie schlecht es ihm eigentlich ging.
Clarence allerdings wusste es auch so.
Der Blonde kannte ihn besser als irgendjemand sonst auf der Welt und vermutlich war ihm klar, dass Cassie ziemlich mit sich kämpfte.
Behutsam aber trotzdem nicht zimperlich wischte Clarence über den tiefen Einschnitt an seiner Flanke und jetzt gab der Dunkelhaarige doch ein leidendes Stöhnen von sich.
„Oh je...der sieht böse aus. Tut es sehr weh?“
Lucy blickte mitleidig in das Gesicht Matthews und dieser schloss erschöpft die Augen und rieb sich über die Stirn. Eine nervöse Geste der Ablenkung die leider keinen Effekt hatte.
„G-geht schon. H-hab schon schlimmeres a-ausgehalten.“ das mochte sogar stimmen, trotzdem fiepte er unterdrückt als Clarence erneut über den Riss wischte.
„F-fuck Claire, p-pass auf!“, wies er den Blondschopf zurecht und zuckte merklich weg.
Die ganze Prozedur dauerte schon viel zu lange und mit jeder Minute wurde es schlimmer und Matthew empfindlicher.
Lucy sah zu Clarence hinüber um zu prüfen wie er reagierte. Aber wenn sie erwartet hatte, dass er böse oder entnervt wurde, so irrte sie sich. Stattdessen erwiderte der Blonde, dass er ihn trösten würde, wenn sie fertig waren.
Und das klang noch nicht einmal im Absatz sarkastisch, es klang wie es gemeint war: vollkommen ernst.
Matthew wusste, dass es dem Anderen keine Genugtuung verschaffte ihn so zu sehen, er litt mit ihm mit...und machte sich vermutlich Vorwürfe.
„D-dann beeil d-dich... b-bitte... und... I-ist schon g-Gut, h-hörst du?“
Ihm fehlte mittlerweile die einstige Selbstbeherrschung, zu lange dauerte die schmerzhafte Wundversorgung schon als das das gequälte Böckchen noch Elan hatte weiter stumm durchzuhalten, trotzdem wollte er Clarence wissen lassen, dass Nicht hiervon seine Schuld war.
„Sieht aus...wie mit einem scharfen Messer geschnitten!“
Lucy blickte auf die Verletzung die aktuell Clarence‘ Aufmerksamkeit forderte.
„I-ist es n-nicht...es w-war...ein Seil.“ erklärte Matthew mit gepresster Stimme. „Ein Seil?!?“ rief Lucy aufgeregt aus.
„Wie kann ein Seil sowas anrichten?“
„W-wenn es unter Sp-Spannung steht und r-reißt..d-dann f-fliegt es schnell durch die L-Luft. Und d-das hat mich getroffen.“ - „Wie eine Peitsche?“, kombinierte das Mädchen und Matthew nickte.
Mittlerweile war er blass geworden, seine Lippen fast weiß. Er sah gequält und überfordert aus.
„Ist das hier auch ein Seil gewesen?“, sie deutete auf den klaffenden Schnitt an seinem Oberschenkel. Zwar trug er die blutige Jeans noch, aber der Stoff war so glatt durchtrennt wie Matthews Fleisch an der Flanke.
„Ja...i-st viermal p-passiert.“, für Lucy klang das als hätte er unheimliches Pech gehabt, Clarence allerdings wusste, dass niemand so viel Pech haben könnte.
Vielsagend betrachtete Cassie ihn und erwiderte seinen Blick als der Blonde ihn ansah.
„Du musst wirklich besser aufpassen.“, stellte das Mädchen fest. „L-Lucy...k-kannst du... e-einen M-Moment...“ - „Gehen? Ja klar. Du brauchst Ruhe.“ Cassie brachte ein dünnes Lächeln zu Stande.
Sie war ein kluges, aufgewecktes Ding und Cassie zweifelte nicht daran, dass sie für ihren Bruder ein echter Goldschatz war. Ihr aufmerksames Gemüt, ihre furchtlose Art war in der Mehrheit der Fälle sicher ein Mehrgewinn, aber jetzt und hier wollte Matthew keine Fragen mehr beantworten, er wollte auch nicht mehr um Fassung ringen sondern einfach nur, dass es vorbei war. Er wollte seine Ruhe, nicht mehr und nicht weniger.
„Gute Besserung, du bist sehr tapfer.“, sie schenkte Matthew ein Lächeln und der Dunkelhaarige erwiderte es erschöpft aber ehrlich. Ihr Versuch ihm Mut zu machen war ziemlich herzig.
Ordentlich rollte Lucy den Stuhl wieder dorthin zurück wo sie ihn hergeholt hatte und ging zurück zu ihrem Bruder, der bei Ceyda saß.
„In d-dem Wrack...d-da waren Stimmen.“ - wieder hob der Größere den Blick und Matthew fügte ungefragt an:
„N-Nicht von Überlebenden.“ - wenn es nur das gewesen wäre, wäre ihm das nicht komisch vorgekommen.
„I-ich h-habe eine Kinderstimme g-gehört. U-und...d-dich.“
Und das wiederum war äußerst verwunderlich.
Gequält legte Cassie sich schließlich ganz zurück, etwas das seine Schulter gar nicht gut fand, woraufhin er sich wieder aufrichtete.
Mittlerweile wusste er gar nicht mehr wie er liegen sollte, sein verbundener Arm pochte heiß und wütend, seine Rücken brannte und Clarence geißelte ihn mit der elenden Nadel und dem Faden.
„K-kannst du... d-das nicht später machen? Ich brauche P-Pause.“ - eigentlich brauchte er mehr als nur eine Pause, aber er wusste durchaus, dass es nichts bringen würde das Prozedere auszusetzen und später fortzuführen.
Trotzdem langte er nach Clarence‘ Hand, als dieser bei der nächsten Wunde mit dem Lappen ansetzen wollte.
Der Schnitt an seiner Flanke war genäht und spannte schon jetzt.
„V-vielleicht musst du n-nicht alles n-nähen, hm? K-kannst du... es n-nicht gut sein lassen?“