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Appartement

02. August 2210


Clarence B. Sky

Mit einem Japsen wurde er wach und schnappte nach Luft, erwacht aus einem Schlaf so tief, dass es sich anfühlte wie das Schwimmen an die Wasseroberfläche, nachdem man viel zu tief getaucht war. Von jetzt auf gleich ließ der Überdruck auf dem Körper nach und gleichzeitig spürte man ihn doch noch immer auf sich, umspült von dem schweren Wasser, dessen Temperatur man angenommen hatte.

Sein Gesicht war zerknittert und sein Blick verstört als er die Augen einen Spalt breit öffnete, sich panisch suchend umblickte und sie gleich wieder zusammenkniff, erkennend, dass es noch relativ düster um ihn herum war. Er versuchte sich daran zu erinnern was eben noch geschehen war und am Rande seines Gedächtnisses meinte er sich dran zu erinnern, dass er auf einem schneebedeckten Flachdach aufgewacht war, umgeben von brennenden Menschen die ihn anstarrten und deren Funken sich in tausende Glühwürmchen ergossen, die ein dickes Geflecht um ihn bildeten.

Clarence hatte schon immer dazu geneigt seinen Stress des Nachts unterbewusst zu verarbeiten und nicht selten war sein Schlaf daher dermaßen schlecht, dass er tagelang gereizt sein konnte. Wer ihm in solchen Zeiten über den Weg lief, der war selbst Schuld wenn er dann dem Erdboden gleich gemacht wurde - das hatte Matthew früher oft feststellen müssen, wenn der Jäger über lange Phasen hinweg keinen anständigen Tiefschlaf oder zu viel davon gefunden hatte.

Das Gesicht noch immer zusammengekniffen, rieb er sich mit den Handballen durch eben jenes, bevor er sich im Bett abdrückte und sich mit einem unzufriedenen Brummen auf die andere Seite warf. Umständlich musste er danach einen unbequemen Klumpen aus seinem Rücken fischen, den er in der Dämmerung des bald anbrechenden Tages als eines der gestern Abend nicht mehr weggeräumten Spielzeuge erkannte und warf es unachtsam über ihre Köpfe in die Kissen, um es aus dem Weg zu haben.

Das opulente Kaminfeuer war mittlerweile frisch erloschen und die Raumtemperatur begann zwischen angenehm mäßig und beginnend fröstelnd zu schwanken, so wie sie es auch aus ihren Lagern früher im Wald kannten, wenn sie morgens in der letzten Wache weg genickt waren und versäumt hatten, noch mal ein bisschen Holz nachzulegen.

Alles in allem glich es beinahe Gotteslästerung, sollte man sich - abgesehen von den Alpträumen natürlich - über die aktuelle Lage beklagen, immerhin hatten sie ein trockenes Dach über dem Kopf und ein Bett in dem sie schliefen.

Das konnten Passagiere, deren Überreste sie mitsamt Wrack angezündet hatten, wohl nicht behaupten.

Grummelnd tastete er unsanft nach dem zweiten Mann, der irgendwo neben ihm im Bett liegen sollte, und fand diesen schließlich eine gute Armlänge entfernt zu seiner linken.

Unsanft robbte er an Matthew heran und zog grobmotorisch an der Decke, damit sie nicht länger trennend zwischen ihnen festklemmte, und deckte sie beide damit halb auf, bevor er das Chaos einigermaßen gerichtet bekam. Erst dann schob er um die Taille seines Mannes seinen Arm wieder genau dorthin, wo er hingehörte und wo er spüren konnte ob sein Mann noch atmete oder nicht. Schließlich zog er Matthews Rücken dicht gegen seinen nackten Bauch, um die Nähe des anderen zu spüren.

Cassie“, flüsterte er leise nachdem er seine Lippen an das fremde Ohr gelegt hatte und drückte einen warmen Kuss auf die dazugehörige Schläfe. „Hey Kleiner, wach auf... die Sonne geht bald auf.“

Doch entgegen seiner Worte, ließ er das Haupt wieder zurück aufs Bett sinken und drängte seine Nase tief in das dunkle verwühlte Haar vor sich, nicht gewillt, deshalb sofort aus dem Bett zu springen.

Gewohnheitsgemäß waren sie welche der Ersten die am Morgen auf die Bildfläche traten und die Nachtwache ablösten, um Wasser heiß zu machen und einen Plan für den Tag aufzustellen.

Seitdem sie mehr oder weniger alle ihrer Gruppe zusammengefunden hatten, hatte sich bei jedem einzelnen Stärken und Schwächen heraus kristallisiert sowie feste Meinungen. Man lernte sich etwas mehr kennen und zumindest manch einer wurde etwas berechenbarer.

Wirklich einen Plan hatte aber kaum einer von den Leuten, die vielleicht teils Geschäftsmänner waren, aber dafür keine Ahnung hatten vom Überleben in der freien Natur. Ein Grund mehr, warum zumeist Matthew, er selbst oder auch Adrianna Möglichkeiten und Optionen in die Runde warf, über die dann demokratisch entschieden wurde.

Zuweilen war das anstrengend und nervig, zumindest für Addy und ihn, die in einer größeren Gruppe eigentlich das letzte Wort des Ranghöchsten gewohnt waren und nicht das elendige Ausdiskutieren, bis es einem zu den Ohren raus kam.

Was auf eine ganz andere Weise nervig war, war die Art wie dickköpfig sich Cassie schlafend stellen konnte, obwohl der blonde Bär wusste, dass dem nicht so war - und das alles nur in der aberwitzigen Hoffnung, Claire würde ihn dadurch in Ruhe weiterschlafen lassen. Sie beide wussten, dass dem nicht so war.

"Cassie... bist du wach?", wollte er schließlich wissen und hob den Kopf wieder aus dem Kissen, beugte sich leicht über den Mann vor sich hinweg während er versuchte im Dunklen zu sehen, ob der andere wenigstens irgendwo ein nervöses Zucken im Gesicht aufblühen ließ.

Und weil er wusste, wie wenig Matthew das leiden konnte, beugte er sich noch ein wenig weiter über ihn.

Mit einem Schmunzeln, das er mit mäßigem Erfolg zu unterdrücken versuchte, hauchte er mehrere kleine Küsse auf Stirn und Schläfe des Mannes in seinem Arm.

"Schläfst du noch? Soll ich dich schlafen lassen, Prinzessin?" - ein lieb gewonnener Kosename, der sich seit der Villa der Hurenkönigin bei ihm etabliert hatte, um Cassie damit zu wecken.

Und es stimmte, eine kleine Prinzessin war sein Gatte wirklich. Zumindest dann, wenn man von seinen Allüren ausging.

"Okay, wenn du mir keine Antwort gibst... dann muss ich so lange weiter machen, bis du es tust. Das will das Gesetz des Betts!"


Matthew C. Sky

In seinem Kokon des Nichts war es warm und dunkel. Ruhig lag Matthew in dem Bett, leicht gekrümmt und wohlig eingekuschelt. Die Nacht hatte ihn von Clarence getrennt ohne das er das mitbekommen hatte, doch dafür sorgte der Bär umso deutlicher dafür, dass er seine Rückkehr bemerkte. 

Der wohlig warme Kokon wurde von ihm gerissen und mit einem Mal endete Matthews Tiefschlaf. Er brummte verschlafen und unwillig und krümmte sich weiter zusammen. Sein Schlaf war traumlos und so wunderbar erholsam gewesen, dass der plumpe Übergriff des Größeren ihn noch nicht komplett aufweckte, aber Clarence wusste schon wie er das änderte. Unsanft ließ er sich neben ihn plumpsen, strampelte die Decke zurecht und zog ihn dann fest an sich, sodass Matthew mit dem Rücken an Clarence’ Brust lag. An und für sich eine gute Position um weiter zu schlafen, doch der Dunkelhaarige - mittlerweile mehr wach als noch im Land der Träume - wusste, dass das nicht passieren würde. Er kannte Clarence lange genug um zu wissen, dass der Kerl ein notorischer Frühaufsteher war und das es in ihm ein unstillbares Bedürfnis auslöste, auch ihn zu wecken, wenn er selbst denn schon wach war. 

Schon unzählige Male hatte er damit Matthews Unmut auf sich gezogen, denn ganz im Unterschied zu dem Blondschopf, schlief Cassiel sehr gern etwas länger als bis kurz vor Sonnenaufgang. 

Bemüht reglos - so als könne er damit irgendetwas abwenden - stellte er sich weiter schlafend als der Größere auch schon in sein Ohr wisperte. 

Aber natürlich brachte das gar nichts, denn wenn sich der Bär einmal vorgenommen hatte ihn aus dem Schlaf zu reißen, dann machte er das auch. 

Eine kleine Weile schaffte der Kleinere es, den Schein aufrecht zu erhalten und den Schlafenden zu mimen, doch je länger Clarence ihn ansah - Cassie konnte seinen Blick genau spüren - umso schwieriger wurde es. 

Eine ganze Reihe kleiner Küsse regnete auf ihn herab und bei Gott manchmal war Clarence einfach unmöglich. 

Er zog die Schultern an um den lieben aber gerade furchtbar lästigen Küsschens zu entgehen und musste feststellen, dass Clarence einfach nicht aufhörte. 

Wegen dem Gesetz des Bettes wie er es nannte. 

Statt ihn einfach schlafen zu lassen, machte er so lange weiter bis Matthew schließlich mürrisch brummend die Augen öffnete und sich halb zu dem nervenden Kerl herumdrehte, den er unvorsichtigerweise geheiratet hatte, sodass er seine Macken fortan aushalten musste.  

Verschlafen und mit kleinen Augen blinzelte er den Blonden an und grummelte leise. 

„Nein... ich schlafe nicht mehr... ich bin hellwach.“

Müde drückte er sein Gesicht gegen Clarence‘ Oberkörper und gähnte. Der neue Tag hatte mit Sicherheit schon begonnen auch wenn der Sonnenaufgang noch ein bisschen auf sich warten lassen würde. 

Wären sie draußen in freier Natur, wäre das jetzt die Zeit in der Clarence schon langsam ihre Sachen zusammenpackte. Er würde ihn wecken, auf zweckdienliche Art und am Feuer sitzend draußen auf ihn warten. 

Aber hier und heute waren sie nicht in freier Natur und es drängte sie auch nichts dazu schnell weiterzuziehen. 

„Was ist los, hm?“ wollte Matthew leise wissen und sah zerknautscht zu dem Oberen empor. 

„Hast du wieder schlecht geträumt? Komm her...“ 

Etwas umständlich drehte er sich ganz zu Clarence herum, rutschte etwas empor und legte den Arm um ihn. 

Langsam und bedächtig kraulte er durch den blonden Schopf, ließ die Strähnen durch seine Finger gleiten und küsste schließlich die Schläfe seines Bären. 

Oftmals schlief Clarence nur die erste Nachthälfte ruhig neben ihm. Im Bett ihres Bootes, eng aneinander geschmiegt, bemerkte Cassie die Unruhe immer recht deutlich, dann drängte er sich an ihn, hielt den Älteren fest und streichelte beruhigend über seine Haut. 

Und manchmal, wenn es ganz schlimm war, summte er leise für ihn. Nicht immer half das, aber meistens konnte er dem Blondschopf so helfen, wieder zurück in einen friedlichen Schlummer zu finden. 

Aber hier in dem riesigen Bett... da hatte sich Clarence in der Nacht einfach von ihm gelöst und hatte sich wahrscheinlich allein durch die Wirren irgendeines Alptraums kämpfen müssen. 

„Oder kannst du es kaum erwarten den anderen Frühstück zu machen und am Feuer auf sie zu warten?“

Vermutlich lag es nicht daran und Matthew wusste das auch. Clarence war des Morgens den anderen gegenüber weder besonders gesprächig noch herausragend fürsorglich. Er hatte ein Händchen für die Kinder aber er buhlte nicht im Sympathiepunkten bei den Erwachsenen, so wie auch Cassie es nicht tat. 

Mittlerweile hatte in ihrer kleinen Gruppe jeder halbwegs seinen Platz gefunden und es funktionierte einigermaßen. Trotzdem war es mitunter anstrengend sich alle Meinungen anzuhören, darüber zu debattieren und abzustimmen. 

Weder Clarence, noch Adrianna , noch Matthew waren es gewöhnt Rücksicht auf andere zu nehmen und so war es manchmal... heikel.   

„Hmm du bist gestern einfach eingeschlafen, Dornröschen.“, erinnerte er sich und kicherte verschlafen, muckelte sich weiter ein und küsste erneut die Schläfe des Größeren. 

Es war nicht seine Zeit, wahrlich nicht. Und so verschlafen wie er aussah und so kratzig wie seine flüsternde Stimme klang gab es daran auch kein Zweifel. 

Aber es war auch irgendwie schön mit Clarence so zusammen zu sein. Friedlich beieinander liegend, einander haltend und streichelnd und dabei langsam wacher werdend. Dass Clarence ihm schon einiges voraus hatte war unbestreitbar. So war es irgendwie immer. 

Und auch wenn er noch immer müde war und gut und gerne darauf hätte verzichten können geweckt zu werden, konnte Matthew dem Anderen nicht böse sein. Er konnte noch nicht einmal richtig genervt sein. 

„Also wer ist hier die Prinzessin, hm?“ 

 


Clarence B. Sky

Es war ein langer Kampf, bis Clarence das Gesetz des Bettes endlich durchgesetzt hatte und selbst in der Dunkelheit erkannte er, wie schamlos Cassie ihn anlog. Weder hatte er vollends aufgehört zu schlafen, noch war er hellwach - auch wenn er natürlich versuchte, den Umstand seines Halberwachens dem Blonden in die Schuhe zu schieben.

Trotzdem verzieh er ihm, immerhin sah sein Mann aus wie ein kleiner zerknautschter Welpe, der nicht wusste ob er links, rechts, auf dem Bauch oder dem Rücken liegen wollte. Man konnte ihn einfach nur mit einem warmen, verliebten Blick ansehen und sich darüber wundern wie es sein konnte, dass Cassie sogar so früh am Morgen zum anbeißen süß aussah.

In der Zeitrechnung des Jüngeren, das stand völlig außer Frage, war es zweifelsohne noch mitten in der Nacht. Das war es eigentlich immer wenn nicht die Sonne schien und dass es im Winter erst um acht Uhr morgens so weit war, machte da keinen Unterschied. Vermutlich hätte es mittags um zwölf Uhr sein können und so lange Sonnenfinsternis herrschte, würde Matthew mit ihm über das Für und Wider des Liegenbleibens diskutieren. 

Doch es gab auch gute Seiten, wenn man gemeinsam noch ein wenig im Bett liegen blieb oder eben seine bessere Hälfte weckte, nur weil man selbst nicht mehr schlafen konnte.

Ein guter Punkt war eindeutig, mit welcher Sehnsucht nach Nähe sich der Dunkelhaarige an ihn schmiegte wenn er ihn denn nicht völlig verstimmt hatte und wie zerknittert dieser dabei aussah, so ganz ohne frisches Wasser im Gesicht oder ein bisschen vitalisierendem Rasierwasser auf den Wangen.

Willig brummte Clarence, rutschte unter dem fremden Arm etwas tiefer und dichter an Cassie heran, bevor er das Haupt wieder zurück in die Kissen sinken ließ. Die kraulenden Finger in seinem Schopf fühlten sich gut an und hatten auf ihn eine derart beruhigende Wirkung, wie ihm jahrelang nichts mehr widerfahren war.

Es war komisch wie sachte sich schlechte Träume und nächtliche Unruhe vertreiben ließen durch eine Umarmung, ein paar leise Worte oder bedächtiges Kraulen über den Rücken, wenn ihn Sekunden zuvor noch dunkle Bilder aus vergangenen Zeiten geplagt hatten. Jahrelang hatte er nachts nicht mehr als wenige Stunden die Augen zugetan, oftmals sogar noch unterbrochen durch mehrfaches Erwachen und manchmal war ihm der Schlaf gänzlich verwehrt geblieben, so als sei der Wahnsinn durch Schlafentzug der einzige enge Freund, der ihm noch geblieben war. Monotones Marschieren und Wandern hatte seinem Alltag einen harschen Rhythmus verliehen, der ihn nicht noch im Stehen hatte einschlafen lassen und nicht selten hatte Cassie seine schlechte Laune abbekommen, obwohl er sie gar nicht verdient hatte.

Auf dem Boot... hab ich so gut geschlafen wie noch nie in meinem Leben“, stimmte er dem anderen leise zu, dass nicht etwa die frühe Morgenstunden alleine ihn hatte erwachen lassen und dass es ganz sicher nicht an dem Drang lag, den anderen Frühstück bereiten zu wollen.

Der einzige, der von ihnen vieren dort nicht gut geschlafen hatte, war Matthew gewesen - zumindest bei unruhiger See, wenn er kreidebleich immer wieder über der Kante der Matratze gehangen hatte in der Angst, er würde ihnen sonst quer über die Bettdecke spucken.

Wir brauchen ein kleineres Bett, nehme ich an. Oder wir müssen die Hunde wieder zu uns holen“, schlug er leise vor und deutete hinter sich auf die große freie Fläche, in der er sich in der Nacht verloren zu haben schien.

Seitdem sie ein seltsames Brüllen durch die Straßen der Geisterstadt wehen gehört und eigentümliche Krater im Schnee gefunden hatten, hatte sich ein gewisser Unmut über die Kinder gelegt, mit denen die Fantasie durchgegangen war. Zoe fand zwar teils Beruhigung in den Armen ihres Vaters, so richtig sicher fühlte sich aber keines der drei Kinder seitdem mehr und die einzige Abhilfe, die sich gefunden hatte, waren die beiden Mini-Monster, die zweifelsohne gegen jedes Ungetüm der Welt gewinnen würden.

Abel und Kain gaben den kleinsten von ihnen seitdem die Sicherheit, dass man nachts wieder beruhigt schlafen konnte und im Gegenzug hatten Claire und sein eigenes kleines Monster seitdem wieder etwas Privatsphäre, die sie gestern Abend das erste Mal richtig zelebriert hatten.

Die Zweisamkeit war das eine, doch das andere war ein viel zu großes Bett, in dem keiner mehr auf, unter oder eng neben einem lag, wenn man sich in die falsche Richtung rollte und alles zusammengenommen war ein Umstand, der einem Bär nicht gut tat, der seine ihn liebenden Untertanen in nächster Nähe gewohnt war.

Ich bin nicht die Prinzessin hier. Ich bin auch nicht einfach eingeschlafen. Ich hab nur... Ein Probe-Nickerchen gehalten. Wie beim Vorkosten. Um sicher zu gehen, dass für dich alles seine Richtigkeit hat und du das Bett sorgenfrei nutzen kannst“, war er um eine Ausrede nicht verlegen und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, das sich leise und hinterlistig anbahnte. Dass er dabei eine sachte Grimasse zog, bügelte halbwegs die Knitter aus seinem Gesicht, die Matthew noch voll eingenommen hatten.

ich war nach meinem Probe-Nickerchen natürlich wieder wach, aber du hast schon geschlafen und warst nicht erweckbar, trotz intensiver Versuche. - Bis eben.“

Ja, so und nicht anders war das natürlich gewesen und beinahe hatte er sich schon Sorgen um Matthew gemacht. So weit durfte es nie mehr kommen.

Brummelnd zog er die Decke fester um sie herum, genoss die Haut seines Mannes auf seiner und das wohlige Wissen darum, wie nackt sie unter den Stoffen beieinander lagen. Seit zwei Wochen schon hatte er nicht mehr so viel nackte Haut auf seiner gespürt und die Wärme ließ einen wohligen Schauer über seinen Körper hinweg fahren, der eine seichte Gänsehaut auf seinem Rücken hinterließ.

Sag mir, wie ich die Stunden bis zu deinem Aufstehen hätte überleben sollen, wenn ich dich nicht geweckt hätte?“, forderte er leise und stupste die Nasenspitze Cassies neckend mit seiner an. „Das wären... bestimmt zwei Stunden ohne dich geworden. Hast du dir das mal aufs Jahr hoch gerechnet? Du spinnst ja...“

Falls Matthew das nicht hatte und just in diesem Augenblick nicht tun würde, war das auch nicht schlimm. Es waren jedenfalls verdammt viele Stunden, Tage, vielleicht sogar Wochen, die er ihn entbehren würde. Und wofür? Für ein Schönheitsschläfchen, aus dem sie auch ein Schönheitsgeflüster hätten machen können?

Ich denke nicht, dass... ich dich je wieder auch nur eine Minute länger schlafen lassen kann. Das ist viel zu viel vergeudete Zeit...“ - Beinahe hätten sie gar keine mehr gehabt. Weder morgens noch abends, denn dann hätten sie sich kein Leben mehr geteilt mit einem oder beiden von ihnen unter der Erde. Das Leben war zu kurz zum Schlafen und würde sich zweifelsfrei auch noch so lange genau so anfühlen, bis sie endlich das Gefühl hatten, ihr Leben war wieder halbwegs normal.

Wie hast du geschlafen, mh?“


Matthew C. Sky

Früher - vor etwa zwei Jahren - hatte Clarence nie gelacht, selten geschmunzelt und nur ab und an einen kleinen Scherz gemacht. Er war verschlossen gewesen und freudlos. Heute kannte Matthew die Gründe und es tat ihm leid und gleichwohl genoss er die Unbeschwertheit mit der sie heute zusammen sein konnten. 

Clarence war um keine Erklärung und um keine Ausrede verlegen. Vom Probe-Schläfchen bis hin zur Feststellung, dass es Verschwendung wäre, wenn er ihn ausschlafen ließe. 

Aber in einer Sache hatte er wahrscheinlich recht: 

Zuhause hatten sie viel viel besser geschlafen. 

Die Harper Cordelia war ein Ort des Friedens und der Erholung gewesen. Es hatte so manche unruhige Nacht gegeben in der Cassie übel gewesen war, aber Seeübelkeit war nicht das selbe wie Todesangst. 

Und seit sie vor ein paar Tagen etwas gehört hatte, dass riesig sein musste und das offensichtlich durch die Stadt streifte... seither war ihr Zimmer - auch wenn es noch so schön war - kein Hort der Sicherheit mehr. 

In der einstigen Metropole der Alten war etwas unterwegs... dem sie besser niemals über den Weg liefen. 

Matthew sehnte sich nach ihrem Zuhause und nach dem Gefühl der Sicherheit. 

Auf der Harper Cordelia waren sie auch nicht vor sämtlichen Gefahrensituationen gefeit. Ein Sturm hätte sie verschlingen können, bei hohen Wellen hätte einer oder sie beide über Bord gehen können, es gab Riffe zum drauf auflaufen und Felsen zum dran zerschellen. Aber ihr Glück oder Unglück hatte mehr oder weniger in ihren Händen gelegen. 

Und ankerten sie friedlich in Ufernähe... dann war ihr Boot nichts anderes als eben jener Ort an dem man aufwachen und einschlafen wollte - und zwar für den Rest seines Lebens. Matthew vermisste ihr Bett, er vermisste das Kreischen der Möwen und das nie verebbende Geräusch von Wellen, er vermisste wie Clarence mit nacktem Oberkörper an Deck stand und er vermisste wie sich die Gischt auf erhitzter Haut anfühlte. 

Die Wärme der Sonne und das Blau von Wasser und Himmel. Sie hatten ihren Alltag gefunden und sie hatten sich genügt. Kain und Abel hatten sie komplettiert und mehr... mehr hatten sie schlichtweg nicht gebraucht. 

Doch egal wie sehr Matthew sich all das zurückwünschte, letztendlich arrangierte er sich mit der Realität und der Gegenwart, so wie er es schon immer getan hatte. 

Denn nur weil er etwas wollte, hieß das noch lange nicht, dass er es auch bekam. 

Rio Nosalida lag hunderte Meilen hinter ihnen und das selbe galt für Clarence‘ Boot sowie für die Südsonne. 

Er hätte den Blonden natürlich daran erinnern können, dass er es war wegen dem sie überhaupt geflogen waren. Matthews Plan war ein anderer gewesen und vielleicht wäre alles so viel besser gelaufen, wenn sie es so gemacht hätten wie er es sich überlegt hatte. 

Aber was halfen solche Debatten? Nichts, gar nichts. Also führten sie sie nicht. Egal wie sehr sie beide zurück wollten und egal was sie in den Flammen alles verloren hatten, letztlich hatten sie das Wichtigste behalten: einander .

Verliebt stupste Cassie mit einem Fuß gegen Clarence und muckelte sich zufrieden an, ein amüsiertes Schmunzeln auf den Lippen dank der fadenscheinigen Erklärung des Bären. 

„Hmm um keine Ausrede verlegen. Wie gut, dass ich dich längst durchschaut habe, Clarence Sky. Von wegen du hast nur kurz probe-geschlafen.“ tadelnd schnalzte Cassie mit der Zunge und schüttelte sachte den Kopf. 

„Ich hab seit dem Absturz kein einziges Mal schlecht geträumt. Du bist da... und alles ist gut. Ich schätze, mehr als dich brauche ich wirklich nicht.“  - alles, jedes Kleidungsstück, jede Waffe, jede Erinnerung 

.., alles war ersetzbar. Natürlich vermisste er seine eigenen Sachen, seine Tasche mit dem leuchtenden Anhänger daran, sein abgegriffenes Kartendeck, sein Notizbuch in dem er gezeichnet hatte und in dem Clarence’ erste Schreibversuche drin waren. Er vermisste Clarence’ altes Berglöwenfell und den alten Köcher der einstmals Rouge gehört hatte. Banales Zeug sicherlich, aber für jemanden der kein festes Zuhause hatte, hatten diese Dinge vor allem ideellen Wert. 

„Ich hab gut geschlafen... hmm.“ - er gähnte und rieb sich über die Augen die einfach noch nicht wach sein wollten. 

„Bis du mich geweckt hast, Prinzessin, aber ich bin ja auch nur ein bescheidener Reisender. Du kannst mich also wecken nach deinem Belieben. Erst recht, wenn du schlecht träumst.“

Jahrelang hatte Clarence das mit sich selbst ausmachen müssen, die Schatten der Vergangenheit waren lang und wenn sie nach einem griffen, dann taten sie manchmal richtig weh. Matthew wusste das nur zu gut. 

„Willst du mir von dem Alptraum erzählen, hm? Worum ging es?“

Die Finger zärtlich im blonden Schopf vergraben, machte Cassie die Augen wieder zu und drückte die Nase gegen Clarence‘ Schläfe. Er liebte diesen Kerl abgöttisch und er wollte gerade mehr denn je mit ihm in diesem Bett versacken. Die Dunkelheit und Wärme, die Nähe zu dem Mann den er liebte und dem er vertraute... all das sorgte dafür, dass sich der Dunkelhaarige völlig ruhig und mit sich im Reinen fühlte. Beseelt von innerer Zufriedenheit seufzte er wohlig und versuchte auszublenden was jenseits ihres kleinen Refugiums auf sie wartete. 

Dort würde der Rest der Gruppe sein, sie würden gemeinsam den Plan für den Tag abstimmen, die Aufgaben verteilen, Ansprüche stellen. Jeder würde irgendetwas wollen und zwar von ihnen. 

Clarence und Adrianna waren ihrer Zunft wegen die erfahrensten Mitglieder der Gruppe, aber die Rothaarige war schwer verletzt und konnte kaum Aufgaben übernehmen. Matthew war zwar auch lädiert, aber auch von ihm schien man zu erwarten, dass er sich um die Gruppe kümmerte. Und Clarence... eine ausgekugelte Schulter bedeutete offenbar für die anderen nicht, dass er sich schonen musste. Es trug zwar jeder seinen Teil dazu bei, dass sie überlebten, aber manche Teile waren größer als andere. Und von Clarence und ihm erwartete man mehr. Sobald sie ihr Appartement verließen, würden sie da sein müssen... für die anderen und das war etwas, dass Matthew gerade überhaupt nicht wollte. 

„Lass uns heute liegenbleiben... wir tun so als wären wir krank. Ich will heute nicht da raus... und ich will nicht, dass du raus musst. Wir könnten abhauen. Nur wir zwei...“

Der Gedanke hatte etwas unheimlich verlockendes an sich und so war es nicht verwunderlich, dass er die Idee gleich noch ein bisschen vertiefte. 

„Wir lassen die anderen hier, sie können ewig überleben wenn sie sich nicht zu dämlich anstellen. Und wir...wir hauen ab. Niemand wird uns suchen und niemand wird uns finden. Noch nicht einmal dein Jägerclan wird Fragen stellen, immerhin ist der Absturz des Zeppelins sicher schon überall bekannt. Wir brennen durch und gehen wohin wir wollen.“

Verträumt seufzend küsste er die Stirn des Größeren und dann seine Schläfe. Sie beide brauchten den Trubel einer wild zusammengewürfelten Truppe nicht aber sie beide wussten auch, dass abhauen nicht wirklich zur Debatte stand. Denn egal wie viele Nerven es sie kostete: sie mussten auf die anderen aufpassen, schon alleine wegen der Kinder. 

Sie mussten es erstmal in die Zivilisation zurück schaffen und wenn das getan war, dann würde eine Flucht ihrerseits auch wirklich realistisch sein. Doch bis dahin würden sie sich den bohrenden Diskussionen mit den anderen stellen müssen. Aber vielleicht nicht heute, vielleicht konnten sie alle einen Tag lang Pause machen,sich in Ruhe einrichten und ankommen, ausschlafen und... es sich gemütlich machen.  

Das den anderen ein Partner fehlte um einen gemütlichen Kuscheltag einzulegen war schade für sie, aber wahrlich nicht Clarence‘ oder Matthews Schuld. 

 


Clarence B. Sky

Auf der Harper Cordelia war die Welt eine andere gewesen. Sie hatten nicht mal bewusst einen Tag nur für sich eingelegt oder etwas geplant. An manchen Tagen waren sie einfach wach geworden, hatten im Bett miteinander geredet, sich gestreichelt und geküsst und manchmal war es plötzlich Abend gewesen, ohne dass sie wussten, wo der Tag hin war.

Ihr Boot war der Ort gewesen, an dem sie sich richtig kennengelernt hatten. An dem man Geheimnisse miteinander austauschte, auf kleinstem Raum noch mal deutlich die Macken und Liebenswürdigkeiten des anderen zu spüren bekam - aber auch der Ort, an dem aus einem sich beinahe fremden, verheirateten Paar, plötzlich ein vertrautes Ehepaar geworden war, das Hand in Hand miteinander den Alltag verbrachte und unerwartet gut miteinander funktionierte.

Sie hatten ihren Rhythmus gefunden und trotz des kleinen Raumes waren sie sich nie in die Quere gekommen. Matthew hatte gelernt sich nochmal umzudrehen, wenn Clarence nicht mehr wach liegen konnte und schon mal mit den Hunden an Land ging und der Blonde hatte gelernt nicht mehr nur für sich zu sein, sondern sich zu öffnen und ein Leben mit Cassie zu führen statt neben ihm her.

Jeder hatte seinen Platz im Bett, am gemeinsamen Tisch in der heimeligen Essecke und in der Speisekammer türmten sich die Leckereien und Zutaten, die sie beide mochten. Während es auf Deck nach Meeresluft und Sonne roch, duftete es unter Deck nach Braten. In ihrem Schlafzimmer nach vertrauter Bettwäsche und in ihrem Kleiderschrank nach den Hunden, die sich dort auf dem Boden schon als Welpen einquartiert und danach nicht mehr hatten vertreiben lassen.

Wenn es etwas gab, das Clarence etwas mehr vermisste als sein altes Leben in Willow Creek und das kleine Haus mit den Efeu-Ranken, dann war es ihr Boot und das Leben, das sie dort geführt hatten. Ohne Regeln, ohne Plan und Struktur - aber dafür glücklich und unabhängig von anderen Menschen, die ihnen mehr zur Last fielen, als hilfreich waren.

Dankbar für das, was ihnen geblieben war, lehnte er die Stirn gegen die des anderen und wehrte sich nicht gegen das neckende Stupsen oder das Amüsement, welches offensichtlich in Cassies Lächeln lag. Jede Geste, jedes Wort war so wertvoll geworden.

Das war es früher schon, aber heute eben noch ein kleines Quäntchen Mehr.

Matthew sah furchtbar müde aus und kurz überkamen den Jäger Gewissensbisse ob seines forschen Weckens. Auf der anderen Seite aber, müsste er dann das verschlafene Muckeln entbehren und dem zärtlichen Kämmen durch sein Haar, das sich beinahe erholsamer anfühlte, als das heiße Bad gestern Abend.

Ich hab... nur Kauderwelsch geträumt. Nichts von Belang“, schüttelte er matt den Kopf und schloss seine Augen wieder für einen Moment. Er wollte nicht mehr über die erste Stunde nach dem Absturz nachdenken, in der er aufgewacht war und unter den teils noch brennenden und verkohlten Leichen seinen Mann gesucht hatte, oben auf dem Dach des hohen Hauses, von dem er gedacht hatte, dort keinen Ausweg zu finden und elendig zu erfrieren.

Seine Füße taten ihm heute noch weh von der Erinnerung an den Marsch durch die nächtliche Eiswüste und auch wenn die meisten Schnittwunden verheilt waren, so waren es eher die Erfrierungen an seinen Zehen, von denen sich der Schmerz in sein Unterbewusstsein eingebrannt hatte.

Mit einem müden Brummen drängte er Matthew sachte zurück auf den Rücken und bettete sich auf der frei gewordenen Schulter, auf die sein Kopf so perfekt zum ankuscheln passte, wie die groß gewordenen Hunde in den schmalen Kleiderschrank ihres Boots. Kein Bett der Welt konnte so bequem für ihn sein wie sein eigener Ehemann und so war es nicht verwunderlich, mit welchem Genuss sich Clarence auch des Nachts aufdringlich auf dem Kleineren breit machte.

„Durchbrennen, mh? Ich glaube... den Plan hatten wir schon öfter mal“, stellte er amüsiert fest und noch während er darüber nachdachte, musste er erheitert auflachen.

Wir wollten auch vor deiner Hurenkönigin abhauen und durchbrennen. Und dann... in Rio Nosalida. Und jetzt hier?“, zählte er auf und noch während er das tat, erkannte er die Komik darin:

Sie trotzten meterhohen Spinnenmutanten, räumten in einer verseuchten Geisterstadt Gebäude um sich darin niederzulassen und rannten nicht kopflos vor Panik davon, wenn irgendein riesengroßes Monster in der Stadt sein Unwesen trieb.

Aber wehe, sie kamen auf den Gedanken durchzubrennen!! - Da war die Gefahr natürlich viel zu groß und der Aufwand zu gefährlich.

Wir sind... solche Trottel, weil wir uns nicht zwischen Atlantik und Beringsee entscheiden konnten. Wir hätte einfach... noch weiter nach Süden segeln sollen. Irgendwo nach Südamerika, egal ob es da noch andere Menschen gibt oder nur Urwald. Ich wäre auch alleine mit dir im Dschungel glücklich geworden...“

Das dachte er wirklich und im Nachhinein waren sie so dumm gewesen. Es gab keine Jäger unten in Südamerika - zumindest hatte er noch nie von welchen gehört - und selbst wenn es dort keine Zivilisation am südlichsten Kap gegeben hätte, wären sie auch irgendwie klar gekommen. Sie hätten ein einfaches aber gutes Leben geführt zwischen Papayas und Kokosnüssen, in ihrem kleinen Strohhaus, das sie sich aus Palmwedeln zusammengeklöppelt hätten.

Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe und hob den Kopf aus Cassies Schulter, um ihn nachdenklich zu mustern.

Du hättest Adrianna einfach verbluten lassen sollen“, erkannte er in trockenem, sachlichen Ton nach kurzer Überlegung und seine Augen sagten, dass er es völlig ernst meinte. „Wir stehen auf der Bordliste und sie ist die einzig wichtige Person, die nun weiß, dass wir überlebt haben. Du hättest sie einfach verbluten lassen sollen und wir wären abgehauen.“

Matthews Küsse brannten noch auf seiner Stirn und seiner Schläfe nach und fühlten sich auf seiner Haut an wie ein mächtiges Siegel, das ihre Liebe zueinander bannte, damit sie nie getrennt wurden.

Vielleicht stimmte das ja sogar, denn sonst gab es keinen ersichtlichen Grund, warum sie heute beieinander liegen konnten.

Trotzdem - und das wussten sie beide - waren sie nicht der Typ Mensch, der andere einfach sterben lassen konnte und dabei zusah. Es lag nicht in ihrer Natur Leute leiden zu lassen, die ihnen nichts getan hatten und noch weniger konnten sie die drei Kinder den Idioten überlassen, die ohne Hilfe von Außen nichts gebacken bekamen. Zoe hatte zwar ihren Vater, der war aber gefühlt nicht mehr der Jüngste und auch seine Gesundheit schien angeknackst zu sein, wenn man ihn sich so betrachtete.

Und Lucy und Gabe?... Die hatten hier gar niemanden und waren auf die Gnade derjenigen Erwachsenen angewiesen, die sie unter ihre Fittiche nahmen. Wenn es hart auf hart kam, dann legte Clarence nicht seine Hand dafür ins Feuer, dass ein Miguel für die Kinder in die Bresche sprang. Constantin schon eher, aber die Kinder hingen weniger ihm am Bein als Cassie und ihm - wenn es um das eigene Leben oder das zweier fremder Sprösslinge ging die einem nur Ballast waren, war die Entscheidung manchmal pragmatischer, als man dachte.

Nächstes Mal...“, setzte er leise an und betrachtete sich seinen Mann bedächtig, der so schön warm und weich unter ihm lag. „Nächstes Mal hauen wir ab und... gehen Kokosmilch in Südamerika schlürfen. Wir suchen uns eine einsame Insel und kommen nur ans Festland, um neue Pflanzen und Samen zu klauen, damit wir sie in unserem Königreich anpflanzen können. Wir holen uns noch zwei Weibchen für Kain und Abel mit dazu und... ziehen in fünf Jahren hundertsechzig Hundewelpen miteinander groß. Was hältst du davon?“

Neugierig rutschte er an der fremden Brust etwas empor und musterte Cassie für einen Moment, bevor er wie ein Vögelchen nach vorne stippte und sich einen frechen Kuss von den Lippen seines Böckchens klaute - ganz gleich, dass ihm das eigentlich so früh am Morgen verboten war.

Und dann... haben wir bis an unser Lebensende wilden Sex am Strand. Wir könnten dafür schon mal üben wenn du willst, aber dafür... müssten wir aufstehen und uns die Zähne putzen“, stellte er keck fest und täuschte einen weiteren widerrechtlichen Kuss an, der schließlich in einem Abtauchmanöver gen Hals endete. Mit einem genüsslichen Brummen biss er neckisch in Cassies Hals und saugte sich etwas daran fest, denn wenn er dem König des Waldes und der Waldesinsel schon das Küssen verwehrte, dann musste er das Böckchen wenigstens anderweitig zu seinem Eigentum machen.


Matthew C. Sky

Nur Kauderwelsch und nichts bin Belang... so beschrieb Clarence seinen Alptraum gegenüber Cassie und entzog sich damit der Frage des Jüngeren. 

Matthew machte leise „Mhm“ - nachdenklich und verschlafen. Er hätte nun nachbohren können um Clarence Details zu entlocken, aber er verzichtete darauf.

Mit Sicherheit hätte er den Blonden dazu bekommen ihm mehr zu verraten, denn die Zeiten in denen Claire sich von ihm abkapselte waren zum Glück vorüber. Doch Matthew respektierte die Entscheidung des Blonden, dass dieser der Sache nicht mehr Aufmerksamkeit schenken wollte als nötig.

Der Morgen - jeder Morgen seit ihrem Absturz- war die einzige Zeit des Tages die sie nur für sich hatten. 

Sobald sie ihr Appartement verließen, würde die Gruppe sie vereinnahmen. Pläne mussten gemacht und Entscheidungen getroffen werden und es gab in dem Gewusel der verschiedenen Aufgaben keinen Platz für Zweisamkeiten. Meistens waren sie nicht mal mit der selben Tätigkeit beschäftigt…

Also war es sogar gut, dass Clarence ihn geweckt und ihnen etwas Zeit zusammen verschafft hatte.

Bereitwillig ließ er sich von dem Blondschopf wieder nach unten drängen und als Kissen für dessen Kopf benutzen und kaum, dass Clarence sich auf ihm gebettet hatte, suchten und fanden Matthews Finger zurück in die wirren Strähnen und kämmten ruhig hindurch.

Sein Ehemann war warm und fühlte sich so behaglich an. Er duftete nach Schlaf, nach ihrer Bettwäsche und noch ein bisschen nach dem Sex von letzter Nacht.

Verliebt steckte Cassie seine Nase in den blonden Schopf und lauschte auf die Stimme seines Ehemanns.

Hätte man Cassiel vor zwei Jahren gesagt, dass ihn eines Tages die Stimme eines einziges Mannes für ihn Frieden und Zuhause bedeuten würde, er hätte dieser Person den Vogel gezeigt. Es war noch nicht so lange her, da hatte er niemandem vertraut und niemand hatte einen so großen Einfluss auf ihn gehabt, als das er Matthew wirklich berührt hatte. Vertrauen war ein Luxus gewesen den er sich schlichtweg nicht hatte leisten können. 

Und heute lag er mit Clarence in einem Bett irgendwo fernab der Heimat, spielte mit seinen Haaren und fühlte sich genau am richtigen Ort. Er war Zuhause.

Nicht in dieser Stadt, nicht in diesem verlassenen Wohnkomplex, sondern neben dem Blonden, der ihm einfach alles bedeutete.

Dass dieser sich offenbar über seinen Vorschlag amüsierte und letztlich sogar kurz aber laut auflachte, berührte Matthew auf tiefe, unbeschreibliche Art. Zu lachen hieß, frei zu sein von der Vergangenheit, frei von Schmerz. 

Und in Clarence’ Fall hieß es, dass kein Fluch mehr auf ihm lastete. Matthews Bauch kribbelte vor Freude und sein Herz machte einen buchstäblichen Hüpfer, während er - die Nase noch immerhin Clarence’ Haar versteckt - grinsen musste. 

Dieser Kerl war einfach alles was er wollte. Selbst dann, wenn er ihn am frühen Morgen auf rabiate Art und Weise weckte. 

Still hörte Cassie ihm zu, stellte sich vor wie es wohl wäre, wenn sie wirklich abgehauen wären. Weiter nach Süden. Soweit bis die Zivilisation endete und sie keine Angst mehr vor den Jägern haben brauchten, denen Clarence sich einst verpflichtet hatte. In der Theorie klang das gut, in der Theorie waren sie wirklich Idioten gewesen... aber wer wusste schon, in welchem Schlamassel sie stecken würden, hätten sie es wirklich getan. 

Erst als Clarence den Kopf hob, ihn ansah und ernst meinte, dass es ein Fehler von ihm gewesen war Adrianna zu retten, fand Matthew seine Stimme wieder. 

Er schüttelte den Kopf und tippte mit dem Zeigefinger mehrfach sachte gegen die Stirn des anderen. 

„Das findest du nicht wirklich. Du hättest sie nicht sterben lassen... so wie du mich damals auch nicht hast sterben lassen. Wir beide gehören nicht zu dieser Sorte Mensch. Wenn das anders wäre… würde ich dich nicht lieben.“

Es hätte ihnen vielleicht tatsächlich ihre Flucht erleichtert, aber wenn sie ehrlich waren dann wussten sie, dass eine Flucht sowieso nicht stattfinden würde. Jedenfalls nicht in der aktuellen Situation. 

Nicht etwa weil sie alleine nicht klarkommen würden, sondern weil die anderen sie brauchten. 

Ihre Gruppe bestand aus einfachen Leuten. Leute die es nicht gewöhnt waren in der Wildnis auf sich aufzupassen, sich Essen zu jagen oder Fallen zu errichten, Spuren zu lesen und ihre Umgebung auf etwaige Gefahren hin einzuschätzen. 

Würden sie gehen, würden die anderen sicherlich einige Zeit in der Stadt zurechtkommen, von dem lebend was die Alten zurückgelassen hatten. Aber würden sie es zur nächsten Siedlung schaffen? Vielleicht einige von ihnen. Aber alle? Wahrscheinlich nicht. 

Die Wahrheit war, dass sie beide niemand anderen brauchten als einander. Doch der Rest... der brauchte sie und was wären sie für Menschen, wenn sie einfach gehen würden, als ginge sie das Schicksal der anderen - insbesondere das der Kinder - nichts an?

„Nächstes Mal, wenn mich Jeyne um einen Gefallen bittet oder nächstes Mal, wenn wir mit dem Zeppelin abstürzen?“, witzelte er herum und lachte auf, während Clarence ihre Zukunft beschrieb.

„Auf unserer einsamen Insel wird es nicht mehr allzu einsam sein mit den hundertsechzig Nachkommen mit ‚Mutter aus die ewige Eis‘.“, verliebt streichelte er mit dem Daumen über Clarence‘ Schläfe und stellte sich ihre Insel vor, auf der es vor Hundewelpen nur so wimmelte, über der immer die Sonne schien und wo sie ihren Frieden hatten. 

„Du bist verrückt , Clarence Sky. Wusstest du das schon?“, Der Jüngere öffnete seine dunklen Augen wieder und sah verzückt und verliebt in das Gesicht seines Mannes. 

Clarence sah verwuschelt und verschlafen aus, wie ein zu groß geratenes Küken das aus dem Nest gepurzelt war. Und eben jenes Küken lehnte sich unerwartet zu ihm und klaute sich einen Kuss von seinen Lippen. Sofort verzog Matthew widerwillig das Gesicht und versetzte dem Kerl, der offensichtlich vor nichts Halt machte, einen tadelnden Knuff gegen den Oberarm. 

„Lass das, du weißt ich kann das nicht leiden.“, moserte er erbost über so viel Dreistigkeit. Das Küsschen war nur flüchtiger Natur gewesen - dennoch war es widerrechtlich geraubt und wegen ihren umgeputzten Zähnen außerdem auch ein bisschen eklig. 

Den Tadel nahm der Bär offenkundig so wenig ernst wie er seine Untat einsah, denn sogleich schweiften seine Gedanken wieder zurück zu ihrer einsamen Insel und dem Strand. 

Und dem wilden Sex, den er sich ausmalte.

Matthew lachte erneut, dieses Mal lauter und zog ihnen beiden einen Moment die Decke über die Köpfe als Clarence ihn angriff und sich an seinem Hals verging. 

Er kicherte so sehr, dass ihm der Bauch und die Rippen wehtaten, aber er konnte nicht aufhören. Der Bart seines frechen Bären kitzelte und kratzte über seinen Hals und eigentlich wollte er Clarence anweisen aufzuhören, aber er  konnte nur lachen und mit den Füßen strampeln. 

Völlig außer Atem und noch verwuschelter als davor schlug er die Bettdecke schließlich zurück und sah - vereinzelt noch immer giggelnd - den Blondschopf an.

Warum genau er so einen Lachflash bekommen hatte… er wusste es wirklich nicht, aber er wusste sehr genau, dass er gerade ziemlich glücklich und definitiv nicht mehr müde war. 

„Ich weiß nicht… ob ich aufstehen und Zähneputzen will… war ja gestern Nacht…  ein kurzes Vergnügen.“ , brachte er zwischen einigem Gekicher heraus und rutschte wieder tiefer unter die Decke die er ziemlich konfus quer über sie gestrampelt hatte. 

„Aber du könntest Training gebrauchen…“ Frech piekste er dem Größeren in die Seite, machte aber noch keine Anstalten wirklich aufzustehen, dazu war es gerade einfach zu gemütlich.


Clarence B. Sky

Lange Zeit hatte ihm die Dunkelheit Angst gemacht, denn sie bedeutete zumeist nichts Gutes. Aus Schatten konnten die dunkelsten Erinnerungen zu einem empor steigen, die versuchten einen mit kaltem, toten Armen hinab in die Tiefe zu reißen - oder aber es stürzten daraus Plünderer hervor, die einen in der Nacht ausraubten und einem die Kehle durchtrennten.

Doch mit Matthew hatte er sich im Dunklen noch nie fürchten müssen. Zusammen mit seinem Ehemann war sie warm, voller Zärtlichkeit und voller Lachen, das die kleine Höhle unter der Decke erfüllte. Es war so viel Leben in ihrem einstmals verlassenen Zimmer, wie es vielleicht selbst zu Zeiten der Alten nicht der Fall gewesen war und die Umstände, die sie überhaupt hierher getrieben hatten, rückten dabei völlig in den Hintergrund.

Amüsiert über so viel Gegenwehr, hielt der Bär herausfordernd seine Stellung an Matthews Hals und trotzte dem wilden Strampeln, das dem Jüngeren sicher mehr weh tun musste, als den Blonden stören. Doch der Kerl würde schon wissen wann es zu viel war und er den Bären von sich treiben musste und so lange das nicht der Fall war, würde Clarence den Teufel tun und davon absehen, seine Beute zu vernaschen.

„Hör endlich auf dich zu wehren, du hast keine Chance!“, drohte er und machte seine Überlegenheit offensichtlich, indem er seine Lippen mitsamt dem kitzelnden Bart etwas am Hals hinab, bis auf die stramme Brust seines Mannes wandern ließ. Erst als dieser die Decke zurück schlug, zog Claire reflexartig den Kopf ein, in Erwartung von zwei flinken Händen die damit drohten, seine eigenen empfindlichen Stellen zu suchen. Doch seiner Schreckhaftigkeit sollte kein Grund für eben jene folgen, denn das sonst so freche Böckchen schien auf eine Revanche ausnahmsweise zu verzichten.

Abwartend musterte er Cassie von unten herauf, lauernd so als könnte der Feind doch noch zuschlagen - was dieser letztlich zumindest verbal tat.

Kurz? Bislang hast du dich noch nie beschwert, dass an mir was zu kurz wäre“, konterte er kampfeslustig, verdrehte was der andere eigentlich gemeint hatte und haschte mit seinen Griffeln nach dem Deckensaum, um ihn wieder dichter um sie herum zu ziehen und Cassie dadurch bei sich zu halten. Nur zu gerne hätte er ihm nun gesagt, dass er nur aufgehört hatte, um seinen Mann nicht zu überfordern; sein nimmersattes Böckchen hatte danach tatsächlich ziemlich erschöpft ausgesehen, was nach so einer Prozedur wie der gestrigen aber auch kein Wunder war.

Trotzdem war es klüger dem Dunkelhaarigen in die Karten zu spielen, wenigstens an diesem Morgen.

Nicht umsonst hab ich dir gesagt, dass ich schon gar nicht mehr richtig weiß, wie es geht“, mit einem herausfordernden Brummen verbiss er sich zärtlich in Matthews Brust, herausfordernd und auf jene bestimmte Art und Weise hungrig die einen ahnen ließ, die letzte Nacht war noch lange nicht genug für ihn.

Tja... ich befürchte, ich brauchte wirklich mehr Training. Ich baue schon furchtbar ab... nicht auszudenken was wäre, wenn wir die Sache noch länger so schleifen lassen... mhh...“

Zufrieden und mit sich im Reinen ob des unlauteren Diebstahls des Kusses, lehnte er sein Kinn zurück auf Cassies Brust und schloss für einen Moment die Augen. Trotz der frohen Aussicht auf ein erschöpfendes Training, zog es ihn genauso wenig sofort aus dem Bett wie seinen Mann.

Es war zu schön wenn sich die fremde Nasenspitze in sein Haar drückte, Cassie ihm sagte ihn zu lieben weil er ein guter Mensch war oder das Streicheln auf seiner Schläfe zu spüren, während sie miteinander witzelten. Viele Jahre lang - viel zu viele -  hatte er nicht geglaubt, so etwas je wieder zu haben. Nicht mehr alleine zu sein, jemanden zu haben der mit ihm zusammen das Bett warm hielt oder der einfach nur seine Zeit mit ihm verbrachte weil er es wollte, ohne, dass es von jemandem aus dem Clan aufgetragen worden war.

Matthew mochte ihn verrückt halten für die Idee mit den hundertsechzig Welpen von Mutter aus die ewige Eis, für den Vorschlag Adrianna beim nächsten Mal sterben zu lassen oder für den Versuch sich wider besseren Wissens einen Kuss von Matthew zu rauben.

Auf der anderen Seite stammte Clarence aus dem Madman Forest und irgendwie wäre es seltsam gewesen, hätte er dort nicht wenigstens ein ganz klein wenig den Wahnsinn mit Löffeln gefressen.

„Mhh... du weißt schon, dass man Verrückte nicht reizen soll. Oder?“, wollte er plötzlich von seinem Mann wissen, der an diesem Morgen so frech zu ihm war wie schon lange nicht mehr - der es wagte die Qualität seiner ehelichen Pflichterfüllung in Frage zu stellen und der es wagte einfach so liegen zu bleiben, obwohl er eigentlich lange hätte aufstehen müssen, um sich die Zähne zu putzen.

Im Wissen, wie sehr es Matthew anwiderte morgens mit Küssen überfallen zu werden wenn sie noch keine Zahnbürste in der Hand gehabt hatten, stemmte er sich endgültig auf der Matratze auf und kam auf alle Viere, um sich auffordernd über Cassie zu postieren und ihm den Fluchtweg zu versperren.

„Du stehst jetzt auf und erfüllst deine Pflicht, damit ich dich endlich küssen kann. Hast du verstanden?!“ - Es ging gar nicht an, wie frech sein Mann sich hier hinlegen und zuckersüß lachen konnte um Clarence den Kopf zu verdrehen, wie er an ihm schnupperte und ihn streichelte - nackt - nur um den Blonden dann auch noch zu verdreschen, wenn er sich das nahm, was so einladend vor ihm lag.

„Entweder du stehst auf - oder ich hole... die Zahnbürste ins Bett und putze dir höchstpersönlich die Zähne!“, forderte er und schmiss die Bettdecke in hohem Bogen vom Bett und somit auch von ihnen. Dass sie noch völlig nackt waren, war Clarence dabei ziemlich egal - so lange er endlich das bekam, was er wollte, zahlte er den Preis dafür gerne.

Mit frecher Bestimmtheit presste er seinem Mann die Hand auf den Mund als Schutzschild zwischen ihren - bis zur Reinigung - verfluchten Lippen und klaute sich einen weitern Kuss von Cassie, abgeschirmt durch die Barriere, die er zwischen ihnen geschaffen hatte... oder wenigstens bildete er sich diesen Kuss selbstzufrieden ein, denn eigentlich schmeckte er ja lediglich seinen eigenen Handrücken.

„Und jetzt... kommst du mit“, packte er ihn am Knöchel, wie ein Neandertaler, der bereit war das Weibchen zu sich nach Hause zu verschleppen. Dass er weder die Kraft in seinem kranken Arm hatte um seine Drohung wahr zu machen, noch den Willen Cassie mit seinen kaputten Rippen weh zu tun, war im Augenblick mal völlig dahin gestellt - aber so lange Matthew an die reale Gefahr glaube verschleppt zu werden und sich stattdessen selbst in Bewegung setzte, war das Ziel völlig erreicht.

Wenn Clarence nicht endlich seinen Guten Morgen Kuss bekam, fand er einfach keine Ruhe.

„Ich jage dich mit Hilfe meiner hundertzweiundsechzig Hunde raus, wenn es sein muss. Willst du es so weit kommen lassen?“, warnte er ihn vor und musste dabei selbst einen Augenblick lachen, denn seiner Armee aus Hundewelpen, Abel und Kain, konnte wohl niemand wirklich Widerstand leisten.


Matthew C. Sky

Es war eigenartig, wie wenig die jungen Männer sich von ihrer Lage beirren ließen. 

Draußen, jenseits ihres Appartements, waren Menschen die sie kaum kannten und die sich auf sie beide verließen. 

Ungefragt hatte man ihnen beiden mehr oder minder die Verantwortung übertragen. Eine Bürde, von der man ihnen nicht anmerkte, dass sie auf ihnen lastete. 

In ihrem Kokon der Zweisamkeit gab es keine Sorgen oder Gedanken an später. Sie waren sich so nah, wie es viele Menschen niemals erreichen würden und wenn sie zusammen waren, dann nahm Clarence Besitz von Matthews Gefühlen und Gedanken. Mit ihm war alles gut, selbst in einer verlassenen Metropole der Alten, selbst mit einer Gruppe Fremder auf die sie aufpassen mussten, selbst mit gebrochenen Rippen. 

Amüsiert lachte Cassie neuerlich auf, als der Bär sich in seiner Brust verbiss, kurz nachdem er festgestellt hatte wirklich kaum noch zu wissen wie „es ging“. 

Die gestrige Nacht war unglaublich erschöpfend gewesen und Matthew hatte keine zweite Runde vermisst, doch frech wie er war behielt er diese Wahrheit aktuell lieber für sich. 

Einen kleinen aber schönen Moment lang lagen beide Kindsköpfe noch friedlich beieinander. 

Clarence mit dem Kopf auf Cassies Brust und Cassie mit den Fingern im blonden Bart seines Mannes, durch den er zärtlich kämmte. 

Doch plötzlich, ein bisschen wie von der Tarantel gestochen, löste sich der Bär von ihm, richtete sich über dem Liegenden auf und verfügte drängend, dass Matthew endlich aufstehen und sich waschen musste. 

Keck zog Mathew sich die Decke bis über die Nasenspitze- und obgleich man sein jungenhaftes Grinsen nicht an den Lippen erkennen konnte, so sah man es doch in seinen blitzenden Augen. 

Überrascht lachte er auf als plötzlich sein wärmendes Deckenschild von ihm gezogen und bei Seite geworfen wurde. Ein Laut, der kurz gedämpft wurde als Clarence ihn die Hand über den Mund legte. Der Blonde simulierte einen Kuss und Cassie kicherte amüsiert unter der Hand die ihn abschirmte. 

„Ahh! Lass dass... Hilfe!!“ schrie er lachend und albern als sein Bärchen ihn plötzlich packte und ein kurzes Stück über das Bett zog. Strampelnd und lachend versuchte Cassie sich auf die Seite zu rollen um sich zu entwinden, doch selbst als ihm das gelungen war, gab es keinen Weg mehr zurück unter ihre Decke. Der Moment des gemütlichen Dahindämmerns war verstrichen und er war hellwach und hatte Lachtränen in den Augenwinkeln. 

„Schon gut, schon gut....“, beschwichtigte er und rollte sich zurück auf den Rücken, hob abwehrend beide Hände und signalisierte seine Friedensabsicht. Er sah völlig zerzaust aus, das Haar verwirrt und verstrubbelt, die Augen wach und klar und erheitert und kein bisschen mehr müde. 

„Ich stehe auf... und geh ins Bad, zum Zähneputzen.“

Er schaute zu Clarence empor, musterte sein schönes Gesicht in dem eben jene Erheiterung und Verzückung lag, die er selbst auch empfand, dann wanderte sein Blick tiefer. Hinunter zu seiner nackten, breiten Brust und dem harten Bauch an dem sich definierte Muskeln abzeichneten.  

Er sah aus wie in Marmor gehauen, stattlich und athletisch und so verdammt anziehend. 

Einen Moment lang blieben Cassies Augen dort hängen und man sah ihm an, dass ihm ziemlich gut gefiel was er betrachtete. Dann musterte er die tieferen Gefilde und was er dort sah... das machte ihn ganz kribbelig. 

Der Blonde war unverschämt gutaussehend und er war noch dazu unverschämt gut bestückt. 

Dass er angeblich keine Ahnung davon hatte wie er auf andere wirkte war etwas, dass Matthew bis zum heutigen Tage nicht so ganz glauben konnte. 

Noch lange bevor sie Gefühle füreinander entwickelt hatten, hatte Matthew dann und wann versucht ihm Gesellschaft für die Nacht zu besorgen. Und die Mädchen waren seltenst abgeneigt gewesen. 

Clarence war groß, muskulös, hatte etwas verwegenes an sich... sogar etwas gefährliches. Er war der Typ Mann vor dem Mütter ihre Töchter warnten und auf den die Mädchen natürlich trotzdem standen. Dummerweise für alle Mädchen dieser Welt war Clarence jedoch nicht besonders an Frauen interessiert und obendrein noch in festen Händen. 

Und Cassie gedachte nicht jenes Juwel je herzugeben. 

Clarence war sein. Sein Herz aber auch sein Körper und beides liebte der Dunkelhaarige innig. 

„Mhmmm“, machte er leise. Ein wohlwollender und zugleich nachdenklicher Laut. Ihm gefiel was er sah und er machte auch kein Geheimnis daraus. 

„Wie kann ein einzelner Mann nur so verdammt gut aussehen, hm?“ er hob den Blick wieder in Clarence’ Gesicht und betrachtete ihn auf sinnlich ketzerische Weise. Sie liebten beide das Spiel mit dem Feuer und es war bei ihnen nie ganz klar, wer der eigentliche Spielführer war. Mal hatte Clarence die Zügel in der Hand und mal Matthew. 

Es hatte etwas herausforderndes an sich, wie der Jüngere unbekleidet in dem zerwühlten Bett lag und dabei seinen nackten Mann betrachtete - ohne es zu verhehlen. 

Noch einen Augenblick lang sah er zu seinem Bären empor, reglos und ihn beinahe auffordernd seine Drohung wahr zu machen. Doch letztlich... fügte sich das allzu kecke Böckchen dem Raubtier doch. 

Matthew setzte sich auf und rutschte an den Rand des Bettes, schwang mit nebensächlicher Eleganz die Beine über die Kante und erhob sich. 

Nichts an dieser Bewegung war besonders, jedenfalls nicht für ihn und doch war jede Regung geprägt von der Geschmeidigkeit einer jungen Raubkatze. Matthew selbst war sich dieser Tatsache nicht bewusst, aber seinen Mitmenschen fiel die Art seiner Bewegungen durchaus auf. 

Sie waren ein ungewöhnlich schönes Paar. 

Ungleich und dennoch perfekt. Der Bär stattlich und atemberaubend, das Böckchen die Definition kraftvoller Geschmeidigkeit. 

Nun standen sie beide voreinander und Matthew machte noch einen kleinen Schritt auf den Größeren zu. Gerade dicht genug als das er die Körperwärme des Anderen spüren konnte aber nicht so nah als das ihre Haut sich schon berührte. 

Der Blonde übte eine ungeheure Anziehung auf ihn aus. Und dazu musste noch nicht einmal etwas tun. 

Cassie spürte das warme Kribbeln des Verlangens in sich aufkeimen und damit die Sehnsucht, Clarence‘ zu berühren. Seine Haut zu spüren, von seinen Knospen zu kosten... vor ihm auf die Knie zu gehen... und ihn mit der Zunge zu verwöhnen. 

Dieser Mann übte eine ungeheure Faszination auf ihn aus - und zwar auf eine Weise wie ihn noch nie ein Mensch fasziniert hatte. Cassie begehrte ihn und jedes Mal wenn er ihn herausforderte, war es ungewiss wie die Sache ausging. 

Doch dieses Mal, gab er dem Verlangen nicht nach und statt ihn zu berühren, machte er einen Schritt an ihm vorbei, so dicht, dass sie einander fast streiften. 

„Lass mir einen Augenblick Vorlauf.“ bat er bevor er das Zimmer verließ und mit leisen Schritten in Richtung Badezimmer tappte. Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt und es glomm nur noch ein kleines Glutnest in den Überresten der Holzscheite. Dementsprechend kühl war es geworden und die Blechschüssel die über dem Feuer hing beinhaltete nur noch lauwarmes Wasser. 

Cassie holte sich eine kleine Schüssel davon, dann ging er ins Badezimmer, stellte die Schüssel ab, tauchte die Tasse hinein die sie zum Zähneputzen nahmen und warf dann einen Lappen in das restliche Wasser in der Schüssel. 

Dann ging er pinkeln, betätigte den Spülkasten und wusch sich die Hände mit Schnee vom Fensterbrett. 

Eisigkalt brandete die Luft zum Bad herein und schnitt regelrecht auf seiner erhitzten Haut während er sich kurz ein Stück aus dem geöffneten Fenster lehnte und über die Straßen blickte. 

Es war ein merkwürdiger Ort, verlassen und doch einstmals so voller Leben. Autos standen ordentlich geparkt an den Rändern, nur manche waren ausgebrannt oder demoliert. 

Die Häuserfassaden waren mehrheitlich intakt, zerstörte Gebäude waren in der Unterzahl. 

Was auch immer hier passiert war, Jahrhunderte später sah es noch immer so aus, als seien die Alten nur fortgegangen statt ausgerottet worden zu sein. 

Alte Reklameschilder machten Werbung für etwas das Coca Cola hieß und dem Text - brighten up your life - nach zu urteilen dabei half das Leben schöner zu machen. 

Die Stadt war voll mit solchen Plakaten, sie waren verblasst aber oftmals noch lesbar.

Mit einem flauen Gefühl im Magen machte Cassie das Fenster wieder zu und tappte eilig zu seiner Schüssel zurück. Er wrang den Lappen aus und fing an, sich mit dem kühlen Wasser zu waschen. 

Dann kippte er das Wasser aus, trocknete sich ab und nahm den Blechbecher mit dem Wasser und der Zahnbürste. 

Beides in der Hand tappte er aus dem Badezimmer in den Flur und rief: „Hey, könntest du dich um das Feuer und um warmes Wasser kümmern?“ - falls Clarence das nicht schon tat. Dann ging er zurück ins Bad und fing an, sich die Zähne zu putzen damit Clarence endlich seinen Kuss bekam... den Matthew tatsächlich ebenso sehr herbeisehnte.  


Clarence B. Sky

Rückblickend wusste Clarence gar nicht mehr wie es war, wenn Traurigkeit und Schatten die Vorherrschaft über Cassies Augen hatten. Er wusste nicht mehr wie es sich anfühlte, wenn dieser Mann zu ihm hinüber sah und sein Mund lachte, ohne die Iriden zum Glänzen zu bringen oder kleine Fältchen um die Augen zu zaubern.

Es hatte sie gegeben, diese Zeit, und irgendwie war es heute ganz so als wären sie einfach nur traurig gewesen, weil sie einander nicht gehabt hatten.

Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil mochte das sogar stimmen, denn seitdem aus ihren beiden Hälften ein heiles Ganzes geworden war, hatten die Schatten der Vergangenheit nur noch wenig Platz in ihrem Alltag und wenn, dann waren sie bereit, einander an der Hand haltend zu begleiten, bis sie wieder in den Sonnenschein zurück fanden.

Alle Hürden wirkten gar nicht mehr so hoch wenn man nur jemanden hatte, der mit einem eine Räuberleiter machen konnte. Abgründe waren nicht mehr so weit wenn jemand hinter einem stand und einen auf der Schaukel anschubste um hinüber zu springen und selbst der lange dunkle Winter fror Clarence nicht mehr so durch wie beim letzten Mal, nun wo Matthew bei ihm war und sie sich gegenseitig wärmen konnten.

Belustigt betrachtete er Cassie wie er dort lag, schutzlos seiner Decke beraubt in den zerwühlten Laken liegend, den Hals geziert von den Malen letzter Nacht. Der Blonde erinnerte sich noch gut daran, wie die rosigen Knospen geschmeckt hatten, wie prall sie davon gewesen waren an ihnen zu saugen und die Erinnerung an den heißen Samen, der sich energisch auf seiner Zunge ergoss, ließ ihm einen wohligen Schauer durch den Leib fahren.

Wo sie sich früher nicht besonders nah gewesen waren, waren sie es heute umso mehr und ganz unverhohlen genossen sie den Anblick des anderen, der peinlichen Berührung entbehrend, die früher damit einher gegangen war.

Der hungrige Blick des Jüngeren prickelte angenehm auf seiner üppigen Männlichkeit und machte ihn spüren, dass ihr Hunger beiderseits entgegen aller Erwartung nicht von dem einen Mal gestern Abend gestillt worden war.

„Hey, Freundchen - meine Augen sind hier oben“, erinnerte Clarence ihn schließlich wie die forschen Mädels in einem Gasthaus es tun würden, doch ernsthaft böse konnte er ihm die offensichtlichen Blicke kaum nehmen, immerhin gingen sie mit einem unverschämt direkten Kompliment einher. Nackt und entblößt lag Cassie vor ihm, sich selbst und seinen von der Nacht noch gezeichneten Körper nicht versteckend und nichts konnte das Knistern verbergen, das sich wieder zwischen ihnen ausbreitete.

Es reichte ein Wort, ein Blick um einander anzustacheln und Claire war der Letzte, der sich dagegen verwehren würde. Er spürte die ihn auffordernden Augen seines Mannes auf sich und zog dabei zögernd aber unmerklich die Brauen zusammen, tatsächlich darüber nachdenkend, ob Cassie ihn nun einlud oder einfach nur testete, ob er gegen das Gesetz verstoßen würde morgens Zähne zu putzen.

Letztlich biss er sich jedoch auf die Unterlippe und schüttelte leicht den Kopf, sich dessen besinnend, wie gern das Böckchen seinen König lockte, um ihn dann doch nur hinzuhalten. An seinem kühlen Kopf musste er sich auch dann noch mit aller Gewalt halten, als das Kleine dicht vor ihm stand, um es ihm immer schwerer zu machen.

Los, geh schon. Mehr als einen Augenblick bekommst du nicht von mir“ - denn er war hungrig und hungrige Bären sollte man nicht reizen.

Beinahe schon erleichternd fühlte es sich an als Matthew endlich ins Bad verschwand, denn bislang hatte es ihm selten gut getan, wenn er seine Grenzen noch vor dem Aufsuchen des Badezimmers ausreizte.

Seufzend fuhr Clarence sich durch die Haare und kämmte die Knoten in seinen Spitzen etwas mit den Fingern aus, bevor er nach dem Schürhaken beim Kamin langte, um die letzte Glut des Feuers aufzustochern. Mit dem Kamin war es wie mit ihnen beiden: Selbst wenn die Luft etwas abgekühlt war, die Glut zwischen Cassie und ihm erlosch nie so ganz und war immer bereit, durch den kleinsten Hauch wieder aufzuflammen.

Kräftig pustete er in die knisternden Funken, warf eine Handvoll trockener Holzsplitter in die daraufhin dunkelrot züngelnden Flämmchen und beobachtete, wie sie sich langsam an dem Holz entlang fraßen. Wenn es nach ihm ging, konnte das Zimmer gar nicht heiß genug werden - denn damit war wenigstens sichergestellt, dass sein Mann sich garantiert nicht wieder an- und Clarence‘ neugierigen fingern entziehen würde.

Während die Glut sich etwas abfüttern ließ, hatte er sich den Becher mit Tee vom Nachtschrank geholt, den Cassie gestern Abend dort mit etwas aufgeschnittenem Schinken bereit gestellt hatte. Mittlerweile war er natürlich kalt, deshalb tat er aber nicht weniger gut. Der Jäger war keiner von den Menschen, die immer nur Wasser trinken konnten und wann immer es irgendwie ging, sammelte er auf ihren Wanderungen und Zwischenstopps die Kräuter ein die er fand, um sie später irgendwie zu Trinkbarem zu verarbeiten.

Dass er deshalb auch von alleine auf die Idee kam, sich um Feuer und Wasser zu kümmern, sollte Matthew also klar sein - trotzdem nahm er es dem Jüngeren nicht übel, dass er ihn irgendwie für faul hielt.

„Auf jeden Fall, wird sofort erledigt, Schatzi“, rief er trällernd über die Schulter zurück ins Bad, so wie er es immer tat, wenn er den folgsamen Ehemann spielen durfte, der auf Kommando natürlich jeden Wunsch seines Weibchens nur allzu gerne erfüllte. Damit Cassie bloß nicht auf die Idee kam es wäre nicht so, warf er lautstark noch zwei Stück Holz auf die wiedererwachten Flammen nach, die sich sofort hungrig darüber her machten, so wie er es gleich bei Matthew tun würde.

Durstig trank er den Tee aus, stellte den Becher auf seinem Weg zurück neben dem Geschirr und dem Schinken ab und marschierte schließlich ins Bad ein - denn wer schon wieder Befehle geben konnte, der war definitiv sowas von fertig mit seinem einen Moment.

Die Haare noch immer furchtbar zerzaust und die Zahnbürste im Mund, sah sein Ehemann einfach zum anbeißen süß aus. Er hatte am Morgen danach immer sowas Unschuldiges an sich, ganz egal wie wild der Jäger über ihn hergefallen war.

Wie weit bist du, mh? Ist die Kontaktsperre schon aufgehoben?“, wollte er wissen, drängte sich von hinten gegen den Dunkelhaarigen und umschlang ihn mit seinen Armen, ihn dicht an sich ziehend. Dabei legte er die Hände auf Matthews definierter Brust ab, deren Knospen sich vor ein paar Stunden noch so prickelnd zwischen seine Lippen hatten saugen lassen und die ihm zeitgleich solch ein angenehmes Kissen sein konnte, dass es sich nirgends besser schlief als hier.

Ich hab mir den Mund...“, begann er leise und legte das Gesicht in Cassies Halsbeuge ab, um dort die zarte Haut zu küssen. ...mit Kräutertee durchgespült. Wir könnten also...“ - wieder unterbrach er sich, bedeckte den fremden Hals mit sanften Küssen und ebnete sich auf diese Weise einen Weg hinauf über den Kieferknochen bis hin zum Ohr, an dessen Muschel er zart zu knabbern begann. „...wir könnten heute Fünfe gerade sein lassen und... die Kräuter-Mundspülung als ausreichende Mundpflege durchgehen lassen. Dann... könnte ich meinen Guten-Morgen-Kuss mindestens zwei Minuten früher bekommen, mh?“

Immer wieder unterbrach er sich durch hungrige Küsse hinter Cassies Ohr, während er sich von hinten an ihn schmiegte und dabei langsam aber bestimmt vom Waschbecken weg zog. Auffordernd wandte er sie ein wenig hinüber gen Tür und watschelte von rechts nach links, um sich mit seinem Mann voran zurück in den Wohnraum zu drängen.

Ich mach mich kurz frisch und dann... machen wir da weiter, wo wir gestern Abend aufgehört haben. Wenn ich mich recht erinnere und nicht geträumt habe... hmm... dann haben wir da noch ein paar Sachen im Bett liegen, die wir dringend an dir austesten müssen...“


Matthew C. Sky

Wann immer sein Mann ihn Schatzi nannte, klang es unheimlich frech und ironisch und Cassie wusste sofort, dass Clarence sich sicherlich schon um das Feuer gekümmert hatte noch bevor Matthew ihn gebeten hatte es zu tun. 

Amüsiert schüttelte er den Kopf während er die Zähne putzte und dabei die scharf schmeckende Kräuterpaste in seinem Mund verteilte. 

Er war noch nicht lange bei der Sache, da gab sich Clarence zu erkennen. Über den Spiegel sah Cassie wie der Blonde im Türrahmen lehnte, nackt wie Gott ihn geschaffen hatte und mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht vermuten ließ, dass der junge Mann irgendwann einmal unsicher gewesen war. 

Die Zahnbürste noch im Mund, lächelte Cassie und schnaufte amüsiert als sich der Größere von hinten an ihn schmiegte, ihn in die Arme nahm und anfing seinen Hals zu küssen.

Kein Mensch auf der ganzen Welt würde je begreifen können, wie gut es sich anfühlte was dieser Mann mit ihm machte. Kitzelig wie er war, zog er giggelnd die Schultern etwas hoch als Clarence sich einen Pfad bis zu seinem Ohr küsste. 

Auf seinem Hals waren noch deutlich die Male zu sehen, die der Bär ihm gestern verpasst hatte, aber heute war er sanfter - zumindest bisher.

Ungeduldig raunte Clarence ihm ins Ohr und zog ihn fester an sich. Matthew spuckte den Schaum aus und spülte mit etwas Wasser nach, wobei er versuchte sich von dem Treiben des Bären nicht irritieren zu lassen - was jedoch gar nicht so einfach war. Es war abzusehen worauf das hier hinauslief und Cassie musste sich noch beeilen den Mund richtig auszuspülen bevor Clarence ihn vom Waschbecken wegzog. Den Wasserbecher noch in der Hand und die Zahnbürste wieder im Mund wanderte der Blonde mit ihm durch das Bad und schließlich bis zum Flur. 

Dort blieben sie beide stehen, Cassie drehte sich herum und blickte verliebt zu dem ungeduldigen Kerl empor.

„Hmm mal angenommen die Kontaktsperre wäre aufgehoben…“, fing er nuschelnd an und nahm schließlich die Zahnbürste aus dem Mund.

„Was würdest du dann machen, hm?“, keck legte er den Kopf auf die Seite, was Matthew noch verliebter, amüsierter und jungenhafter aussehen ließ. 

„Wenn du es mir nicht erzählen willst, dann kannst du es mir auch zeigen.“ - und das hieß wohl eindeutig: die Kontaktsperre war wirklich aufgehoben. Zumindest temporär. Clarence, der den ganzen Morgen schon darauf gewartet hatte und sich halbwegs rücksichtsvoll daran gehalten hatte, dass Matthew es nicht mochte mit ungeputzten Zähnen geküsst zu werden, schien von der Entscheidung des Jüngeren überrascht und im ersten Moment nicht überzeugt. 

Skeptisch beäugte er den Dunkelhaarigen, so als würde er einen weiteren Hieb fürchten, wenn er sich den Kuss holte den sie eigentlich beide wollten. 

Aber Matthew konnte ihm das Zögern nicht verübeln, wenngleich es wohl eher die Attitüde eines Angsthasen statt der eines wilden Bären war. 

Matthew wartete einen Moment und wippte hibbelig von den Zehenspitzen auf die Fersen und wieder vor auf die Zehenspitzen.

Clarence’ Tee-Mundspülung zählte eigentlich nicht, das schien der Blonde zu wissen - aber Claire war den ganzen Morgen über schon so süß, da konnte und wollte Matthew ihn nicht länger hinhalten. Doch in richtiger Hasenmanier getraute sich Clarence nicht. Cassie kicherte verliebt ob der ungewöhnlichen Zurückhaltung, schüttelte verdrießlich den Kopf und überwand kurzerhand die kleine Distanz zwischen ihnen. Als er einmal mehr nach vorne wippte, nahm er ein bisschen mehr Schwung mit und drückte seine Lippen auf die des Blonden. Fest und energisch vereinnahmte er den Mund des Größeren. Man hätte meinen können, dass der letzter Kuss Monate her war und es deshalb so dringlich war einander wieder nah zu sein. 

Ungestüm öffnete Matthew seine Lippen einen Spalt und stupste mit der Zungenspitze zärtlich gegen Clarence‘ Mund. Ihre Zungen berührten sich nur der Bruchteil einer Sekunde, länger ließ Matthew es nicht zu - aber es war ein elektrisierender Augenblick, der zumindest bei Cassie die Lust auf mehr schürte. 

Doch auf mehr mussten sie vorerst beide verzichten. 

Cassie wippte zurück nach hinten und blickte verschmitzt zu dem Blondschopf auf. 

„Duuuuu... gehst dich jetzt besser frisch machen.“, riet er ihm und drückte Clarence kurzerhand den Becher mit der Zahnbürste in die Hand. Draußen war es noch immer dämmrig und auch das Licht in ihrem Appartement war noch spärlicher Natur. Die Welt um sie herum war schon vor Jahrhunderten in einen tiefen Schlaf gefallen. Die Ruinen der Alten zeugten von einer Zeit in der es keine Ruhe gegeben hatte. Aber diese Zeiten waren vorüber. 

Mittlerweile schlief die Stadt und würde wohl nie mehr wieder erwachen. 

Und was ihr Grüppchen betraf... da blieben ihnen vielleicht, mit etwas Glück, noch zwei Stündchen nur für sie. 

Nichtsdestotrotz hatten sie keine Zeit zu verschenken, weshalb Matthew sich auch endlich aus dem Einflussbereich des Bären löste und sich distanzierte. 

Nun da er einmal den Becher samt Zahnbürste losgeworden war, tappte er in die Küche, nahm sich Tee von gestern und trank einen Schluck. 

Fröstelnd zog es den Dunkelhaarigen aber schnell wieder zurück in ihr Bett. Er schüttelte die Kissen und die Decke auf und kletterte dann hinein um sich direkt in der Mitte liegend unter dem weichen Stoff zu vergraben. 

Die Decke bis unter die Nasenspitze ziehend muckelte er sich ein und lauschte auf die gedämpften Geräusche des knisternden Feuers im Kamin des Nebenraumes. 

Orangerotes Licht fiel in ihr Schlafzimmer erhellte es gut genug damit Cassie den Blick schweifen lassen konnte. 

An der Wand gegenüber hing ein schwarz weißes Bild, in dessen Zentrum eine gigantische rote Brücke stand. 

Cassie rollte sich auf die Seite, reckte sich zu einem der kleinen Schränkchen neben dem Bett und öffnete die Schublade. Darin lagen ein Buch, eine Brille und ein Bilderrahmen mit einem verblassten Foto. 

Es zeigte zwei ältere Menschen, eine Dame und einen Herren. Sie standen an einem See in den ein Steg führte. Das Gewässer war umrahmt von Bäumen und Büschen und am Bildrand, nicht ganz auf dem Foto, war eine Blockhütte. 

Cassie sah das Foto nicht zum ersten Mal an, weshalb er es nach kurzer Betrachtung zurück in die Schublade legte und stattdessen nach dem Buch langte. 

Es war gebunden und in schwarz-silbernenes Papier eingeschlagen. 

Der dunkle Turm stand darauf und darunter Schwarz. 

Der Autor, ein gewisser Stephen King, hatte ein üppiges Vorwort verfasst in dem es mehrheitlich darum ging, dass er seinen Lesern dankte. 

Die Seiten waren vergilbt und etwas spröde und sie rochen auf angenehme Art muffig und alt. 

Behutsam ließ Matthew die Seiten zwischen seinen Fingern hindurch gleiten, bis zu einem Eselsohr. 

Der Leser der Lektüre hatte es bis ins zweite Drittel der Geschichte geschafft und Matthew überflog die Seite. 

Ein eigentümliches Gefühl beschlich ihn während er las, so als laste ein Gewicht auf seiner Brust. 

Sie hatten in der Wohnung einige Hinweise auf die ehemaligen Bewohner gefunden, aber zum Glück nicht ihre Leichen. Eine Frau und ein Mann hatten hier gelebt, der Post nach zu urteilen waren sie nicht verheiratet, denn es gab Briefe an Mrs. Dana Clark und Mr. Adam Williamson. 

Und während Matthew die Seite umblätterte um von einem gewissen Roland Deschain zu lesen, der offenkundig der Protagonist der Geschichte war, fragte er sich unwillkürlich ob Dana oder Adam das Buch begonnen hatte. 

Und ob derjenige es vielleicht zuvor schon einmal gelesen hatte oder ob er gerade eine Seite las, die der ursprüngliche Besitzer des Buches nie zu Gesicht bekommen hatte. 

Waren die beiden verstorben und wenn ja, wie war es passiert? Oder hatten sie vielleicht überlebt? Waren geflohen an den Ort auf dem Foto... .

Matthew war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht mitbekam wie Clarence das Bad verließ und wieder in das Schlafzimmer eintrat. Fasziniert, neugierig und gleichzeitig beklommen las er Zeile für Zeile, so als würde sich zwischen ihnen die Welt der Alten erklären, die ihn schon immer mehr fasziniert hatte als gut für ihn war. 

Und vielleicht stimmte das sogar ein bisschen. 


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