<- ZURÜCK          WEITER ->


Pago Estrella Vaga

10. Juli 2210


Matthew C. Sky

Die Ankunft von Anthony Kilgore und Joseph Lewis war nicht unbemerkt geblieben, ganz genauso wie Matthew es beabsichtigt hatte. 

In Rio Nosalida hatte der Dunkelhaarige bereits vor etlichen Jahren die Bekanntschaft mit einigen der wertvollsten seiner Kontakte gemacht. 

Manche standen Le Rouge nahe, doch die meisten hatten es nicht getan und es waren genau jene Leute, für die der damals noch wesentlich jüngere Matthew unter der Hand Gefälligkeiten erledigt hatte. Ein besserer Laufbursche war er gewesen, doch mit jeder Rückkehr in die fremde Stadt waren seine Fähigkeiten besser gewesen und aus den Bekanntschaften wurde fast schon eine Art Freundschaft. 

Joseph Lewis und Anthony Kilgore, zwei Männer die zusammen reisten und in einer geschäftlichen Beziehung zueinander standen, die im Corazón de Oro einkehrten... nichts daran war zufällig und nichts daran war unbemerkt geblieben. In den richtigen Ohren waren diese Dinge nichts anderes als eine klare Botschaft. Und obgleich die richtigen Ohren schon am Morgen die Botschaft empfangen hatten, verpassten sich Anthony und der Empfänger um wenige Stunden. 

Aber all das war vollkommen bedeutungslos, denn statt zwei Stunden hätten es ebenso gut zwei Jahre sein können. 

Für ihre Suche hätte es keinen Unterschied gemacht und tatsächlich war es Matthew zwischendurch so vorgekommen, als wäre er noch nie länger unterwegs gewesen. 

In Wahrheit waren es nicht einmal drei Tage, aber die zunehmend miserable Laune von Clarence, die falsche Spur der sie zwischenzeitlich gefolgt waren und die gefühlt endlosen Hinweise denen sie hatten nachgehen müssen und die immer nur zu einem neuen Schnipsel geführt hatten. 

Vom Postamt zur Falknerei, von der Falknerei zum Ojo el cielo, über den See hinweg und dann - weil sie der falschen Kritzelei gefolgt waren, in eine sprichwörtliche Sackgasse. 

Also waren sie wieder ein Stück zurück, hatten sich neu orientiert und den richtigen Hinweis gefunden. Und nun waren sie hier. 

Auf einem von duzenden kleinen Weingütern, die sich über die fruchtbaren Hügel erstreckten, die sich um den Ojo el cielo zogen. In ganz Rio Nosalida war es nicht so grün wie um den spiegelglatten und kristallklaren See. 

In den Villen und Anwesen lebte nur die Spitze der Oberschicht, die Preise in den Restaurants und Bars waren utopisch, die Grünanlagen gepflegt, überall plätscherten Springbrunnen in den Gärten. Es flanierten in Seide gehüllte Damen über weiße Marmorböden, in der Luft lag der Duft von Orangen und Pfirsichen. All das unter einem azurblauen Himmel, an dem es nur die Sonne zu geben schien. 

Die fruchtbaren Böden wurden genutzt für den Anbau erlesener Weine, doch war es nicht eine der Winzereien in jener Gegend, welche Clarence‘ Freunde als Unterschlupf auserkoren hatten. 

Ihr Ziel, lag nicht in beschaulichem Gelände welches man bequem zu Fuß oder zu Pferd hätte erreichen können, nicht in Reih und Glied zwischen den anderen Winzereien eingebettet. Nein. 

Clarence‘ beschissene Freunde lotsten sie auf den hintersten Hügel. Mehr als einen halben Tagesmarsch stetig bergauf, wobei es lediglich ein schmaler Weg war, der ans Ziel führte. Jener schlängelte sich durch einen kleinen Wald und mündete schließlich auf der freien und von Licht überfluteten Kuppe.

Eine alte Mühle, die eigentliche Winzerei und eine Art Scheune die als Unterkunft diente, bildeten die einzigen Gebäude. Der Rest war Gras, Wald und natürlich Wein.

In ordentlichen und prächtigen Reihen zogen sich unzählige Reben dahin, scheinbar bis zum Horizont. 

Es hätte ein beschaulicher Ort sein können, aber leider hatte ihr Ausflug so gar nichts reizendes an sich. Reizend war allein Clarence geworden und zwar mit jedem Schritt und jedem Hinweis mehr. 

Seine Schweigsamkeit schrie zum Himmel und seine finsteren Blicke schienen mit Macht zu versuchen, die Sonne zu verdunkeln. Seit sie vor zweieinhalb Tagen ihr Zimmer am Hafen verlassen hatten, war nichts mehr so gelaufen wie die Monate zuvor. 

Sie reisten nicht als Team, nicht als Paar, nicht als Verliebte - sondern Cassie lief Clarence hinterher, welcher die Puzzlestücke zusammensetzte die seine Freunde ihm hinterlassen hatten. 

„Und? Wie wird das ablaufen wenn die hier aufkreuzen?“, wollte Matthew wissen und blickte von der Traube in seiner Hand auf, von der er sich eine der süßen Früchte abzupfte und in den Mund warf. Er lehnte an einem der Bäume, in gebührendem Abstand zur Scheune, Mühle und Winzerei. Von hier aus hatten sie die Reben im Blick und würden sehen wenn die Arbeiter zurückkehrten. 

Bei ihrer eigenen Ankunft vor kaum mehr als eineinhalb Stunden, hatten sie sich auf dem alten Gut umgesehen und sich einen Überblick verschafft. Doch viel gab es nicht zu erkunden. In der Mühle gab es ein einfaches Wirtshaus, in dem Wanderer und Arbeiter sich stärken konnten und exakt das hatten die beiden auch gemacht. Alte Bilder waren an den Wänden zu finden gewesen, darunter eines das eine Jagdgesellschaft zeigte. Einer der Männer zu Pferde trug auf seinem Arm einen Falken, der den Blick keck und angriffslustig auf etwas zu richten schien, dass außerhalb des Bildes lag . 

Es war kein Wunder gewesen, dass Clarence eben jenen Platz unter dem Bild auserkoren hatte und tatsächlich, fand sich im Holz der Tischplatte jenes Symbol eingeritzt, dem sie bereits an den Tagen davor gefolgt waren. 

Damit war zumindest klar, dass Clarence‘ Freunde hier gewesen waren und da niemand eine Nachricht für Cole Finnigan hinterlegt hatte, lag es nahe, dass sie noch immer hier waren. Andernfalls hätte auch diese Spur in eine Sackgasse geführt. 

Dass ihre kleine Schnitzeljagd hier endete, war folglich noch nicht bewiesen, doch Cassie wusste schon jetzt, dass weitere Bildchen und Zeichen, verstecke Kritzeleien und Nachrichten, nicht dazu führten seine oder Clarence‘ Vorfreude zu steigern. 

Der Ring um Clarence‘ eines Auge war so purpurfarben wie der Wein in Cassies Hand und einmal mehr schnaubte dieser abfällig und schüttelte den Kopf, als er Clarence ins Gesicht sah. Und ohne es zu wissen, ähnelte sein Blick dabei dem des aufmüpfigen Raubvogels auf dem Ölbild in der Mühle. Was genau in der Nacht ihrer Ankunft in der Stadt passiert war, als Clarence nach ihrem hemmungslosen Vergnügen nochmal mit den Hunden unten gewesen war, wusste Matthew nicht. 

Nicht, weil er nicht gefragt hatte, sondern weil Clarence es vorgezogen hatte in seinen Ausführungen sehr vage zu bleiben. 

Stoisch, um nicht zu sagen eisern, war das Schweigen welches Matthew auf seine Frage hin entgegenwehte und so kam es, dass die nächste Weintraube die er abzupfte gegen Clarence‘ Brust flog. Und danach, weil es so schön war, mit Schmackes gegen seine Wange. „Jetzt mach schon und rede mit mir.“ forderte der Dunkelhaarige, dazu bereit durchaus noch mehr Weintrauben auf den Blonden zu werfen. 


Clarence B. Sky

Endlos blau war der Himmel über dem Pago Estrella Vaga, kein Wölkchen trübte den Himmel. Lediglich dann und wann wurde die freie Sicht durch ein paar fröhlich zwitschernde Vögel unterbrochen und nicht mal diese ließen sich von seinen Blicken töten und zum Schweigen bringen, genauso wenig wie es bei Matthew funktionierte.

An sich war Rio Nosalida fast zu schön um wahr zu sein, nicht zuletzt deshalb, da die Kultur eine fremde war und sich alleine durch die exotisch klingende Sprache schon alles aufregend und neu wirkte. Das Essen war völlig anders als sie es von der Nordseite Amerikas gewöhnt waren, die Gepflogenheiten selbst in den ärmlicheren Außengebieten lebenslustiger und den Menschen, die hier lebten, oblag eine ganz andere Art mit Fremden umzugehen.

Wäre der Grund ihres hiesigen Aufenthaltes nicht so ernst, Clarence hätte es durchaus eine Weile mit seinem Mann hier aushalten können. Hätte eine Führung durch die Falknerei in Betracht gezogen, wäre mit ihm romantisch über den Oho äll Ziel-O geschippert - womöglich eine gute Flasche Rotwein im Gepäck, die sie sich zusammen im Schatten eines über das Ufer ragenden Baumes gegönnt hätten. Sie hätten ein kleines Lunchpaket dabei gehabt, aus diesen dünnen Brotlaiben und den leckeren bunten Dips die man hier zu allem gereicht bekam und die Abende hätten sie im Park oder bei einer Abenteuerreise vor den Stadttoren ausklingen lassen… oder aber im Zuber, dort wo vor vielen Monaten in einem Gasthaus alles mit ihnen angefangen hatte.

Doch die Realität hatte sie eingeholt und das, was Clarence seit seinem letzten Aufenthalt im Madman Forest erfolgreich verdrängt hatte, hatte ihn bereits in der ersten Nacht draußen auf den Straßen des Hafens wieder daran erinnert, dass sich keine Probleme der Welt einfach in Luft auflösten, wenn man nur fest genug daran glaubte.

Die Schwellung seines Auges war trotz Hitze und Anstrengung erstaunlich schnell zurück gegangen, doch noch immer zog das Veilchen unangenehm als er widerwillig die Nase rümpfte, kaum da Cassies Wurfgeschoss auf seine Wange auftraf. Ähnlich wie seine Probleme, versuchte er auch seinen neugierigen Ehemann zu ignorieren, doch wie zu erwarten sollte sich auch dieses Mal kein Erfolg einstellen.

Der blonde Jäger hatte sich schon vor einigen Minuten ins satte grüne Gras niedergelassen, die Bäume des lichten Waldes im Rücken sowie die offenen Felder und von Reben überzogenen Hügel vor sich. Mit einem Blick schaute er hinüber ins Land, als halte er nach dem Feind Ausschau und wolle sich den unübersichtlichen Wald als mögliche Fluchtoption offen halten und tatsächlich war das auch wirklich der Fall, wenigstens ein bisschen.

Noch immer fühlte er die groben Einkerbungen in der Tischplatte des Wirtshauses unter seinen Fingern, spürte die Ernüchterung als offensichtlich geworden war man hatte hier für Cole Finnigan keine Nachricht die man ihm aushändigen würde und damit auch die Klarheit, dass das hier der Ort sein würde an dem zusammenfand, was laut Eid zusammen gehörte.

Es würde keinen Abriss durch Erwachen geben, denn dies hier war keiner der Alpträume die ihm vorspielten, sein altes Leben holte ihn ein. Das hier war Realität und der einzige Unterschied zu seinen ruhelosen Nächten, dass Cassie trotzdem weiter an seiner Seite war, statt irgendwo im Nebel des Traumlandes aus seiner Erinnerung gestrichen.

Ein widerwilliges tiefes Brummen verließ die Kehle des Bären und wenngleich die meisten anderen Menschen mit dieser Antwort nichts würden anfangen können, so war er sich doch wenigstens von seinem Ehemann gewiss, dass dieser ganze Bücher mit seinen ziemlich treffenden Interpretationen jenes Lautes würde füllen können. Schon relativ zeitig nach ihrem Kennenlernen hatte Cassie ein nicht von der Hand zu weisendes Talent dafür entwickelt, welches er vor allem in den vergangenen zweieinhalb Tagen nochmals hatte unter Beweis stellen können.

Die Beine leicht angestellt und die Unterarme auf den Knien abgelegt, zog Clarence mit pampiger Miene, einem motzigen kleinen Jungen gleich, an seiner Zigarette und brachte die Glut der Spitze zum Qualmen. Sein Blick mochte offen die nähere Umgebung sondieren, ging in Wahrheit aber in die Ferne und erinnerte sich dabei den Geschehnissen, welche damals zur übereilten Trennung in Falconry Gardens geführt hatte.

Matthew hatte bis heute keine Ahnung was in der Vergangenheit seines braven christlichen Jungen lag oder was für ein Mann sein Bärchen damals gewesen war – und auf der anderen Seite hatten seine Mitverschwörer nicht die geringste Ahnung davon, zu welchem Mann der Einfluss seines neuen Gefährten ihn heute gemacht hatte. Quer hinter ihm am Baum lehnte sein Hier und Jetzt, seine Zukunft und das was er sich wünschte; und irgendwo da draußen zwischen den unzähligen Reihen Weinreben schaffte das was einst gewesen war und was er mal in einem schienbar fremden Leben gewollt hatte. In sich spürte er zwei Welten aufeinander prallen und als wäre dieses Chaos nicht sowieso schon genug, hatten die Informationen, die er schon in ihrer ersten Nacht in Rio Nosalida unfreiwillig in Erfahrung gebracht hatte, das Fass irgendwie zum Überlaufen gebracht.

Ohne den geworfenen Trauben einen Blick zu schenken, die frech an ihm abgeprallt und wenige Sprünge durch das platte Gras gehüpft waren, zog er abermals an seiner Zigarette und seufzte Tonlos ob seinem Ignorieren Matthew gegenüber, das er nicht für alle Zeit würde aufrecht erhalten können. Gerne hätte er ihm nun gesagt, dass der Jüngere das sowieso nicht verstehen würde, das Donnerwetter konnte sich Clarence aber schon jetzt ausmalen; spätestens wenn die Arbeiter von den Feldern zurück kamen, läutete sich das Unausweichliche sowieso ein und ließ geschehen, was auch immer sich ergeben würde.

„Wie es ablaufen wird kommt darauf an, wer hier ist… und was im Clan passiert ist, seitdem ich weg bin“, erhob er schließlich unerwartet die Stimme; mehr um die armen unschuldigen Trauben vorm sinnlosen Verrotten zu bewahren, als tatsächlich Cassie über irgendetwas in Kenntnis zu setzen. Man sah ihm die Anspannung nicht nur an sondern hörte sie auch deutlich in seiner Stimme, ein Zustand der die Wartezeit nicht wirklich angenehmer machte.

„Wir haben damals grob geplant, dass sich im Idealfall Adrianna auf den Weg machen wird, plus Begleitung weil keiner von uns alleine los geht. Allerdings hatten wir ja ein Szenario ausgemacht, das Nagi mit mir weg lockt damit ich ihn töten kann und dazu hat eventuell gehört, dass ich Adrianna ein wenig…“, kurz zögerte er um es einigermaßen gesittet auszudrücken, doch so wirklich fiel ihm keine brauchbare Alternative ein die beschrieb, was damals vorgefallen war. „…kontrolliert absteche.“

Beinahe schon emotionslos zuckte er mit den Schultern, so als könne man das Ereignis als Kollateralschaden im Rahmen des höheren Ziels abschreiben, das sie damit versucht hatten zu erreichen. Der Zweck heiligte nun mal die Mittel und so wie der heutige Stand war, hatte alles was zurück lag seinen Sinn mehr als erfüllt.

„Die Nacht im Clan war… sehr unruhig. Viele Diskussionen, einige haben sich ziemlich aufgeregt, andere waren sehr still und haben sich betrübt zurück gezogen. Ich war eingesperrt in meinem Zimmer und am nächsten Tag sind Nagi und ich aufgebrochen. Ich weiß nicht was danach passiert ist oder ob es Adrianna wieder gut geht. Ich weiß gar nichts – und alles was sie können ist zu hoffen, dass der Auftrag wirklich erfüllt ist und nicht Nagi plötzlich hinter mir aus dem Wald kommt, um das Zepter wieder an sich zu reißen.“

Zuzutrauen wäre es dem Dreckskerl unter normalen Umständen oder zumindest dann, wenn sein Schüler nicht absolut sicher gestellt hätte, dass nichts und niemand diesen Mann je wieder zurück unter die Lebenden bringen würde.

Tonlos zog er an seiner Zigarette bevor sie aus ging und aschte ins satte grüne Gras neben sich ab, bevor er einen finsteren Blick über die Schulter zurück zu seinem Mann warf.

Am liebsten hätte er ihm gesagt er solle dort nicht so nutzlos herum stehen und sich lieber zu ihm setzen, aber auf der anderen Seite würde Cassie das schon von alleine tun wenn er meinte es aushalten zu können, sich derart nah an den Pfuhl der schlechten Laune heran zu trauen.


Matthew C. Sky

Aufmerksam und schweigend musterte Matthew den im Gras sitzenden jungen Mann. 

Das Haar hatte er sich zu einem nachlässigen Knoten zusammengefasst, aus dem sich bereits wieder einige blonde Strähnen gelöst hatten. 

Er sah schön aus, wie er da saß. Den Blick ernst in die Weite gerichtet und unwillig brummend. Clarence hatte bisher nicht darüber gesprochen was genau ihm Sorgen machte. Natürlich hatten sie über das Offensichtliche geredet, darüber dass man ihn zum Clan bringen würde und man ihn dort behalten wollte. Sie hatten besprochen welche Entscheidungen anstehen würden und darüber was sie - besonders Clarence- bereit waren aufzugeben. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, dass Clarence den Anführer getötet hatte und es Mitwisser gab, die im Zweifel ein Druckmittel gegen ihn hatten. All diese Dinge hatten sie besprochen. 

Doch was darunter lag, unter den offensichtlichen Fakten, darüber hatte Clarence bisher kein Wort verloren und doch wusste Cassie, dass es die unausgesprochenen Gedanken waren, die Clarence beschäftigt hielten. Es war die selbe Art von Schweigsamkeit, die in den letzten zweieinhalb Tagen von ihm ausgegangen war, wie es all die Zeit zwischen ihnen geherrscht hatte, bevor aus ihnen mehr geworden war als nur Weggefährten. 

Es dauerte einen Moment, ein Brummen und ein Seufzen bevor Clarence mit der Sprache rausrückte und ihm zumindest ungefähr eine Antwort auf die gestellte Frage gab. 

Matt runzelte die Stirn, hob den Kopf und blickte zu den Reben hinüber, kurz darüber nachdenkend was der Blonde ihm gerade verklickert hatte. 

Für gewöhnlich, stach man die Leute mit denen man ein Komplott plante nicht ab, auch nicht kontrolliert. 

Ich verstehe es richtig, dass wir im besten Fall gleich auf eine Person treffen, die du...abgestochen hast?“, wiederholte er und klang dabei mehr resigniert als überrascht - und was sein Tonfall vollkommen entbehrte, war ein Vorwurf. 

Was auch immer die genauen Gründe für diese Tat gewesen waren, die ja offensichtlich einvernehmlich stattgefunden hatte, Matthew sah sich nicht in der Position darüber zu urteilen. Als einen rostigen Nagel hatte Clarence seinen Lehrmeister mal beschrieben und er hatte keinen Grund daran zu zweifeln, dass dieser Mann den Tod verdient hatte.

Clarence war davon überzeugt gewesen, sonst hätte er sich nicht für den Plan einspannen lassen und er war auch noch heute davon überzeugt, das Richtige getan zu haben. 

„Das klingt für mich eigentlich nach dem schlechtesten aller Fälle, aber wenn du sagst ich soll dafür die Daumen drücken, dann hast du mich natürlich auf deiner Seite.“

Er richtete den Blick wieder auf seinen Mann, wartete ab ob das Gesagte irgendetwas bewirkte und sprach weiter, als er merkte dem war nicht so. 

Es ging um mehr als nur das bevorstehende Treffen. Es ging um das was gewesen war, wer er gewesen war und welche Erwartungen man an ihn haben würde. 

Erwartungen, die er nicht erfüllen würde, weil Clarence mittlerweile andere Pläne hatte. Pläne mit ihm gemeinsam - und denen fühlte er sich mehr verpflichtet als irgendwelchen Eiden. 

In den vergangenen Tagen hatte Matthew viel darüber nachgedacht was es für Clarence bedeuten mochte, seine alten Bekannten wieder zu treffen um einen Plan abzuschließen, den er in einem gefühlt anderen Leben umgesetzt hatte. Zwar konnte er nicht in Clarence‘ Kopf sehen, aber er konnte sich vorstellen was den Blonden beschäftigte. 

Matthew blickte kurz zu Boden, leckte sich über die Lippen um sie zu befeuchten und schaute wieder zu Clarence. 

„Du hast mich bei allem auf deiner Seite, egal wie das hier gleich laufen wird.“

Es gab kein Clarence und diese Leute, er war nicht allein und sollte sich auch nicht so fühlen. „Ich kann mir vorstellen, dass - wer auch immer hergekommen ist um dich abzuholen - nicht damit rechnet, dass du in Begleitung erscheinst. Wir sollten uns also vielleicht Gedanken darüber machen, als wen du mich ihnen vorstellst.“

Clarence war, soweit bekannt, gläubiger Christ. Er hatte sich in den Dienst der Jäger gestellt, war zum Schamanen ausgebildet worden und hatte seine Sache - laut Matthews Kenntnisstand - auf zuverlässige und ruhige Art immer gut gemacht. 

Und nun saß der selbe Mann von früher neben ihm und war alles außer noch der selbe Mann. Wie schwierig es für alle Beteiligten werden würde, konnte Matthew nur mutmaßen, aber er wusste eines ganz sicher: seine Anwesenheit machte es nicht leichter. 

„Auch wenn du es mit keinem Wort gesagt hast, weiß ich genau welche Position ich bei der Wiedervereinigung habe. Ich...“, er zupfte eine Traube ab, aß die süße Frucht und zuckte mit den Schultern, wobei er vage schmunzelte. 

„...bin der ungeladene Partygast, den keiner auf seiner Wiedersehensfeier haben will. Aber man kann mich auch nicht rausschmeißen, weil ich zum Ehrengast gehöre und den will niemand vergraulen.“, fasste er seine Rolle zusammen und provozierte damit ein amüsiertes Schnauben samt Kopfschütteln von Clarence. 

Daraufhin lächelte Matthew, löste sich von dem Baum und überbrückte mit wenigen Schritten die Distanz zu dem Blonden. Bevor er sich neben ihn setzte, legte er seine Hand auf der Schulter des Größeren ab und drückte sie kurz. 

„Ich weiß, dass du nicht zulassen würdest, dass man mich von der Party ausschließt.“, fügte er an, nachdem er sich gesetzt hatte, noch immer schmunzelnd bevor er wieder ernster wurde. „Dennoch habe ich mich gefragt, ob es nicht besser wäre, wenn du nicht gleich alle Karten offen auf den Tisch legst, was mich betrifft. Ich meine...“

Was er meinte war, dass ihr Treffen und ihr Vorhaben genug Potential für Schwierigkeiten bot und er nicht wollte, dass Clarence zusätzlich in die Bredouille kam. Und was er außerdem wusste war, dass Clarence niemals von alleine das Thema anschneiden würde, welches Matthew nun anschnitt. 

Ums Verrecken würde der junge Mann neben ihm es sich nicht wagen Matthew vorzuschlagen ihre Beziehung zu verheimlichen. Für ihn käme das vermutlich Verleumdung gleich. 

Gerade in den zurückliegenden Wochen, selbst schon in Cascade Hill, hatte er angefangen sich für ihn zu überwinden und ihre Liebe nicht zu kaschieren. Aus der anfänglichen Scheu irgendwer könne ihnen anmerken oder ansehen dass sie ein Paar waren, war Clarence zunehmend mutiger geworden.

Für Matthew hatte er sich mehr und mehr überwunden und der Jüngere war sich sicher, dass Clarence ihn nie darum bitten würde, ihre Bindung vor seinen alten Bekannten unerwähnt zu lassen. Selbst dann nicht, wenn es für ihn ein Maß an Überwindung kosten würde, vor dem es ihm graute. 

Deshalb nahm Matt es ihm ab, jene Frage nach der Notwendigkeit von Offenheit bei diesem Thema stellen zu müssen und stellte besagte Offenheit selbst in Frage. 

Einfach, damit Clarence es nicht musste. 

„Ich meine, es gibt sicher einiges, dass du erklären musst. Man wird Fragen an dich haben und Dinge von dir erwarten. Wenn du...in Anbetracht dessen und der Tatsache wie sie dich kennen... unser beider Verhältnis nicht klarstellen willst, dann würde ich das verstehen. Sehr gut sogar.“

 


Clarence B. Sky

Unter normalen Umständen wäre es vermutlich tatsächlich der schlechteste aller Fälle heute auf einen Menschen zu treffen, den man einst brutal abgestochen hatte – doch schon lange war bei den Kestrel nichts mehr normal gewesen und es würde auch noch lange dauern, bis es wieder so wurde… wenn überhaupt.

Dass sein Mann auf seiner Seite war und ihm die Daumen drückte wenn es darum ging jemanden wiederzutreffen den er mit einer Waffe angegriffen und verletzt hatte, zeigte einmal mehr wie bedingungslos Matthew hinter ihm stand. Ganz egal worum es ging oder was seine Beweggründe für seine vielen früheren Taten gewesen waren, Cassie zweifelte seine Entscheidungen weder an, noch hinterfragte diese zu irgendeinem Moment. Nicht mal heute, nicht mal jetzt, wo Zeit wäre den Blonden auszuquetschen über das Wiesoweshalbwarum. Sein Mann nahm es zur Kenntnis und stärkte ihm den Rücken, blieb eine verlässliche Konstante und damit ein Fels in der Brandung den nichts von ihm fort rücken konnte und noch während der einstige Taugenichts den Jäger trotz aller schlechter Laune kurzzeitig zum Schmunzeln bringen konnte, da wusste Clarence, dass sein Mann der eine unter einer Million war. Ein Juwel, das im Leben zu finden nur wenige vollbrachten und damit ein unbezahlbarer Schatz, den er besser nie wieder aus den Händen gab, so lange er atmete und lebte.

Das dünne Lächeln, beinahe schon etwas melancholisch, zierte noch immer seine Lippen als der Jüngere schließlich wie still erhofft neben ihn trat und seine Hand für einen kurzen Moment auf Claires Schulter niederlegte. Er wusste, er war kein einfacher Geselle sobald etwas ihm die Laune verhagelt hatte und oftmals waren seine Stimmungen so wechselhaft wie das Wetter auf hoher See, das stand wohl völlig außer Frage.

Es hatte Zeiten in ihrem Zusammensein gegeben, da hatten weder er, noch Matthew damit umgehen können, wenn Stille und düstere Gedanken die Leere zwischen den Zeilen füllten und die einzig laut ausgesprochenen Worte seitens des Blonden alles andere als freundlich waren. Für seinen Mann war jede Silbe wie ein Stich gewesen, immer eine weitere kleine Prise Salz in die offenen Wunden, die Clarence ihm bereits geschlagen hatte und letzterer hatte sich provoziert gesehen mit seinem Verhalten fortzufahren, je defensiver der andere darauf eingegangen war.

Einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, eine Basis auf deren Grundlage sie konstruktiv miteinander umgehen konnten, hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert und doch hatten sie es mit der Zeit irgendwie geschafft sich selbst in Zeiten vermeintlichen Krieges aufeinander zuzubewegen statt voneinander fort zu treiben. Erst nachdem sie sich ihre Gefühle zueinander eingestanden hatten, hatten sie begonnen sich kennenzulernen. Sich wirklich kennenzulernen, auf eine Weise die sie erkennen ließ was der andere brauchte und was ihm gut tat, ohne sich selbst zurücknehmen zu müssen oder aufzugeben, was sie eigentlich ausmachte.

Auch nun, wo Matthew auf ihn zukam ohne ihm Vorwürfe für sein Verhalten in den vergangenen Tagen zu machen oder Verdruss in seiner Stimme mitschwingen zu lassen bei einem Thema das alles andere brachte als Freude und das dennoch notwendig war, nötigte es dem Jüngeren spürbar keinen sprichwörtlichen Sprung über den eigenen Schatten ab – ganz anders als es dem Hünen noch vor Monaten ergangen war, als er damit begonnen hatte in aller Öffentlichkeit seine Zuneigung zu dem Dunkelhaarigen zu offenbaren.

„Ich kann dich gar nicht ausschließen… du bist meine Party“, murmelte Clarence verdrießlich zwischen den Worten seines Mannes und was unter anderen Umständen vielleicht sogar eine etwas romantische Vorstellung gewesen wäre, meinte er in diesem Moment bitterernst. Eine Rückkehr nach Falconry Gardens würde er kaum überstehen wenn er sich vorstellte, sein Partner würde dorthin nicht mitkommen sondern irgendwo hier in Rio Nosalida oder anderweitig zurück bleiben um auf seine Rückkehr zu warten; Matthew war nicht nur sein Zuhause, sondern auch sein Glück und ohne dieses würde er sein ganzes Quäntchen an Lebensfreude zurück lassen, das sein Mann ihm seit ihrer Hochzeit zurück gegeben hatte.

Stur auf das Fleckchen Gras vor sich starrend, als könne er alleine durch die Kraft seines Willens ein Loch darin auftun in das er sich stürzen konnte um somit allen weltlichen Belangen zu entfliehen, zog er trotzig an seiner Zigarette die ihm bald die Finger verbrennen würde wenn er so weiter machte.

Tonlos schüttelte Clarence den blonden Schopf, nicht konform damit gehend was Matthew ihm da zu unterbreiten versuchte und gleichfalls gewiss darüber, dass es die vernünftigste aller Entscheidungen war, die sie treffen konnten.

„Es ist nicht so, dass ich es nicht will… sondern eher so, dass ich es nicht kann. Alles andere wäre… die dämlichste Idee seit meinem Vorschlag, bei Eis und Schnee auf den Devils Teeth zu klettern um die schöne Aussicht zu genießen“, zog er einen guten Vergleich zu den Ausmaßen die das Ganze annehmen würde und stellte zeitgleich womöglich zum tatsächlich ersten Mal seitdem sie sich kannten klar, dass nicht alle seiner Vorschlage Gold wert waren. „Ich hätte nie gedacht dass ich das jemals in meinem Leben sagen werde, aber: Ich mag den Gedanken nicht, dass ich anderen Leuten meinen Ehemann verschweige. – Ach verdammt!“

Fluchend ob den plötzlichen Schmerz der ihn durchfuhr, schüttelte er erschrocken die Hand, aus derer ihm soeben der glühende Stummel zwischen den Knien hindurch ins Gras gefallen war, und pustete sich kühl gegen die verbannten Fingerknöchel.

„Abgesehen davon, dass die sich fragen werden ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hab wenn ich nach jahrelangen Fanatiker-Parolen plötzlich mit einem Kerl an meiner Seite zurück komme, wäre das eine taktische Katastrophe. Wenn wir denen sagen, wir sind verheiratet…“ – resignierend hob Clarence die Schultern und untermalte damit das, was bereits Offensichtlich war. „Die sind nicht blöd. Die werden sich denken können, dass ein Kerl wie du nicht brav in Falconry Gardens darauf wartet dass sein Jäger-Gemahl von irgendeinem Auftrag irgendwo in der großen weiten Welt zurück kommt und genauso werden die sich denken können, dass ich auch ihre Gelübde zu brechen bereit wäre, wenn ich nicht mal mehr was auf Gottes Gebote gebe.

Ich hab in den letzten Tagen darüber nachgedacht… Was okay wäre, wäre ein Typ den ich irgendwo aufgegabelt hab. Verletzt in einem Wald“, das war zwar nicht besonders originell, aber das sollte es ja auch nicht sein. Je weniger sie von den Tatsachen abwichen, umso weniger liefen sie Gefahr sich zu verplappern und der Lüge überführt zu werden und abgesehen von der Ehe und ihrer Liebelei, hatten sie ja auch nicht wirklich etwas miteinander, das verschwiegen werden musste.

„Den ich nach unserem gegenseitigen Zusammenflicken dabei hatte um irgendwie über die Runden zu kommen und der von Anfang an angefixt war von der Idee Jäger zu werden, nachdem er selbst seinen Job verloren hat. Wir müssen dich irgendwie als Anwärter da rein schleusen, sonst wirst du keine Chance bei diesen Leuten bekommen, noch mich oft zu Gesicht wenn sie mich erst mal in Gewahrsam haben.“

Ernster Miene blickte er schließlich doch noch zu Matthew hinüber und musterte seinen Mann nachdenklich, uneins mit sich selbst welche Informationen er seinem Partner schon jetzt zumuten sollte und welche er sich besser für später aufhob, damit Cassie wenigstens im Ansatz die Möglichkeit hatte, das neue Wissen Stück für Stück zu verdauen.

„Wenn ich zurück im Clan bin, werde ich den Mord an Nagi gestehen müssen. Es zu verleugnen wäre völlig unglaubwürdig.“

Entgegen der Bedeutung seiner unverblümten Worte, klang sein Tonfall alles andere als nach dem Verrat, den er offensichtlich begangen hatte – aber wie sollte er das auch, wider besseren Wissens? Der Tod dieses Mannes war nichts mehr und nichts weniger als ein Geschenk für viele Menschen die ihm früher nahe gestanden hatten und auch für ihn selbst, ganz gleich ob manche wenige das anders sehen mochten.

„Sie werden mich tagelang wegsperren und verhören… und dich vielleicht auch ausquetschen, einfach weil sie herausfinden wollen, warum ich so lange nicht nach Hause zurück gekommen bin. Sie werden davon ausgehen, dass ich gekommen bin um zu bleiben und so werde ich mich auch verhalten müssen, selbst wenn das bedeutet… dass wir uns dadurch weniger sehen. Wenn alles so laufen soll wie geplant, dann müssen wir nach ihren Regeln spielen, so lange wie es eben sein muss. Ich weiß nicht, wie gut ich das hinbekommen werde, nachdem du mich so verkorkst hast…“

Auf der anderen Seite war er sich, was das anging, bei Matthew noch viel unsicherer – immerhin war der Kerl dafür bekannt, dass Vorschriften für ihn lediglich ein grober Richtwert waren aber nichts, an das man sich zwingend halten musste.

„Und ich weiß nicht wie gut ich das hinbekommen werde dir noch in die Augen zu sehen, je länger wir dieses Spiel mit ihnen spielen. Ich war ein anderer Mensch als wir uns kennengelernt haben und… nicht gerade eine Ausgeburt der positiven Attribute, die du mir mit deiner rosaroten Brille auf der Nase schon so oft zugesprochen hast.“


Matthew C. Sky

Das Thema, welches Matthew angeschnitten hatte, damit Clarence es nicht tun musste, entbehrte jeder Komik und jeder Verlockung. 

Es hatte nichts witziges oder abenteuerliches an sich, wenn sie verschweigen mussten wie sie zueinander standen. Der Reiz des Verbotenen, der sie manchmal dazu trieb Regeln und Gepflogenheiten zu brechen, war dieses Mal keine Option.

Ein Bruch jener Absprache die sie gerade trafen, würde nicht zu amourösen Entgleisungen führen, sondern zu massiven Schwierigkeiten. 

Nach Falconry Gardens zu gehen, war nichts anderes als sich freiwillig in die Fänge eines schlummernden Raubtiers zu begeben. Sie mussten hoffen, dass der Schlaf der Bestie anhielt denn andernfalls würden sie kaum eine Chance haben lebendig aus der Sache herauszukommen. Das Risiko welches sie eingingen, war Matthew bewusst und dennoch bereitete es ihm zunehmend noch mehr Unwohlsein, je länger er seinen Mann so sah und je länger er ihm nun zuhörte. 

Hatte die mürrische Feststellung darüber, dass Matthew seine Party war, den Dunkelhaarigen noch lächeln lassen und dafür gesorgt, dass ihm ganz leicht ums Herz wurde, machten ihm die nachfolgenden Worte wieder begreiflich, wie ungemein schwer werden würde was vor ihnen lag. 

Clarence, der sonst immer so gelassen wirkte, der Pläne ausfeilte und durchzog und der sich nicht beirren ließ auch wenn die äußeren Umstände schrecklich waren, eben jener Mann war angesichts des bevorstehenden Treffens und dessen Konsequenzen innerlich völlig neben der Spur. 

Ohne zu zögern langte Matthew nach seiner Hand und drückte auf die Fingerknöchel einen Kuss, welche eben Bekanntschaft mit der verglühten Zigarette gemacht hatten. 

Am Liebsten wäre er Clarence um den Hals gefallen, denn was ihnen bevorstand war nicht weniger als ein Abschied voneinander. 

Zu behaupten, Matthew würde keine Angst haben wäre eine der dreistesten Lügen die es überhaupt je geben könnte. Fakt war, der Kleinere hatte eine verfluchte Scheißangst davor, dass ihre Reise nach Falconry Gardens ihre letzte sein würde. 

Gleichzeitig wusste er aber auch, dass es ihre einzige wirkliche Chance war, sich ein freies Leben aufbauen zu können - mit allem was sie nur wollten. 

Wenn sie wegliefen, würde es immer irgendwo jemanden geben, der Clarence erkennen könnte. Im besten Fall verpasste man Clarence ein blaues Auge... im schlimmsten ein Messer zwischen die Rippen. 

„Wenn du den Mord an ihm gestehst... und sie mit mir darüber reden... was soll ich sagen? Weiß ich was darüber und wenn ja wie viel?“, dass waren nicht die Fragen die er wirklich stellen wollte, nicht die Dinge die er wirklich fragen sollte. Aber sie wussten beide nicht, wie viel Zeit sie noch hatten, deshalb mussten sie sich beide mit den Dingen auseinandersetzen, die zweckdienlich waren.

Doch dann übertrat Clarence die unsichtbare rote Linie, eine Grenze die er niemals ungestraft übertreten durfte so lange Matthew bei ihm war - und eigentlich mich nicht mal dann, waren sie getrennt. 

Er legte die Weintrauben neben sich ins Gras, wischte beiläufig seine Hand an seiner Hose ab und umfing dann Clarence‘ Kinn. 

Sein Griff war bestimmt und entbehrte jeder Zögerlichkeit ebenso wie sein Blick jede Unsicherheit vermissen ließ. 

„Du wirst mir immer in die Augen sehen können, hörst du? Immer. Weil es keinen Grund dazu geben wird, es nicht mehr zu können. Ich weiß, dass du keine großen Stücke auf dich hältst, dass du denkst ich würde Angst vor dir bekommen wenn ich sehe mit welchen Menschen du dich umgeben und wie du gelebt hast.“

Noch immer hielt er Clarence‘ Kinn umfangen und betrachtete ihn mit einer vehementen Liebe in den dunklen Augen, die unumstößlich zu sein schien. 

„Aber ich habe keine Angst vor dir. Der Mensch der du jetzt bist, der bist du. Was immer du getan hast und was immer du vielleicht tun musst...das bist nicht wirklich du. Ich werde das nicht vergessen. Ich werde nicht vergessen wer du bist.“ 

Er gab das Kinn des Größeren frei, küsste seine Fingerspitzen und legte diese an die Lippen seines Mannes.

„Du darfst an allem zweifeln. Daran, dass die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht. Von mir aus daran, dass Wasser immer nach unten fließt. Aber zweifel niemals an dir und daran das du ein guter Mensch bist.“

Wenn Matthew ihn ansah, dann sah er keinen Fanatiker, er sah keinen Mörder, keinen Schläger, keinen Verräter von kostbaren Werten. 

Er wusste, Clarence hatte andere getötet - und sicher hatte er Fehler gemacht, grausame Dinge getan. Aber hätte er sie nicht begangen, wäre er jetzt nicht hier. 

„Selbst ein guter Mensch, kann schlechte Dinge tun. Deshalb ist er noch lange nicht böse. Und was dich angeht und das was hinter dir liegt...“, er zuckte die Schultern, als wolle er sagen, dass es nicht mehr wichtig war. 

„Du darfst nicht vergessen, dass du auch Gutes getan hast. Für mich, für die Leute in deinem Clan, für Fremde. Und ich vergesse nichts davon. Deshalb...wirst du mir immer in die Augen sehen können. Wir sind ein Team. Und auch, wenn ich offiziell nur scharf auf einen Posten in eurer komischen Gilde bin... so bin ich doch in Wahrheit nur scharf darauf mit dir abhauen zu können.“ Nun lächelte er aufmunternd, versuchte so positiv wie möglich zu klingen und auszusehen. 

„Hey...wir kriegen das hin. Ich werd versuchen mich zu benehmen und du wirst deine Rolle spielen so lange es nötig ist. Und wenn das hinter uns liegt... dann sind wir frei, Baby.  Wirklich frei. Kommt es noch auf irgendetwas anderes an?“

Nein, nicht wenn man ihn fragte. Nichts war wichtiger, als eine Zukunft mit Clarence zu haben, ohne jeden Tag um ihn fürchten zu müssen. 


Clarence B. Sky

Ganz zweifelsohne unterschied sich das, was vor ihnen lag, grundlegend von den anderen Situationen in denen sie nicht von vornherein richtig gestellt hatten, wie sie zueinander standen.

Die Rückkehr in seinen Clan, so notwendig sie auch war, war nicht zu vergleichen damit jemanden auf offener Straße nicht zu korrigieren wenn er sie für Gefährten hielt oder eine Dame in der Gaststätte nicht darum zu bitten, ihnen ein einzelnes Zimmer mit Doppelbett zu geben, anstelle zweier Einzelzimmer. In solchen Fällen konnten sie dennoch die Hand des anderen nehmen wann auch immer ihnen danach war, konnten sich abends in das Zimmer des anderen begeben um dort zu übernachten oder sich einfach nur einen Spaß daraus machen, eine fremde Rolle einzunehmen die ihnen auferlegt wurde, aber eigentlich nichts mit der Wahrheit zu tun hatte.

All die kleinen Gesten die abseits der offensichtlichen Liebkosungen ihre Zuneigung zueinander bekräftigte – verliebte Blicke, ein Kuss auf verbrannte Fingerknöchel oder einfach nur ein beinahe zufälliges Streichen durchs Haar des anderen wenn man an ihm vorbei ging – würden unter den Augen seiner Brüder und Schwestern, ja sogar unter denen der Bewohner von Falconry Gardens Tabu sein und so gut er früher darin gewesen war Tabus nicht anzurühren, so sehr wollte er es heute am liebsten brechen.

Mit Matthew zusammen zu sein, ihn zu berühren und dem Jüngeren zu zeigen dass er ihn liebte, das alles kostete Clarence schon lange keine Überwindung mehr, sondern war ihm eine lieb gewonnene Beschäftigung geworden die ihm so nötig geworden war wie etwa atmen, essen oder trinken. Schon jetzt hatte er das Gefühl innerlich zu verdorren alleine bei dem Gedanken daran, all das voraussichtlich über Wochen und Monate hinweg nicht mehr haben zu können. Sein Herz schlug nicht nur für seinen Mann, sondern vor allem wegen ihm - denn hätte er Cassie damals nicht gefunden, wäre er schon lange in dem Wald, in welchem er sich damals verschanzt hatte, gestorben und zu Staub zerfallen.

Ganz zart streiften seine Fingerspitzen streichelnd die Lippen des Jüngeren als dieser den zarten kleinen Kuss ausklingen ließ und ließ ihn darunter wortlos wissen, dass er den Dunkelhaarigen auch unter dem Mantel seiner schlechten Laune immer lieben und niemals hintenan stellen würde. Clarence mochte ihn über quälend endlose Stunden hinweg anschweigen, ihn nicht mal eines Blickes bedenken wenn er selbst in Gedanken war und ihre Intimität auf Eis legen wenn ihm danach nicht der Sinn stand… aber vergessen oder deswegen weniger für den Kleineren empfinden, das würde er niemals.

Dass Matthew nicht anders ging zeigte ihm dieser wenige Augenblicke später, als der das bärtige Kinn seines Mannes umgriff und ihn dadurch nicht nur zwang den Blickkontakt aufrecht zu erhalten, sondern auch zu begreifen was er Cassie war und immer sein würde.

Der Dunkelhaarige war anders als die anderen Menschen denen er zuvor jemals begegnet war, das hatte Claire schon früh begriffen, auch wenn der damalige Taugenichts seine stillen Feststellungen über den schweigsamen Jäger niemals offen mit ihm geteilt hatte. Er war Aufmerksam und sensibel, schaffte es mit seinen kandisfarbenen Augen durch andere hindurch zu blicken und nicht nur die offensichtlichen Facetten des Schamanen zu erkennen, sondern auch die Quintessenz seines Seins und Empfindens.

Für Cassie war er nicht nur der Schweigsame oder der Mann, der ohne zu zögern zu einer Waffe griff um andere bedenkenlos zu töten, wenn die Situation es erforderte. Er war nicht nur der Übermütige wenn es darum ging sein Leben für ein wenig Abenteuer aufs Spiel zu setzen oder derjenige der seinen Frust in Alkohol ertränkte, um Schmerzen abzutöten und auszublenden, was er nicht empfinden wollte. Matthew machten nicht all diese Dinge seinen Kern aus – sie waren Aspekte die ihn umgaben. Doch was zählte, das waren ganz andere Attribute und nur der Jüngere besaß diese magische Art zu erkennen, was für ihn wichtig war und die Basis dessen darstellte, in was er sich verliebt hatte und auf was er vertrauen konnte, wenn er sein Leben mit dem Bären teilte.

Zu wissen solch einen Partner an seiner Seite zu haben der all die schlimmen Dinge, die Clarence in seinem Leben getan und entschieden hatte, nicht als etwas zu erkennen das ihn ausmachte sondern lediglich ein Teil des großen Ganzen war, das war einer der Gründe warum er Matthew so sehr liebte und ihm vertraute. Auch in diesem Moment, am Scheideweg ihrer bisherigen Reise, ließ Cassie keinen Zweifel aufkommen über das was sie hatten und auch danach noch haben würden, wenn sie die anstehenden Hürden hinter sich gebracht hatten.

Was sie verband war weit mehr als ein schöner Schein der irgendwann vorbei sein würde oder eine vermeintlich innige Bindung die ins Wanken gebracht werden konnte durch Ereignisse der Vergangenheit oder der Zukunft. Sah er in Matthews Augen, dann spürte er das Band welches sich zwischen ihnen so fest gewoben hatte, dass nichts und niemand – darauf verwettete er alles was er besaß und sein eigenes Leben obendrauf - sie jemals würde auseinander bringen können.

Die Finger seines Mannes, erst geküsst durch diesen nur um sie danach auf die Lippen des Bären zu legen, waren wie Balsam für seine Seele angesichts dessen, dass sie derartige Zärtlichkeiten für eine lange Zeit nicht mehr würden teilen können wie sie es gerade wollten. Noch vor wenigen Monaten hätte Clarence nicht glauben können, dass ihre Beziehung eines Tages so aussehen würde wie sie es heute tat, noch war für ihn denkbar gewesen, dass nach all den unsichtbaren Mauern und Gräben ein derart inniger und vor allem liebevoller Umgang zwischen ihnen herrschen würde, den er niemals wieder hergeben wollte.

Zart küsste er die fremden Fingerspitzen bevor sie sich von seinen Lippen lösten und nur wenige Momente später schaffte Cassie es tatsächlich seinem Mann ein kurzes leises Lachen zu entlocken, selbst wenn das nicht seine Absicht gewesen war. Denn wenn er offiziell nur scharf auf einen Eintritt in seinen Clan war, so lag doch nahe in Wahrheit nur scharf auf seinen Bären zu sein – ein erwarteter Ausgang in Matthews Ansprache der sich nicht bewahrheitete und es selbst in aller Tristesse noch schaffte, den Jäger auf verquere Weise zu erheitern.

Grummelnd brummelte er ein paar unverständliche Worte in seinen zerzausten Bart und richtete diesen kurz darauf mit ein paar kämmenden Fingerbewegungen, sich wenige Sekunden zur Überbrückung heraus schlagend um sich zu sortieren. Matthew wusste genau was er sagen musste um seinen Bären auf gut gemeinte Art zu treffen und andersherum wusste Clarence selbst bis heute noch nicht, schlagfertig mit solchen Dingen umzugehen.

Es dauerte einen Moment bis er sich gesammelt hatte und schließlich die Stimme wieder hob:

„Versprich mir, dass du immer wissen wirst wie sehr ich dich liebe, Matthew. Auch dann, wenn ich dich nicht ansehe weil du nicht mehr sein wirst als irgendein dahergelaufener Freund, wenn ich mal nicht für dich einstehen kann in Momenten wenn ich es sonst tun würde… oder wenn ich dich scheiße behandle, weil du da als Rookie eben durch musst. Vergiss das nie, hörst du?“, forderte er ernst von seinem Mann und legte die Hand Nähe suchend auf Cassies Knie ab während er das vertraute Antlitz auf eine Weise musterte, wie er es künftig nicht mehr ansehen durfte.

„Selbst wenn die Flüsse plötzlich doch aufwärts fließen oder der liebe Herrgott vom Himmel herab steigt um dir höchstpersönlich auf die Schulter zu tippen. Wenn sich alles ändert und zusammenbricht, ich werde dich trotzdem immer lieben, wenigstens dessen kannst du dir gewiss sein.“

Die Grundgesetze der Natur mochten sich aus den Angeln heben und ihre Welt ins Chaos stürzen, er würde weiter Matthew gehören und mit ihm zusammen die Apokalypse bestreiten, ganz egal was kam.

Kurz ließ er seinen Blick hinüber zu den Feldern schweifen, erkannte weit und breit noch keine offensichtliche Aufbruchsstimmung in der Ferne und nahm sich heraus was sein Mann sich eben nicht getraut hatte: Die kurze Distanz zu überbrücken welche zwischen ihnen lag und Matthew den Kuss zu geben, nach dem es sie beide ganz offensichtlich verzehrte. Einfach war er, nicht geprägt vom übermäßigen Verlangen die Liebkosung künstlich in die Länge zu ziehen und doch reichte er aus um wenigstens für den Moment das brennende Verlangen zu stillen, einer Sucht gleich die durch ein kurzes Vergnügen wenigstens temporär zum Schweigen gebracht wurde.

Brummend leckte er sich über die Lippen, als könne er den Geschmack seines Mannes dadurch für die kommenden Tage konservieren, auch wenn diese Hoffnung sinnlos sein würde.

„Wenn sie dich ausquetschen… verbieg dich nicht mehr als nötig. Verrat ihnen das was du weißt, ohne die prekären Details zu nennen. Sag ihnen ruhig… dass du später von mir erfahren hast, dass ich ihn getötet habe und das erklärt hat, warum ich bei unserem Kennenlernen durch den Wind war. Vielleicht zeigt ihnen das, dass ich nichts versuche schönzureden und überzeugt sie noch mehr davon, ich hätte es nicht mit Absicht getan, sondern im Rahmen des Fluchs – so wie es hat aussehen sollen. Wenn wir mehr dementieren als nötig, fragen sie uns nur sinnlos weiter aus…“, erklärte er seinem Mann ruhig und suchte erneut dessen Blick um zu unterstreichen, wie ernst es ihm damit war.

„Ich habe mit mir gehadert zurückzukehren, weil ich mich für meine Tat schäme. Wir haben beide Zeit gebraucht um zu genesen und wurden später aufgehalten als der Winter über uns kam. Dann kamen die Spinnen. Du wurdest danach am Kopf verletzt und als zuverlässigen Kameraden und potentiellen qualifizierten Rookie, gut im Umgang mit Waffen und sogar gebildet, konnte ich dich nicht einfach zurück lassen. Dass meine Entscheidung richtig war hat sich später dadurch bewiesen, als du es geschafft hast eine Gruppe Vetala ausfindig zu machen und nach meiner Anleitung selbstständig aus einem Traum zu fliehen, nachdem du dich hast fangen lassen. Das wird sie beeindrucken.

Sie müssen merken, dass du vertrauenswürdig bist und nicht gewillt, dem Clan etwas zu verschweigen. Die Gefüge dort und das Vertrauen ineinander werden durch Ehrlichkeit gestemmt, das lässt sie womöglich einsehen, dass du ein guter Kandidat für die Bekloppten da bist. Und je mehr du weißt, umso sinnvoller ist es dich bei den Kestrel aufzunehmen, bevor du unsere Geheimnisse und dein Talent womöglich zu einem fremden Clan schleppst statt zu uns.“

Eindringlich und klar waren seine Worte, ohne unnötig um den heißen Brei zu diskutieren oder sinnlose Schnörkel hinzuzufügen. Es war gut wenn sich ihre Geschichten nicht zu einhundert Prozent deckten und Unterschiede in den Details erkennbar waren, alles andere wäre Mo’Ann ansonsten zu schnell als Absprache offensichtlich, die Frau war immerhin nicht blöd.

„Wer weiß, am Ende stellst du dich noch so gut an, dass ich richtig stolz werde auf meinen Jäger-Ehemann in Spe und ich mich ganz offiziell in den neuen Anwärter verlieben kann. Das wär doch mal was…“


Matthew C. Sky

Wann immer Clarence bei ihm war, Matthew wusste er wurde geliebt. Selbst wenn Clarence nicht mit ihm redete, selbst wenn er ihn nicht beachtete... Ein einziges Wort von Matt würde genügen und der Größere würde sofort zur Stelle sein. 

Es gab nichts wofür sich Clarence zu entschuldigen brauchte und schon gar nicht brauchte er um Vergebung für Dinge bitten, die vielleicht in der Zukunft passieren würden. 

Ein warmes Lächeln zeichnete sich auf Matthews Gesicht ab, beim Klang des kurzen Lachens seines Mannes, doch schon eine Sekunde später wurde er wieder ernst. 

„Ich verspreche es dir.“, versicherte er und nickte. 

„Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe über zehn Jahre an der Seite eines Irren gelebt, der vielleicht mein Vater war.“, er lächelte schräg. 

„Ich werde klarkommen.“ 

Matthew gab sich tapfer, wusste aber auch, dass es in Ordnung war Angst zu haben und sich Sorgen zu machen. Schon jetzt vermisste er Clarence aber anders als bisher würden sie schon bald nicht mehr tun können wonach ihnen der Sinn stand. 

Sie würden Regeln folgen müssen, eine Pflicht zu erfüllen haben, sie würden sich dem unterordnen müssen, was andere ihnen auflegten.

Die Angst davor Clarence wieder an dieses Menschen zu verlieren und sei es auch nur zum Schein, nagte an ihm - denn auch wenn er Jahre ohne Clarence gelebt hatte, so wusste er heute, dass er nicht mehr ohne ihn leben konnte. 

Umso wohltuender war es, als der Größere sich das getraute wovor Matt sich gescheut hatte. Er beugte sich zu ihm um ihn zu küssen, nur kurz zwar, aber fest und liebevoll. 

Cassie hob beide Hände an das Shirt welches der Blonde trug, verkrallte sich darin als wolle er seinen Mann bei sich halten und gab ihn doch widerstandslos wieder frei als Clarence sich wieder aufrichtete. 

„Und du versprich mir, dass du auf dich aufpassen wirst. W-wenn sie uns trennen und ich nicht...nicht auf dich aufpassen kann.“ Fahrig strich sich Matthew durch sein Haar, sichtlich mit sich ringend nicht zu emotional zu werden. Er musste sich zusammenreißen und natürlich würde er das tun wenn es drauf ankam. Sich nun von Gefühlen überwältigen zu lassen, war ein Luxus den sie sich beide nicht mehr leisten konnten. Also zwang er sich dazu sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren und aufzupassen. 

Clarence instruierte ihn, gab ihm Hinweise wie er sich verhalten sollte und auch was sie beide zu erwarten hatten. 

„Was ist mit dem Fluch...“, hakte Cassie schließlich nach, ohne darauf einzugehen was wäre wenn er sich so gut anstellen würde, dass Clarence sich offiziell in ihn verlieben konnte. Dergleichen würde nicht passieren, dass wusste sie beide. Clarence war Christ, Clarence war Schamane, Clarence‘ Familie war sein Clan. 

„...wirst du ihnen erzählen, dass Nagi es noch geschafft hat, ihn zu brechen? Immerhin könnte es sein, dass ich dich...na ja mit einem meiner legendären Witze doch mal zum Lachen bringe.“ Die Geschichte vom Märtyrer Nagi Tanka, der ausgezogen war um seinen Schützling von der Bürde der Hexe zu befreien, würde im Clan sicher gut ankommen.

„Und...was ist mit dem Boot? Gehen wir dahin zurück bevor wir...was auch immer machen? Ich meine wir haben noch ein Haufen Zeug da und wir können es nicht einfach dort lassen bis wir irgendwann wieder hierher kommen.“

Aus Richtung der Weinfelder ertönte das Klingen einer metallischen Glocke und Matthew sah zu den Reben. Kain und Abel hoben die Köpfe aus dem Gras, standen auf und fingen an zu bellen. Noch konnte man keine Arbeiter sehen oder hören, aber das war nur noch eine Frage von wenigen Augenblicken. 

„Ich bin Matthew Reed, du hast mich gefunden als es mir dreckig ging, wir bleiben so nah an der Wahrheit wie wir können ohne uns zu verraten. Es könnte also mein Boot sein zu dem ich muss, während du mit deinen alten Freunden irgendwo wartest. Ich könnte dann zu euch stoßen, hm?“

Cassie sah nochmal kurz zu den Reben, aber noch immer sah er niemanden. 

„Ich muss immer daran denken, wie ich aufgewacht bin... nach der Sache mit Sally. Ich wusste nicht was passiert ist und wo ich bin, aber ich wusste du bist da. Und mehr hab ich nicht wissen zu müssen, damit mir klar war, alles ist gut.“, er presste die Lippen aufeinander und lehnte sich schließlich nach vorn, Clarence für einen innigen Augenblick lang umarmend. „Ich liebe dich, Bärchen. Ich liebe dich jetzt und für immer. Ich werde dir alles verzeihen was du tun musst, damit wir das hinbekommen. Aber versprich mir, dass du auf dich aufpasst. Versprich es und meine es.“

Matthew hatte keine Angst um sich, er hatte auch keine Angst davor nicht gut behandelt zu werden oder davor, dass man ihm mit Vorurteilen begegnen würde. All das war ihm egal. 

Es kam nicht auf darauf wie er bei der ganzen Geschichte von den Kestrels aufgenommen wurde. Seine ganze Sorge galt Clarence.

Ein letztes Mal hob Matthew vorerst die Hand an die Wange seines Liebstes, verkrallte sich in dessen Bart, so wie er es sich schon lange angewöhnt hatte zutun und gab ihm einen Kuss auf die weichen Lippen. 

„Ich werde heil bleiben, wenn du heil bleibst.“, beschwor er neuerlich und sah Clarence eindringlich in die blauen Augen. Über ihnen zwitscherten Vögel, die Glocke auf dem Feld klingelte leise nach und die Sonne tauchte die Szenerie in einen Dunst aus Grün und Gold. „Du bist mein und ich bin dein. Immer.“

Erst jetzt gab er Clarence’ Bart wieder frei, dessen vertraute Struktur er ebenso liebte wie die graublauen Augen, die spitze Nase, die kleinen Segelohren, den sinnlichen Mund und all die tausenden Kleinigkeiten welche Clarence ausmachten. 

Von den Feldern her drang erstes Stimmengewirr und Matthew presste die Lippen nervös aufeinander. Er setzte sich wieder auf, atmete tief durch und beorderte beide Hunde durch einen kurzen Pfiff zurück. 

„Jetzt heißt es also warten....“

Und das taten sie auch. Kain saß neben Clarence, neben dem Blonden saß Cassie und neben ihm Abel - und alle vier blickten zu den Feldern hinüber.  Auf das Ende der Reise, wie sie sie bisher kannten. 


Clarence B. Sky

Über Wochen hinweg hatte Clarence nicht mehr versucht das Thema Harriet und vor allem auch Rouge anzuschneiden, nachdem zu viele zaghafte Versuche zeitnah von seinem Mann abgeschnitten worden waren. Auf der einen Seite konnte der Jäger das verstehen, immerhin war Cassie bis jetzt all die Jahre ohne Familie über die Runden gekommen und ob ein verlogener Irrer und eine bekloppte die einen am Hafen überfiel so wirklich eine Verbesserung seiner genetischen Situation waren, wagte er zu bezweifeln.

Dass Matthew ausgerechnet jetzt darauf zur Sprache kam, wenn auch nur in einem Nebensatz, war einmal mehr bezeichnend für ihrer beider Starrsinn und ihr Talent, gewissen Themen geschickt aus dem Weg gehen zu können. Im Augenblick blieb keine Zeit um dem Gesagten tiefer auf den Grund gehen zu können, das wussten sie beide, und so hatte Cassie einmal mehr den Kopf aus der Schlinge ziehen können, ohne dass der Blonde sie zuzog um im Anschluss drängend auf seinen Partner einzureden.

Tatsächlich gab es aber auch für den Älteren weit wichtigere Dinge die er in den verbliebenen Minuten aufarbeiten wollte als Matthews Elternhaus, immerhin war das in den letzten drei Jahrzehnten nicht weggerannt und würde es in den kommenden Wochen auch nicht tun.

Zart prickelte der feste Kuss auf den Lippen des Schamanen nach und auch die Knitter, die Cassies Griff in sein Hemd gezaubert hatte, lösten sich nur langsam wieder. Aber letztlich würden all diese Empfindungen verblassen und lange darauf warten müssen bis sie wieder herauf beschworen wurden, da biss die Maus keinen Faden ab.

Ob Matthews Witze tatsächlich legendär waren, darüber ließ sich angesichts des oft eher flachen Humors streiten aber wahrlich konnte man nicht von der Hand weisen welche Gefahr bestand, würden sie in einer entspannten Atmosphäre irgendwann wieder aufeinander treffen, während der niemand mehr Fragen darüber stellte was dieser fremde Taugenichts eigentlich in der Nähe ihres Clans zu suchen hatte.

„Über den Fluch… musst du nichts wissen. Es ist unwahrscheinlich, dass ich dir davon erzählt habe, immerhin geht der dich nichts an. Aber bestimmt ist dir aufgefallen, dass ich mich im Laufe der Zeit verändert habe und… irgendwie anders geworden bin. Was den Rest angeht…“

Widerwillig presste er die Lippen aufeinander, ganz offensichtlich missfiel ihm die Idee, seinen einstigen Lehrmeister auch noch in den hohen Stand eines Heiligen zu erheben. Ein selbstloser Mann, der wissentlich sein Leben riskiert und schließlich geopfert hatte, um seinen liebsten Schüler von seiner quälenden Bürde zu befreien. Dass es sich in Wahrheit gänzlich anders verhielt und Nagi Tanka es nicht nur geliebt hatte die einzig wirkende Medizin zu sein, sondern gleichzeitig auch die Krankheit die alle Beschwerden erst verursacht hatte, würde andererseits auch kaum jemanden interessieren und letzten Endes war es auch nie das Ziel der Verschwörung gewesen, die Wahrheit über dieses Arschloch aufzudecken.

„Den Rest entscheide ich spontan, wenn es soweit ist“, beendete er seinen Satz als er wieder aus seinen eigenen Gedanken zurück gekehrt war und fragte sich, ob es nicht vielleicht sogar sinnvoll wäre, einen endgültigen Entschluss mit seinen Mitverschwörern zu besprechen. Er konnte nicht alleine beschließen Nagi zum Märtyrer zu erheben, wenn er dafür nachts plötzlich selbst ein Messer in den Rücken gerammt bekam.

 Angespannt ließ er seinen Blick zurück über die Felder gleiten und zuckte leicht zusammen, als seine auf Matthew gerichtete Aufmerksamkeit plötzlich durch den hellen Klang der Glocke durchschnitten wurde. Ein Geräusch das eigentlich gewohnt war, ihm heute aber derart durch Mark und Bein fuhr, Clarence wurde beinahe schlecht davon.

War es unangebracht, dass ihm angesichts der Glocke der Gedanke kam, es endete wie es begonnen hatte?

Ihre Ehe hatten sie unter dem Ertönen eines Glockenspiels mit einem Kuss besiegelt, heute gaben sie sie – wenn auch nur zum Schein – unter fast dem gleichen Klang wieder auf. So begann der Kreis und schloss sich schließlich wieder und alles was blieb war die Leere darin, in der Clarence sich wie ganz alleine stehend fühlte.

Dein Boot, ja… das klingt sinnvoll. Sicher habe ich zugestimmt dass wir auf diese Weise unsere Reise fortsetzen, weil auf dem Festland die Gefahr zu groß wurde ich werde erkannt und weil wir zu Wasser unseren zeitlichen Rückstand besser aufholen konnten“, nuschelte der Jäger leise hinter seinem Bart und verengte etwas die Augen, doch wenngleich die Glocke langsam wieder verklang, kamen nicht augenblicklich auch die ersten Arbeiter zwischen den Reben hervor gesprungen wie die Wilden.

„Ich weiß nicht was die beiden geplant haben, aber falls sie von hier aus aufbrechen wollen, werde ich sie dazu nötigen nochmal mit uns in die Stadt zurück zu gehen… Alles werden wir nicht mitnehmen können. Das wichtigste was ich brauche, habe ich dabei“ – was kein Geheimnis war angesichts dessen, dass er seinen Rucksack auf dem Rücken trug. Wann immer sie auf Wanderschaft in Gefahr gelaufen waren irgendetwas zu verlieren, Clarence hätte sich noch ein paar Finger mehr abgehakt nur um an seinen vermaledeiten Rucksack zu kommen. Zu dem Gepäckstück war als das Wichtigste mittlerweile Cassie gekommen und der ging ihm hoffentlich so schnell eh nicht abhanden. „Meine restlichen Waffen musst du für mich aus dem Schrank holen und zwei Sätze Klamotten für den Winter. Wenn wir zurück nach Norden reisen, werden wir dem nicht mehr entkommen können.“

Einer der Nachteile mehr, wenn sie dieses Abenteuer antraten, aber sicher nicht der größte.

„Teddy hat in der aufklappbaren Bank am Tisch einen doppelten Boden eingebaut“, gestand er beinahe beiläufig, ganz so als wäre es nicht der Rede wert seinem Mann etwas zu verraten, was er ihm über Monate hinweg eisern verschwiegen hatte. „Ich hab da drunter meine Bonbons versteckt. Wenn du mich liebst, bringst du die mit.“

Die Erpressung, welche in dieser Forderung mitschwang, klang wie die eines kleinen aufmüpfigen Jungen und gerade dieser Eindruck, dem Claire sonst auch oft genug gerecht wurde, deckte sich heute so gar nicht mit der Erscheinung des ernsthaften Mannes, von dem sie kam.

Doch nicht nur er war es, den die letzten ihrer freien Minuten prägten, sondern auch Cassie wurde deutlich von ihnen gezeichnet. Aus dem lebenslustigen jungen Mann, der sonst selbst in den dunkelsten Stunden noch einen kecken Spruch über die Lippen bekam so als wäre die Welt wenigstens für diesen Bruchteil einer Sekunde heil, war ein emotionaler Vertrauter geworden der mit keinem Versuch mehr von der Hand weisen konnte, was vor ihnen lag.

Es verwunderte Clarence wie der Jüngere plötzlich auf Sally Mitchell kam, aber mit jeder Silbe die er von sich gab, begriff er schließlich.

Die Art wie Cassie ihn an sich zog um ihn zu umarmen, ihn sein Bärchen nannte und ihn eindringlich beschwor, löste in Claire eine eigentümliche Wärme aus die ihn nicht zu trösten vermochte aber ihn sich trotzdem geborgen fühlen ließ, ganz gleich was kommen mochte.

Ich verspreche dir, dass ich heil bleiben und auf mich aufpassen werde, ganz gleich was kommt. Ich sage es und meine es“, wehte es flüsternd in das Ohr des Kleineren, während Clarence es sich erlaubte sein Gesicht kurz in die Halsbeuge seines Mannes zu schmiegen. „Weil ich dich liebe und ich weiß, dass es dir nur dann gut geht, wenn es auch mir gut geht. Versprochen.“

Ein Versprechen das auch noch dann anhielt, als sie sich längst voneinander gelöst hatten und zum zweiten Mal die Glocke in der Ferne ertönte, gleichfalls Ende wie auch Anfang von etwas Neuem einläutend.

Stille hatte sich über sie gelegt, nebeneinander sitzend wie Hühner auf einer Stange in ihrem kleinen Gehege, den Blick wachsam geradeaus gerichtet und selbst die Hunde schienen zu begreifen, dass etwas Besonderes bevorstand. Ab und zu konnte Clarence aus dem Augenwinkel erkennen wie Kain zu ihm hinüber blickte, nicht begreifend auf was sie eigentlich warteten, doch sein Herrchen hatte nur Aufmerksamkeit für die Felder und die kleinen Scheunen in der Nähe übrig.

Damals, noch Jahre bevor Matthew überhaupt denkbar gewesen war, da hatte Nagi ihm beigebracht seine Trauer, den Zorn und die Wut in einem inneren Gedankenpalast unterzubringen. Ein Ort der nur in seinem Innersten existierte, der aussah und gestaltet werden konnte wie er es wollte und an den er sich in dunklen Momenten zurück ziehen konnte, um sich zu sortieren. Bis unter die Decke ragten dort Regale, gefüllt mit Form gewordenen Erinnerungen. Mit guten Erlebnissen, mit Dingen die er nicht vergessen durfte und mit Bildung die er aufgeschnappt oder die man ihm beigebracht hatte. War man gut sortiert und beherrschte diese Technik, ließen sich selbst vergessen geglaubte Details abrufen wenn man sich vor seinem inneren Augen ganz genau vorstellte an das passende Regal zu treten, die richtige Kiste heraus zu ziehen und darin zu finden, was auf einfachen Abruf hin nicht zu einem zurück gekehrt war.

Doch so ein Palast war groß und neben den sinnvollen und schönen Dingen gab es auch verstaubte alte Regale, in die Nagi ihn gelehrt hatte Erinnerungen einzusortieren, die er niemals wieder aus ihrer Kiste holen wollte. Verluste. Ängste. Traumata. Emotionen, wenn er gerade davon keine gebrauchen konnte, wie etwa damals als Jeyne Copper nicht hatte wissen sollen, was Cassie ihm in Wahrheit war und was sie einander bedeuteten.

Matthews Kiste hatte ein strahlendes blau und war etwas eingestaubt seit dem Abend bei der Hurenkönigin, dennoch war sie frei von Makel. Kein Kratzer zierte die seidige Oberfläche, die die Farbe eines sonnigen blauen Nachmittagshimmels trug oder klaren Meerwassers am Ufer, das einen regelrecht dazu einlud hinein zu springen und das Leben zu genießen. Er erkannte auf dem Staub seine Fingerabdrücke die er dort hinterlassen hatte, nachdem Sally Mitchell seinen Mann mit einem Stein aus dem Leben befördert hatte. Clarence hatte irgendwann später beschlossen, seine Sorgen um Cassie dort zu verstauen nachdem er selbst zurück auf dem Boot nicht damit hatte aufhören können den Jüngeren überfürsorglich zu beglucken, doch seitdem hatte er die blaue Kiste nicht mehr benötigt.

Heute sollten dort wieder seine Sorgen um Matthew Platz finden, aber auch seine Liebe zu diesem Mann und all die anderen guten Dinge, die er für ihn empfand. All die kleinen Nuancen, die ihn Gefahr laufen ließen Matthew Reed weiter mit anhimmendem Blick anzusehen und die ihn dazu bringen würden sich vor ihn in die Bresche zu schmeißen, wenn drohte, dass man Cassie unfair behandelte oder nicht gut mit ihm umging.

Vielsagend straffte Clarence die Schultern, die Zehenspitzen tiefer ins weiche Gras versenkend – seine Schuhe hatte er im Rucksack verstaut, so wie es sich für den Jäger gehörte, der damals mit seinem Lehrmeister aus Falconry Gardens aufgebrochen war um hinaus in die Welt zu ziehen.

Selbst wenn ihm aus der Entfernung Details verborgen blieben, der eine Schemen war unverkennbar, der vor der Scheune in welcher die Unterkünfte für die Arbeiter waren stehen blieb und zu viel Zeit an Ort und Stelle verbrachte, so als würde er auf jemanden warten oder Ausschau halten. Der seinen Blick schweifen ließ und dessen Schatten schließlich breiter wurde, damit deutlich offenbarend sich dem fernen Sitzplatz der zwei Männer mit den Hunden zugewandt zu haben, die seine Aufmerksamkeit forderten.

Das Rauschen des Windes in den nahen Baumwipfeln wehte über die Wiese, vereinzelt kreuzten muntere Vögelchen und lose Blätter das Sichtfeld. Doch anstatt sich zu rühren, hielt sowohl Clarence seinen Platz als auch der fremde Mann unten an der Scheune, dessen nackten bunten Oberarme ihn als eindeutig nicht zugehörig zum sonstigen Arbeitervolk auswiesen und der jene demonstrativ zu verschränken begann; seine Position weder lösend, noch nach ihnen rufend schien er zu erwarten dass sich sein vermisster Bruder gefälligst bequemte zu ihm hinab an die Unterkünfte zu kommen, doch den Gefallen würde Clarence ihm ganz sicher nicht tun.

Ein angepisstes Schnaufen verließ die Nase des Blonden, der entnervt den Kopf schüttelte und kein Wort sagen brauchte damit man begriff, dass das nicht gerade seine erste Wahl für ein Empfangskomitee gewesen wäre.

„Wir bleiben sitzen, bis er hier oben ist. Selbst wenn er mittlerweile der König von England ist, steht das miese Arschloch noch immer unter mir und hat seinen faulen Arsch hierher zu bewegen“, man konnte Clarence anhören, dass es ihm bei diesem Verhalten weniger ums Prinzip ging als um reine Schikane – aber wie sagte man so schön?

Jedem so, wie er es verdient.

„Wenn du auf dem Boot bist, bring meine Gitarre mit. Damit kann ich ihn in den Wahnsinn treiben, das wird grandios..."

Cameron Barclay

Auf Anhieb fielen ihm noch mindestens fünf weitere Dinge ein, mit denen er den Typ ab heute würde in den Wahnsinn treiben können bis sie in Falconry Gardens angekommen waren und als hätte sein Opfer die stillen Drohungen bis dort unten hin vernehmen können, setzte der fremde Jäger sich schließlich tatsächlich in Bewegung.

Je näher er kam, desto mehr festigte sich bei Clarence die Gewissheit, dass das eine lange und anstrengende Reise werden würde, je nachdem ob Adrianna noch auftauchen würde oder nicht. Die dunklen, schmierig mit Pomade zurückgekämmten Haare, das markante eingebildete Gesicht und den Gang eines Mannes der mehr auf sich hielt als er wert war, würde der Schamane selbst nach zehn oder zwanzig Jahren der Trennung noch wiedererkennen. Selbst auf ein Hemd hatte Cameron bei der Arbeit verzichtet, vermutlich in der Hoffnung damit möglichst vielen mexikanischen jungen Damen auf dem Feld beim Spiel seiner Muskeln den Kopf zu verdrehen und als der Kerl schließlich in angemessenem Abstand vor ihnen zum Stehen kam, da erkannte Claire auch, wie sich seine eigene Abneigung im Blick seines Bruders spiegelte.

„Sky.“

„Barclay.“

In gewohnter Manier verschränkte Letzterer erneut die Arme vor der Brust, musterte das seltsame Schauspiel welches sich vor ihm auf der Wiese ausbreitete und sein Blick blieb einen beträchtlichen Augenblick auf Matthew hängen, aber das konnte man ihm kaum verübeln – nicht zuletzt deshalb, weil Cassies Anblick vermutlich wesentlich angenehmer waren als die tödlich genervten Blicke des Blonden.

Ob es wohl schon zu spät war, es sich anders zu überlegen und doch lieber abzuhauen?

„Der gleiche barfüßige Wichser wie eh und je, mh?“, wendete sich Cameron schließlich wieder seinem verschollenen Kameraden zu und schien über den Elefanten reden zu wollen der im Raum stand und der offensichtlich nicht hierher gehörte. „Wer ist der da?“

„Matthew Reed“, blieb man ihm die Antwort nicht schuldig, ein lapidarer und gleichgültiger Konter, der dem Fremden in ihrem Alter nur wenig zu gefallen schien.

„Und was macht der hier?“ – „Meinen alten Job übernehmen und dir gleich dein vorlautes Maul polieren wenn du so weiter machst, damit ich mich nicht mehr damit abquälen muss. Geht dich einen Scheiß an was der hier macht.“

Cameron Barclay schien die ganze Lage anders erwartet zu haben als sie sich nun gestaltete, aber etwas anderes als das hatten ja auch die beiden jungen Männer in der Wiese kaum erwartet.

Sein wachsamer heller Blick hob sich für einen Moment hinauf zwischen die Bäume, ganz so als könne er noch jemand weiteren erwarten der ungefragt in ihre kleine Runde eindrang, der ihm aber nicht annähernd so unbekannt war wie das neue Gesicht an Clarence‘ Seite – mit diesem ungeladenen Partygast konnte heute aber sicher keiner dienen, so viel stand fest.

Statt sich weiter zur Begrüßung freundliche Beleidigungen an den Kopf zu werfen, streckte Cameron schließlich eine Hand aus um dem Blonden vom Boden hoch zu helfen; eine Geste des unausgesprochenen Friedens, die Matthew im Anschluss leider nicht zuteilwerden sollte.


Matthew Reed

Während sie zu viert im Gras saßen und darauf warteten, dass sich alles zwischen ihnen änderte was bisher selbstverständlich war, wünschte Matthew sie ganz weit weg von hier.

Dabei war Rio Nosalida ein durchaus schöner Flecken Erde, zumindest wenn man nah genug am Zentrum blieb. Und selbst hier auf diesem Hügel, umgeben von Wäldern und Wein, war es an und für sich gar nicht schlecht. Und trotzdem wollte er gerade überall anders sein, nur nicht an diesem Ort zu dem ihre Schnitzeljagd sie geführt hatte.

Er wünschte, sie hätten den Ozean überquert, hätten es bis nach Europa geschafft. Dort hätte sie garantiert niemand erkannt – falls es dort überhaupt noch Menschen gab.

Was jenseits des großen Meeres lag, dass wusste niemand mehr. Es gab Karten und Atlanten, auf denen man die Kontinente sehen konnte, wie sie früher ausgesehen hatten.

Aber dann war der Krieg gekommen und die Welt hatte sich verändert.

Heute wusste niemand mehr ob es noch ein Europa gab - oder ein Afrika.

Während Clarence seinen imaginären Gedankenpalast durchstreifte, auf der Suche nach der Kiste, in der er alles verstaute was ihn als Ehemann von Matthew ausmachte, starrte dieser angespannt vor sich hin und stellte sich vor wie es wäre, wenn sie einfach aufstehen und gehen würden.

Er wollte Clarence nicht seine Bonbons aus seinem Boot holen. Wollte nicht seine Sachen packen und entscheiden müssen was er im Winter unbedingt bei sich haben musste.

Es fühlte sich denkbar falsch an auch nur daran zu denken, die Harper Cordelia auszuräumen, alles abzuschießen und sie zurückzulassen. Das Boot war mehr als nur ein Reisemittel gewesen, es war ihr Zuhause geworden, ihr erstes gemeinsames Daheim.

Aber es war zu spät um aufzustehen und zu gehen, das bemerkte er als Clarence sich sichtbar neben ihm aufrichtete und die nackten Füße tiefer ins Gras presste.

Nackt waren sie…weil auch das mit zu der Scharade gehörte die sie spielen mussten.

Matt sah für einen Moment nach unten und schloss die Augen, spürte der Wärme nach die er vor wenigen Augenblicken auf den Lippen des Blonden gefunden hatte und versuchte jenes Gefühl der Zweisamkeit zu konservieren.

Er fühlte seinen Ehering an der Kette an seinem Hals und vermisste ihn gleichzeitig an seinem Finger.

Es war ein lächerliches Bestreben zu glauben, es könnte ihn irgendeine Erinnerung trösten. Und das wusste er sehr gut und obgleich sich alles in ihm dagegen sträubte, sich ihrem gefassten und notwendigen Plan zu unterwerfen, so hob er schließlich den Kopf wieder und blickte in die Richtung in die Clarence Sky sah.

Der Mann, der in einiger Entfernung vor der Scheune stand, schien sich nicht bewegen zu wollen, gleichzeitig beharrte aber auch Clarence darauf, dass sie hier sitzen blieben.

Also rührte sich Matthew nicht vom Fleck, hob eine Hand in das Fell von Abel und streichelte angespannt hindurch.

Es dauerte eine kleine Weile bis sich der potentielle König von England in Bewegung setzte und sich bemüßigte zu ihnen zu kommen. Dabei legte der Kerl keine übertriebene Eile an den Tag, sondern ließ sich Zeit genug um durch seinen bloßen Gang klarzustellen, dass er sich auf das Treffen nicht besonders freute. ‚Da sind wir schon drei‘ ging es Matthew gallig durch den Kopf und musterte den näherkommenden Fremden.

Sein nackter Oberkörper war von der Sonne braungebrannt, um seinen Hals glitzerten die Glieder zweier Ketten, an den Fingern trug er Ringe und um die Handgelenke Armbänder.

Seine Haut war über und über tätowiert und sein Haar schimmerte klebrig von Pomade.

Der Kerl war noch gar nicht richtig angekommen, da hatte Matthew sich bereits ein Bild von ihm gemacht. Seine sauberen und geschmückten Finger zeugten nicht von harter Feldarbeit, sein nackter Oberkörper dafür umso mehr vom Balzverhalten eines Gockels.

Der Kerl war in etwa in ihrem Alter und verdammt gut in Form, etwas dass er zu wissen schien. Weder mangelte es diesem Mann an Selbstbewusstsein noch an der richtigen Attitüde um jede schöne Frau im näheren Umkreis wissen zu lassen, dass er ein prächtiger Fang war.

Die Ablehnung, mit der er erst Clarence und dann ihn ansah war indes ebenso wenig zu übersehen und auch nicht zu überhören.

In den hellgrünen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck den Cassie nicht einordnen konnte.

Äußerlich unbeeindruckt verfolgte Matthew den kurzen verbalen Schlagabtausch der beiden, hielt die Klappe und lauschte nicht unzufrieden auf das Knurren von Abel, als Barclay seine Hand ausstreckte um Clarence aufzuhelfen.

‚Hi Elster. Heute schon jemandem den Familienschmuck abgezogen?‘ dachte er, während er die Ringe an den Fingern betrachtete und schließlich auch aufstand.

„Hi, wie Clarence schon sagte, ich bin Matthew Reed.”, er streckte die Hand aus um den Anderen zu begrüßen. „Freut mich dich kennenzulernen. Ich würd‘ ja gern sagen, Clarence hat mir schon viel von dir erzählt, aber hat er nicht.“, er zuckte die Schultern und lächelte eines jener Lächeln, wie er es früher immer getan hatte. Aufgeschlossen, durchaus freundlich und harmlos.

Ein Lächeln, welches ihn wirken ließ wie einen netten Kerl und das rein gar nichts von seinem Misstrauen und seiner Skepsis verriet.

Wenn sie wollten, dass das hier funktionierte, dann würden sie sich zusammenreißen müssen.

Gleichzeitig würde es nicht schaden können, wenn Matthew von Anfang an klarstellte, ein aufmerksamer Mensch zu sein der durchaus ein Gespür für seine Mitmenschen besaß.

„Erwartest du noch jemanden?“, konfrontierte er den Fremden unvermittelt, jedoch ohne dabei herausfordernd zu klingen. „Ich kann nur für uns sprechen, aber wir haben niemanden sonst mitgebracht. Was ist mit dir? Bist du allein gekommen“ der Blick, den Barclay kurz zuvor zwischen die Bäume gerichtet hatte suggerierte, dass die Antwort auf die Frage Nein lautete. Also entweder erwartete er, dass seine Begleitung gleich noch hier auftauchte – in diesem Fall konnten sie nur hoffen, jene Person hatte nichts davon mitbekommen wie sie beide wirklich zueinander standen. Oder Barclay rechnete damit, dass Clarence noch einen Überraschungsgast im Gepäck hatte.

‚Um dich zu überraschen brauchen wir keine weiteren Gäste.‘

Und nein, die bräuchten sie wahrlich nicht, würden sie es denn darauf anlegen, dass Barclay die Kinnlade runterklappte.

 


Clarence B. Sky

Nicht erst heute bewies Matthew seine Vorzüge darin, dass er derjenige von ihnen beiden war, der Clarence verlässlich das Reden abnahm. Auf Wanderschaft, während der Bär schwieg, füllte Cassie ihm die Stille mit seinem sinnlosen Geplapper. In Ortschaften kümmerte sein Mann sich um das Geschäftliche während Claire schwieg und sondierte und selbst heute redete Matthew und ersparte es dadurch seinem Blondie, sich mehr als nötig mit Barclay auseinander setzen zu müssen.

Der einstige Söldner war Gold wert, nicht nur von seinen Fähigkeiten her, sondern von seiner ganzen Art. Oftmals mochte sich Matthew in der Theorie schwer damit tun gewisse Anweisungen zu verinnerlichen und spätestens wenn eine übergroße Mutantenspinne ins Spiel kam, waren Hopfen und Malz sowieso verloren; doch in all den anderen Fällen, gab man dem Jüngeren genug Spielraum um Erwartungen gerecht zu werden, hatte Cassie ihn noch nie enttäuscht.

„Sieht so aus, als beruht das auf Gegenseitigkeit. Von dir hab ich auch noch nichts gehört“, konterte Cameron in einem Tonfall, der als eindeutiger Vorwurf an seinen Kameraden erkennbar war. Diese ungeahnte Wendung, nämlich dass Clarence nicht alleine hier war wie zu erwarten, gefiel ihm überhaupt nicht – nicht nur deshalb weil der blonde Jäger eine Verantwortung gegenüber seinen Schwestern und Brüdern hatte, so viel stand fest.

Sie trafen sich nicht einfach nur zum Kaffeeklatsch, sondern als Teil des Plans eines Komplotts der zum Skandal werden würde, brach auch nur einer von ihnen den Schwur die Klappe zu halten.

Clarence und Cameron wussten das, Clarence und Matthew auch – der einzige der noch im Dunklen wandelte war der Pomadengott, der keine Ahnung haben konnte, was der unbekannte Fremde wusste und was nicht.

Ob nun aus einem Perplex heraus oder aus guten Manieren, Cameron hatte jedenfalls die angebotene Hand des ungeladenen Begleiters offen angenommen. Sein Griff war kräftig aber nicht übermäßig wie bei vielen, von denen man das Gefühl hatte, sie brachen einem gleich alle Knochen. Kurz und bündig begrüßte er Matthew mit einem Handschlag der sagte Du bist hier, ich werde dir nicht den Kopf abreißen, der aber auch klar offenbarte, der Unbekannte war in dieser Runde ein Außenseiter und Cameron würde seine Position sicher nicht vergessen, nur weil der Dunkelhaarige ganz offensichtlich besonderes Vertrauen genoss.

Die offene und kommunikative Art Matthews machte es einem schwer diesen auszuschließen und auch zu erahnen, in was genau man ihn eingeweiht hatte. Ein weiterer kurzer Blick zwischen die Baumwipfel seitens Cameron folgte, Zeit in der er von Clarence noch immer kein anständiges Gespräch zu erwarten hatte und schließlich schüttelte er den Kopf, wobei sich die Sonne schimmernd in seinem glattgeleckten Haar brach.

„Die einzigen, die ich erwarte, sind die üblichen Verdächtigen“, umriss er schließlich grob eine kryptische Antwort auf die ihm gestellte Frage, konnte sich schließlich von den Bäumen lösen und taxierte wieder Clarence, der noch immer nicht so wirkte, als hätte er besonders große Lust bereits hier an Ort und Stelle das Offensichtliche zu klären.

Nach all der langen Zeit als erstes ausgerechnet diesen Vogel hier wieder vor sich zu haben, war nicht so wie der Bär von Mann sich das vorgestellt hatte und alleine dadurch entbehrte das große Wiedersehen bereits jeder Vertrautheit. Ob das nun gut oder schlecht war, wusste Claire noch nicht vollends für sich zu sagen, immerhin nahm es ihm eine große Last dass er keine Wiedersehensfreude vorzuspielen hatte wo keine war; auf der anderen Seite war sehr viel Zeit vergangen seitdem sie sich das letzte Mal gesehen hatten und je nachdem wie sie im Clan verlaufen war, hatte das sein Verhältnis zu Cameron entweder noch weiter kompliziert, oder entspannt. Dinge die er noch nicht sagen konnte und sich zeigen mussten, ähnlich wie die Begleitperson, ohne die der Pomadengott garantiert nicht hier angekommen war.

Letztlich durchschnitt Clarence erstmals wieder das Gespräch indem er seine Stimme erhob, sich in alter Manier nur für die wirklich wichtigen Dinge bequemend den Mund zu öffnen und andere mit seiner verbalen Anwesenheit zu beehren: „Adrianna?“

Cameron Barclay

„Lebt“, entgegnete Cameron ihm knapp und ließ die Hände in den Hosentaschen versenken, scheinbar nicht zufrieden damit, welches Kapitel hier gerade angeschnitten wurde. Ein kurzer Blick auf die Hunde, die ihn eben schon von der Seite her angeknurrt hatten, schien ihm zu verraten sich bloß nicht im Ton zu vergreifen und tatsächlich war ihm damit gut geraten – das wusste Clarence spätestens, seitdem Abel und Kain versucht hatten unten auf der Straße zwischen ihn und seine alten Bekannten zu gehen, noch lange bevor die ersten Fäuste geflogen waren.

„Hat ziemlich lange flach gelegen wegen dir Arschloch. Ich begreife bis heute nicht wie ihr diese abgedrehte Scheiße abziehen konntet, aber ich hab euch zwei Bekloppte ja noch nie wirklich verstanden. Wenn du mich fragst, wärt ihr immer noch besser im Sanatorium aufgehoben als auf freiem Fuß, immerhin -“

„Dich fragt aber keiner“, fuhr ihm der Blonde harsch über den Mund und brachte seinen Bruder damit zum Schweigen, bevor dieser sich noch weiter hinein steigern konnte. „Und was noch?“

Ein verächtliches Schnauben entkam dem Dunkelhaarigen, der gerade zu überlegen schien ob es nicht sinnvoller war die komische Truppe hier einfach stehen zu lassen und Clarence seinem traurigen Schicksal zu überlassen, kehrte er nicht nach Hause zurück. Auf der anderen Seite würde Adrianna, da sie ja anscheinend noch lebte, Cameron garantiert einen Kopf kürzer machen, sollte er derartiges wirklich wagen.

„…sie ist auch hier“, schloss er nach einer kurzen Stille wieder an, in welcher er sich ein wenig gesammelt hatte. „Ist noch spazieren, oben auf den Feldern. Sie hat gesagt sie braucht noch einen Moment Zeit, immerhin haben wir lange genug gewartet und dachten nicht, dass du überhaupt noch mal auftauchen wirst. Ich glaube sie weiß nicht so richtig was sie davon halten soll, dass du jetzt doch da bist… mit ihm hier im Schlepptau.“

Eine kurze Handbewegung gen Matthew machte einmal mehr offensichtlich, wie unpassend er das fand – ein Umstand der Claire ziemlich egal war und auf den er deshalb auch nicht weiter einging.

„Also, wie jetzt? Wollt ihr mit runter kommen und wir warten da auf sie oder ist es euch hier oben lieber?“


Matthew Reed

Der Griff mit dem Cameron Matthews angebotene Hand schüttelte war fest aber nicht brachial und seine Erwiderung schlagfertig, auch wenn es eindeutig eine Rüge an Clarence war. 

Matthew konnte verstehen, dass sich die Begeisterung über sein Hier-sein in engen Grenzen hielt, immerhin gehörte er nicht dazu. Weder zum Clan, noch zum Bekanntenkreis von Barclay oder dem von Adrianna. 

Fakt war, man konnte ihn einfach nicht hier gebrauchen, zumindest nicht aus der Sicht der glattgekämmten Elster. Matthews Anwesenheit war eine Überraschung auf die man sicher hätte verzichten können und dafür, dass dem so war, war Cameron sogar noch einigermaßen freundlich. 

Als der Name Adrianna zum ersten Mal fiel, löste das bei der Elster einen kleinen Redeschwall aus der von Clarence harsch im Keim erstickt wurde. 

Offiziell wusste Matthew weder etwas von dem Komplott, noch davon dass Clarence besagte Frau kontrolliert abgestochen hatte. 

Was also nun tun? Sich taub stellen und einfach nicht nachfragen oder ein gewisses Maß an Neugierde vortäuschen? 

Für solche Dinge gab es kein Patentrezept, aber er hatte sich lange genug in Kreisen bewegt in denen niemand mit offenen Karten gespielt hatte. Eine Rolle zu spielen und von dieser nicht abzuweichen hatte er gelernt, wie so vieles andere auch. 

Und sein Gespür sagte ihm, dass es besser war Barclay hielt ihn für ein neugieriges Anhängsel als für verdächtig schweigsam. 

„Wer ist Adrianna? Verflucht, Clarence... du hättest mir zumindest ein paar Namen geben können. Jetzt steh ich hier und fühle mich wie ein totaler Idiot.“ - in Wahrheit fühlte er sich ein bisschen erleichtert, weil Clarence doch darauf bestanden hatte, der beste Fall wäre dass Erscheinen von Adrianna. Inwieweit das noch zutraf und inwieweit sie noch auf seiner Seite stand, dass konnten sie nicht wissen. Im Laufe der Zeit konnte sich viel verändert haben, aber glaubte er Clarence - und das tat er - war die Anwesenheit jener Frau schon Zeichen genug dafür, dass sie noch auf Clarence‘ Seite war. 

„Allerdings...dass es so lange gedauert hat, ist meine Schuld. Ich hatte einen kleinen Unfall auf dem Weg hierher und Clarence hat auf mich gewartet bis ich wieder reisen konnte. Hat uns einige Zeit gekostet... er wäre sonst früher hier gewesen.“

Kalkuliert betreten sah Matthew zwischen Clarence und Cameron hin und her. Der Kerl sollte bloß nicht glauben, dass Clarence absichtlich getrödelt hatte. Jeder Verdacht, er hätte überhaupt die Notwendigkeit seines Erscheinens hier in Frage gestellt, konnte ausreichen um sie am Ende in Schwierigkeiten zu bringen. 

„Na wie auch immer...nun sind wir hier. Und wenn wir dich und Adrianna schon so lange haben warten lassen, schlage ich vor wir gehen jetzt zu ihr.“

Bevor Clarence oder die Elster Einwände erheben konnten, ging Cassie zurück zu dem Baum an dem er vorhin gelehnt hatte und neben dessen Stamm noch immer seine Tasche  im Gras lag. 

Früher hätte sich dort auch sein Bogen samt Köcher befunden, doch seit dem Verlust von Letzterem, verzichtete er auf diese Waffe. Natürlich hätte er sich in Rio Nosalida einfach einen neuen Köcher kaufen können, aber bisher hatte er sich dafür noch nicht begeistern können. Freilich bedeutete das nicht, dass er unbewaffnet unterwegs war. 

Unter seinem ärmellosen Shirt in verwaschenen Blau zeichnete sich der lederne Brustharnisch ab, in dem zahlreiche Klingen beheimatet waren. 

Er bückte sich kurz um seine Tasche aufzuheben, offenbarte dadurch ein Stück freien Rückens und ein weiteres Messer das er zwischen Haut und Hosenbund trug, befestigt an einem dünnen Ledergürtel. 

Die Elster sollte nicht denken, Clarence hätte in einem Moment akuter Umnachtung irgendeinen Ziegenzüchter aufgelesen und hierher mitgeschleppt. 

Cassie wollte nicht, dass überhaupt in Frage stand, dass der Blonde gute Gründe dafür hatte ihn hierher mitzubringen. 

Matthew hob seine Tasche vom Boden, hing sie sich quer über den Oberkörper und setzte sich mit den Hunden im Schlepptau in Bewegung. 

Dabei warf er erst Clarence einen kurzen Blick zu und sah dann fragend zu Cameron.

„Hier runter, ja? Da wo du hergekommen bist?“, als der Andere seine Vermutung bestätigte, nickte Cassiel knapp und ging los. Und während er in seiner Tasche kramte um eine Zigarette aus einer zerknautschten Schachtel zu fischen, fing er leise an zu singen. 

You can see it in a clear blue sky. You can see it in a woman's eyes. 

You can hear it in your baby's cries, you can hear it in your lover's sighs.

You can touch it in a grain of sand.

Yeah hold it right there, In the palm of your hand.  Feel it 'round you everyday, and hear what I've got to say:

 

God gave me everything I want.

Come on, I'll give it all to you

God gave me everything I want

Come on, I'll give it all to you...“

 

 


<- ZURÜCK          WEITER ->