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Pago Estrella Vaga

10. Juli 2210


Clarence B. Sky

Matthew war angespannt und zweifelte an sich, das sah Clarence ihm an. Sein Mann war lange für ihn ein Buch mit sieben Siegeln gewesen, so gut hatte der Dunkelhaarige seine Maske getragen und – wenn es nach dem Bären ging – die Fassade viel zu lange aufrecht erhalten. Er hatte nicht verstehen können wie ein Mensch ständig so gut gelaunt sein konnte, wenn ihn ein beharrliches Schweigen nicht ebenfalls zur Stille rufen konnte und noch weniger hatte er dem Gefühl auf den Grund gehen können, dass irgendetwas falsch war an Matthew Reed, so wie er ihn kannte.

Es hatte etwas im Argen gelegen aber was genau das war, darauf hatte ihn erst die verhasste Hurenkönigin mit ihrem Einwurf gebracht ob er sich denn nicht darüber wunderte, warum die kandisfarbenen Augen ständig so traurig aussahen.

Erst nachdem Matthew ihm erzählt hatte was in seiner Vergangenheit lag und erkannt hatte, dass Clarence deshalb nicht von ihm weichen würde, hatte der andere begonnen auch die anderen Seiten seiner Selbst zu präsentieren. Charakterzüge voller Unsicherheit, Wut, Angst und auch offener Scham wenn er sich nicht auf Anhieb sicher war, ob es seinem Bärchen gefallen würde, was er ihm von sich zeigte.

Heute hielt der Jüngere sich nicht mehr zurück wenn Zweifel ihn überfielen und versuchte nicht mehr einen starken Mann zu mimen, wenn er sich in der Gegenwart des Blonden befand. Dann nestelte er an seinem Hemd, mied Clarence‘ Blick und gab schier zusammenhanglose Dinge von sich die dem Größeren ganz genau zeigten, wie unwohl sich sein Mann derzeit in seiner Haut fühlte.

Nicht nur er war es, der sich hier irgendwie fehl am Platz fühlte, sondern auch der Jäger selbst – und das, obwohl er eigentlich gar nichts anderes tat als in sein vermeintlich richtiges Leben zurück zu kehren. Das was er hinter sich gelassen hatte bevor Matthew in sein Leben getreten war und bevor sich neue Wege für ihn aufgetan hatten, die er früher niemals gesehen hätte.

Es war nicht sein Leben, das sich verändert hatte und nicht mehr zu seiner Vergangenheit zu passen schien, sondern Clarence selbst der einfach nicht mehr hierher passte. Es standen ihm Erwartungen gegenüber denen er nicht mehr gerecht wurde seitdem Cassie ihn zu einem anderen Menschen gemacht hatte und in die er sich auch nicht mehr fügen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Das schimmernde Mehr, das er dank Matthew besaß, passte einfach nicht mehr in die triste und freudlose Welt eines sesshaften Jägers dessen Highlight lediglich daraus bestand dann und wann mal das sichere Städtchen hinaus in die Wildnis zu verlassen und selbst die Sucht nach waghalsigen Abenteuern hatte er seinem Partner zuliebe größtenteils abgelegt, wenn auch nicht ganz.

Alles was er einst gewesen war um in diese schroffe Welt zu passen, hatte Matthew in ihm verblassen lassen und daraus einen Mann erhoben, der zu einem gänzlich neuen Abschnitt seines eigenen Lebens bestimmt war.

Das kurze helle Lachen seines Gefährten war es, das wenigstens für einen kurzen Augenblick wieder die heile Welt Einzug halten ließ welche sie bereits seit Monaten miteinander verlebten und auch heute noch wurde es Claire ganz warm in der Magengrube, wenn er das Lachen bis hinauf in die braunen Augen seines Geliebten dringen sah.

Erst nach ihrem Aufeinandertreffen mit Cameron und Adrianna schien Matthew endlich zu begreifen, wofür auch Clarence sich schon davor entschuldigt hatte. Es war das eine zu wissen, dass die Dinge, die sie sagten, nicht so gemeint sein würden angesichts der Rollen, die sie zu verkörpern hatten; etwas anderes war es diese Gemeinheiten auf tatsächlich verlebter Realität aufzubauen, damit man sich nicht ungewollt in Lügen verstrickte und irgendwann aufflog. Heute wussten sie das noch, aber wie es in wenigen Wochen oder Monaten sein würde, sollten sie ihre Scharade so lange aufrecht erhalten müssen, sah die Sache wieder ganz anders aus. Von dem Menschen den man liebte und den man so lange entbehren musste immer wieder abscheuliche Dinge zu hören, die man im schlimmsten Falle erst Tage später bereinigen konnte, konnte einen unglaublich mürbe klopfen und Clarence hoffte inständig dass sie nicht irgendwann vergaßen, was dieser Erzählungen und des Umgangs miteinander Fassade und was Realität war.

Mit einem warmen leisen Brummen legte auch er schließlich einen Arm um Matthew und zog den Jüngeren behutsam an sich, ihm damit wortlos bedeutend, dass er keine Angst davor haben musste ihn mit irgendetwas ernsthaft zu vergraulen.

„Weißt du, wenn wir ehrlich sind… könnte Meister Grimmbart auch genauso gut von Matthew Sky stammen, da brauchen wir uns nichts vormachen“, versuchte er das verstimmte Gemüt seines Mannes etwas aufzuhellen, auch wenn dieser Kosename sicher in einer ganz anderen Bedeutung gefallen wäre als eben draußen vor den Weinreben.

„Außerdem hat mich Matthew Reed sogar einen Klotz genannt – und sieh nur, wo ich heute mit diesem respektlosen Taugenichts bin. Irgendwo im nirgendwo, während ich an nichts anderes denken kann als ihn zu küssen, wenn er mich so umarmt wie er es gerade tut.“

Es stimmte, sie waren damals andere gewesen als heute – aber das tat nichts zur Sache. Wären sie sich damals ernstlich unsympathisch gewesen, sie hätten sich wohl kaum trotz ihrer oft bemängelten Marotten ineinander verliebt und wenn es nach Clarence ging, hatten sie es vermutlich gerade deshalb getan. Er würde den Teufel tun und diesen Gedanken laut eingestehen, hinterher sah sein Mann das noch als Freifahrtschein wieder zu diesem unverschämten Schürzenjäger zu werden den der Bär von Mann endlich los geworden war und den er sich stattdessen zu einem handzahmen, Nähe suchenden Böckchen erzogen hatte. Trotzdem wollte er nicht, dass auch nur eine einzige Kleinigkeit ihrer Vorgeschichte schlecht geredet wurde – immerhin gehörte sie zu ihnen beiden und dem Charme ihrer Bindung, genauso wie die Seifentiegelchen zu Matthew gehörten und die stinkige alte Pfeife zu Clarence.

Verliebt schmiegte er seine Stirn gegen die fremde Hand die ihm durch den blonden Schopf kämmte und musterte Cassie aus der Nähe, die sie vielleicht ab morgen so schnell nicht mehr miteinander würden teilen können.

„Solange du sie nicht offen Tochter Satans nennst, wird sie diese Antwort zufrieden stellen, denke ich. Sag ihr, ich hätte dich… mhh… ausgiebig in deinem Verhalten beobachtet und dann und wann hätte Meister Grimmbart auch mal ein anständiges Gespräch mit dir über Gott und die Welt geführt, unter denen wir uns besser kennengelernt haben. So ein verkorkstes Talent wie du, passt 1A zu einem Haufen Irren wie den Kestrel.“

Cassie mochte das selbst nicht sehen, aber auch er hatte manchmal nicht mehr alle Latten so richtig am Zaun – etwa dann wenn er vor Cameron, einem völlig Fremden, damit angab, er sei alleine schon durch sein schniekes Äußeres eine Bereicherung für jeden, der noch mindestens fünf Prozent seiner Sehkraft besaß.

Ein melancholisches Lächeln zuckte bei diesem Gedanken über Clarence‘ Lippen, bevor er die kurze Distanz ein weiteres Mal überbrückte um seinen Ehemann zu küssen, der außerhalb dieser vier Wände keiner war; dieses Mal war die Liebkosung etwas länger und fordernder, so als müsse er sich von Cassie einen Vorrat für die kommende Zeit einholen und irgendwie stimmte das ja auch.

Wir müssen das nicht machen. Das weißt du, oder?“, flüsterte er leise nachdem er sich mit der Zunge über die Lippen geleckt hatte und musterte den Jüngeren eindringlich, ihn beschwörend sich das Ganze nicht vielleicht doch noch mal zu überlegen.

Wir können genauso gut heute nach Einbruch der Dunkelheit den Schlüssel hier liegen lassen und wieder aufbrechen. Wir hätten ein paar Stunden Vorsprung und bevor die merken dass wir gar nicht mehr da sind, haben wir unser Boot schon fast erreicht. Wir kommen auch mal ein oder zwei Tage ohne Vorräte aus, bis wir was erreicht haben wo wir aufstocken können… und dann setzen wir uns irgendwo im tiefsten Süden ab, um uns zu überlegen wie es weiter geht. Nichts und niemand hält uns hier, außer wir selbst…“


Matthew C. Reed

Niemand würde je verstehen, was sie beide miteinander hatten - davon war Matthew bis auf den Grund seines Herzens überzeugt. 

So wie Clarence sich in seinen Armen anfühlte, so wie die Wärme seiner Lippen schmeckte und wie seidig sich sein Haar an seine Fingerspitzen schmiegte... als das war magisch. 

Meister Grimmbart, war ganz ohne Frage ein Spitzname der auch von Matthew Sky stammen könnte, dahingehend war es sinnlos Widerspruch einzulegen, weshalb Matt es gar nicht erst versuchte sondern nur kläglich lächelte.

„Du weißt, wie ich es meine...“, gab er kleinlaut zurück, in dem Wissen dass Clarence ihn genau verstand. 

Es war etwas anderes wenn Matthew ihn aufzog oder gemeine Dinge zu ihm sagte, wenn sie unter sich waren. Dann beleidigte er Clarence, aber ihn vor anderen zu beleidigen, war ein anderes Paar Schuhe. 

Ihm gefiel die Vorstellung nicht, dass er mit den anderen nicht so über Clarence reden konnte wie er ihn wirklich sah. Diese Leute hatten keine Ahnung wer der Blonde in Wahrheit war, sie kannten nichts weiter als eine Fassade und Matthew musste in der kommenden Zeit so tun, als träfe das auch auf ihn zu. 

Schlimmer noch: als sei Clarence derjenige für den ihn alle hielten. 

„Falls sie mich je dazu befragen wird....werd ich ihr das so verkaufen.“, er klang wenig begeistert von der Vorstellung, wusste aber gleichsam, dass kein Weg an diesem Theater vorbeiführte. Es gab keine andere Option, daran änderte sich auch nichts wenn sie sich noch so sehr nach einem anderen Ausweg sehnten. 

Anschmiegsam ließ Matthew sich küssen, schmiegte sich enger an seinen Geliebten und umarmte ihn erneut.

Alles in Matthew wehrte sich dagegen mit Clarence zurück zu dessen Clan zu gehen. Er hatte kein gutes Gefühl dabei und wusste auf der anderen Seite dennoch, dass sie keine Wahl hatten. Umso mehr schmerzten die Worte des Blonden. 

Flüsternd schlug er ihm vor zu fliehen, malte für sie beide aus was sie tun könnten

Bei Nacht und Nebel aufbrechen, das Weingut zurücklassen und damit auch Adrianna und Barclay. Zwei Namen, zwei Gesichter - und wenn es nur die beiden wären, dann hätte Matthew sofort zugestimmt. 

Er wollte so sehr an diesen Plan glauben, wollte sich vorstellen wie sie verschwanden und irgendwo weit im Süden ein neues Leben anfingen. Aber so sehr er sich das auch wünschte, er konnte nicht daran glauben. 

Ähnlich wie auch Clarence zuvor, leckte sich der Dunkelhaarige über die Lippen bevor er sprach und musterte seinen Mann schweigsam. 

In seinen kandisfarbenen Augen lag ein Ausdruck von verlorener Hoffnung und Liebe. Man konnte dem jungen Mann ansehen, dass er sich nichts mehr wünschte als der Idee zuzustimmen und an sie zu glauben. Er wollte die Wahl haben, aber er hatte sie nicht. 

Wortlos berührte er mit der Spitze von Zeige-und Mittelfinger die Wange des Blonden und strich behutsam an ihr hinauf. Er berührte die dunkel verfärbte Schläfe zart und folgte sanft dem Farbverlauf. 

Wehmütig schaute er sich das Gesicht seines Liebsten an, wobei seine Augen schon sprachen noch bevor Matthew schließlich leise die Stille durchbrach. 

Gestern Nacht....“, fing er flüsternd an „...haben dich Fremde erkannt und zusammengeschlagen, wenige Stunden nachdem wir hier angekommen sind. Hier, wo dich niemand kennen sollte....“

Noch immer streichelte er vorsichtig über die verfärbte Haut. 

„Wir können nicht weglaufen, Claire...“ es auszusprechen tat weh, denn es zerstörte jedwede Brücke zurück, um es sich vielleicht noch einmal zu überlegen. 

„Ich wünschte wirklich wir könnten es. Aber du wärst immer in Gefahr. Jeden Tag unseres Lebens würde ich Angst um dich haben. Bei jedem Fremden hätte ich Sorge, er würde dich erkennen. Was ist...wenn du eines Tages mit den Hunden spazieren gehst und man lauert dir auf, hm? Wenn man dir ein Messer in die Rippen stößt oder dich tot schlägt statt dir ein blaues Auge zu verpassen?“ 

Langsam schüttelte Matthew den Kopf. Die Vorstellung, Clarence zu verlieren, war für Matthew nicht zu ertragen und sie wussten vermutlich beide, dass jene Gefahr nicht abstrakt und theoretisch war - sondern sehr real werden würde, sollten sie sich dazu entschließen wegzulaufen. 

„Mein ganzes Leben lang hatte ich Angst um mich... Seit ich dich habe, habe ich Angst um dich  und ich sage dir, dass ist viel viel schlimmer. Ich will nicht den Rest unseres Lebens Angst um dich haben müssen. Ich will nicht... mit dir auf unserer Veranda sitzen und jedem Fremden unterstellen er sei gekommen um dich zu holen.“

Erneut schüttelte Cassiel den Kopf, dieses Mal mit mehr Vehemenz.

„Wenn wir jetzt weglaufen, werden wir immer wieder weglaufen müssen und irgendwann...wird vielleicht jemand schneller sein als wir. Wir haben jetzt die Chance es richtig zu machen, das Kapitel abzuschließen. Eine zweite Chance wird es vermutlich niemals geben, also...also müssen wir...das Richtige tun.“

Lieber lief er hinter oder neben Clarence her ohne dass er ihn als seinen Ehemann sehen durfte, als das er mit Clarence als seinen Ehemann abhaute und ihn irgendwann ermordet in irgendeiner Gasse fand. Oder aufgehängt an einem Baum. 

„Ich liebe dich, Claire. Ich liebe dich und ich könnte es niemals ertragen, wenn dir was passiert, okay? Und wenn wir weglaufen...wird dir früher oder später etwas passieren. Sie werden nicht aufhören nach dir zu suchen. Also...müssen wir uns an den Plan halten. 

Wir gehen dorthin, wir lösen dich offiziell aus und dann...dann sind wir wirklich frei.“

Es fehlte nicht viel daran, dass Matthew zu weinen anfing, doch bisher hatte er sich gut im Griff. 

Clarence sollte nicht noch angesteckt werden von seiner Sentimentalität, immerhin hatten sie beide gleich wieder ihre Rolle zu spielen. Eine Rolle, von der sie sich beide wünschten sie nicht zu brauchen und die ihnen doch das Leben rettete. 


Clarence B. Sky

Noch bevor Matthew etwas sagte und schließlich seine Finger ans Antlitz seines Bären erhob, da kannte Clarence schon die Antwort auf seine leise geflüsterte Frage. Längst waren die Zeiten vorbei, in denen sie nicht verstanden hatten was hinter der Stirn des anderen vor sich ging und in denen sie einander nicht lesbar waren.

Manchmal kam es ihm so vor, als teilten sie die gleichen Gedanken. Es benötigte dann nicht mal einen flüchtigen Blick um zu wissen was sein Mann dachte und ebenso war er selbst für Matthew in vielerlei Belang vorhersehbar geworden. Sicher, sie wussten noch lange nicht alles von dem Mann den sie liebten und er zweifelte nicht daran, dass einige Geheimnisse für immer geheim bleiben würden. Aber sie kannten sich mittlerweile, sie wussten abzuschätzen was sie dachten und wie sie zu Dingen standen.

Es brauchte nicht das Aufflammen der Wehmut in Cassies kandisfarbenen Augen, nicht die verlorene Hoffnung in seinem Blick und auch nicht das Streicheln über seine Schläfe damit Clarence wusste, der Dunkelhaarige würde nicht mit ihm davon laufen. Matthew hatte zu viel Angst vor dem was sein könnte, zu viel Respekt vor dem was wäre wenn. Im Gegensatz zu Clarence, der einen Hang dazu hatte bewusst die Gefahr zu suchen, ihr ins Auge zu blicken und die möglichen Konsequenzen voller Vorfreude auf das Adrenalin auszublenden, war der Jüngere sich dem ungewollten Ausgang gewisser Geschehen allzeit bewusst – und vielleicht hatte es in seinem Leben gerade einen solchen Anker wie diesen Menschen gebraucht, um Clarence Bartholomy Sky wieder zu erden und mehr auf sich selbst achten zu lassen.

Zaghaft drängte er sein Veilchen den warmen Fingerspitzen des Jüngeren entgegen, in der wehmütigen Geste Geborgenheit und Liebe findend.

Es gefiel dem Jäger nicht mit welcher Klarheit sein Mann aussprach dass es kein Zurück mehr gab, jede Faser seines Leibes sträubte sich dagegen zu glauben, sie könnten eine Flucht nicht schaffen, nach der sie sich im Anschluss irgendwo absetzten wo es friedlich war. Die Welt war groß und und er weigerte sich zu glauben, es gäbe tatsächlich überall Jäger, die Kontakt zu den hiesigen hatten und damit auch eine Liste derer, die für vogelfrei erklärt worden waren.

Doch nicht zuletzt war weniger die Vehemenz das wirklich schmerzhafte, mit derer er sich ein Hierbleiben zu entsagen versuchte, sondern der Schmerz in Matthews viel zu leise geflüsterten Worten während der Mann den er liebte sich vorstellte, eines Tages unverhofft die Nachricht seines Todes zu erhalten.

Er hatte ihn gesehen, den Ausdruck in Matthews Augen, als er selbst im Krankenbett gelegen hatte nach ihrem Ausflug in das Feld voller mutierter Spinnen. Selbst über die unmenschlichen Schmerzen in seinem Kopf hinaus hatte er selbst zwar begriffen, dass er über den Berg war – aber das war eine Tatsache, die zu begreifen Cassie lange gebraucht hatte. Jeder liefere Seufzer hatte ihn sofort in ihre Schlafhöhle gelockt aus Furcht, es würde darauf kein weiterer Atemzug folgen und jedes Regen hatte ihn in der Nacht hochschrecken und Clarence am Bett halten lassen aus Angst, sein Bär könne im Tran erneut alleine aufzustehen versuchen und stürzen… bis er sich irgendwann dabei tatsächlich den Kopf noch einmal anschlug und es dann zu spät war.

Die Sorgen, die er seinem Partner bereitet hatte, waren für den Blonden rückblickend beinahe schlimmer gewesen als die Schmerzen alleine.

Untermalt durch ein leises Brummen, legte er seine freie Hand über Cassies Knie hinweg und zog den Kleineren mit jener Leichtigkeit hinauf auf seinen Schoß, wie sie nur Clarence zu Eigen war. Den anderen Arm hielt er noch immer um den Rücken seines Mannes gelegt und drückte ihn schließlich an sich, das bärtige Gesicht in der fremden Halsbeuge verborgen, wo er sich gerade so dringlich wiederfinden wollte wie nirgendwo sonst.

Manchmal überkommt mich der furchtbare Gedanke… dass das sowieso nie ein Ende nehmen wird“, gestand er so leise ein, dass seine Stimme beinahe von der fremden warmen Haut verschluckt wurde. Wenn er könnte, er wäre einfach den Rest seines Lebens mit Matthew in diesem Zimmer hier geblieben oder hätte sich auf ihrem Boot mit ihm verschanzt. Aber nicht einmal das brachte etwas, wie die Erfahrung bereits gezeigt hatte.

In Coral Valley, im Blauen Stör mit dieser Verrückten, die gesagt hat sie wäre deine Schwester… du warst schon draußen vor der Tür, da hat sie etwas eigenartiges zu mir gesagt. Dass ich besser auf dich aufpassen müsste als bisher und… als damals bei den Plünderern, die dich nachts halb tot schlagen wollten. Sie hat gesagt… auf eine ganz eigenartige Weise… dass manche gefährdeter sind als andere, einfach vom Erdboden zu verschwinden.“

Es bestand kein Zweifel daran, dass diese Frau ihnen lange gefolgt sein musste um sie nicht nur im Hafen der Metropole zu finden und passenderweise Fotos von Rouge dabei zu haben, sondern auch von diesem Vorfall zu wissen. Von Plünderern überfallen zu werden war zwar keine Seltenheit und genauso gut hätte sie diese Behauptung aus der Luft gegriffen und aufgestellt haben können um in Clarence den Samen des Zweifels zu tilgen, aber die Art wie sie es gesagt hatte – ganz so als hätte mehr dahinter gesteckt als ein einfacher Plünderstreifzug - …

Sally Mitchell war nicht einfach nur verrückt oder irgendwie zurück geblieben. Sie war von irgendetwas besessen und immer wenn ich darüber nachdenke… denke ich automatisch auch über die Worte dieser Verrückten aus Coral Valley nach. Und immer wenn ich das tue, dann frage ich mich wie lange das noch so weiter gehen soll, selbst wenn wir es schaffen mich aus dem Clan auszulösen. Ob nicht immer, wenn wir denken wir wären frei und können irgendwo ankommen, etwas anderes schlimmes geschieht, das eine Flucht vor irgendwas oder irgendjemandem erfordert.

Wir haben fast ein halbes Jahr gebraucht um überhaupt hier anzukommen… bis wir beim Clan sind, vergehen wieder Wochen und ich will mir nicht ausmalen wie lange es dauern wird, bis wir wieder dort weg können. Bis wir wieder hier sind um unser Boot zu holen. - Bis wir die neue Freiheit genossen haben, bevor wieder etwas anderes passiert und alles wieder von vorne los geht.“

Das Haupt noch immer an Hals und Schulter Cassies gelehnt, vermied Clarence es seinen Blick zu heben sondern genoss den Schutz der Geborgenheit, unter dem er die düsteren Gedanken laut aussprach, ähnlich wie es auch Matthew eben getan hatte.

Ich will nicht darüber nachdenken wie es wäre, wenn wir die Hälfte unserer Zeit damit verbringen uns unsere Freiheit zurück zu holen nur um festzustellen, dass unser gemeinsames Leben schon halb vorbei ist, bis wir es endlich geschafft haben“, kleidete er das Offensichtliche in Worte und Cassie konnte sich den Rest selbst weiter denken, wenn er das denn wollte. Sie hatten kein Haus, keinen Hof und keine Tiere oder Felder, die von Generationen an übergeben wurden wie bei anderen und an denen sie einfach fortsetzen konnten mit ein paar wenigen Verbesserungen und harter Arbeit. Sie hatten gar nichts. Von null an anzufangen würde eine halbe Ewigkeit dauern, zumindest dann, wenn ihnen dann auch noch der lange Winter einen Strich durch die aufgestellte Rechnung machte. Bis sie wirklich einmal soweit waren um sich wieder ernsthafte Gedanken über eine Familie oder ähnliches zu machen, die sie sicher und erfolgreich durchbringen konnten… wer wusste schon, ob sie dann überhaupt noch in dem Alter waren, sich das auch noch antun zu wollen. Da erschien ihm ein Leben auf hoher See und unter Flucht beinahe noch die mehr sichere Alternative zu sein, vor allem dann, falls sie sich entscheiden würden dieser Hälfte der Erde den Rücken zu kehren.

Ich will nicht darüber nachdenken wie es wäre… aber ich hab es in letzter Zeit trotzdem oft tun müssen. Und so sehr ich auch will, aber ich finde keine Antwort darauf, ob Flucht oder Kämpfen die üblere von beiden Lösungen ist.“


Matthew C. Reed

Bereitwillig ließ Matthew sich auf Clarence‘ Schoß ziehen, legte beide Arme um den Größeren und schließlich, als dieser sein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub, eine Hand an seinen Hinterkopf. 

Hätte ein Außenstehender sie so sehen können, er hätte sich gewundert über die beiden jungen Männer und darüber das sie so sehr die Nähe zueinander suchten. 

Besonders Clarence sah auf den ersten Blick nicht aus wie ein sensibler junger Mann, wie jemand der an sich und an seinem Lebensweg zweifelte und der sich Sorgen um die Zukunft machte. 

Aber Matthew hatte sich noch nie vom äußeren Schein täuschen lassen. Er wusste wie Clarence war, wie nachdenklich er sein konnte, wie viele Gedanken er sich immerzu machte und wie sehr er unter der Befürchtung leiden konnte, dass Unabwendbare nicht verhindern zu können. 

Geduldig lauschte der Dunkelhaarige auf die Worte des Hünen, hielt ihn dabei fest und drückte schließlich einen Kuss auf seinen Schopf. 

Es waren schlimme Sorgen, die den Wildling plagten und die Art wie er sie zum Ausdruck brachte, der Klang seiner Stimme und wie er sein Gesicht verborgen hielt... all das verriet dem Jüngeren, dass diese Ängste nicht neu waren. 

Und wie könnten sie das auch sein, nach allem was hinter ihnen lag? Hatte er wirklich geglaubt, hinter der Stirn des Größeren lagen nicht Gedanken verborgen die er nicht mit ihm teilte? 

Leise seufzte Matthew, als ihm bewusst wurde wie naiv er all die Zeit über gewesen war. Er hatte sich wenig Gedanken über die Sorgen des Hünen gemacht, die nicht den Weg über seine Lippen fanden. Vielleicht, weil er im Laufe der Zeit zu gut gelernt hatte wegzusehen. Vielleicht aber auch, weil er sie einfach nicht mehr sehen konnte und wollte, die drohenden Gefahren die sie umgaben und die niemals ganz verschwinden würden. 

Ob Sally Mitchell eben jene Gefahr war, vor der Harriet versucht hatte sie zu warnen, ob die Fischerstochter eine von vielen war oder die einzige... am Ende lag all das nicht in ihrer Hand. 

„...Ich hab dir von der Bruderschaft des Lichts erzählt, hm? Weißt du noch?“, zärtlich stupste er mit der Nase gegen Clarence’ Schläfe und hob schließlich den Kopf wieder um sein Kinn auf Clarence’ Kopf abzulegen. 

„Ich hab dir erzählt, dass diese Leute...viel Einfluss haben. Und mit viel meine ich richtig viel. Als ich Rouge getötet habe, habe ich nicht damit gerechnet selbst lebendig aus der Sache rauszukommen. Ich hab mir... keine Gedanken darum gemacht was passiert wenn ich es schaffe. Rückblickend betrachtet war es dumm von mir zu glauben, sie lassen mich einfach davonkommen. Rouge war ihr Boss, aber wenn es den Boss nicht mehr gibt, dann nutzt ein anderer den freien Platz und nimmt ihn ein.“

So funktionierte es überall. Dass nun der Rote tot war, bedeutete nicht dass es nie wieder einen Roten geben würde - der Posten würde neu besetzt werden. 

„Vielleicht...wollte das verrückte Mädel das damit sagen. Vielleicht hat sie gewusst... dass die Bruderschaft sich neu formiert hat und es naheliegt, dass sie den Mörder von Rouge und Verräter nicht davonkommen lassen. Klingt logisch, oder?“   

Harriet hatte wahrscheinlich nur aufgepasst und früher die Zeichen der Zeit richtig gedeutet als er selbst. 

„Ich weiß, dass Rouge gern... andere manipuliert hat. Er hat sie beeinflusst Dinge zu tun... mich eingeschlossen...Dinge die ich eigentlich gar nicht vorhatte zu tun.“

Kurz schwieg er still, dachte über die Sache nach und schlug den Bogen zurück zu Clarence‘ Befürchtungen. 

„Selbst wenn Sally ein Werkzeug von denen war... wenn man sie irgendwie beeinflusst hat... Sie ist tot und wir zwei sind es nicht. Wir zwei sind gesund, wir zwei sind zusammen und wir zwei passen aufeinander auf, hörst du? Wir sind beide...gut darin geworden wegzulaufen, ich vielleicht noch besser als du. Aber seit ich dich habe, seither...“, erneut zögerte er kurz und sprach schließlich lächelnd weiter. „Seither will ich nicht mehr weglaufen. Ich will deine Hand nehmen wenn mir danach ist, ich will unter dem Namen Matthew Sky ein Zimmer wie dieses hier mieten, ich will einen kleinen Hof mit ein paar Pferden, Hühnern und Schafen. Und ich will, dass wir Freunde haben, gute Freunde...solche die... unsere Kinder für ein paar Tage nehmen, damit ich dich irgendwohin entführen kann wo wir nur zu zweit sind.“

Matthew wusste, dass all diese Wünsche auch die Wünsche des einstigen Jägers waren, doch anders als dieser, zweifelte der Dunkelhaarige nicht daran, dass sie all das wirklich haben konnten - wenn sie dafür einstanden und kämpften.

„Ich kann dir nicht versprechen, dass wir all das in einem oder in zwei Jahren haben werden. Vielleicht noch nicht einmal in dreien.“ räumte Cassie ehrlich ein und küsste Clarence auf die Schläfe. 

„Aber wenn wir es richtig machen, wenn wir zu Ende bringen was wir irgendwann jeder für sich begonnen haben... dann weiß ich, dass wir all das erreichen werden. Wir haben versucht vor der Vergangenheit zu fliehen, aber wenn man auf der Flucht ist, dann kommt man auch nie irgendwo an. Wir müssen damit aufhören, Claire.“ 

Behutsam löste er Clarence’ Kopf von seinem Hals, hielt seine Wangen behütend umfasst und schenkte dem Blonden einen innigen Kuss. 

„Warte... ich will dir etwas zeigen.“ wisperte er, als sich ihre Lippen wieder voneinander gelöst hatten. Ohne sich weiter zu erklären, zog er sich das Oberteil über den Kopf und löste geschickt die Schnüre seines Brustharnisch. 

Schwer fiel die lederne Kluft neben das Bett und Cassie nahm eine Hand seines Mannes um sie an seine Brust zu legen. Dort, wo das verschlossene Herz in seine Haut gezeichnet war und wo nun sein Ehering an einem Lederbändchen hing.  

„Gib mir deinen Zeigefinger...“, behutsam drängte er die anderen Finger nach unten, führte den Zeigefinger an das bunte Bild und ließ ihn sanft darüber gleiten. 

Unter der Farbe, unsichtbar aber fühlbar, lag eine Narbe.

„Ein Lamm...er hat es allen Kindern eingeritzt die er nach White Bone geholt hat. Es sollte uns daran erinnern was wir sind und sein sollen. Folgsame Schäfchen.“

Das Schaf war nicht viel mehr als eine einfache Strichzeichnung, doch wenn man wusste was man da fühlte, war das Tier zu erkennen. 

„Aber es hat sich herausgestellt, im Laufe der Jahre und erst recht seit ich dich habe, dass ich kein Schaf bin und nie eines war. Wir beide... wir werden uns nicht ergeben, hörst du? Wir werden nicht weglaufen und uns verstecken wie Lämmer, die zu dumm sind um zu kämpfen für das was sie wollen. Wir haben nicht beide so viel hinter uns gelassen um jetzt wieder ängstlich den Kopf einzuziehen.“

Immer und immer wieder hatte man ihn gejagt, so oft schon, dass er aufgehört hatte zu zählen. 

„Wir bringen das mit deinem Clan zu Ende und sollte... sollte da draußen tatsächlich jemand sein der darauf aus ist Rouge zu rächen in dem er mich tötet, dann finden wir den- oder diejenigen... und bringen auch das zu Ende.“ 

Erneut umfasste er sanft Clarence‘ Wangen, gab seinen Finger damit frei und schmiegte sich an den Größeren um ihn diesmal innig und fordernd zu küssen.

„Ich habe nicht vor Gott geschworen immer an deiner Seite zu sein, um mich dann unser ganzes Leben lang vor anderen zu verstecken. Ich bin dein und du bist mein und wir werden und das nicht wegnehmen lassen. Nicht von deinem Clan, nicht von Rouges Männern und von niemandem sonst auf der Welt.“


Natürlich wusste Clarence noch, was sein Mann ihm über die ominöse Bruderschaft des Lichts erzählt hatte. Seit ihrer Nacht in der Villa, in derer Matthew ihn eingeladen hatte auf eine traurige und schmerzhafte Reise in seine Vergangenheit, hörte der Blonde ihm schon längst auf eine ganz andere Art und Weise zu als früher noch.

Damals, bevor sie dieses vertrauensvolle und enge Verhältnis zueinander gehabt hatte, war vieles das aus dem Mund seines Gefährten kam sinnloser Nonsens gewesen, bei dem sich oft nicht mal annähernd gelohnt hatte ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken. Man hatte gemerkt, der Dunkelhaarige hatte nicht mehr bezwecken wollen als die Leere der Stille mit irgendwelchen Worten zu füllen; trotz allem Talent ihm damit den ein oder anderen Nerv zu rauben, hatte das lose Plappermaul Clarence zwar nicht damit in die Flucht gejagt, aber auch nicht wirklich sich seine Ohren spitzen lassen.

All das war anders geworden seitdem ihre Konversationen an Gehalt gewonnen hatten und es inhaltlich um weit mehr ging als ihre letzte Absteige, unterhaltsame Anekdoten aus ihrem Leben oder einfach nur die aktuelle Farbe des Himmels und ob es denn heute noch Regen geben mochte oder nicht. Sie teilten seitdem so viel miteinander, so wichtiges, und Clarence war es ein wichtiges Anliegen, jeder Sorge und jeder Erinnerung seines Mannes das volle an Aufmerksamkeit zu schenken, was er besaß.

Cassie hatte ihm damals ein Lied von dieser Bande gesungen, das schon kleine Kinder vielerorts kannten, wie es nun mal bei Legenden, Märchen und Fabeln der Fall war. Dabei hatte er zwar nicht mit der Nase an seine Schläfe gestupst und danach sein Kinn behütend auf seinem Haupt abgelegt, aber Claire wünschte, der Jüngere hätte damals schon so etwas getan.

Leise brummte Clarence seine Zustimmung als Matthew von ihm hören wollte ob Harrietts Andeutungen so richtig interpretiert sein konnten, denn nichts anderes hatte er seit diesem eigentümlichen Zusammentreffen im Kopf. Dabei war es nicht die Gefahr selbst, die Cassie im Nacken saß und die dem Älteren Sorgen bereitete – bei Gott, es wäre immerhin völlig fernab jeglicher Realität zu glauben, Menschen mit ihrer Vorgeschichte ständen nicht irgendwie unter Bedrohung – sondern eher… dass diese ganze Sache für Clarence nicht greifbar war und er auch sonst nicht viel über diese Leute wusste, außer, dass sie eben viel Einfluss hatten.

Bei sich selbst wusste er wenigstens, wer der Feind war. Es war greifbar, dass dort draußen Clans und Jäger lauerten um ihn zu ergreifen sollte er nicht rechtzeitig nach Hause zurück kehren. Sie konnten sich darauf einstellen wer ihn suchen würde, wo diese Leute waren und was sie mit ihm anstellen würden, hätten sie ihn erst einmal gefasst. Sein Mann allerdings… über diese Männer, die hinter ihm her waren, wusste Claire rein gar nichts. Er wusste nicht wer sie waren oder wo, woran man sie erkannte oder auf welche Weise sie Cassie jagen würden, würden sie sich dazu entschließen offensiver zu werden. Der Vorfall mit Sally – hatte sie denn etwas damit zu tun – hatte ihm gezeigt, in jedem und allem konnte die Gefahr lauern. Legten diese Menschen es darauf an und konnten wirklich Fremde zu ihrem Marionetten machen ganz gleich wo auf der Landkarte sich Cassie mit ihm befand, dann würde vielleicht eines unheilvollen Tages jener Moment kommen, an welchem der Blonde nur noch hilflos zusehen konnte und an dem Geschehenen zerbrechen würde.

Doch Matthew, der sich früher niemals Gedanken über die Zukunft gemacht hätte oder das, was das Leben für sie bereit halten könnte, zeichnete ihm ein völlig anderes Bild wie ihre Zukunft miteinander aussehen würde. Fernab von Gewalt, von Blut und einem unabwendbaren Ende; aber auch fernab von gedankenlosem In-den-Tag-hinein-leben, wie er es sich zu Beginn ihrer Bindung vermutlich noch vorgestellt hatte.

In den Zukunftsaussichten seines Mannes befanden sich ihr kleiner Hof, urige kleine Zimmer wie dieses hier in denen sie sich als Ehepaar Sky einmieteten. Tiere, um die sie sich hingebungsvoll kümmern würden wie auch um Kain und Abel und entgegen seiner früheren Behauptungen, nämlich dass sie auch zu zweit glücklich sein würden wenn ihnen das Leben einen Strich durch die Rechnung machte, befanden sich heute Kinder, die sie auch mal von ihren guten Freunden hüten lassen würden. Menschen, denen sie so sehr vertrauten dass sie ihnen ihre eigenen Zöglinge anvertrauten und die dadurch irgendwie beinahe schon zur Familie gehören würden – ganz anders als heute noch, wo sie niemandem wirklich vertrauten außer einander.

Clarence gefiel die Bilder die sein Geliebter ihm zeichnete und man konnte deutlich in seiner Stimme hören, dass er sie nicht nur dem Blonden zuliebe ausmalte. Er wusste ja, dass der Jüngere recht hatte und sie damit aufhören musste, ständig vor allem wegzurennen. Claire hatte es lang genug geschafft zu verdrängen was wie ein Schatten in seinem Rücken hing und hatte damit nur wertvolle Zeit vergeudet, ohne die sie heute nicht so intensiv dazu gezwungen wären sich Cameron und Adrianna anzuschließen. Er hatte es so weit getrieben, dass sie mittlerweile keine andere  Wahl und keinen Plan B mehr haben konnten und er zweifelte nicht daran dass sie auch bei Matthew irgendwann so weit wären, wenn sie nicht damit begannen sich ernsthafte Gedanken um das stille Unheil zu machen, das die Verrückte in Coral Valley angedeutet hatte.

Widerstandslos ließ er sich von seinem Mann lösen, empfing den innigen Kuss den man ihm schenkte und blickte kurz hinauf zu Cassie. In seinen blaugrauen Iriden lag die Angst darum, dass sich die fremden Worte nicht erfüllen ließen und damit auch gleichsam die Angst vor der Angst; nämlich jener, die er nur allzu gut kannte. Es wäre ihm kein neues Gefühl alles zu verlieren was er sich aufgebaut hatte, erneut Hoffnungen auf dem Grund der Realität zerschellen zu sehen und die eigenen Mühen zunichte gemacht, ebenso wie das Vertrauen in Gott und die Welt, das neu erblüht war. Seine Familie ein Mal zu verlieren war das eine, etwas anderes war es sie wieder zu verlieren… und schließlich ein weiteres Mal.

Still sah er dabei zu wie Cassie begann sich zu entblößen, wie seine schlanken Finger geschickt die ledernen Schnüre seines Harnischs lösten und hob wieder den Blick hinauf zum Jüngeren, unsicher ob hier gerade das vor sich ging, was er gerade dachte.

„Cassie, ich weiß nicht so recht ob mich das jetzt trösten kann, ich-…“, weiter kam er jedoch nicht bevor jener seine Hand nahm um sie an seine Brust zu führen und ihm dadurch etwas völlig anderes als das aufzuzeigen, was normalerweise darauf folgte wenn sie einander so nah waren wie jetzt und sein Mann damit begann, sich seiner Kleidung zu entledigen.

Ganz zart nur ließ er seine Fingerspitze über die fremde Haut hinweg streicheln als Matthew seine Hand führte, folgte seinen unsichtbaren Linien mit wachen Augen und erkannte dabei das Bild unter dem Bild, das er ihm zeigen wollte. So viel hatte er schon von der Haut seines Mannes gesehen, eigentlich sollte es keinen einzigen Fleck geben den er noch nicht kannte und trotzdem ergaben sich immer wieder aufs Neue verborgene Geheimnisse am fremden Leib, die Clarence bis heute noch nicht entdeckt hatte.

Seine Gedanken und sein Finger ruhten noch immer auf dem unsichtbar gemachten Schaf, als der Mann auf seinem Schoß sich enger an ihn schmiegte um ihn wieder zu küssen, so wie nur Matthew ihn je geküsst hatte. Alleine auf seinen Lippen schmeckte Clarence Geborgenheit und Liebe, spürte in jedem Atemzug wie sein Geliebter für ihn lebte und hörte in jedem einzelnen von Cassies Herzschlägen, dass es nur für ihn alleine pochte.

Ganz sanft streckte er nun auch die anderen Finger seiner Hand aus, streifte damit die feste Brust welche sich darunter ausbreitete und löste sich nur deshalb sachte von dem anderen, damit er genug Platz hatte um sein Haupt zu senken und einen behutsamen Kuss auf das rote Herz zu hauchen, das er eben noch gestreichelt hatte.

Wenn ich mit dir zusammen bin… dann vergesse ich manchmal, wie kurz wir uns erst haben. Dann hab ich das Gefühl, dass… mhh… dass wir uns schon unser ganzes Leben lang kennen. Als wären wir irgendwann getrennt worden und hätten uns nach Jahren erst wiedergefunden, aber einander nie vergessen“, setzte Clarence leise an und betrachtete sich die bunten Farben und Bilder auf Matthews Haut aus nächster Nähe, ganz so als ahne er, dass sich darunter vermutlich auch noch andere geheime Geschichten verborgen hatten. „Manchmal hab ich das Gefühl, dass meine Reise ohne dich bis zu unserm Wiedersehen auch deine ist und… anders herum genauso. Es tut mir nicht leid, dass dir all das passiert ist ohne mich… sondern es tut mir weh, dass ich nicht eher da war um dir zu helfen. Aber dafür bin ich es jetzt und ich will nicht, dass du mich von irgendetwas ausschließt – genauso wie du nicht von mir ausgeschlossen werden willst.“

So oft hatte Cassie nach ihrem Aufbruch aus Coral Valley abgeblockt wenn er versucht hatte ihn auf die Narbe an seinem Kopf anzusprechen oder darauf, welche Behauptungen diese Harriett in den Raum geworfen hatte. Sollte sie gelogen haben und wirklich nichts anderes als irre sein, dann war das ja in Ordnung – aber wenn nicht, dann würden sie ein Problem bekommen, wenn sie es weiter ignorierten. Sollte Rouge tatsächlich Matthews Vater gewesen sein, dann gab es vermutlich für den einen oder anderen gleich noch einen Grund mehr, den Mörder ihres Anführers zu finden und aufzuknüpfen… oder schlimmeres.

Du hast gesagt, dass du unseren Hof und unsere Kinder erst dann haben willst, wenn ich in Sicherheit bin aber für mich gilt das gleiche, wenn es um dich geht. Ich weiß, dass all das was da eventuell vielleicht in der Vergangenheit auf dich lauert, alles andere als angenehm sein wird. Aber du hast jetzt mich und musst dich nicht mehr alleine damit auseinander setzen… und keiner von uns muss sich mehr alleine Sorgen machen.“

Nähe suchend legte er nun auch die zweite Hand auf Cassies Brust ab, strich an ihr hinab und genoss das vertraute Gefühl was sich daraus ergab und das sie vielleicht heute Nacht das letzte Mal für lange Zeit miteinander haben würden.

Versprich mir, dass… wir ab heute dafür sorgen werden, dass wir all diese Dinge so schnell wie möglich geklärt bekommen. Man hat uns so viel Zeit miteinander gestohlen und ich will keinen einzigen mehr vergeuden von denen, die wir nun miteinander haben. Mit Nichtstun… mit Flüchten… oder einfach nur mit dem Verdrängen unangenehmer Wahrheiten. Ich will das alles nicht mehr, hörst du? Ich will mich auf dich konzentrieren können und auf mich und nicht auf irgendjemanden sonst, der kommen könnte um uns das kaputt zu machen. Und ich will auch nicht, dass einer von uns eines Tages aufwacht und… der sich plötzlich eingeholt fühlt von alten Fragen, auf die er niemals eine Antwort bekommen hat. Verstehst du, was ich meine…?“


Matthew C. Reed

Sollte es irgendwo auf der Welt noch einen Menschen wie Clarence geben, so kannte Matthew ihn nicht. Er hatte auf seiner Flucht aus White Bone und auf seiner Wanderschaft  viele Leute kennengelernt, hatte gesehen wozu Männer und Frauen fähig waren, hatte gesehen was hinter den aufgebauten Fassaden lag. 

Manchmal taten schwache Menschen stark und manchmal kam der Wolf im Schafspelz daher - so wie der gütige Mann.

Jahrelang hatte Matthew keiner Menschenseele von den Geschehnissen in White Bone erzählt, er hatte es nicht gewollt und selbst wenn er denn gewollt hätte... er hatte gar niemanden gehabt, dem er sich hätte anvertrauen können. 

Le Rouge hatte ihn mit seinen Psychospielchen und mit Druck dazu gebracht darüber zu reden. Damals war Matthew dem Alter nach noch mehr Junge als Erwachsener, aber den Roten hatte das nicht zur Rücksichtnahme angehalten. 

Sein erpresstes Wissen über Matthew hatte er Jeyne Copper verraten und vielleicht noch anderen... Aber Matthew selbst, der hatte niemals freiwillig über seine Erlebnisse erzählt. 

Bis zu jener einen Nacht. Bis der Druck des gegebenen Eheversprechens so enorm geworden war, dass er darunter zusammengebrochen war. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte er Clarence mehr geliebt als irgendetwas sonst auf der Welt und er hatte den Gedanken nicht ertragen können, dass jener Mensch jemanden heiratete wie ihn. 

Duzendware hatte er sich genannt und sich ganz genau als das auch empfunden. 

Eine Zumutung für Clarence, eine Last, etwas vor dem man Abscheu und Ekel empfand.  Er hatte Angst vor der Ablehnung des Blonden gehabt, die in seinen Augen berechtigt und unausweichlich sein würde und trotzdem hatte er Clarence alles erzählt - weil er es ihm nicht antun wollte, sein Leben mit einem Menschen wie ihm zu verbringen. 

Doch das Unausweichliche, das Logische, das Verdiente war nicht passiert. 

Clarence hatte sich nicht abgewendet, war nicht zornig geworden, hatte ihn nicht voller Entsetzen von sich gestoßen und seine Zuneigung eingefroren. 

Noch heute wusste Matthew ganz genau wie sehr ihn die Reaktion des Blonden verwirrt hatte, wie wenig er die Liebe zu sich nachvollziehen konnte die Clarence aufbrachte. 

Er hatte es nicht gesehen, sein eigenes Mehr. Er hatte sich nicht wertvoll, nicht ausreichend, nicht kostbar gefühlt - sondern armselig. 

Aber davon hatte sich der Hüne nicht beirren lassen. Er hatte ihn gehalten, hatte mit ihm zusammen geweint und er hatte ihm beharrlich gezeigt, dass er ihn nicht verlassen würde. 

Und mit der Zeit... hatte sich Matthews Sicht auf die Geschehnisse und auf sich selbst geändert. Dass der Dunkelhaarige heute so redete wie er es tat, dass er feste Ziele hatte die er erreichen wollte, statt sie sich nur in bunten Farben auszumalen... all das verdankte er Clarence und seiner unerschütterlichen Liebe.

Nirgends hatte sich Matthew je so wohl und so geliebt gefühlt wie in Clarence‘ Nähe und keine Umarmung, kein Kuss und kein Blick hatten ihm je so fest versprochen, dass er ein Zuhause gefunden hatte. 

Auch als Clarence einen zarten Kuss auf das Herz hauchte, welches das Lamm überdeckte, offenbarte er dabei eine Behutsamkeit, wie Matthew sie nur von seinem Mann kannte. 

Er lächelte ungesehen über die Geste und lauschte auf die anschließenden Worte. 

Worum Clarence ihn bat, war nicht weniger als das zu beenden womit Matthew in den letzten Monaten bereits begonnen hatte - die Aufarbeitung dessen, was in seiner Vergangenheit lag. 

Wie auch bei dem ehemaligen Jäger, gab es auch beim Ex-Söldner vieles das sie einholen konnte. Die Bruderschaft des Lichts war ein Punkt, Harriet ein Weiterer. 

Matthew wusste um die Männer die ihn gejagt hatten, aber er wusste nicht um seine Familie. War Rouge sein Vater? War Rosalie seine Mutter? 

Nichts davon konnte er mit Bestimmtheit sagen und vielleicht war all das auch nicht wichtig. Aber falls Harriet recht hatte, dann war er in Gefahr und wenn er in Gefahr war, dann traf das auch auf Clarence zu. Ihr Zuhause, ihre Tiere, ihre Kinder würden nicht sicher sein, wenn sie es nicht waren. 

Das verstand Matthew. Trotzdem wollte er sich den offenen Kapiteln nicht stellen.

Schweigsam hörte er zu, ließ seinen Mann ausreden ohne ihm ins Wort zu fallen. Mit allem was der Blonde sagte, lag er richtig und es war sein gutes Recht zu verlangen, dass sie - wenn sie schon anfingen mit der Vergangenheit aufzuräumen - nicht die des Jüngeren außen vor ließen. 

Sie wussten beide schon jetzt, dass es unangenehm werden würde sich dem zu stellen wovor er all die Zeit über weggelaufen war, aber sie wussten auch, dass sie es tun mussten. 

Überlegend zögerte Cassiel einen Moment und blieb Clarence das geforderte Versprechen schuldig. Zeit, in der er abwog ob er können würde worum sein Mann ihn bat. 

„Ich verstehe was du meinst...“, räumte er ein und verfiel wieder in kurzes Schweigen. 

Matthew hatte sein Wort niemals leichtfertig irgendwem gegeben und er würde nun nicht damit anfangen. Still musterte er sein Gegenüber, suchte in den Augen des Anderen Zweifel, Zögern oder Verhandlungsspielraum. 

Aber nichts davon fand er. Clarence hatte deutlich gemacht was er wollte und was nicht und mit allem was er sagte und forderte hatte er recht.

„Ich hätte... nie gedacht, dass die Vergangenheit jemals eine so wichtige Rolle spielen wird. Einfach weil...“ - er seufzte kurz „...ich nicht damit gerechnet habe eine Zukunft mit...jemandem zu haben. Aber...ich habe dich und ich weiß, dass ich mit dir alt werden will. Also... kann ich nicht mehr so tun als würde weglaufen irgendetwas bringen.“

Er hob wieder die Hand und fing an, nervös an den Bartspitzen des Größeren zu zupfen. „Seit ich dir...von mir erzählt habe... und du nicht von mir Abstand genommen hast... seither... habe ich angefangen die Dinge anders zu sehen. Ich sehe sie nun...klarer. Wenn wir anfangen in der Vergangenheit herumzuwühlen... wird das... hässliches Dinge ans Licht bringen. Ich werd das alleine wahrscheinlich nicht hinbekommen, aber....“, noch immer zupfte er an Clarence’ Bart und beobachtete seines Fingerspitzen dabei, wodurch er dem Blick des Hünen gekonnt ausweichen konnte. 

„...wenn du da bist und bleibst, dann... dann bringen wir zu Ende was noch nicht erledigt ist. Wir kümmern uns erst um dich und dann...um mich. Ich...verspreche ich dir.“

Erst jetzt sah vorsichtig wieder in die Augen des Größeren und schenkte ihm zusätzlich ein kurzes, bekräftigendes Nicken. 

Er konnte nicht behaupten, er sei bereit dazu...aber danach ging es nur selten im Leben. Und so lange er Clarence hatte, würde es immer irgendwie weitergehen. 


Clarence B. Sky

Matthew konnte manchmal so sturköpfig und starrsinnig sein, dass es zum Himmel schrie. Er konnte abblocken als habe er etwas nie gehört, wenn er keine Lust hatte über etwas nachzudenken oder etwas anzunehmen wenn man ihm es sagte und manchmal kam er Clarence dabei vor wie das kleine Kind, das zu sein man ihm damals die Berechtigung entzogen hatte. Dann ließ er sich nicht wecken wenn er mit Ablösung der Nachtwache dran war und stellte sich komatös oder schaltete auf Durchzug wie damals nach ablegen aus Coral Valley, wenn er das Thema Harriet einfach nicht mehr hatte hören können.

Manchmal wusste Clarence gar nicht erst wie er an eine Sache herangehen sollte um sich das Gehör seines Mannes zu verschaffen und wann anders – so wie heute scheinbar der Fall – da konnte er es ohne sich dessen bewusst zu sein und ohne genau zu wissen, was wohl zu seinem Erfolg beigetragen hatte.

Anstatt die unsichtbaren Mauern wieder hoch zu türmen, die Cassie zeitweise zum Schutz aus den Altlasten ihrer früheren Bindung heraus kramte um ihn damit um den Verstand zu bringen, schwieg er heute und hörte zu. Hörte ihm richtig  zu und verstand dabei was Clarence meinte, ohne sich dieser unangenehmen Wahrheit zu versperren.

Still und seinem Mann den Raum gebend den er benötigte um in Worte zu kleiden was er empfand, betrachtete er den anderen und nutzte auch die kurze Stille nicht aus um Matthew forsch zu einer Antwort abzunötigen, die er ihm von ganz alleine geben musste. Wie auch er selbst, gab auch der Jüngere seine Versprechen nie leichtfertig her, ein Charakterzug den der Blonde schon immer an ihm geschätzt hatte. Anstatt ihm einfach ins Gesicht zu lügen und später nicht einzuhalten wofür er sein Wort gegeben hatte, wog der einstige Söldner seine Worte genau ab – in manch passender Situation ein Schlupfloch einbauend, was ihm bislang jedoch stets verziehen worden war. Heute aber war Claire sich nicht sicher ob er irgendwann seinen Mann dafür würde entschuldigen können, wenn er sich eines fernen Tages aus dem herausredete, was er ihm heute versprach.

Dass er letzteres tun würde, das wusste der Jäger noch bevor sein Partner sich dazu entschieden hatte es überhaupt auszusprechen. Es war die Art wie er seinen Blick mied, unsicher und verlegen, um dabei an dem blonden Bart zu zupfen den er so sehr lieb gewonnen hatte. Früher war Clarence seine Haarpracht heilig gewesen und war es noch; es hatte keinen Barbier gegeben der hatte Hand an seine Stahlwolle von Bart hatte legen dürfen und hätte Matthew Reed es sich früher gewagt ihm daran herum zu pfuschen, Claire hätte nicht gezögert ihm dafür ordentlich eins auf die Finger zu geben. Unlängst war der Bär aber Matthews geworden und dazu gehörte auch seine heilige Gesichtsbehaarung die der Mann auf seinem Schoß zwar dann und wann unsanft, aber stets mit dem nötigen Respekt behandelte… genauso wie den Rest des Mannes, der an diesen Haaren dran hing.

„Du wirst weder alleine beginnen müssen diese Dinge zu klären, noch wirst du alleine aus diesen Dingen heraus gehen müssen. Das verspreche ich dir“, entgegnete Clarence ruhig und standhaft auf die indirekte Frage seines Mannes und erwiderte den unsicheren Blick in seine Augen für den er Cassie einerseits hätte küssen können, der ihm andererseits jedoch selbst weh tat. Es war selbst heute noch ungewohnt seinen Mann so zu sehen, so… gebrochen und alleine schon bei dem Gedanken daran all jenem Selbstbewusstsein beraubt, das ihm sonst zu Eigen war. Matthew war ein starker Mann voller Talent und Charakter, ein Mensch der sich sicher sein konnte und sollte, wo seine Stärken waren und dass er vielerorts eine Sympathie an den Tag legte, die ihm nicht abzusprechen war. Seine positiven Eigenschaften überwogen eindeutig seinen Defiziten und dennoch war sich der Jüngere dessen nicht mehr gewahr, sobald es um seine Vergangenheit ging.

Sanft entzog er seinen Bart den zupfenden Fingern des Jüngeren, nur um sie schließlich mit seinen Lippen einzufangen und einen zarten Kuss auf Cassies Fingerknöchel zu hauchen.

„Du bist nicht der einzige, der noch Dinge zu klären hat fernab des Offensichtlichen. Und ich weiß, dass nicht nur du… sondern auch ich noch nie besonders gut darin war, sich diesen Dingen zu stellen. Das ist eines der wenigen Dinge, die wir beide an Grundlagen gemeinsam haben und die die ersten Monate so einfach gemacht haben zwischen uns. Wir sind beide weggelaufen und ich denke… es kam uns gelegen, dass keiner uns gefragt hat, was uns antreibt.“

Cassie war vor seinen Erlebnissen mit Rouge geflüchtet und dem, was ihm vielleicht noch im Nacken saß und Clarence… nun ja. Der hatte seinen Grund einige Meter weiter in einem der anderen Gebäude lauern.

„Damals, im Blauer Hund… am Nachmittag, nachdem wir Abel und Kain zu uns geholt haben“, setzte Clarence ruhiger an und senkte ein weiteres Mal seine Lippen auf die Finger seines Mannes, um diese zu küssen. „Du hast im Zuber gesessen am Feuer und ich draußen im Trockenen und du hast zu mir gesagt… dass du dir nicht ständig vorstellen willst wie es wäre, wenn ich meine Vergangenheit ruhen lassen könnte. Dass ich mit diesen Eventuells und Vielleichts aufhören muss, weil es ein Nein ist, wenn die Antwort nicht Ja lautet.

Aber je länger ich seit unserer Reise darüber nachdenke, umso mehr wird mir klar, dass keiner von uns wirklich Ja zu allem gesagt hat… bis… gerade eben.“

Sie hatten sich in süßen Träumereien verstrickt, in einem was wäre wenn. In einem eventuell vielleicht, wenn sich die Dinge denn eventuell vielleicht zum Guten wendeten.

„Lass uns nicht mehr darüber reden was sein könnte, sondern was wir tun müssen, damit es so wird. Wenn Adrianna und Barclay heute Abend nach unserem Gespräch unter sechs Augen zurück gehen in ihre Unterkunft und wir wieder unter uns sind, Cassie… lass uns eine Liste machen. Mit den Rechnungen die noch offen sind und den Fragen, die geklärt werden müssen… und lass uns überlegen was getan werden muss, damit diese erledigt sind. Und dann, in zwei oder drei… oder in vier Jahren… wenn wir auch den letzten Punkt gestrichen haben… dann lass uns eine neue Liste anfangen. Mit den schönen Dingen, mit unseren Dingen. Mit unseren Wünschen, was wir erreichen wollen und wie wir es bekommen.“

Clarence spürte diesen eigentümlichen Tatendrang in sich, der nicht länger dabei zusehen konnte wie das Chaos um sie herum weiter anwuchs, ohne dass sie begannen die Berge zu zerpflücken und abzutragen. Hoffnungsvoll hob er die Hände an Matthews Wangen, strich ihm sanft mit den Daumen über den vertrauten Bart und musterte den Mann auf seinem Schoß eindringlich von dem er wusste wie groß dessen Angst sein musste, aber dass sie unbegründet war, wenn sie zusammenarbeiteten – denn bislang waren sie noch immer als Team erfolgreich gewesen, das hatte die Zeit längst gezeigt.

„Du gehörst nicht zu den Menschen die so ein Leben nicht verdient haben und ich auch nicht, Matthew. Wir werden das abarbeiten, Punkt für Punkt… und wenn es länger dauert, weil wir Zeit dafür brauchen uns zu manchem zu überwinden, dann ist das eben so. Dann wird es trotzdem ein Ja sein, genauso wie es das immer sein und bleiben wird, wenn wir all das hinter uns gebracht haben.“


Matthew C. Reed

Noch nie zuvor hatte Clarence so mit ihm geredet wie er es jetzt tat. So fordernd und so bestimmend, so voller Tatendrang, als sei er es plötzlich leid nur noch halbe Sachen zu machen. 

Während er sprach und immer wieder die Knöchel seiner Finger küsste, schien es Matthew als sei ein Feuer in ihm entfacht worden welches nun Bahn brach.  

Und es stimmte: sie hatten beide nie ja zu allem gesagt. 

Ihre Träume und Ideen waren nicht mehr gewesen als ausgesprochene Fantastereien. 

Damals im Hinterzimmer irgendeines Gasthofes, da hatte Matthew zum ersten Mal davon gesprochen was wäre wenn sie sich früher getroffen hätten, was wäre wenn sie nie erlebt hätten was hinter ihnen lag. Würden sie dann einen Hof haben, würden sie dann heil sein?

Er hatte davon geredet was er wollen würde, wären die Dinge anders. 

Zweifellos hatte ihn diese Ehrlichkeit damals Überwindung gekostet und es wäre für sie beide nicht möglich gewesen sofort Nägel mit Köpfen zu machen. 

Der Clarence von damals war nicht bereit gewesen darüber zu reden, noch nicht einmal über das was wäre wenn, ganz zu schweigen von der Erkenntnis , dass sie dieses Leben wirklich haben konnten, wenn sie nur wollten.

Und auch auch der Matthew von damals, der so überfordert davon war Clarence zu lieben wäre gar nicht in der Lage gewesen einen größeren Schritt zu machen. 

Zu dieser Zeit hatten sie gerade begonnen einander wirklich kennenzulernen und jedes kleine Vorwagen aus der eigenen Deckung hatte Mut gekostet. 

Aber heute waren sie nicht mehr das unsichere Paar von früher. Heute wusste Clarence Matthew zu lesen und Matthew verließ sich blind auf seinen Mann. 

Sie kannten sich und sie liebten einander trotz der Fehlentscheidungen, trotz der Unterschiede, trotz aller Makel und vielleicht sogar wegen ihnen. Für Cassiel konnte es keinen besseren Menschen geben als Clarence und er liebte ihn mit allen Fasern seines Herzens. 

„Es fühlt sich...komisch an, mit dir wirklich Pläne zu schmieden... für das, was kommt wenn wir...die Vergangenheit abgeschlossen haben.“, räumte er leise ein und betrachtete seinen Mann aus der Nähe. 

Über Jahre hinweg hatte es sich nicht geboten Pläne für die Zukunft zu schmieden, einfach weil es gar nicht sicher war ob es eine Zukunft gab. Und wenn es sie gab, dann lohnte sie sich vielleicht gar nicht. 

Aber mittlerweile war das anders. Sie hatten eine Zukunft - und zwar zusammen und sie war definitiv lohnenswert. 

„Wir haben immer nur...überlegt was wir haben wollen. Aber nie wie wir es bekommen können. Ich schätze...“, er schüttelte den Kopf und korrigierte sich zügig selbst „Nein, ich weiß, dass es richtig wenn wir jetzt damit anfangen.“

Sich der Vergangenheit zu stellen war nie einfach, erst recht nicht wenn man ihre Leben gelebt hatte. „Was noch kommen wird, ist wichtiger als das was hinter uns liegt. Deshalb...deshalb finde ich, wir sollten es tun. Wir machen diese Liste und wir nehmen uns die Zeit abzuschließen. Und wenn wir das getan haben...dann können wir das Leben haben, dass wir immer wollten.“

Und während die Vorstellung daran, sich der Bruderschaft zu stellen Kopfzerbrechen und Unwohlsein bereitete, so überwog die Gewissheit und die Freude über das, was sein würde wenn alle losen Enden abgeschnitten und alle versponnenen Knoten gelöst waren.  Sie würden frei sein, wirklich frei und damit würden sie die Möglichkeit bekommen jenes Leben zu führen das sie wirklich und aufrichtig glücklich machen würde. 

Kein Wegrennen mehr, kein verstecken, keine Sorge darum ob sie eines Tages eingeholt werden würden von den Schatten der Vergangenheit. 

„Du weißt, dass ich ohne dich nichts von dem hätte was ich heute habe, hm? Keine...verrückten Wünsche wie eine Familie. Ich wäre... kein Ehemann und ich würde ganz sicher nicht in Erwägung ziehen zum Schein den Kestrels beizutreten.“

Er lächelte sanft, strich Clarence durchs Haar und überbrückte die kurze Distanz um den Blondschopf sanft zu küssen. Die Hände legte er auf seine Brust und ließ sie tiefer wandern bis zu seiner Taille um ihn fester an sich zu ziehen. 

Er wusste, dass sie keine Zeit hatten für mehr, trotzdem wurde aus dem zarten Kuss ein zunehmend leidenschaftlicher, bis er sich schließlich widerwillig löste um nicht vollends die Kontrolle zu verlieren. 

Clarence machte ihn süchtig nach sich und daran änderte sich auch nichts, wenn sie eigentlich nicht durften.

„Wenn du mit deinen alten Freunden redest...warum sagst du ihnen nicht, dass ich Bescheid weiß? Über die Sache mit Nagi und euch...“, versuchte er sich von dem abzulenken was er gerade wollte. 

Es gab gerade viel wichtigeres und dringlicheres zu klären, als mit Clarence herumzumachen und darauf galt es sich nun auch zu konzentrieren. 

„Dann müsstest du mich nicht wegschicken...und vielleicht würde Adrianna dann verstehen, dass ich vertrauenswürdig bin.“, führte er seine Gedanken weiter aus.

Wenn sie schon zusammen reisen mussten, was im Hinblick auf ihre neuen Pläne unausweichlich war, dann wollte er die Bedingungen nicht schwerer machen als sie schon waren. 

Schließlich langte er nach dem Lederband, zog sich die Kette über den Kopf und löste das verknotete Ende, um an den Ring zu gelangen  den er bis eben noch vor den Blicken der anderen verborgen hatte. Nun steckte er ihn wieder an, dahin wo er hingehörte und schaute wieder zu Clarence. 

„Matthew Reed kann verheiratet sein. Ich könnte irgendwo ein Zuhause haben, zu dem ich aus irgendwelchen Gründen nicht mehr zurückkehren kann. Ich muss meine Ehe nicht verheimlichen. Dass geht keinen was an, oder?“

Clarence konnte nicht verheiratet sein, schon gar nicht mit einem Mann. Aber der Clan kannte ihn nicht und hatte sich auch nicht für seine Vergangenheit zu interessieren. 

Insofern konnte er den Ehering dort tragen wo er hingehörte und sich richtig anfühlte: an seinen linken Ringfinger. 


Clarence B. Sky

Damals hatten sie darüber geredet was wäre wenn, wenn die Dinge anders wären.

Ein Leben voller Frieden, ohne verblasste Narben auf Haut und Herz und ohne Sorgen, das hatte sich so fernab der Realität angefühlt, dass sie sich beide kaum getraut hatten sich ein derartiges Paralleluniversum vorzustellen. Ein Dasein ohne Kummer und Schmerz und vor allem ohne die dunklen Schatten der Vergangenheit war etwas gewesen, dass sie sich selbst damals in frischer Verliebtheit nicht vorzustellen getraut hatten.

Mittlerweile aber waren sie nicht nur schlauer und älter geworden, sondern auch weiser. Es hatte sich ein Weitblick über sie gelegt, der ihnen gezeigt hatte, es gab Dinge und vor allem Menschen die machen konnten, dass die Vergangenheit weniger schmerzte. In Matthew hatte er einen Balsam für seine geschundene Seele gefunden, die den Schmerz heilte den er verspürte – auch wenn er in der Tiefe immer da sein würde, zweifelsohne – und auch Cassie hatte damit begonnen alte Ängste abzulegen und darauf zu vertrauen, dass der Mann an seiner Seite ihn weder alleine lassen, noch zulassen würde, dass man ihm noch einmal weh tat.

Mittlerweile hatten sie verstanden, dass so ein Leben ohne Sorgen und ohne Schmerz existieren konnte und dass sie es bereits begonnen hatten zu führen… mit Kompromissen, über die sie noch nicht vollends hinweg gekommen waren.

Nachdenklich wanderte sein Blick am fremden Hals hinab über die Farben, die ihn zierten, und legte dabei auch seine Hand auf der Brust seines Mannes ab um dabei warm über seine nackte Brust hinweg zu streicheln. Dieser Mensch fühlte sich so vertraut an unter seinen Fingern und doch würde es immer wieder Dinge geben, die ihn ganz neu faszinierten. Die ihn staunen ließen oder sich wundern, die ihn aus der Bahn warfen oder warm einnahmen. Cassie war ihm das Liebste und trotzdem gab es noch Mauern zwischen ihnen, die zu erklimmen waren – doch schon lange nicht mehr auf eine unangenehme Weise, wie es früher der Fall gewesen war.

„Ich weiß… ich finde auch, es fühlt sich komisch an“, ließ er Matthew nicht im Dunklen tappen was seine eigenen Gefühle dazu angingen, sondern den Jüngeren wissen, er war mit seinen zwiegespaltenen Empfindungen nicht alleine. Es war das eine die dummen Träumereien auszusprechen die ihnen durch den Kopf gingen wenn sie eng umwoben beieinander lagen. Wenn sie sich hinreißen ließen von dem warmen Gefühl das damit einher ging oder dem Glück, das man sich in einer solchen potentiellen Zukunft ausmalte. Sicher, in der Fantasie lief das Leben stets reibungslos und glücklich ab, es gab keine Stolpersteine an denen man mit den Zehenspitzen hängen blieb um sich daran weh zu tun und auch eckte man niemals unangenehm aneinander an in dieser perfekten heilen Welt, die man sich aufzumalen pflegte. Doch auch wenn Clarence wusste, dass der Weg dorthin alles andere als leicht werden würde sondern unmenschlich und steinig, so trug er diese unabdingbare Gewissheit im Herzen, dass es bei ihnen anders sein würde. Sie hatten schon zu viele Abenteuer erlebt, zu viele Tiefen die ein normaler Mensch sich kaum ausmalen konnte und sie waren gereist, wenn auch nicht bis auf andere Kontinente um Kulturen zu erleben, die man sonst nur aus Büchern und Erzählungen kannte. Und doch…

Manchmal, da fühlte sich selbst der todesmutige Jäger ausgelaugt von all diesen Abenteuern und todesmutigen Unternehmungen. Es kam ihm nicht langweilig vor irgendwo auf einem kleinen Hof sein Leben vor sich hin zu leben und dabei zuzusehen, wie aus der Ehe zwischen ihnen beiden eine kleine Familie heran wuchs, sondern wie die friedlichste Entlohnung auf Erden für das, was sie schon alles hinter sich gebracht hatten.

Ein verschmitztes Lächeln stahl sich bei Matthews leisen Worten auf seine Lippen, denn nicht nur hörte Clarence gerne für wie viel gute Dinge er im Leben des anderen verantwortlich war, sondern auch genoss er es selbst nach all den Monaten noch wie am ersten Tag aus Cassies Mund zu hören, dass dieser nun ein Ehemann war. Er, der verwegene Schürzenjäger der jede und jeden haben konnte, der sich nun freiwillig zu einem züchtigen Leben unter der sprichwörtlichen Haube entschieden hatte und das auch noch für Clarence, den wohl schweigsamsten und ungeselligsten Kerl, der jenseits der Grenze über die nördliche Hälfte des Kontinents hinweg gewandert war.

Ohne Gegenwehr ließ er sich in den hingebungsvollen Kuss verwickeln, ließ zu dass dieser leidenschaftlicher wurde und raunte gegen die weichen Lippen seines Mannes, als dieser sich zu lösen drohte.

Nicht intim zu werden nach großen Entscheidungen, geteilten Geheimnissen oder innigen Gesprächen war ein ungewohntes Novum in ihrer Beziehung und bei Gott, so recht gefallen wollte ihm diese Wendung absolut nicht. Hätte Cassie sich nicht von ihm gelöst, Claire hätte vielleicht sogar mutwillig vergessen dass bald andere unten im Schankraum auf sie warten würden, selbst auf die Gefahr hin man sah ihnen an, dass sie gerade fragwürdige Dinge hier oben angestellt hatten.

Sehnsüchtig leckte er sich über die Lippen und brummte leise als Cassie vorschlug zu offenbaren was sein den anderen unbekannten Begleiter wusste und was nicht. Erst dann öffnete er zögerlich wieder die Augen, so als könne er die Realität damit wenigstens ein paar nicht nennenswerte Sekunden länger ausblenden und suchte schließlich Matthews Blick als klar war, es würde tatsächlich bei nichts weiter bleiben als diesem einzelnen, intensiven Kuss und einem Zuhause irgendwo im Nirgendwo.

„Matthew Reed, verheiratet… mhh.“ - Seiner Tonlage konnte man nicht wirklich entnehmen ob er das nun gut fand oder nicht, seinem Gesichtsausdruck umso mehr. Irgendetwas an der Sache gefiel ihm nichts und was das war, wusste Clarence ganz genau.

Sorgsam schob er seine Finger zwischen denen des Jüngeren hindurch, verwob ihre Hände miteinander und zog Cassie eng zurück an sich heran, um sich einen kurzen Kuss zu rauben.

„Macht mich schon ein bisschen eifersüchtig die Vorstellung, dass da draußen irgendjemand ist den er mal geheiratet hat und der vielleicht noch auf ihn wartet. Und wenn Matthew Reed dann auch noch von seiner Familie erzählt, die er warum auch immer verlassen musste… - also weißt du…“

Beinahe schon etwas beleidigt schüttelte Clarence den Kopf und drückte die Hände seines Mannes sachte. Das Edelmetall war noch ganz kalt um Cassies Finger, was ein völlig ungewohntes Gefühl war angesichts dessen, dass sie ihre Ringe in der Regel nur dann abnahmen, wenn es unbedingt nötig war. Er liebte es das Ding am Finger des Dunkelhaarigen zu sehen, liebte es den Schmuck auf seiner Haut zu spüren wenn der andere ihn in sinnlicher Manier berührte oder einfach nur still zu betrachten wie Cassie manchmal abwesend darüber hinweg streichelte, wenn er gerade in Gedanken verloren war.

„Ich hab mich ja immerhin nicht in Matthew Sky verliebt, sondern hab auch Reed schon gewollt. Du willst mir also ernsthaft mutwillig das Herz brechen mit dem Ehering einer fremden Ehe am Finger, mh? Besser hätte Reed mich gar nicht abblitzen lassen können.“

Das war eine unterhaltsame Vorstellung in einer alles andere als unterhaltsamen Situation, das musste Clarence schon zugeben. Alleine die Idee, Cassie hätte damals vielleicht plötzlich verheiratet zu einem ihrer verabredeten Treffpunkte zurückkehren können, völlig im Unklaren darüber was sein Klotz für ihn empfand und was er ihm damit antat… das hatte schon einen gewissen Unterhaltungswert, keine Frage.

„Ich mag es, wenn er dort bleibt wo er hingehört. Bleibt nur zu hoffen niemandem fällt auf, dass der Gleiche um meinen Hals hängt. Aber ich denke… das bekomme ich schon irgendwie hin.“

Er würde den Teufel tun und sein eigenes Lederband nun abnehmen das er wie Cassie unter dem Oberteil verborgen trug, im Zweifelsfall blieb eben nichts anderes übrig als seinem Partner den Schmuck irgendwie heimlich zustecken wenn er sich waschen gehen wollte und Gefahr lief, der Schmuck glitzerte in der Sonne etwas zu sehr um seinen Hals.

„Das mit Adrianna und Barclay und dem was du weißt, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Es ihnen einfach zu sagen“, versuchte er schließlich seine abgeschweiften Gedanken wieder darauf zu lenken was im Augenblick wirklich zählte und geklärt werden musste, jenseits der Problematik seines Halsschmucks. „Ich denke das werde ich auch tun, wird manches deutlich einfacher machen. Trotzdem solltest du nicht dabei sein heute Abend.“

Nicht weil er ihn nicht dabei haben wollte, wie er klar machte als er Matthews Arme zurück über seine Schultern legte, um sich von seinem Mann umarmen zu lassen und gleichfalls den Jüngeren an der Taille enger an sich zu ziehen.

„Jeder von uns hatte damals seinen ganz eigenen Grund Nagi loszuwerden. Seine eigenen Probleme mit ihm und dem, was er mit uns gemacht hat. Ich kann mir nicht vorstellen dass Adrianna darüber reden wollen wird, wenn jemand in der Runde ist den sie nicht kennt und selbst wenn… willst du mit mir und meinen Leuten in alten Erinnerungen darüber schwelgen, wie er meine Familie ausgelöscht hat? Ich kann mir jedenfalls ein angenehmeres Abendprogramm mit meinem geheimen Ehemann vorstellen“, gab er verdrießlich zu bedenken und kraulte verloren über Cassies Rücken hinweg, während er ihn musterte. Sie redeten in der Regel über einiges miteinander, aber Ruby-Sue war unlängst ein rotes Tuch für Matthew geworden und seine Mädchen ein Thema das zwar nicht totgeschwiegen wurde, an dem aber auch nicht mehr gerüttelt wurde als nötig war.

Clarence schwieg für einen Moment, wenige Sekunden in denen offensichtlich wurde dass er sich unbequem fühlte mit der Vorstellung dieser illustren Runde und bislang unbekannten Gesprächsinhalten, welche dort zur Sprache kommen konnten; nicht etwa nur wegen derlei Dingen wie gerade angesprochen, sondern auch aufgrund der Details zu Nagis Ableben, die man sicher von ihm wissen wollte.

„Mir ist es gleich“, erhob er nach einiger Stille wieder die Stimme und räumte schließlich Cassie die Entscheidung darüber ein, immerhin wollte er ihn nicht rigoros aus allem ausschließen, wo sich ab heute sowieso schon so viel verändern würde. „Wenn du sagst, du willst dabei bleiben… werde ich das auch irgendwie einrichten können.“


Matthew C. Reed

Ein helles Lachen ertönte kurz im friedlichen Idyll ihres Zimmers, welches geflutet war von sanftem Sonnenlicht, ganz so als sei alles in schönster Ordnung. 

Früher, da hatte Matthew ständig gelacht, er war ein unterhaltsamer Kerl gewesen. Nimmermüde von seinen Abenteuern zu erzählen oder zu lauschen was man ihm anvertraute. Kaum ein Mädchen hatte seinem Charme und seinem gewinnenden Lachen widerstehen können und dennoch...hatte er in all den Jahren vor Clarence und vor ihrer Ehe niemals so gelacht wie er es seither tat. 

Das Kichern erreichte nicht nur seinen Mund, sondern nahm vor allem auch seine Augen ein und verlieh ihnen eine lebhafte Sanftheit wie sie nur schwer zu beschreiben war. 

Das Talent des Größeren, ihn zu erheitern und ihn selbst in einem Moment der Anspannung zum Lachen zu bringen, war etwas dass ihre Beziehung ebenso bereicherte wie viele andere tausend Kleinigkeiten.

„Du weißt aber schon, dass es Matthew Reed gar nicht mehr gibt, hm?  Zu deiner Erinnerung, er ist unlängst zu Matthew Sky geworden und wenn der von seiner Ehe erzählt, dann spricht er nur von dir. Davon wie du bist und was er an Dir liebt.“, versicherte Cassiel seinem eifersüchtigen Bären, welcher immer mal wieder zu vergessen schien, dass alle Liebe die der Dunkelhaarige besaß, allein Clarence gehörte. 

„Meinst du, ich kann sie Claire nennen? Oder wäre das zu auffällig?“, richtete er spaßeshalber die Frage an den Blondschopf obwohl die Antwort natürlich klar war. 

Der Hüne musste nicht eifersüchtig sein, weder auf Matthews imaginäre Ehefrau noch auf sonst irgendeinen Menschen, ob nun real oder ausgedacht. Am Ende war es Claire, auf den alles hinauslief und daran würde sich auch nichts ändern. In dieser Hinsicht hegte Matt keinerlei Zweifel. 

Ob es nun Einsicht war oder weil der Größere Matthew sowieso keinen Wunsch abschlagen konnte, gab der Jäger sein OK zum Verbleib des Rings an Matthews Finger. 

„Glaubst du, irgendjemand wird sich darum scheren wie mein Ring aussieht und auf die Idee kommen du trägst den selben um den Hals? Ich glaube...es wird ihnen scheißegal sein ob Reed verheiratet ist oder nicht.“

Besonders die Tochter Satans wirkte nicht so als gäbe sie auch nur einen Deut etwas darauf, was er hatte und was nicht. „Ich könnte vermutlich eine Krone tragen und sie würde mich nicht danach fragen.“ 

Ungeachtet dessen fuhr der Ältere schließlich fort, räumte ein, dass es die Reise ungemein erleichtern würde wenn die anderen zeitnah erfuhren, dass er Bescheid wusste was das Komplott anging, dass die anderen damals geschmiedet hatten. 

Trotzdem solltest du nicht dabei sein heute Abend.“ - fasste der Blonde nichtsdestotrotz zusammen und erntete von Matthew ein missmutiges Seufzen und ein unwilliges verdrehen der Augen. 

Auch dass er Cassie wieder enger zu sich zog und sich mit Matthews Armen selbst eine Umarmung ergaunerte, änderte nichts daran, dass dem Dunkelhaarigen es nicht gefiel seinen Mann mit den zwei Fremden allein zu lassen. 

Dabei ging es es Matt weniger um die Geschichten die sich die drei zu erzählen hatten oder darum ausgebootet zu werden, wie schlichtweg darum, dass er den beiden anderen nicht vertraute. Sie mochten Clarence‘ Feunde sein, für ihn jedoch waren es Fremde. 

Es konnte noch immer eine Finte sein, sie könnten Clarence noch immer überwältigen während er oben im Zimmer auf ihn wartete. 

Nur weil der Blonde ihnen glaubte, galt das nicht für Cassiel. Er vertraute aus Prinzip nur sich selbst und Clarence. Aber er wusste auch, dass dieses Argument nicht ausreichen würde um den Größeren zu überzeugen. Er würde sich vielleicht geschmeichelt fühlen, seine Sorge als liebevoll titulieren und ihn zugleich einen Spinner nennen weil er übertrieb. Aber Clarence würde sich nicht nur aufgrund jener Sorge darauf einlassen ihn am Abend mit dabei sein zu lassen.

„Ich will nicht in Erinnerungen schwelgen...die Frage ist schon bescheuert.“, antwortete er wenig erbaut und zog die Augenbrauen zusammen, was ihm einen bockigen Ausdruck verlieh. Seine Arme ließ er trotzdem wo sie waren und streichelte mit einer Hand sanft durch Clarence’ Nacken. Er liebte diesen Mann... wie sehr, dass konnte der Blonde nicht wissen, weshalb er nachsichtig mit ihm sein musste. 

Zu Matthews Erstaunen, brauchte es gar keine Überzeugungsarbeit und triftige Argumente, denn obgleich der Größere nicht erpicht darauf war Cassiel am Tisch sitzen zu haben bei der anstehenden Aussprache, so räumte er dennoch ein, selbiges arrangieren zu können. 

Matthew neigte daraufhin den Kopf zu Seite und musterte den stattlichen Jäger, der in einigen Wochen schon keiner mehr sein würde. 

„Und was ist, wenn die Satanstochter dann nicht mit der Sprache rausrückt?“ kleidete er das Offensichtliche in Worte, immerhin mochte die Rothaarige ihn nicht. 

Die Situation war vertrackt und alles andere als einfach und auch wenn er nur indirekt etwas dafür konnte, dass es so war, so war er eben Schuld daran. 

Er war der ungebetene Partygast. 

„Ich würde schon...gern dabei sein, Claire. Damit du nicht allein bist...wenn du davon erzählen musst was passiert ist. Und...damit jemand auf dich aufpasst.“ räumte der Dunkelhaarige schließlich seine Motive leise ein. 

Er wollte nicht aus Sensationslust dort sitzen, wollte sich nicht an den Geschichten erfreuen die vielleicht erzählt wurden. Er wollte da sein, damit Clarence nicht allein war. 

„Du kannst die beiden ja einweihen und dann...sehen wir weiter, hm? Wenn Adrianna nicht mit der Sprache rausrückt so lange ich da bin, dann kann ich ja immer noch den Rückzug antreten. Was meinst du, hm? Lassen wir sie das entscheiden... sonst bringt die mich eines nicht allzu fernen Tages bestimmt noch mit ihren Blicken um.“


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