Rio Nosalia
11. Juli 2210
Warmes Abendlicht fiel durch die Fenster der Harper Cordelia, welche friedlich im Hafen von Rio Nosalida lag und sich ganz sacht in den Wellen wog.
Er hatte die Tür hinter sich geschlossen und damit das Kreischen der Möwen gedämpft, wenn auch nicht komplett ausgesperrt.
Einen Moment lang blieb Matthew reglos am Fuße der kleinen Treppe stehen und ließ den Blick über den Wohn- und Kochbereich schweifen.
Dieser Ort war in den letzten Wochen zu ihrem Zuhause geworden, zu einem unberührten Hort der Sicherheit. Niemand war je hier eingedrungen um ihnen das Gefühl zu nehmen, dass sie hier wahrlich daheim waren.
Aus diesem Grund war es naheliegend gewesen, dass Clarence mit den anderen beiden draußen am Pier wartete, denn besonders Cameron war zuzutrauen, dass er sich sonst eine Führung über das Boot ausgezwungen hätte. Und das wiederum hätte zu Fragen geführt, etwa weil es nur ein Bett gab, weil ihre Kleidung im selben Schrank lagerte, weil überall ihre beiden Sachen durcheinander standen oder lagen - ganz und gar nicht wie es der Fall war, wenn man zwar zusammen reiste, aber ansonsten Privatsphäre wahrte.
Matthew fühlte sich, als hätte er einen Stein im Magen liegen. Es widerstrebte ihm, ihre Sachen zu packen, herauszusuchen und zu entscheiden was sie mitnehmen konnten und was nicht. Denn eigentlich war alles wichtig. Der Dunkelhaarige atmete tief durch, dann setzte er sich in Bewegung und fing an, Raum für Raum durchzukämmen nach Dingen die auf ihrer Reise unverzichtbar waren.
Er nahm ihre verbeulten Becher aus dem Schrank, Clarence‘ Karten, seinen Vorrat an getrockneten Kräutern, seine Bibel.
Messer, die er für den Marsch zum Treffpunkt nicht mitgenommen hatte wurden nun ebenso eingepackt wie seine Phiolen.
Vieles was sich im Laufe der Zeit angehäuft hatte würde zurückbleiben müssen, denn auch wenn sie - wie er seit kurzem wusste - mit dem Zeppelin reisen würden, würden sie nicht alles mitnehmen können.
Als Matthew am Morgen dieses Tages erwacht war, hatte er Clarence in seinem Arm gehabt und hatte geglaubt, dass alles gut werden würde - irgendwie zumindest. Die zurückliegende Nacht hatte ihn auf angenehme Weise erschöpft und kaum die Reste der Schlaftrunkenheit abgeschüttelt, hatte er eine Weile nur dagelegen und Clarence betrachtet.
Es war ein Moment des Friedens und der Vollkommenheit gewesen. Der Blonde hatte geschlafen, versunken in hoffentlich schöne Träume und Matthew wünschte sich, er hätte ihn so lange ruhen lassen können wie er es brauchte.
Vorsichtig und verliebt hatte er ihm durch das Haar gestrichen welches im Sonnenlicht geglänzt hatte wie Gold, hatte ihn bei sich gehalten und ihn still bewundert.
Aber ganz gleich ob es ihm so vorkam: die Zeit blieb nicht stehen und auch wenn alles perfekt hätte sein können, so hatte die Realität bereits auf sie gewartet. Ihre perfekte heile Welt war nur durch die Zimmertür vom Rest getrennt - und letztlich hatten sie diese öffnen müssen um sich ihr zu stellen.
Als Clarence Sky und Matthew Reed.
Was blieb war die Erinnerung an jene besondere Nacht und an all die intimen Augenblicke, an die Liebe, an das Vertrauen ineinander und an die unbeschreibliche Nähe.
Jetzt, allein auf ihrem gemeinsamen Boot, war von Matthews morgendlicher Zuversicht nicht mehr viel übrig. Sein Plan, Hernandez Marlon zu kontaktieren, der ihnen vielleicht helfen könnte eine Leiche zu präparieren die Clarence’ Tod fingieren sollte, hatte sich in dem Moment zerschlagen in dem Adrianna eröffnet hatte, sie würden mit dem Zeppelin reisen.
Frustriert stopfte Cassie nun nacheinander mehrere Pullover und Hosen in einen Rucksack, dazu ein Paar lange Unterwäsche, mehrere Socken und Unterhosen, einen Schal und eine Mütze. Gefütterte Winterstiefel des Blonden - die zu tragen er ihn notfalls mit Gewalt zwingen würde - band er an den Schnürsenkeln zusammen und von außen an den Rucksack.
War vorher noch alles zusammen aufbewahrt, achtete er beim Packen ihrer Sachen auf strikte Trennung, sodass es später nicht zu Irritationen kam.
Es dauerte eine ganze Weile bis Matthew soweit alles zusammengepackt hatte, dass sie für die Reise besser gerüstet waren als bei Ankunft in Coral Valley. Warme Sachen, leichte Sachen, haltbare Vorräte, Alkohol, Gewürze, Süßigkeiten, Landkarten, Munition, Waffen, für jeden ein Buch - für Clarence zwei, falls er mal etwas anderes lesen wollte als die Bibel.
Im Grunde nahm er alles mit, was sie immer schon mitgeführt hatten - und fügte jeweils praktische wie auch ein paar luxuriöse Dinge hinzu.
Einzig er musste ohne seinen Köcher losziehen, hängte sich den Bogen aber trotzdem über die Brust. Den einen Rucksack schulternd, den anderen in der Hand, brachte er das Gepäck nach oben bevor er nochmals zurückging um auch die Gitarre seines Mannes zu holen, den Seesack mit Vorräten der auf dem Küchentisch stand und nicht zuletzt ein Gerät welches die Alten damals einen mobilen Musik-Player genannt hatten. Das taubenblaue Gehäuse umgab einen schwarzen Bildschirm auf dem - wenn das Gerät angeschaltet war - Bilder erschienen und man die Musiktitel lesen konnte. SONY stand auf dem Gehäuse und auf den Kopfhörern. Aber es gab solche Dinger auch mit anderem Namen. Mit viel Glück fand man sie auf dem Schwarzmarkt und wenn sie funktionierten, dann zahlte man horrende Summen dafür.
Ein Grund, warum Matt es für gewöhnlich nicht mit herumschleppte. Aber es hier auf der Harper Cordelia lassen, während draußen Madame Frohsinn wartete? Keine Chance.
Er klippte sich das SONY Walkman an die Hose, hängte sich die Kopfhörer um den Hals und warf sich zwei Himbeerbonbons in den Mund. Erst dann schlüpfte er durch den Gitarrengurt, nahm den Seesack und das letzte Bonbon - die anderen fanden sich in den Vorräten, ebenso wie Schokolade - und erklomm die Treppe.
Es fühlte sich falsch und wie ein schrecklicher Fehler an zu gehen und alles was sie hatten hinter sich zu lassen.
Aber wenn sie nicht gingen, würden sie niemals irgendwo ankommen - ein paradoxer Gedanke der der Wahrheit entsprach. Also verbot es sich Matthew zu heulen - auch wenn ihm eigentlich danach war - und er verließ ihr Zuhause. Allerdings nicht ohne sich selbst und dem Boot zu versprechen wiederzukommen.
Kaum hatte er die Harper Cordelia wieder sicher verschlossen und stand draußen im schwächer werdenden Licht des längst aufgezogenen Abends, erspähte er auch schon die drei Pappnasen am Pier. Kain und Abel bellten in seine Richtung und sowohl Adrianna als auch Cameron drehten sich zu ihm um. Einzig Clarence blickte nicht zu ihm, sondern hielt den Kopf stur abgewendet.
Ein letztes Mal atmete Matt tief durch, dann überquerte er - mit hängendem Kopf - das Boot, zählte die Schritte die er brauchte um wieder den Steg zu erreichen und fühlte sich dabei wie ein Schaf auf dem Weg zum Schlachter.
„Sky!“, rief er als er den Bootssteg wieder unter den Füßen hatte und winkte Clarence zu sich als dieser endlich in seine Richtung blickte. Der Blonde löste sich von der kleinen Gruppe, kam zu ihm und Matthew legte einen der zwei Rucksäcke, die Gitarre und den Seesack ab, damit Clarence sich dieser Gepäckstücke annehmen konnte.
„Mund auf.“, forderte Cassie als der Größere vor ihm und mit dem Rücken zu den anderen stand, kurz warf er Adrianna und Barclay einen flüchtigen Blick zu und schob Clarence dann zügig das dritte Bonbon zwischen die Lippen.
„Okay...das war‘s...“ - und irgendwie kam es ihm so vor, als stimme das in vielerlei Hinsicht.
Still lehnte Clarence mit dem Gesäß an einem der Pfosten, die den Pier zierten. In seiner Hand glomm eine Zigarette die er widerwillig Barclay abgeschwatzt hatte, denn Adrianna konnte mit derartiger Ware nicht dienen und Reed befand sich gerade auf seinem Boot um nicht ihre, sondern seine und Skys Sachen zu holen.
Obwohl sie die Harper Cordelia erst gestern Morgen gemeinsam verlassen hatten, unwissend was auf sie zukommen würde, so erinnerte sich der Blonde schon jetzt nur noch schwammig daran, wie sie die Tür hinter sich versperrt und das Deck gemeinsam verlassen hatten. Es kam ihm surreal vor ihr Zuhause nun zu räumen, das geliebte knarrende Mädchen einfach hier vor Anker zu lassen und sie Wildfremden zur Pflege zu übergeben, die sie überhaupt nicht kannten. Man sperrte ja auch nicht seinen Hof ab und überließ Hab, Gut und die Tiere einfach irgendwelchen Dahergelaufenen und überließ ihnen dafür auch noch Geld. Würde man das jemandem erzählen, man würde für völlig wahnsinnig erklärt werden und doch waren sie nun hier und taten nichts anderes als genau das.
Heute am frühen Morgen noch hatte er in einem weichen Bett gelegen, eng an seinen Ehemann geschmiegt, langsam erwachend durch den schmalen hellen Spalt der aufgehenden Sonne der ihm ins Gesicht gefallen war und durch das warme Streichen an seinem Haar, das nicht hatte aufhören wollen. Unter seinem Ohr hatte er den ruhigen Schlag des fremden Herzens rhythmisch zu seinem eigenen schlagen hören, ein Geräusch das ihn schon von Beginn an zu beruhigen gewusst hatte und das ihn seinen Arm zurück über den vertrauten Leib an seiner Seite hatte schieben lassen, in der schlaftrunkenen Hoffnung, sie könnten einfach liegen bleiben und sich in dem kleinen Zimmer der Gaststätte verbarrikadieren, wenn sie schon nicht fortlaufen konnten.
Doch das Leben war nicht so einfach. Es ließ einen nicht aneinander gedrängt im Bett liegen wann immer man das wollte, es machte den Tagesmarsch zurück in die Metropole Mexikos nicht weniger anstrengend und vor allem nahm das Leben einem nicht den Schmerz den es bedeutete, das eigene Zuhause zurück lassen zu müssen.
Denn die Harper Cordelia war nichts anderes als das. Das Zuhause ihrer kleinen Familie.
Clarence kannte diesen Schmerz. Diesen Zustand in dem man sich befand wenn man seine sieben Sachen zusammen suchte und etwas hinter sich zurück ließ von dem man wusste, es würde nicht wieder zurück kommen – und wenn, dann nicht mehr so sein wie vorher. Niemand von ihnen beiden konnte sagen was passieren würde bis sie eines Tages vielleicht wieder hier standen an eben jenem Ort, umgeben von Meer und den kreischenden Möwen und den fremden Menschen mit ihrer Sprache, die anders und doch verständlich für sie beide war. Alleine die Reise von Coral Valley bis hierher hatte Monate gedauert und da waren sie noch auf der offenen See unterwegs gewesen, ohne Pläne die sie aufhielten, ohne Menschen die anderes von ihnen verlangten als es ihren Plänen entsprach. Von diesem Tag an bis zurück an diese Stelle hier würde es weit länger dauern, vielleicht das Doppelte oder Dreifache, vielleicht noch viel länger. Eine Zeit in der die Harper Cordelia vom Zahn der Zeit angenagt werden und einstauben würde, genauso wie ihre Erinnerung an jene Monate, in denen sie einfach nur Matthew und Clarence Sky gewesen waren… ein frisch vermähltes Ehepaar und zwei verliebte Trottel, deren Umgang miteinander unbedarft und unverdorben war von der Welt hier draußen.
Regungslos schaute der Hüne der warmen Asche dabei zu wie sie ohne sein Zutun von der glimmenden Zigarette fiel, nur um schließlich doch nach langem Innehalten wieder daran zu ziehen. Selbst wenn die Situation es nicht abverlangt hätte die anderen beiden fernab des Bootes zu halten, Clarence wäre nicht noch einmal mit hinein gegangen um seinem Mann beim Packen und Tragen zu helfen. Es mochte unsinnig wirken sich das Ganze so nahe gehen zu lassen, aber es tat ihm unheimlich weh ein Zuhause abermals hinter sich lassen zu müssen und wenn er noch einmal dort hinein ging, er konnte nicht dafür garantieren, dass es nicht doch längst verstaubte Erinnerungen ankratzte, zu denen sich heute frische Wunden auf seiner Seele gesellen würden. Also blieb er lehnen und harrte.
„…trotzdem, das ist kein Argument. Sieh dir die ganzen Bonzendinger an, wer sowas hat, der muss den armen Mann nicht dazu nötigen seinen Schmuck zu versetzen“, drang die rege Diskussion der anderen unentwegt an seine Ohren und ließ Claire genervt die Augen verdrehen, welcher nun die dritte Verschwörungstheorie zum Dunkelhaarigen zu hören bekam. „Da finde ich die Vorstellung immer noch am Wahrscheinlichsten, dass er den Vorbesitzer gemeuchelt und danach das Boot geklaut hat.“
Es war schmeichelhaft und verstörend zu gleichen Teilen, dass Barclay – vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben – den sogenannten armen Mann verteidigte und aktuell sah jener auch keinen Grund dazu, die beiden in irgendeiner Weise zu unterbrechen oder zu korrigieren. Die Erklärung, er habe seine Habseligkeiten für Vorräte und Ausrüstung versetzt, war ja per se auch nicht gelogen und auch wenn sich ihm die Notwendigkeit nicht erschloss, warum jemand anders ihm das finanzieren sollte, waren Adrianna und Cameron dadurch wenigstens genug beschäftigt um am Ende nicht doch noch die Frage danach aufkommen zu lassen, wo denn ihre private Führung übers Boot blieb.
„Ich kann dir jedenfalls versichern, dass es nichts mit Mord und Totschlag zu tun hat“, goss der gebeutelte und seines Schmucks beraubte Jäger mutwillig Öl ins Feuer und lauschte dem Waldbrand, den er damit verursachte.
„Du meinst, er hat beim Pokern beschissen? So wie du ständig?“ – Deutlich spürte er den stechenden Blick der Rothaarigen im Nacken, was ihn unschuldig aber demotiviert die Schultern zucken ließ.
„Ich hab noch nie… beschissen. Höchstens die Gewinnchancen optimiert.“
„Das nennt sich bescheißen, mein Lieber!“, bestand Addy unterdessen auf die recht treffende Beschreibung dessen was sie ihm unterstellte und schüttelte ungläubig den Kopf. „Glaube nicht, dass der Trottel das hinbekommt. Jedenfalls nicht, wenn die anderen noch nüchtern si- … Verdammte Scheiße! Die bringen mich noch ins Grab!“
Das Bellen der Hunde hatte sie derartig zusammenzucken lassen, dass der Topf an ihrem Rucksack lautstark mit dem Blechbecher zusammenschlug der ebenfalls von außen angebunden war und für einen kurzen Moment hoffte der Blonde inständig, dass Kain und Abel das wirklich eines schönen Tages tun würden. Wenn nicht durch ihr Gebell, dann vielleicht wenigstens durch einen gezielten Biss an die Kehle – spätestens dann, wenn Herrchen sie erfolgreich darauf trainiert hatte.
Aus den Augenwinkeln sah er ihre Ruten aufgeregt wedeln, die Haltung stramm und vorfreudig angespannt. Seit dem Vorfall im Spinnenfeld hörten die beiden allerdings erstaunlich gut wenn es darum ging irgendwo auszuharren, eine Fähigkeit, die auch Matthew gerade bewies, indem er über den Pier plärrte wie ein Bekloppter.
Warum sein Mann nicht dazu in der Lage war sich wenigstens für diese drei Minuten zum Packesel umzufunktionieren und das Zeug einfach hierher zu schleppen damit Claire sich nicht in die deprimierenden Ausdünstungen ihres Zuhauses begeben musste, würde vermutlich für immer ein Rätsel bleiben.
Er wusste wie unfair es war schon seit ihrer Rückkehr nach Rio Nosalida irgendwie sauer auf den Jüngeren zu sein, immerhin konnte er für die ganze Lage genauso wenig wie Clarence, der damals mit seinem Eintritt in den Clan ja nicht hatte ahnen können, irgendwann mal jemanden kennenzulernen und heimlich zu heiraten während der Rest seines Trupps ihn für verschollen hielt. Auf der anderen Seite war es schon irgendwie Matthews Schuld, immerhin hatte er ihn damals ja nicht darum gebeten irgendwann mal sympathisch und gutaussehend zu werden, um ihm damit letztlich den blonden Kopf zu verdrehen. Gäbe es Matthew nicht, wäre seine Leiche heute schon längst in den Wäldern des Madman Forest verrottet oder von wilden Tieren gefressen worden. Dann müsste er seinen Mann heute nicht Reed nennen, ihr Zuhause keinen Fremden überlassen und sich nicht anhören wie Cameron gerade die neueste Theorie vom Erbe zum Besten gab, während er die Diskussion endlich hinter sich ließ.
Mit finsterem Blick folgte er schließlich dem Ruf des Jüngeren und kam widerwillig vor ihm zum Stehen, die Harper Cordelia schön wie eh und je vor ihm auf den seichten Wellen wiegend, die ihn sonst abends in den Schlaf geschaukelt hatten. Ob die Zeit wohl ausreichen würde den Jüngeren bei der Hand zu nehmen, ihn hinauf zu ziehen und die Leinen zu lösen, bevor Barclay und Addy den Steg erreichten? Wohl kaum…
Den sonst so intensiven Geschmack seiner ursprünglich sorgsam vor Cassie verstecken Bonbons, deren Geheimort nun letztlich doch gelüftet worden war, nahm der Hüne dieses Mal gar nicht recht wahr. Mochte an dem anstrengenden Marsch bis hierher liegen, der von enormen Temperaturen zur Mittagszeit geprägt gewesen war, oder einfach daran, dass ihm nicht nur der Geschmackssinn, sondern alles andere auch mittlerweile schlicht und ergreifend vergangen war.
Tonlos schmatzte er in sein Bonbon, fixierte den Blick auf den Kleineren und starrte für wenige Sekunden regungslos vor sich hin – letztlich aus nur einem Grund: Sich davor zu bewahren zu emotional zu werden und am Ende doch noch loszuheulen, ein Luxus, den er sich seit gestern Abend nicht mehr erlauben konnte.
„Ja, das war’s dann“, bestätigte er dem anderen, versuchte nicht zu viel ihres Boots in sein Blickfeld zu bekommen und fühlte sich gerade, als hätten sie die Trennung oder die Scheidung beschlossen. Sie teilten sich fortan kein Bett mehr und keinen Wohnraum, Cassie hieß wieder Reed und würde vermutlich früher oder später in Gaststätten mit Barclay über die Vorzüge irgendwelcher Weiber plaudern müssen oder denen wenigstens seine zurückgelassene Frau entgegen stellen, deren Namen Clarence mittlerweile schon wieder mutwillig vergessen hatte.
„Wär schön, wenn’s kein Bonbon, sondern eine Selbstmord-Pille wäre. Alles ist besser als das hier“, tat er seine Meinung zu dem Gepäck-Chaos kund, das er schon gar nicht mehr gewohnt war. Es hatte ihm gefallen nach all der langen Zeit wieder mehr private Sachen ansammeln zu können als in einen Rucksack passte. Das hier war… ein Leben, reduziert auf so wenig Kram. Eine Ehe in zwei Rucksäcken und einem Seesack. Wenn das die Quintessenz dessen war, was sie als Paar ausmachten, wusste Clarence nicht zu sagen, ob das ihr Vorteil oder in den kommenden Wochen nicht doch eher ein Nachteil werden würde.
„Haben wir irgendwo in dem Chaos hier das Zelt, das du in Coral Valley gekauft hast, und wenigstens ein Fell für jeden? Ich meine… der Winter im Norden hat nicht aufgehört, nur weil wir davor abgehauen sind.“
Triviale Fragen für einen Tag, der Umbruch und Neuanfang zugleich bedeutete, aber dadurch umso effektiver um sich nicht allzu sehr vom Schmerz verschlingen zu lassen, der ihm gerade in Kloßform von Herzhöhe aus den Hals hinauf kroch um es sich dort bedrohlich bequem zu machen.
„Wir müssen noch irgendwas zu Silber machen um dir so ein scheiß Ticket zu kaufen. Meins werden die beiden Trantüten bezahlen, aber ich will nicht, dass die dir was vorlegen. Wenn es hart auf hart kommt, darfst du bei denen in keiner Schuld stehen, sonst lassen die nie wieder locker.“ – Ein Fakt den sicher nicht mal Cassie anzuzweifeln drohte angesichts dessen, dass sie gerade hier waren, weil auch Clarence sich eines Tages diesen Leuten verschrieben hatte. Nun standen sie hier, zerrissen aufgrund dieser Schuldigkeit, mit einem Herz das sich hinaus aufs Meer zurück sehnte und einem Verstand der ihnen beiden wohl oder übel sagte, wie wenig vernünftig das wäre.
Matthew ging es schlecht an diesem Tag - aber Clarence ging es noch schlechter. Dazu brauchte Matthew keinen tiefen Blick in die graublauen Augen des Blonden werfen oder aus dessen Mund hören, dass er lieber eine Selbstmord-Pille statt eines Himbeerbonbons gewollt hätte.
Nach all der Zeit die sie zusammen verbracht hatten, wussten sie mittlerweile wie es einander ging, auch ohne das Worte oder Gesten nötig waren.
„Natürlich habe ich unser Zelt, ein Fell für jeden und sogar eine der dünnen Daunendecken. Für die Dicken war kein Platz...“ - er deutete auf die Rolle aus derben Leinen was die Hülle für das Zelt darstellte und in welches er Decke und Felle noch mit eingerollt hatte. Sie würden sich im Zelt aneinanderkuscheln und sich gegenseitig wärmen, sodass er vor der nächtlichen Kälte keine allzu großen Sorgen hatte.
„Um Münzen mach ich mir keine Gedanken...“, er klopfte auf seine Umhängetasche in der er einen von vier Teilen seines Goldes verwahrte. Ein weiteres Münz-Reservoir trug er in einem schmalen Gurt direkt auf der Haut und unsichtbar unter seinem Shirt. Und den dritten Teil verstaut im Rucksack.
„Wahrscheinlich könnten wir...“, aber wir war nicht mehr richtig, weshalb er sich selbst korrigierte. „Wahrscheinlich könnte ich uns den Zeppelin exklusiv mieten.“
Er gab ein freudloses Lachen von sich und zuckte die Schultern.
„Meinst du es geht klar, wenn ich dein Ticket zahle? Ich will nicht, dass du weiter in deren Schuld stehst als sowieso schon.“
„Wollt ihr dort drüben Wurzeln schlagen?“ rief Barclay unvermittelt und Matthew sah an Clarence vorbei und zu den beiden, allerdings ohne diese Drängelei zu kommentieren.
„Hier...ich geb dir das jetzt einfach, zahl davon dein Ticket oder irgendetwas sonst. In deinem Rücksack findest du noch mehr.“ und damit übergab er das Münzsäckchen aus seiner Tasche an den Blonden, wodurch nun jeder von ihnen über zwei Reserven verfügte. Damit waren sie zwar als einzelner nicht mehr steinreich, aber immer noch verdammt gut betucht. Wahrscheinlich besaßen sie einzeln noch immer weit mehr als andere trotz Anstellung in ihrem gesamten Leben an Münzen ansammeln konnten. Und auf der Bank in Coral Valley lag ein weiteres kleines bis mittelgroßes Vermögen.
Es war Matthew unrecht erschienen, dass er das ganze Gold - das mittlerweile zum Teil schon zu Silber geworden war - beherbergte. Immerhin gehörte es ihnen beiden und deswegen sollte Clarence seine eigenen finanziellen Mittel haben. Erst recht jetzt, wo seine Freunde versuchen würden ihm alles zu bezahlen um den verlorenen Bruder wieder zurück in die Familie zu holen.
Seine Aufmerksamkeit wieder auf Clarence richtend, konnte man zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch heute erahnen, wie es ihm wirklich ging.
Es gefiel ihm überhaupt nicht was sie im Begriff waren zutun, der einzige Grund weshalb er es tat, waren mangelnde Alternativen.
„Der Kerl, den ich im Sinn hatte für unsere kleine Vertuschungsaktion...den kann ich unmöglich erreichen mit den zwei Pappnasen im Schlepptau. Aber ich glaube sowieso nicht, dass er unser Mann ist... nicht seit mir der rothaarige Sonnenschein eröffnet hat, dass wir mit dem Zeppelin reisen.“
Er war noch nie geflogen, noch kein einziges Mal und unter anderen Umständen hätte er sich darauf gefreut. So allerdings versetzte ihn der Gedanke eher in noch größere Unruhe.
„Aber das bedeutet nicht, dass mir nichts einfällt, klar? Vielleicht müssen wir improvisieren wenn es soweit ist... aber wir kriegen das hin.“
Was Clarence brauchte, was sie beide brauchten, war ein klein wenig Zuversicht und gerade bemühte sich der Dunkelhaarige diese zu vermitteln.
„Wir kommen zurück, wir holen uns unser Zuhause wieder. Und bis dahin... bis dahin klären wir, was zu klären ist.“
Das klang vernünftig aber vor allem war es das, was Matthew sich fest vorgenommen hatte. „Wir kriegen das hin.“
Er hob den Seesack auf um ihn Clarence zu reichen, sobald dieser seinen Rucksack und seine Gitarre geschultert hatte.
„Wir sollten gehen, bevor Barclay noch durchdreht. Nicht das mich das interessiert aber...“, er zuckte kurz die Schultern und zeigte ein nervöses Lächeln.
„Ich liebe dich und...vergiss das nicht, okay? Egal was kommt, ich liebe dich.“
Hätte er gedurft, er hätte Clarence nun umarmt, sich zu ihm gereckt und ihm einen Kuss auf die Lippen gegeben. Er wusste genau wie sie schmeckten, wusste genau wie sie sich anfühlten und obwohl er sie noch heute Morgen geküsst hatte, so kam es ihm jetzt schon vor als sei der letzte innige Moment Jahre her.
„Vielleicht haben wir Glück und ich kann mich heute Nacht zu dir ins Zimmer schleichen. Was hältst du davon, hm?“
Das war zumindest ein kleiner Lichtblick, wenngleich sie beide wussten es waren nicht nur die Nächte, in denen sie einander fehlten. Es war der Alltag, es waren die Neckereien, die kleinen Gesten, zärtliche Berührungen wann immer ihnen danach war oder auch liebgemeinte Sticheleien. Es war die Freiheit, sich ganz selbstverständlich ein Zimmer statt Zweien zu mieten.
Aber all das war nun für eine ganze Weile vorbei, ein Umstand der ihnen beiden sehr bewusst war und der es ihnen umso schwerer machte.
„Komm jetzt...“
Ihre kleine Unterredung vor der Harper Cordelia hatte nicht lange gedauert und obwohl es einen guten Grund dafür gegeben hatte - immerhin war Matthew kein Packesel - tat insbesondere Barclay so, als hätten sie mehrere Stunden am Pier gewartet statt nur ein paar Minuten.
„Man, das hat ja ewig gedauert. Wir dachten schon ihr würdet gleich in das Boot steigen und davonsegeln.“ sagte er scherzhaft, wobei Adrianna keine Miene verzog.
„Wenn wir das vorgehabt hätten, hätte ich sicher nicht die da bei euch gelassen.“, konterte Matt und deutete auf Kain und Abel die beide hechelnd neben ihm saßen und denen er die Köpfe streichelte.
„Haha. Clarence hat erzählt du hast das Boot jemandem abgeluchst den du beim Pokern über den Tisch gezogen hast.“ - „Ach ja?“ Matthew lächelte - dieses Mal nicht nervös, sondern so charmant und sonnig wie man nur lächeln konnte. Und natürlich war er klug genug um dieser aalglatten Lüge nicht aufzusitzen.
„Nach allem was ich weiß, ist das seine Art. Ich bin eine durch und durch ehrliche Haut.“
„Aber sicher bist du das.“, mischte sich Adrianna ein und klang dabei wenig glaubhaft und auch wenig daran interessiert glaubhaft zu klingen.
„Na schön...“, ließ es Matthew darauf bewenden, dazu entschlossen auf ihre Provokationen nicht einzugehen um die Sache nicht noch komplizierter zu machen als sie es ohnehin schon war. Wie lange dieser Vorsatz anhalten mochte würde sich allerdings erst noch zeigen. „Wir haben alles. Was jetzt? Nehmen wir uns für die Nacht noch Zimmer hier? Wenn ihr denkt ich lass euch im Boot pennen, seid ihr schief gewickelt.“
„Wir nehmen uns kein Zimmer. Vorerst jedenfalls nicht. Wir gehen zum Zeppelinhafen, kriegen raus wann der nächste fliegt und los gehts.“ - zerschlug Adrianna mit schon fast gewohnter Zuverlässigkeit Matthews Hoffnungen auf eine weitere Nacht vor Ort.
„Und wohin genau wollen wir eigentlich?“, wollte der Dunkelhaarige wissen, immerhin flog so ein Zeppelin nicht jede Stunde den jeweilen Wunschort an und es war schon Abend - wer wusste schon ob heute überhaupt noch so ein Teil dorthin abhob wo sie hinwollten.
„Das werden wir entscheiden wenn wir vor Ort sind. Hauptsache weg von hier und Richtung Norden.“
Eine Antwort auf die Matt nichts weiter als ein knappes „Okay“ erwiderte - welches hoffentlich nicht so unglücklich klang wie er sich selber fühlte.
Clarence ließ den Blick über den Haufen an Gepäck schweifen und schwieg sich aus, denn der Rückschritt, den sie gerade taten, war unverkennbar. Sie tauschten ein Dach über dem Kopf gegen ein bisschen Stoff ein, ein massives Bett gegen den Boden und ihr gemeinsames Schlafgemach gegen eine wahllos zusammengewürfelte Masse an Lagen, Hauptsache man blieb in den kalten Winternächten irgendwie warm.
Er hatte es lieb gewonnen, ihr erstes gemeinsames Schlafzimmer als Ehepaar, und noch lieber mochte er es seit ihrem Aufenthalt in Cascade Hill. Sicher, die dicken Felle brauchten sie schon nicht mehr seitdem sie den wärmeren Temperaturen entgegen gesegelt waren und an manchen Ufern hatten sie aus Nostalgie heraus auch dann und wann mal an einem Lagerfeuer an Land übernachtet, aber das nahm ihnen nicht all die schönen Momente, die sie zusammen in ihren ver Wänden verlebt hatten. Das Räumchen von flackerndem Licht der Öllampen erhellt, hatte Cassie ihnen Nacht um Nacht vorgelesen oder ihm abends versucht das Lesen und Schreiben beizubringen. Sie hatten halb nackt im Bett Karten gespielt wenn ihnen der Weg bis zum Esstisch zu weit erschienen war, hatten sich mit den Hunden im Bett gebalgt oder dort Frühstücksgelage nach dem Aufwachen zelebriert, nur um danach an freien Tagen noch für weitere Stunden einfach liegen zu bleiben. Ihr Bett war nicht nur einfach ein Ort zum Schlafen gewesen, sondern ein zentraler Mittelpunkt für den Beginn ihres gemeinsamen Lebens. Und jetzt?
Nun würden sie ihre Habseligkeiten morgens einreißen und abends wieder aufbauen, ganz wie zu Beginn ihrer Reise, als ihr Lager nichts anderes gewesen war als ein Ort zum Rasten. Aber immerhin hatten sie ihr Zelt und damit etwas auf das sie sich während des Tages freuen konnten, um des Nachts wenigstens ein paar mickrige Stunden zusammen in Zweisamkeit zu genießen.
Leise brummend nahm der Bär den Beutel mit Münzen entgegen, band ihn an seinem Gürtel fest und stopfte sich diesen so gut es ging in die Tasche seiner Hose, damit auch bloß kein Bandit auf die Idee kam ihn des bisschen Vermögens zu beklauen, dass er offiziell auf dem Weg hierher bei seinen Tätigkeiten als Jäger verdient haben würde. Augenscheinlich wäre es wohl keine allzu gute Idee sich einen ganzen Zeppelin exklusiv zu mieten – wobei er vermutete, dass das auch nichts weiter als ein flacher Scherz von Cassie war – noch sich von diesem auf sein Ticket einladen zu lassen.
„Ich werd das selbst übernehmen. Wenn die auf den Trichter kommen, dass du mehr Kohle hast als du für dich alleine ausgeben kannst, werden die sich nur auf deine Kosten einladen“ – immerhin gab es in einem Clan kein alleiniges Vermögen mehr. Was man besaß oder einnahm, floss zu größten Teilen in die Gemeinschaftskasse… und da Matthew ja nun zum Club mit dazu gehören wollte, wenigstens um den Schein zu wahren, würde man seine Großzügigkeit nur umso mehr auf die Probe stellen, je mehr er ganz offenkundig auf der hohen Kante hatte.
Seufzend, wie zum Anbruch eines Tages von dem man schon jetzt ahnte die Wanderung würde besonders anstrengend werden, klaubte Clarence schließlich mit der Hilfe seines Kumpels die schweren Gepäckstücke vom Boden auf, um sie sich nach und nach aufzuhalsen. Schon jetzt bekam er eine gewisse Ahnung davon wie viel Kram sie über die Monate hinweg angesammelt hatten und auch wenn Matthew ganz sicher nur das Nötigste zusammengesucht hatte, kam es ihm schon jetzt unvorstellbar vor, all die Kilos hunderte Kilometer weit durch die Pampa zu schleppen. Er hatte sich an das bequeme Leben gewöhnt das sie geführt hatten und vor dem Kennenlernen des Jüngeren nur das Notwendigste besessen was ein Mensch so brauchte – eine Angewohnheit die sich wohl ganz von selbst änderte, wenn man nicht mehr nur alleine für sich verantwortlich war.
Aber irgendwie würden sie das schon hinbekommen. Nicht nur die Schlepperei, sondern auch alles andere. Nicht nur weil Matthew das mit seinem nervösen Lächeln hoffte, sondern weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass sie schon sehr viel mehr miteinander gemeistert hatten.
„Ich liebe dich auch“, ließ er seinen Mann schließlich wissen nachdem sie die Reste gemeinsam auf dem Hünen verstaut hatte und er sich unter der Last gefühlt fünf Zentimeter geschrumpft fühlte. Ein kurzes Zucken ging durch seinen Leib das er schließlich zu unterbinden wusste und das nicht weniger war als die automatische Intention sich hinab zu seinem Geliebten zu beugen um ihn zu küssen – ein Verlangen das sie sich für später würden aufheben müssen und das sie zumindest just in diesem Moment zu verschieben hatten.
Stattdessen blickte er ein letztes Mal über Matthews Schulter hinweg den Pier entlang, hinab zur Haper Cordelia, die ruhig und schweigsam angebunden da lag. Gang ruhig trieb sie auf den seichten Wellen, beinahe schon schlafend kam ihm das Boot nun vor, so als hätte es sich endlich in Winterruhe begeben und würde nur auf bessere Zeiten waren.
„Mhh… ich fürchte, ich wäre der Idee nicht abgeneigt, dass sich des Nachts ein attraktiver junger Mann in mein Zimmer schleicht um mir einen heimlichen Besuch abzustatten. Hoffen wir, dass es sich ergibt. Ich bin ja jetzt wieder ein ungebundener Junggeselle, da kann ich tun und lassen was ich will“, versuchte er ihre Situation durch schelmischen Humor ein wenig aufzuheitern, jedoch schaffte es das Amüsement weder in seine Stimme und schon gar nicht bis hinauf zu seinen Augen, auch wenn er Cassie natürlich wirklich heute Nacht bei sich haben wollte. Nichts lieber als das sogar.
Den Drang unterbindend Matthew zur Aufmunterung spitzbübisch auf den Hintern zu klapsen als sie sich zurück zu den beiden anderen begaben, brachte Cameron ihn sofort durch seinen ungebetenen Kommentar von jeglichen amourösen Gedanken ab, alleine schon durch den Klang seiner Stimme. Was auch immer der Typ an sich hatte dass er diesen einen Nerv Claires so besonders traf, es lenkte den Blonden wenigstens von seinem Trübsal ab und auch die heute erstaunlich friedfertigere Stimmung brachte durchaus ihre positiven Eigenschaften mit sich.
Nachdem Clarence der Rothaarigen am Vorabend noch ins Gewissen geredet hatte sich wenigstens ein klein wenig zusammenzureißen, konnte sie zwar schon seit dem Aufbruch am Morgen nicht alle ihrer bissigen Kommentare für sich behalten, wiegelte sich aber selbst nicht mehr annähernd so bis zum Äußersten auf wie noch bei ihrem ersten Zusammentreffen. Für adriann’sche Verhältnisse schien sie sogar recht friedfertig gestimmt – doch weder er selbst, noch offensichtlich Cameron, würden für diese Ruhe vor dem Sturm wohl ihre Hand dauerhaft ins Feuer legen.
„‚Okay‘“, echote Claire die beinahe deprimiert klingende Zustimmung seines Freundes aufmüpfig und gab ihm einen sanften Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite, während sie sich als Gruppe langsam in Bewegung setzten. Bemüht darum ihnen ein wenig Normalität einzuimpfen, sowohl im Umgang miteinander als auch für die kommenden Tage, versuchte er das Zurücklassen des Bootes als keine besondere Sache zwischen den Zeilen stehen und keine Zweifel an ihren Absichten aufkommen zu lassen, indem er sich irgendwie in die neue Tagesordnung einfügte, die sie ab jetzt dominieren würde. „Ein bisschen mehr Enthusiasmus, Reed. Dein erster Flug mit einem Zeppelin. Schade nur, dass es zwei Vollpfosten wie die da benötigt, um dich zu so einem Vergnügen kommen zu lassen.“
„Zwei Vollpfosten wie uns? Wer schippert denn wochenlang übers Meer, anstatt einfach mal in die Taschen zu greifen und innerhalb von zwei Tagen per Flug hier anzukommen?“, spielte Adrianna über die Schulter blickend den Ball zurück und ließ sich etwas nach hinten fallen, um auf ihre Höhe zu kommen und sich den Hals nicht andauernd zu verrenken.
„Dein erstes Mal, mh? Eine Zeppelin-Jungfrau also“, wollte vom Dunkelhaarigen unterdessen Cameron wissen, der nicht weniger schwer bepackt war als Clarence, um nicht die Frau die ganze Arbeit machen zu lassen. „Ist beim ersten Mal aufregend und schon beim zweiten Mal zum Kotzen weil du begreifst, dass du da oben Addy einfach nicht aus dem Weg gehen kannst. Aber das Gute ist, dass man ihre Leiche echt simpel loswerden könnte, wenn man sie aus einem inneren Bedürfnis heraus aus Versehen im Schlaf erwürgt hat.“
„Pass mal auf, dass ich dich nicht im Schlaf erwürge“, versuchte sie ihm noch im Gehen rein zu grätschen und dem anderen ein Bein zu stellen, wobei ihr Opfer die Finte rechtzeitig erkannte und ihr durch einen geschickten Hüpfer entkam.
„Momentan hoffen wir einfach, dass wir mit dem Zeppelin besser durchkommen und nichts wegen schlechtem Wetter im Norden ausfällt oder sich verzögert. Wenn wir aber auch nur einen Teil der Strecke so zurück legen können, egal wo wir da oben raus kommen, ist es die Sache allemal wert. Für den Rest können wir uns immer noch ein paar Pferde oder einen Wagen besorgen, je nachdem wie hoch der Schnee schon liegt. Müssen wir einfach mal sehen wenn wir da sind.“
„Und ihr seid euch sicher, dass wir überhaupt noch Tickets bekommen? Wir werden ja nicht die Einzigen sein, die auf diese brillante Idee gestoßen sind“, hob Clarence zweifelnd die Brauen und erntete damit ein verächtliches Schnalzen von Adrianna, die den grenzenlosen Pessimismus des Blonden noch nie gut hatte abhaben können.
„Mal auf die Uhr geschaut wie spät ihr dran seid, Claire?“, eine wohl rein rhetorische Frage ihrerseits, die umso stechender wurde, seitdem sich gestern Abend der weibische Spitzname, den sonst Matthew für ihn benutzte, aus lauter Amüsement auch zwischen den anderen beiden etabliert hatte, seitdem er in der Gruppe gefallen war. „Irgendwo werden wir für irgendeinen Flug ja noch vier Scheine auftreiben können. Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd.“
„Mir ist das doch egal ob wir fliegen oder laufen, das solltest du eigentlich wissen“, nahm er ihr den Wind aus den Segeln und zuckte abwägend mit den Schultern. „Ich frage mich nur wie angenehm es wohl werden wird mit einer Horde Texmex-Jägern auf so einem kleinen Raum ohne Fluchtweg eingesperrt zu sein, wenn wir von Rio Nosalida aus losfliegen. – Hat sich darüber mal einer von euch Gedanken gemacht?“
Das betretene Schweigen um ihn herum ließ nur eine einzige mögliche Antwort zu:
Nein, irgendwie schien da bislang keiner drüber nachgedacht zu haben.
Das Vergnügen mit dem Zeppelin in den Norden zu reisen um schneller anzukommen, war eines der Art, wie Matthew gern darauf verzichtet hätte.
Die Chance, dass man eine Leiche hier präparierte um sie dann endlose Meilen weit zu transportieren um noch vor Erreichen von Falconry Gardens den Tod des Blonden zu fingieren war null. Das würde nicht gelingen.
Aber das konnte er schlecht erwidern als Clarence ihn anstieß und Adrianna wie auch Barclay das Thema weiter beackerten.
„Ja, wird mein erster Flug.“, erwiderte er ungewohnt einsilbig und registrierte mit einem Hauch von Amüsement, wie Adrianna versuchte den anderen zu Fall zu bringen und dieser galant der Falle entging.
Die beiden waren ein eingespieltes Team, das sah man sofort und trotz der unentwegten Sticheleien konnten sie sich gut leiden, auch wenn sie beide das niemals zugeben würden.
Hier würde keiner der zwei den anderen erwürgen, weder im Schlaf noch sonst irgendwann. Sie waren wie Bruder und Schwester.
„Einfach wahllos in den Norden zu fliegen ist zwar schneller, aber nicht zwangsläufig klüger.“, warf Matthew schließlich ein. Er hatte beschlossen zumindest zu versuchen die Karten neu zu mischen, auch wenn dieser Schuss vielleicht nach hinten losging.
„Ich meine, welche Metropole liegt dem Ziel denn am Nächsten? Runty Crowd? Poison Ivy?“ er schüttelte sacht den Kopf.
„Die sind beide nicht gerade einen Katzensprung entfernt von unserem Ziel. Da hätten wir genauso gut hier ein paar Pferde organisieren können um loszureiten. Das würde uns erheblich Münzen sparen und wir würden das Ziel nicht erst überfliegen um dann etliche hundert Meilen zurückzureiten.“
Seiner Einschätzung nach war es nicht sehr gut überlegt was die beiden da ausgeheckt hatten und auch auf Clarence‘ Einwurf hin herrschte Schweigen wie es nur dann aufkam, wenn jemand auf unangenehme Weise darauf hinwies, nicht ganz bis zum Schluss gedacht zu haben.
„Poison Ivy liegt vermutlich fast genau soweit weg wie Rio Nosalida, mit dem Unterschied, dass wir vom Süden her weit länger mit weit weniger Schnee zutun haben werden als wenn wir aus dem tiefsten Norden anreisen. Wir würden wahrscheinlich genauso schnell ankommen oder sogar früher.“
„Der Kerl hat Recht, Addy.“, stellte Barclay ohne große Umschweife fest.
„Wir sind zwar auch schon eine Weile nicht mehr oben gewesen, aber wir haben gehört, dass der Winter sich schon richtig durchgesetzt hat.“
Matthew zuckte die Achseln in einer Was-hab-ich-gesagt? Geste und setzte noch einen drauf. „Dann macht es wenig Sinn unser Ziel zu überfliegen um dann von Norden nach Süden zu reisen, wenn wir stattdessen auch von Süden nach Norden reisen könnten - bei schönstem Wetter, mit den Taschen voller Münzen...beziehungsweise mit mehr Münzen als würden wir Tickets für den Zeppelin kaufen.“
Adrianna, die seinen Ausführungen bisher schweigend zugehört hatte, blieb nun stehen, was auch die anderen dazu brachte innezuhalten.
Das rötliche Licht der untergehenden Sonne machte, dass ihr rotes Haar wie erlöschende Glut schimmerte. Satanstochter, dachte Matthew gallig, dessen eigene Haare aber vermutlich gerade auch glutfarben glänzten...das lag in der Natur der Sache, wenn man im Abendlicht stand.
Adrianna wog recht offensichtlich ab was Clarence und Matthew gesagt hatten, blickte erst zu dem Blonden und dann zu Cassiel.
„Hast du Flugangst?“, wollte sie plötzlich wissen und klang dabei einigermaßen interessiert. „Warum sollte ich Flugangst haben? Nein, hab ich nicht.“ Er verstand genau worauf sie hinauswollte und sie schien zu verstehen, dass er es begriff.
Die Münzen in ihrem Besitz waren zwar nicht auf den Kupferling abgezählt, aber sie konnten es sich nicht leisten verschwenderisch zu sein, das war ein Fakt. Sie und Cameron waren so darauf geeicht gewesen mit dem Zeppelin auch wieder abzureisen, dass sie das einfach nicht mehr in Frage gestellt hatten.
Und nun kam Clarence mit seinen Zweifeln um die Ecke und sein dubioser kleiner Freund stellte die Logik ihres Plans mit wenigen Worten auf den Kopf.
Das gefiel ihr nicht, aber Matthew gefiel es ziemlich gut - auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Länger im Dunstkreis von Rio Nosalida zu bleiben bedeutete länger Zeit zu haben eine Leiche zu organisieren.
„Ich meine, mir ist das im Grunde egal, ich steige auch in den Zeppelin wenn ihr beschlossen habt dass wir fliegen.“ - „Nee ist doch fürn Arsch.“ erwiderte Barclay unumwunden. „Finde du hast Recht, wenn wir von hier aus mit paar Pferden starten sparen wir Kohle und davon haben wir ohnehin nie genug, was Addy?“ Er klopfte Matt auf die Schulter, sah dann zu Clarence und sagte:
„Deshalb hast du den Typen mitgebracht, der ist cleverer als er schön ist.“ und an Matt gewandt: „Nichts für ungut.“ - „Schon klar.“ erwiderte Cassie, dem schon seit gestern bewusst geworden war, dass man ihn aufziehen würde wann immer es ging.
„Erde an Ads, was ist nun?“, wollte Barclay wissen, da die Rothaarige schon wieder so still geworden war.
„Halt doch mal den Rand, Barclay - nur für eine Sekunde, ich weiß das fällt dir schwer weil du beim Plappern dein Spatzenhirn belüftest, aber bitte: sei ruhig.“
Ihr Konter war direkt und persönlich, so wie das meiste was diese Frau von sich gab. Sie musterte Matthew noch immer, so als könne sie hinter seine Stirn schauen um aufzudecken ob er etwas im Sinn hatte das er verschwieg.
Seine Argumente waren schlüssig, sie machten Sinn, sie waren logisch und wären sie von Cameron gekommen - der in seinem Leben nie weiter gedacht hatte als bis zum Reißverschluss seiner Hose - oder von Clarence, so hätte sie sofort zugestimmt. Die Idee mit dem Zeppelin zu fliegen war nicht in Stein gemeißelt.
Aber die Argumente kamen nicht von den beiden anderen, sondern mehrheitlich von einem Typen den sie nicht kannte, der Clarence begleitete und von dem sie nichts wusste, außer das sie seine rührende Geschichte nicht glaubte.
Ausgerechnet diese unbekannte Variable wollte nicht mit dem Zeppelin fliegen und Adrianna fragte sich ganz unwillkürlich warum nicht.
Sie hätte nun darauf pochen können trotzdem zu fliegen, einfach weil sie ihm nicht traute, Münzen hin oder her.
Aber wenn sie das tat, würde sie nie herausbekommen ob der Kerl etwas plante oder wirklich einfach cleverer war als schön.
„Na gut...mir ist es egal wie wir reisen, Hauptsache wir tun es und kommen in die Gänge, lieber gestern als heute. Sky? Was sagst du? Fliegen wir oder folgen wir den Überlegungen deines Findelkindes?“
Die Antwort war ihr eigentlich jetzt schon klar, aber sie wollte sie trotzdem nochmal hören.
Spontan fiel Clarence wieder ein, warum er so gerne mit Nagi gereist war: Der Kerl hatte die Klappe gehalten.
Keine endlosen Diskussionen, kein hin und her oder umentscheiden mehr, weil irgendwer anders doch wieder irgendeine neue vermeintlich grandiose Idee hatte, die wiederum frische Diskussionen los trat wie ein kleiner Gesteinsbrocken eine immer größer werdende Lawine. Nagi hatte gesagt wohin und dorthin waren sie dann auch marschiert oder geritten – nie geflogen, warum auch immer.
Zweifelsohne war dieser Mann ein Anführer gewesen wie er im Buche stand. Dominant aber still, die Massen durch punktuelle Rhetorik überzeugend und alleine schon durch sein präsentes Auftreten nicht in Frage zu stellen. Was der Führer ihres Clans gesagt hatte, das war Gesetz gewesen. Da war keine rothaarige Fairbanks auf die Idee gekommen stehen zu bleiben und sie länger aufzuhalten als nötig, da hatte kein Barclay mehr wertvolle Minuten durch seine Sticheleien verbraten und damit Teile von Clarence‘ wertvoller Lebenszeit vergeudet, die ihm am Ende des Tages niemand mehr zurück geben würde.
Sein Versuch, die kleine Gruppe irgendwie - im wahrsten Sinne – am Laufen zu halten indem er selbst auch weiter ging, verlief sich im Sande als die anderen Pappnasen sich hinter ihm fest schwatzten wie die Waschweiber und damit seine Segelöhrchen beinahe bluten ließen, die er bei der Hitze leider nicht durch drei Schichten um den Kopf gebundene Felle schützen konnte.
Natürlich begriff er was sein Mann da gerade versuchte, denn seine Kontakte hier in Rio Nosalida durch ein Aufbrechen zu Fuß nicht so aprubt hinter sich zu lassen wie durch ein Ablegen mit dem Zeppelin, brachte offensichtliche Vorteile mit sich. Wenn er das nur hätte ein wenig weiter fernab der Harper Cordelia hätte versuchen können, wäre das dem Blonden auch ziemlich recht gewesen.
Den dreisten Seitenhieb Camerons gen Matthews Aussehen kommentierte er mit einem genuschelten „Darauf würde ich nicht wetten“, weniger um dadurch irgendwie den Intellekt seines Mannes unter den Scheffel zu stellen, sondern zumindest um für Cassies Ohren herauszuarbeiten, dass er noch immer nicht nur der cleverste, sondern auch der schönste Mann der ganzen hiesigen Metropole für ihn war. Hätte Barclay nur die geringste Vorstellungskraft, was die beiden Männer in der vergangenen Nacht miteinander getrieben hatten und wie verdammt heiß der einstige Söldner dabei ausgesehen hatte, würden dem Trottel vermutlich die Ohren schlackern.
Schweigend zwischen den drei Schwätzern umher blickend, versuchte er aus dem Wust aus Sticheleien und Beleidigungen die wertvollsten Informationen heraus zu filtern, was in den kommenden Tagen und Wochen vermutlich immer schwerer werden würde. Schon jetzt war klar, dass sich da definitiv welche gefunden hatten und dass ihre Reise zwar nicht von unangenehmem Schweigen geprägt sein würde, aber eben leider auch nicht von konstruktiven Gesprächsinhalten.
Noch immer wanderte sein Blick umher, bis er schließlich an Adrianna kleben blieb die ihn auffordernd taxierte und anscheinend doch tatsächlich seine Meinung dazu verlangte, was der Rest sich gerade gegenseitig auf die Füße tretend bereits ausgefochten hatte. Deutlich spürte er dabei Matthews innere Stimme in seinen Gedankengängen die ihn dazu beschwor die Flugtickets bloß zu kippen und die dumpfen leere Augen des Trottels auf sich kleben, der vermutlich selbst zu einem Selbstmordkommando ja und Amen sagen würde, wenn man es ihm nur mit genug naivem Enthusiasmus in der Stimme vorschlug.
„Sag mal, habt ihr drei Vögel eigentlich Lack gesoffen oder was ist los?“
Verständnislos strafte er einen nach dem anderen mit dem stechenden Blaugrau seiner Iriden ab, einer Horde übermütiger Kinder gleich, die sich in Fantastereien verstrickt hatten. Ständig hörte er hier irgendwas von ihrem Ziel, darüber hinweg zu fliegen und dann noch hunderte Meilen durch den tiefsten Winter reiten zu müssen. Entweder hatten sich die drei gestern Abend das Hirn halb weg gesoffen, oder er hatte sie mit seiner Pfeife zu völligen Idioten gedröhnt, aber irgendwas lief hier seiner Meinung nach ziemlich falsch. So gut konnte nicht mal Matthew fremde Leute mit seinem Gelaber manipulieren.
Irritiert über den plötzlichen Ausbruch ihres zurückgekehrten Gefährten, legte sich eine kurze Stille über die Kleingruppe, bevor erst ein leises Prusten ertönte, das schließlich in schallendes Gelächter seitens Cameron ausbrach. Die diebische Elster schien, allen abgestorbenen Hirnzellen zum Trotz, als Erster das aufziehende Missverständnis zu begreifen und gab dabei seinem anderen dunkelhaarigen Mitstreiter einen kumpelhaften Stoß ins Kreuz.
„Unsere helle Leuchte hier dachte, wir würden uns auf den Weg machen nach Falconry. Da haben wir uns überlegt, dass das eigentlich gar keine so schlechte Idee ist“, versuchte er den fehlenden Informationsfluss zum Hünen wieder aufzuholen und brachte ihn auf den neuesten Stand der Dinge.
„Das war vermutlich während du stundenlang im Gestrüpp unterwegs warst und dein Unkraut gesammelt hast. Selbst schuld, wer nicht dabei bleibt, verpasst das Beste.“ – Damit schien Adrianna leider Recht zu haben, denn anders ließ sich für Clarence nicht erschließen, wie man mal eben ohne Rücksprache eine völlig andere Richtung für die Reise bestimmen konnte. Aber Hauptsache man überließ ihm am Ende die Wahl zwischen Laufen oder Fliegen, sehr gnädig von den Herrschaften.
„A-ha“, tat er monoton seine Meinung kund; der ideale Nährboden für die Satansbraut, um die Saat des Hasses noch weiter zu streuen: „Ja, Sky, warum denn auch nicht? Also mir persönlich fiele ja jetzt kein Grund ein, warum wir nicht erst zurück nach Hause marschieren sollten. Da kannst du deinen neuen Freund Reed erstmal schön der Familie vorstellen, daheim ankommen… und dann machen wir uns alle zusammen auf den Weg und lernen uns etwas besser kennen. Ist das etwa nicht in deinem Sinne? Nicht gut?“
Die scheinheilige Tonlage in ihrer Stimme gefiel ihm kein bisschen und das engelsgleiche Lächeln auf Adriannas Lippen noch weniger. Ohne dass Cameron, ihr grenzdebiles Anhängsel, zu begreifen schien was hier gerade geschah, hatte die Rothaarige die beiden Neuankömmlinge in die Zwickmühle gelockt, aus der es so schnell kein Entkommen mehr geben würde. Das Miststück ahnte, dass es dem unbekannten neuen Anhängsel auf weitläufigem Boden weit besser gefiel als auf einem Direktweg in der Luft und dass es dem Blonden ebenso quer im Magen lag, statt dem Hunters Case direkt den Hauptsitz ihres Clans anzusteuern. Sicher, sie begriff nicht was hier aus welchen konkreten Gründen los war – aber Clarence sah ihr an, dass sie ihnen ansah, die Jungs hatten irgendwelchen Dreck am Stecken.
„Also ich fänd’s auch schöner, wenn wir den Weg über daheim wählen und dann alle zusammen als Clan da ankommen statt vereinzelt wie ein Flickenteppich…“ - „Dich fragt aber niemand, du Affe“, fuhr der Ältere den Kerl an, der es schon alleine dadurch schaffte ihn zum Ausrasten zu bringen, indem er einfach nur atmete.
Sehr bewusst versuchte Clarence es gerade zu vermeiden zu Cassie hinüber zu blicken aus begründeter Furcht, dem Jüngeren mehr Informationen ungewollt und offensichtlich durch Blicke entgegen zu morsen, als es für ihn unter der aufmerksamen Beobachtung der einzigen Frau in ihrer Runde gut war. Er begriff Matthews Intention warum er dachte, es sei am Boden besser ihre Pläne noch irgendwie durchgeboxt zu bekommen, aber dabei unterschätzte er eines ganz gewaltig: Adriannas Kombinationsgabe.
Ein plötzlicher Tod seiner Wenigkeit hier während dem Fußmarsch auf den Matthew und er gepocht hatten, nach dem der Neuankömmling sich dann auch plötzlich direkt wieder von allem lossagte?
Seufzend kämmte er sich mit den Fingern durchs vom Schweiß des Tages klebrige Haar und betrachtete sich, scheinbar überfordert vom plötzlichen Umdenken und der Aussicht des Umwegs, die kleine Gruppe hinter sich und atmete tief durch, als habe er sein übertriebenes Aufbrausen nun selbst bemerkt und versuche sich nun wieder etwas zu beruhigen.
„Ich hab nur gerade vor Augen in welcher Zeit wir es alleine bis nach Falconry schaffen müssen, wo wir dank mir sowieso schon so spät dran sind. Wenn da keiner mehr ist, haben wir echt ein Problem“, versuchte er die Sachlage etwas anders auszulegen und hoffte dass auch Matthew begriff, worauf er folgend hinaus wollte. „Ich hab immerhin eine Deadline. Wenn ich nicht pünktlich bei der Veranstaltung ankomme, dann war die ganze Scheiße sowieso umsonst. Dann packen die mich auf die Liste und machen mich zum nächsten Hype, jetzt wo Bonnie und Clyde abgehakt sind. Die Aussicht darauf, mir hier mit euch drei Spaten die nächsten Wochen die Hacken blutig zu rennen gegen die Wahl gleich direkt dem Hunters Case fast bis vor die Nase zu fliegen und dann noch Zeit zu haben, mir ein paar angenehme Tage in einer Metropole zu machen, nachdem keiner von uns vieren so richtig viel von Rio Nosalida hatte…“
Vielsagend hob er die Schultern, so als wäre es jetzt nicht besonders schwer sich da das geringere Übel auszuwählen, und suchte schließlich auch wieder Matthews Blick. Vielleicht war er auch zu fantasielos für Cassies zahlreiche Kontakte und deren Möglichkeiten, aber am Ende stellte Clarence es sich irgendwie leichter vor ein Netzwerk metropolenübergreifend zu aktivieren, als ihnen über längere Zeit hinweg über Stock und Stein irgendwen mit einer zunehmend verwesenden Leiche hinterher reisen zu lassen, nur um hoffentlich eines schönen Tages einen passenden Moment zu erwischen seinen Tod zu fungieren, bevor der Leichnam schon halb zu zerfallen begann. Auch als Findling ließ es sich danach in einer Großstadt wesentlich einfacher verschwinden als im Trauertrio einsam im Wald, ganz zu schweigen von der Problematik: Falls sie in Falconry Gardens ankamen bevor sie ihren Plan wahr machen konnten, was dann? Dann wären noch weit mehr Augen auf sie gerichtet, die sie genauestens beobachten würden.

Ob sie nun alle Lack gesoffen hatten wagte Matthew zu bezweifeln. Zumindest er selbst wusste, dass er von derartigen Maßnahmen trotz seiner miesen Laune abgesehen hatte.
Unverwandt betrachtete er Clarence, der erstmal aufgeklärt werden musste wo denn ihr neues Ziel lag. Allerdings schien ihm dieser Umweg so ganz und gar nicht zu schmecken. Noch weniger schmeckte Adrianna allerdings der gegenwärtige Zustand ihrer Reisegruppe.
Matthew kannte sie nicht wirklich gut, aber sogar er hörte heraus, dass ihre Freundlichkeit scheinheilig war.
Sie war wie eine Hyäne, sie witterte irgendwas, war sich aber noch nicht sicher ob es Betrug war oder doch eine falsche Fährte. Sie wollte Clarence ins Straucheln bringen, etwas finden das ihr Aufschluss darüber gab ob sie richtig lag oder sich irrte. Letztlich, dass wusste Matthew, würde diese Frau es sein von der abhing ob sie davonkamen oder nicht.
Sie war misstrauisch und zwar nicht allein gegenüber Matthew, sondern auch gegenüber Clarence. Letzterer schien die neuen Möglichkeiten abzuwägen und das Für und Wider im Geiste durchzugehen.
Es musste ihm klar sein, dass Matthew unbedingt die Route nach Falconry einschlagen wollte, obgleich er nicht vorhatte dort je anzukommen. Der Weg zu Fuß oder zu Pferd würde ihm Zeit verschaffen um sich mit jener Person auszutauschen, von der er ausging, dass sie ihnen helfen konnte. Wenn sie hingegen mit dem Zeppelin flogen… dann hatte er keine Chance und seine Kontakte im Norden des Landes waren leider sehr überschaubar.
Mit Rouge hatte er sich überwiegend in Coral Valley aufgehalten, mit ihm war er auch in Varlan und in Bald Mountain gewesen. Sie hatten verschiedene kleinere Städte und Dörfer besucht, aber es war nicht so, dass er sich überall Freunde gemacht hatte. Für den Dunkelhaarigen war es wichtig, dass sie nicht mit dem Zeppelin starteten – dementsprechend gespannt harrte er auch aus während Clarence überlegte.
Als dieser schließlich den Mund öffnete und seine Bedenken vorbrachte, dafür plädierend direkt zum Ort des Geschehens zu fliegen, statt einen Umweg über Falconry zu machen, war Matthews erste Impuls ihn auf den Arm zu boxen und ihn zu fragen warum zum Teufel er das tat. Seine Bestürzung und seine Wut konnte man ihm zum Glück nicht ansehen und noch wertvoller war es, dass er seinen ersten Impuls unterdrückte.
„Mh“ machte er einsilbig. „Klingt einleuchtend. Unter dem Gesichtspunkt bin ich auch für den direkten Weg.“ – sagte er und meinte in Wahrheit ‚Du Idiot! Wie kannst du mir das antun? Das ist das bescheuertste was du hättest machen können.‘
Und tatsächlich konnte er nicht verstehen wieso Clarence sich gegen ihn stellte. Es war ihm scheißegal welche Gründe er haben mochte, denn Fakt war: niemand würde ihn auf irgendeine miese Liste setzen um ihn zu jagen. Genau um das zu verhindern hatte Matthew im Dunstkreis von Rio Nosalida bleiben wollen.
„Hmm… vielleicht hast du Recht.“, räumte Adrianna ein, wobei Matt nicht sicher war ob sie wirklich ein einsehen hatte. Wahrscheinlich nicht.
„Wir fanden die Idee charmant, deinen neuen Freund erst der Familie vorzustellen, ihn schon aufzunehmen in unseren Kreis… Wenn er nicht offiziell dazugehört, lässt man ihn vielleicht gar nicht zum Event zu.“
Davon hörte Matt gerade zum ersten Mal und fragte sich im Stillen wie viel Clarence eigentlich vor ihm verborgen gehalten hatte. „Aber es geht um dich, wir sind wegen dir hier… also machen wir es so wie du gesagt hast, Claire.“ – fügte sie an wobei sie lächelte. Adrianna ließ sich nicht in die Karten schauen. Anders als Barclay, der weitaus weniger undurchsichtig war und ihnen auch weit weniger Misstrauen entgegenbrachte.
„Wär‘ schön wir würden uns endlich entscheiden.“ Sagte er und verschränkte die Hände vor der Brust. Er hatte keine Lust sich dämlich die Beine in den Bauch zu stehen und wäre Clarence gestern die ganze Zeit anwesend gewesen, dann hätten sie diese unsägliche Abstimmung gestern schon hinter sich gebracht.
Letztendlich stellten sich weder Adrianna noch Matt gegen Clarence‘ Präferenz, weshalb die kleine Gruppe schließlich geschlossen weiterging.
Der Flugplatz lag nicht weit vom Hafen entfernt, anders als in den meisten anderen Metropolen war er nicht zentral gelegen, um Transportwege zu sparen. Waren, die per Schiff kamen konnten so zügig zu den Zeppelinen verbracht und mit ihnen an ihren Zielort gebracht werden – und andersherum galt dasselbe.
Den Fußmarsch von etwa vierzig Minuten legte das Quartett größtenteils schweigend zurück. Matthew hatte sich ein Stückchen zurückfallenlassen, um weder in Smalltalk verwickelt zu werden noch über Adriannas Fallstricke zu stolpern, die mit einer Unterhaltung mit der Frau unvermeidbar wären.
Clarence hatte sich nicht zu ihm gesellt, was in Ordnung war, weil Matthew selbst mit ihm nicht hätte reden wollen. Seine Laune war den ganzen Tag schon nicht besonders gewesen und mittlerweile war sie nicht besser geworden. In Rio Nosalida hatte er die größte Chance gesehen jemanden zu finden der ihnen half und mit dem Verlassen der Metropole war vorerst jeder Plan dahin.
Vielleicht würden sie eine neue Chance bekommen, einen guten Moment abpassen können. Vielleicht ergab sich irgendwo unerwartet eine Möglichkeit dem Clan zu entkommen – aber im Augenblick wusste Cassie nicht wie diese Möglichkeit aussah.
In Gedanken versunken folgte er den anderen, lauschte auf die vereinzelten Gespräche, die meist kurz und wenig gehaltvoll waren.
Schließlich lichteten sich die Häuser und die karge Natur wurde offenbar. Zahlreiche Menschen zu Fuß oder auf Pferdekarren drängten geschäftig die ungepflasterte Straße entlang. Sie transportierten Menschen oder Güter hin und her. Staub wirbelte in der Luft und im Dunst der Milliarden Schwebeteilchen offenbarte sich ihnen ein Bild, wie es beeindruckend und einschüchternd zu gleich war. Vor einem Himmel der in Rot und Gelbtönen leuchtete, die ersten Sterne bereits sichtbar, hoben sich die riesigen Luftschiffe wie Fremdkörper ab. Ein halbes duzend Zeppeline reihten sich auf dem weitläufigen Gelände, vor jedem Anlegeplatz standen Tafeln und Buden wo man Tickets erwerben konnte. Obwohl der Platz in seinen Ausmaßen gigantisch war, war er voll von Menschen. Viele arbeiteten, verbrachten Passagiere von A nach B, verluden Fracht oder kontrollierten die Fluggeräte auf etwaige Schäden.
Ihr unbefestigter Weg ging in bröseligen Asphalt über, welcher mit jedem Meter fester und besser intakt wurde. Zwei flache Bauten ohne Fenster standen in relativer Nähe zu der riesigen grauen Bahn auf welcher die Zeppeline standen und obgleich dieser Ort in jeder Hinsicht beeindruckend war – zumindest für Matthew – galt dessen größte Aufmerksamkeit nicht den Flugschiffen selbst, sondern dem zerstörten aber Dank fehlender Vegetation vollkommen bloßgestellten Flugzeugwrack der Alten. Selbiges steckte in den Überresten einer größeren Halle und hatte ein beachtliches Loch in das Mauerwerk gerissen. „Ein Flughafen der Alten! Wow!“, entfloh es ihm begeistert und er wäre am Liebsten losgelaufen um das Gebäude und das Wrack zu erkunden – obgleich das angeblich Pech brachte. Und ohnehin war ihm derartiges nicht vergönnt – immerhin hatten sie ein Ziel. Und welches das war, dass erfuhr er zumindest so einigermaßen.
Das bevorzugte Ziel war Avanzamento, aber dorthin flog kein einziger Zeppelin. Weder heute noch morgen, so viel konnte die Frau ihnen verraten, deren Job es war Reisewilligen Tickets zu verkaufen.
Matthew, der während seiner gesamten Zeit mit Clarence nie weniger Verständnis für ein Reiseziel gehabt hatte als heute, bezahlte schließlich Sage und Schreibe Goldmünzen im Wert von 700 Silberlingen für sich und die Hunde. Damit flogen sie nicht etwa in ein fernes Land wo Milch und Honig flossen…
„Ihr tickt doch nicht ganz richtig. Poison Ivy…wenn ich ein Furunkel am Arsch hätte würde ich das nicht nach Poison Ivy schicken.“ Motzte er, während er seine Münzen durchzählte und schließlich drei Zehner Goldmünzen und fünf Silberlinge gegen ein Flugticket und zwei Frachtplätze für Kain und Abel tauschte.
Mit Cameron, Adrianna und seinem Mann auf Reisen zu gehen würde in etwa so viel Komplikationen mit sich bringen wie das erklimmen eines aktiven Vulkans der kurz vorm Ausbrechen war, so viel stand fest. Wenn man dachte sich auf unsicherem Territorium zu bewegen, dann hatte man recht und wenn man vermutete die angepeilten Steine auf die man seine Füße setzen wollte wären sicher, dann hatte man die Arschkarte gezogen. Von überall her konnten aus dem Nichts plötzlich Geröll und Spritzer heißer Lava auf einen nieder stürzen und überhaupt sah man keinen geraden Weg mehr vor Augen, so hatte sich der Ruß bereits gefährlich vor die eigenen Augen gelegt. Trotzdem führte an dieser Gefahr wohl kein Weg vorbei.
Die Straßen zum Zeppelinlandeplatz waren, zumindest in der Theorie, deutlich sicherer als jeder Vulkan und dennoch wusste Clarence gerade nicht mehr, ob er sich hier überhaupt auf irgendwen verlassen konnte. Auch sein eigenes Gespür schien sich zu verabschieden, das hatte ihm der vermeintlich gleichgültige Ausdruck in Matthews Augen vorhin am Hafen verraten, in dem doch so viel mehr mitgeschwungen war als für die anderen beiden erkenntlich.
Am liebsten hätte Clarence vorhin hilflos mit den Schultern gezuckt, ein intuitiver Reflex den er zum Glück angesichts der Satanstochter hatte vermeiden können und der aber vielleicht doch etwas an Stimmung gerettet hätte hinsichtlich dessen, dass sein Partner ihn wenigstens während der Strecke bis zum Landeplatz zu ignorieren schien. Wer konnte denn auch ahnen, dass dieser Kerl es für sinniger empfunden hätte, irgendwo durch die Pampa zu ziehen in der es ganz offensichtlich nicht die geringste Möglichkeit gab mit Mittelsmännern in Kontakt zu treten, wenn man nicht mindestens mal sowas wie eine Brieftaube besaß?
So wie Adrianna es hatte verlauten lassen – aber rückblickend, vielleicht war das auch geplant und ihre Taktik gewesen? – hatte es geklungen, als wäre es alleine die Schnapsidee von den beiden Pappnasen gewesen, diesen enormen Umweg über Falconry Gardens zu gehen und als habe man diese zweifelhafte Ehre dem Neuankömmling aufgeschwatzt um zu schauen, wie er wohl darauf reagierte direkt in die Höhle des Löwen geführt zu werden. Ließ er sich dort offiziell vorstellen bevor es zum Hunters Case ging, dann gab es für Matthew als potentiellen Anwärter kein Zurück mehr, ganz im Gegensatz zur Möglichkeit es sich noch mal anders zu überlegen sich zu binden wenn er erst mal sah, wie es zwischen einer Horde Jäger aus verschiedenen Clans vor sich ging.
Matthew schien optimistisch zu sein sich irgendwie von den beiden loseisen zu können noch lange bevor sie überhaupt irgendwo ankamen, eine Vorstellung an die Clarence heute zunehmend weniger zu glauben gepflegt hatte, wo Adrianna scharf war wie ein Wachhund. Wenn die Frau wollte, dann konnte sie Verrat auf drei Meilen gegen den Wind riechen und selbst durch Stahlwände sehen, zumindest machte sie zunehmend den Anschein. Ihre Augen waren wach und klar, kein einziges Wort war ihr mehr entgangen, seitdem sie am Morgen vom Weingut aufgebrochen waren um ihre gemeinsame Reise zurück zum Rest ihres Clans zu beginnen.
Und Cameron? Nun… der roch eine Verschwörung nicht mal dann, wenn man ihm die mitten ins Gesicht schmiss.
Den Enthusiasmus, den Matthew an den Tag legte kaum da sie am Landeplatz angekommen waren und sich ihnen das Bild des vorliegenden Geländes offenbarte, konnte Clarence weder im ersten noch im zweiten Moment teilen, auch wenn ihm Rio Nosalida völlig fremd war und die Sehenswürdigkeiten überwältigend hätten sein sollen. Stattdessen hatte er schon seit einigen Minuten mit jedem weiterem Schritt jene Anspannung in sich anwachsen gefühlt, die in der Regel nur durch die Anwesenheit seines Mannes etwas gelindert wurde – leider war es dieses Mal der falsche Dunkelhaarige, der im Augenblick an seiner Seite ging.
„Was?“, wollte Cameron von ihm wissen, den er unbewusst mit strafendem Blick dafür taxiert hatte nicht Matthew zu sein oder nicht wenigstens vor lauter Begeisterung den Platz an seiner Seite zu verlassen, um voran zu preschen, das Gelände zu erkunden und dabei von einem der Lasttransporte überfahren zu werden. Dem Blonden sollte jedoch weder das eine, noch das andere Vergnügen gegönnt werden und so blieb ihm letztlich nichts anderes übrig als der kleinen Traube zu folgen und wenigstens aus der Entfernung zu verfolgen, wie Cassie auf die Aussicht bald in einem Zeppelin zu sitzen reagierte.
Trotz aller Anspannung und generellem Unmut schaffte sein Mann es nicht, die kindliche Begeisterung im Zaum zu halten. Sein Faible für den Schnickschnack und monströse Gerätschaften der Alten hatte sich schon früh während ihrer gemeinsamen Reisen abgezeichnet, entweder weil er es immer wieder verlässlich schaffte unter dem Krempel von fliegenden Händlern doch eine kleine Rarität zu erspähen oder aber weil er seine bereits bestehenden Habseligkeiten noch besser pflegte als sich selbst – und das mochte etwas heißen. Wann immer er etwas Antikes erblickte, legte sich Augenblicklich dieser helle Glanz in seine Augen der sie aufgeregt schimmern ließ. Stundenlang konnte er abends an ihrem Esstisch sitzen und seine Rekorder von nicht vorhandenem Staub befreien, die Finger ganz ruhig und seine Wahrnehmung derartig fokussiert, dass sich Clarence nicht nur einmal eine Schelle dafür kassiert hatte, ihn durch lautstarkes Rumpeln mit Kochtöpfen oder Geschirr abzulenken. Oft hatte der Jäger nicht das geringste Verständnis dafür wie man sich so ernsthaft mit dem ganzen Tand beschäftigen konnte, der zu einem Großteil gar nicht mehr funktionierte, aber das hatte Matthew ja auch nicht immer für die Vorlieben des Schamanen und trotzdem tolerierten sie gegenseitig wohlwollend ihre Hobbys.
Dumpf und ungewohnt leise im Vergleich zu den losen Straßen die sonst vorherrschten, klang der alte kompakte Asphalt unter ihren Füßen, ein Umstand den Clarence trotz der Weitläufigkeit des Geländes als unangenehm empfand und ihn sich erst dann auf seinen Münzbeutel konzentrieren ließ um den Preis für sein Ticket abzuzählen, als die anderen drei bereits abkassiert worden waren. Ein Flug mit dem Zeppelin konnte einen regelrecht arm machen wenn man ihn sich leistete und wie sie nach all ihren Ausgaben noch immer Geld ihr Eigen nennen konnten, war Claire wirklich ein Rätsel, besonders weil sie in den vergangenen Monaten auf ihrer Hochzeitsreise auch nicht wirklich sparsam gewesen waren, wenn es darum ging sich mit Vorräten und Verbrauchsmaterial einzudecken.
„Schade für dein Furunkel. In den richtigen Ecken kann man da richtig Spaß haben“, versuchte unterdessen Barclay Matthews Stimmung etwas aufzuheitern, wobei Adrianna die prophezeite Form von Vergnügen wohl nicht so ganz nachvollziehen konnte.
„Keine Ahnung wie du das definierst und ich mag mich falsch erinnern, aber hat Patrick nicht in Poison Ivy zwei Zehen verloren, weil so ein paar Gangster ihm vorgeworfen haben ihn über den Tisch zu ziehen?“
„…und hast du nicht letzten Monat erst einen Typen mit deinem Messer bedroht und wolltest ihn kastrieren, obwohl der echt nett war und er dir nur deinen Wein bezahlen wollte?“, stellte Cameron die entsprechende Gegenfrage und zeigte damit auf, dass die Satanstochter mit ihrer Art vermutlich am ehesten in der breiten Masse der Metropole als Bürgerin durchgehen würde als irgendein anderer von ihnen, wenn er versuchte noch so böswillig aufzutreten. „Viel besser bist du auch nicht. Am Ende wählen sie dich da wahrscheinlich zur neuen Bürgermeisterin. Immerhin verspricht uns das ein wenig Sicherheit, auch wenn ich nicht dafür bürgen würde.“
Abwägend blickte Clarence über die Schulter zurück zu seinen drei Gefährten während er sein Rückgeld in den Münzbeutel warf und mustere Adrianna dabei abschätzig. Camerons Theorie war gar nicht so abwegig und wenn sie etwas Glück hatten, verloren sie die Rothaarige vielleicht wirklich als neue Ehrenbürgerin an Poison Ivy, das würde immerhin ein Problem weniger bedeuten.
„Zwei Stunden noch“, fasste er schließlich zusammen was das Abklappern der Flugpläne ihnen als frühestes Ergebnis präsentiert und die Verkäuferin ihnen handschriftlich auf dem Ticket hinterlassen hatte – wider Erwarten sogar für den Leseanfänger einigermaßen zu entziffern, der sich noch reichlich schwer tat mit etwas anderem als Druckschrift. Seine neu errungene Fähigkeit versuchte er trotzdem vor den anderen beiden nicht allzu offensichtlich zu präsentieren, weshalb er sein Ticket vorausschauend zu den Münzen packte, bevor die laue Abendbrise es ihm noch aus den unvollständigen Fingern wehte. In den späten Abendstunden zu starten war zwar nicht nur kontraproduktiv für die schöne Aussicht die so ein Flug zu bieten hatte, sondern auch für den deutlich höheren Preis einer Schlafkabine anstelle eines normalen Sitzes kostete, aber immerhin konnte man dann den Großteil des Weges verschlafen und hatte die Hälfte des Kontinents fast schneller hinter sich gebracht, als man abends einschlafen und sich morgens wieder für den Tag fertig machen konnte.
„Wenn wir morgen angekommen sind, sollten wir die Lage in der Stadt auskundschaften und uns eine einigermaßen sichere Unterkunft für ein paar Tage suchen. Vielleicht kann es nicht schaden sich erst umzuhören welche Neuigkeiten es da vor Ort gibt, bevor wir zum Treffen aufbrechen“, schlug er vor und setzte sich langsam mit den anderen in Bewegung Richtung Grünfläche, die sich zu beiden Seiten des Asphaltierten Geländes durchs Areal zog. Abel und Kain, die eine alles andere als komfortable Reise haben würden wofür er schon jetzt ein schlechtes Gewissen hatte, sollten sich noch mal ausgiebig austoben und müde laufen können, bevor sie für Stunden eingesperrt sein würden in den dunklen Frachträumen eines überfüllten Zeppelins. „Außerdem können wir uns noch mit ein paar Sachen eindecken, je nachdem wie das Wetter im Norden mittlerweile ist. Da bin ich fast schon froh dass wir um Runty Crowd herum gekommen sind, bis wir da Währungen getauscht haben, stünden wir garantiert nächste Woche noch an den Schaltern.“
Ob es nun wirklich so von Vorteil war eine Horde Verstrahlter gegen eine Bande Krimineller eingetauscht zu haben, sei dahin gestellt. Sicher hatten beide Metropolen ihre Vor- und Nachteile, doch besser als Avanzamento war sicherlich nichts von beidem.
Auch Cameron schon das Thema noch immer zu beschäftigen. „Ich frage mich, warum sie die anderen Flüge alle noch immer gestrichen haben“, grübelte er mit einem Blick zurück hinter sich auf die Holztafel hinter dem Sitzplatz der Verkäuferin, auf der man die Umrisse des nördlichen und südlichen Kontinents abgezeichnet und die einzelnen Flugstrecken sichtbar gemacht hatte, um einen besseren Überblick zu verschaffen. Die Metropole oben im Nordwesten war sogar völlig abgeklebt worden und ließ nicht darauf hoffen, dass bald wieder Linien dorthin angeboten werden würden.
„‘Noch immer‘?“, hakte Clarence nach und blickte zwischen den beiden umher, so als habe er irgendwas Wichtiges verpasst. Normalerweise war immer er es gewesen, der alleine in Bars zurück geblieben war um sich Klatsch und Tratsch einzuverleiben während Matthew früher mit Wildfremden verschwunden war um seinen Spaß zu haben; seit ihrer Ehe verbrachten sie die Abende, wo auch immer, eher unter sich und hatten sich der Welt da draußen eher zurückhaltend gezeigt. Ein Verhalten das sich manchmal rächen konnte, genauso wie damals, als die Nachricht vom Untergang Prism Shores den Dunkelhaarigen unerwartet hart getroffen hatte.
„Naja, die Flüge waren auch schon raus als wir hierher geflogen sind. Die haben gesagt, dass nichts dahin abhebt, aber auch kein Zeppelin von da kommt. Wollte uns keiner sagen warum“, zuckte Adrianna unwissend mit den Schultern und machte einen verschreckten Schritt zur Seite, als der erste der beiden Hunde aufgeregt den Wiese an ihr vorbei preschte. „War uns in dem Moment aber auch nicht wichtig genug das herauszufinden. Vermutlich sind denen die Ablegestellen abgebrannt oder die Treibstofftanks explodiert weshalb sie jetzt keine Ballons mehr versorgen können, wer weiß das schon.“
„Mh“, entfuhr es dem Blonden nachdenklich, der kurz hinüber zu Matthew und seinem inexistenten Furunkel blickte. Auch wenn er daran noch nicht so ganz glaubte, so hoffte er inständig, dass sich die Laune seines Mannes legen würde sobald sie abgehoben und erstmal in der Luft waren – eine Nacht alleine im Bett war das eine mit dem Claire irgendwie zurecht kommen musste, etwas komplizierter wurde die Sache allerdings, wenn sie aufgrund ihrer beidseitigen miesen Stimmung heute gar nicht mehr zueinander finden würden. „Was hältst du davon, als erfahrener Weltenbummler? Schon mal was davon gehört, dass die Dauerhaft Flüge von der Karte nehmen?“
Weit hergeholt war diese Frage nicht, immerhin hatte Matthew früher seinen Erzählungen nach genug Zeit in Coral Valley verbracht und damit sicher viele Eigenheiten einer Metropole miterlebt, von denen Normalbürger nicht mal etwas zu Ohren bekamen.
Der Versuch Barclays, Matthew aufzuheitern war zwar nicht besonders engagiert aber der Kerl war Cassiel trotzdem um Welten sympathischer als Adrianna. Sein Äußeres suggerierte zwar, dass er ein eingebildeter Schnösel war - aber selbiges hatte man auch Matthew schon vorgeworfen.
Bisher, das musste man der Elster lassen, war sie weitaus unkomplizierter und tat mehr für das fragile Gruppenheil als alle anderen.
„Oh ja, ich hab nur gutes über Poison Ivy gehört. Ich wollte immer schon mal eine kostenlose Amputation eines verzichtbaren Körperteils. Und ausgeraubt werden steht ganz oben auf meiner Liste der größten Träume - hätte nie gedacht, dass die Erfüllung dieser Wünsche nun so wahrscheinlich wird. Seit ich euch getroffen habe läuft mein Leben so viel besser!“, verkündete er lakonisch und folgte der kleinen Truppe zu der Wiesenfläche.
Kain und Abel ahnten nichts von ihrem zweifelhaften Glück, als Frachtgut im Transportraum des Zeppelins mit zu reisen. Und ein böser, galliger Teil in Matt warf auch ihr Schicksal Clarence vor. Wären sie so gereist wie er es gewollt hatte, könnten die Hunde ihnen ganz normal folgen und würden nicht im Dunkeln weggesperrt. Aber dieser Drops war genauso gelutscht wie die Himbeerbonbons.
Den Ausführungen seines Mannes lauschte Matthew ohne großes Interesse zu zeigen. Eine halbwegs sichere Unterkunft in Poison Ivy zu suchen war sicher keine schlechte Idee - andrerseits wollten das garantiert alle Leute die aus diversen unsäglichen Gründen die Stadt besuchten - sichere Unterkünfte würden also nicht auch günstige Unterkünfte sein.
„Mein Silber in der Stadt der Gesetzlosen verballern: woher wisst ihr drei nur, wovon ich schon mein ganzes Leben lang träume?“ fragte er sarkastisch in die Runde ohne eine Antwort zu erwarten.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diese Stadt am liebsten niemals betreten. Ihr Ruf war selbst unter zwielichtigen Gestalten schlecht.
Rouge war in seiner Zeit vor Matthew das ein oder andere Mal dort gewesen - woraus er keinen Hehl gemacht hatte, hatte aber mit Matthew diese Stadt nie besucht.
Einmal hatte ein lukrativer Auftrag dort gewartet, aber der Rote hatte abgelehnt und etwas gesagt, an das Matthew nun wieder denken musste:
„Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, der selbst der Teufel beeindruckt, dann ist es Poison Ivy.“
Vielleicht hatte der Mann gelogen, weil lügen einfach so normal für ihn war wie der nächste Atemzug, aber Tatsache war, dass er diese Stadt all die Jahre gemieden hatte.
Die Bewohner der Metropole waren entweder arme Schweine, Killer, Betrüger oder bis ins Mark korrupt. Der Ruf Poison Ivys war schlecht und kaum ein Jägerclan so gefürchtet wie die Slaughtermans Hell. Als normaler Mensch mied man solche Orte bestmöglich, weshalb es nicht verwunderlich war, dass die meisten Passagiere keine Besucher der Stadt, sondern Angestellte waren, die den Warentransport sicherten. Denn Dank all der kriminellen Machenschaften und einem System das darauf abzielte alles und jeden auszubeuten, war Poison Ivy eine sehr reiche Stadt.
Ihr eigentliches Reiseziel, Avanzamento, hatte einen besseren Ruf, was im Prinzip aber auch nicht schwer war, weil fast jedes Moloch einen besseren Ruf genoss als ihre neueste Destination.
Matthew bückte sich, hob einen Stock auf und warf ihn quer über das weite Feld, woraufhin die Hunde wie von der Tarantel gestochen hinterherrannten.
„Hab ich noch nie gehört, nein.“, entgegnete er kurz und knapp - und wahrheitsgemäß auf Clarence‘ Frage und fügte dem auch nichts mehr hinzu.
Für Adrianna und Barclay mochte das nicht besonders bemerkenswert sein, sie kannten ihn immerhin noch nicht und wussten deshalb auch nicht wie er im Allgemeinen drauf war.
Für Clarence allerdings sollte seine Reserviertheit ein deutliches Zeichen sein, nämlich dafür, dass Matthew längst nicht darüber hinweg war was der Blonde durchgesetzt hatte.
Barclay betrachtete Matt einen Moment nachdenklich und schien darauf zu warten, dass noch etwas von ihm kam, aber als das nicht der Fall war ergriff er selbst das Wort.
„Weltenbummler klingt danach als seist du viel rumgekommen. Aber wo kommst du ursprünglich her?“ - ein Themenwechsel der - wie er hoffte - unverfänglich war und dazu beitrug, dass sie den Fremden Stück für Stück besser kennenlernten.
„Meinst du, wo ich geboren wurde oder wo ich aufgewachsen bin?“
Barclay hob die Schultern. „Ist nicht beides das gleiche?“
Eine direkte Antwort darauf blieb Matthew ihm schuldig, aber er war durchaus gewillt etwas von sich zu erzählen- um Nähe zu schaffen und hoffentlich irgendwann nicht mehr so taxiert zu werden wie beide es taten.
„Ich bin in Stillwaters Reach geboren. Ein kleines Kaff, mitten im nirgendwo. Dort wohnen...“ - er überlegte kurz wie er die Menschen dort beschreiben sollte die sich einen Dreck um ihn und seinen Bruder geschert hatten, die zugelassen hatte dass Rosalies letzter Mann sie tötete und die keinerlei Anstrengungen unternommen hatten ihn unter der Fuchtel dieses Mörders rauszuholen.
Wichser, Feiglinge, Ratten in Menschengestalt- all diese Begriffe kamen ihm in den Sinn aber Matthew schluckte sie alle herunter.
„Nur Bauern, einfache Leute. Es gibt große Farmen, den Silent Lake und ansonsten Wald.“ - beschrieb er seinen Geburtsort wahrheitsgemäß.
„Es würde mich wundern wenn ihr schon mal davon gehört hättet.“
Die Welt der Alten war schnell gewesen, Distanzen hatten sich unkomplizierter überwinden lassen, Dörfer und Städte waren miteinander verbunden gewesen und das Land viel dichter besiedelt. Wenn Cassie alte Karten studierte, dann war er noch immer erstaunt und fasziniert davon wie viele Städte es gegeben hatte und wie unzählig viele Menschen gelebt haben mussten.
Heute gab es mehr Geisterstädte als Metropolen, Kinder wurden tot oder entstellt geboren, Landstriche verwilderten, ganze Stammbäume wurden getilgt.
Ihre Städte und Metropolen waren nur ein Flickenteppich, verglichen mit der Vielzahl von früher. Wer sollte all die unbedeutenden und versprengten Siedlungen kennen und warum? Stillwaters Reach war nicht bekannt für irgendetwas, es gab nur eine Straße in das Dorf und es verirrte sich selten jemand von außerhalb auf selbige. Aus diesem Grund gab es keine Veranlassung über seine Herkunft zu lügen. Und selbst wenn sie den Ort kannten änderte das nichts.
So nah wie möglich an der Wahrheit bleiben - das hatte er gestern mit Clarence abgesprochen und er würde sich daran halten, auch wenn Clarence meinte er könne ihre Absprachen spontan kippen.
„Hab ich noch nie gehört, aber klingt auch nicht gerade nach einem Versäumnis.“ erwiderte Barclay und brachte Matthew damit unvermittelt zu einem kurzen Auflachen. Wie recht der Andere mit dieser Einschätzung hatte konnte er gar nicht wissen. „Nein, echt kein Versäumnis.“ - pflichtete er Barclay bei und warf den Stock erneut, den Abel zurückgebracht hatte.
„Und wo kommt ihr beide ursprünglich her?“
Man musste kein Genie sein um zu wissen, dass Adrianna vermutlich nicht reden würde und es auch nicht billigte, dass Matthew sowas wissen wollte.
Aber auf der anderen Seite würden sie sich nun einmal langsam annähern müssen um nicht bei Zeiten aufeinander loszugehen.
Ihr gestriges aufeinandertreffen war ganz und gar nicht rund verlaufen, sie hatten sich gegenseitig offen taxiert, provoziert und damit eine gefährliche Basis aus Misstrauen geschaffen. Heute war es zwar weniger bissig zwischen ihnen zugegangen, doch das bedeutete nicht, dass sie ein einander besser leiden konnten.
„Wie lange kennt ihr euch schon?“
Matthew sprach nicht nur seine Muttersprache, Spanisch und sicher noch die ein oder andere Sprache ganz passabel, sondern auch fließend Sarkasmus und Ironie. Das – und auch das Verstehen selbiger - war eine Gabe, die nicht jeder Mensch sein Eigen nennen konnte und die Clarence schon in vielen dunklen Stunden die Momente erhellt hatte. Wann immer die Aussichten hoffnungslos waren, brach dieser Redeschwall aus dem Dunkelhaarigen heraus und hätte er es nicht sowieso schon getan, Claire hätte ihn mindestens für sein Schlappmaul und seine emotionalen Ausbrüche gleich noch mal geheiratet.
Trotz der Anspannung die ihn auch auf dem Weg zum Grünstreifen begleitete, legte sich ein kurzes Lächeln über seine Lippen während er einen verstohlenen Seitenblick zum Jüngeren warf. Manches Mal schon hatte er früher, natürlich heimlich, Cassie einfach nur so auf die Palme gebracht um seine Arien ganz gewollt über sich ergehen zu lassen. An manchen Tagen war ihm das dankbare Ablenkung gewesen zum sonstigen sinnfreien Plappern seines Gefährten, an anderen hatte er damit provotiert, dass der Kleinere überhaupt wieder mit ihm redete, nachdem sie durch einen Streit schon stundenlang kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten.
Selten nur konnte Matthew seine Emotionen vor seiner Umwelt verheimlichen und das war auch gut so, denn damit hatte er kompensiert was der früher verhaltene Jäger an gelebten Gefühlen zu wenig besaß und somit eine Brücke geschlagen, über die sie sich beide hatten entgegen kommen können um sich in der Mitte zu treffen. Heutzutage, da war Clarence sich sicher, würde er mit dieser Taktik zumindest auch bei Cameron gut fahren und zumindest bei Adrianna das Gefühl mildern, er würde sich verstellen um etwas zu verheimlichen.
Nichtsdestotrotz, so liebenswert der Ausbruch des Cassie-Vulkans auch war, der einstige Söldner hatte nicht Unrecht mit seiner fehlenden Vorfreude was Poison Ivy anging. Die Metropole war als gefährliches Pflaster verschrien, die meisten Besucher kehrten ausgeraubt oder verstört in ihre Heimat zurück – einige arme Seelen überhaupt nicht, wie man munkelte. Die Bewohner hatten ein anderes Rechtssystem als die meisten anderen Städte, Selbstjustiz wurde dort angeblich von den Friedenswächtern gebilligt oder durch Bestechungsgeld hingenommen. Gerüchten zufolge trafen besonders Fremde die Übergriffe dort hart und wie es unter den Ansässigen dort selbst aussah konnte man kaum sagen, zu wenige drangen überhaupt bis in die innersten Kreise vor, um die dortigen Strukturen zu durchschauen und davon berichten zu können. Wenigstens der Schwarzmarkt florierte damals wie heute, so viel war sicher, und meisten die sich überhaupt wagten einen Fuß in diese Stadt zu setzen taten es nur für die unzähligen dubiosen Marktstände in der Kanalisation, die aus Tradition heraus noch immer unterirdisch betrieben wurden, obwohl der Handel unter der Hand mit verbotener Ware schon lange kein Geheimnis mehr war.
Ein Mal war Clarence dort gewesen, hatte mit jedem Schritt tiefer in die Metropole hinein die wachsamen Augen aus den dunklen Gassen auf sich gespürt und in Gedanken dem Wetzen der Messer gelauscht, die man dafür präparierte ihnen die Kehlen aufzuschneiden. Letzten Endes, da war er sich sicher, hatte man sie nur wegen Nagi in Ruhe gelassen, der innige Kontakte zu den dortigen Gestalten hegte und sich sogar insofern dort einen Namen gemacht hatte, dass nicht mal der dortige Clan an ihn heran getreten war um ihn zu bedrängen. In manchen Situationen hatte es durchaus Vorteile gehabt an der Seite dieses Mannes zu wandeln, doch wie sich im Laufe dieses Besuchs bewiesen hatte, war das nicht immer der Fall.
Clarence‘ Lächeln schwand aus naheliegenden Gründen als der Inhalt des wenig verbindlichen Gesprächs auf ihre Herkunft fiel, ein Anlass der ihn nur wenig ambitioniert nach dem Stock greifen ließ, den dieses Mal Kain zum blonden seiner beiden Herrchen zurück brachte. Es war gut für die Hunde, dass sie den ganzen Tag unterwegs gewesen waren und die beiden sich hatten durchbewegen können, das würde ihnen in der Nacht vielleicht genug Ruhe verschaffen um nach Abheben vom Boden in der Luft und in ihren dunklen Käfigen ein wenig zu schlafen. Schon auf Reisen mit der Harper Cordelia hatte sich heraus kristallisiert, dass ein einziger langer Landgang den beiden nicht ausreichte um sonst auf hoher See nicht durchzudrehen vor Bewegungsdrang; so lange Tagesmärsche wie heute und gestern hatten sie selten, ein Wunder, dass die beiden überhaupt noch so viel Energie besaßen um zu Apportieren als ginge es um ihr Leben.
„Ich bin aus Stowe, westlich von Falconry, beinahe nördlich von Viridarium – zumindest von der Landkarte aus gesehen“, versuchte Cameron unterdessen am verständlichsten zu beschreiben wo sein Dorf lag. Sich anhand der Metropolen zu orientieren, selbst wenn diese tausende Meilen entfernt lagen, war keine Seltenheit, immerhin waren das so ziemlich die einzigen größeren Orte, von denen wirklich jeder wusste wo sie in etwa lagen. „Idyllisches kleines Nest. Viel Landwirtschaft und Schreinerei, manchmal größere Aufträge von außerhalb. Die Leute da sind sehr familiär, haben aber schnell Angst vor Veränderung, weshalb sie dir genau auf die Finger schauen bevor sie dich da ansiedeln lassen.“
Aber wer tut das nicht?, fragte er mit einem Schulterzucken in die Runde. Die meisten starben dort wo sie geboren waren und zogen nur selten hinaus in die Welt, um sich wo anders niederzulassen. Das war selten und wen man nicht von klein auf kannte, dem war man skeptisch gegenüber, wenn man nicht das Fernweh-Gen besaß und offen war für die Welt da draußen.
Auffordernd blickte er zu Adrianna hinüber und versetzte ihr sachte mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Seite, ganz so als müsse sie erst angetrieben werden irgendwas von sich Preis zu geben, was ja offensichtlich auch den Tatsachen entsprach.
Genervt verdrehte sie die Augen, schien angesichts dessen den Rest der Nacht keine Fluchtmöglichkeit vom Zeppelin zu besitzen, aber auch keine Spielverderberin sein und damit die nächsten Stunden die Stimmung endgültig ruinieren zu wollen.
„Ich komm von nirgends. Meine Familie war reisendes Volk, ich könnte überall geboren sein und bin überall aufgewachsen“, fasste sie ihren Herkunftsstatus so präzise wie es ging zusammen und drängte sich etwas an Camerons Seite, als einer der Hunde an ihr vorbei geprescht kam. „Wir haben unsere Lager im Sommer aufgeschlagen wo es schön und der Wald ertragreich war oder wo es Arbeit gab, um sich damit was zu verdienen. Bin mit vierzehn zum Clan gekommen und ein paar Jahre später kamen die beiden Jungs dazu. Man kennt sich also schon eine Weile. Und du, Claire?“
Besagter warf ihr ein wenig überzeugendes Lächeln zu das besagte, ihre Taktik konnte sie sich getrost in die Haare schmieren.
„Ssss…“, … nicht Sky, nicht Sky!!
„Señor Reed”, rette er gerade noch erfolgreich seinen Beinahe-Versprecher durch ein Husten, das ihn vermeintlich vom Weiterreden abgehalten hatte, „ist bereits in den fragwürdigen Genuss derlei Gesprächsthemen gekommen. Danke der Nachfrage.“
Am liebsten hätte er sie im Gegenzug danach gefragt, wie die Rothaarige doch gleich noch zum Clan gekommen war, doch im Gegensatz zu ihr besaß Clarence noch genug Anstand um derlei Bloßstellungen zu unterlassen. Wieder einmal zeigte sich, wie kontraproduktiv es sein konnte wenn andere Menschen zu viel über einen wussten, denn dadurch blieb es sicher nicht das letzte Mal dass Adrianna versuche derlei Karten auszuspielen, um bei Matthew Zweifel gegenüber seinem vermeintlichen Gefährten und Kontaktmann zu einem Jägerclan zu schüren.
Dieses Mal war es Abel, der ihm den Stock vor die Füße legte um weiter bespaßt zu werden und für einen kurzen Moment fragte sich der Hüne ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, sich dumm zu stellen und Matthew nicht doch in ein derartiges Gespräch zu verwickeln – einfach damit sein Mann keinen Vorwand mehr hatte um so kurz angebunden zu sein. Einerseits hatte Claire die Schelte des Blickes verstanden und dass sein Ablenken vom Besuch in Falconry Gardens ganz gegenteilig zu dem war was Matthew anscheinend gewollt hatte und unter normalen Umständen wäre er gut damit zurecht gekommen, wurde er nun im Gegenzug mit Schweigen abgestraft. Die Konstellation mit anderen Leuten im Schlepptau, denen gegenüber der Dunkelhaarige sich jedoch normal verhielt, hatte sie so aber noch nicht gehabt und auf eine ganz neue Weise schmerzte es ungewohnt, derartig von Matthew ignoriert zu werden.
„Schade, dass es Prism Shore nicht mehr gibt. Coral Valley, Rio Nosalida, jetzt noch Poison Ivy… bislang kein schlechter Schnitt. Wenn wir so weiter machen würden, bekämen wir wenigstens die anderen drei verbliebenen auch noch abgeklappert. Wer kann schon von sich behaupten, in seinem Leben alle Metropolen bereist zu haben? Nicht viele“, schlug er spaßeshalber an den Jüngeren gewandt vor um wenigstens irgendwie das Gespräch aufrecht zu erhalten und ihn dazu zu nötigen, ihn zu beachten.
„Wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja noch ein paar Lieferungen abzugreifen, wenn sie dich nach deiner Rückkehr nicht mehr an der kurzen Leine halten. Weit hergeholt ist das nicht“, schlug Barclay vor und brachte sich damit abermals in die Position des verdammtnochmal falschen Dunkelhaarigen. Schielte Clarence etwa?! „Immerhin hätten wir mit Poison Ivy das schlimmste fast zu Beginn hinter uns gebracht. Wenn Addy und ich es schaffen uns Rio Nosalida abzugreifen, sollte der Rest eigentlich auch mit Engelszungen möglich sein.“
Nur mit dem Unterschied, dass er gar nicht gefragt hatte, ob Cameron denn mitkommen wollte. Der Kerl begriff aber auch echt nicht, wenn er irgendwo nicht erwünscht war.
„Ihr zwei wollt euch ernsthaft im Winter für so einen Scheiß den Arsch abfrieren? – Männer“, verdrehte die einzige Frau in der Runde die Augen und brachte damit ein recht naheliegendes Argument vor, immerhin hatten wohl die wenigsten Leute den Wunsch danach, für so einen Kinderkram in irgendeiner Schneeböe zu erfrieren. Aber wer das dachte, der kannte eben Clarence und Cameron noch nicht.
„Dann nehmt ihr statt mir aber Patrick mit. Der hat wenigstens nicht mehr so viele Zehen, die er sich abfrieren kann.“
„Stowe?“, Cassie lächelte überrascht, was sein Gesicht jünger machte und für einen Augenblick den ernsten Ausdruck in seinen Augen vertrieb.
„Ich glaube da war ich schon. Hab bei einer älteren Dame übernachtet, die hatte einen Stall voller Esel. Sie wurde...ach shit wie wurde sie genannt?“ - er grübelte kurz. „Maultier Molly? Irgendwie so.“ - er grinste belustigt bei dem Namen. „Man, die war schräg!“
Und das war sie wirklich. Sein ganzer Aufenthalt in diesem Ort war schräg gewesen, weil es eines der wenigen Dörfer war in dem Le Rouge nicht schon bei Ankunft bekannt gewesen war. Man hatte ihm nicht den roten Teppich ausgerollt, noch nicht einmal als er sich beim Stadtrat vorgestellt und sein Anliegen vorgetragen hatte.
In Stowe war man erstaunlich unbeeindruckt von dem ach so großartigen Helden gewesen, etwas das Matthew damals irritiert aber auch amüsiert hatte.
Man hatte sogar ihn, Matthew Reed, nach seinem Befinden gefragt, danach ob es ihm gut ginge. Und so etwas war so gut wie nie vorgekommen, weil sich die Leute normalerweise nicht um Fremde scherten, auch nicht über junge Leute mit blauen Flecken oder Striemen auf der Haut.
Oder war das nicht in Stowe gewesen? Matt war sich nicht sicher ob er die Orte nicht miteinander verwechselte, bis zu dem Moment als Barclay überrascht und freudig ausrief
„Moira! Du meinst Maultier Moira! Alter, das gibts doch gar nicht, dass du dort warst!“, der Pomadengott strahlte und knuffte Matthew gegen den Oberarm. „Wann warst du dort?“, wollte er wissen und Matthew überlegte kurz.
„Das ist sicher an die zehn Jahre her, genau weiß ich es nicht mehr. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Maultier Moira den besten Cidre aufgetafelt hat, den ich je probiert hab. Und ich weiß seither, dass ich Käse aus Eselmilch zum Kotzen finde.“ - daraufhin lachte Barclay und widersprach „Eselkäse ist eine Delikatesse!“ - „Vielleicht in Stowe, aber nicht bei Menschen die zumindest ein bisschen Kultur haben.“ konterte Matthew grinsend, bevor wieder ein kurzer Moment Schweigen aufkam. In dieser Zeit stieß Barclay Adrianna an und auch wenn diese sichtlich wenig Interesse daran hatte etwas von sich zu erzählen, tat sie es schließlich.
„Reisendes Volk also...stell ich mir hart vor.“, versuchte es Matthew, in der Hoffnung das sie vielleicht darauf einging und mehr redete. Aber stattdessen ätzte sie in Richtung Clarence und versuchte Salz in Wunden zu streuen die hoffentlich so gut geschlossen waren, dass es nicht allzu wehtat.
„Señor Reed” atmete fast schon hörbar aus, als Clarence gerade noch die Kurve bekam und sie nicht auffliegen ließ. Er warf ihm einen schneidenden Blick zu und versuchte sich wieder zu entspannen, was leichter gesagt als getan war.
Der Vorschlag den der Blonde wenig später an ihn gewandt machte, ließ Matt aufhorchen und ihn zumindest wieder etwas versöhnlicher dreinblicken.
„Ich fände...“ - setzte er an, da mischte sich bereits Barclay ein und machte sich daran seinen Senf zum Thema abzugeben.
Geduldig ließ Matthew die beiden anderen aussprechen, bevor er sich selbst äußerte.
„Ich finde die Idee großartig. Noch besser fände ich nur, die Städte der Alten zu besuchen.“ - „Aber sonst bist du noch ganz bei Trost? Das sind Sperrzonen du Trottel.“ kommentierte Barclay und blickte verständnislos zu Matthew. „Das weiß ich selbst, aber habt ihr euch nie gefragt wie es dort aussieht? Was es dort alles zu sehen und zu finden gibt?“
Diese Form der Neugier teilte Barclay offensichtlich nicht mit ihm, denn er schüttelte den Kopf.
„Das wäre verrückt, Reed. Viel zu riskant. Keiner weiß was dort haust, aber gemessen an denjenigen die dort waren und zurückgekommen sind, wäre das Selbstmord.“ Es kam nämlich kaum einer zurück und selbst die waghalsigsten Plünderer mieden die Plätze der alten so gut es ging.
Von daher mochte Barclays Einwurf stimmen, es war riskant, aber es interessierte Matthew trotzdem.
Er zuckte mit den Schultern, um zu signalisieren, dass er von den Geschichten, die sich um die Städte der Alten rankten, nicht verängstigt war.
Flüche, Geister, Monster oder Irrsinn sollten einen jagen und heimsuchen, wenn man die Ruinen betrat. Nicht alle waren verseucht, aber selbst die Städte, die es nicht waren, waren verwunschen - so zumindest die allgemeingültige Meinung.
„Ich bin nicht an Selbstmord interessiert, aber durchaus daran die Welt zu sehen.“ - Adrianna gab daraufhin ein Schnaufen von sich, dass ein wenig wie ein galliges Lachen klang und wohl ihre Version von verquerer Belustigung darstellte.
„Da bist du ja dem Richtigen aufgesessen. Sky hat es noch nie gestört seinen Hals zu riskieren.“ - sie sah zu dem Blonden. „Hast du Reed deshalb mitgenommen? Weil er genauso lebensmüde ist wie du?“ Die Bemerkung hätte böse klingen können, tat sie aber irgendwie weit weniger als Matthew es erwartet hatte.
„Ich glaube ihr Jungs seid nicht ganz sauber, sogar Cam‘ , der hilflos Minderbemittelte weiß, dass das eine richtige Scheißidee ist.“ – „Hey!“ protestierte der Verunglimpfte und sah angefressen zu der Rothaarigen. „Poison Ivy ist auch eine richtige Scheißidee, trotzdem wollt ihr dorthin.“ argumentierte Matthew unermüdlich. „Sky! Was hast du mit Reed angestellt oder war der schon immer so drauf?“ – erkundigte sich die Rothaarige und fing sich nun ihrerseits einen Knuff auf den Oberarm ein – nicht von Barclay sondern von Cassie, der die Gunst des Augenblicks erkannte und nutzte. Die Unterhaltung zwischen ihnen war zwar bissig, aber vermisste den bisherigen bösen Unterton. Sofort, beinah reflexartig schnell, schlug die junge Frau zurück, wobei sie präzise einen Muskel in Cassies Oberarm traf und ihre Fingerknöchel bemerkenswert wehtaten.
Allerdings hatte Matthew eine Schmerztoleranz die weitaus höher lag als bei den meisten sonst, weshalb er noch nicht mal mit der Wimper zuckte und einfach weitersprach, ganz so als hätte er den Hieb kaum bemerkt. Um den blauen Fleck der sich zweifellos bilden würde, würde er dennoch nicht herumkommen.
Die Satanstochter schlug echt nicht wie ein Mädchen...
„Sky hat gar nichts gemacht, ich war schon so bevor wir uns kennengelernt haben, wäre das nicht der Fall, würde ich euch wohl kaum folgen.“ Adrianna, die den Knuff zumindest nicht mit einem Tritt oder Schlag ins Gesicht gekontert hatte, schien gar nicht recht zu wissen was sie von Matthew halten sollte.
Er war ihr suspekt, aber er wirkte derart harmlos, dass es sie irritierte.
„Was würde Grace nur von so viel Leichtsinn halten?“, wollte sie wissen, doch statt den Dunkelhaarigen damit aus der Reserve zu locken, zuckte dieser nur mit den Schultern.
„Sie weiß wie ich bin, sie kennt mich. Ich war noch nie der Typ dafür länger an einem einzigen Ort zu bleiben. Die Welt ist groß und…schön, trotz allem. Manche bleiben ihr Leben lang an dem Flecken Erde an dem sie geboren wurden. Das will ich nicht und wollte es auch nie.“
Diese halbe Lüge – immerhin wollte er durchaus ein festes Zuhause mit Clarence, kam ihm vollkommen flüssig und vollkommen überzeugend über die Lippen.
„Na dann bist du bei uns richtig aufgehoben, klingt nach jemandem den wir gebrauchen können.“, verkündete Barclay optimistisch, so als habe er überhaupt keine Zweifel daran, dass Matthew die Wahrheit erzählte. Ob der Kerl wirklich so leichtgläubig war, nur so tat oder sich aktuell einfach wirklich keine Gedanken machte, dass konnte Cassie nicht einschätzen.
Vielleicht spielten Adrianna und er auch eine Art Spielchen, um ihn auf die Probe zu stellen. Theoretisch war auch das möglich.
„Vielleicht hatte Sky doch den richtigen Riecher dich mitzunehmen. Was meinst du, Addy?“
Addy, da war Matt sich ziemlich sicher, würde nie ein großer Fan von ihm werden. Aber das war okay, so lange sie ihn als harmlos betrachtete und ihn nicht ständig im Auge behielt.