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Strand

13. Juni 2210


Clarence B. Sky

Dass die Zeiten der Selbstgeißelung schon lange vorbei waren, bewies nicht nur Clarence‘ offener Umgang mit seinem Mann, sondern auch die Tatsache, unlängst knirschten über den Steinchen auf der Straße feste Schuhsolen. Über so viele Jahre hinweg hatte sich der blonde Christ, der sonst so voller Güte für seine Liebsten war, auf eine Art und Weise selbst verletzt, dass es in keinerlei Maß stand zu dem Rest seines Seins. Er hatte sich auf bestialische Weise seine eigenen Finger abgetrennt, hatte sich damals in den Wäldern nicht zum ersten Mal beinahe zu Tode gehungert und die wanderlustigen Füße derart blutig geschunden, dass es an manchen Tagen nahezu unmöglich schien auch nur einen einzigen Meter weiter zu marschieren.

Erst mit Matthew hatte die Selbstkasteiung des Bären ein Ende gefunden und das höhere Glück, welches Claire in seinen Entbehrungen zu erspähen versucht hatte, war ihm nicht etwa im Schmerz erschienen – sondern in der Liebe, die ihm ein anderer Mensch schenkte. Der Dunkelhaarige war ihm Vergebung und Versöhnung mit seinem eigenen Dasein, war ihm Zukunft geworden am Ende eines Labyrinths, das lange keinen Ausweg zu beherbergen schien.

Was Matthew ihm bedeutete, mochte dieser nicht mal im Ansatz begreifen können… aber Clarence erwartete das auch nicht von seinem Mann, solange dieser nur bei ihm war.

Und genau das tat er heute auf eine ganz neue und allumfassende Weise.

Die Art wie Cassie ihn neckte, seine Gedankengänge auf gewohnt freche Weise untergrub als wäre seine ganze Existenz lediglich darauf ausgerichtet den Bären zum Wanken zu bringen und ihn kritisierte, all das beschwor schon lange kein Unbehagen mehr in dem Christen herauf und veranlasste ihn gar letztlich dazu, bloß so hurtig wie möglich Distanz zwischen sie zu bringen und im nahen Geäst zu verschwinden. Er hatte begriffen, all die gegensätzlichen Ansichten waren nicht etwa ein Grund für den Jüngeren ihn früher oder später zu verlassen – sie waren Ausdruck der Zuneigung seines Partners und Einladung, ein Stück weit auch in die fremden Welten im Oberstübchen neben sich abzutauchen.

„…und nur weil irgendwann irgendwer zufällig ein paar Bücher gelesen hat wie du es getan hast, macht ihn das noch lange nicht zu einem Buchkritiker“, konterte der Jäger im gleichen Tenor wie sein Partner ihn angeschlagen hatte und schüttelte den Kopf über derartige Engstirnigkeit, wie sie nur ein Matthew Cassiel Reed anschlagen konnte. Dass dieser Vergleich völlig unsinnig war, blieb dahingestellt, doch auch Cassies Argumente hatten nicht gerade Hand und Fuß.

Natürlich läge es nahe gewisse Dinge abzuwenden zu versuchen wenn man von ihrem Eintreten wusste, aber wie um alles in der Welt sollte ein junges Mädchen das bewerkstelligen, wenn es eingesperrt hinter den dicken Mauern eines Sanatoriums festsaß? Wie sollte ein einziger unbedeutender Mensch einen ganzen Krieg aufhalten, wenn er ganz sicher nicht bis an diejenigen Wenigen heran kam, die dafür verantwortlich waren?

Je weiter sich der Dunkelhaarige in seine wilden Thesen und Gedankengänge verstrickte, umso mehr Unverständnis legte sich in die blaugrauen Iriden des Größeren, die voller Skepsis auf den jungen Mann an seiner Seite hinab blickten.

So manches Mal hatte Clarence sich schon gefragt wo Cassie eigentlich gewesen war wenn sie gemeinsam Sachen erlebten, denn am Ende klangen die Erzählungen seines Partners teilweise völlig anders als seine eigenen und auch ihre Erinnerungen von Abläufen schienen nicht immer die gleichen zu sein. Das fing bei ihrem Ausflug ins Spinnenfeld an, wo Matthew steif und fest behauptete der Jäger hätte die Situation niemals unter Kontrolle gehabt während Clarence sich sehr wohl daran erinnerte diesem Typen gesagt zu haben, sich bloß nicht zu rühren wenn sie einer Spinne begegneten – was Cassie schon beim ersten Kontakt zum Anlass genommen hatte, Hals über Kopf davon zu rennen und das Vieh mit irgendwas zu bewerfen. Und diese Diskrepanzen endeten damit, dass sein Mann ihm gerade klar zu machen versuchte, Mutanten seien keine Dämonen.

„Ich hab Fantasie und einen Faible für Interpretation? Ich glaub ich hör nicht richtig.“

Ihn hatte selten etwas, das aus diesem niemals überlegenden Mund kam, derartig empört wie der heutige Vorwurf und einmal mehr wurde offensichtlich, wie wenig Matthew sich in Wahrheit für die Dinge interessierte, mit denen Clarence die letzten Jahre über seinen Lebensunterhalt verdiente – und das, obwohl er vor wenigen Monaten noch in einem Überschwall jugendlicher Naivität darum gebeten hatte, ihn selbst zu einem Jäger auszubilden.

„Falls wir irgendwo ein Buch finden, in dem ein Protagonist namens Clarence seinen nervigen Liebhaber namens Matthew um die Ecke bringt weil der ihn zu sehr auf die Palme getrieben hat, dann sei dir gewiss: Da konnte der Autor ganz bestimmt die Zukunft voraussehen.“

Die lag aber zum Glück noch ziemlich fern, wie Clarence trotz seiner harschen Worte bekräftigte, indem er diesen Taugenichts von Mann dichter an sich heran zog.

„Wärst du mal nicht nach fünf Minuten aus dem Zimmer abgehauen als ich dich zum Exorzismus in Pine Grove mitgenommen hab oder zu einer der unzähligen Geisterjagden, auf die du immer so dankend verzichtet hast. Dann hättest du Dämonen und Geister vielleicht tatsächlich mal mit eigenem Auge erblickt und wüsstest, die sind real“, äffte er den Dunkelhaarigen erstaunlich treffend nach und pfiff für einen Moment schrill nach ihren Hunden, die schon wieder drauf und dran waren, aus dem ihnen erlaubten Radius auszubrechen.

„Und dann wüsstest du, dass Dämonen ganz sicher nichts mit Muties zu tun haben und Muties nichts mit Tieren – zumindest nicht in dem Rahmen, in dem sie sich die letzten Jahrzehnte über entwickelt haben. Wir reden hier nicht von einem Lamm mit acht Beinen oder so einem bekloppten Eichhörnchen mit zwei Köpfen wie da hinten, Matthew, sondern von Mutationen die sich nicht mal eben so mit einem Pfeil zwischen die Augen erledigen lassen. Wäre dem so, denkst du ernsthaft, dass irgendwer auf der großen weiten Welt diese ganzen Jägerclans bräuchte, die sich ihr ganzes Leben lang ausschließlich mit diesen Themen beschäftigen?“

Er ging ja immerhin auch nicht davon aus, dass Auftragsmord nicht existierte so lange er ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hatte oder dass Zeppeline nur der Fantasie und dem Faible für Interpretation irgendwelcher Irrer entsprangen, die mal einen komischen Vogel aus der Ferne am Himmel gesehen hatten.

Cassie mochte es mit keinem einzigen Wort so ausgedrückt haben, aber über die vergangene Zeit hinweg lernte man sehr gut zwischen dessen Zeilen sein eigentlich Gemeintes zu erkennen, wenn man es denn hören wollte. Und was sein Mann da gerade ausdrückte, gefiel Clarence so gar nicht – ganz egal ob der Kerl ihm trotz allem die Bücher versprach oder nicht. Da ging es ihm gerade einfach ums Prinzip.

„Lass mich raten: Hexenwerk ist für dich nichts weiter als optische Illusion und der Glaube einiger Zurückgebliebener an das Unmögliche, nicht wahr? Dann lass dir was sagen… Wenn ich eins schon immer gerne ausgerottet hab, dann sind es diese miesen Hexen. Ich würde diese Menschen ganz sicher nicht bei lebendigem Leib voller Genugtuung abfackeln, wenn ich ihre Magie nicht mit eigenem Auge gesehen und am eigenen Leib zu spüren bekommen hätte und ich denke nicht dass es meiner Fantasie oder meinem Faible für Interpretation entspricht, wenn sich im tiefsten Winter plötzlich Pflanzen aus dem Boden ranken um innerhalb von Minuten ein Haus zu umwuchern.

Du magst das ja anders sehen, aber ich kann dich auch gerne als Bauer zuerst vor mir her in die Schlacht schubsen, wenn uns das nächste Mal etwas über den Weg rennt von dem ich jetzt schon weiß, dass du es nicht klein bekommen wirst mit deinem Mangel an Fantasie und Interpretation.“


Matthew C.Sky

Eigentlich war Cassie ein sehr überzeugender Redner, zumindest dann wenn er es darauf anlegte. 

Sein Verhandlungsgeschick war etwas das ihm in die Wiege gelegt worden war und das selbst Le Rouge immer wieder beeindruckt hatte. 

Wenn Matthew es darauf anlegte gute Beziehungen zu knüpfen oder jemanden von seiner Idee zu überzeugen, dann konnte er betreffende Person mit den richtigen Worten schnell für sich gewinnen. Clarence mochte es ihm nicht zutrauen, weil der Dunkelhaarige fast nie still war und permanent plapperte - oft genug auch Unsinn - aber sein Ehemann konnte, rein theoretisch, einem Menschen alles nahelegen oder ausreden. Er traf instinktiv den richtigen Ton, die korrekte Mischung aus Argumenten aber nie ohne die Flammen der Empathie zu schüren. 

Es musste dem Christen wie eine Prüfung erscheinen, dass ausgerechnet jener Mann, der so takt- und reizvoll mit Worten aus Fremden Freunde schaffen konnte, ihm gegenüber nicht ein Quäntchen jenes Taktgefühls an den Tag legte. 

Dass er eine unsichtbare Linie überschritten hatte mit seinem unüberlegten Gerede offenbarte sich Matthew just in dem Moment, als Clarence seine eben vernommen Worte wiederholte. Fantasie und einen Hang zu Interpretation. 

Genau das hatte er gesagt - auch wenn Clarence glaubte nicht richtig zu hören. 

Noch vor wenigen Monaten wäre die Entrüstung des Größeren vermutlich in Distanz und Schweigen umgeschlagen und sie wären sich für Stunden aus dem Weg gegangen. 

Heute jedoch konterte er schnippisch und doch irgendwie charmant...zumindest empfand Matthew es so, was sich darin widerspiegelte, dass er kurz auflachen musste bei dem geschickten Konter. 

„Ich muss dir zugestehen: mir hat noch nie jemand eine so schöne Morddrohung gemacht. Trotzdem sag ich dir schon jetzt, sollte mir dieses Buch jemals in die Hände fallen, werde ich es dir einfach nicht verraten. Außerdem bin ich dein Ehemann und nicht dein Liebhaber - so viel Detailverliebtheit kannst du dir schon leisten.“ 

Aber ob nun mit oder ohne Details, Bücher waren irgendwie gerade schon gar nicht mehr das Thema. Es ging nicht mehr darum wie wahrscheinlich es war, dass die Autorin von Scherben aus Glas in die Zukunft hatte blicken können. Mittlerweile ging es um...Fantasie und den Hang zur Interpretation. Und zwar in Clarence’ Berufszweig. 

Dass Matthew von den Gepflogenheiten der Jägerclans nicht viel wusste, daraus hatte er nie einen Hehl gemacht und somit stand es ihm vielleicht gar nicht zu derart unqualifizierte Bemerkungen zu machen wie er sie von sich gegeben hatte. Aber was gesagt war, war gesagt und daran ließ sich auch nichts mehr ändern. Die Linie war übertreten worden und Cassiel sah sich einem aufrichtig entrüsteten Clarence gegenüber, der ungewohnt offensiv deutlich machte was er von Matthews Einschätzung hielt. Nämlich rein gar nichts. 

Natürlich hatte er sich in der Vergangenheit sehr zurückgehalten wenn es darum gegangen war Clarence bei der Bewältigung seines Jobs zur Hand zu gehen. Dass hatte aber mehrere Gründe und war weder Feigheit noch Faulheit zuzuschreiben. Viel eher hatte Clarence ihn auch nicht gerade ermuntert sich einzubringen, stattdessen hatte er immer von irgendwelchen Gefahren schwadroniert. Dämonen könnten ihn übermannen wenn er keine Amulette oder Schutzzeichen trug, er könne den Verstand verlieren bei einem Exorzismus oder sterben, sollte die übersinnliche Macht ihn verschlingen weil er keinen Schimmer hatte wie man ihr richtig begegnete. 

All diese Erzählungen hatten Cassiel nicht gerade suggeriert er sollte sich tiefer mit der Materie beschäftigen. Der erste und einzige Exorzismus dem Matthew anfänglich beigewohnt hatte und der nun von Clarence angeschnitten wurde, war in Pine Grove gewesen.

Damals war ihm schon nach kurzer Zeit ziemlich unwohl geworden, er hatte das Gefühl gehabt keine Luft mehr zu bekommen und in dem kleinen Zimmer zu ersticken. 

Also hatte er das Haus verlassen und draußen gewartet.

„Reg dich nicht so auf, alter Mann - ist nicht gut für dein Herz.“, Clarence steigerte sich gerade ziemlich rein, fraglich war jedoch ob Matthews Bemerkung geeignet war selbiges zu verhindern. 

„Ich hab das nicht...böse gemeint, es ist nur...“, versuchte der Jüngere einzulenken und überdachte seine Wortwahl dieses Mal sorgfältiger. 

Doch statt ihm jenen Augenblick zu gönnen, moserte der Bär weiter. Er wetterte wie ein Rohrspatz, schimpfte und stichelte und Cassie wusste schon bald nicht mehr ob er sich nun angegriffen fühlen sollte oder nicht. Noch immer unschlüssig darüber, machte er den Mund wieder zu und ließ seinen außer sich geratenen Lieblingsjäger weiter schimpfen. 

Ihn vorschicken wollte er also, ihn als Bauernopfer ins Verderben rennen lassen, auf das er zumindest in den letzten Sekunden seines Daseins erkannte, dass Geister und Dämonen nichts mit Fantasie oder einem Faible für Interpretation gemein hatten. 

Ein schiefes Grinsen legte sich bei diesen Worten auf Matthews Lippen und er kniff dem Größeren neuerlich in den Hintern - dieses Mal etwas fester, damit Clarence es als Rüge begriff. 

„Hey! Red nicht so daher als hätte ich den Sinn von deiner Arbeit und deinem ganzen Berufszweig in Zweifel gezogen. Alles was ich gesagt habe ist, dass mir noch niemand bewiesen hat dass Dämonen keine Muties sind und Geister nicht vielleicht einfach Naturphänomene.

Wenn ich mich irre und du hast recht: fein. Dann werde ich dich offiziell um Entschuldigung ersuchen, aber bis es soweit ist, pflege ich meine Zweifel was das angeht und du pflegst deine Überzeugung.“

Mit Beweis waren jedoch keine Romane der Alten gemeint und schon gar nicht wenn jene in einem Sanatorium festgesessen hatte. Denn was Clarence als Indiz für die Glaubwürdigkeit jener Autorin sah, bewerte Matthew völlig konträr. Es hatte vermutlich gute Gründe dafür gegeben die Frau aus dem Verkehr zu ziehen. „So wie ich die Sache sehe, hatten die Alten eine sehr hohe Messlatte was die Definition von Wahnsinn anging. Ich meine...sieh dich nur um. Wenn diese Frau es geschafft über diese Latte zu springen...“, mehr musste er dazu nicht sagen um auszudrücken, dass er glaubte sie sei im Sanatorium am richtigen Ort gewesen. 

„Alles was ich bisher über Dämonen weiß, weiß ich aus Büchern die von Leuten verfasst wurden deren Job es ist über dieses Thema zu schreiben. Oder Leute reden davon die ein Irrlicht für einen Kobold halten.“ - dass war nur die halbe Wahrheit und Matthew wusste, dass Clarence es wusste. Er hatte ihm von White Bone erzählt, davon das man seine Freunde an Wendigo verfüttert hatte und auch ihn jenen Wesen hatte opfern wollen. 

Er hatte sie gesehen...Wesen die nichts glichen was er schon mal irgendwann anders gesehen hatte. Sie waren anders und schienen einerseits aus Fleisch und Blut andrerseits jedoch vollkommen leer. In ihren Augen hatte etwas gelegen...aber Leben war es nicht gewesen. 

Jedenfalls keine Form von der der junge Mann wusste. 

Aber was auch immer er im Skull Forest gesehen hatte, dass es Dämonen waren wollte er nicht zulassen zu glauben, denn dass hieße, jene Männer hätten Erfolg gehabt. 

Sie hatten seine Freunde getötet - auf unvorstellbare, grausame Weise - aber das sie es taten um mit jenen Wesen in Kontakt zu kommen und zu bleiben und damit sogar durchgekommen waren.... das war ein Gedanke den Matthew sich nicht erlauben konnte, denn er machte das Geschehene noch schlimmer.  

Cassiel schüttelte sacht den Kopf um die Gedanken an jene Nächte zu verdrängen, dabei waren die Erinnerungen noch immer vollkommen klar, aber weiter darüber nachdenken wollte er nicht. 

Ich habe dich außerdem darum gebeten mir ein paar Dinge beizubringen, aber alles was ich von dir dazu gehört habe war: -“ er räusperte sich und machte eine kurze, gewichtige Pause. 

„Mimimimimi“ - mit übertrieben hoher Stimme gab er jenes Zitat zum Besten und schenkte seinem Mann ein herausforderndes Grinsen, wissend das sie diesbezüglich wahrscheinlich auf keinen gemeinsamen Nenner kommen würden.  

Doch alle unterschiedlichen Sichtweisen und Einstellungen konnten nicht darüber hinwegtäuschen,  dass jenes Thema - wie auch zahllose weitere - keinen Nährboden für einen echten Streit mehr bot. Was früher unzweifelhaft eskaliert wäre, stellte heute nicht mehr als einen kleinen Disput dar, der Matthew sogar irgendwie amüsierte. 


Clarence B. Sky

Es stimmte, früher hätte Clarence die Distanz zu seinem Partner gesucht sobald ihm etwas an dessen Äußerungen missfallen hätte, aus ganz diversen Gründen. Einerseits um einem Konflikt zu entgehen, aus Angst den Jüngeren früher oder später zu verlieren, auf der anderen Seite auch vielleicht, um sich nicht die Blöße zu geben mehr aus seiner Gedankenwelt zu präsentieren als nötig. Er war introvertiert gewesen aber nicht schüchtern, die Notwendigkeit sich zu offenbaren hatte ihm nie eingeleuchtet und zu einem gewissen Teil sogar, eventuell vielleicht, hatte sich der Jäger auch der unausweichlichen Komik gescheut, die mit solch einem Konflikt einher gehen konnte.

Dinge die Spaß machten, die einem Freude bereiteten und bei den meisten Menschen ein Lachen provozierte, war er einfach aus dem Weg gegangen – im wahrsten Sinne, denn die räumliche Entfernung hatte ihn davon bewahrt mehr an sich heran kommen zu lassen als nötig. Wovor er die größte Angst gehabt hatte, nämlich der Fluch der auf ihm lastete, hatte keinen Nährboden erhalten sollen um sein Leben noch negativer zu beeinflussen und dadurch hatte Clarence sein Leben selbst der Essenz beschnitten, die wichtig war für ein ausgeglichenes Sein: Nämlich Freude, Lebenshunger und Spaß am Miteinander selbst.

Heute, etliche Monate und einen Ehemann statt Liebhaber später, wusste der Blonde wie wertvoll jenes Quäntchen war, das er allzu lange für sich selbst verneint hatte. Alleine schon wie beharrlich Matthew darauf hinwies weit mehr als nur derjenige zu sein der mit ihm das Bett teilte, ließ trotz ihres dezenten Streitgespräches ein selbstzufriedenes Lächeln auf seinen Lippen erscheinen welches ihn selbst begreifen ließ, wie glücklich ihn alleine der Umstand bereits machte, dass sie beide durch mehr verbunden wurden als nur ein gemeinsamer Weg oder gar ein bisschen Liebe.

Der Mann, der früher als Schützenjäger in jeder noch so kleinen Ortschaft sein Unwesen getrieben hatte, war heute durch eine Heirat mit ihm verbunden und die einzige sinnbildliche Schütze, unter welche jener Kerl haschte, war heute die des Christen. Clarence war niemals ein Mensch gewesen mit Komplexen die ihm einredeten er sei nicht gut genug für einen anderen oder man müsste sich wegen irgendetwas für ihn schämen, aber einen Matthew Cassiel Reed unter die Haube bekommen zu haben, darauf war selbst der Jäger stolz. Auf sich selbst, aber auch auf die gutaussehende und freche Jagdtrophäe an seiner Seite.

Eben jene nutzte die vorwitzigen Finger schon wieder dazu um ihn unter Vorwand einer Rüge unsittlich zu begrabbeln – jedenfalls war Claire sich sicher, dass es in Wahrheit Letzteres war – und ließ dadurch den bequemen Gang kurz ins Stolpern geraten, da sein Mann in seiner Fummelei langsam ziemlich harsch mit ihm wurde.

„Die Alten und ihre Messlatte für die Definition von Wahnsinn hält heute noch ganz gut an, denke ich. Es kann halt nur nicht jeder Bekloppte den Weißkitteln davon kommen oder als unheilbar aus dem Sanatorium entlassen werden, so wie es bei dir der Fall war“, stellte er die geistige Gesundheit seines Mannes offen infrage, aber da sie sich vorm Altar das Versprechen gegeben hatten in Wohlsein wie in Krankheit zusammenzuhalten, würde er den armen Teufel in seinem Arm bestimmt nicht in Rio Nosalida oder wo auch immer wieder abgeben und einliefern lassen.

Matthews Einwände bezüglich seiner unterlassenen Einarbeitung klangen ernster als der Jäger es erwartet hätte, umso verwunderter war der Blick, den sein Mann sich schon wenige Augenblicke später einfing. Cassie war der Typ Mensch, der sich schnell durch etwas begeistern ließ, dessen Aufmerksamkeit aber auch schnell wieder abflaute wenn die Dinge nicht so liefen wie er sie sich erhoffte oder sich nicht die erwartete Zufriedenheit einstellte, die neue Projekte einem versprachen. Die Bitte ihm etwas beizubringen hatte Clarence also als das interpretiert was sie sonst immer verlässlich war – nämlich unüberlegtes Geplapper, das wenige Tage später bereits wieder beim Jüngeren in Vergessenheit geriet.

Aus der gewichtigen Pause, die auf das Räuspern des Kleinerne folgte, erwartete der Blonde also nichts weniger als eine neue Diskussionstirade, doch alles was sein Mann ihm als Argument entgegen brachte war das hand- und fußloseste, das Cassie zu bieten hatte und für gewöhnlich das Öl, welches der Kerl voller Freude in den eh schon schwelenden Großbrand ihrer Streitigkeiten kippte. Sie wussten beide, dass der Bär von Mann weder so klang, noch jemals nörgelnd an irgendwelchen Bitten seines Partners herum diskutierte – hässliche Winterjacken mit Tierohren ausgenommen – und das herausfordernde Grinsen Cassies war eines jener Sorte, in das Fremde mit Vorliebe und ihrem geballten Fäusten hinein schlugen.

Doch wider Erwarten war es keine Empörung die Clarence in sich aufwallen spürte, keine Genervtheit ob seines vorlauten Mannes und nicht mal das geringste Quäntchen Unmut ob so viel Dreistigkeit, dass es ihn früher in das Dickicht der Büsche zurück gezogen hätte. Stattdessen überkam Clarence ein heiteres Lachen, so ehrlich und frei, dass ein paar nahe Krähen erschrocken von den zerfallenen Simsen der verlassenen Häuser aufstiegen.

Mimimimimi?!“, widerholte er amüsiert, wenn auch nicht ganz so piepsig wie der Jüngere es von sich gegeben hatte, und schüttelte desillusioniert über die bisher angenommenen rhetorischen Fähigkeiten seines Nebenmannes den blonden Schopf. „Ich glaube du bist wirklich aus der Klapse abgehauen, kann das sein? Verrückter Hund du.“

Vermutlich war heute der erste Tag in den ganzen zurückliegenden Monaten, an dem Clarence wirklich begriff und fühlte wie urkomisch sein Liebhaber zuweilen sein konnte, ohne es dabei als gemeine Stichelei zu meinen. Cassie war anders seit heute Morgen, mit hoher Wahrscheinlichkeit nur in den Augen des Jägers, aber das änderte nichts daran mit welcher neuen Wahrnehmung er den Mann an seiner Seite jüngst begriff und vor allem lieben lernte.

Mit einem Funkeln in den blaugrauen Iriden, das ganz und gar ungewohnt war für jene die Clarence kannten, zog er seinen Liebsten enger an sich heran und beugte sich warm brummend zu ihm hinab, um Matthew einen genüsslichen Kuss abzuverlangen. Völlig vergessen war seine Empörung über die Kritik seines Berufsstandes, die Infragestellung der Bücher die er suchte oder der Vorwurf von zu viel Fantasie und einem Faible für Interpretation. Alles was im Augenblick blieb, war dieser unverschämt süße Kerl an seiner Seite, der ganz alleine ihm gehörte und niemandem sonst auf der großen weiten Welt.

…du kannst verdammt froh sein, dass wir uns mitten auf offener Straße befinden und du deshalb nicht auf der Stelle von mir vernascht wirst, Kleiner“, raunte Claire samtig der Jagdtrophäe an seiner Seite zu und klaubte sich einen weiteren kurzen Kuss, bevor er den Arm von dessen Schultern nahm um Cassie einen auffordernden Klaps auf den Allerweitesten zu geben.

Verdammt. Froh. Und jetzt leg einen Zahn zu, da vorne ist eine Kreuzung und mein heißer gebildeter Ehemann muss für mich die Straßenschilder lesen, damit wir entscheiden können in welche Richtung wir weiter gehen.“ – Besser Matthew löste sich jetzt von ihm als später erst in fünf Minuten, denn dann würde er wirklich nicht mehr dafür garantieren können, dem Kerl nicht hier und jetzt an die Wäsche zu gehen.

Sorgsam haschte er wenigstens wieder nach der Hand seines Mannes und zog diesen geschickt durch den Dschungel der verrotteten Automobile hindurch, die wohl als Folge einer Massenkarambolage die halbe Straße versperrten und hielt dabei so gut es ging Ausschau nach Kain und Abel, damit ihm bloß nicht wieder einer der beiden verloren ging.

Hinter dem Chaos aus abgeblättertem Lack, herumliegenden Plastiktellern – die wohl eigentlich auf die Räder gehörten, so wie es aussah – und Schutt hindurch, erhob sich hinter den Metalldächern der motorisierten Kutschen ein großes von Moos und Pflanzen überwuchertes Becken, das vermutlich mal ein großer Springbrunnen gewesen war, wie man es aus den Parks von Coral Valley und anderen Metropolen kannte. Das springende Wasser war schon lange versiegt, auf dem Boden des Brunnens glänzte aber noch immer eine brackige Oberfläche, vermutlich vom letzten Regen genährt und am Leben erhalten – was man von den Überresten einer Wasserschlange nicht mehr behaupten konnte, deren Kopfhälfte er nirgendwo erkennen konnte.

Wachsam ließ er den Blick über die abgehenden Straßen hinweg streifen, suchte nach den Zeichen von Bewegung oder Leben im näheren Umkreis, doch wo auch immer sich die Gefahren dieser Stadt versteckt hielten: Hier waren sie nicht und das war etwas, das Clarence eindeutig missfiel.


Matthew C. Sky

Schallendes Gelächter ließ nahe Vögel von Häusersimsen in den Himmel aufsteigen, hin zu dem was sie fälschlicherweise für die Sonne hielten. 

Dabei war der grelle Ball oben im Himmelblau nichts im Vergleich zu dem Mann der neben Matthew ging und der selbigen überschwänglich an sich zog um ihn plötzlich zu küssen. 

Warm und weich vereinnahmte Clarence seine Lippen die noch immer lächelten und Matt machte für den Moment die Augen zu. 

Er konnte sich an keinen einzigen Augenblick in seinem Leben erinnern an dem er sich schon mal besser gefühlt hatte. Das Glück, sonst oftmals nur oberflächlich und für einen kurzen Moment empfunden, schien ewig zu währen. Seit er heute aufgewacht war, war zwischen ihnen alles anders geworden und doch noch immer gleich. 

Matthew liebte seinen Mann schon viele Monate, jenes Gefühl war nicht neu. Aber die Innigkeit, die Freude daran miteinander zusammen zu sein, das bedingungslose Glücksgefühl sich gefunden zu haben...diese Empfindungen hatten eine Steigerung erfahren, sodass Cassie sich nicht vorstellen konnte, er könne unter irgendwelchen Umständen noch glücklicher sein als er es gerade eben war. 

Clarence Lachen war das schönste und vollkommenste Geräusch das er je gehört hatte und wann immer Matthew es hörte, machte es auch etwas mit ihm. 

Jahrelang hatte der Blonde es nicht vermocht in Gelächter auszubrechen, egal ob eine Schlange Matthew in den nackten Hintern gebissen hatte, der Kleinere sich ungeschickt beim Entzünden des Lagerfeuers anstellte oder versuchte durch alberne Späße die Stimmung aufzulockern. 

Monatelang hatte Clarence nicht mal mit der Wimper gezuckt, später hatte er zumindest mal gegrunzt....was Cassie gelernt hatte als vages Amüsement zu deuten. Bis zu einem echten Lächeln war viel Zeit vergangen und nach allem was Clarence ihm schließlich anvertraut hatte, hatte Matthew nicht geglaubt seinen Mann je lachen zu hören - zumindest nicht bis sie aktiv den Fluch gebrochen hatten, der auf ihm lag. 

Bis heute war Cassie nicht klar was sie getan hatten, was der entscheidende Schritt gewesen war...aber ihm war klar, dass sein Mann den Fluch hinter sich gelassen hatte. 

Ruby Sue war nur noch Teil seiner Vergangenheit, ihr Einfluss auf die Gegenwart war, Jahre nach ihrem Tod, endlich erloschen. 

Der Kuss den Clarence ihm schenkte schmeckte nach Zuversicht und Glück und gerade weil dem so war, konnte Cassie einfach nicht aufhören zu grinsen. 

Sie wussten beide, dass ein Moment wie dieser früher undenkbar gewesen wäre - und zwar gleich aus mehreren Gründen.

Clarence hätte die Worte des Kleineren als Angriff gewertet, als Schmähung seiner Berufung und vielleicht sogar als Schmähung seiner selbst. Er hätte Matthew einen überheblichen Penner genannt und wäre aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Situation geflohen. Und Matt? Er hätte vermutlich Öl ins Feuer gegossen, beleidigt und genervt von der Reaktion des Größeren. Auf diese Weise wäre ihr Tag zusammen und doch einsam verlaufen... Diese Art des Zusammenseins hatte Matthew nicht nur verärgert, sondern ihn oftmals auch einfach traurig gemacht. Er hatte in Clarence schon früh mehr gesehen, aber ihm hatte der Mut gefehlt sich das einzugestehen, ihn zu fragen was mit ihm los war, warum er so wortkarg war, warum er so schonungslos zu sich war. Ihm war natürlich der Kummer in den fremden Augen aufgefallen, der sich leicht mit Abweisung verwechseln ließ. Doch anders als die Allgemeinheit, hatte Clarence ihn durch seine schroffe Fassade nicht davon ablenken können zu sehen, was hinter jener Kruste aus Eigensinn und Kompromisslosigkeit steckte. 

Ein Mann mit Ehrgefühl, ein Mann der sich um andere sorgte, ein Mann der selbstlos handelte wenn Selbstlosigkeit nötig war. Ein Mann mit einem Herzen aus Gold.

Sie kannten sich fast zwei Jahre - eine kleine Ewigkeit nach den Maßstäben der heutigen Gesellschaft - und doch lag noch so viel Zeit vor ihnen. Sie würden einander noch viel besser kennenlernen, würden noch viel mehr wunderbare Momente teilen und noch oft zusammen lachen. Jene Gewissheit spürte Cassie heute zum ersten Mal in sich und vielleicht war das auch der Grund, warum er Clarence nun mit anderen Augen sah. 

Es war mehr ein Gefühl als etwas das er wirklich sehen konnte, aber er spürte instinktiv, dass der Größere sich verändert hatte. 

Sie hatten einander gestern schon geliebt und am Tag davor auch, aber heute waren sie viel mehr diejenigen die sie bestimmt waren zu sein. Sie erkannten ineinander das Glück sich zu haben, das Privileg sich kennengelernt zu haben und noch viel Zeit vor sich zu wähnen. 

Mit dem Lachen des Größeren flog alle Traurigkeit Matthews dahin, selbst die von der er nicht wusste sie zu empfinden. Jeder noch so winzige Winkel seines Herzens wurde erhellt wann immer er das Gelächter des Größeren hörte. 

Es war wie ein Lichtstrahl der auf den Grund des Meeresbodens fiel und beleuchtete was bis Dato verborgen gewesen war. In gewisser Weise hatte Clarence sogar Recht wenn er glaubte Matthew sei ein anderer Mensch geworden. Was Cassie einst ausgezeichnet hatte, das zeichnete ihn noch immer aus - aber da war noch weit mehr

All die kleinen Facetten und Eigenarten, Dinge die der Dunkelhaarige sonst für sich behalten hatte, all das legte er mittlerweile Clarence gegenüber offen. Nicht von heute auf morgen hatte jene Wandlung stattgefunden, sondern sie war ein Prozess gewesen wie so vieles auf ihrem Weg. Doch ohne das Wohlwollen und die sanfte Geduld des Hünen, wäre Cassie nie in der Lage gewesen sich derart zu wandeln. 

Sie hatten einander beide gerettet, eine Tatsache die Matthew niemals bestreiten würde wenn man ihn je danach fragen sollte. 

Die Art wie Clarence ihn geliebt hatte, noch lange bevor sie dieses Wort ausgesprochen oder auch nur gedacht hatten, hatte ihn mutiger werden lassen als er für möglich gehalten hätte. So beharrlich, so unerwartet zahm war Clarence ihm gegenüber gewesen, immer dann wenn es darauf angekommen war. 

Streng und abweisend, manchmal auch verletzend und kalt - auch so hatte Matthew den Blonden kennengelernt, doch wann immer er ihn wirklich gebraucht hatte, war er da gewesen - ohne Groll, ohne Bosheit. 

Der Mann der ihn heute küsste war die Realität zu jenem Abziehbild, welches Clarence damals geboten hatte als sie noch miteinander gereist waren ohne sich einzugestehen was da zwischen ihnen war. 

So wie es hier und heute war, so sollte es sein. 

Unweigerlich lachte Cassie über die Bemerkung des Größeren und schüttelte erheitert den Kopf. „Du bist unmöglich! Denkst du eigentlich, während wir hier lang gehen, auch noch an etwas anderes außer an unanständige Sachen? Bücher mal ausgenommen.“

Ausnahmsweise hatte er nämlich vorerst genug von amourösen Abenteuern, dazu war der zurückliegende Tag zu ausufernd gewesen. 

Ungewollt eilig zog Clarence ihn schließlich nach vorne, vorbei an alten Autos und Schutt. 

Sie erreichten einen alten Brunnen der inmitten eines überschaubaren Platzes stand. Auch hier stand Wrack an Wrack, doch die zerbeulten Karosserien waren es nicht, die Cassies Aufmerksamkeit bekamen. 

„Weißt du was ich mich frage?“, wollte er wissen und ließ den Blick über das Gelände schweifen. Sofern Clarence nicht unter die Gedankenleser gegangen war, konnte er auf die gestellte Frage natürlich keine positive Antwort haben und so fuhr Matthew umgehend weiter fort. 

„All diese vielen Menschen... wohin sind die gegangen? Ich meine hier sind so viele Autos aber die meisten sind leer.“

Er blickte in das brackige Wasser des Brunnens und rümpfte die Nase angesichts der toten Schlange die darin schwamm. 

„Meinst du, die sind alle gestorben?“, er wandte sich wieder Clarence zu und musterte ihn. 

Die landläufige Meinung auf diese Frage lautete ‚Ja‘, aber kaum jemand hatte jemals eine alte Metropole betreten um sich ein Bild von dem machen zu können wie die Alten gelebt hatten. Auch Matt, der zum ersten Mal eine der riesigen Geisterstädte mit eigenen Augen sah, hatte sich die Frage bisher nie gestellt. Erst jetzt, als ihm langsam das Ausmaß der damaligen Bevölkerungszahlen bewusst wurde, kam ihm der Mangel an sichtbaren Leichen komisch vor. 

„Übrigens...Dein heißer und gebildeter Ehemann schlägt vor mal dort rüber zu gehen.“, er nickte zu einem zylinderartigen kleinen Gebäude auf dem in großen Lettern das Wort 

INFORMATION prangte. „Vielleicht finden wir dort Hinweise darauf wo wir hier eine Bibliothek finden. Ich befürchte wir suchen uns hier sonst dumm und dämlich...was bei dir keine große Veränderung wäre, aber um meine Genialität wäre es schon schade.“

Neckend streckte er seinem Liebsten die Zunge raus, eine Geste kindlicher Unbekümmertheit, aus der sich ganz gut ablesen ließ, wie wenig Cassie noch darum fürchtete Clarence könne sich verärgert von ihm abwenden. 

 


Clarence B. Sky

Auch Clarence ließ seinen Blick schweifen. Hin über all die verbeulten Automobil-Leichen hinweg, über den Schrott und den Unrat der über die Straßen verteilt lag, über die Läden welche die Straßenseiten in alle Richtungen säumten und die alleine auf dieser kleinen Kreuzung hier beinahe so viel waren wie jene, die man heute zusammengenommen in einer ganzen Metropole fand. Wie unzählig viele Menschen hier gelebt haben mochten würde ihnen vermutlich auf ewig ein Rätsel bleiben, doch man erhielt ein vages Gefühl dafür, wie das Leben einst gewesen sein mochte. Nämlich schnelllebig, unpersönlich und verdammt eng in Anbetracht des Gedränges, das alleine schon hier in der offenen Vorstadt vermittelt wurde.

„Ich denke die meisten davon werden gestorben sein, ja… münz es dir gedanklich auf heute um, das wäre nichts anderes“, brummend gab er diesen Anstoß zu bedenken und trabte gemächlich die Stufen des Brunnens zurück hinab, nachdem er sich einen groben Überblick über die möglichen Wege verschafft hatte.

„Stell dir vor die Leute müssten aus den Metropolen fliehen weil irgendwas ist und es gäbe kein Zurück mehr. Wer von den feinen Herrschaften dort hätte Ahnung von Viehzucht, Ackerbau oder alleine schon davon, wie man sich eine Hütte zusammenzimmert die den nächsten Sturm übersteht? Wenn die aufs Land flüchten würden und kein einziger von denen hat Ahnung von Tuten und Blasen… die verhungern doch alle oder vergiften sich mit irgendwelchen Beeren im Wald selbst, bis kein einziger von denen mehr übrig ist. Der Rest wird von wilden Tieren gefressen.“

Das war natürlich der härteste aller Härtefälle, doch hochgerechnet auf die Bevölkerungsanzahl einer Stadt wie dieser hier konnte sich Clarence das so am besten erklären. Da waren nicht nur tausende… da waren millionen von Menschen, obdach- und heimatlos, ohne den geringsten Plan wie man eine derartige Meute organisierte oder versorgen sollte.

„Viele werden sich im Gerangel um Nahrung gegenseitig getötet haben, ich meine… kein Handel, kein Essen für so eine riesige Anzahl… jeder ist sich selbst der Nächste wenn es um Lebensmittel, Kleidung und Waffen geht. Wären die nicht gestorben, wären wir heute sicher wesentlich mehr Nachkommen auf der Welt.“

Ein ziemlich handfester Beweis wie Clarence fand, einen besseren konnte es kaum geben. Die vergleichsweise Wenigen die es geschafft hatten, waren durch die Strahlung unfruchtbar geworden und was blieb, waren für den Stand damaliger Zeiten winzig kleine Kleinstädte, die sich heutzutage Metropolen schimpften und so riesig waren, dass ein jedes Kind der heutigen Zeit nur davon träumen konnte dort mal zu landen.

Nachdenklich zog er sich bei seinen Überlegungen das Stoffband aus dem blonden Schopf, das er aus einem zerrissenen Hemd geknotet hatte und mit dem er seit einigen Wochen erfolgreich die wachsende Haarpracht im Zaum hielt. Seit ihrer Hochzeit und mit Einbruch des Winters hatte er an seinen glänzenden Fransen nicht mehr herum schnippeln lassen, immerhin gab es zu Zeiten des Frosts und des Schnees keinen kostenloseren Schutz gegen die Kälte als die eigene Behaarung und selbst als es wieder wärmer geworden war, hätte er sich selbst lieber noch einen weiteren Finger ausgerissen, als den Nörgler an seiner Seite da mit einer Schere heran zu lassen. Der Kerl diskutierte bereits seit ihrem Kennenlernen an seinem Auftreten herum und die Gefahr – so schien es Claire zumindest – war groß, aus dem Event am Ende mit einer auf Hochglanz polierten Glatze heraus zu gehen.

„Außerdem sind das hier noch die Ausläufer der Stadt. Meist sind im Zentrum die Bomben herunter gegangen, das heißt die Überlebenden haben sich vielleicht noch bis vor die Stadt schleppen können und der Rest… ich denk nicht, dass von denen noch viel übrig geblieben ist.“

Die Waffenkraft von heute war mit derer der Alten nicht im Geringsten zu vergleichen, aber alles was er über diese Atombomben wusste war, dass sie nicht wirklich etwas Nennenswertes an ihrem Aufprallort zurück ließen. New York hatte, zu seinem eigenen Erstaunen, auch nicht wirklich viele Leichen beherbergt und jene die früher noch da gewesen sein mochten, waren im Laufe der Jahrzehnte womöglich einfach durch Flora und Fauna zersetzt worden.

Noch immer damit beschäftigt den Haarwust auf seinem Kopf in Zaum zu bringen, folgte er dem Wink Cassies gen Gebäude und entgegnete dem dreisten Zungenrausstrecker mit verständnislosem Blick, bevor er endlich begriff und beinahe schon entnervt über seine eigene Stupidität die Augen rollte. Ein Mensch wie Clarence würde vermutlich eher einen Monat lang die Stadt auf den Kopf stellen bevor er endlich fand wonach er suchte – jemand wie Cassie allerdings, des Lesens einwandfrei fähig, hatte es da deutlich leichter und vermutlich auch umso langweiliger im Leben.

„Na solange der dämliche Stein an deinem Kopf wenigstens deiner unvergleichbaren Genialität nicht geschadet hat, bin ich zufrieden“, wobei die Worte aus Clarence‘ Mund mehr wie eine unterschwellige Beleidigung klangen als nach ehrlicher Erleichterung.

Die losen Zotteln aus dem eigenen Blickfeld losgeworden, ließ der Jäger sein Gewehr wieder von der Schulter gleiten während sie dem unbekannten Gebäude näher kamen. Mit jedem Schritt, den sie zusätzlich taten ohne auf mehr zu treffen als ein deformiertes Eichhörnchen, wuchs seine innere Anspannung spürbar; die Erfahrung hatte gezeigt, dass ihr Glück nie besonders lange anhielt und wenn der Endpunkt erst einmal überschritten war, traf es sie dafür in der Regel umso heftiger.

„Um auf deine Frage von eben zurück zu kommen…-“

Je näher sie der Glasfront des Gebildes kamen, umso unwohler fühlte sich der Blonde. Nicht etwa weil er Angst hatte sie könnten dort tatsächlich auf ihr Ende treffen, sondern alleine schon deshalb, da selbst die Geräusche der eigenen Schritte in den Geisterstädten ganz anders klangen als sonst irgendwo auf der Welt. Hohe Glasscheiben, asphaltierte Böden, ewig weite Plätze… all das waren Dinge, die es in ihrer heutigen Zeit nirgendwo gab und was der Mensch nicht kannte, impfte ihm meist schon von Natur aus erheblichen Respekt ein.“

„…eigentlich denk ich wirklich an nichts anderes. Das sind meine Flitterwochen und wenn ich dabei lediglich an Bücher denken will und daran meinen Mann zu vögeln, ist das mein gottgegebenes Recht!“ – zumindest wohl so halbwegs, denn auch wenn der Beischlaf durch die Ehe legitimiert wurde, war das mit dem Mann vögeln eine ganz andere Geschichte. Aber über den Punkt war der ehemalige Fanatiker mittlerweile schon lange hinaus, wie selbst ein Blinder ohne Probleme erkennen würde.

Kaum an den geschlossenen Türen zum Gebäude angekommen, wischte Clarence mit der freien Hand auf Sichthöhe den Jahrhunderte alten Staub von einer der Scheiben und ließ den Schaft seiner Waffe nicht gerade zaghaft mehrmals gegen die Pforte hämmern. Die Türhälften hatten keine Griffe aber standen wenige Zentimeter offen, vermutlich irgendeine seltsame Art von Schiebetüren wie es sie auch in der Villa der Hurenkönigin zum Salon hin gegeben hatte; selbst durch den schmalen Spalt hörte man das dumpfe Dröhnen seines Klopfens durch den dahinter liegenden Großraum schallen, laut genug also, um damit auch die hinteren Räume zu erreichen insofern es welche gab.

Wachsam hielt Clarence den Blick auf das Rauminnere gerichtet und heftete seine Augen auf einen bestimmten Punkt, während sich unter das nachhallende Dröhnen ein leises Knacken und Krachen mischte. Ein unangenehmes Geräusch welches ihm äußerst bekannt vorkam, klirrendem Reiben ähnlich, das er auf Anhieb dem anvisierten Ziel jedoch nicht zuordnen konnte.

Zögerlich hob er den Lauf seiner Waffe gen Spalt empor, versuchte den begrenzten Winkel und das Ziel zu halten und erkannte, wie sich der Schatten kurz senkte bevor er sich beträchtlich anhob… einem schnaufenden Etwas gleich, das in seiner Ruhe gestört worden war und dessen Größe nicht zu den Lauten passen wollte, die der geübte Jäger vernahm. Bis es ihm, beinahe im wahrsten Sinne, wie Schuppen von den Augen fiel.

Immer der gleiche gottverfluchte Scheiß…“, entkam es ihm knirschend wie das Geräusch welches zu vernehmen war und das von der Wanderschaft der dunkelblauen Risse her rührte, die gerade vor seinen Augen über die Glasfront hinweg tanzten um schließlich in einem ohrenbetäubenden Regen aus Splittern ihr Ende vor seinen Füßen zu finden. Jahrhunderte und einen Atomkrieg hatte diese Tür überlebt, aber wehe es nahte ein rabiater Kerl mit einem Grabräuber im Gepäck - dann war es natürlich Zeit endlich nachzugeben.

Wache, schlitzförmige grüne Augen gafften direkt in die Seinen, um die herum Clarence selbst im fahlen staubigen Licht des Büros schieferartige Flechten erkannte. Abermals schnaubte der Mutant tief, offenbarte dabei ein kratzendes Geräusch ähnlich der springenden Scheibe und tat es ihr schließlich gleich, lediglich über den breiten Tresen hinweg hinter dem es sich eben noch zur Ruhe gelegt hatte.

Es waren die Bruchteile von Sekunden in denen die mannsgroße Echse die Distanz zu ihnen aufgeholt hatte, Zeit genug um den Lauf aus den verbliebenen Metallstreben zu ihren Seiten zu lösen und Matthew zur Seite zu stoßen, die Waffe scharf machend. Clarence hasste diese Viecher wie die Pest,  nicht nur einmal hatte er zu seinem Beginn als Jäger furchtbar unangenehme Aufeinandertreffen mit diesen drecks Steinhäuten verlebt, Momente denen er Nagi verdankte überhaupt noch zu leben.

Ein einzelner halber Schritt nach hinten brachte ihn aus der Reichweite der messerscharfen Klaue weg die nach ihm haschte, eine maximale Nähe zueinander die es benötigte um jene Wesen gezielt in die schmalen Augen zu treffen und noch während er den Finger am durchgedrückten Abzug hielt, konnte er spüren wie die zentnerschwere Kreatur im Angriff über ihm zusammenbrach um den Blonden lautstark unter ihr zu begraben und ihm alleine durch ihr Gewicht sämtliche Luft aus den Adern zu pressen. Die Flechte, von der das schiefergraue Tier überzogen war, war scharf wie Messerklingen und schwer wie Stein, mit dem sie sich die Farbe teilte; im Versuch seine Arme unter der Last zu befreien konnte er spüren wie ihm die Schuppen in die Haut schnitten, die bunten Formen und Linien unterbrechend, die ihn sonst so makellos zierten.


Matthew C. Sky

Ob es nun Clarence‘ Recht war, in seinen Flitterwochen nur ans Vögeln und an Bücher zu denken, ließ Matthew ausnahmsweise unkommentiert so stehen. 

Sein Blick allerdings war vielsagend und die Art wie er Clarence musterte als dieser wieder vom Brunnen herunterkam ebenso. 

„Du bist schlimm, Sky. Einfach schlimm.“ 

Aber was sollte er sagen? Der Kerl gehörte zu ihm und Matthew nahm sein Schicksal an. 

„Wenn ich meinen Verstand verloren hätte, was würdest du dann machen, hm? Du wärst aufgeschmissen ohne mich.“ redete er weiter, während er das vor ihnen liegende Gebäude ansteuerte. Wie die meisten anderen auch, war es ebenfalls zu einem Großteil aus Glas. Das Licht der Sonne spiegelte sich in den oberen Flächen die noch nicht zu Bruch gegangen oder von Dreck überzogen waren. 

Ohne Frage Miami war schon jetzt einer der interessantesten Orte die er bisher gesehen hatte und dabei waren sie noch nicht länger als eine Stunde hier. 

Bezüglich der Toten, deren Fehlen Matthew trotz der einleuchtenden Erklärung des Größeren komisch vorkam, sagte er schließlich unschlüssig: 

„Nah...ich weiß nicht recht. Ich meine wo sind die Leute denen all das hier gehört hat? Die Häuser stehen noch, waren vermutlich voll mit Vorräten für Jahre...“, er zuckte die Schultern. 

Im Grunde brauchten die Opfer des damaligen Krieges sie nicht zu kümmern, sie hatten längst ihren Frieden gefunden. „Wer damals die Angriffe überlebt hat, hatte doch gute Chancen am Leben zu bleiben wenn er in der Nähe der Stadt geblieben wäre und dann...müssten wir doch mehr Tote hier sehen, oder? Na wie auch immer...“

Sie hatten das Gebäude erreicht auf dessen Dach INFORMATION stand und Clarence wischte eine der Scheiben partiell sauber um ins Innere des Hauses zu blicken ohne es direkt zu betreten. Clarence‘ ganze Art verriet Matthew, dass dieser angespannt war und dem scheinbaren Frieden nicht über den Weg traute. 

Das war gut, zweifellos besser als sich Hals über Kopf ins nächste potenzielle Abenteuer zu stürzen, aber es zeigte eben auch wie vorsichtig sie sich angewöhnt hatten zu sein.  

Die letzten Ausflüge waren allesamt nicht so verlaufen wie vorgesehen gewesen war und auch wenn er bisher daran gezweifelt hatte, so bewies Clarence gerade unbewusst, dass er wirklich aus den letzten Malen gelernt hatte. 

Aus Schaden klug zu werden, hatte bisher nicht auf der Agenda des Größeren gestanden, sogar das Gegenteil war lange der Fall gewesen, hatte es doch oft den Anschein gemacht als habe Clarence mit Absicht jede Gefahr für Leib und Leben angesteuert. 

Cassie, der hinter seinem unanständigen Ehemann herging musterte dessen Rücken und wie der Verlauf seiner breiten Schultern hin zur Taille war. 

Hätte der sich Vordere sich nun umgedreht, hätte er sehen können wie durchaus wohlwollend Cassie ihn abcheckte, aber Clarence war zu vertieft in das was er tat und da er wenige Schritte vor Matthew das Gebäude erreicht hatte, konnte Matthew ganz ungeniert sein in seiner Musterung. 

Aber letztlich trat auch der Jüngere an dass Gebäude. Wie  Clarence es getan hatte, rieb auch Matthew sich eine Scheibe notdürftig sauber um die Stirn gegen das Glas zu drücken. Hinter den verdreckten Scheiben lag ein schummeriges Foyer. Licht fiel streifig in das Innere und Schmutzpartikel tanzten träge darin. 

Er schirmte das Sonnenlicht mit beiden Händen ab um noch besser sehen zu können und erkannte ein relativ großes Foyer in dem einige Stühle und Blumenkübel standen. 

Erstere waren zum Teil umgekippt, Letztere beherbergten allesamt tote Pflanzen. Dominiert wurde der Raum aber zweifellos von einem Tresen.

Überrascht zuckte er jäh zusammen als er plötzlich das Klopfen von Clarence’ Waffe vernahm.

„Verflucht nochmal!“, ätzte er in Richtung seines Mannes der ihn damit erschreckt hatte. Aber nicht nur Matthew fühlte sich empfindlich gestört, sondern auch ein anderes, weitaus übellaunigeres Wesen. 

Das Geräusch der Kreatur welche beinah sofort auf das Pochen reagierte, klang entfernt wie das Fauchen einer Großkatze und hätte Matthew es nicht schon einige Male gehört, hätte er sicher wirklich auf einen wilden Puma getippt. So allerdings wusste er was sie geweckt hatten noch ehe er es sah. 

Die Echse war so schnell bei ihnen, dass Cassie nicht dazu kam die Sehne seines Bogens zu spannen - da wurde er auch schon von Clarence zur Seite gestoßen. Das Glas, welches seit Ewigkeiten intakt gewesen war, war in einen Regen aus tausend winzigen Scherben zerborsten, sodass nicht einmal diese dünne Fläche einen imaginären Schutz bilden konnte. Vom ersten hallenden Klopfen mit dem Gewehrlauf gegen das Glas bis zu dem Moment da ein ohrenbetäubender Schuss durch das Gebäude und die bis dahin völlig stillen Gassen wehte, waren nur wenige Sekunden vergangen. 

Die Steinhaut war tot, noch bevor sie Clarence unter sich begrub, dort wo die Kugel in den Schädel eingedrungen war, hatte sie das Auge weggerissen und ein klaffendes Loch hinterlassen. Aber es war selbstverständlich nicht der Mutant um den Matthew sich scherte. „Heilige Scheiße! Bist du okay?“ Er steckte den Pfeil zurück in den Köcher und hängte sich den Bogen zurück über die Schulter, wobei er bereits auf Clarence zu ging. 

„Wenn es uns auch nur ein einziges Mal gelingen würde einen Ausflug zu machen ohne irgendwelche Zwischenfälle... Beweg dich nicht, warte.“ 

So unangenehm Steinhäute waren, so weit verbreitet waren sie leider auch, sodass es keine Anweisungen an Cassie brauchte damit dieser wusste womit sie es zutun gehabt hatten. „Ich hol das Viech von dir runter...“ Ein Unterfangen das sich leichter sagte als in die Tat umsetzen ließ, denn eine Echse in dieser Größenordnung wog einiges. Hinzu kam, dass er das Ding nicht einfach von Clarence runterziehen konnte, denn dann würde er seinen Mann im wahrsten Sinne des Wortes bluten lassen. 

Den Kopf der Kreatur anhebend und zur Seite schiebend nahm er schon mal etwas Gewicht von dem Unteren, aber frei war Clarence deshalb noch immer nicht. 

Matthew trat seitlich an die Echse, beugte sich über das schuppige Ding und griff nach Vorder- und Hinterbeinen der gegenüberliegenden Flanke. 

Natürlich hatte er keine Handschuhe an, natürlich trug er keinen dicken Schal und natürlich zerschnitt er sich in Anbetracht fehlender schützender Lagen Stoff die man um die Hände hätte wickeln können, die Haut an eben jenen. Aber auch wenn Clarence ihm sehr gern unterstellte eine Mimose zu sein, so war Matthew doch eigentlich das ganze Gegenteil. Ohne zu zögern oder auch nur zu blinzeln oder sonst irgendwie die Miene zu verziehen, packte er die Beine der übergroßen Echse und drehte sie in einer einzigen fließenden Bewegung in seine Richtung, sodass sie mit kontrolliertem Schwung über Clarence hinweg und schließlich von ihm herunterfiel. 

Kaum da das Viech den Blonden freigegeben hatte atmete Cassie durch und schnaufte angestrengt. Mit dem Handrücken wischte er sich kurz über die Stirn und beugte sich nach vorn über, sich mit den Händen auf den Knien abstützend. 

„Fuck...“, sagte er und richtete sich wieder aufrecht auf, wobei er eine Hand nach unten zu Clarence ausstreckte um ihm beim Aufsetzen behilflich zu sein. 

„Ich will ja nichts sagen, Herr Meisterjäger, aber wäre es nicht klüger gewesen sich leise zu verhalten? Was oder wer auch immer noch in Miami ist...jetzt weiß man, dass wir da sind.“ Obgleich er damit zweifellos recht hatte, so klangen seine Worte wenig vorwurfsvoll sondern eher erleichtert darüber, dass die Sache trotzdem noch glimpflich ausgegangen war. Clarence hatte ein paar Kratzer und Echsenblut abbekommen, aber er schien nicht ernstlich verletzt. Und Cassie hatte außer einem Schrecken und ein paar Schnitten in den Handinnenflächen gar nichts - was anders hätte ausgehen können wenn Clarence ihn nicht weggeschubst hätte. 

Viel wichtiger als die Frage danach ob es klug gewesen war zu schießen und damit auf sich aufmerksam zu machen, war allerdings die Frage danach ob mit dem Blonden wirklich alles in Ordnung war. Und genau diese war es schließlich auch, die Cassie stellte. Einfach um sicherzugehen. 

„Geht‘s dir gut, hm? Alles heil geblieben?“, fragend schaute er auf Clarence herab, die Hand noch immer auffordernd zu ihm ausgestreckt um ihm aufzuhelfen. 

„Bis auf deinen Stolz versteht sich.“ 

Der hatte ziemlich sicher mehr als ein paar Kratzer abgekriegt. 


Clarence B. Sky

Nur zu gerne hätte Clarence vorhin die Äußerung seines Göttergatten widerlegt und gerade weil er es nicht getan hatte war das sein Glück – denn im Augenblick, unter der schweren Echse liegend und mit aller Gewalt nach Luft ringend, hätte er seine Worte Lüge gestraft.

Es war ein Unterschied ob man alleine unterwegs war oder zu zweit. War man auf sich alleine gestellt, wog man Plan und zu erreichendes Ziel miteinander ab, man musste sich ausrechnen ob man die Hindernisse die vor einem lagen alleine zu bewältigen in der Lage war und konnte mutiger werden, wenn mehr kräftige Hände im Spiel waren als nur die eigenen. Und war man Clarence Sky, war man in der Regel ein wenig todesmutiger im Alleingang und damit ein wenig dummer als manch andere Menschen, die ihr Leben nicht so leichtfertig aufs Spiel setzten.

Mit Matthew zusammen sein hatte den Jäger etwas zur Ruhe kommen lassen in seiner lebensmüden Art, aber unterm Strich, so ungern er das auch zugeben mochte, behielt der Dunkelhaarige auch heute mal wieder Recht. Würde der vorlaute Kerl seinen Verstand verlieren, vermutlich wäre Claire an mehr als nur dem einen oder anderen Tag völlig aufgeworfen und heute war definitiv eine solcher Situationen eingetreten.

Stöhnend versuchte er sich mit den Unterarmen gegen die gefühlt tonnenschwere Echse zu stemmen auch wenn die scharfen Klingen ihm dabei tief in die Haut schnitten, einfach nur um einen Teil der Last von seinem Brustkorb hinauf zu stemmen und zu Atem zu kommen. Da sich über ihm nichts rührte, war wohl davon auszugehen, dass er das Vieh zielsicher in eines seiner hässlichen Augen getroffen hatte doch selbst dieses Wissen war aktuell nutzlos, wenn es ihn am Ende zwar nicht mit seinen Fangzähnen, dafür aber mit seinem massiven Brustkorb unter sich zerquetschte.

Ein A-Ausf-flug ohne… Z…wischenfälle… wär‘ w-wohl nicht u-unserer“, krächzte der Blonde tonlos unter dem Urzeitbiest über sich hervor, die Arme tapfer gegen den steinernen Torso gestemmt, und hätte wohl trocken aufgelacht wenn ihm dafür noch die Luft geblieben wäre. Und wenn es nur beim Spaziergang ein Umknicken mit dem Knöchel war aufgrund von Unachtsamkeit, irgendetwas war doch immer.

Erleichtert stöhnte der Ältere als wenigstens schon mal der Kopf der Bestie von seinem Leib herunter gehoben worden war und blinzelte erblindet gegen das Sonnenlicht, welches nun wieder ungehindert wenigstens auf sein Antlitz hinab fallen konnte, und ihn lediglich die dunkle Silhouette seines Partners erkennen ließ.

Dort stand er, der Mann um den sich die wärmenden Strahlen brachen, und der die Sonne mit seinen breiten Schultern abfing, welche in eine schmale Taille überliefen. In fließenden Bewegungen beobachtete er Matthew dabei wie dieser sich tatkräftig über den Mutanten hinweg beugte um die schweren Läufe zu ergreifen und das Vieh von ihm herunter zu zerren; in schmalen hellen Streifen brach sich die Sonne dabei auf die angespannten Sehnen und Muskeln, verlieh dem Söldner die seltene Kernigkeit zu welcher er doch tatsächlich fähig war wenn man ihn nur in genug verschiedenen Lebenslagen kannte und unterstrich dabei die körperliche Kraft die Cassie sein eigen nannte, wenn er sie denn nur tatsächlich in Momenten wie diesen benötigte.

Auf den ersten Blick mochte er wie ein windiger schmaler Waldläufer aussehen, der Schönling welcher sich in seinem Beruf in den Schatten zu verstecken pflegte um seine Ziele aus dem Hinterhalt zu ermorden (oder eben auch nicht), doch Clarence war vielleicht einer der wenigen Menschen dieser Welt der Matthew Cassiel anders kannte. Er war ein Kerl der anpackte wenn er denn Lust und Laune dazu besaß, der Kräfte an den Tag legte die man einem Waldläufer wie ihm nicht zumuten mochte und der eine ausgesprochen anziehende Männlichkeit an den Tag legte, ging es ihm nur um Menschen die er liebte und die seinen Schutz benötigten.

Noch immer blinzelte Clarence für jene wenigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte die hoffentlich niemals enden mochte, gegen den heroischen Schatten über sich, der in fließenden Bewegungen die schwere Last von seiner Brust nahm – einer Himmelsgestalt gleich, die Sorgen und Trauer aus einem traurigen Herzen hinfort wehte – und sah voller Entzücken dabei zu, wie seine Iriden sich zunehmend an das grelle Licht gewöhnten um mehr von seinem starken, heldenhaften Mann erkennbar zu machen.

Und dann erkannte Clarence wieder diese hässliche kindische Eselskappe auf dem Quadratschädel dieses Typen.

„Von hier unten siehst du mit dem hässlichen Teil auf dem Kopf noch dreimal heftiger bescheuert aus als von oben“, seufzte der Jäger, froh seine Brust endlich wieder voll entfalten zu können, und atmete tief durch während auch sein Kumpan zu Luft zu kommen versuchte.

„Die Steinhaut kann sich glücklich schätzen, dass sie diesen Anblick vor ihrem Tod nicht ertragen musste, sonst hätte sie sich vermutlich selbst die Augen aus dem Schädel geschossen. Das Ding toppt sogar noch diesen grässlichen alten Mantel mit den Ohren dran...!“

Nostalgie und Antike hin oder her, aber alles hatte gewisse Grenzen und dazu gehörten Kopfbedeckung aus dem letzten Jahrtausend, die man irgendwelchen Mumien aus ihren verdorrten Fingern gerissen hatte.

Gang andere Finger, nämlich die seines Mannes, waren zwar nicht verdorrt – sahen aber auch nicht viel besser aus als die eines Mannes, der sich mutwillig unter einen Pferdewagen geschmissen hatte. Vermutlich merkte Cassie gar nicht wie er aus den Schnittwunden blutete, zumindest ließ sich das daraus schließen von der Art her, wie auffordernd der Kerl ihm eines seiner Patschehändchen entgegen reckte.

„Uns geht’s gut, meinem Stolz genauso wie mir. Danke der Nachfrage. Leise ist halt was für Leute, die keinen Mumm in den Knochen haben“ - mit einem leisen Klatschen schlug er in die dargebotene Hilfe ein, holte nochmals tief Luft und ließ sich von seinem heroischen Göttergatten mit Narrenkappe steifgliedrig zurück in die Senkrechte befördern. Das Gewehr, mit dem er die Echse erschossen hatte, hatte er rechtzeitig zwischen sich und dem Biest hervor retten können damit es nicht dem Gewicht zum Opfer fiel und so lag es noch immer zu seinen beschuhten Füßen, wo es ihn aber gerade auch nicht besonders interessierte angesichts des Zustandes, in dem sich die Finger seines Partners befanden.

„Du bist bescheuert, echt. Mich für die krumme Anzahl meiner Finger aufziehen, aber selbst deine eigenen aufs Spiel setzen“, kritisierte er den Trottel vor sich offen. Dabei griff er nach Matthews Handgelenken, um den Schaden zu sich zu ziehen und zu begutachten; beinahe enttäuschtes Kopfschütteln und ein paar wenige Griffe später, ließ er bereits ein paar Tropfen Wasser aus seiner zerbeulten Trinkflasche über die Verletzungen laufen, bevor er auch seine Unterarme sachte tränkte.

Der Versuch den Torso von sich selbst empor zu stemmen hatte seinen Tribut gefordert, unter den hinfort gespülten Rinnsalen frischen Blutes klaffte seine Haut an manchen Stellen mehr, an manchen weniger auseinander. Einige Schnitte schienen tief, die meisten jedoch unterbrachen die bunten Farben auf seiner Haut jedoch nur überschaubare Zentimeter.

„Ich hoffe du flickst mich heute Abend zusammen wenn wir wieder daheim sind, wird bestimmt ein unterhaltsames Abendprogramm…“ – es wäre nicht das erste Mal, dass Nadel und Faden nach einem ihrer Erlebnisse zum Einsatz kommen mussten, aber wenigstens Matthews Wunden wirkten nicht so, als hätten sie ihm irgendwelche Sehnen oder Nerven durchtrennt so wie er die Finger bewegen konnte.

Umständlich und ohne Rücksicht darauf ob er seinen Rucksack einsaute, wühlte Clarence in den tiefen Weiten nach ein paar Stücken sauber abgekochten Stoffs, die mittlerweile zum Ausflugs-Repertoire dazu gehörten wie Trinkwasser und eine Mahlzeit für die Pausen.

„Ich schwör dir mein Freund, wenn du dir heute auch nur noch ein Haar krümmst: Ich leg dich Zuhause übers Knie und versohl dir den Hintern. Ich finde die Sache in Cascade Hill hat an Aufregung fürs ganze Jahr gereicht, ich wäre dir echt verbunden wenn du mich in nächster Zeit ein wenig schonen könntest“, wickelte er seinem Gefährten die zerschundenen Hände so gut es ging schützend ein, was Matthew im Endeffekt nur noch abstruser wirken ließ – nämlich wie einen Trottel mit Eselshut, der drauf und dran war gleich in einen Boxring zu steigen. Dass Cassie nur seinetwegen so aussah, war immerhin kein triftiger Grund ihn nicht für seine übermütige Hilfsbereitschaft zu strafen. Ganz egal wie heiß ihn das aussehen ließ.


Matthew C. Sky

Je mehr Clarence wetterte und schimpfte umso deutlicher wurden für Cassiel zwei Tatsachen. Die Erste: der Ältere war froh, einigermaßen heil aus der Sache herausgekommen zu sein. Und die Zweite: ihm gefiel Matthew’s Auftreten. 

Der Größere hätte ebensogut sagen können ‚Danke für deine Hilfe, ohne dich wäre ich echt am Arsch und außerdem siehst du verdammt heiß aus, Kleiner.‘ - dann wäre nicht deutlicher geworden was er wirklich empfand als es ohnehin schon offensichtlich war. 

Dementsprechend wenig ernst nahm der Kleinere das Genörgel und blickte ihn lediglich mit einer Mischung aus Nachsicht und einem überlegenen Schmunzeln an.  

Die Sorge, er könne für seinen Mann an Attraktivität eingebüßt haben dank der recht frischen Narben, hatte Matthew unlängst abgelegt. Clarence hatte ihm sehr deutlich gesagt und gezeigt, dass es nichts und niemanden gab den er mehr begehrte als ihn. 

Er hatte nichts von seiner Anziehungskraft verloren und zweifelte diesbezüglich auch nicht mehr an sich. 

Dieses alte und zugleich neue Selbstbewusstsein erlaubte es dem Dunkelhaarigen über den Scheinangriffen seines Mannes zu stehen, der eigentlich nur zeterte und nörgelte weil er sich zu fein war das Offensichtliche zuzugeben und in Worte zu kleiden. 

„So wie ich die Sache sehe, hat die Steinhaut bewusst dich als Ziel ausgesucht, um mich vor einem Leben mit dir Hohlkopf zu bewahren.“ Er zuckte die Schultern. 

„Tja, hat nicht geklappt. Stattdessen ist die tot und du... naja du... bist nur am Nörgeln. Und warum? Weil du mir eigentlich sagen willst wie sehr du auf mich stehst.“ Die Zusammenfassung der Lage hätte kaum treffender sein können, trotzdem erwartete der Dunkelhaarige keine Zustimmung von seinem liebsten Nörgler. 

Ächzend und steif kam dieser wieder in eine aufrechte Position mit dem Oberkörper und schließlich wieder ganz auf die Beine. Seine Unterarme waren blutig verschmiert, ebenso wie Cassies Hände, aber so wenig wie Clarence sich um sein Wohl scherte, interessierte sich Matt für seine aufgeschnittenen Handflächen. 

Clarence griff nach seinen Handgelenken und begutachtete die Schnitte mit Missbilligung. Dass er selbst blutete - und zwar nicht zu knapp - fand keine Beachtung durch ihn, dafür aber umso mehr durch Matthew. 

„Das sind nur Kratzer, tu nicht so als würde ich gleich verbluten.“ - ein Schwall Wasser später war das meiste Rot weggewaschen und ein wildes Muster kleiner Schnitte kam zum Vorschein. Ein paar bluteten nach, der überwiegende Teil aber nicht. 

Rosig schimmerte das Fleisch unter der aufgeschnittenen Haut, aber selbst der übervorsichtige Christ musste eigentlich erkennen, dass Cassie aufgrund der zahlreichen aber nur kleinen Verletzungen keine Finger verlieren würde.

„Zeig mir lieber deine Arme.“, forderte der Dunkelhaarige, wurde jedoch einfach ignoriert. Statt seiner sehr präzisen Aufforderung nachzukommen kramte der Größere in der Tasche herum, besudelte sie dabei mit seinem eigenen Blut und schwafelte weiter - irgendetwas von Unachtsamkeit die Cassie an den Tag gelegt hatte, davon das er ihn übers Knie legen würde wenn nicht besser auf sich aufpasste. 

Dabei war er derjenige gewesen der durch seine Unachtsamkeit erst dafür gesorgt hatte, dass Matthew ihm hatte zur Hilfe eilen müssen. 

„Hör jetzt auf, du idiotischer Möchtegernmeisterjäger!“, wehrte er die Versuche des Blonden, ihm die Hände einzubinden ab. „Ich hab gesagt, du sollst mir deine Arme herzeigen, gottverdammt!“, er schlug die tastenden Griffel von Clarence zur Seite und wehrte auch den nächsten Versuch ab. 

„Jetzt hör schön auf, du bist unmöglich!“, echauffierte er sich und langte nach den Handgelenken seines Mannes. Das daraus entstehende Gerangel gipfelte darin, dass Cassiel letztendlich den Größeren an den Fingern packte und unsanft zu sich zog. 

„Wenn ich dich heute Abend zusammenflicken soll, will ich mir das jetzt ansehen.“ - und damit beendete Matthew das Gezeter und begutachtete die Schnitte aufmerksam. 

Das Wasser hatte einen Großteil vom Blut weggewaschen, aber einige der Schnitte waren so tief, dass dunkles Blut nachgelaufen war und in den klaffenden Wunden schimmerte. 

Ungefragt nahm Matthew seinem Mann die Stoffbahnen weg die dieser unsinnig um Cassies Hände hatte binden wollen obwohl seine eigenen Wunden es viel nötiger hatten. 

„Du bist ein Trottel, Clarence Sky.“, ließ er den Hünen leise wissen, während er konzentriert die Stofflagen abwickelte und so die Wunden vor Dreck und weiterer Beanspruchung schützte. 

Mit einem Messer, dessen Griff und Klinge gleichermaßen bunt schillerte, durchtrennte er den Verband als die tiefen Schnitte des linken Arms mit mehreren Lagen überdeckt waren. Die andere Hälfte wickelte er um die Wunden des rechten Arms. 

Erst als er damit fertig war zog er Clarence noch dichter an sich, hob die Hand an den fremden Bart und verschränkte die Finger darin. Wie schon so oft stellte er sich auf die Zehenspitzen und drückte dem Blonden einen Kuss auf die Lippen. Grob und tadelnd dieses Mal, sofern ein Kuss denn tadelnd sein konnte. 

„Ich gehe vor.“, setzte der Dunkelhaarige seinen Gegenüber in Kenntnis und ließ keinen Zweifel darüber aufkommen. 

„Ich töte leise wenn es darauf ankommt, denn ich glaube kaum, dass wir uns noch mehr Lärm leisten sollten. Mumm ist was für Leute, die nicht clever genug sind einen sicheren Weg zu suchen.“ 

Cassie wischte seine Hände beiläufig an seiner Hose ab, dann griff er an den Schirm seines Basecaps und zog sich die Mütze vom Kopf um sie Clarence aufzusetzen. 

„Zu dir passt sie besser. Eine Eselskappe für einen Esel.“, grinste er frech und übernahm dann, wie angekündigt die Führung in das Gebäude hinein. 

Der Lärm des Schusses hatte alles und jeden in meilenweiter Umgebung auf sie aufmerksam gemacht, sodass es sinnlos war nun noch zu glauben einen Überraschungsmoment auf ihrer Seite zu haben. Wären jedoch weitere Steinechsen in unmittelbarer Nähe, hätten diese sie schon angegriffen. 

Ohne zu zögern, jedoch sorgsam darauf bedacht nicht auf die Glassplitter am Boden zu treten, drang Cassiel in die Dunkelheit des Foyers ein. Die Hunde mit Mutter aus die ewige Eis zögerten, ihm zu folgen, sie hielten sowohl Abstand vor der toten Steinhaut als auch vor dem Innenraum den Matthew lautlos erkundete. 

Aufmerksam und jede Sehne seines Körpers gespannt, setzte er einen Fuß vor den Anderen und blickte sich dabei um. 

Vor dem Tresen, vom Staub der Jahrzehnte verdeckt, zeichnete sich ein großer Blutfleck ab, dessen Schlieren sich um den massiven Holzblock herum zogen. 

Cassie folgte ihnen und entdeckte hinter dem Tresen den Rest eines Menschen. 

Wie genau der arme Tropf zu Tode gekommen war, war unmöglich mit Sicherheit zu sagen jedenfalls konnte Matt es nicht. Doch Fakt war, ihm fehlte ein Arm und dieser lag - etwa zwei Meter neben der an der Wand lehnenden Leiche auf dem Boden. 

Dem Zustand der Leiche nach zu urteilen, lag sie vielleicht einige Wochen, aber keinesfalls Jahre hier. Das Gesicht war beinah völlig ohne Haut - als hätte man selbige vom Fleisch und den Knochen geschält, ein Auge fehlte ihr, der Unterkiefer war an einer Seite lose und hing herunter. 

Der Anblick an sich war schon verstörend, aber das war nicht der Grund weshalb Matthew auf den Größeren wartete. 

„Claire?“, er drehte sich halb zu seinem Gefährten herum und nickte dann in Richtung des Toten. „Sieht das für dich nach einem typischen Opfer einer Steinhaut aus?“

 


Clarence B. Sky

Matthew mochte die Dinge auf die eine Weise sehen, beim Blonden lag die Sachlage allerdings ganz anders.

So wie Clarence die Sache nämlich sah, suchte sich sein Mann erstens die ziemlich falschen Geschäftspartner aus um ihn unauffällig in einer verlassenen Geisterstadt um die Ecke zu bringen – auf diese Weise würde Cassie wohl niemals seinen Wohlstand an Armut erben können – und zweitens konnte auch der Jüngere so viel Nörgeln wie er wollte, selbst er konnte vor den wachsamen Ohren des Jägers schon seit Monaten nichts mehr verbergen.

Sie waren einstmals gut darin gewesen das Offensichtliche zu übersehen, aus Bequemlichkeit das Befinden ihres Partners zu ignorieren und selbst zu verletzt gewesen aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit, um sich auf den Schmerz des anderen einlassen und einander kennenlernen zu können. Seitdem sie jene Hürde allerdings überwunden hatten, lagen die Dinge anders und so wie Matthew es gelernt hatte die verschiedenen Facetten eines Brummens adäquat zu interpretieren, so wusste auch Clarence wann sein Geliebter ernsthaft wetterte und wann nicht.

Ein kurzes Gerangel und wenige infantile Beleidigungen später, ergab sich der Bär seinem Schicksal als Patient; doch anstatt über diese Niederlage verdrossen zu sein, betrachtete er den Dunkelhaarigen mit Wärme und dem Funkeln jugendlicher Neugierde im Blick. Ein Ausdruck der sagte: Eigentlich willst du mir nur sagen wie besorgt du um mich bist, ein Gedanke den er nicht laut aussprach um seinem Mann den Triumph zu gönnen und gleichfalls um sich einen Augenblick der Ruhe zu schaffen, während dem er seinen Gegenüber aufmerksam musterte.

Das Antlitz des Jüngeren mochte sich in den zurückliegenden Wochen deutlich verändert haben, aber das änderte nicht im Geringsten etwas daran wie unglaublich nett anzusehen Cassie doch noch immer war. All die Narben hatten ihm weder seinen Charme, noch seine vertrauten Züge geraubt die Clarence so sehr mochte und in die er sich verliebt hatte wie in die vielen anderen größeren und kleineren Details, die er an diesem Kerl so sehr liebte.

Böse Zungen mochten behaupten können, der Jäger habe seine eigenen Verletzungen vielleicht gerade deshalb so schändlich missachtet um sich damit der Aufmerksamkeit Matthews gewiss zu sein und ja, vielleicht hätten diese bigotten Missgünstler damit vielleicht sogar recht. Wenn der ehemalige Söldner etwas wirklich wollte, dann holte er es sich mit aller Kraft die diesem zur Verfügung stand und auch wenn Claire sich diesem Zug bereits seit längerem bewusst war, so richtig spüren lassen hatte sein Geliebter ihn das insbesondere vorgestern.

Geweckt worden zu sein durch den unbändigen Hunger seines Ehemannes, ohne die geringste Erlaubnis sich gegen dessen nachdrückliches Streben zu verwehren, das hatte ihm gezeigt mit welch markantem Willen sich ein Matthew Cassiel Sky das zu holen vermochte, wenn ihm der Sinn danach war. Heute war sein Drängen weit weniger sündhafter Natur als am vorgestrigen Morgen und doch

Abgelenkt durch das schön anzusehende Gesicht seines Gatten, bekam Clarence gar nicht so recht mit, dass dieser mit dem Verarzten bereits fertig war und ein altbekannter Ausdruck legte sich in die blaugrauen Iriden des Bären, als sich plötzlich die warmen Finger des Jüngeren kraftvoll in seinem Bart vergriffen und ein beinahe schon trotziger Schmatzer das Rot seiner Lippen bedeckte.

„Okay, dann geh vor. Ich geb dir Rückendeckung“, willigte der Blonde schließlich ungewohnt handzahm in die offenbarten Pläne ein und leckte sich verführt über die eben noch geküssten Lippen, beinahe als könne er alleine aus dem Geschmack seines Geliebten mehr werden lassen, als die kurze Liebkosung in Wahrheit eigentlich gewesen war. Sogar gegen die ihm dargereichte Eselskappe erhob er seine Stimme nicht – stattdessen rückte er sich die ungeliebte Kopfbedeckung sogar noch artig zurecht, auch auf die Gefahr hin, dadurch irgendwann mit dem bekloppten Kauz an seiner Seite verwechselt zu werden.

Artig, wie sie es seit dem Vorfall im Feld der Spinnen gelernt hatten, nahmen ihre Hunde auf Kommando vor der zersprungenen Tür zum Foyer Platz wenn sie schon nicht mit hinein kommen wollten und blieben dadurch in Sichtweite, während Clarence sich ein letztes Mal über die bandagierten Arme strich bevor er seinem Partner lautlos ins Innere des Ladens folgte.

Weitere Steinhäute waren kaum noch zu befürchten nach dem extremen Aufmarsch den der Blonde ihnen geleistet hatte, andernfalls wäre er wohl von weit mehr Echsen begraben worden als nur der einen. Das einzige, was blieb und sich nun über ihn legen konnte, waren Staub und fliegende Partikel aus Dreck des innenliegenden Büroraumes und das waren wenigstens Dinge, mit denen selbst ein idiotischer Möchtegernmeisterjäger zurechtkam.

Es war schwierig sich dieses Mal nicht von der schmalen Kehrseite seines Mannes ablenken zu lassen, die Situation und das ungewohnte Schuhwerk an seinen Füßen boten jedoch genug Tribut, um seine Aufmerksamkeit auf die gerade weit wichtigeren Dinge zu fokussieren. Ungeübt aber erfolgreich schaffte er es auch ohne barfuß zu sein sich an den Glassplittern vorbei zu kämpfen, die Waffe trotz Cassies lautlosem Bogen im Anschlag – sicher war sicher – und tastete mit wachem Blick die umliegende Umgebung ab, während der Jüngere sich auf die nähere Umgebung konzentrierte.

Ein leises Brummen drang die Kehle des Bärtigen empor als er den am Tresen lehnenden Leichnam erblickte und es benötigte nicht das geschulte Auge eines Jägers, um die Frage des Dunkelhaarigen mit Gewissheit verneinen zu können. Mutanten töteten zwar oftmals aus aggressivem Instinkt heraus, dafür jedoch nicht derart zielstrebig wie der arme Tropf dort unten zu ihrem Füßen aussah und wilde Tiere hätten weit weniger von dem Mann übrig gelassen. Seine sterblichen Überreste waren zum Teil schon zerfallen, dem offenen Zugang für Insekten ins Innere des Gebäudes geschuldet; die teils auffällig glatten Ränder der Abtrennungen machten es jedoch unmöglich, die Verletzungen auf ein tollwütiges Gebiss oder übermütige Klauen zu schieben.

Abermals sondierte er kurz die umliegenden Tischkanten mit seinem Blick, bevor er an den einsamen Arm in der Raummitte heran trat und mit der Stiefelspitze sachte auf die andere Seite stupste. Nebst modriger Haut, freiliegenden Knochen und mumifizierten Resten von Fleisch, erkannte der Blonde einen in Blut getränkten Ring am vorletzten Finger und schnaufte leise.

Da wird wohl Zuhause jemand vergebens auf den Kerl warten…“, murmelte Clarence monoton vor sich hin und drängte die Vorstellung erfolgreich von sich wie es wohl wäre, wäre er selbst der arme Trottel, der auf ihrem Boot voller Vorfreude völlig umsonst der Rückkehr seines Mannes entgegen fieberte.

Verdrossen ließ er den abgetrennten Arm hinter sich und trat um den Bürotresen herum, dahinter ähnliche Gerätschaften erkennend wie bereits in dem Geschäft, das durch angefressenes Obst geziert worden war. Manche der großen eckigen Teile, die auf den Tischen standen, waren an der Front oder am Rahmen zerschlagen und auch andere Geräte die weit weniger elektrisch aussahen, erschlossen sich dem Blonden in ihrer Bedeutung nicht wirklich.

Was immer du suchst… beeil dich damit. Ich hab kein gutes Gef-“

Ein leises Kratzen ließ ihn sich selbst unterbrechen; augenblicklich hob er sein Gewehr gen Decke, doch in der Dunkelheit die die herausgebrochenen Deckenplatten hinter sich beherbergte war es nichts weiter als der flüchtende nackte Schwanz einer Ratte, der das Geräusch verursacht hatte.

…Gefühl bei dieser Stadt“, beendete der Jäger schließlich erfolgreich und verengte die Augen leicht, während er einen kühlen Luftzug über seine Unterarme wehen spürte.

Mit Bedacht und sichtlicher Anspannung in den Gliedern, trat der Blonde einige Schritte von der anvisierten Stelle an der Decke zurück ohne den Blick davon zu lösen. Es gab Dinge in der Welt an die Matthew nicht glauben mochte weil er sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte – und Claire würde seine unvollständigen Hände dafür ins Feuer legen, dass auch von den fleißigen Jägern alles Unbekannte noch lange nicht katalogisiert worden war. Vielleicht hatte Cassie auch gar nicht so unrecht damit wie untypisch die fehlenden Leichen und das fehlende Leben in Miami waren…

Kurz spähte Claire über die Schulter zurück zur Eingangstür, erkannte dass Abel und Kain dort noch immer brav auf sie warteten und wandte sich schließlich wieder der Deckenplatte zu. Schon aus dem Augenwinkel erahnte er, dass seine Intuition ihn nicht getrübt hatte doch kaum die Iriden wieder direkt auf besagte Stelle geheftet, schien alles wie zuvor zu sein.

Wenn wir heil in dieser gottverdammten Bibliothek angekommen sind, Cassie… dann sagst du mir sobald dir dort etwas komisch vorkommt. Hast du mich verstanden? Und jetzt such.“


Matthew C. Sky

Nein, der arme Tropf dessen Leiche sie gefunden hatten, war nicht durch eine Steinhaut getötet worden. Matthew hätte Clarence‘ sachkundige Meinung nicht wirklich gebraucht um das zu wissen, denn so ziemlich jeder hätte das erkannt. 

Allerdings war der Blonde unbestreitbar ein kleines Genie in Sachen Monsterkunde. Er kannte nicht nur viele der Viecher mit Namen, er wusste oftmals auch ihre Spuren zuzuordnen und zu erkennen. 

Diffizile, kleine Hinweise nahm er wahr und konnte aus ihnen ableiten mit was sie es zutun hatten. Oft hatte ihnen das den entscheidenden Vorteil verschafft im Kampf gegen gefährliche Kreaturen oder eben es hatte ihnen geholfen einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Nicht immer war ein Kampf die beste Option im Umgang mit Mutanten oder wilden Tieren, denn auch wenn Clarence besonders früher sehr dazu tendiert hatte sich in jede Gefahr zu stürzen die sich geboten hatte, so hatte Cassie ihn in der Vergangenheit oft indirekt davon abgehalten sich in allzu waghalsige Kämpfe verwickeln zu lassen. 

Doch dieses Mal schien Clarence keine Ahnung zu haben was den unglücklichen Kerl getötet hatte, denn statt Vermutungen anzustellen, forderte er Cassiel lediglich dazu auf sich zu beeilen und ihm zu sagen wenn ihm irgendetwas komisch vorkam. 

Das war eigentlich nicht Clarence‘ Art, zumindest nicht mehr. Früher hatte er die Dinge gern nur mit sich ausgemacht und Matthew Wissen vorenthalten, aber diese Eigenschaft hatte er mittlerweile abgelegt... glaubte der Jüngere zumindest. 

„Du hast kein gutes Gefühl bei dieser Stadt?“, fragend betrachtete Matthew seinen Mann welcher angespannt zur Decke blickte. Normalerweise hätte Matt nun einen blöden Spruch gemacht, aber die Art wie der Größere sprach hatte etwas Eindringliches an sich, sodass dem Jüngeren klar war, der Blonde meinte es ganz ernst. Kurz schaute auch er zu dem Loch, doch dahinter lag nur gähnende Schwärze. 

Ihm war nichts außergewöhnliches aufgefallen, jedenfalls nichts das nicht offensichtlich war, aber was hieß das schon? 

Vermutlich wimmelte es in dem ganzen Gebäude nur so von Ungeziefer, von kleineren und größeren Tieren und von jenen Wesen denen man am Liebsten nicht begegnete -  wie einer Steinhaut zum Beispiel. 

Matthew machte einen Schritt über den Leichnam hinweg und trat schließlich hinter den großen Tresen. Den dunklen Monitoren und toten technischen Geräten schenkte er dabei keine Aufmerksamkeit, stattdessen steckte er den Pfeil zurück in den Köcher und hängte sich den Bogen wieder über den Rücken. 

Danach öffnete er zielstrebig Schublade um Schublade des Arbeitsbereichs, systematisch nach etwas suchend das ihnen weiterhalf. 

Den Inhalt der Fächer kippte er achtlos auf den Tresen um wenigstens etwas Tageslicht zur Hilfe zu haben. Eilig überflog er die Zeilen der verschiedenen Papiere und Dokumente. Der überwiegende Teil bestand aus Rechnungen, Namen und Adressen. Kleine Karten auf denen ebenfalls Namen und Anschriften und Dinge wie Mobilnummern und E-Mail Adressen hinterlegt waren. Was auch immer das sein sollte...

Cassie sortierte den unwichtigen Krempel aus, schob ihn zur Seite und öffnete die nächste Schublade. „Jackpot!“, kommentierte er den Fund, noch ehe er die kleinen Bücher aus dem Fach genommen und richtig angesehen hatte, aber wusste auch so was er vor sich hatte. 

Auf den etwa ein Dutzend Büchlein stand in eleganter Kapitalschrift SIGHTSEEING-TOUR CITY-GUIDE MIAMI.

Darunter war ein Foto der einstigen Metropole und zeigte einen Zusammenschnitt diverser Orte die mittlerweile vermutlich nichts mehr mit den Bildern zutun hatten. Eine hübsche Grünanlage, eine belebte Fußgängerzone mit zahllosen Geschäften, Sandstrände und eine Kulisse bei Nacht, in der tausende bunte Lichter glommen. 

Zwei der Bücher nahm er an sich, wovon eines in seine Tasche wanderte und er eines in der Hand behielt. Er trat hinter dem Tresen hervor und ging wieder etwas weiter zur Raummitte, dorthin wo es etwas heller war, dann klappte er das Buch auf, knickte den Einband um und überflog das Inhaltsverzeichnis.  

Die ersten vier Doppelseiten bildeten verschiedene Stadtbezirke ab, und damit hatten sie im Grunde schon was sie wollten. 

„Ich glaube wir können gehen...das heißt, falls du dich von dem Loch in der Decke loseisen kannst.“, er nickte zu der schwarzen Öffnung an der er wenig verdächtig fand, bis auf die Tatsache das sie überhaupt existierte. 

Wer oder was die Deckenplatte auch rausgerissen hatte war eine Frage der Cassiel nicht unbedingt nachgehen wollte und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Clarence darauf erpicht war. „Meinst du wir sollten...den Kerl da irgendwie... bestatten?“, fragte er plötzlich mit einem Blick auf den Toten, ohne das er so recht wusste wie er auf die Idee kam. 

Dem Skelett im Auto gegenüber hatte er keine Skrupel und kein sonderliches Mitgefühl gehegt, doch die Leiche die da am Tresen lehnte war irgendwie etwas anderes. 

Nicht nur das sie eindeutig um etliche Jahrzehnte frischer war, sondern auch die klägliche Art und Weise wie sie da so traurig saß war einfach...unnatürlich und es kam Matthew falsch vor sie hier zu lassen. 

An und für sich war er kein sentimentaler Typ und das Schicksal von Toten war ihm in den meisten Fällen egal, weil der Drops für die Betreffenden ja ohnehin gelutscht war. Deshalb konnte er sich die Fragen und Kommentare seines Mannes schon vorstellen noch ehe dieser auch nur einen Mucks dazu sagte. 

„Ich meine... er gehört so überhaupt nicht hier hin und nun sitzt er in diesem hässlichen, stickigen Raum in dem es immer düster ist.“, erklärte Cassie sich, wobei ihm durchaus auffiel wie bescheuert das ganze klang und vor allem auch war. 

„Ach...Scheiße...vergiss es.“, er winkte ab und nickte stattdessen in Richtung der Hunde. 

„Lass uns verschwinden, bevor ich auch noch die Steinhaut draußen begraben will.“

Sie hatten was sie benötigten und sie waren wahrlich nicht hierher gekommen um tote Fremde zu bestatten. Und weil das so war und sein Anflug von irrationalem Mitgefühl weder angebracht noch sinnvoll war, setzte Matthew sich schließlich in Bewegung um das Foyer zu verlassen. 

Kaum dass Cassie wieder draußen war und die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut spürte, wurde ihm bewusst wie kalt es im Inneren des Gebäudes gewesen war. Das Haus, obwohl es durch und durch unscheinbar war und mit nichts aufwarten konnte, dass irgendwie besonders aus dem Rahmen fiel, kam ihm mit einem Mal abweisend vor. Es hatte etwas Drohendes an sich und er war froh, als auch Clarence endlich wieder draußen war. Matthew erschauerte kurz und blickte skeptisch zurück in das dunkle Foyer. Von hier aus konnte man die Leiche nicht sehen, lediglich der abgetrennten Arm ließ sich als undeutlicher Schemen erkennen. 

Der Dunkelhaarige konnte unmöglich sagen was los war, aber plötzlich hatte er das ungute Gefühl, dass da drinnen vielleicht doch noch mehr gewesen war als nur die eine Steinhaut und der eine Tote.

Matt schüttelte kurz den Kopf ehe er das Buch wieder aufschlug und dieses Mal etwas genauer studierte, wobei er leise und nachdenklich „Mhmmmm~“ machte. 

Es stellte sich wenig überraschend heraus, dass Miami weitaus mehr als nur eine Bibliothek hatte, aber das machte die Sache für sie ja nur leichter. 

„Also... es gibt...“, fing er an und zählte durch wie viele Bibliotheken er auf der ersten Doppelseite fand, die den Bereich umfassten in dem sie sich aufhielten. „...sieben Bibliotheken auf dieser Seite...und nochmal....“, er zählte neuerlich „...Neun auf der anderen. Keine Ahnung ob das alle sind, aber ich würde sagen, in einer davon finden wir sicher die Bücher die wir suchen. Und wenn ich die Sache richtig sehe, dann ist die South Shore Branch Bibliothek die, die uns am nächsten ist.“

Er tippte mit dem Zeigefinger auf eine Stelle auf der Karte. „Wir müssten hier sein.“, nachdenklich hob er den Blick und suchte die Umgebung nach Straßenschildern ab um seine Vermutung zu bestätigen, fand aber an Ort und Stelle keine.

„Lass uns mal einen markanten Punkt oder ein Straßenschild finden. Außerdem...gefällt es mir hier nicht mehr sonderlich.“ Wieder wanderte sein Blick in die Halle, doch weder hatte sich in den vergangenen Sekunden der Tote fortbewegt, noch war irgendein anderes unheimliches Vorkommnis eingetreten. Aber Fakt war: Cassie war sehr empfänglich dafür wenn Clarence die Pferde scheu machte, ein Umstand der nicht neu war, sich aber gerade in aller Deutlichkeit abzeichnete. 

 


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