Harper Cordelia

25. Mai 2210


Clarence B. Sky

Vorsichtig öffnete Clarence die Tür zu ihrer Schlafkoje, beinahe lautlos, wohl darauf bedacht das darin schlummernde Dornröschen nicht übermütig dem Land der Träume zu entreißen. Seit nunmehr zwei Tagen war sein Mann endlich wieder Zuhause; ein Alltag der mal mehr, mal weniger gut funktionierte.
Ihr Aufeinandertreffen mit den Spinnenmutationen - so unglückselig jene Tage auch gewesen sein mochten - hatte Matthew einen unbestreitbaren Vorteil erbracht: Er wusste sich zu helfen wenn es darum ging in der beengten Behausung einen Pflegefall zu umsorgen. Doch für Clarence, der sich in jener Zeit nur hatte pflegen lassen müssen, war der plötzliche Rollentausch ein Einblick in jene teils mühevolle Arbeit, in die er erst noch hinein wachsen musste angesichts dessen, dass ihm nicht mehr Platz und Übersicht geboten wurde wie in freier Natur.
Vorsichtig spähte der Blonde durch die geöffnete Tür hindurch und konnte eine Sekunde später bereits spüren, wie sich einer der beiden Hunde ungeduldig an seinem Bein vorbei drängte um ebenso nach seinem angeschlagenen Herrchen zu schauen wie der Bär selbst. Die Welpen mit Mutter von ewiges Eis mochten wildes Blut in sich tragen und eines Tages zu stattlichen Monstern ausgewachsen sein, aber eines konnte man ihnen nicht absprechen: Sie lernten schnell, hatten ein erstaunliches Gespür für die Befindlichkeiten ihrer Menschen und verinnerlichten es auf einzigartige Weise, welches Verhalten derzeit angebracht war und welches nicht.
Mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen beobachtete Claire wie Kain die Vorderpfoten auf die nahe Bettkante hinauf stellte und die von der Kälte feuchte Schnauze über den Rand der Matratze hinweg schob, um mit wedelnder Rute Ausschau zu halten nach ihrem gemeinsamen Sorgenkind. Bei Gott, es hatte wirklich niemand behauptet es würde einfach werden wenn Matthew endlich wieder daheim war und der Hüne freute sich schon jetzt auf den Tag, an dem es langsam wieder mit ihrem gemeinsamen Alltag bergauf ging.
Er mochte ein erbarmungsloser Fürsorger sein, der Bär von Mann, und gerade gegen Abend hin verrieten ihm die Blicke seines Partners nichts anderes. Wo die dunkelhaarige Schönheit im Hause des Arztes den gesamten Tag hatte im Bett liegen können, umsorgt von allem was zwei Füße und Hände besaß, hatte Clarence spätestens seit der anstrengenden Heimreise feststellen müssen, sein Geliebter war langsam aber sicher für mehr Belastung bereit. Wer mittlerweile eine lange, holprige Kutschfahrt überstand ohne dabei erneut zu kollabieren, der überstand es auch wenigstens für die Mahlzeiten bis an den Esstisch auf der anderen Seite der Tür gesetzt zu werden und mit jedem Mal, das er Cassie aus seinem schützenden warmen Bett heraus holte, wurde auch der Bär selbst langsam wieder sicherer im Umgang mit den schweren Verletzungen, die sein Mann kurz nach Ankunft in Cascade Hill erlitten hatte – was aber nicht hieß, seine Angst wäre mittlerweile ganz und gar verflogen.
Noch immer ließ er Matthew keinen Schritt alleine tätigen, begleitete das Kostbarste was er besaß mit Hilfe und Stütze, auf dass dieser dickköpfige Kerl ihm bloß nicht hinfiel und sich doch noch das helle Köpfchen irgendwo anschlug. Sporadisch reagierte der Jüngere darauf noch immer bockig, im festen Glauben die Dinge müssten langsam auch wieder alleine funktionieren; erst gestern hatte er von seinem wilden Barbaren die Ansage bekommen sich hier vorerst nach Claires Regen richten zu müssen, wenn er nicht ohne Rückfahrtticket wieder unter Bennetts schützendes Dach verfrachtet werden wollte. Eine Drohung die hart klang, aber so ernst gemeint war, dass der Rest des Abends etwas besser funktioniert hatte.
Schweigend betrachtete Clarence sich die schlafende Schönheit in ihrem Ehebett, ein Anblick der ihm schon seit Tagen nicht mehr fremd war. Im Inneren der Kleinstadt hatte Cassie damit entweder die Tage verbracht um sie schneller und schmerzfreier hinter sich zu bringen, oder weil der Quacksalber ihn wieder einmal mit Schmerzmitteln zugedröhnt hatte; hier allerdings, zurück auf der Harper Cordelia, war der Kleinere durch die Mühen des Alltags phasenweise derart erschöpft, dass er aus seinen Nickerchen kaum zu erwecken war. Wie auch heute Morgen. Mit sanften Necken hatte der Bär versucht sein Böckchen zu wecken, hatte ihm zaghaft an einzelnen Strähnen gezupft, ja sogar auf unangenehme Art und Weise mit den eigenen Haarspitzen an der Nase gekitzelt – bis auf weniges Verzerren der ramponierten Visage allerdings vergebens, sodass sich der Bär irgendwann dazu entschlossen hatte, sich vorerst alleine dem Morgen und der bald aufgehenden Sonne hinzugeben.
Seitdem war der Christ nicht untätig geblieben, um bereits das Nötigste für einen guten Start in den Tag vorzubereiten. Das erloschene Feuer im Ofen prasselte endlich wieder und ließ frische Wärme durch die geöffnete Tür ins Schlafgemach hinein, die Hunde hatten bereits ihre erste Runde mit ihrem Herrchen draußen im Schnee gedreht und waren mit Clarence ein paar frische Lebensmittel auf dem Markt einkaufen gewesen. Das Deck war größtenteils vom frischen Schnee geräumt worden, ebenso wie das Dachfenster über ihrem Bett – eine Tätigkeit die Clarence nun schon zum dritten Mal außerordentliche Freude bereitet hatte, denn nichts entsprach seinem inneren Spitzbuben mehr, als seinen Gatten heimlich von oben herab beim schlafen zu beobachten. Ja sogar an der Reling gestanden und ein Pfeifchen geraucht hatte Claire bereits, die langsam erwachenden und am kleinen Hafen vorbei huschenden Gestalten begrüßend, mit denen man sich langsam aber sicher mindestens vom Sehen her bekannt war.
Die Umstände ihres Verweilens mochten alles andere als schön sein, aber langsam spielte sich in der kleinen Stadt und auch in seinem Alltag langsam ein Rhythmus ein – einer von jener Sorte, der Claire fremd und doch seltsam bekannt war. Plötzlich kannte man wieder irgendwo Leute, man grüßte sich, hielt ein kurzes Gespräch ab; die täglichen Visiten Bennetts waren beinahe so etwas wie der erste Besuch in ihrem Zuhause, das vorher niemand anderen außer sie beide, die Hunde und damals die Crew der Werf beim Segeltraining kennengelernt hatte. Vorgestern hatte jemand vorsichtig an ihre Tür geklopft und zaghaft einen Auflauf dagelassen, mit den besten Genesungswünschen für seinen Ehemann. Sogar der etwas verschrobene Arquin hatte über den Quacksalber um die Erlaubnis eines Besuches erbeten und sich für den heutigen Nachmittag angekündigt und irgendwie, unbemerkt und heimlich, schien das Ehepaar Sky plötzlich Teil eines Gefüges geworden zu sein, das ihnen völlig unbekannt war und um das sie eigentlich gar nicht gebeten hatten.
Mit lautem hecheln drängte sich nun auch Abel an die andere Seite seines wilden Herrchens, welches sich mittlerweile vors Bett auf den Boden gekniet hatte um gemeinsam mit Kain die schlafende Prinzessin zu betrachten. Wie schnell aus zwei sich beinahe fremden Reisenden eine Familie werden konnte, mit ihren ganz eigenen Eigenarten, zwei Hunden und einem Dach über dem Kopf, war bei genauer Betrachtung irritierend und erwärmend zugleich – aber Clarence würde dieses neue Leben um nichts in der Welt mehr missen wollen.
Meint ihr, wir sollen die Prinzessin noch mal ein bisschen ärgern, mh?“, wisperte der Bärtige leise an Abel gewandt zu, woraufhin er ein leises Fiepen zur Antwort bekam und ein heftiges Wedeln das eindeutig zu interpretieren war, bevor er auch hinüber zu Kain blickte. „Ja? Denkt ihr auch, das ist eine gute Idee? Hat nun immerhin lange genug geschlafen. Na dann…!“ – Immerhin wollte er die Schuld des möglich aufbrausenden Zorns nicht alleine tragen, auch wenn er bezweifelte, dass die beiden Quälgeister später noch offen zu ihrer Zustimmung stehen würden, wenn der Söldner einen schuldigen suchte.
Vorsichtig langte der Bär nach dem Saum der Decke, schob seine von Schnee noch immer kalten Hände darunter und tiefer über das Bett hinaus, bis er am warmen Leib des Dornröschens angekommen war. Langsam ließ er seine zu Eiszapfen verkommenen Finger über den Bauch des Jüngeren hinweg gleiten – vielleicht holte ja wenigstens das frostige Gefühl von Winter seinen Partner aus dem Schlaf, wenn es schon nicht die kuschelige, sommerliche Wärme vor zwei Stunden geschafft hatte.


Matthew C. Sky

Erst zwei Tage waren vergangen seit Matthew in einer ruhigen Winternacht nach Hause zurückgekehrt war und doch hatte sich sein Zustand schon um einiges verbessert.
Clarence zwang ihn mit liebevoller Fürsorge dazu wieder am Leben teilzunehmen und auch wenn er Matthew damit an seine Grenzen brachte, so war es doch gut, dass der Bär von einem Mann genau dies tat. Wo Bennett ihn in Watte und Medikamente gehüllt hatte, hatte der Jäger eine ganz eigene Auffassung davon, wie man einen Verletzten wieder aufpäppelte und die Lebensgeister wieder aktivierte. Litt der Jüngere Schmerzen, so bekam er Ruhe aber keine Schmerzmittel, wurde ihm schwindelig, gingen sie es langsamer an und stieß der Dunkelhaarige an seine physischen Grenzen dann versuchten sie es später erneut. Alles ohne Zeitdruck, aber gleichwohl mit einer sanften Bestimmtheit.
Es ging langsam aber merklich aufwärts und das tat sowohl Matthew aber auch Clarence gut. Der Dunkelhaarige hatte zwar auch immer wieder Momente in denen er mehr wollte als er leisten konnte, doch unterm Strich war der Weg den sie gingen der Richtige. Selbst Bennett hatte dies anerkennen müssen und das obwohl er zuerst äußerst skeptisch gewesen war, was einem Umzug seines Patienten betroffen hatte.
Aber Clarence und Matthew brauchten die Zeit miteinander, sie brauchten Normalität und einen Alltag, denn Letzterer hatte sich seit dem Ablegen aus Coral Valley einfach nicht einstellen können.
Die zurückliegenden Monate waren derart aufreibend gewesen, dass die Zwangspause in Cascade Hill City deshalb auch angenehme Seiten hatte, denn hier fanden sie endlich in Ruhe heraus wie es war einfach zusammen zu sein. Sie hatten kein Ziel und ihr Zeitplan - wenn überhaupt je vorhanden - spielte keine Rolle mehr. Und obwohl es sicher spektakulärere und schönere Orte und vor allem Umstände gab, die Flitterwochen zu verbringen, so war das was sie hatten trotzdem irgendwie genau richtig. Die Menschen in dem kleinen Handelskaff waren einfach aber größtenteils sehr anteilnehmend. Sie waren bemüht das Fehlverhalten der Mitchell-Schwestern wieder wettzumachen, doch nicht etwa um Matthew milde für das ausstehende Urteil zu stimmen, sondern einzig und allein deshalb weil niemand den feigen Anschlag und die verdrehten Motive der Geschwister billigte. Es waren nette Leute, man kannte sie und besonders Clarence wechselte so manches Wort mit ihnen auf seinen täglichen Runden, auf denen Matt ihn leider noch nicht begleiten konnte. Aber auch ohne Spaziergänge war der Dunkelhaarige schon eingespannt genug, einfach weil er nicht mehr den ganzen Tag im Bett verbrachte.
Nach dem gestrigen Tag - der Matthew ziemlich erschöpft hatte - hatte dieser am heutigen Morgen daher eine Technik angewendet, die sich schon sehr oft als nützlich erwiesen hatte. In unzähligen Nachtwachen hatte der junge Mann sie erprobt und verfeinert und war damit schon so manches Mal um das Mühsal herumgekommen, aufstehen zu müssen.
Auch an diesem Morgen hatte sich der Jüngere weitere wohltuende Zeit erschlichen, denn nachdem er sich erfolgreich schlafend gestellt hatte, war er - kaum das Clarence rücksichtsvoll davongeschlichen war - tatsächlich wieder eingeschlafen.
Es war einfach zu gemütlich in ihrem Bett um selbiges in dieser Hergottsfrühe zu verlassen, so wie es der Schamane aber regelmäßig zutun pflegte. Auch in der Wildnis stand er meist noch vor der Morgendämmerung auf, eine Angewohnheit die sich seit ihrer Heirat zumindest etwas relativiert hatte. Aber auch Cassiels Schlafgewohnheiten waren mittlerweile andere geworden.
Der einst so wachsame Bursche wurde auch nicht wieder munter als sich die Tür zu ihrer anheimelnden Schlafkoje abermals öffnete und Kain samt Abel zusammen mit Bär Clarence hineingeschlichen kamen.
Auf dem Rücken liegend und den Kopf in Richtung Bettkante gedreht, ruhte Matthew friedlich. Sein dunkles und wirres Haar umrahmte sein Gesicht und machte das Narbengewebe vom Spinnengift beinahe unsichtbar. Die Decke hatte er bis zur Nasenspitze gezogen und sich so warm eingemummelt, dass die Kälte des Winters nicht mal in seinen Träumen Einzug halten konnte. So tief zu schlafen würde in der Natur einen sicheren Tod bedeuten. Zuhause jedoch, beschützt und in Sicherheit, war das anders.
Die längste Zeit seines Lebens hatte sich Matthew nirgends sicher gefühlt, doch seit er auf Clarence getroffen war, hatte sich das geändert.
Zufrieden unter der Daunendecke und einem der weichen Felle begraben, schlummerte Cassiel als hätte es nie einen Grund gegeben sich zu fürchten oder vorsichtig zu sein.
Doch der Leichtsinn und die Vertrauensseligkeit des Dunkelhaarigen waren dessen größte Schwächen und auch in seinem beschaulichen Heim war er nicht vor heimtückischen Attacken gefeit - eine Lektion die Matthew jäh lernte, als sich eiskalte Fingerspitzen auf seinen nackten Bauch legten und die bis dahin entspannten Muskeln aufzucken ließen. Schon mit der allerersten Berührung wurde Cassiel aus seinen behaglichen Träumen gerissen und zurück in die Realität geholt. Reflexartig war er ein paar Millimeter von den Eiszapfenfingern zurückgewichen, noch bevor er registrierte wer für diese Untat verantwortlich war. Seine erschrockenen und zugleich schlaftrunkenen Bambiaugen erspähten die zwei Hunde, die frech über die Bettkante lugten und deren Ruten geräuschvoll immer wieder gegen irgendetwas neben ihnen schlugen.
Aber diese zwei Räuber waren sicher nicht für die frostige Attacke verantwortlich. Dieser Schabernack ging auf das Konto von Eisbär Clarence Sky, der zwischen beiden Hunden kniete, einen Arm über das Bett geschoben hatte und dessen Hand unter Matthews Bettdecke verschwunden war. Mit vor Kälte roter Nasenspitze und Wangen, mit spitzbübischem Funkeln in den Augen und einem charmanten wie auch jungenhaften Schmunzeln auf den Lippen, war der Jäger aktuell der Inbegriff von einem dreisten Frechdachs, den man einfach lieben musste.
„Du bist ein furchtbarer Kerl.“, deklarierte Matthew mit vom Schlaf noch etwas kratziger Stimme und streckte sich unter der Decke ein bisschen. Seine nicht gerade liebevolle Begrüßung war typisch Cassie, aber gleichwohl gar nicht so bissig wie man hätte meinen können. „Guten Morgen...“, fügte er schon eine Sekunde später an und umschlang mit den eigenen Fingern die von Clarence auf seinem Bauch, um sie nach oben an seine Lippen zu ziehen.
Noch immer bis zur Nasenspitze unter der Decke, pustete er gegen die eisige Bärentatze um sie wieder etwas aufzuwärmen, ehe er strafend in den Zeigefinger biss und seinen Wildling rügte. „Warum bist du so kalt, hm? Komm her, du Blödmann...komm her und wärm dich auf.“ - erneut hauchte er gegen die Finger und musterte den frechen Blondschopf, den er so sehr liebte, wie nichts auf der Welt. „Los, ihr drei. Familienkuscheln.“, lud er seine Jungs ein und lupfte seine warme Decke ein bisschen. Beide Hunde verstanden die Einladung und waren schon auf dem Bett noch ehe Clarence überhaupt wieder auf den Füßen war. Kain stupste mit seiner feuchten Nase gegen Matthews Wange und schleckte einmal darüber, brachte Cassiel damit zum Lachen, während Abel sofort unter die Decke schlüpfte und sich an Matthews Bauch einrollte.
Nun fehlte nur noch Clarence, aber dieser hatte jetzt das Nachsehen wenn es darum ging sich direkt an den Jüngeren kuscheln zu dürfen. Dieser war nämlich nun von beiden Hunden in Beschlag genommen. Vielleicht war das Gottes Strafe für seine fiese Weckaktion...
Kains Kopf lugte neben Cassies aus der Decke, während Abel vollkommen abgetaucht war. Lediglich seine Rutenspitze schaute noch hervor. In dieser Menage au trois fehlte noch einer um die Familie komplett zu machen und Matthew machte deutlich das er diesen Verlust nicht hinnehmen wollte, in dem er an Clarence’ Hand zog und ihn mit einem warmen und verschlafenem Lächeln aufforderte zu ihm zu kommen. „Los, Väterchen Frost, komm zu uns...“


Clarence B. Sky

Mit wachem Blick beobachtete der Frühaufsteher das geliebte Knäuel unter der Bettdecke, spürte mit einem warmen Lächeln auf den Lippen das zuckende Erwachen und konnte die beiden Hunde neben sich aufgeregt mit den Ruten schlagen hören, als die ersten murmelnden Worte aus den warmen Federn zu ihnen heraus drangen. Vermutlich wusste Cassie überhaupt nicht wie anbetungswürdig er dort lag, in ihrem liebevoll eingerichteten Bett, zum Anbeißen süß hinter dem Saum der Decke hervor blinzelnd und seine drei Burschen verschlafen erkennend.
Wo ihm die Worte seines Partners früher - in einem gefühlt ganz anderen Leben – schon vor dem Sonnenaufgang miese Laune beschert hätte, zauberten sie Clarence heute ein nur noch breiteres Schmunzeln ins Gesicht, während er amüsiert das schlaftrunkene Prinzesschen begutachtete. Die Finger des Dunkelhaarigen brannten warm auf seinen eigenen, so unterkühlt hatte ihn der fleißige Morgenspaziergang in aller Herrgottsfrühe, dass ihm der heiße Atem seines Mannes wie ein Segen vorkam, als jener die kluge Entscheidung traf seinen Bären auftauen zu wollen.
Das letzte Mal einen Morgen in aller Friedlichkeit miteinander zu genießen, lag beinahe viel zu weit zurück als Clarence sich noch klar daran erinnern konnte. Sie hatten nach ihrer Hochzeit und dem opulenten Geschenk des Jüngeren die pompöse Villa in Coral Valley zumeist früh verlassen um ihre teuren Segelstunden bei Teddy und seiner Crew zu nehmen oder Einkäufe zu tätigen, damit ihr künftiges Heim vorm Ablegen ordentlich ausgestattet war. Und davor? Nun, der stramme Söldner hatte es bevorzug noch lange vor Clarence‘ eigener gewohnter Stunde das Bett zu verlassen, strebsam dem Auftrag der Hurenkönigin folgend um das aufgetragene Zielobjekt zu eliminieren… oder jedenfalls so etwas Ähnliches.
Schweigend betrachtete Clarence das wundervolle Bild welches sich vor ihm abspielte, genoss es sichtlich seinen Mann zurück in ihrem gemeinsamen Bett zu erblicken und nach Tagen des Bangens das helle Lachen zu hören, welches er nach all den zurückliegenden Strapazen so sehr vermisst hatte. Seit der Abreise aus der Hafenmetropole hatte ihnen das Leben nicht wirklich etwas zum Lachen geschenkt, sondern dunkle Wolken am Horizont ihrer Hoffnungen und Träume aufziehen lassen; nach all dem Erfahrenen mitzuerleben wie Cassie wieder aufblühte, wie er lachte und die Hunde sich gestüm und dennoch mit vorausschauender Ruhe in seine Nähe begaben, war mehr als dem Christen ursprünglich von dem Quacksalber versprochen worden war.
Noch gar nicht allzu lange war es her, da hatte der Jäger Clarence Bartholomy Sky nicht mal im Traume daran gedacht, er würde sich jemals in einer solchen Szenerie wiederfinden. Liebe und Familie waren seinem Leben so fern gewesen wie die Sonne dem Mond. Man wusste es gab sie beide, genauso wie es eine einsame und eine zweisame Seite des Lebens gab, aber beide zueinander zu führen und auf die andere Seite gelangen? Unmöglich, wie es dem Blonden noch zum Einbruch des Winters erschienen war, und in etwa genauso undenkbar wie ein Matthew Cassiel Reed, der von so etwas wie Familienkuscheln sprach und ihn voller Wärme unter die eigene Bettdecke einlud.
Doch heute war es nicht mehr das Zelt des Söldners in welches er seinen Bären dirigierte oder gar dessen eigene Decke, sondern ihr gemeinsames Nest mit einem einzigen großen Überwurf, unter dem sie nachts eng aneinander geschmiegt beieinander lagen. Und darunter, spätestens seit Claires eigener Verletzung von vor wenigen Wochen, die wohl einfühlsamsten und wohlerzogensten Welpen der Welt, die man kein zweites Mal bitten musste wenn es um Streicheleinheiten im Bett ging.
Die Antwort darauf, womit Clarence so ein Glück in seinem verkorksten Leben nur verdient hatte, würde das Universum ihm wohl auf ewig schulden bleiben müssen. Aber selbst wenn es sie gab, die Antwort aller Fragen, so würde ihre Bedeutung verblassen im Angesicht dessen wie gesegnet der Hüne sich fühlte im Kreise seiner kleinen Familie, die sich so nahe geworden war wie manche Bindungen es in mehreren Jahrzehnten nicht taten. Sogar Kain schielte aus dunklen Augen zu ihm hinüber als wolle er sein zweites Herrchen einladen wollen, ähnlich wie sein erstes es schon getan hatte; ein überaus bedeutender Anblick wenn man daran dachte, dass Clarence erst den einen im Wald, dann den anderen in einer Marktbude gefunden hatte, um sie mit nach Hause zu nehmen, aufzupäppeln und dadurch vor dem Tode zu bewahren. Wo er selbst heute wäre, hätte er damals nicht auf sein Bauchgefühl gehört… undenkbar.
Mit einem seichten Lächeln auf den Lippen folgte er ein Stück weit dem ungeduldigen Zug an seinem Arm, doch nur um sich schließlich aus dem fremden Griff zu befreien und seine kühle Hand sachte auf der Wange seines Partners abzulegen. Zärtlich ließ Clarence seinen Daumen über die warme Haut streicheln und den dunklen Bart welcher das vertraute Antlitz zierte, genoss das sporadische Kratzen der widerborstigen Stoppeln und hätte sichtlich nicht verliebter dreinschauen können, als er es derzeit tat.
„Guten Morgen, Süßer“, eine Begrüßung die viel zu spät anmutete und von der man hätte darauf schließen können, der Hüne sei innerlich noch ganz und gar verschlafen – die aber nichts anderes implizierte als den verführerischen Zauber, welchen Matthew selbst nach all den Monaten noch immer auf seinen wilden Klotz ausübte.
Zugegeben, dass sie sich theoretisch, eventuell vielleicht, praktisch eigentlich noch in ihren ursprünglich angepeilten Flitterwochen befanden, war dem Bären von Mann beinahe entgangen. Seit ihrer Eheschließung waren sie ausschließlich auf Trab gewesen. Hatten wochenlang die Villa verlassen um zur Werft zu fahren und sich für das Kommende zu wappnen anstatt sich einen Tag alleine für sich zu nehmen, hatten dann Hals über Kopf ihre Energie darein investiert, endlich aus Coral Valley weg zu kommen. Sie waren auf riesige und potentiell tödliche Mutanten in Spinnenform getroffen, hatten sich verloren und waren verletzt worden, dadurch einer ewig anmutenden Rekonvaleszenz zum Opfer fallend – und hatten sich im Anschluss gehetzt endlich von der verfluchten Insel wegzukommen, nur um direkt im Anschluss Sally Mitchell in die Arme zu laufen.
Theoretisch saß ihnen die Welt nicht im Nacken, nichts und niemand trieb sie dazu zu eilen und sich Stress zu machen und dennoch hatte es sich beinahe so angefühlt. Aber mittlerweile?
Der Hafen Cascade Hill Citys war sicher, ihr Anlegeplatz genehmigt durch Captain Mitchell selbst. Die Menschen, auf die sie mittlerweile trafen, waren freundlich und zugewandt anstelle von hungrigen Mutanten die nach ihnen jagten. Selbst die Unterstützung die Matthew derweil noch benötigte und alles andere war als noch in Coral Valley geplant, war Clarence keine Last, sondern endlich ein zurückfinden in einen gemeinsamen Alltag miteinander, den sie so eigentlich noch nie zelebriert hatten. Es war einfach wenn man Termine hatte und Pläne für den Tag, Ideen und Wünsche die man umsetzen wollte, und sei es nur das entkommen vor Riesenspinnen. Aber hier, in der abgelegenen Kleinstadt, mit Sally und Molly Mitchell hinter Gittern und ausschließlich Menschen um sie herum die ihnen etwas Gutes wollten sowie einem Markt mit Lebensmitteln direkt vor der Nase, hier gab es keine Struktur und keine Pflicht die sie trieb. Und wenn sie es denn so wollten, dann verbrachten sie einfach den Tag gemeinsam im Bett, die Welt würde davon nicht untergehen.
„Mhh…“, brummte der blonde Bär nachdenklich, ganz so als müsse er ernsthaft abwägen ob er der Einladung seines Mannes nachgehen sollte oder nicht. Das letzte Mal war er trotz bereits erfolgtem Aufstehen wieder ins Bett gegangen, da hatten sie sich noch in Jeynes protziger Villa befunden; also ein für Clarence äußerst ungewohnter Tagesablauf. Trotzdem fand er selbst bei intensivstem Nachdenken partout keine Argumente, die gegen eine Rückkehr unter die warme Daunendecke sprachen – dafür wogen die lohnenswerten Aussichten einfach zu schwer.
„Na gut… aber nur weil du es bist. Und weil ich ein wirklich, wirklich armer Bär bin, der ein bisschen Wärme dringend nötig hat. Du versprichst, dass du mich wieder hin bekommst?“
Doch eine Antwort musste der wirklich, wirklich arme Bär gar nicht abwarten, denn selbst wenn Cassie ihn nicht wieder würde geradebiegen können, lohnte sich ein Umzug zurück ins Bett allemal.
Vorsichtig reckte er sich über die Matratze hinüber zu dem Haufen verwegener Jungs, streichelte seinem Mann ein letztes Mal über die Wange und hauchte ihm neckisch einen Kuss auf die Stirn, bevor er das gleiche mit Kain anstellte und sich endlich schwerfällig zurück auf die Füße erhob. Frost und Eis hatten selbst seine Glieder steif gefroren, da halfen selbst die noch einigermaßen neuen Stiefel nicht, die er sich auf Cassies Drängen hin hatte anfertigen lassen; aber wer brauchte schon durchnässte Kleidung von Schneematsch, wenn man stattdessen zum Warmhalten einen unverschämt gutaussehenden Mann bekam und obendrein zwei kuschelig weiche Hunde, die nichts lieber taten als an kalten Wintertagen bei ihren Besitzern zu liegen.
Unachtsam, als hätte er sich vor zwei Tagen nie die Mühe gemacht endlich ein bisschen Ordnung in ihr Heim zu bringen, landeten Pullover und nasse Hose vor der Tür zum Kleiderschrank und alles was blieb war die lange rote Unterwäsche des Jägers sowie grob gestrickte Socken, die trotz aller Bemühung nur wenig dabei halfen seine wertvollen Zehen vorm Kältetod zu bewahren.
Die sich langsam wieder ausbreitende Wärme vom Ofen und flackerndes Licht aus der Essecke nebenan waren es, welche Clarence dabei begleiteten sich steif und ungelenk unter den gelupften Saum der gemeinsamen Decke zu begeben und langsam tiefer in das rettende Bett zu kriechen. Es war schon fast ein bisschen unverschämt wie viel Platz sich Cassie und ihre beiden Jungs ganz alleine für sich einforderten ohne dabei an den wirklich, wirklich armen Bären zu denken – aber so wie der Bär die drei Rabauken kannte, war das vielleicht auch einfach nur Absicht, damit der Blonde gar nicht anders konnte als sich dicht an das Trio heran zu schmiegen.
Erschöpft wie ein alter Mann der gerade einen Tag voller Arbeit hinter sich gebracht hatte, seufzte Väterchen Frost auf, wälzte sich auf die Seite – dem familiären Haufen entgegen – und bettete das Haupt mitsamt frierender Nasenspitze auf den weichen Kissen ihres Schlafgemachs, während sich Kain und Abel mit spürbarem Wühlen neu zwischen ihren Herrchen positionierten.
„Ich würde dich ja fragen wie dein Morgen war, aber du bist ein ganz schön faules Kerlchen geworden, seitdem wir hier angelegt haben. Schläfst ständig und verlässt kaum noch das Bett“, stichelte Clarence amüsiert und stieß dabei liebevoll den Fuß des Jüngeren mit dem seinen an. „Wie wäre es, wenn du dich ein bisschen betätigst und deinem fleißigen Gatten zum Aufwärmen einen Guten-Morgen-Kuss gibst? Ich werd auch nicht meckern, weil du dir bis jetzt noch nicht mal die Zähne geputzt hast. Versprochen.“


Matthew C. Sky

Was hatte dieser groß gewachsene Mann nur an sich, dass ein einziges schelmisches Lächeln reichte um Matthews Herz schon schneller schlagen zu lassen? In Clarence‘ Gegenwart fühlte sich der eigentlich reservierte und weltgewandte Söldner, wie ein Teenager und das passte doch eigentlich gar nicht zu ihm, oder?
Nach allem was zurücklag hätte er abgestumpft sein sollen und nicht von derart naiver Zuversicht geprägt, dass alles gut war und alles noch besser werden würde. Und doch war exakt das Matthews Glauben, wenn er mit Clarence zusammen war.
Sein Bauch kribbelte und er konnte gar nicht anders als den Größeren offen anzuhimmeln. Selbst jetzt, verschlafen und noch gar nicht wieder richtig Herr seiner Sinne, sah man ihm zwei Dinge klar und deutlich an. Erstens, er fühlte sich vollkommen sicher in ihrem behaglichen Heim. Und Zweitens, wie sehr er seinen Mann liebte.
Vielleicht lag es daran, dass Matthew Clarence als einen abweisenden und rauen Menschen kennengelernt hatte. Ein Mann, der nie lächelte, ein Mann der nie scherzte und dessen Augen einen abstrafen konnten wie eine Dusche mit Eiswasser.
Matthew hatte lange nicht gewusst warum der Jäger so war wie er war, erst spät hatte er erfahren das ihm seine Familie genommen worden war und das ein Fluch auf ihm lastete. Das Fehlen von Freude und Glück über keinen geringeren Zeitraum als sieben Jahre war nichts anderes als grausam und das wohl traurigste Schicksal das einen Menschen erwarten konnte und dieser Hintergrund offenbarte die Gründe für die reservierte Kühle und abweisende Distanz, die Clarence stets ausgezeichnet hatte.
Bis zu jenem Abend im Blauer Hund, als Matthew mit seinem Geständnis den Weg für ihre Beziehung geebnet hatte. Erst ab jenem Augenblick- der alles hätte zerstören können-hatten kleine Veränderungen Einzug gehalten und nichts war zerstört worden. Alles war gewachsen, zuerst langsam und unscheinbar, aber dennoch... Ein winziges, vereinzeltes Lächeln hier, ein sanfterer Ausdruck in den blau-grauen Augen da.
Der Blondschopf, dessen Hand Matthews Wange gerade zärtlich liebkoste, war nicht mehr der Mann der Cassiel im Wald gefunden hatte und selbes galt sicher auch für ihn selbst.
Sie hatten sich beide verändert und doch erschien es Matthew so, als seien sie heute mehr sie selbst als all die Jahre zuvor. Sie waren keine Anderen geworden, sie waren wieder sie und das obwohl sie unaussprechliche Dinge erlebt hatten, obwohl man ihnen so viel weggenommen hatte, dass es eigentlich unmöglich war das sie doch wieder ganz werden konnten. Aber Matthew war es und Clarence… Matthew würde alles dafür tun, dass auch der Wildling es wieder wurde.
Obgleich es gar nicht zu dem Schamanen passen wollte, kam er trotzdem nochmal zurück ins Bett und das obwohl er sicher schon seit einiger Zeit auf den Beinen war und sicherlich nicht mehr müde war. Aber Clarence war so frei und erklärte seine Zustimmung damit, dass er ein armer, armer Bär war, der dringend aufgewärmt werden musste und wenn Matthew die Kälte seiner Tatze ins Kalkül zog, dann hatte Claire eindeutig recht.
„In meinem Schabrackentapirpelz wärst du nicht erfroren...“, äußerte der Jüngere ohne sich das geforderte Versprechen entlocken zu lassen, dafür aber mit interessiertem Blick auf den Größeren, der sich gerade daran machte sich zu entkleiden. Clarence hatte rein gar nichts von seiner Faszination auf Cassiel verloren, eher das Gegenteil war der Fall.
Mit von der Kälte steifen Muskeln war aber selbst der sonst so geschmeidige Jäger gerade sehr possierlich und ein wenig staksig und ungelenk. Er hievte sich über die Matratze zu dem eingekuschelten Trio und mummelte sich mindestens so tief ein wie Matthew.
„Wenn du mich fragen würdest wie mein Morgen war, würde ich dir sagen das mein garstiger Ehemann sich aus dem Bett geschlichen hat um jenseits unseres Heims sein Unwesen zu treiben... ich weiß nicht was, aber ich weiß das wir nicht zusammen aufgewacht sind und dabei ist...zusammen aufwachen mindestens so schön wie zusammen einschlafen.“, Matthew lächelte ein kleines warmes und verschlafenes Lächeln, dann fügte er an: „Wenn du mich fragst, das hab ich nicht verdient.“ Nein, wahrlich nicht, aber Clarence war einfach kein Langschläfer , sodass gemeinsames Erwachen ohnehin eine Seltenheit war. Der junge Mann atmete schwer und stieß mit seinen Füßen gegen die des Größeren. Sie waren eisig und Cassiel zog missbilligend die Brauen zusammen. „Du bist wie ein Eiszapfen...“, seine Füße schlangen sich daraufhin um jene des Älteren und er streckte einen Arm aus um ihn über Clarence zu legen und ihn wieder halbwegs warm zu bekommen. Kain, der zwischen ihnen lag, rutschte etwas nach unten, in dem er unter die Decke abtauchte und Abel noch weiter hinab drängte, was der helle Rüde aber widerstandslos zuließ.
“Wie wäre es, wenn du dich ein bisschen betätigst und deinem fleißigen Gatten zum Aufwärmen einen Guten-Morgen-Kuss gibst? Ich werd auch nicht meckern, weil du dir bis jetzt noch nicht mal die Zähne geputzt hast. Versprochen.“ - die albernen Worte des Blonden ließen Matthew hell und unbeschwert auflachen, so als wäre es zwischen ihnen nie anders gewesen. Clarence machte eine freche Bemerkung und Cassie lachte. In Wahrheit war Cassies Lachen aber erst echt geworden, als der Ältere ihm gesagt hatte ihn zu lieben und Clarence hatte früher nie freche Bemerkungen gemacht. Und doch fühlte es sich vertraut für Matthew an, hier mit seinem Geliebten zu liegen, ihn aufzuwärmen, ihn bei sich zu wissen - körperlich und emotional gleichermaßen.
„Die Kälte hat deine wenigen Hirnwindungen eingefroren, wie mir scheint...“, konterte er frech, während er mit seiner Hand über Clarence’ Oberarm rieb um den Größeren wieder aufzutauen. Dass er sich eines Kusses zierte verriet sein Schmunzeln; und das er es aus dem selben Grund tat wie Clarence vermutete - nämlich aufgrund von noch ungeputzten Zähnen - war ebenso offensichtlich. Der Blondschopf kannte sein eigensinniges Böckchen zu gut und das obwohl sie erst vor einigen Monaten begonnen hatten ehrlich miteinander umzugehen. Aber der arme, arme Bär blickte nicht zufrieden drein und so richtete sich der Kleinere schließlich doch ein Stückchen auf, aber nur um sich über Kain hinweg und zu Clarence zu beugen. Seine mittlerweile schon erstaunlich langen Haarsträhnen fielen dabei nach vorn und berührten Clarence’ Gesicht.
Es war ein kleiner Kuss, den der Dunkelhaarige seinem Wildling nun endlich schenkte, unschuldig und ohne das Feuer der Leidenschaft das immer schnell zu entzünden war zwischen ihnen. Weich und sanft legten sich Matthews Lippen auf die seines Liebsten und er schloss die Augen für den kurzen Moment da die Berührung andauerte. Dann hob er den Kopf wieder etwas an, sah verliebt auf den Liegenden herunter und streichelte mit den Fingerspitzen unter der Decke über die bunte Brust des Jägers zu der er gewandert war.
„Erzähl mir was du getrieben hast.“, bat er leise ohne das er davon ausging das es etwas besonderes war. In der kleinen Handelsstadt war wenig passiert seit man ihm den Schädel eingeschlagen hatte. Die Leute waren einfach. Sie waren höflich und interessiert an einfachen Dingen, weil das die Dinge waren auf die sie sich verstanden. Matthew glaubte nicht, dass Clarence an diesem Morgen schon etwas spannendes erlebt hatte. Aber darum ging es nicht. Matt wollte gerade keine abenteuerlichen Geschichten hören, keine Geheimnisse oder schwerwiegenden Erkenntnisse. Alles was er hören wollte war die Stimme von Clarence. Die tiefe Stimme, angenehm und vertraut, während seine Hand auf dem sich immer wieder hebenden Brustkorb lag. Was könnte es schöneres geben als das? Jetzt und hier gerade gar nichts.


Clarence B. Sky

In meinem Schabrackentapirpelz wärst du nicht erfroren...“, stellte der verschlafene junge Mann im Bett eine wagemutige These auf, mit derer er wahrscheinlich sogar recht hatte. Der unglaublich polarisierende Mantel seines seltsam Mode-affinen Geliebten würde vermutlich ein ganzes Dorf über mehrere Jahr hinweg warm halten können – die Übergröße des Teils versprach zumindest genug Platz für eine frierende Meute – aber das bedeutete nicht, Clarence würde sich damit nicht gleichfalls zum Trottel machen.
Es war das eine wenn Cassie in derlei fragwürdiger Kleidung steckte, denn dafür brauchte man einfach ein gewisses Auftreten und das benötigte Selbstbewusstsein, um den folgenden Attacken mit faulen Tomaten zeitnah ausweichen zu können. Das hier war keine Metropole in denen die Leute ausgefallene Kleidung zu schätzen wussten, sondern ein kleines Dorf voller einfacher Fischer – wenn man schon alleine dafür einen Stein an den Kopf bekam mit einem anderen Mann verheiratet zu sein, dann wollte der Jäger gar nicht erst wissen was man mit ihnen anstellen würde, liefen sie mit pelzigen Tierohren an ihren Kapuzen herum.
Ungläubig ob der ernsthaften Annahme, Clarence könne auch nur in seinen Träumen dieses hässliche Ding um seine stattlichen Schultern schmeißen, schüttelte der Blonde den Kopf über seinen an diesem Morgen überdurchschnittlich frechen Gemahl. Bislang hatte sich Cassie noch nicht dazu geäußert wie seine Nacht gewesen war, aber wenn der Tag schon mit so einer großen Klappe begann, musste der Jüngere verdammt gut geschlafen haben.
Mit wohligem Brummen rutschte Clarence etwas tiefer unter die noch immer warme Decke welche sie noch vor wenigen Stunden geteilt hatten und nun wieder zusammen bewohnten. Raschelnd ließ er seine kalte Nasenspitze für einen Moment unter dem weichen Saum abtauchen, stand dem jungen Söldner im Dasein als Faulenzer somit in nichts mehr nach – und hatte gleichzeitig den perfekten Sichtschutz zwischen ihnen, damit der Dunkelhaarige sein unverschämt breites Grinsen nicht sehen konnte.
Wer hätte jemals gedacht, aus dem Munde des Jüngeren würden eines schönen Tages derartige Äußerungen kommen? Zusammen aufwachen war mindestens genauso schön wie zusammen einschlafen?
Wer um alles in der Welt war dieser unverschämt attraktive und vor Verliebtheit strotzende junge Mann, der dem wilden Barbaren dort gegenüber lag?
Vor wenigen Monaten noch war es undenkbar gewesen, Matthew Cassiel Reed würde ihn jemals in sein windschiefes Zelt einladen um die Nacht nicht unter freiem Himmel verbringen zu müssen. Zu ungewaschen das goldblonde Haar, zu dreckig seine nackten Füße, zu zerschlissen das alte Berglöwenfell, welches Clarence des Nachts unter sich auszubreiten pflegte. Wenige Wochen später hatte es beinahe beiläufig gewirkt wie Cassie ihn ob des anbrechenden Winters doch zu sich ins Zelt zitiert hatte um draußen nicht zu erfrieren, dennoch war der Kampf mit sich selbst dem Söldner damals mehr als offensichtlich anzusehen gewesen. Seiner eigenen Art zu widersprechen fiel dem Kleineren nicht leicht, noch weniger wenn er die halbe Zeit ihrer Bekanntschaft völlig andere Töne von sich gegeben hatte und sich irgendwann, am Fuße des Devils Teeth, des Nachts heimlich an ihn anzuschmiegen, war ein Ding der Unmöglichkeit gewesen und natürlich nur ganz alleine der beißenden Kälte geschuldet.
Jener Kerl also, der Wochen benötigt hatte um ihn in sein Zelt zu lassen und der sich schlafend stellte wenn es darum ging den armen einsamen Jäger bei der Nachtwache abzulösen, fand zusammen aufwachen mindestens genauso schön wie zusammen einschlafen und bei Gott, Matthew hatte absolut recht mit dieser liebevollen Feststellung, die in einem gefühlt anderen Leben niemals zu ihnen beiden gepasst hätte.
„Stimmt, das hast du wirklich nicht verdient. Schande über mich und meine innere Uhr“, stimmte der Bär seinem Böckchen tadellos zu, ohne dem Schein halber noch lange über Für und Wider diskutieren zu müssen. „Ich glaube das alte Ding ist angesichts des Winters einfach zu Eis erstarrt und läuft deshalb nicht mehr ordentlich. Vielleicht sollte ich sie etwas zurück stellen, damit wir morgens ein paar Stunden mehr miteinander haben?“
Die schwere Daunendecke schluckte einen Großteil von Clarence‘ Stimme und ließ ihn gedämpft nuschelnd klingen; ein Tonfall der dem sonst so strammen Jäger eine Ausstrahlung verlieh, die ganz alleine Matthew zuteilwurde und die niemals ein anderer Mensch jemals kennenlernen würde. Doch so oder so – da sie den frechen Taugenichts niemals zu einem Frühaufsteher würden machen können, war es letzten Endes alleine an Claire, ihnen künftig ein paar kostbare Minuten mehr im Bett zu verschaffen.
Seufzend schloss der an diesem Tag schon fleißigere der beiden Männer seine Augen, gab sich dem wohligen Gefühl hin das die wühlenden Füße des Jüngeren um seine versprachen, ebenso wie die noch unruhigen kleinen Monster zwischen ihnen. Matthews Zuwendung und sein helles Lachen am frühen Morgen sorgten für eine wohltuende Nähe zwischen ihnen, die einstmals undenkbar gewesen wäre; zurück in ihr gemeinsames Lager zu kommen, das längst zu einem Zuhause geworden war, fühlte sich familiär und heimelig an wie er es sich in seiner bloßen Fantasie niemals derart hätte ausmalen können. Der Vorschlag einander zu heiraten war das eine gewesen, was daraus geworden war, wiederum etwas völlig anderes. Zweisamkeit, Vertrauen und die Sehnsucht zum anderen zurück zu kehren konnte man nicht erzwingen. Das alles hatte sich ganz von alleine entwickelt und eben weil es heute genau so war, wollte Clarence den anderen um niemanden auf der großen weiten Welt mehr eintauschen.
Ob seine wenigen Hirnwindungen nun ebenso eingefroren waren wie seine innere Uhr oder nicht, würde auf ewig ein ungelöstes Rätsel bleiben. Doch auch die offene Frage nach dem Zustand seines verbliebenen Intellekts konnte den Blonden nicht davon abhalten erneut die Augen zu öffnen und voller Unschuld sowie Unwissenheit ob der gemachten Anspielung zu seinem Ehemann aufzusehen, der sich trotz aller Zweifel erbarmte und über den frierenden Eisblock beugte.
Es brauchte kein Feuer der Leidenschaft am frühen Morgen um bei Clarence einen Funken zu entzünden, den Cassie eigentlich gar nicht hatte heraufbeschwören wollen. Ob mit freiem Oberkörper in der Hitze des Sommers oder gestrickten Socken, ungeputzten Zähnen, zerzaustem Haar und den Resten von Schlafsand in den Augenwinkeln – Matthew übte selbst nach all den zurückliegenden Monaten noch immer eine Faszination auf seinen Hünen aus, die absolut unbegreiflich war. Zufrieden brummte der Bär in den Kuss, folgte den fremden Lippen nur so weit wie die Decke es zuließ ohne hinaus in die vergleichbar eisige Kälte der schlafhöhle zu geraten und ganz alleine den beiden Hunden zwischen ihnen hatte Matthew es zu verdanken, dass sein allzeit bereiter Bär vorerst seine aberwitzigen Finger vom Jüngeren lassen konnte.
Schweigend musterte er die kandisfarbenen Iriden seines Geliebten, die ihn selbst in der Dunkelheit des Morgens noch zu unterjochen wussten, und ließ zur eigenen Ablenkung vom eigentlich Begehrten seine kühlen Finger mit unter die Decke wandern, um den noch immer wühlenden Rüden damit zu suchen. Sanft kraulte er durch das dunkle Fell Kains, der seine ideale Position noch lange nicht gefunden zu haben schien und der sich auch durch das abwesende Streicheln nicht sofort beschwichtigen ließ.
„Mhh… dich vermisst, zum Beispiel. Ich hätte dich nur allzu gerne mit auf den Markt genommen, aber… du freches, kleines Ding hast dich ja nicht von mir wecken lassen“, war der stattliche Bär seinem Mann beinahe schon etwas beleidigt vor – wobei sie beide durchaus wussten, dass Cassie für einen ganzen Ausflug auf den Markt noch lange nicht bereit war. Aber träumen durfte man wohl ja noch.
Mit leisem Rascheln ließ Clarence seinen Kopf zurück ins Kissen sinken und zog einen seiner Füße aus dem entstandenen Knäuel zurück, nur um nun seinerseits ein Bein über das obere Cassies zu schieben und den Jüngeren auf diese Weise gefangen zu nehmen.
„Also war ich stattdessen alleine unterwegs und habe dabei spannende Dinge in Erfahrung gebracht“ – wobei spannend ein weit dehnbarer Begriff war, immerhin war das hier eine Insel und da geschah bekanntlich einfach nicht viel. Jeder kannte jeden, Neuigkeiten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer – außer man kam von Außerhalb und war lediglich auf der Durchreise, so wie sie beide.
„Die alte Melange liebäugelt angeblich mit Carl, einem Senioren von der anderen Seite der Stadt. Seit Tagen schon lädt sie ihn zum Abendessen ein, aber er hält sie hin und scheint dem Braten nicht wirklich zu trauen“, erklärte Clarence seine eingeholten Informationen in zutiefst ernstem Tonfall und mit missbilligend erhobenen Augenbrauen – dass er keine Ahnung hatte wer Melange war, noch Carl, konnte ein Blinder mit Krückstock erkennen. Aber das tat ja vorerst nichts zur Sache, denn wenn man den wirklich armen, armen Bären mit derlei Kaffeeklatsch quälte, sollte sein ans Bett gebundener Mann wenigstens genauso unter dem Klatsch und Tratsch leiden, den er täglich auf dem Markt und in den Straßen abbekam. Warum die Leute hier sie plötzlich für zwei von ihnen hielten stand noch immer in den Sternen geschrieben, aber sei es drum.
„Außerdem denkt Hugo - der Besitzer des Gasthauses am Hafen - darüber nach sich zur Ruhe zu setzen und den Laden seinem Sohn zu überlassen. Das irritiert viele, weil der Schuppen Hugos Leben ist und nun steht die Fragen aller Fragen im Raum: Hat Hugo vielleicht gesundheitliche Probleme? Und falls du dich fragst, was uns das angeht“, warf der neue Ehrenbürger Cascade Hill Citys ein und quälte mahnend seinen Zeigefinger unter der Decke und hinaus in die Kälte hervor, „Da Bennett täglichen Hausbesuch bei uns macht, wurden wir heute offiziell dazu angehalten, bei der nächsten Visite so viel wie möglich über diese Theorie in Erfahrung zu bringen. Das ist eine wirklich, wirklich ernste Angelegenheit, also nehmen wir die Bitte unserer zeitlich begrenzten Nachbarn wohl besser genauso ernst.“
Genauso ernst wie dieses ernste Thema, nickte der Hüne bekräftigend ernst und ließ dabei deutliche Zweifel darüber aufkommen, ob seine Loyalität nun wirklich bei den hiesigen Anliegen der Bürger lag oder doch nicht viel eher bei dem spürbaren Humor, welcher hinter diesem überaus wichtigen Auftrag lag.
Matthew mochte ihn nun für völlig bescheuert halten, aber irgendwie hatte Clarence sogar neuerdings etwas Freude an diesen kleinen und großen Kleinstadt-Fehden, immerhin hatte er nicht immer als einsamer Jäger sein Leben verbracht, sondern in einer größeren Gemeinschaft von halbwegs anständigen Menschen… zumindest je nachdem, aus welchem Blickwinkel man Fanatiker betrachtete.
„Danach hab ich die kleinen Monster hier noch etwas durch die Gegend gescheucht und dann… bin ich auch schon wieder zu meinem ewig schlafenden Ehemann zurück gekehrt“, schloss Claire die wenigen Errungenschaften des noch viel zu frühen Tages, wobei er damit ja schon mehr erledigt hatte als manch anderer hier im Raum. „Aber da der ja nun endlich wach ist… hab ich viel mehr Lust darauf etwas mit ihm zu treiben, als etwas ganz für mich alleine.“
Was genau er jetzt am liebsten mit Cassie treiben würde, wusste der Bär von Mann nur allzu gut und davon würden ihn nicht mal ungeputzte Zahnreihen abhalten können – eine Sache, die der freche Dunkelhaarige sicher ganz anders sah.
Nähe suchend verhakte Claire seine Füße um einen Knöchel seines schönen Dornröschens, nicht gewillt ihn an diesem Morgen je wieder von sich weichen zu lassen, und versuchte trotz Hunden zwischen ihnen seinem Partner etwas näher entgegen zu rutschen.
„Sag mir worauf du heute Lust hast, mh? Wir könnten endlich deine Haare schneiden und dich in die Wanne packen, wenn du willst. Dann siehst du auch wieder gesellschaftstauglich aus, wenn Arquin heute Nachmittag vorbei schaut um uns auf den Keks zu gehen“, schlug der Christ vor, völlig ignorierend, dass ja noch nicht mal die Sonne richtig am Himmel stand und seinen Mann noch nicht mal halbwegs ordentlich wach zu sein schien. „Oder sollen wir dich an Deck befördern, damit du frische Luft und wieder ein bisschen Farbe abbekommst? Ich bin für jeden Schabernack zu haben.“


Matthew C. Sky

“Mhh… dich vermisst, zum Beispiel. Ich hätte dich nur allzu gerne mit auf den Markt genommen, aber… du freches, kleines Ding hast dich ja nicht von mir wecken lassen.“
Sie wussten beide, dass Matthew noch nicht bereit war für einen Ausflug auf den Markt. Aber wussten sie auch beide, dass Cassiel sich absichtlich nicht hatte wecken lassen und dann binnen Sekunden wirklich wieder eingeschlafen war? Vielleicht ahnte Clarence von dieser Unverschämtheit seines frechen kleinen Dings, vielleicht war er aber auch arglos. „Ich hab dich auch vermisst...“, erwiderte Matthew leise und scheute sich der offensichtlichen Verliebtheit dieser Worte kein bisschen.
Wenn er Clarence so ansah und ihm zuhörte, dann wurde ihm bewusst wie viel sich im Vergleich zu früher verändert hatte. Der Blondschopf schien gelöst und gut gelaunt, in seinen Augen lag lebendiges Funkeln und Schabernack. Die Zeiten in denen der Hüne verstummt war, waren vorbei. Würde Matthew es nicht wissen, er würde niemals vermuten das es Clarence verwehrt war glücklich zu sein und das er - selbst jetzt - keine wirkliche Freude empfinden konnte. Und kaum hatte dieser Gedanke seinen Anfang genommen, verblasste Matthews Lächeln und er wurde nachdenklich.
Was nützten ihm Momente des Glücks, wenn er sie nicht mit dem Mann teilen konnte den er liebte und dem er all seine Freude verdanke? Teil einer Gemeinschaft zu sein tat Clarence gut, das war offensichtlich. Der Hüne brauchte die Gesellschaft vielleicht sogar mehr als Matthew, aber selbst das Gefühl sich in einer Gemeinde integriert zu sehen, brachte dem Älteren kein Glück. Oder?
Nachdenklich musterte Matthew seinen Geliebten, lauschte seiner Erzählung und der unterschwelligen Erheiterung die in Clarence‘ Stimme mitschwang. Carl und Melange, Hugos etwaige gesundheitliche Probleme, all das ging sie eigentlich nichts an und doch betraf es sie irgendwie. Und warum? Weil die Bewohner von Cascade Hill City mit ihnen teilten was im Städtchen die Runde machte und damit wurde das Fischerstädtchen eine Art...Zuhause für die zwei jungen Männer. So wie Clarence erzählte war es schwer zu sagen ob er amüsiert war oder die Sache ernst nahm - oder von sich selbst amüsiert weil er es ernst nahm? Matthew konnte nicht sagen, ob der Mann der bei ihm lag gerade jetzt noch verflucht war, ob ihm immer etwas fehlte, oder nur in Momenten in denen er sich dessen bewusst war... Matthew hätte nun ganz direkt fragen können um Klarheit zu bekommen, doch wenn er das tat, holte er das zurück in dem Vordergrund was Clarence immer öfter zu vergessen schien und unter dem er deshalb auch immer seltener litt - zumindest hatte es den Anschein. Was er tun musste war lesen... eine Reihe von Büchern wartete noch darauf von ihm durchforstet zu werden und in einem von ihnen musste einfach stehen wie Flüche funktionierten und ob...ihre Wirkung verblasste und gar verschwand, wenn man sie vergessen konnte.
„Du kannst versuchen Bennett Details zu Hugos Gesundheit zu entlocken, aber bitte erst nachdem er die Fäden gezogen hat…“, selbiges stand heute nämlich auf dem Plan und auch wenn Cassiel sicher nicht zartbesaitet war was Schmerzen betraf, so hatte er allmählich den Kanal voll von den täglichen Visiten.
“Aber da der ja nun endlich wach ist… hab ich viel mehr Lust darauf etwas mit ihm zu treiben, als etwas ganz für mich alleine.“, das eben noch verblasste Lächeln des Dunkelhaarigen kehrte bei diesen vielsagenden Worten zurück. Er wusste ganz genau wonach seinem Gatten der Sinn stand, aber dergleichen stand nun wirklich nicht zur Debatte. Mochte ja sein, dass Clarence sich nicht daran störte das er noch gar nicht richtig wach, geschweige denn gewaschen war- aber bei Cassie sah das ganz anders aus. Er war in der freien Natur reinlich gewesen und er war in der Zivilisation reinlich — und mehr als ein scheues Küsschen war an diesem Morgen nicht drin. “Du bist so schlimm..“, nuschelte er grinsend und wurde aus unerfindlichen Gründen sogar rot.
Der Hüne sah ihn fast immer an, als wäre er aus Zucker, selbst dann wenn er noch verschlafen war, selbst dann wenn seine Haare auf der einen Seite partiell geschoren waren und auf der anderen Seite lang. Noch nicht einmal die Hämatome die allmählich verblassten und die Narbe die einen Teil seines Gesichts zierte, hatten je etwas an der Art geändert wie der Schamane ihn ansah und das war ein unbeschreibliches Gefühl.
Matthew zog sich aus unerfindlichen Gründen plötzlicher Verlegenheit, die Bettdecke über dem Kopf und verbarg somit sein Antlitz vor dem Größeren.
Kain und Abel hatten indes ihre Positionen scheinbar untereinander aufgeteilt und zumindest Ersterer wurde von Clarence gestreichelt und Matthew schnappte sich - noch immer unter der Decke versteckt - unvermittelt dessen Hand um sie neuerlich zu küssen.
„Ich lieb‘ dich so...“, kam es von unter der Bettdecke her gedämpft und Cassiel küsste die kühlen Fingerspitzen neuerlich. Es dauerte noch ein paar wenige Sekunden bis sich das verlegene kleine Böckchen wieder zeigte und vorsichtig den Kopf über die Bettdecke schob. Kindlich spähte er zu Clarence herüber, der noch immer keine Antwort auf seine Frage bekommen hatte.
„Baden und Haareschneiden klingt echt gut. Aber wir hatten eigentlich einen Deal... Weißt du noch? Ich will mir später nicht anhören müssen, dass auf mein Wort kein Verlass ist.“ Nicht nur der Blondschopf kannte ihn, auch der Jüngere kannte seinen ehrenhaften Gatten. Clarence legte eine Menge Wert auf Ehre und auf Verlässlichkeit. Wenn er etwas sagte, dann sorgte er auch dafür das es so eintraf. In Siedlungen hatte er es stets missbilligt wenn Cassiel irgendwen übers Ohr haute, mit Leuten anbandelte um einen kleinen Vorteil zu gewinnen und letztlich nicht tat was verabredet war. Dabei war es nie um etwas elementares gegangen, aber selbst kleine Betrügereien hatten dem Hünen missfallen. Nun war es vielleicht kein direkter Betrug, wenn aus dem Deal sich ein Jahr lang nicht die Haare zu schneiden nichts wurde, aber Matthew konnte nicht ausschließen, dass sein tadelloser Lieblingsbär ihm daraus nicht doch einen Strick drehen würde.
„Du musst versprechen...dass du mir das nicht vorwirfst. Sally Mitchell war ein Risiko mit dem nicht zu rechnen gewesen ist.“, fügte der junge Mann an, ganz so als müsse er sich rechtfertigen.
Von all diesen Bedenken ungerührt, begannen die Hunde unter der Decke zu hecheln und es dauerte nicht lange, da entzog sich Kain beiden wärmenden Männern in dem er unter der Bettdecke hindurch kroch und am Fußende nach draußen gelangte, nur um sich dann dort wieder fallenzulassen. Die damit geschaffene Lücke bot die ideale Gelegenheit näher aneinander zu rutschen und Matthew ließ sich auch gar nicht bitten.
Er schmiegte sich dichter an seinen Bären, bettete seinen Kopf an die Schulter des Wildlings und legte eine Hand wieder auf Clarence‘ Brust ab, um verliebt darüber zu streicheln. Er musste die zahlreichen Linien und Bilder nicht sehen um zu wissen das sie da waren. Symbole deren Bedeutung er nicht kannte und von denen er dennoch wusste, dass sie eine Bedeutung besaßen. Jeder Clan hatte eigene Elemente, Schutzgestalten, Wappentiere, verschnörkelte Muster die unverwechselbar waren, wenn man sich denn mit der Materie beschäftigte. Bisher hatte Cassiel wenig darüber nachgedacht wofür der Greifvogel auf Clarence‘ Brust stand, oder der Tiger auf seinem Bauch...Nicht weil es ihn nicht interessiert hatte, sondern weil sich einfach noch nie die Situation ergeben hatte, den Älteren danach zu fragen. Doch nun…
Ohne hinzusehen, begann Cassiel damit, die Knöpfe des roten Einteilers zu öffnen und die Haut darunter freizulegen. Still zeichnete er die markanten Konturen des Vogels aus dem Gedächtnis nach, genoss wie sich die Haut unter seinen Fingerspitzen anfühlte und seufzte wohlig. „Warum ein Greifvogel, hm?“


Clarence B. Sky

Ihre Ehe hätte allen irdischen Gesetzen zufolge in einer absoluten Katastrophe enden müssen. Keine ernst gemeinte Beziehung dieser Welt hielt, wenn man vorher gut befreundet gewesen war und aus dieser Freundschaft Liebe heran wuchs. Es sollte sich seltsam anfühlen mit seinem besten Freund und Vertrauten intim zu werden, plötzlich mit diesem Kumpel in Schlafanzug oder Unterwäsche im Bett zu liegen und sich gegenseitig die Nasen in zerzaustes Haar zu halten. Es hätte sich widersprüchlich anfühlen sollen die Lippen zu küssen, welche man vorher schon an hunderten Falschen Bier und Whisky hatte hängen sehen, ebenso wie die Zunge, zu zumindest von Cassies Seite aus schon unzählige käufliche Münder von innen gesehen hatte.
Doch wo andere Paare scheiterten, Beziehungen zerbrachen und Ehen in Streit und Chaos endeten, hatte sich Clarence zu keiner Sekunde ihrer inniger werdenden Verbundenheit in irgendeiner Art und Weise unwohl in den Armen seines Partners gefühlt. Es waren nicht fremde Körper die er in seiner Fantasie war, welche Cassie zuhauf mit seinen Händen berührt hatte und nicht die Überreste fragwürdiger Liebschaften die mit ihnen im Bett Einzug hielten, während die beiden jungen Männer einander nahe kamen.
Was andere als Manko betiteln würden – nämlich ein schmerzhaft detailreiches Vorwissen um den eigenen Geliebten – war aus der Sicht des Christen ihre gemeinsame Stärke; es gab keine Unklarheiten die zwischen ihnen standen, keine unangenehmen Fragen derer man sich nicht laut auszusprechen traute und keine Frage danach, ob man dem anderen genügte in dem, was man zu bieten hatte.
Ineinander, so unwahrscheinlich und selten das in einer Welt wie der ihren auch war, hatten sie ihre Erfüllung gefunden. Jeder von ihnen hatte sich – auf eigene Art und Weise – genug ausgetobt um zu wissen, wonach es sie sehnte. Sie waren bereit anzukommen. Bei sich selbst und auch bei einem anderen Menschen. Waren bereit das wilde und ungebändigte Leben in teuren Spelunken und wilder Natur aufzugeben für das, was gemeinsame Jahre mit dem anderen versprachen und eben jene innere Sehnsucht war es auch, die ihr Miteinander alles andere als fremd und unangenehm machte.
Noch während Matthew sich voller nur wenig nachvollziehbarer Scham die Decke über den Kopf zog, wurde Clarence sich abermals dessen bewusst, dass er just in diesem Augenblick bei gar keinem anderen Mann lieber liegen wollen würde als bei seinem eigenen und ein amüsiertes Grunzen quälte sich seine vom plötzlichen Temperaturunterschied nasse Nase hinauf, als Cassie im Schutze der Daunendecke nach seinen Fingern haschte.
„Du bist so ein Spinner, wirklich“, beugte der Bär sich über den Wust aus Bettwäsche hinweg und hauchte einen verliebten Kuss auf eine der vielen Beulen, ohne sich darüber gewiss sein zu können, ob er damit wie erzielt auch wirklich das verborgene Haupt seines Mannes traf.
Ob es nun an dem scherzhaften Vorwurf lag oder daran, dass dem Dunkelhaarigen ähnlich wie den Hunden alsbald zu warm unter den Feder wurde, ließ sich der Jüngere nicht lange darum bitten um seine verschlafenen Äugelein bald wieder hinter dem Saum hervor blitzen zu lassen. Das ungeplante Abtauchen hatte die geschorene Mähne dadurch nur noch mehr in absolute Unordnung gestürzt und hätte Cassie sicher panisch aus dem Bett stürzen lassen um ins Bad zu entschwinden, könnte er sich nun so sehen – ein Glück also für sie beide, dass der exzentrische Söldner niemals auf die abstruse Idee gekommen war, irgendwo in der Nähe ihres Bettes für fragwürdige Spielereien einen Spiegel einbauen zu lassen.
Mit wohligem Seufzen bettete der Jäger sein Haupt zurück in die weichen Kissen und musterte das zerzauste Böckchen mit warmem Ausdruck in den sonst so eisigen Iriden. Unter anderen Umständen wäre ihnen eine Ausrede um gemeinsam den Zuber entweihen zu können wohl mehr als gelegen gekommen und auch an diesem Morgen scheute der Ältere sich nicht, noch vor aufgegangener Sonne dabei zwielichtige Wünsche zu hegen; seinem Partner allerdings, sonst nur wenig für Ehrgefühl und das Einhalten von Versprechen bekannt, fiel doch tatsächlich ein Widerspruch ein, mit dem er seinen wilden Barbaren im schlechtesten aller Fälle von diesem Vorschlag hätte abbringen können.
„Tut mir leid, Kleiner, aber das Versprechen gebe ich dir ganz sicher nicht“, enttäuschte die Bettkanten-Front postwendend den jungen Patienten, in dessen Augen bis eben noch die größten Hoffnungen gelegen hatten. „Was wäre ich für ein Kerl dir zu versprechen was nicht zu tun, das ich schon längst getan habe? So fängt sowas immer an. Beginnt mit den kleinen Dingen und endet damit, dass ich mich im schlimmsten Fall morgens dir gegenüber schlafend stelle, um nicht aufstehen zu müssen. Nicht mit mir!“
Vielsagend blickte er aus verengten Lidern zu seinem Gegenüber hinüber – trotz früher Morgenstunde benötigte es wohl kaum eine weitere Ausführung dessen um verstehen zu können, worauf der eisgekühlte Kuschelbär damit anspielte.
„Da du die talentfreien Künste des Barbier Bennett in Anspruch genommen hast, ist unser Deal schon längst hinfällig geworden. Das hab ich dir im ersten Moment gesagt als ich dich so gesehen habe, aber Prinzesschen Cassie hat es wie immer vorgezogen die Komatöse zu spielen. Ich erkenne da langsam ein Muster, glaube ich…“
Tadelnd hoben sich die hellen Brauen, und auch wenn sie beide wussten dass der Jüngere zu hundert Prozent nicht aus freien Stücken unerweckbar gewesen war, scheute sich der Bär nicht davor seinem Mann diesen Zustand zum Vorwurf zu machen. Immerhin lag er, Gott sei Dank, wieder neben ihm in ihrem gemeinsamen Bett und mit nichts kam man über die Tiefen des Lebens besser hinweg, als mit ein wenig schwarzem Humor. Und mit ein wenig Zärtlichkeit, zumindest dann, wenn man ein kuschelbedürftiger, wirklich armer, armer Bär war, so wie Clarence.
Mit einem warmen Gefühl in der Magengrube ließ er den frechen Taugenichts gewähren und schob seinem Mann etwas mehr die kräftige Schulter entgegen, damit sein Sorgenkind es auch wirklich gemütlich an seiner Seite haben konnte, nun da die wie Unkraut wachsenden Hunde ihnen wieder etwas mehr Platz füreinander frei geräumt hatten.
Es war beinahe eine Schande wie unverfroren zielstrebig die Finger seines gutaussehenden, halb-geschorenen Böckchens dabei an seine Unterwäsche fanden nur um sich darunter zu stehlen; immerhin war es kein Scherz von Clarence gewesen dass es ihm mehr danach dürstete gewisse Dinge mit seinem Partner zu treiben, auch wenn man das großzügig vielleicht so interpretieren konnte.
Du bist so schlimm“, forderte das unverfrorene Treiben es einfach ein, die wenig zuvor geäußerten Vorwürfe des Jüngeren zu rezitieren und eine spürbare Gänsehaut breitete sich augenblicklich dort auf seiner Brust aus wo Matthew zärtlich über die alten Tätowierungen strich, welche schon seit Jahren seinen Körper zierten. „So früh am Morgen und nichts anderes im Sinn als das eine. Du änderst dich wohl nie, oder?“ – Wenn dieser Frechdachs wirklich glaubte er würde ihn begrabbeln können, ohne dass Claire die Vorlage nutzte um den Schwarzen Peter des Schwerenöters weiter zu reichen, hatte sich dieser Kerl eindeutig geschnitten. „Ich seh nicht nur gut aus, ich hab auch eine Persönlichkeit, weißt du? Die solltest du auch mal etwas wertschätzen.“
Dennoch – oder vielleicht gerade weil die Stimmung heute Morgen nach all der Zeit voller Angst und Bange so losgelöst war – beugte Clarence sich sanft über seinen Gatten und hauchte einen zärtlichen Kuss auf den Augenwinkel seines verschlafenen Böckchens. Eine Geste die früher undenkbar gewesen wäre und heute kaum mehr aus ihrem gemeinsamen Miteinander hätte genommen werden können.
„Mhh… ein Greifvogel, weil das mein Abzeichen war, als ich vollwertiger Jäger wurde… davor hatte ich an der Stelle zwei Schwalben, als… Statussymbol meiner offiziellen Ausbildung, sozusagen.“
Noch immer lehnten seine Lippen an dem schönen Antlitz des Jüngeren, was seine Worte dann und wann zart verschluckte – eine Einschränkung die Clarence nicht weniger werden ließ, während er sich verliebt über die fremde Wange hinweg gen Hals des Jüngeren küsste.
Aber da du kein Jäger bist und ich dir gegenüber der Schweigepflicht unterliege… bleiben unsere Plaudereien aus dem Nähkästchen besser unser kleines Geheimnis, sonst… müsste ich mir Mittel und Wege einfallen lassen, wie ich dich für das Fehlen jeglicher Loyalität tadeln kann“, drohte der kräftige Jäger murmelnd gegen die weiche Haut des fremden Halses, bevor er einen sachten Biss in den warmen Untergrund setzte. „Nicht, dass mir da nicht ein paar Dinge einfallen würden…


Matthew C. Sky

Vermutlich waren sie beide Spinner, aber wenn dem so war, dann war es Cassiel recht. Clarence war so herrlich losgelöst, so frei von Kummer und quälenden Erinnerungen. Wie oft waren sie in der Vergangenheit nebeneinander gestapft, hatten sich angeschwiegen und nichts weiter vor Augen gehabt als ihr nächstes Ziel irgendwo am Horizont? Matthew hatte so manches Mal vor sich hergeplappert, hatte versucht einen Dialog anzuschieben und hatte dem Hünen am Ende doch nur wenige sporadische Worte entlocken können. Es war frustrierend für den Jüngeren gewesen, aber nicht nur das war der Grund dafür, dass es zwischen ihnen immer wieder Streit gegeben hatte.
Viel eher hatte Cassiel das Schweigen des Größeren als Strafe empfunden und es war überdies die einzige Strafe die Clarence je angewandt hatte, die Matthew wirklich getroffen hatte. Stille und Einsamkeit hatte er über Monate hinweg ertragen müssen, ganz auf sich allein gestellt. Er war mutterseelenallein gewesen, an einem Ort jenseits aller Wirklichkeit. Nur Schnee und Eis hatte existiert, eine weiße Wüste über der sich manchmal ein blauer Himmel erhoben hatte, meist war dieser aber so weiß gewesen wie der Boden. Niemanden zu haben mit dem man sprechen konnte, hatte den jungen Burschen von damals zermürbt und ihn innerlich beinahe eingehen lassen und das unbarmherzige Schweigen des Schamanen hatte den Dunkelhaarigen stark an jene schreckliche Zeit erinnert, in der die einzige Stimme die er hatte hören können, seine eigene gewesen war.
Umso gravierender waren die Unterschiede zwischen heute und damals. Sie waren zwei völlig andere Menschen geworden, so schien es. Als wäre die Last der Welt von ihren Schultern genommen worden. Clarence erzählte und plapperte nicht weniger frech und vorlaut daher wie Matthew es oftmals zutun pflegte und diese - noch immer ungewohnte Seite - liebte der Jüngere so abgöttisch, dass er gar nicht anders konnte als sich verliebt den zahllosen Küssen hinzugeben, die sein Liebster auf ihn hauchte.
Die Innigkeit und mit welcher Liebe sie einander begegneten sprach aus jeder Silbe, jedem Blick und jeder Berührung. Und weder der einstige Söldner - der mit echten Gefühlen immer seine Probleme gehabt hatte - noch der früher unterkühlte und schweigsame Schamane schienen sich ihrer offenen Zuneigung zu schämen. Sie hielten beide nichts zurück, hatten keinen geheimen Plan oder verwahrten eigene Schwächen vor dem Anderen, damit jener sie nicht ausnutzen konnte. Nein.
Sie gehörten einander voll und ganz, mit Haut und Haaren. Mit Talenten und Schwächen.
Und was Matthew anging, so machte sein geliebter Mann ihn gerade regelrecht trunken vor Glück. So behütet und geliebt zu sein, war nicht selbstverständlich und Matthew wusste besser als die meisten anderen Menschen wie sich das Gegenteil anfühlte. Er hatte keine echte Zuneigung erfahren bis zu dem Moment als ein selbstloser Fremder sich seiner angenommen hatte. Ein trauriges Resümee, dass dem Kleineren jedoch ermöglichte mit aller Deutlichkeit zu erkennen wie viel Glück er jetzt hatte. Er war angekommen in den Armen seines Liebsten und all die schlechten Erinnerungen ließen ihn umso mehr genießen. Er genoss den Duft des Wildlings, er genoss seine Stimme, er genoss alle Berührungen und er genoss die zum Schein rügenden Worte und die Vertrautheit mit der sie beieinander lagen. Nichts konnte mit dem Gefühl zu lieben und geliebt zu werden konkurrieren.
Mit amüsiertem Lächeln lauschte der Dunkelhaarige seinem armen Bären, bis er jäh auflachte als Clarence in überzeugend beleidigtem Tonfall kundtat: „Ich seh nicht nur gut aus, ich hab auch eine Persönlichkeit, weißt du? Die solltest du auch mal etwas wertschätzen.“ - Als wäre es nicht Clarence, der gerade dabei war sein Gesicht zu küssen nur um sich Sekunden später an seinem Hals gütlich zutun. „Wo denkst du hin, Baby? Dass ich dich geheiratet habe wegen deinem Intellekt?“, konterte Matthew frech und strahlte noch immer, sodass jeder Blinde erkannt hätte wie sehr der Bär von ihm vergöttert wurde. „Ich muss dich enttäuschen, ich habe deinen Antrag nur angenommen, weil ich deinen unverschämt stattlichen Körper ganz für mich gewollt habe.“
Albern und jungenhaft kicherte er kurz, als er die Zähne seines Mannes rügend am Hals spürte, gepaart mit einer düsteren Drohung des Jägers.
„Hey!“, protestierte er lachend ob dem Biss und wand sich zum Schein unwillig. Er vergrub sein Gesicht in der Halsbeuge des Blonden, zog seine Schultern etwas hoch um den Zähnen zu entkommen und strich mit der Hand unverwandt tiefer - weg von dem Greifvogel und hin zu dem Tiger mit der Schlange. Das Lächeln auf seinen Lippen war so breit, dass jedwedes wehrhafte Verhalten dem Schein überführt wurde und nicht mal für den Bruchteil einer Sekunde der Eindruck entstand, er könne Clarence wirklich entkommen wollen. Nein. Matthew wollte genau da sein wo er jetzt war. Mit seinem Mann in ihrem Bett, an der Schulter des Hünen lehnend und die Lippen seines Liebsten an seinem Hals spürend. Es war ein schönes Leben das er führte, eines das er so niemals hätte für möglich gehalten und das nur durch Clarence bestand.
„Ich kann dir nicht versprechen das ich dieses Geheimnis verwahre...keine Chance.“, lachte er und wollte damit ganz offensichtlich provozieren, dass der ach so beeindruckende Jäger Clarence Bartholomy Sky, alias der Greifvogel, ihm eine der Strafen zukommen ließ, die ihm laut eigener Angabe schon einfielen.
„Wenn ich etwas gut kann - neben die komatöse Prinzessin spielen - dann ist das Geheimnisse ausplaudern! Und du als mein Mann bist verpflichtet sie mir zu erzählen.“, bekräftigend piekste der junge Mann mit dem Zeigefinger gegen die Rippen seines Angetrauten und hatte direkt weitere Fragen im Petto.
„Und wieso kommst du zu dem Abzeichen Greifvogel? Hätte nicht Täubchen besser gepasst? Oder Pinguin! So kalt wie deine Füße sind, wäre das der ideale Rang für dich...“, erklärte Matthew nuschelnd, die Nase und den Mund gegen die Halsbeuge gedrängt.
„Du musst mir schon ein bisschen was von deinem rauen Leben als Jäger-Pinguin erzählen. Und wie du zu dem Tiger gekommen bist, was die Schlange bedeutet...und und und.“ Dabei war es nicht so, dass sich Matthew für die Ränge der Jägergilden besonders interessierte - es gab ja ohnehin bei jedem Clan eigene und er würde sich die vermutlich nie alle merken können.
Aber er wollte die Stimme seines Geliebten hören. Ihm einfach zuhören beim Erzählen. Blind zeichnete er dabei unter der Decke das Gesicht der schlecht gelaunten Großkatze nach, welche den trainierten Bauch seines Gatten zierte.
Als er Clarence zum ersten Mal mit nacktem Oberkörper gesehen hatte, hatte sich sein Verdacht noch erhärtet, dass der Kerl für Le Rouge arbeitete, einfach weil sein Lehrmeister bekanntermaßen mit den großen Clans auf Du und Du war.
Eine lebende Legende wie er, verfügte über ein unerschöpfliches Netzwerk von Leuten die für ihn die Drecksarbeit machten und mehr war Cassiel ja letztlich nicht für den Mann gewesen. Ein loses Ende das er hatte abschneiden wollen und ein dürrer Riese aus irgendeinem Clan war der Richtige für diese Aufgabe, da war sich Matthew sicher gewesen. Wie sehr er sich getäuscht hatte war längst offensichtlich geworden. Der Blondschopf war nicht sein Scharfrichter sondern sein Retter gewesen. Ein Umstand dem Cassiel alles verdankte.
Zufrieden mit sich und seiner Lage vergrub er seine Nase neuerlich in der duftenden Halsbeuge des Größeren und verbiss sich neckisch darin, bevor er verschlafen und keck zu gleich zu seinem Pinguin-Jäger zu spähen.


Clarence B. Sky

Die Welt, wie sie heute war, erschien dem Jäger unheimlich unwirklich angesichts der ersten Nacht, nachdem sie beschlossen hatten einander zu ehelichen. Ob er wollte oder nicht, zu gut noch konnte Clarence sich an die plötzliche Distanz und die Tränen erinnern, die sich seitens Cassies zwischen ihnen eingeschlichen hatten; von furchtbaren Erlebnissen hatte sein heutiger Mann ihm erzählt und dabei kund getan, dass er ihn so nicht würde heiraten können.
In den Augen des Christen allerdings, hatte das in Erfahrung gebrachte nie etwas an der Art verändert, mit derer er den frechen Dunkelhaarigen betrachtete. Wenn er den Schönling an seiner Seite ansah, dann erkannte er in ihm nicht das Kind, welches Furchtbares über sich hatte ergehen lassen müssen. Er sah nicht den jungen Mann, der sich durch aberhunderte von Betten gehurt und zwischen sämtlichen Schenkeln der Schönen und Reichen gelegen hatte – und er sah kein Mittel zum Zweck in Matthew, an dem er selbst seine eigenen Gelüste ausleben konnte, nur weil der andere schön anzusehen und gerade dafür empfänglich war. Sein wundervoller Mann war alles andere als Duzendware und hätte Cassie ihm damals nicht seine eigentlichen Befürchtungen unmissverständlich klar gemacht, so wäre die einzige Befürchtung des wohlwollenden Bären vermutlich jene gewesen, dass der Kleinere sich selbst davor ängstige die Ehe ausgerechnet mit einem anderen Mann einzugehen. Denn ob sie wollten oder nicht, es wäre eine durchaus nachvollziehbare Barriere zwischen ihnen gewesen, die eines Tages hätte Einzug halten können.
Doch Clarence, in manchen Dingen derlei optimistisch wie es ihm in anderen Sparten seines Lebens sicher auch nicht schaden würde zu sein, hätte einen derartigen Ausgang niemals akzeptieren wollen und können. Noch vor ihrem gemeinsamen Antritt vor den Altar hatte sich der harmoniebedürftige Bär von einem Mann geschworen, dem Jüngeren niemals Anlass zur Sorge und Angst aufgrund früherer Erfahrungen zu bereiten; aufmerksam und bedacht teilte er mit seinem Mann das Bett, versuchte Unsicherheiten rechtzeitig zu erkennen um einzulenken und Cassie nicht zu überfordern sollte der Moment kommen, da sie gemeinsam an Grenzen gerieten, die sie besser nicht überschritten.
Doch all die dunklen Prophezeiungen, die über ihrem Beginn gelegen hatten wie gespenstische Schatten in tiefster Nacht, verblassten zu Schall und Rauch im Angesichte dessen wie sie heute beieinander lagen. Die Art wie Matthew die Nähe seines bärtigen Barbaren suchte, ließ keinen Hinweis darauf zu welche schlimmen Erinnerungen in seinen Gedanken ruhten. Und anders herum?
Würde sein Gefährte nicht wissen welcher Herkunft der Blonde entsprang, man würde niemals meinen können er wäre unter fanatistischem Glauben aufgezogen worden und hätte sich der Liebe zu einem anderen Mann jemals entsagen können, so sehr hatte Cassie ihn um den Finger gewickelt und im wahrsten Sinne vom Glauben abgebracht.
Die Art wie sein Mann sich ihm entwendete und das ramponierte Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub, ließ bei Clarence eine deutliche Gänsehaut aufkommen, die selbst noch auf seiner entblößten Brust zu spüren war. In dämmriger Morgenstunde das Lachen einer angenehm tiefen Stimme zu vernehmen, die rauen Finger eines anderen Mannes auf seiner Haut zu spüren und letztlich den Fünf-Tage-Bart über seinen Hals kratzen zu vernehmen – das in Kombination war eine Mischung, die einen Kerl wie den Jäger nur allzu schnell in zwiespältige Emotionen befördern konnte, vor allem wenn er sich sowieso schon auf einem sehr überdeutlich Nähe suchenden Weg befand.
„Wenn du mich nicht wegen meines Intellekts gehreiratet hast, sondern wegen meines gestählten Astralkörpers – dann solltest du mich vielleicht auch meine Arbeit machen lassen, weißt du?“, murmelte der blonde Bär verführt gegen den zuvor noch gebissenen Hals des Jüngeren und schmiegte sich dichter an ihn, das Kratzen des fremden Bartes mit einem wohlwollenden Brummen honorierend. „Es könnte nämlich sein, dass ich sonst in meinem Können einroste, und… das willst du doch sicher nicht, oder?“
Egal ob nun eheliche Pflicht oder Strafe für das provokative Verhalten seines Partners - am Ende fiel das Urteil doch relativ gleich aus und Clarence legte einen Arm um den drahtigen Leib des Schönen, um seine Hand langsam tiefer wandern zu lassen. Um Himmels Willen, der Kerl konnte ihn doch nicht ernsthaft ins Bett einladen und an ihm herum grabbeln ohne zu glauben, dass der Bär seine ungezogenen Finger von ihm lassen würde?
Nicht mal das vorwitzige Pieken des Jüngeren hielt Claire von seinem Vorhaben ab, während er die Hand genüsslich tiefer am fremden Rücken hinab schob bis über die sinnliche Rundung des fremden Hinterns, um sich besitzanzeigend darin zu vergreifen. Es war das eine einen Jäger mit Bedürfnissen zu heiraten um ihn sich zu Eigen zu machen, etwas anderes war es, diese wilde Zunft auch zähmen zu können. Außerdem war immer noch die beste Methode einen eisigen Pinguin aufzuwärmen jene des direkten Hautkontakts, da war sich der Frostbär absolut sicher.
„Du bist ganz schön neugierig obwohl du gerade erst aufgewacht bist, Dornröschen. Weißt du das?“ - Mit den geschwungenen Lippen seines Liebsten am Hals und der eigenen Hand frech jenseits der fremden kehrseitigen Gürtellinie abgetaucht, streckte sich der Bär ein wenig um seine kalten Zehenspitzen dezent unter den warmen Leib Kains zu schieben und sich dort ein wenig zu temperieren, damit Matthew bald hoffentlich keine Angriffspunkte mehr fand um seinen Wiederkehrer aufzuziehen. „Ich könnte dich genauso gut Fragen was deine Tätowierungen sollen, obwohl ein dickes Krönchen auf der Stirn viel besser zu dir gepasst hätte. Aber wer weiß, ein bisschen Platz hast du da oben ja noch… ich ahne Schlimmes für unsere Zukunft.“
Eine Ahnung die sich hoffentlich nie bewahrheitete, denn wenngleich er seinen Mann genau so liebte wie er war, wollte Clarence niemals in diesem perfekten Gesicht irreversibel bunte Farbe unter der Haut sehen. Blaue Flecken, Narben die ihre Geschichten erzählten, ein fehlendes Stück Ohr… das waren Geschichten die das Leben nun einmal schrieb und die man nicht vermeiden konnte; Dinge, die den Jäger nicht besonders störten, wie man merkte. Aber käme Cassie wirklich eines Tages auf den dummen Gedanken da oben eine Nadel ansetzen zu lassen, würde ihr gemeinsames Märchen schneller zu einem unhappy End führen als dieser Frechdachs gucken konnte.
„Mein Greifvogel…“, setzte Clarence daher alsbald wieder an um den anhänglichen Kleineren gar nicht erst auf dumme Gedanken zu bringen, „…stammt daher, dass wir in Falconry Gardens angesiedelt sind. Falkenzucht,… Greifvögel,… - du siehst, es ist nicht weit hergeholt.“ Unterm Strich wusste Cassie kaum etwas von seinem Clan der bislang wenig in Gesprächen erwähnt worden war und lediglich dieser Hurenkönigin hatten sie es zu verdanken, dass zumindest die kleine Stadt mit der Tradition zur Zucht von Brieffalken schon einmal namentlich in ihre Mitte geworfen worden war. „Meinen Tiger habe ich mir als Abzeichen dafür verdient, dass ich an einem Wettkampf teilgenommen habe und nicht als Erster raus geflogen bin und den schicken Herren mit dem Hut auf meiner Flanke“ – ein Bild das er nun sicher nicht hervor zeigen würde, immerhin lag der Bär gerade so bequem darauf und hätte sich dafür von Matthew und seinem knackigen Hinterteil trennen müssen – „…den hab ich für äußerst großzügige Auslegung meiner Aufträge erhalten. Manche Behauptungen werden in Dörfern nicht infrage gestellt und manchmal kommt es vor, dass… Menschen bei äußerst komplizierten Exorzismen Hopps gehen. Und manchmal kommt es dabei vor, dass sie vielleicht niemals von irgendetwas besessen, sondern einfach nur Arschlöcher waren.“
Die dezente Unterschrift Widow Maker ließ genügend Spielraum für Interpretationen, wies aber mit ein bisschen Fantasie auf Naheliegendes hin – nämlich oftmals verzweifelte Frauen deren Ehemann eines schönen Tages dem Alkohol oder der Wut verfallen waren und die sich nur wenig therapierbar zeigten. Stellte man sie als Besessene dar und bescheinigte ein Jäger, dass ihr Tod der Kollateralschaden der getanen Arbeit war, warf das weit weniger Fragen auf als die verängstige Ehefrau mit dem Schürhaken in der Wohnstube.
Zaghaft lösten sich die unvollständigen Finger des zwielichtigen Jägers von Cassies Hintern und wanderten ein klein wenig daran hinauf, doch nur damit der Bär von Mann scheinbar unauffällig den Daumen hinter dem Saum der fremden Unterwäsche verhaken und diese ein klein wenig von ihrem angestammten Platz hinab ziehen konnte.
„Wie du siehst, Engelchen, hat das meiste an mir seinen angestammten Platz aus einem bestimmten Grund und nicht, weil ich es ausgerechnet an mir wollte. Aber was ist mit dir, mh? Warum siehst du aus wie eine wandelnde Leinwand und trägst außerdem noch deine hübschen Flügelchen mit dir herum?“, wollte Clarence nun im Umkehrschluss Antworten auf seine Fragen bekommen und senkte abermals seine Lippen auf den bunten Hals seines Partners, auch wenn die besagten Flügel nicht gerade dort saßen. „Sag mir nicht, du hast im Laufe deiner Karriere zu viel Gold verdient und wusstest irgendwann nicht mehr wohin damit… das würde zwar nachvollziehbar klingen, aber so wie ich dich kenne, hättest du es durchaus verstanden deine Münzen anderweitig auszugeben.“


Matthew C. Sky

Der Pinguin-Jäger neben ihm war ein unverschämter Kerl, wie Matthew schnell merkte. Nicht nur das er eine große Klappe hatte, auch seine vorwitzigen Finger konnte er nicht bei sich behalten und das obwohl der Tag noch jung war und Matthew sich noch nicht frisch gemacht hatte. Es sollte sich eigentlich jedem selbst erschließen, dass man unter diesem Umstand keine Hoffnungen auf ein Mehr zu hegen brauchte.
Dennoch musste Cassiel sich selbst eingestehen, dass der freche Hüne ein unverschämter Leckerbissen war und das seine eigene Lage eine überaus angenehme war. Es war nicht einfach sich und den eigenen Prinzipien angesichts des Wildlings und dem Wissen um seine Fähigkeiten treu zu bleiben.
Dass er jemals derart geliebt werden würde, war vor wenigen Jahren noch unabsehbar gewesen, aber mittlerweile konnte Matthew sich kein anderes Leben mehr vorstellen als das an der Seite seines blonden Schamanen. Ihn einstmals einen Klotz genannt zu haben, ihm früher verboten zu haben ihn zu küssen, ihm nahe zu kommen auf andere Art als die gefühllosen Momente da sie ihre Triebe abgebaut hatten… all das kam dem Kleineren mittlerweile vollkommen surreal vor, so als wären es nicht sie beide gewesen die so gelebt hatten, sondern zwei völlig andere Menschen.
Wohlig lächelte er gegen die Halsseite seines Mannes und schnaubte leise und amüsiert ob dessen hanebüchener Äußerung er könne einrosten.
„Als ob du das jemals verlernen würdest...“, diese Sorge brauchten sie beide nicht zu haben, denn weder würde Cassiel es zulassen das Clarence aus der Übung kam, noch würde sich der Schamane abspeisen lassen. Sie liebten einander zu sehr um auf Sex zu verzichten, von daher war die Befürchtung des Jägers kaum real.
Langsam und mit Bedacht strich er mit den kalten Fingern den Rücken des Kleineren herunter und entlockte dem ehemaligen Kopfgeldjäger ein behagliches Seufzen und einen kleinen Schauer wegen der Kühle die mit der Berührung einherging.
„Dein Greifvogel ist also nichts besonderes? Hat jeder aus Falconry Gardens den Gleichen?“ Das erschien dem Dunkelhaarigen irgendwie fade, auch wenn er der festen Überzeugung war, dass die Tätowierung an niemandes Brust stattlicher wirkte als an der seines Pinguins. Nachdenklich und verliebt malte Matthew weiter über des Anderen Bauch und genoss schlichtweg die Nähe die sie teilten. Die kandisfarbenen Augen wieder geschlossen lauschte er den Erzählungen von Clarence, der warmen und vertrauten Stimme die nichts sagen konnte das Cassiels Sicht auf ihn verändern würde. Für Matthew war der Größere der Inbegriff aller Liebe. Er war sein Zuhause und seine Zukunft und noch nicht einmal die vielsagende Erklärung zum Widow Maker machte, dass er die Augen wieder öffnete. Es war eine raue Welt in der sie lebten, täglich wurde irgendwo irgendjemand verraten und verkauft, geschändet, gequält, getötet.
Sein Mann war kein unbeschriebenes Blatt, dass war Cassiel immer klar gewesen und doch fürchtete er nicht eine Sekunde, dass der Jäger mit den bedeutungsvollen Tätowierungen ihm je Böses tun würde. „Hmmm und dein Clan hat diese großzügige Auslegung deiner Aufträge gebilligt? Widerspricht das nicht eurem Codex?“, dass klang als würde er sich auskennen und als würde er wissen das ein solcher Codex existierte- dabei riet er gerade einfach nur ins Blaue. Cassiel kannte sich in dieser Welt kaum aus und konnte sich daher nicht vorstellen wie die Strukturen und Regeln aussahen. Er hatte Vorstellungen, kannte manche Details - aber das Große und Ganze hatte sich ihm nie offenbart, auch wenn sein Lehrmeister immer wieder darauf bestanden hatte das er sich bestimmte Dinge merkte. Aber daran verschwendete der junge Mann nun keinen Gedanken. Engelchen nannte ihn der allmählich aufgetaute Pinguin und zauberte damit ein verzücktes Lächeln auf Cassies Lippen. „Ach Süßer...du weißt was ich morgens hören will...“, wahrlich, der Schamane war drauf und dran ihn um den Finger zu wickeln. Ganz geschickt lenkte der Ältere nun das Thema weg von sich und hin zu den Bildern die unter Matthews Haut gestochen waren und obgleich die Geschichten hinter den Tätowierungen allesamt melancholischer Natur waren, so öffnete der Kleinere dennoch nicht wieder seine Augen. So entspannt und schön wie es gerade war, konnte ihn nicht mal eine solche Frage aus der Ruhe bringen.
„Ich hatte vermutlich wirklich zu viel Gold, aber zumindest den Hirsch...hat Rouge gezahlt. Weiß bis heute nicht warum. Ich musste ihm erzählen woher ich komme, was mir passiert ist. Und ich hab ihm vom Jamie erzählt und davon das er sein Seelentier für einen Hirsch hielt... Ich hatte die Idee mir irgendwann den Hirschen stechen zu lassen, quasi als...Erinnerung an ihn. Und Rouge wollte unbedingt das ich es mache, hat ihn irgendwie beschäftigt.“, Cassiel küsste den Hals seines Mannes, schmiegte die Nase dichter dagegen und sprach dann weiter.
„Die zwei Totenköpfe daneben stehen für Brandon und Christopher, den Jungs mit denen ich in den Skull Forest geschickt wurde. Ich hab dir davon erzählt...weißt du noch?“
Erst jetzt hob er den Kopf aus der behaglichen Halsbeuge und öffnete die Augen wieder um den Größeren anzusehen. Matthews Tätowierungen waren keine Belege für Erreichtes oder geleistete Errungenschaften. Wo Clarence ein Stück weit seine Geschichte als Jäger unter der Haut trug, hatte Matthew die Geschichte seiner traurigen Vergangenheit verewigen lassen, fast so als hätte er befürchtet sie sonst zu vergessen und wieder arglos zu werden wie damals als Kind.
Die zwei Totenköpfe neben dem Hirsch waren nicht die einzigen. Weitere zierten seine Arme, nicht jeder stand für eine bestimmte Person, aber sie alle waren stumme Zeugen dessen womit Matthew immer wieder konfrontiert worden war: dem Tod. Er hatte ihn gebracht, selten in dem er direkt getötet hatte, sondern durch Entscheidungen die er getroffen hatte und die für andere das Ende bedeutet hatten.
„Die Flügel...na ja die...“, der junge Mann lächelte vage und hob kurz die Schultern. „Ich weiß nicht genau. Um ehrlich zu sein war ich da in einer sehr emotionalen Phase und...keine Ahnung. Da steckt nichts dahinter, außer der alberne Wunsch dem zu entfliehen was mein erbärmliches Leben gewesen ist.“ Mehr als einmal hätte er Gelegenheit und Anlass gehabt sein Leben zu beenden, aber aus irgendeinem Grund hatte er das nie getan. Auf den Fingern seiner Hände standen Lettern und ergaben die Worte Lost Soul und so hatte er sich auch die meiste Zeit über gefühlt.
„Verrückt, wie die Zeiten sich ändern, hm?“ - seit er mit Clarence zusammen war, so richtig zusammen, fühlte er sich weder wie eine verlorene Seele noch wie jemand der seinem Leben noch länger entfliehen wollte. Clarence hatte ihm zurückgegeben was ihm andere genommen hatten, jedes bisschen und dafür war der junge Mann ihm endlos dankbar.
„Jetzt liegen wir zusammen hier, der wilde Barbar und der Schnösel. Hätte nicht drauf gewettet das es so kommt...echt nicht.“ Wahrscheinlich hätte auch Clarence nicht auf diese Möglichkeit gesetzt, dazu waren sie einfach zu unterschiedlich gewesen.
Besonders Matt hatte gern so getan als wäre er völlig unabhängig von dem Schamanen, er hatte ihm mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass Clarence sich nicht in seine Angelegenheiten einzumischen brauchte. In Wahrheit war er jedoch froh gewesen mit dem Größeren unterwegs zu sein, Clarence hatte schon damals auf ihn aufgepasst und so war es nicht verwunderlich gewesen das aus Gewohnheit schließlich Freundschaft geworden war. „Und jetzt, mein Jäger im Pinguin Rang? Sag mir was dir durch deinen hübschen Kopf geht.“


Clarence B. Sky

„Natürlich hat nicht jeder das gleiche Motiv oder den gleichen Vogel, du Dummerchen… aber es zieht sich in jedem Clan eine klare Linie durch gewisse Wappen. Unser Vogel ist dunkel, auf buntem Untergrund… und die aus Varlan hell, auf schwarzer Schattierung. Du wirst auch auf jedem Hound-Jäger irgendwo diesen bescheuerten dreiköpfigen Hund finden, wenn dir mal einer nackt über den Weg läuft.“ - Je länger er sich mit Matthew über die Bebilderungen seiner Haut unterhielt, umso mehr wurde deutlich, wie wenig der junge Mann jemals ernsthaft mit der rauen Zunft der Jäger in Kontakt gekommen war. Aber wer tat das schon von den unbescholtenen Bürgern da draußen, die alleine durch garstige Blicke aus Jägervierteln und dazugehörigen Bars gescheucht wurden? Nur wenige Auserwählte waren es, die man in den eigenen Kreisen duldete und sich jenen Status zu erarbeiten, ein hartes Stück Arbeit. Es gehörte eine Menge Vertrauen dazu, denn nichts versprach einem, dass diese Leute einen nicht ausspionieren sollten für andere Clans und wenn man sie aufnahm ohne direkt zum Jäger zu machen, hieß das nicht, diese Position ginge ohne Verpflichtungen einher.
Selbst Clarence, heute durch seine Wappen und Errungenschaften in Farbe geziert, war diesem Beruf nicht immer nachgegangen, obwohl er im Hauptquartier der American Kestrel gelebt hatte. Alleine Nagi Tanka war dieser Sonderstatus zu verdanken gewesen und unter dessen Schutz hatte er gestanden bis zu jenem Tag, da er den unüberlegten Wunsch geäußert hatte voll und ganz dazu zu gehören – eine Entscheidung, die bis zum abschließenden Annehmen des angesprochenen Codex reversibel und durchaus nochmals von Claire überlegt worden war, wie sein zu großen Teilen eingeschwärzter linker Unterarm belegte.
Doch nicht jeder wurde unter die Fittiche eines Anführers genommen und rutschte dadurch in die Maschinerie der Jägerschaft, um sich in den Kreisen und Ketten zu verlieren. Es gab geduldete junge Frauen, die ganz bewusst die Nähe zu dieser kernigen Zunft suchten wie Motten das Licht, die in den Jägervierteln und Zimmern der Gaststätten ein und aus gingen als wäre es ihr eigenes Zuhause und die wider Erwarten keine Huren waren, wie man das vielleicht meinen sollte. Sie verdienten nichts mit ihren Diensten außer der Gewissheit, für wenige schöne Stunden Teil der Geschichten zu werden und in abenteuerliche Erzählungen abzutauchen und wenn man sie doch für ihre Gesellschaft beschenkte, dann war das keine Selbstverständlichkeit.
Selbst Connor, ihr claneigener Koch von dem keiner mehr genau wusste wie sie eigentlich zu diesem Kerl gekommen waren, hatte niemals seine Finger im Spiel gehabt wenn es um Aufträge ging und war weder Jäger noch Anwärter; dennoch lebte er mit ihnen unter einem Dach, war zum Zeichen seiner Zugehörigkeit tätowiert worden und genoss größtes Vertrauen des Clans, wenn es um Sitzungen und Beratungen ging. Eine seltsame Begebenheit eigentlich, die Clarence niemals hinterfragt hatte und definitiv eine Erkundigung wert wäre, sollte er je nach Falconry Gardens zurück kehren.
Jemand der wesentlich deutlichere Fragen auf Petto hatte als er selbst, war definitiv sein handzahmer Ehemann, der scheinbar nicht müde wurde jedes noch so einschläfernde Detail der Clans in Erfahrung zu bringen – und das in einem Tonfall, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen.
Mit skeptischem Blick und einem amüsierten Grinsen auf den Lippen, hob Claire kurz das Haupt um Cassie abschätzend zu mustern: „Unserem Codex? Dem, den du natürlich in- und auswendig kennst? Ganz bestimmt nicht… unsere Arbeit ist es zu töten und dafür unseren Lohn einzutreiben. Und wenn wir mal ehrlich sind… manche Menschen sind schlimmer als alle Geister, Dämonen, Mutanten und Hexen zusammen. Das ist einfach so. Wenn es den ein oder anderen Heller mehr einbringt in knappen Zeiten, macht das keinen Unterschied für einen Jäger.“
Cassie hatte das erste gemeinsame Jahr über miterlebt, was es bedeutete als Jäger hart für seinen Sold zu schuften ohne dabei nennenswerte Gewinne einzufahren. Auf Reisen durch Dörfer und Siedlungen war das wertvollste, was die Menschen als Bezahlung besaßen, dekontaminiertes Wasser und Nahrung und wenn der Sommer schon zu lange fortgeschritten war, wurde alles da draußen knapp und stand dem Winter kaum in etwas nach. Clarence mochte ein fairer Teil seiner Zunft sein, der seine Auftraggeber nur selten über den Tisch zog und trotzdem hatte nicht mal er davor zurück geschreckt, sich im Zweifelsfalle selbst eine passende Entlohnung in Haus und Hof zusammen zu suchen, um im Anschluss mit den Besitzern darum zu verhandeln. Nicht umsonst waren Jäger äußerst unbeliebt da draußen. Ging es um ihre Entlohnung, blieben nicht mal mehr die Erbstücke der Urgroßeltern unentdeckt – und bildeten später an Fingern und um den Hals von Clanmitgliedern kleine Trophäen für ihr außerordentliches Verhandlungsgeschick.
Wo Clarence die wertvolle Habe gerne beieinander hielt, verprasste sein verschwenderischer Gemahl seine unzähligen Münzen und so verwunderte es den Blonden überhaupt nicht, dass Cassie vermutlich wirklich zu viel Gold besessen hatte. Aufgewachsen und überlebt in ärmlichsten Verhältnissen, musste einem plötzlicher Geldsegen vorkommen wie unfassbarer Reichtum, von dem man gar nicht so recht wusste wohin damit.
Zart löste der Bär seine Hand von dem verführerischen Hintern seines Geliebten, streichelte die entblößte Flanke zurück hinauf und legte seine Hand nun stattdessen auf der Brust seines Partners ab, um ähnlich die Konturen der fremden Bilder nachzufahren. Schweigend zog er die Ausläufe des Geweihs nach, die sich wie Schmuck und Kette zugleich um den fremden Hals legten. Wie Matthew ohne all seine Zierde aussehen mochte, konnte der Jäger nicht mal im Ansatz abschätzen, immerhin hatte er den Kerl so kennengelernt wie er heute war – aber anders wollte er Cassie auch nicht haben, so sehr Clarence ungezeichnete Haut auch eigentlich mochte.
„Das waren die beiden Jungs, die… den Wendigowak geopfert wurden, nicht wahr?“, entgegnete der Bärtige leise, den sachten Nachklang der fremden Lippen auf seinem Hals genießend, während er seine Finger noch immer nachdenklich über das imposante Geweih und damit die fremden Schlüsselbeine hinweg gleiten ließ. Die Tätowierung barg einen seltsamen Beigeschmack wenn man die Geschichte kannte und dabei bedachte, dass die beiden Totenköpfe nun auf ewig unter einem Hirsch thronten der sie vermutlich behüten sollte; aber vielleicht wusste Cassie auch nicht, dass ausgerechnet dieses Tier in Mythen und Legenden für die Darstellung eines Wendigo genutzt wurde. „Brandon und Christopher…“
Die Erinnerung an ihre Namen war verblasst im Vortex im Zustand seines diffusen Dämmerzustandes nachdem sie auf die Mutanten getroffen waren und wenngleich Clarence sich lange Zeit nicht an ihr Gespräch hatte erinnern können, so tauchten doch nach und nach diverse Fetzen des Erlebten wieder in seinem Kopf auf.
Es war nicht das erste Mal für den Jäger, dass Erinnerungen in seinem Geist verschütt gegangen waren und erst später wieder hinauf an die Oberfläche drifteten. Viele Wochen und Monate hinweg hatte er sich nicht vollends der damaligen Geschehnisse entsinnen können, als sein Lehrmeister seiner Frau nachgestellt war und den Tag hatte im Brand seines Hauses enden lassen; alles was geblieben war, war die Gewissheit gewesen, Hof, Frau und Kinder verloren zu haben.
Nach und nach, in Nächten die als Alpträume abgetan worden waren, waren Bilder und Fetzen zurück gekehrt. Schreie, die in der Dunkelheit der Nacht durch seinen Kopf hallten und die Pfützen roten Blutes, die an seinen Händen und Schuhen klebten. In manchen Träumen sah er seine Kinder verletzt und leidend vor sich, doch so sehr er es auch versuchte, so erinnerte sich Clarence kein einziges Mal an Cordelias kleines Gesicht; vermutlich sein eigenes Unterbewusstsein das ihn vor weiterem Schaden schützen wollte oder tatsächlich ein unwiderruflicher Schaden in seinem Kopf, der niemals würde reparabel sein können.
Heute jedenfalls glaubte der Jäger nicht mehr an die Theorien seines Meisters, die meisten Bilder wären Illusionen seiner Träume und hätten niemals so stattgefunden – dafür lagen die Indizien zu schwer und waren zu sehr bekräftigt worden durch eine Handvoll anderer Mitglieder seines Clans, die nicht weniger zweifelhafte Erfahrungen mit ihrem großen Anführer gemacht hatten.
„Mhh…“, brummte es leise die bärige Kehle hinauf und der wilde Barbar hob endlich wieder seinen Blick von der bemalten Brust, hinauf in das vertraute Antlitz seines geliebten Schnösels. So wie er Matthew kannte war das eine glatte Lüge; der Kerl wettete so ziemlich auf alles wenn er nur genug Münze in der Tasche mit sich herum trug, da hätte er sein Kupfer sicher auch darauf gesetzt, dass das Leben sie eines schönen Tages hierher brachte – egal wie schlecht die Chancen dafür gestanden hatten.
„Ich frage mich gerade, was dich damals dazu gebracht hat… diesem Rouge zu folgen, nachdem ihr aufeinander getroffen seid. Was er damals für einen Eindruck gemacht hat, dass du mit ihm mit bist, bevor er… sich als Dreckskerl entpuppt hat. Ich meine…“, nicht, dass ein Leben auf der Straße lohnenswerter für einen jungen Burschen gewesen wäre, wenngleich es sicher hässlichere Orte als Varlan gab um sich durchzuschlagen. Aber irgendetwas Faszinierendes musste dieser Mann ja auf den jungen Cassie ausgeübt haben, dass er trotz seiner schlechten Erfahrungen mit fremden Männern an dessen Seite geblieben war. Auf der anderen Seite hätte es sicher bessere Kandidaten als Matthew gegeben, warum also den nächstbesten Jungen von der Straße fischen, den man eigentlich gar nicht kannte? ...vermutlich nicht kannte, jedenfalls.


Matthew C. Sky

Irgendwie waren sie beide wieder abgedriftet von heimeligen Gesprächen über dies und das, hin zu Le Rouge, der in ihrem Bett eigentlich gar nichts zu suchen hatte.
Sie hatten ein äußerst fragwürdiges Talent dafür von unbeschwerten Momenten direkt in Wespennester zu taumeln, so als würden sie von den schlechten Erfahrungen des Anderen magisch angezogen werden. Aber Matthew konnte das verstehen und anders als sonst, gab er dem Roten keine Macht die Wärme des Augenblicks zu zerstören.
Worauf Clarence hinaus wollte war klar, auch wenn er den letzten Satz nicht beendete. Er erinnerte sich an Brandon und Chris, daran wie sie gestorben waren, aber vor allem auch wer sie gewesen waren bevor man ihnen das Leben entrissen hatte.
Matthew erwiderte sanft den Blick seines blonden Gefährten, hob die Hand von seinem Bauch und legte sie auf die bärtige Wange um mit dem Daumen sacht darüber zu streichen. Das Thema Le Rouge war ein Heikles und zwar schon immer. Die Behauptungen Harriets hatte es jedoch noch verschärft, denn wenn stimmte was sie erzählt hatte, dann war ihr Aufeinandertreffen in Varlan so wenig zufällig gewesen wie das Aufkreuzen von Clarence am heutigen Morgen in ihrem Bett.
Matthew wusste das und es wäre eine blanke Lüge wenn er nun anderes behaupten würde. Allerdings gab es für diese Geschichte keinen einzigen echten Beweis und so geisterte zwar die theoretische Möglichkeit als These durch seinen Kopf, aber im Negieren des Wahrscheinlichen war er schon immer ganz gut gewesen.
„Du willst wissen, was er für ein Kerl war, dass ich mich ihm angeschlossenen habe nachdem ich es hätte besser wissen müssen. Nach allem was schon passiert war.“, fasste er Clarence‘ Worte zusammen und zupfte zart an dessen Bart. Er war weder betroffen noch wütend ob jener Frage, denn sie lag nahe. Und die Zeiten in denen er Clarence einen Strick aus seinem Interesse drehte waren vorbei, selbst dann wenn es Dinge betraf mit denen Cassiel sich schwer tat sich an sie zu erinnern oder sie auszusprechen. Wahrscheinlich hätte er jedoch die selbe Frage gestellt, wenn Clarence ihm vom gütigen Mann und seiner Farm voller Schäfchen erzählt hätte.
Und außerdem...hatte es der Rote nicht verdient, dass man sich irgendwelche Gedanken um ihn machte, ein Grund warum Matthew kurz in Erwägung zog gar nicht auf das Thema einzusteigen. Doch andrerseits wäre das nicht fair seinem Liebsten gegenüber und so verabschiedete sich Cassie recht zügig wieder von dem Gedanken eines Themenwechsels ohne dem Wildling zu antworten.
„Ich habe ein paar Jäger der White Walkers kennengelernt und es stimmt, deren Greifvogel ist hell auf dunklem Grund...“, fing er an und schlug den Bogen von ihrer vorangegangenen Unterhaltung. „Als ich nach Varlan gekommen bin, hatte ich nichts, wirklich gar nichts, aber ich habe diese Jäger ja bezahlen müssen die mich nach Varlan gebracht haben, also musste ich irgendwie die Münzen auftreiben. Ich hab dir erzählt das ich alle möglichen Arbeiten gemacht habe um meine Schulden zu bezahlen, hat etwa ein Jahr gedauert bis ich fertig war. Die haben mich ziemlich ausgenommen und nachdem ich den letzten Betrag an sie gezahlt hatte war ich wieder so mittellos wie zu dem Zeitpunkt als ich in die Stadt gekommen bin.“
Die White Walkers waren so korrupt wie alle Clans die Cassiel bisher kennengelernt hatte, aber weil es quasi niemanden gab der andere nicht abzockte wenn er die Gelegenheit dazu bekam, war das nichts besonderes. Und außerdem hätte er als Fünfzehnjähriger ohnehin nichts dagegen tun können, hätte er sich moniert hätten sie ihm vermutlich die Kehle von einem bis zum anderen Ohr aufgeschlitzt und ihn in irgendeiner Seitengasse entsorgt. „Ich musste also wieder an Münzen kommen und da ist mir dieser Typ aufgefallen. Dem hat man schon von Weitem angesehen das der stinkreich ist und deshalb dachte ich, ich könnte ihn um ein paar Münzen erleichtern.“
Matthew zuckte seicht mit den Schultern und nahm damit die folgenden Worte schon vorweg „Hat nicht hingehauen, Rouge hat mich erwischt und mich zur Rede gestellt. Ich hab ihm erzählt warum ich ihn bestehlen wollte und das ich mich seit über einem Jahr hier durchschlage und er... hat sich mir vorgestellt und mir dann folgendes Angebot gemacht: in seine Lehre zu gehen und wenn ich mich gut anstelle nie wieder auf der Straße leben zu müssen, oder meine rechte Hand noch an Ort und Stelle zu verlieren...Wie man Diebe eben bestraft.“ Diese Auswahlmöglichkeiten waren wenig erbaulich gewesen und hatten ihm keine echte Wahl gelassen. „Also hab ich mich ihm angeschlossen. Hab anfangs mal versucht nachts abzuhauen, aber der Kerl war mit einem Auge und Ohr immer wach und je länger ich bei ihm war umso deutlicher wurde, dass man vor dem nicht wegrennen kann. Überall wo wir hingekommen sind kannte man ihn, er hat mich mitgenommen zu den Treffen der Wichtigen und Reichen, hat mich unterrichtet in so ziemlich allem was ich heute kann. Sich vor Rouge zu verstecken ist schlichtweg unmöglich, der hat jeden gefunden der ihm oder seinen Auftraggebern mal ans Bein gepinkelt hat. Wenn man erstmal gesehen hat wozu der fähig war...haut man nicht einfach ab, sondern ist froh wenn man mit ihm auf der gleichen Seite steht.“
Und was Rouge ihn gelehrt hatte, hatte Aufschluss darüber gegeben was für ein einflussreicher Mann er war und wie er den jungen Burschen unterrichtet hatte, hatte ebenfalls einen besonderen Beigeschmack gehabt.
Nicht auf kuschelige, liebevolle Weise, nicht so wie ein Vater seinen Sohn lehrte, sondern mit brutaler Härte und Unnachgiebigkeit.
Matthew wollte sich aus mannigfaltigen Gründen nicht vorstellen, dass dieser Mann sein Vater gewesen war. Er hatte sich daran gewöhnt keinen zu haben und wenn sich herausstellte, dass der Kerl der ihn in Varlan aufgegabelt hatte sein Erzeuger war, dann war sein Vater nicht nur ein unbekanntes Phantom, sondern eines der miesesten Schweine das auf der Welt gewandelt war. Nicht zu vergessen das Matthew ihn getötet hatte.
Wenn es nach dem jungen Mann ging, dann war das Thema aber ohnehin keines das sie vertiefen mussten. Und so war es nicht verwunderlich, dass er unter der Decke nach der Hand seines Liebsten langte, sie von seiner Brust nahm und sie stattdessen zurück auf seinen Hintern legte. „Haben wir...kein besseres Thema als diesen Kerl an diesem Morgen, hm? Er ist tot und er sollte uns nicht mehr interessieren...“
Fügte der junge Mann leise an, zeichnete zärtlich die geschwungenen Lippen des Größeren nach und betrachtete ihn verliebt. Es gab Dinge in ihrer beider Vergangenheit, die waren schlimm und grausam, aber wenn er Clarence ansah, dann sah er nicht nur dessen Verlust und Trauer, sondern er sah Vertrauen, Liebe und Zukunft. Und Matthew wollte im Umkehrschluss auch nicht, dass der Wildling in ihm nur ein Opfer der Umstände sah. Warm und weich schmiegten sich Cassiels Lippen nun gegen den Hals des Größeren und küssten ihn behutsam. „Ich liebe dich, mein kleiner Pinguin... Das weißt du, oder?“ wisperte er in das Ohr des Größeren, küsste es dann und hob den Blick wieder in das geliebte Gesicht. „Was hältst du davon wenn du mir jetzt ein Bad einlässt und mir hilfst wieder ansehnlich zu werden, hm? Du könntest mir im warmen Wasser Gesellschaft leisten... Vielleicht fällt uns beiden ja etwas ein, wie wir dich wieder richtig aufgetaut kriegen?“, nicht das sie da lange überlegen mussten, aber man musste ja nicht mit der Tür ins Haus fallen....Außerdem war der Morgen noch jung und es hatte durchaus seinen Reiz einfach zu sehen wohin sich die Dinge entwickeln mochten.


Clarence B. Sky

Einstmals, in einem anderen Leben, hätte sich der Blick seines Gegenübers verschlossen und Matthew Cassiel wäre für den Bruchteil einer Sekunde ungewöhnlich still geworden. Wenngleich oftmals redselig wie kein Zweiter, besaß sein Partner ein außerordentliches Talent dazu von einem Moment auf den anderen ein Thema zu wechseln – und in diesem anderen Leben, das sich mittlerweile fremd anfühlte so als wäre es niemals sein eigenes gewesen, hätte Clarence das plötzliche Abschneiden einfach hingenommen und gut sein lassen.
Doch heute waren nicht nur die Zeiten andere, nein, auch sie selbst. Anstatt den Bären von Mann im Unwissenden zurück zu lassen, begann der Dunkelhaarige nachdenklich an seinem Bart zu zupfen und er sprach, ganz so, als wäre es nie anders zwischen ihnen gewesen wenn unangenehme Fragen darauf warteten beantwortet zu werden.
Matthew traf den Nagel auf dem Kopf als er Claires Interesse nochmals in eigenen Worten zusammenfasste, ganz ohne dass der Blonde ihn darauf hinweisen musste. Es war offensichtlich den plötzlichen Anschluss an einen fremden Mann zu hinterfragen der den jungen Matti hatte mit sich nehmen wollen, nach allem, was diesem in seinen jungen Jahren schon geschehen war.
Die Vergangenheit und die damit eingehergehenden Erfahrungen seines heutigen Mannes waren unangenehmer Natur und trotzdem waren sie eines: Ein Teil des Kerls, in den sich Clarence unsterblich verliebt hatte. Sie mochten hier, in diesem Bett, kaum einen Einfluss mehr auf den einstigen Söldner haben und dennoch hatten sie ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war. Wer konnte schon sagen, ob sie zueinander gefunden hätten ohne all die Wege und Hindernisse, die ihnen das Leben vor die Füße geschmissen hatte? Hätten sie sich genau so zueinander hingezogen gefühlt wie heute, hätte der unausgesprochene, innere Kern ihrer Melancholie sie nicht aneinander geschweißt?
Wachsam und interessiert musterte der Hüne die kandisfarbenen Iriden seines Geliebten, die ihm mittlerweile vertrauter geworden waren als seine eigenen, und versuchte sich in die damalige Lage des jungen Reed hinein zu versetzen. Die Zeiten waren sicher unbestreitbar rau als halbstarker Minderjähriger, der Familie und Heimat beraubt, unfähig sich für das eigene Leben auf jemanden anderen zu verlassen als eine Gruppe Jäger, die für Eskortendienste bekannt waren. Es war einfacher diese Jugendlichen mit Wünschen und Träumen auszunehmen als Erwachsene, vor allem wenn man sie vor der eigenen Haustür absetzte und dadurch im Blick behalten konnte; es verwunderte den Schamanen dahingehend nur wenig, mit welch sicher einschüchternden Methoden die Walkers Cassie hinterher gewesen waren, um den Sold für ihre vorgestreckte Arbeit einzutreiben. Derartige Methoden mussten einen Jungen früher oder später zum Diebstahl zwingen und dass sich Cassie dafür einen wohlhabend aussehenden Herren auserspäht und ausgerechnet Rouge erwischt hatte, war genau so ein verlorenes Glücksspiel wie die vielen anderen, die Matthew auf ihrer gemeinsamen Reise schon in Gasthäusern bestritten hatte.
Von einem Fettnäpfchen ins nächste war der Schönling gestolpert, der heute bei ihm im Bett lag und der seine war und wenngleich Clarence ihm ganz sicher gerne ein anderes Leben gewünscht hätte, so wollte er seinen Mann doch heute nicht mehr missen wollen genau so wie er war. Mit allen seinen Narben, seiner Vorsicht, seinem Übermut und den beiden Händen und trotz allem dem Quäntchen Losgelöstheit, als hätte es all die Schrecken in der Vergangenheit niemals gegeben.
Im Grunde unterschied sie beide nur wenig voneinander wenn es darum ging, über welche Wege sie zu ihren Meistern gekommen waren – die Alternative wäre wenig schön gewesen und diesen fremden Männern zu folgen die einzige Wahl, die sie sich hatten leisten können. Matthew hatte zu sehr an seinen Händen gehangen angesichts dieses garantiert durchaus ernstzunehmenden Mannes und der Jäger?
Der äußerst kritischen und vorurteilshaften Gemeinde gegenüber zu treten nach allem was auf seinem Hof vorgefallen war, hätte ein schlimmeres Ende genommen als alles aufzugeben, was er bislang zu kennen und sein geglaubt hatte.
„Es ist nur…“ - Clarence‘ resignierendes Seufzen war vorerst alles was sein Schweigen durchbrach, als Cassie es schließlich bevorzugte die bärige Pranke von dessen Brust zurück auf die wohlgeformte Kehrseite zu bringen. Wenn trotz des frühen Morgens ein wenig Unsittlichkeit die bessere Wahl war anstelle jenes unleidigen Themas, dann musste Matthew wirklich der Sinn nach einem Punkt stehen, so gut kannte der Bär seinen Mann immerhin schon.
„Du hast ja recht…“, gestand der Bärtige nach einer kurzzeitigen Stille leise ein, denn wenngleich es sicher eine richtige Zeit und einen richtigen Ort gab um diese Schattengestalt ihrer Vergangenheit näher zu beleuchten, so sollte das ganz sicher nicht ihr Bett sein, wenn noch nicht mal die Sonne hinterm Horizont hervor geschaut hatte. Sein Mann hatte eine kritische Kopfverletzung hinter sich gebracht und war seit erst gerade mal zwei Tagen wieder Zuhause; wenn es etwas gab, das sie derzeit miteinander tun sollten, dann war es ganz sicher nicht sich die Köpfe über einen Toten zu zerbrechen, sondern ihre verbliebene gemeinsame Zeit miteinander zu genießen.
Das Leben war definitiv zu kurz für irrelevante Hirngespinste, eine Lehre, die ausgerechnet eine Sally Mitchell ihnen hatte beibringen müssen.
Sich demonstrativ mit der Schulter tiefer in die weichen Federn ihres Bettes hinein schmiegend, legte Clarence den Kopf etwas beiseite um seinem Mann Platz zu bieten für das durchschaubare und sündige Ablenkmanöver, unter dem er es sich nicht nehmen ließ seine Hand nun endgültig unter die lästige Unterwäsche seines Geliebten gleichen zu lassen.
Das fremde Gesäß war, im Gegensatz zu seinen noch immer zaghaft unterkühlten Fingern, angenehm warm und versprach schon jetzt die passenden Methoden um einen eisigen Frostbären wie ihn wieder aufzutauen; egal welch trübselige Geschichten diese Schlafkoje schon vernommen haben mochte, so verlor sie doch nicht ihr fragwürdiges Talent, die Sehnsucht der beiden jungen Männer nacheinander alsbald wieder auflodern zu lassen wie trockener Reisig ein prasselndes Feuer.
Du lockst mich erst in deine Höhle und jetzt willst du mich schon wieder raus in die Kälte schicken?“, murmelte der Eisbär widerwillig, während seine unverfrorenen Finger wohlig über die süßen Rundungen seines Gefährten hinweg kraulten und sich nicht dabei scheuten tiefer zwischen die wohligen Schenkel zu wandern, ganz ohne dabei in gefährliche Gefilde hinab zu tauchen. „Und du sagst, du liebst mich… das wagt Herr Pinguin mit Verlaub zu bezweifeln.
Vorwurfsvoll klangen die gewisperten Worte des Barbaren, doch entbehrten sie dabei nicht dem jungenhaften Schalk der deutlich einforderte, dass es einen Beweis für die Widerlegung seines Zweifels brauchte.
Das Feuer im Ofen ist noch nicht mal richtig an… genug Zeit also für dich, um deiner kleinen Frostbeule etwas Ansporn zu geben um dir das ganze Wasser von A nach B zu schleppen. Sag mir, Prinzesschen…“, forderte der Bär und senkte nun selbst seine Lippen zurück hinab auf den bunten Hals des anderen, ließ sie langsam daran hinauf streichen und verfing sich für einen kurzen Moment mit den Zähnen im fremden Ohrläppchen, bevor er einen wohltuenden Kuss auf die geschundene Stelle hauchte. „Erzähl mir ein bisschen von deinen ominösen Auftau-Taktiken, mh? – Wenn ich mir mehr darunter vorstellen kann… bin ich sicher motivierter, deine angenehme Gesellschaft für den anstrengenden Akt des Befüllens aufzugeben… ansonsten musst du meine kalten Füße noch weiter unter deiner Decke ertragen.


Matthew C. Sky

Mitnichten hatte Matthew die Gedankengänge seines Frostbären abwürgen wollen um sich selbst nicht mehr mit dem unangenehmen Thema Rouge beschäftigen zu müssen. Jedoch meinte er es ganz ernst wenn er sagte, dass diese Figur hier und jetzt nicht hingehörte und glücklicherweise stimmte Clarence ihm nach kurzem Schweigen auch zu.
Ob der Rote nun sein Vater oder nur sein Lehrmeister gewesen war, ob ihr Treffen im Zufall oder auf einer List begründet lag, all das würden sie nie herausfinden können. Freilich würden sie trotzdem darüber reden können und wenn Clarence das wollte, würde Cassiel ihm auch Rede und Antwort stehen, aber dafür gab es sicher bessere Augenblicke als die ersten Minuten nach dem Aufwachen, in denen man eigentlich nichts weiter wollte als dösen und genießen.
Die kühle Pranke schob sich nun ohne Scheu und falsche Zurückhaltung zur Gänze unter seine Unterwäsche und streichelte über die wohlgeformten, festen Rundungen seines Gesäß‘. Zufrieden seufzte der Kleinere daraufhin, schmiegte sich etwas dichter an seinen Geliebten und lauschte dessen Worten.
„Hey hey hey, daran gibt es nichts zu zweifeln, hörst du? Mach keine Witze darüber du unverschämter Jäger im Pinguin Rang!“, ging Cassiel auf die Barrikaden und piekste neuerlich mit dem Zeigefinger in Clarence’ Seite.
„Meine Liebe zu Ihnen, werter Herr, muss nicht bewiesen werden. Sie ist so offensichtlich und allgegenwärtig wie nichts anderes auf der Welt.“ Erklärte der junge Mann im Brustton der Überzeugung und musterte seinen blonden Hünen, der allein ihm gehörte, so wie er selbst nur Clarence zu eigen war. Der Frevel seine Gefühle in Zweifel zu ziehen war keine Lappalie und der Wildling konnte sich glücklich schätzen, dass Cassiel ihn nicht eigenhändig aus dem Bett rollte, damit er auf dem Boden der Realität sein Verhalten überdenken konnte. Aber das hieße zwangsläufig sich selbst zu bestrafen, war es doch ohne Clarence im Bett nur halb so gemütlich darin. Verliebt und nachdenklich zugleich streichelte Matthew über die Brust des Schamanen, die vom roten Stoff nur noch zum Teil bedeckt war.
Es war unwahrscheinlich auf der großen weiten Welt, in der es vor Mutanten, verstrahlten Gebieten und schrägen Leuten nur so wimmelte, den eigenen Seelenverwandten zu finden — aber hier lagen sie beide und waren zusammen erst vollständig. Diese Erkenntnis hatte der Dunkelhaarige gerade nicht zum ersten Mal und doch faszinierte es ihn noch immer. Bei all dem Pech das sie beide gehabt hatten, war es unglaublich das sie in dieser Hinsicht derartiges Glück besaßen. Während der Jüngere des Duos seinen Gedanken nachhing, ließ Clarence seine kühlen Finger auf Wanderschaft gehen und erzeugte damit eine kleine Gänsehaut auf Cassiels Körper, die den Zierlicheren spürbar unter der warmen Decke frösteln ließ. Wenn Matthew schon unter dem Mantel aus Fellen, Daunen und Leinenstoff fror, wie widrig würden ihn dann die Wetterverhältnisse erst treffen, wenn er rausgehen würde? Dergleichen konnte und wollte er sich lieber nicht vorstellen und vor allem wollte er nicht, dass sein tapferer Pinguin ihn je wieder verließ.
„Du hast Recht...geh nicht raus in die Kälte, bleib hier bei mir.“, revidierte Matthew seinen Vorschlag recht schnell wieder und legte seinen Arm quer über Clarence‘ Oberkörper um ihn festzuhalten. So dringend wollte er gerade auch nicht baden, immerhin war der Tag noch gar nicht richtig angebrochen und sie hatten später noch Zeit dafür.
Der süße frostige Bär hatte aber gar nicht so wirklich etwas gegen ein gemeinsames Bad im Zuber, das wurde recht schnell deutlich und Cassiel kicherte amüsiert. Auf einmal sollte er ins Detail gehen welche Aufwärmtechniken ihm vorschwebten, eine Bitte die nicht unschuldiger Natur war und überdeutlich aufzeigte aus welchem Holz sein Gatte geschnitzt war.
Es war demnach nicht er, der seinen Angetrauten aus Berechnung in das Bett gelockt hatte, viel mehr war es der Hüne selbst, der die Schlafhöhle nur betreten hatte in dem Wissen sein angeschlagener Taugenichts würde ihn einladen. Eine Einladung die zwangsläufig nur in zwei Szenarien gipfeln konnte. Entweder in amourösen Augenblicken der Zweisamkeit, oder darin das Clarence irgendwann wieder würde aufstehen müssen. Mehr Optionen gab es nicht und Cassiel war sich sehr sicher, dass der Wildling das genau wusste. „Du bist ein Schwerenöter, Clarence. Ich weiß ganz genau was du von mir hören willst...“ Er schob den Älteren etwas von sich und löste ihn damit von seinem Hals, doch nicht etwa weil er keine Nähe mehr wollte, sondern weil sich der Dunkelhaarige gern als derjenige empfand der die Zügel in der Hand hielt. Kaum das der Größere mit dem Rücken wieder flach im Bett lag, fixierte Matthew ihn auf die Weise, die dem Größeren wohl die angenehmste war: er rutschte auf ihn. Die Knie links und rechts neben dem Liegenden gestützt, beugte er sich erst über ihn und hauchte Küsse auf die freigelegte Brust seines Geliebten.
Warm und glatt fühlte sich die Haut an, die er mit den Lippen erkundete und der Dunkelhaarige seufzte genießend. Der Mann unter ihm hatte etwas süchtig-machendes an sich, sodass es im Grunde nichts weiter brauchte als ihn selbst, damit man ihm verfiel.
Mit der Decke über der Schulter, setzte sich der bis eben noch verschlafene Söldner auf und blickte herab auf Clarence. Aus der Küche fiel gedämpftes, warmes Licht in den kleinen Raum, wodurch Matthew es erlaubt war seinen schönen Bären nicht nur schemenhaft zu erahnen, sondern wirklich zu sehen. „Du möchtest von mir hören das wir...nicht nur einfach zusammen baden würden. Vielleicht würde ich mich auf deinen Schoß setzen, hm? So wie jetzt, nur das wir beide nichts mehr anhätten...“
Zugegeben, die Vorstellung gefiel ganz sicher nicht nur Clarence. Sie hatten schon ein paar schöne und prickelnde Erfahrungen gesammelt was das gemeinsame baden anging und den Erinnerungen konnte und wollte auch Matthew sich nicht verschließen.
„Ich könnte mir vorstellen...dass es dich auftauen würde, wenn ich deinen feuchten Hals küsse während ich auf deinem Schoß sitze...fast wie damals im Wald, weißt du noch?“
Natürlich wusste er das noch, da würde Matthew Boot und und Habe verwetten, immerhin war jener Kuss im Dunkel der eisigen Nacht und beleuchtet vom flackernden gold-rot der Flammen, der Anfang von allem gewesen was sie mittlerweile teilten. Als würde es noch nötig sein die Fantasie des Blonden anzuregen, bewegte Cassiel sich auf dessen Schoß und weckte damit eindeutige Assoziationen. Der zierliche junge Mann hatte recht schnell umgeschaltet; vom verschlafenen Prinzesschen - hin zu laszivem Liebhaber. "Und wenn du dich daran erinnerst, dann weißt du bestimmt auch noch wohin uns das damals geführt hat. Und wer weiß...", der Dunkelhaarige hob die Schultern als wolle er sagen, dass das Unabwendbare sich nun mal nicht verhindern ließ. "...vielleicht passiert das wieder? Dass könnten wir nur herausfinden wenn wir es versuchen. Aber dazu müsstest du uns wohl oder übel ein Bad einlassen." - da biss die Maus nun mal keinen Faden ab, das musste sogar der Frostbär einsehen. Fragend - und so als könnte ihn kein Wässerchen trüben - sah Matthew auf seinen Geliebten hinunter, musterte dessen Züge und schien alle Geduld der Welt für sich gepachtet zu haben. Es würde noch eine ganze Weile dauern bis die Sonne zaghaft den Himmel erhellte und sie irgendwann im Laufe des Vormittags mit Besuch rechnen mussten. Entweder diese Zeit verbrachten sie hier gemeinsam im Bett, oder eben sie verbrachten sie im wärmenden Wasser.
Eins war jedoch sicher: wenn Clarence darauf pokerte Matthew haben zu können ohne dass dieser sich frisch gemacht hatte, so lag er vollkommen falsch. Ohne im Bad gewesen zu sein waren mehr als flüchtige Küsschen nicht drin.
Und warum zum Henker sollte sich der junge Mann in aller Herrgottsfrühe aus den weichen Laken schälen, wenn nicht deshalb weil im Badezimmer ein mit dampfendem Wasser gefüllter Zuber auf ihn wartete?


Clarence B. Sky

„Ein Schwerenöter? Also ich bitte dich… ich hab keine Ahnung wovon du redest?“, mokierte der Bär im Angesicht völliger Unbedarftheit und angesichts der infamen Anklage, war sich Clarence weder ganz und gar seiner Schuld bewusst, noch verstand er womit er nur die plötzliche Abweisung seines geliebten Mannes verdient hatte.
Seine Sehnsucht nach Nähe, zärtlich und unschuldig, war ganz und gar reiner Natur und wer es wagte Gegenteiliges zu behaupten, sollte sich vielleicht besser erst mal in seinem eigenen Garten umsehen um zu erkennen, woher diese dreiste Interpretation kam. Dabei hatte sich der keusche Christ doch nur ein wenig an seinen ihm durch die Ehe angetrauten Ehemann gekuschelt – wie man das nun mal so tat wenn man verheiratet war - und im Eifer des Gefechts seine Hand eine Lage zu tief unter die vielen Stoffe ihres Bettes geschoben – wie das nun mal ganz ausversehen so passieren konnte, wenn so viel Kram im Bett herum lag!
Der junge Kerl mit dem dunklen wirren Haar war also ganz alleine daran schuld, wenn ihr zärtliches Gespräch unter Liebenden plötzlich einen verdorbenen Hauch bekam und als wäre das nicht schon genug, bewies Matthew – vor wenigen Tagen noch nicht einmal fähig für länger als wenige Minuten an der Bettkante zu sitzen – auch noch sein einzigartiges Talent, im Angesicht sich anbahnender Sexualisierung ungeahnte Genesung zu erfahren.
Die plötzlich erwachten Lebensgeister seines Partners infrage zu stellen, käme dem stattlichen Jäger jedoch niemals in den Sinn; zumindest nicht so lange, wie Cassie sie dazu nutzte um es dem Bären äußerst heimelig zu machen. Mit einem tiefen, wohligen Brummen quittierte Clarence das plötzliche Gewicht auf seinem Leib, spürte mit äußerstem Genuss den drahtigen Körper des anderen auf sich arbeiten und legte dabei behutsam die Hände auf den fremden Knien ab – beinahe keusch, ganz so als wolle er dem kleinen Sündenbock bloß keinen Anlass mehr dazu geben, an seinen unschuldigen Absichten zu zweifeln.
„Wenn ich ein Schwerenöter sein soll, bist du definitiv schon ein Lustmolch…“, Bedenken, die an dieser Stelle mehr als angebracht waren und die Claire tief Seufzen ließen. Nicht etwa vor Gram über diesen Zustand, sondern mehr noch, um seine kräftige Brust dabei wie beiläufig den kosenden Lippen des Jüngeren entgegen zu recken. „Ziehst mich halb aus noch bevor wir überhaupt im Bad waren und versuchst mich mit allen Mitteln dazu zu überreden, mich völlig nackt mit dir in einen kleinen Zuber zu begeben… die Sonne steht noch nicht mal am Zenit und schon sitzt du auf mir drauf, als hätte ich nicht mal eine Wahl. So etwas schamloses aber auch…“ - Doch wer war er sich noch weiter zu beklagen angesichts der alten Erinnerungen, die sein sinnlicher Schnösel kurz darauf zwischen ihnen wieder auferstehen ließ?
… „Ich könnte mir vorstellen...dass es dich auftauen würde, wenn ich deinen feuchten Hals küsse während ich auf deinem Schoß sitze...fast wie damals im Wald, weißt du noch?
Oh, und ob er das noch wusste. Cassie hatte seine vom Schneewasser nasse Haut noch nicht lange liebkost, da hatte der Bär im Eifer des Gefechts sein Glück auf die Probe gestellt und sich diesen Mann gepackt um ihn zu küssen. Viel zu lange schon hatte er sich danach gesehnt zu erfahren wie diese Lippen schmeckten, wie es sich anfühlen mochte mit ihnen durch einen Kuss verbunden zu sein und das geschwungene Lippenrot aufzubrechen, um die Welten dahinter mit seiner Zunge zu erkunden. In eben jenem Moment war ein unstillbarer Hunger nach Matthew erwacht, der nur durch den Jüngeren selbst hatte gestillt werden können – eine Gier, derer sein Partner sich glücklicherweise angenommen hatte um sie zu befriedigen.
Noch während der Söldner damit begann sich zaghaft auf seiner Körpermitte zu bewegen, entkam dem Bären ein tiefes Brummen, halb Raunen, halb Stöhnen. Im Hintergrund dieses faszinierenden Mannes hatten die Flammen getanzt um seine Konturen in den schönsten Farben sanft tanzen zu lassen und sein Antlitz in verführerische Schatten zu tauchen, die Clarence hatte erkunden wollen; es hätte denkbar bessere Augenblicke gegeben um zueinander zu finden als ausgerechnet jener nach ihrem Streit, aber das hat dieser einzigartigen Erfahrung keinen Abbruch, die sie letztlich erstmals zueinander geführt hatte.
Schweigsam seufzte der Jäger, ließ seine Hände von den fremden Knien weg die strammen Oberschenkel seines Geliebten empor streichen und verlor sich für einen Moment voller Genuss in dem Bild, das Cassie mit äußerst großem Erfolg in den Gedanken des Jägers eingepflanzt hatte.
Voller Ungeduld hatte Matthew sich damals selbst seine Hemden vom Leib gezogen, hatte die unvollständigen Finger abgelöst als es darum ging dieses verfluchte doppelte Paar Hosen zu öffnen, das Claire sich an jenem kalten Tag unüberlegt angezogen hatte. Aber wer hatte schon ahnen können, dass ihr Tag so würde enden können? Der Blonde jedenfalls nicht, nachdem sie sich stundenlang durch kalte Wälder und gefrorene Wege geschlagen hatten.
„Weißt du eigentlich… wie sehr ich dich gewollt habe, in dieser Nacht?“
Sanft fuhr er mit den Fingernägeln die fremden Schenkel entlang und biss sich für einen Moment verheißend auf die Unterlippe während er seinen Gefährten musterte, nur um sich schließlich aus den weichen Feder ihres Bettes aufzusetzen und ihre Position in eine ähnlichere Lage zu versetzen wie damals.
Ich wollte dich so sehr schmecken… ich glaube ich wäre innerlich verbrannt vor Sehnsucht, hätte ich dich nicht geküsst“, gestand der Bär nun leise dem jungen Mann, der ihm damals ganz und gar den Kopf verdreht hatte. Über ihm liegend, so wie sie es niemals zuvor miteinander getan hatten, war selbst der dreckige Waldboden bei Cassie zur unbedachten Nebensache verkommen und für den Bruchteil dieses Augenblicks schien die Welt um sie herum einen Moment stehen geblieben zu sein. Es war das erste Mal gewesen, dass Clarence es sich hatte in seinem heutigen Mann kommen lassen und was damals noch für heftige Kritik gesorgt hatte, war heute kaum mehr aus ihrem Liebesleben weg zu denken.
Verliebt ob einer dieser vielen intensiven Erfahrungen, die er in seinem Leben erstmalig mit Matthew erlebt hatte und noch immer ganz alleine mit diesem erfuhr, betrachtete der Bär für einen Moment schweigend sein Böckchen, welches spürbar die Zügel des heutigen Morgens in der Hand haben wollte. Es wäre einfach gewesen nun zu kämpfen, zu versuchen Cassie zu verführen und noch hier in diesem Bett zu bekommen, wonach ihm gerade war. Aber ganz ehrlich? – Gegen einen Mann ankämpfen den Clarence so sehr liebte wie diesen Typen hier auf seinem Schoß und der ihm in der Wanne das gleiche versprach, ganz ohne Kampf, machte ein Disput nun wirklich keinen nennenswerten Sinn.
Sanft ließ der Hüne seine Nasenspitze an dem Kinn seines Gegenübers aufkommen, streichelte verloren über die dunklen Stoppel des fremden Bartes und brummte abermals sein alles und nichts sagendes Brummen.
„Küss mich nochmal, mh…? Küss mich, so wie damals…“ – War das zu sentimental für einen stattlichen Jäger wie ihn? Vielleicht war es das wirklich, aber Clarence schämte sich dieses Wunsches kein bisschen während er seine nur wenig keuschen Finger die Brust seines Geliebten hinauf wandern ließ, um die Hände schließlich auf die schmalen Flanken zu legen und Cassie bei sich zu halten. „Erfüll deinem armen Frostbären seinen Wunsch und er macht dir sogar eines von deinen ekligen Zusätzen ins Badewasser… klingt das nicht nach einem fairen Handel…?“


Matthew C. Sky

So brüskiert Clarence sich auch gab, Matthew konnte er nicht blenden. Der junge Mann kannte den Größeren zu gut um sich von halbseidenen Ausreden und Ablenkungsmanövern ködern zu lassen und er wusste, dass Clarence nicht so unschuldig war wie er gern tat. Christliche Werte hin oder her, der Schamane hatte längst den Pfad der Tugend verlassen, den seine Gemeinde ihm einst abverlangt hatte. Dementsprechend traf es Cassiel nur wenig, als ausgerechnet sein ausgekühlter Ehemann ihn einen Lustmolch nannte, so als wäre jene Bezeichnung nicht wie geschaffen für ihn selbst.
Matthew schüttelte langsam den Kopf, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen.
„Du verwechselst mich mit dir. Wer hat sich denn nur allzu bereitwillig in dieses Bett einladen lassen? Und wer hängt gerade den Erinnerungen an damals nach?“ Oh Matthew wusste ganz genau wie der Hase lief und was es brauchte um den Größeren zu entfachen. Was ihr Liebesleben anging, waren sie beide schlimm und unverbesserlich, aber auf der anderen Seite wäre es eine Schande würden sie nicht derart voneinander besessen sein.
Der einst verschlossene Clarence Sky, war mittlerweile oft genug wie ein offenes Buch für Matthew. Der junge Mann konnte seinem Gefährten an der Nasenspitze ansehen wenn er etwas ausheckte, wenn er betrübt war, ihn etwas beschäftigte – oder er sich eben ausmalte wie es wohl wäre sich mit Cassiel zu vergnügen. Gerade ging dem Schamanen Letzteres durch den Kopf und Matthew war damit überaus zufrieden. Das Brummen seines Liebsten mochte für alle Menschen der Welt kryptisch und nicht deutbar sein, für den Dunkelhaarigen war es mittlerweile ein bekanntes und legitimes Mittel der Kommunikation seines Bären. Ein Spitzname der ja nicht von ungefähr kam.
Der vorlaute junge Bursche konnte unterscheiden zwischen missmutigem Brummen, nachdenklichem Brummen, warnendem Brummen und einer Vielzahl mehr – aber das was Clarence nun hören ließ war eindeutig die gierige und ungeduldige Variante. Mit einer überaus eleganten Bewegung setzte sich sein Bär in dem Bett auf und Matthew legte seine Arme um Clarence‘ Nacken.
„Weißt du eigentlich wie albern du aussiehst in deinem roten Strampler?“, witzelte Cassie kurz darauf und zupfte beiläufig an den blonden Haarspitzen seines Liebsten. Es war kein Geheimnis, dass Matthew dieser Unterwäsche nichts abgewinnen konnte. Aber nicht einmal dieses praktische wie auch hässliche Stück Stoff konnte seinen Mann entstellen und wenn Clarence ihn auf jene ganz besondere Weise ansah, dann war es ohnehin egal was er trug oder eben nicht trug.
Mit vertrauter und angenehm brummender Stimme wollte der Wildling von ihm wissen ob er eigentlich wusste wie sehr er ihn damals gewollt hatte, aber dieses Mal musste der Kleinere passen. Er schüttelte den Kopf, weil er damals tatsächlich keinen Schimmer davon gehabt hatte was Clarence wirklich wollte. Seine Schweigsamkeit hatte oftmals mahnend gewirkt, seine Blicke waren häufig nicht zu entschlüsseln gewesen. Die Vertrautheit die sie mittlerweile pflegten, war zu jenem Zeitpunkt der Vergangenheit nicht existent und alles was Matthew sicher über Clarence gewusst hatte war, dass er ihm vertrauen konnte. Ein Vertrauen das an jenem Abend Stunden zuvor erschüttert worden war, als Clarence drohend zu seinem Buschmesser gegriffen hatte um Matthew klarzumachen dass es ein für allemal genug war.
Unter diesen Umständen hatte sein Annäherungsversuch eigentlich unter keinem guten Stern gestanden, aber aus irgendeinem Grund hatte der Hüne ihn nicht abgewiesen, sondern an sich gezogen und seine Lippen gesucht.
„Mein Herz hat so dermaßen gerast als wir uns zum ersten Mal geküsst haben…“, teilte Cassiel nun seine Erinnerungen an den verlebten Abend. „Ich wusste nicht ob du es überhaupt duldest wenn ich dir so nahe komme…“ Eine Furcht die rückblickend irrational anmutete, die damals jedoch ihre Berechtigung gehabt hatte. Sie waren lange einfach nur Partner gewesen, Wegbegleiter und Unterstützung ohne sich wirklich gut zu kennen. Eine Hand vom Nacken des Größeren lösend, strich Matthew nun eine der blonden Strähnen aus dem markanten Gesicht des Jägers. Es machte ihn immer ein bisschen sentimental wenn er daran dachte welche Angst er mal vor Clarence gehabt hatte, wie misstrauisch er gewesen war und wie oft er dem Hünen aus Unsicherheit heraus ein Unrecht getan hatte.
„Aber ich musste dich einfach küssen, selbst wenn ich befürchtet habe du könntest wütend werden…“ Clarence‘ wahrhaftigen Zorn auf sich zu ziehen war etwas das der Kleinere wirklich gefürchtet hatte und vielleicht sogar noch immer fürchtete. Es war das eine sich in den Haaren zu liegen oder sich anzuschreien. Ein völlig anderes Kaliber von Zorn gipfelte in Trennung und die hatte Matthew nie forcieren wollen, selbst nicht zu einer Zeit als sie außer Gefährten nichts gewesen waren. Nachdenklich wie sein Frostbär schwieg der Dunkelhaarige nun einen Moment. Matthews Launen waren wechselhaft und tückisch wie das Meer und so verwunderte es nicht, dass der Jüngere plötzlich melancholisch zu sein schien und seinen Gedanken nachhing. Doch aller Schwermut – der sich leicht in ihm säen ließ – war ebenso schnell wieder zu zerstreuen wenn man denn ein Talent dafür hatte und wahrlich: Clarence hatte es.
“Küss mich nochmal, mh…? Küss mich, so wie damals…“, dass schien wirklich nicht zu dem Hünen zu passen, dessen Auftreten und Beruf es nahelegten das der Kerl es eher mit Prügeleien statt mit Küssen hatte, aber Matthew wusste es besser. “Erfüll deinem armen Frostbären seinen Wunsch…“ – mehr musste der Wildling nicht sagen um Matthew neuerlich zum lächeln zu bringen. Verlegen wie ein frisch verliebter Teenager lehnte der Dunkelhaarige seine Stirn gegen des Größeren Schulter, um seine Wangen zu verbergen die sich sofort schamerfüllt röteten. Erstaunlicherweise war Matthew nicht unsicher wenn es darum ging sich auf den Schoß seines Liebsten zu setzen und in ihm eindeutige Wünsche zu entfachen. Aber sobald es um Gefühle ging, sobald Clarence durchblicken ließ wie kostbar und wertvoll Matthew ihm war, erwischte er den jungen Burschen mit der sonst so großen Klappe und dieser wurde ganz kleinlaut.
„Du machst mich so nervös!“, warf Matthew dem Anderen unerwartet vor, so als habe der Größere ihn mit Absicht in Verlegenheit gebracht. Aber es half alles nichts und so hob Matthew schließlich seinen Kopf wieder, setzte sich aufrecht hin und sah Clarence kurz an. Das Lächeln auf seinen Lippen verblasste während eine eigentümliche Ernsthaftigkeit seine Züge einnahm, sich in seine Augen schlich und ihm eben jenen Ausdruck verlieh der in jungen Gesichtern selten anzutreffen war. Man konnte es dem Dunkelhaarigen nicht immer anmerken, aber er wusste genau was er an seinem Partner hatte. Schon duzende Male hätten sie scheitern können, ungezählt oft einander verlassen können oder dem Anderen das Leben nehmen. Sie waren beide Vagabunden und niemand hätte sich um sie geschert, ob sie lebten oder starben kümmerte niemanden, nur sie selbst.
Es war Matthew damals ernst gewesen als er Clarence geküsst hatte, keine Laune und kein Schabernack, sondern das innere Bedürfnis, dem Mann der ihm wichtig war zumindest ein einziges Mal nahe zu kommen. Das Risiko abgewiesen oder gar verstoßen zu werden hatte ihn geängstigt, aber letztlich nicht abgehalten und obwohl sie beide längst über den Punkt der Zweifel hinaus waren, wallte in Cassiel eine ähnliche Aufregung empor wie damals.
Dementsprechend dauerte es einen Moment länger als gewöhnlich bis der Kleinere der eigentlich recht simplen Aufforderung nachkam, den Kopf ein wenig neigte und die weichen Lippen mit ungespielter Schüchternheit auf Clarence‘ Halsseite legte.
Scheu und doch mutig genug um nicht gleich wieder abzulassen, küsste er die dargebotene Fläche, die Augen schließend so wie damals.
Es war absurd, doch für den Moment war es beinah wie beim ersten Mal, als würde die Vergangenheit zur Gegenwart werden. Nur mit dem Unterschied, dass sie einander bereits gefunden hatten, etwas das sie ihren früheren Ich’s heute voraus hatten. Jene hatten sich auch gefunden nur eben...wann anders.


Clarence B. Sky

Es war infam von Matthew ihm zu unterstellen er habe sich den Titel Lustmolch alleine dadurch verdient, dass er sich in sein eigenes Bett hatte einladen lassen. Der Ausgang jener Einladung mochte vorhersehbar gewesen sein oder auch nicht, aber wenn sein eigener Mann ihn so fidel in die eigenen Federn holen wollte, war Clarence in seinem unverschämt gut aussehenden Strampler sicher der letzte, der dagegen etwas einzuwenden hätte.
Doch just in diesem Augenblick war nicht mehr die Zeit für Seitenhiebe, neckische Kommentare oder gar Streit. So schnell wie sich die Stimmung von innigem Kuscheln zu bedrückten Gesprächen gewandelt hatte, kippte sie auch von alleine wieder zu sentimentalen Erinnerungen hinüber, ganz ohne, dass die beiden jungen Männer dafür übermäßig Kraft hätten investieren müssen.
Wenn jemand fragen würde was sie anderen voraus hatten, dass sie trotz ihrer Unterschiede zusammen waren und ineinander all das gefunden hatten was sie in ihrem Leben brauchten, dann gäbe es darauf nur eine Antwort: Es lag indiskutabel in ihrer Natur zusammen zu sein.
Egal welcher Disput sie für kurze Zeit zerschlagen haben mochte, egal welche tiefen Täler zwischen ihnen lagen, so schlugen sich die Brücken in Windeseile wie von Zauberhand, damit sie wieder zum anderen fanden.
Clarence wusste nicht mit Gewissheit zu sagen was dieser Mann an sich hatte, der da gerade noch immer so unverschämt auf seinem Schoß saß, doch irgendeine Macht ging von Matthew aus, derer er sich nicht erwehren konnte. Kein schneidendes Wort brachte es zustande ihm länger als des Anstands halber nötig böse zu sein, keine Kriegsverletzung war offensichtlich genug, um sich deshalb nicht länger von Cassie angezogen zu fühlen – und das war nicht selbstverständlich.
Viel zu lange schon war der Christ alleine durch die Welt gewandelt und sicher, hätte er den Mut gehabt, es hätten sich genug Männer finden lassen, die sicher nur allzu gerne an seiner Seite gewesen wären. Sex fand sich heute an jeder Straßenecke, wenn man denn nur mit offenen Augen danach suchte und auch die schweißtreibende Arbeit als Jäger ließ nicht aus, dass sich trainierte, ansehnliche Körper im Hochsommer halb nackt neben einem bewegten; für einen Kerl mit des Blonden Neigungen in der Theorie ein gefundenes Festessen, hätte auch nur einer von ihnen genug Charme und Avancen besessen, dem Schamanen mit den klaren Grundsätzen den Kopf zu verdrehen.
Doch so oft sich unerkannte Gelegenheiten auch geboten haben mochten und die Einsamkeit einem Mann gewisse Bedürfnisse immer wieder brennend vor Augen hielt oder nicht, letzten Endes war es ganz alleine Matthew Cassiel Reed gewesen, dem sich Claire freiwillig hatte verfallen lassen. Es hatte einen vorlauten Schnösel gebraucht, weltgewandt und in zahlreichen Facetten völlig anders orientiert als der junge Jäger, um ihm den Kopf zu verdrehen und ihn willenlos zu machen.
Da war er, der verboten gutaussehende Kerl, der nichts von seiner dem Wetter mehr als angemessenen Unterwäsche hielt, der sich an ganz besonders unbedachten Tagen über seinen ungekämmten Bart mokierte und über das alte abgegriffene Stück Kernseife, welches sich irgendwie trotz aller Bemühungen nicht aufbrauchte. Der am frühen Morgen nicht intim mit ihm werden wollte, nur weil der feine Herr sich seine definierte Statur noch nicht korrekt abgestaubt hatte nach einer verschlafenen Nacht und der die gute Hafersuppe verschmähte, nur weil Clarence sie lieber deftig kochte als pappig süß.
So viele Punkte gab es, an denen ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt war und die genug Spielraum ließen, damit es nicht mal einen Orkan sondern lediglich eine zarte Windböe benötigte, um den Kahn ihrer Ehe zum kentern zu bringen und doch waren sie hier, beieinander, innig und vereint. Und warum?
Weil irgendetwas in ihren – manche mochten es DNA nennen, manche das Herz welches füreinander schlug, andere das Schicksal – sich nacheinander sehnte. Weil sie nur dann heil und vollständig sein konnten, wenn sie in aller Innigkeit beieinander waren und weil ein Leben ohne den anderen ein sinnloses wäre, das nicht weiter verlebt werden konnte.
Ohne Cassie wollte der Bär von Mann nicht mehr sein, weder heute, noch morgen, noch in wenigen Wochen wenn die Schonzeit einer frisch erblühten Liebe sich langsam dem Ende zuneigte. Selbst wenn die rosarote Brille fiel, wollte er den jungen Mann auf seinem Schoß niemals mit anderen Augen sehen als seinen heutigen und sollte der Tag kommen, an dem es doch wider Erwarten so war, wusste Clarence schon jetzt: Dieser Tag würde sein Ende sein.
Schweigend erblickte der Bärtige das Antlitz seines Geliebten, spürte das vertraute Gefühl von Geborgenheit in sich aufsteigen kaum dass Cassie nicht nur die Arme um seinen Nacken gelegt hatte, sondern schließlich auch die Stirn auf seine Schulter gelehnt und gab ein leises, verliebtes Brummen von sich.
Viel zu oft strotzte Matthew vor Selbstbewusstsein, vor unabsprechbarem Talent, von unanfechtbarem Sexappeal – doch ihn aus der Reserve zu locken war selten und dadurch umso kostbarer und machte den Augenblick zu einem Moment, den der Bär ganz besonders genoss. Gefühle machten einen verletzlich und angreifbar doch zwischen ihnen beiden gab es auch dort keinen Raum für Zweifel; einander zu zeigen wie sie empfanden, dich ob Nervosität zu schämen oder vor Liebe in Erinnerungen zu schwelgen waren eines der kostbarsten Güter überhaupt, welches sie ausschließlich miteinander teilten und mit niemandem sonst.
Warm und weich lächelte der Bär, ohne auf eine der Äußerungen seines Geliebten eine sonstige Antwort geben zu müssen. Clarence war kein Mann vieler Worte, sondern ließ allzu oft viel lieber Taten für sich sprechen, genauso wie damals als Matthew das erste Mal seine empfindsame Haut mit weichen Lippen gekostet hatte. In den Ohren des Blonden klang es völlig verdreht, ausgerechnet Cassie habe den Zorn des Wilden in jener Sekunde befürchten können, immerhin war es nur sein Hals gewesen, den der Jüngere geküsst hatte; viel weiter hingegen war da der Jäger gegangen, der – aus Angst, sein Gefährte hätte sich ihm entziehen können noch bevor die Wogen von Bedenkenlosigkeit den Geist des anderen ergriffen hatten – Matthew bei sich gehalten hatte, damit er sich ihm bloß nicht entwand.
Nach all den Abweisungen, die Clarence anfänglich über Wochen hinweg erfahren hatte, hatte er damals mit allem gerechnet und das schlimmste befürchtet. Dass ein echter Kuss zu viel des Guten wäre, aber auch, dass das plötzliche Suchen von Nähe nichts anderem als der Angst um ihn entsprungen war und Cassie es sich alsbald anders überlegte, kaum da er begriff, was er in jenem Moment getan hatte.
Doch ähnlich wie damals, wenngleich mit kurzem Vorlauf ob der prickelnden Nervosität die zwischen ihnen erkeimt war, zögerte sein heutiger Mann nicht länger als nötig und senkte schließlich bedächtig das Gesicht in des Bären Halsbeuge, ganz ohne dafür einer weiteren Aufforderung zu bedürfen.
Bedächtig schloss Clarence die Augen und spürte die Kälte der damaligen Nacht auf seinem Leib, hörte das Prasseln des Feuers im Zentrum ihres kleinen Lagers und genoss den intensiven Geruch des fremden Haars so dicht in seinem Umfeld; doch all das ging verloren, kaum da sich die weichen Lippen zurück an seinen Hals gelehnt hatten, wo sie damals wie heute hingehörten.
Nicht nur Matthew war es gewesen, dessen Herz damals geschlagen hatte wie nach einer mehrstündigen Wanderung und auch heute blieb jenes Gefühl nicht aus. Clarence spürte, wie sein Herz die Arbeit einstellte und vereinzelte Schläge einfach auszulassen schien, wie die prickelnde Gänsehaut vergangener Tage zurück auf Rücken und Brust fand und egal wie viele Tage zwischen jener Nacht im Wald am Fuße des Devils Teeth und dem heutigen hier in ihrem Bett im Bauche der Harper Cordelia liegen mochten, seine brennende Leidenschaft für Matthew Cassiel war nicht im geringsten abgeflaut.
Tonlos seufzend lösten sich seine Hände von den strammen Flanken seines Gefährten, stahlen sich die schmalen Seiten empor und ganz genauso wie zu jener späten Stunde suchten und fanden sie Cassies Haupt, um den jungen Mann in Gewahrsam zu nehmen und ihn zur Geißel seiner lodernden Sehnsucht zu machen. Es spielte keine Rolle wie oft er seinen Mann seither schon geschmeckt und mit seiner Zunge erobert haben mochte, wie Vertraut der Dunkelhaarige ihm geworden war seit ihrem Zwischenstopp in Coral Valley und welch Abenteuer sie nicht nur draußen vor der Tür, sondern auch in ihrem Bett schon erlebt haben mochten.
Hier, in diesem Augenblick, just in dieser Sekunde, da schmeckte er Matthew erneut zum allerersten Mal als er den jungen Mann von seinem Hals löste um dessen Lippen zu küssen – nicht mit dem Beigeschmack von Furcht vor Abweisung, nicht mit der ernüchternden Trennung des folgenden Morgens, sondern in dem Vertrauen, ihre Bindung währte fortan ewig: „Ich liebe dich.“
Drei Worte, so einfach, so simpel und damals zu schwer auf seiner Zunge gelegen um sie schon in jener Nacht laut auszusprechen. Aber heute war nicht damals und die Fehler, die er einst gemacht hatte, würde er sich hüten erneut zu begehen.
„Ich liebe dich, hörst du? Ich liebe dich… das habe ich damals, das tue ich heute und das werde ich ewig machen. Ich liebe dich.


Matthew C. Sky

Die Angst, nicht zu genügen war eine Angst mit der Matthew aufgewachsen war und die ihn geprägt hatte. Nichts wog so schwer wie der festverankerte Glaube daran, dass andere Menschen sich in einem getäuscht hatten und das sie, sobald ihnen ihr Fehler auffiel, Reißaus nahmen.
Matthew konnte jene Furcht nicht abstreifen, zumindest nicht so endgültig wie er es zweifellos verdient hätte. Noch immer gab es Momente in denen er befürchtete dass Clarence ihn eines Tages ansehen und feststellen würde, dass Matthew doch nicht der Richtige für ihn war. Dieser Moment würde der Moment sein, in dem Matthew innerlich zu Grunde ging, das war so sicher wie er Sauerstoff zum Atmen brauchte.
Zu viele teure Menschen hatten ihn verlassen und waren nie zurückgekehrt. Und zu viele schlechte Menschen hatten in Cassiel jene tiefe Unsicherheit geschürt, dass es ihm noch heute unmöglich war sich aus vollstem Herzen heraus zu mögen und wertzuschätzen. Es gab Facetten an dem jungen Mann, die legten nahe dass er von allen Menschen dieser Welt sich selbst am Meisten liebte und es mochte Augenblicke geben, in denen diese Annahme sogar stimmte. Aber auf dem Grunde seines Herzens war Matthew nicht von sich überzeugt, weder von seinem Wesen, noch von dem was er leisten konnte. In all den Jahren seines Lebens hatte es immer wieder Personen gegeben, die mehr in ihm gesehen hatten als Matthew selbst erkennen konnte und zwangsläufig hatte das dazu geführt, dass Cassiel auf Abstand gegangen war. Vorsorglich, noch ehe betreffende Person ihre Meinung über ihn revidieren konnte.
Wegzulaufen war ein probates Mittel in Matthews Leben, doch vor Clarence konnte er einfach nicht fliehen. Nicht weil ein Dokument ihre Ehe bescheinigte, nicht wegen der Ringe an ihren Fingern. Sondern weil er sich ohne den Älteren kein Leben mehr vorstellen konnte. Die Furcht davor Clarence könne ihn eines Tages vielleicht nicht mehr lieben war da, würde vielleicht sogar für immer bleiben, doch dieses Risiko musste er in Kauf nehmen und sich der Angst stellen. Vorsorglich davonzulaufen war keine Option. Der Schamane hatte ihn in einer Phase seines Lebens kennengelernt in der Matthew davon ausgegangen war, es hinter sich zu haben und obgleich er aufmüpfig und großmäulig gewesen war, obgleich er indirekt unentwegt provoziert hatte, hatte der schweigsame Riese ihn nicht sich selbst und dem Tod überlassen. Er hatte ihn wieder zusammengeflickt, grundlos und ohne das er hatte hoffen können irgendeinen Sold oder Dank einzustreichen.
Die Selbstlosigkeit dieses Mannes war Cassiel lange Zeit so unwahrscheinlich und auch dumm erschienen, dass er es hatte einfach nicht fassen können. Doch der Blonde hatte sich nicht als Lügner entpuppt und aus irgendeinem Grund hatte er Matthew in seiner Nähe geduldet. Stück für Stück hatten sie sich besser kennengelernt und doch hatten sie kaum etwas voneinander gewusst als sie sich unüberlegt im kalten Winterwald geküsst hatten.
Verliebt war Matthew zu jenem Zeitpunkt gewesen, verliebt in den stoischen Jäger der so geheimnisvoll war, der auf ihn aufpasste, der ihn nicht enttäuscht hatte und den er - so zumindest seine verquere Denkweise- auch noch nicht nennenswert enttäuscht hatte, weil er ihn emotional stets auf Abstand gehalten hatte.
Erst im Nachhinein war Matthew klar geworden, dass er damit nicht Clarence sondern nur sich selbst geschont hatte.
Eine Beziehung konnte nicht auf Geheimnissen fußen. Gleichzeitig waren manche Dinge zu grausam um sie einem anderen Menschen zuzumuten. Dem Blonden von seiner Kindheit zu erzählen war für Matthew der schwerste Schritt in seinem Leben gewesen, denn er hatte etwas von sich offenbart das man nur ablehnen konnte. Etwas, dass ihn als ungenügend offenbarte. Etwas, dass ihn als jemanden mit geringerem Wert als andere kennzeichnete. Er war sich sicher gewesen, dass sich Clarence’ Sicht auf ihn verändern würde, doch allem was er zu wissen glaubte zum Trotz, hatte der Größere sich nicht abgewendet. Weder in der Nacht des Geständnisses, noch in den zahlreichen Tagen und Nächten danach.
Der Schamane sah ihn nicht verändert an, schien nie in Erwägung gezogen zu haben Matthew zu verlassen weil er nicht genügte. Für ausgerechnet diesen edlen Mann schien es, als sei Matthew gut genug. Clarence gab dem Jüngeren das Gefühl richtig zu sein, selbst damals hatte er das schon getan, wenngleich auf weniger auffällige Weise als er das mittlerweile tat.
Doch die Quintessenz blieb: immer wieder würde die unumwundene Liebe des Hünen etwas in Matthew berühren, dass man dem vorlauten Schnösel nicht zutraute zu besitzen. Der Kuss, in den Clarence Matthew verwickelte, war wie schon beim ersten Mal von unglaublicher Bedeutung für den Dunkelhaarigen, der eigentlich Zurückweisung befürchtet hatte. Heute war es zwar keine Ablehnung mit der er rechnete, aber er war trotzdem aufgeregt. Die Leidenschaft die sonst nur allzu schnell zwischen ihnen aufloderte war gerade jetzt gar nicht der Hauptakteur von Cassiels Empfindungen. Viel eher fühlte er sich seltsam nervös und zugleich befreit. Clarence‘ Kuss schenkte ihm die Gewissheit geliebt und gewollt zu sein, selbst wenn er um Narben reicher war, selbst obwohl Clarence von dem wusste was einst geschehen war. Der Schamane liebte ihn um seinetwillen, eine Vorstellung die Matthew eigentlich unglaublich vorkam, die jedoch jeden Tag aufs Neue durch den Wildling bekräftigt wurde.
Besitzergreifend hielt der Bär von Mann Matthews Kopf bei sich, obgleich keine Gefahr bestand der Jüngere könnte sich ihm entziehen wollen.
Matthew legte eine seiner Hände an die Wange seines Liebsten und erwiderte den Kuss auf vorsichtige, behutsame Weise als würde auch er Clarence nun zum ersten Mal küssen. Ein wohliges Kribbeln und Prickeln verlief von seinem Bauch bis hin in jede Nervenbahn seines zierlichen Körpers, den Matthew im Zuge dessen wohlig stöhnend, enger an Clarence schmiegte.
Er schmeckte seinen Mann zum ersten Mal, fühlte ihn zum ersten Mal, spürte zum ersten Mal wie gut es eigentlich tat wenn sie mehr miteinander teilten als bloßen Sex. Obgleich unzählige Stunden zwischen dem ersten Kuss im Wald und dem Hier und Jetzt lagen, so war kein Hauch der Gewöhnung zwischen ihnen. Nichts war alltäglich, nichts einfach nur Gewohnheit. Weder für Clarence, noch für Matthew. Sie wussten beide zu gut, wie schnell sich alles ändern konnte und wie wenig selbstverständlich es war, mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein.
Als Clarence den Kuss langsam löste, öffnete auch der Dunkelhaarige seine Augen wieder. Er suchte schweigend den Blick seines Mannes, welcher - anders als Cassiel - nicht der Stille das Feld überließ.
„Ich liebe dich, hörst du? Ich liebe dich… das habe ich damals, das tue ich heute und das werde ich ewig machen. Ich liebe dich.“, sagte er und bewies damit unwissend einmal mehr, dass er ein Gespür für Matthew besaß wie kein zweiter auf der Welt. So als hätte er geahnt oder gespürt, dass der junge Mann auf seinem Schoß unsicher war und selbst nach all dem was sie zusammen erlebt hatten, nicht von der Angst loskam, Clarence könne irgendwann aufhören ihn zu lieben.
Matthews erste Reaktion bestand in einem lapidar scheinenden Nicken welches besagen sollte dass er verstand und das ihm das Gesagte klar war, doch schon den Bruchteil einer Sekunde später ließen Tränen seine Augen glänzen.
Er sollte wissen das Clarence bei ihm war und bleiben würde, er sollte wissen das der Mann ihn liebte und bei Gott, eigentlich wusste er das auch! Und gerade weil er es wusste und doch nicht so recht verstand womit er dieses Glück verdient hatte, weinte Matthew. Fahrig, noch bevor die Tränen seine Augenwinkel richtig verlassen hatten, wischte er sich über die Wangen und blinzelte verlegen.
“Ich liebe dich auch, Claire...“, schniefte er leise. Der junge Mann - vorhin noch so betörend lasziv - wirkte plötzlich jung und verloren auf dem Schoß des Hünen. Dann lachte er flüchtig und einigermaßen humorlos auf, von sich selbst offenbar irritiert und wenig begeistert. „Gott, ich bin so eine Heulsuse... Tut mir...tut mir leid, okay?“ Abermals wischte er sich über die Wangen, vertrieb die letzten feuchten Spuren auf seinem Gesicht und lehnte danach seine Stirn gegen die des Größeren. “Kennst du das, wenn man... jemanden so sehr liebt, dass die Angst denjenigen zu verlieren, einen verzweifeln lässt?“, fragte er nach einem Moment des Schweigens mit flüsternder Stimme. “...So geht es mir mit dir...“
Vor Clarence hatte Matthew niemanden geliebt, nicht auf diese Weise, welche allein dem Jäger vorbehalten war.
“Nichts auf der ganzen Welt...macht mir mehr Angst... als die Möglichkeit dich zu verlieren...“, gestand der Kleinere leise, begleitet von neuen Tränen, die gänzlich lautlos in seinen Augen schimmerten und die letztlich ebenso still glänzende Spuren auf seinen Wangen hinterließen.


Clarence B. Sky

Wenn er Matthew heute ansah, dann war da nicht mehr der großmäulige Kerl von früher, sondern sein Mann. Und obwohl dem so war, obwohl sie schon seit Wochen und Monaten den Stand der Ehe miteinander teilten, kam es Clarence immer noch so vor, als hätten sie sich gerade erst frisch verliebt. Noch immer war alles neu und schien vertraut sowie gleichzeitig ungewohnt; niemals würde der junge Kerl auf seinem Schoß etwas Alltägliches für ihn werden, das selbstverständlich und nicht der Rede wert war.
Kaum wieder voneinander gelöst und seine Liebe bekundet, betrachtete der Jäger schweigend das vertraute Antlitz seines Geliebten, welches keinesfalls mehr das makellose war, in das er vor ihrer Ankunft in Coral Valley geblickt hatte. Trotzdem verbargen sich in den fremden Zügen, die der Blonde mittlerweile besser zu kennen glaubte als seine eigenen, noch immer der junge Frechdachs, welcher ihm stundenlang auf den Keks gegangen war um ihn zu provozieren und aus der Reserve zu locken.
Jeder Mensch auf der ganzen Welt hatte drei unterschiedliche Gesichter, doch die meisten – wenn überhaupt – waren nur die ersten beiden, die man im lockeren Kontakt mit ihnen kennenlernte. Man gewann einen ersten Eindruck, das was an der Oberfläche lauerte wenn man sich kurzweilig traf, das was die erste Meinung und erste Vorurteile oder Sympathien schürte. Doch lernte man einander intensiver kennen, konnte all das bislang geglaubte revidiert werden – im positiven wie auch im negativen Sinne.
Matthew hatte er kennengelernt als abweisenden, großkotzigen und widerlichen Kerl. Wenngleich schön anzusehen unter all den Schmierereien aus Blut, wäre Clarence damals niemals auf den Gedanken gekommen, eines Tages mit diesem dreisten und abweisenden Kerl durch eine Liebesbeziehung verbunden zu sein.
Erst später dann, als Cassie langsam begonnen hatte ihm zu vertrauen und aufzutauen, hatte er die freundschaftliche Seite des anderen kennengelernt – lachend, scherzend, seine Grenzen austestend und unverschämt, aber trotzdem immer da, wenn man ihn brauchte.
Aber was auf dem Grunde des fremden Herzens lauerte, welcher Mensch Matthew Cassiel wirklich war wenn man seine Zuneigung vollends für sich gewonnen hatte, das hatte Clarence erst weit nach ihrem ersten Kuss und ihrer ersten gemeinsamen Nacht im Blauer Hund festgestellt. Es kam ihm so vor, als wären sie als Fremde in die Ehe gegangen und erst heute nach Trauer, Schmerz und der Angst vor Verlust des anderen, kannten sie sich wirklich. Die Leiden der zurückliegenden Wochen hatten zwischen ihnen ein Band geknüpft von jener Sorte, die während ihres Ablegens aus der Hafenmetropole sicher auch schon vorhanden gewesen war. Aber erst jetzt war es unzerstörbar geworden, reißfest in jeder Situation.
Er fühlte sich mit diesem Mann verbunden, den er anblickte und von dem er noch immer nicht fassen konnte, welch Liebe und Hingabe er in ihm gefunden hatte unter all dem Unfug und der Selbstverliebtheit des Jüngeren. Von Cassie geliebt zu werden war nicht selbstverständlich, ihn bei sich zu haben war es nicht und die Tränen, gelockt durch Rührung und unzertrennliche Liebe, stellten für Clarence nicht im geringsten infrage, ob jemals etwas in ihrem gemeinsamen Leben gewöhnlich werden könnte.
Manch anderer mochte das beinahe lautlose Weinen des Jüngeren als weibisch empfinden oder gar überempfindlich angesichts dessen, dass sie mittlerweile nicht selten geworden waren, wenn Ruhe zwischen ihnen beiden einkehrte und ihre Gefühle füreinander darin Platz fanden um sich zu entfalten. Man konnte, wenn man wollte, Matthew kompliziert schimpfen für seine scheinbar wankelmütige Art. Jemand der sich, oberflächlich gesehen, selbst so sehr liebte wie kaum etwas anderes auf der Welt, wieso sollte solch ein Mensch anfangen Tränen zu vergießen nur weil seine Selbstverliebtheit von außen her bestätigt wurde? Wieso voller Rührung sein, wenn man sich selbst doch der nächste war?
Doch wo der einstige Söldner alle anderen abprallen ließ an seiner harten Schale aus Glanz und Gloria und für lange Zeit Clarence selbst nicht mal dessen Beleidigungen und Neckereien so recht verstanden hatte, war Cassie längst nicht mehr das Buch mit sieben Siegeln, welches er einst für den Jäger dargestellt hatte.
Unter seinem glatten Äußeren, das alle Kritik von sich abstreifte als wäre sie purer Nonsens, verbarg sich ein zutiefst unsicherer und verletzlicher Bursche, der sich seiner Sache alles andere als sicher war. Spätestens in der Nacht als Claire klar geworden war was mit seinem Gefährten passiert sein musste bevor er es geschafft hatte sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, hatte er es geschafft durch das strahlende äußere Bildnis hindurch ins fremde Innere zu blicken. In die Angst, ein anderer Mensch könne die Wertlosigkeit erkennen die schon früher auf dem kleinen Jungen namens Matthew Reed gelastet hatte und in das ewige Selbstbildnis, den schönen Schein mit allen Mitteln aufrecht erhalten zu müssen um die Welt um sich herum zu täuschen.
Doch so sehr sein schöner Mann diese Furcht vielleicht auch heute noch hegen mochte und sich unwohl fühlte unter seiner eigenen Haut, vergaß er doch in Momenten wie diesen hier das wichtigste:
Clarence hatte ihn wahrhaft kennen und damit auch wahrhaft lieben gelernt nachdem man ihm einen Blick unter die Fassade gewährt hatte, nicht davor.
Mit einem wohligen Brummen nahm der Bär von Mann dankend entgegen, wie der andere die Stirn gegen seine lehnte und löste dabei die Hände von dem fremden Haupt, nur um damit die Wangen des Jüngeren zu umfangen. Sanft strich er mit seinen Daumen über die vertraute Haut, auf einer Seite seit wenigen Wochen durch Säure spürbar vernarbt, und streichelte seinem Geliebten Sorgsam die neu aufgekommenen Tränen hinfort.
Wenn du wissen willst, ob ich das kenne… dann frag Bennet, wie viel Rotz und Wasser ich die ersten beiden Tage in seinem Haus geheult habe, als du einfach nicht wach werden wolltest...
Oh, das Zimmer der Arzttochter hatte sicher nicht mal zum ersten Liebeskummer seiner alten Bewohnerin so viele Tränen gesehen wie in jenen zwei Tagen – dafür legte der Christ seine Hand ins Feuer.
Dich zu verlieren überlebe ich nicht. Ich hab schon zu viel verloren. Nicht dich auch noch… aber du, mein Herz…“, ein warmes Lächeln legte sich über die Lippen des Bären und wenngleich er in manchen Dingen sowieso schon von Grund auf positiver eingestellt war als sein Partner, stand dieses Mal völlig außer Frage, wie wenig er an seinen folgenden Worten zweifelte. „Du verlierst mich nicht. Niemals. Ich liebe dich so wie du bist, denn nur genau so bist du richtig. Und wenn uns der Tod nicht trennt, trennt uns niemals etwas. Verstehst du?
Es würde nichts geben das seine Liebe jemals ins Wanken bringen würde. Kein Flagg, den man aus einer Metropole heraus schmuggelte anstatt ihn zu töten. Kein Verräter, der durch Cassies Hände gestorben war, egal ob er zu dessen Blut gehörte oder nicht. Keine Verbrechen, die man ihm in junger Kindheit angetan hatte und keine Mutter, die sein Matthew als Kind nicht hatte beschützen können.
Es spielte keine Rolle was gewesen war, was war oder was eines Tages sein mochte.
Du gehörst mir, mit allen deinen Makeln und Vorzügen. Mit deiner ramponierten Wange und deiner fragwürdigen Frisur und all deinem Charme. Mir alleine… und was mir einmal gehört hat, gebe ich nicht wieder her.
Unablässig streichelte er mit den Daumen über die fremden Wangen, verbot dadurch neuen Tränen das geliebte Gesicht seines Partners zu zeichnen und blickte ernst in die kandisfarbenen Iriden, in denen er sich jeden einzelnen Tag aufs Neue verlieren wollte.
Weißt du… ich hab mir viel zu lange nicht vorstellen können wo ich mal sein werde. In fünf Jahren, oder in zehn… in zwanzig…“, breitete der Hüne leise die Zukunft in ihrem kleinen Schlafzimmer aus, das für den Moment trotzdem nur das Hier und Jetzt kannte. „Aber wenn ich heute darüber nachdenke, wo ich dann bin… bin ich immer an deiner Seite. Neben dem schönsten Mann der Welt, der mir jeden einzelnen Tag meines Lebens versüßt und nach dem sich andere noch immer umdrehen, während ich mein bequemes Alters-Pläuzchen angesetzt habe und langsam grau werde. Egal was mal war, Matthew, oder was irgendwann geschehen wird… das alles will ich mit dir. Mit dir und mit keinem anderen, weil du mein Leben bist und sein wirst. Ohne dich bin ich… nur die Hälfte meiner selbst.
Und das meinte der Bär nicht nur weil die Ehe sie von außen her zu einem Ganzen zusammengeschmiedet hatte, sondern weil er es tatsächlich mittlerweile so empfand – egal wie sehr Cassie ihn manchmal necken, triezen oder ihm auf den Keks gehen mochte.
Du bist ein Teil von mir geworden und ohne dich… will ich auch den Rest nicht mehr. Du bist der, der mich zusammenhält. Und wenn du gehst, Cassie… dann gehe ich auch.


Matthew C. Sky

Einem Menschen so sehr zu vertrauen, wie Matthew Clarence vertraute, bedeutete in einer Welt wie der ihren für gewöhnlich einen schnellen und grausamen Tod.
Die Flaggs dieser Welt landeten nicht auf geheimen Todeslisten weil sie mit ihrer Gutgläubigkeit geizten, sondern weil sie den falschen Leuten unter den falschen Umständen vertrauten. Die Wenigsten jener verratenen Idioten bekamen eine zweite Chance, ein Großteil sprang einfach über die Klinge. Schnell und elegant und vor allem diskret bei Seite geräumt, oder blutig und plärrend - für die Betroffenen machte es keinen Unterschied ob sie das Messer hatten kommen sehen oder nicht. Sie starben und hinterließen in den allermeisten Fällen niemanden der allzu lange um sie trauerte.
Was immer in der Welt der Alten passiert war, sodass jene einstige Zivilisation ausgelöscht worden war, es hatte den nachfolgenden Generationen ein hartes Leben aufgebürdet - eines in dem man sich Schwäche und falsche Sentimentalität nicht erlauben konnte. Der Stärkere überlebte, ein ganz einfaches Naturgesetz dem sich niemand entziehen konnte.
Jeder der einem anderen vertraute machte sich angreifbar und verletzlich und aus eben diesem Grund war es dumm. Matthew, dem schon zahllos oft bewiesen worden war wie die Dinge für gewöhnlich liefen, hatte all den Erfahrungen zum Trotz sein Vertrauen und all seine Liebe in Clarence gesetzt und sollte dieser Mann sich dazu entschließen beides zu missbrauchen, so würde Cassiel keinen Sinn mehr darin sehen weiter am Leben zu bleiben. Aber während der Dunkelhaarige Clarence ansah, konnte er in den Augen des Größeren die selbe Liebe und das selbe Vertrauen sehen, wie er sie selbst empfand.
Sie mochten so unterschiedlich sein wie Tag und Nacht und doch waren sie zwei Seiten einer Münze. Einer konnte ohne den Anderen nicht sein und den Anderen zu verraten hieße auch, sich selbst zu verraten. Wie sollte Matthew jemals aufhören, um seinen Liebsten zu fürchten, wenn er diesen doch mit jedem Atemzug mehr liebte?
Für jedes Wort, für jede Bewegung, dafür wie er sein Gesicht umfing und mit den Daumen über seine Wangen streichelte, auf das die Tränen keine Chance hatten sich einen Weg hinab zu bahnen. Clarence sah ihn nicht nur an, sondern er blickte in Matthews Seele und was er dort fand schreckte ihn nicht ab - dass hatte es noch nie getan.
Der Hüne hatte so viel Wärme und Güte in sich, dass es nichts zu geben schien was seine hohe Meinung von Matthew trüben konnte. Alles was passiert war, war nichtig und es gab Momente in denen brauchte der Kleinere nichts anderes, als jenen Blick seines Mannes. Ein Blick der versprach ich kenne dich und ich liebe dich.
Dass jemals ein Mensch ihn auf diese Weise würde betrachten können, dass ausgerechnet der schweigsame Clarence ihn einmal so ansehen würde, all das war mehr als Matthew in den Wochen und Monaten nach ihrem Kennenlernen für möglich gehalten hatte. Zu beschäftigt war der Jäger gewesen, zu sehr in seine eigenen Gedanken vertieft an denen er Matthew nur selten teilhaben ließ.
Sie waren nebeneinander hergelaufen, manchmal redend, häufiger jedoch schweigend. Und obgleich sie sich den Weg und das Lager geteilt hatten, blieben sie im Innern jeder für sich allein.
"...aber du, mein Herz… Du verlierst mich nicht. Niemals. Ich liebe dich so wie du bist, denn nur genau so bist du richtig. Und wenn uns der Tod nicht trennt, trennt uns niemals etwas. Verstehst du?“
Matthew nickte zaghaft, die Augen schließend um die Tränen zu verbergen die sich neuerlich in ihnen gesammelt hatten.
Hinter seinen geschlossenen Lidern hörte er das Lächeln in der Stimme des Größeren während dieser sprach und er wusste, würde er Clarence nun weiterhin ansehen würden alle Dämme brechen - nicht etwa aus Kummer, sondern weil Clarence etwas in ihm mit Wärme bedachte, dass von keiner Menschenseele zuvor derart bedacht worden war.
Der Jäger liebte ihn auf eine Weise, die unwichtig machte was vorher passiert war bevor sie einander kennengelernt hatten. Trotzdem gab es nichts, das in der Vergangenheit lag, von dem Matthew glaubte er müsse es vor dem Größeren verbergen. Und umgedreht konnte Matthew sich nicht vorstellen, dass es etwas gab was in der Vergangenheit des Hünen lag und seine Sicht auf den Blonden verändern würde.
Hinter den dichten dunklen Wimpern Cassiels, sammelten sich die Tränen und als er die Augen doch wieder aufschlug lösten sie sich lautlos - allen Versuchen sie zu verdrängen zum Trotz.
Aber sie waren nicht schlimm, versicherte ihm sein Geliebter ohne ein Wort über sie zu verlieren. Er strich sie einfach fort und sah ihn an, ließ ihn teilhaben an seinen Gedanken über das Jetzt und Hier und auch über die Zukunft. Das Bild welches Clarence mit samtweicher Stimme zeichnete, war eines in bunten Farben, fernab jeder Tristesse und irgendwelcher Zweifel.
“Du bist der, der mich zusammenhält. Und wenn du gehst, Cassie… dann gehe ich auch.“, ließ der Größere ihn wissen und abermals nickte Matthew. “Ich g-geh nirgendwo…ohne dich hin.“ Seine Erwiderung klang wie ein Versprechen und war in der Tat nichts anderes als das. “I-ich wollte nie…“, er stockte, sah sich um, dann hob er die Schultern und lächelte trotz der Tränen in den Augen. “…ein Boot, oder…h-heiraten. Ich dachte immer… Familie ist f-für andere Leute.“ Es war nicht unüblich das Ehen nur aufgrund von Bequemlichkeit arrangiert wurden. In den Dörfern und Siedlungen konnte man allein nicht überleben und in den Metropolen waren Ehen mehr Prestige als alles andere. Für einen jungen Mann wie Matthew, der weder aus gutem Hause kam noch der Unterschicht angehörte, war die Ehe ein undefinierbares Konstrukt das sich entweder Leute leisteten die keine Sorgen hatten, oder die sich eben erhofften dass ihre Sorgen mit einer Ehe kalkulierbarer wurden.
“Aber dich… D-dich h-habe ich gewollt…“, nun war es an ihm, seine Hände beide an Clarence’ Wangen zu legen und behutsam darüber zu streicheln.
“Ich wollte wissen wer du b-bist… Warum du immer schweigst und niemals lachst…“, mittlerweile kannte er die Antworten und man hätte meinen sollen, dass er gut daran tun würde es einfach darauf bewenden zu lassen wie es war. Warum an etwas rütteln, dass scheinbar unabwendbar war? Matthew hatte sich jene Frage schon oft gestellt und irgendwann hatte er auch die Antwort gefunden.
Weil eine Wunde wehtat, auch wenn man sich an den Schmerz gewöhnte. Clarence hatte sich daran gewöhnt, aber verletzt war er dennoch - und Matt wollte nichts anderes als die Wunde schließen.
“Warum du bei mir bleibst obwohl es überall tausend Chancen gibt allein weiterzugehen… Ich wollte wissen was dich antreibt, was dich beschäftigt. Und ich w-wollte derjenige sein an den du denkst wenn du grübelst, derjenige über dessen Ungeschicktheit du lachst… Derjenige…d-den du liebst.“ Nicht alles von diesen Dingen war ihnen bisher gegönnt gewesen, aber das schmälerte ihre innige Verbindung zueinander in keiner Weise. “W-wir sind…zusammen heil g-glaub ich…“, flüsterte er und schenkte Clarence ein hoffnungsvolles und verliebtes Lächeln, wie es außer dem Hünen noch niemand von Matthew bekommen hatte. Sie konnten beide keinen Einfluss auf das nehmen was hinter ihnen lag, aber sie konnten beeinflussen was sich vor ihnen ausbreitete und so lange Matthew den Größeren bei sich wusste, würde keine Riesenspinne ihn genug ängstigen können um davonzulaufen und Clarence zurückzulassen. Ohne den Blondschopf machte nichts Sinn. Kein Gold, kein Besitz, kein warmes Bett. Noch nicht einmal der nächste Atemzug.
Die eigene Stirn zurück an die von Clarence legend, ließ Matthew seine Hände sinken, führte sie unter den Armen des Größeren hindurch und umarmte ihn fest. Anschmiegsam drängte sich Cassiel gegen den Sitzenden und suchte dessen Lippen, nicht um sie zu küssen, sondern um hauchzart gegen sie zu wispern.
“Ich liebe dich, Clarence Sky. Ich liebe dich so sehr, dass ich m-manchmal gar nicht weiß wie…wie ein Mensch das ertragen soll, ohne verrückt zu werden.“
Mit vorsichtiger Beständigkeit erhöhte Cassiel den Druck mit dem er sich gegen seinen Mann schmiegte, bedeutete jenem sich nach hinten zu lehnen und folgte ihm nach bis sie beide wieder lagen.
Die Decke, welche auf Matthews Rücken ruhte, bedeckte nun mehr wieder sie beide, hüllte sie ein in einen wärmenden Kokon aus Daunen. „Lass uns…lass uns noch ein bisschen hier bleiben, hm? Lass uns die Zeit noch etwas vertrödeln… Lass uns…annehmen ich wäre nicht ramponiert und wir… wir wären schon im Bad gewesen, hm?“


Clarence B. Sky

Was Matthew ihm immer wieder aufs Neue offenbarte, die emotionale Leidenschaft für ihre Bindung und vor allem seine damit einhergehenden Tränen, wäre in jeder anderen Gesellschaft nichts weiter als ein Zeichen von Schwäche gewesen. Sie gehörten keinem hohen Stand an, gehörten nicht zu den Privilegierten dieser Welt in großen Metropolen und was sich manche Männer dort an Schwäche und Verletzlichkeit mochten erlauben können, galt nicht auch für sie.
Die Welt außerhalb von Reichtum, Beständigkeit und der Sicherheit dicker Stadtmauern, war eine andere und noch fremder waren die hiesigen Regeln der wilden und oftmals brutalen Natur. Ein Mann der etwas anderes zeigte als seine Stärke war schwach und konnte nicht ernst genommen werden; doch wo ihnen die dicken Stadtmauern fehlten um ihrer Verletzlichkeit freien Raum zu lassen, hatten sie sich eigene gebaut.
Die Steine, die früher auf derbem Weg zwischen ihnen gelegen hatten wie ein Todespfad, wie dicke Mauern die sie voneinander fern und auf Distanz hielten, waren längst eingerissen und nichtig erklärt worden. Doch statt den Schutt jener einstigen Hürden zu entsorgen und zu vergessen – so kam es Clarence jedenfalls vor – hatte sie ihre einstige Schwäche zu einer Stärke gemacht.
Stein um Stein hatten sie die Stolperfallen zwischen sich abgebaut und taten es noch immer und aus den Resten hatten sie ihre eigene, starke und beständige Stadtmauer geschaffen. Sie mochte nicht gegen jede Gefahr endlos gesichert sein, nicht sichtbar und nicht zum Schutze einer zivilisierten Massengemeinschaft dienen – doch sie umgab die beiden jungen Männer mit so viel Sicherheit, dass selbst Fremde zu Hilfe geeilt waren um dieses heilige Konstrukt mit ihnen zu verteidigen, als eine Sally Mitchell versucht hatte es einzureißen.
Die Tränen, die man außerhalb jener Mauern als Schwachstelle nutzen würde um seinem Geliebten zu schaden, boten innerhalb der gesegneten Mauern ihrer ehelichen und emotionalen Bindung zueinander keine Angriffsfläche und waren nicht Solarplexus, sondern ihr höchstes Gut um ungewollt dem anderen begreiflich zu machen, wie viel sie einander bedeuteten. Wenn Clarence seinen Partner betrachtete, wenn er spürte wie sehr Cassie ihm vertraute dass er sich nicht mal mehr davor fürchten musste sich derart zu öffnen, was wollten sie dann mehr voneinander? Was könnte es Kostbareres auf dieser sonst grausamen Welt geben als in die Augen des anderen zu blicken und zu wissen: Hier werde ich geliebt, hier darf ich sein wer ich bin?
Familie, das war nicht länger etwas für andere Leute sondern hatte Einzug gehalten im Leben seines Mannes und sollte nie wieder daraus schwinden; dieses Wort wog so schwer, dass es jedem Menschen zustehen sollte, denn es versprach so viel mehr als der Begriff Partnerschaft. Wenn der Hüne an Letzteres dachte, dachte er an eine Liebesbeziehung und an ein geteiltes Leben, doch Familie?
Familie war einzigartig. Sie war über jeden Zweifel erhaben und nur in den seltensten Fällen zerbrach sie und wenn, dann durch einen triftigen, meist irreversiblen Grund. Familie bedeutete Liebe fernab von Herzschlag und Schmetterlingen im Bauch, sondern war eine Bindung, die sich mit einfachen Worten nicht beschreiben ließ und trotzdem simpel war. Sie bedeutete Mutter, Vater und Geschwister und wenngleich Clarence‘ Gefühle zum Jüngeren ganz sicher nicht derart platonischer Natur waren, bedeutete sie doch vor allem eines – nämlich eine unzerstörbare Bindung zum anderen, die von außen her nicht zu zerstören war. Was er für Matthew empfand, fühlte sich zwar noch immer faszinierend an und frisch, aber es war nicht unbekannt. Es war wie nach Hause kommen nach einer endlosen Reise, es fühlte sich gewohnt an Cassie bei sich zu haben, als würden sie sich bereits ewig kennen – ganz egal, ob noch viele Dinge vom anderen im bislang Unbekannten lagen oder nicht.
Bei Cassie zu sein bedeutete keinen Mann zu haben oder Geliebten, bedeutete nicht einen guten Freund oder die Liebe seines Lebens gefunden zu haben.
Bei Cassie zu sein bedeutete bei seiner Familie zu sein und aus eben jenem Grund war sie nicht für andere Leute, sondern auch für seinen dunkelhaarigen Schönling – ob jener je daran geglaubt haben mochte oder nicht.
Warm legte sich ein Lächeln über die groben Züge des Jägers, denn leise die damaligen Sehnsüchte seines Mannes zu vernehmen war, als würde man einem verliebten Jüngling direkt ins Herz blicken. Es mochte schwer sein sich unter den damaligen Bedingungen vorzustellen, all das könne sich Matthew damals gewünscht haben – ausgerechnet jener Kerl, der mit Vorliebe stundenlang an ihm herum stichelte, der ihn mit derben Seitenhieben bedachte und ihn aufgezogen hatte, wann immer die Situation es bot. Matthew zuzuhören zeichnete das Bild eines halbstarken Jungen, der das erste Mal in ein Mädchen verliebt war und seine Zuneigung darin ausdrückte sie für ihr Auftreten aufzuziehen, genauso wie es nun mal mit diesem Alter einherging.
Doch trotz aller Widersprüche klangen Cassies Absichten mehr als plausibel, denn Clarence zweifelte nicht daran, dass der Söldner jemals derart geliebt hatte und irgendwann war für jeden Menschen das erste Mal. Auch für einen fingerlosen Jäger, der sich damals beim ersten Sex mit dem Jüngeren auch nicht besser angestellt hatte als ein Vierzehnjähriger auf Hormonen.
W-wir sind…zusammen heil g-glaub ich…“, ließ ihn der Mann auf seinem Schoß wissen und wie er dort saß, versprachen seine Worte weit mehr als das offensichtliche. Die fremde Wange zierte noch immer eine Narbe und auch sein teilweise geschorener Scheitel würde fortan als Zeichen ihrer Erlebnisse gezeichnet bleiben. Trotzdem waren sie heil so lange sie zusammen waren und das zu hören, selbst zu spüren wie viel Wahrheit in jenen Worten lag, war weit mehr als sie sich wohl beide jemals hätten zu träumen wagen dürfen.
Vielleicht sind wir beide schon längst verrückt geworden und merken es nur nicht“, gab Clarence leise zu bedenken als sein Partner sich vorsichtig gegen ihn zu lehnen begann und nur allzu gerne folgte der Blonde jener wortlosen Aufforderung. Es würde ihn überhaupt nicht wundern wenn dieser Annahme tatsächlich so war, immerhin merkten die wahrhaft Irren in der Regel gar nicht, wenn mit ihnen etwas nicht stimmte. Die Vorstellung, sich in jene Riege einzureihen, hatte Claire bislang niemals gefallen – doch zusammen mit seinem Mann, unter jenen Umständen, hätte er sich wirklich schlimmeres vorstellen können.
Leise seufzte der Bär von einem Jäger, reckte seine Arme über die Schultern des Jüngeren hinweg und zog die Decke wohlig etwas weiter über sie beide hinauf, bevor er seine Hände auf dem entblößten warmen Rücken des Oberen ablegte. Sanft kraulten seine verbliebenen sieben Nägel über die schmaler gewordene Statur des Jüngeren hinweg, die für ihn trotz allem an Reiz nicht verloren hatte.
…aber du wolltest mich im Bad doch aufwärmen…“ – Ein widerwilliges Brummen stahl sich bei seinem Gegenargument über die Lippen des Bären und man mochte meinen jener Laut wäre an Matthew gerichtet, doch dem war keinesfalls so. Vielmehr war der Bär an dieser Stelle enttäuscht von sich selbst – denn aller Sehnsucht nach heißem Entfrieren zum Trotz, das wankelmütige Böckchen auf seinem Schoß wusste aus Erfahrung, dass sein bärtiger Gefährte nichts mehr schätzte als heimelige Stunden zu zweit im Bett.
Es mochte so wirken, aber Clarence war auf dem Grunde seines Herzens keiner jener Männer, die ihre Sexualität über alles andere stellten. Ihr Liebesleben war ausgewogen und äußerst prickelnd und ja, Cassie beschwor in den unmöglichsten Momenten eine unbändige Lust in ihm herauf. Doch am Ende, unter all der harten Schale, war der Mann mit dem wirren Bart und der herausgewachsenen Mähne eben doch nur ein handzahmer Teddybär wie er im Buche stand.
Tief durchatmend, legte sich für einen kurzen Moment Stille über ihr Schlafgemach, die alsbald wieder von Clarence durchbrochen werden sollte.
Lass uns annehmen, mein schöner Mann ist noch immer etwas ramponiert und wir drücken uns einfach nur vorm Aufstehen?“, brummte der Blonde leise seinen Gegenvorschlag gegen das zerzauste Haar seines Geliebten, bevor er die Nase tiefer hinein drückte und lautlos den vertrauten verschlafenen Geruch des Jüngeren in sich aufnahm. In kreisenden Bewegungen kraulte er dabei noch immer sanft über den beflügelten Rücken des jungen Mannes auf sich, den er nirgends so sehr schätzte wie auf sich liegend. Die Sonne war erst zum Bruchteil hinterm Horizont hervor gekrabbelt, nichts eilte sie, die Welt war in Ordnung – wenigstens hier, am Hafen dieser kaum bekannten Insel, behütet innerhalb der vier Wände ihres kleinen Heimes. „Glaub mir, ich brauche keine Ausreden um den ganzen Tag mit meinem Mann im Bett liegen zu bleiben und die Welt da draußen auszusperren…
Das brauchte er wirklich nicht. Denn die einzige Welt, die Clarence wollte, lag hier in seinen Armen.


<- ZURÜCK          WEITER ->