Corazón de Oro
08. Juli 2210
Der Mensch will immer genau das, was er nicht haben kann - ein Sprichwort das lapidar klang, aber zu hundert Prozent der Wahrheit entsprach.
Es war dem jungen Ehepaar lange Zeit leicht gefallen einander zu ignorieren, die Finger voneinander zu lassen und sich nicht gegenseitig ihre Liebe zu bekunden zu Zeiten, als sie noch menschenseelenalleine im Wald gewesen waren und sich jedereit hätten haben können. Auch in Coral Valley, zunehmend immer inniger vereint, war es ihnen nicht besonders schwer gefallen für unterschiedliche Erledigungen den anderen für wenige Stunden zu verlassen oder die Hände in der Stadt in den eigenen Hosentaschen zu lassen, statt nach dem anderen zu greifen.
Nun aber, gezwungenermaßen jene Distanz auferlegt bekommen welche Rio Nosalida und seine Bewohner nötig machten, sehnte es Clarence mehr denn je nach seinem Mann. Er wollte neben ihm sitzen, wollte seine Hand unterm Tisch auf Cassies Oberschenkel legen oder ihm einfach nur mit frech verliebtem Blick sagen, dass der Dunkelhaarige mit seinem hellen Schaumbärtchen einfach zum Anbeißen aussah... und das vielleicht so überwältigend, wie selten zuvor in den vergangenen Wochen.
Doch anstatt dich seiner Sehnsucht hinzugeben folgte Joseph, nachdem er seinen Whisky ausgetrunken hatte, schweigend ihrer Gastgeberin sowie seinem Angestellten die Treppen hinauf ins obere GEschoss um dort für die heutige Nacht Quartier zu beziehen. Wo er sich den Schankraum noch ganz genau betrachtet hatte, interessierte er sich dabei plötzlich doch recht wenig für ihre Schlafstätten; die beiden gegenüberliegenden Zimmer machten ihn noch einmal mehr die Rollen begreifen, welche die Metropole von ihnen fordern würde und damit auch die Distanz, die damit einher ging.
Kaum dass die Tür vorerst ein letztes Mal hinter ihnen ins Schloss gefallen war, stellte Clarence seinen abgewetzten Rucksack auf dem Bett ab und durchquerte zuerst die überschaubare Räumlichkeit, während Cassie sich um die Versorgung der Hunde kümmerte. Zwar hatten sie offiziell noch gar nicht geklärt wer von ihnen welches Zimmer beziehen würde, aber da sein Mann nur ein Bruchteil des Gepäcks dabei hatte, schien es dem Blonden durchaus Sinn zu machen, selbst nicht noch mal auszuziehen an diesem Abend.
Einem recht bekannten Tick folgend, den er schonsein eigen genannt hatte lange bevor sie sich kennengelernt hatten, begann Clarence den kleinen Beistelltisch des Raumes mitsamt der Sitzgelegenheit kurzerhand umzuräumen und von der Wand neben der Tür hinüber zum Fenster zu schaffen, wo er sich nachher niederlassen würde um sich im lauen Abendwind seine Pfeife anzuzünden. Sowieso hatte er noch nie verstanden, warum man irgendwo anders sitzen sollte als dort, wo man wenigstens ein wenig Ausblick genießen und seine Reise ausklingen lassen sollte; falls sie keine sinnvollen Alternativen für ihre Zukunft fanden, vielleicht würde der Hühne eines Tages vorschlagen über die Eröffnung einer eigenen Gaststätte nachzudenken - Talent ein Zimmer brauchbar auszustaffieren hatte er jedenfalls, so viel stand fest.
Erst nachdem diese wohl wichtigste aller Angelegenheiten erledigt war, widmete sich Clarence wieder seinem Hab und Gut und begann damit die wenigen Kleidungsstücke auszuräumen, die er als Alibi mitgebracht hatte um sie ein wenig im Raum zu verteilen. Nur mit halbem Ohr lauschte er dabei auf seinen Mann, der irgendwas von einem anstrengenden Tag in Rio Nosalida faselte, obwohl sie noch gar nicht wirklich hier angekommen waren und warf ihm einen zweifelnden Blick über die Schulter zu um gerade noch so zu erhaschen, wie sich der definierte Leib des Jüngeren im fahlen Mondlicht entblößte. Kurz wanderten seine blaugrauen Iriden schamlos den schönen Rücken Matthews ab und verleibte sich das beinahe schon romantische Schauspiel ein, nur um sich mit einem verhaltenen Räuspern schnell wieder seinem Rucksack zuzuwenden, bevor Cassie ihn am Ende noch dabei erwischte, wie man ihn mit bloßen Augen vernaschte.
Ob er sich den restlichen Abend ausschließlich mit seinem Gepäck beschäftigen konnte oder nicht, das oblag ganz alleine dem Blonden und wenn es nach diesem ginge, würde er das sehr wohl. Die Gesprächigkeit, welche eben noch untem im Schankraum vorgeherrscht hatte, war unlängst wieder durch beharrliches Schweigen abgelöst worden und machte den Unmut greifbar den Clarence bei dem Gedanken daran empfand, was vor ihnen lag.
Seit er den Dunkelhaarigen gefunden und schließlich näher kennengelernt hatte, hatte sich sein Leben grundlegend verändert. Matthew hatte ihm einen Sinn gegeben, spätestens seitdem er auf die Frage ihn zu heiraten mit Ja geantwortet hatte und alles was davor gewesen war, schien seitdem zu Rauch und Asche verkommen zu sein. Mit Cassie... da gab es eine Zukunft statt düsterer Vergangenheit, es gab Vorfreude und Glück statt den Schmerz vergangener Tage. Es war dem Jäger naheliegend und im weitesten Sinn logisch erschienen, dass nach all dem Glück, das ihm widerfahren war, die Vergangenheit ihn niemals würde einholen können wenn er sie nur verbissen genug ignorierte und so wie eine Lüge immer schlimmer wurde, je länger man sich tief in sie hinein verstrickte, umso verzwickter kam es dem Größeren nun auch vor, nach all der gemeinsamen Zeit in Kurzem auf jenen Clan zu treffen, den er so weit von ihnen fort geschoben hatte wie nur möglich.
Heute hier in Rio Nosalida zu stehen hieß, seinen Mann vor vollendete Tatsachen zu stellen und wie man ein solches Gespräch begann... davon hatte Clarence keine Ahnung. Er kam aus Strukturen und Grundsätzen, die es - als Mann und Oberhaupt - nicht erforderten sich rechtfertigen zu müssen, geschweige denn Entscheidungen mit der besseren Hälfte zu teilen und auszudiskutieren. Matthew war ein starker Part in ihrer Beziehung und wenngleich Claire das auch gar nicht anders haben wollte als auf diese Weise, so wünschte er sich doch manchmal die gute alte Ze4it seiner Heimat zurück, in der man als Ehemann Probleme ganz mit sich alleine ausgemacht hatte als sich damit irgendjemandem zu öffnen oder gar ungefragt den eigenen Rucksack aus den Händen genommen zu bekommen.
Mit einem lautlosen Seufzen ließ der Bär von Mann sich hinab aufs Bett drängen, wissend dass Gegenwehr keinen Sinn machen würde, und legte schließlich den Kopf in den Nacken um zu Cassie hinauf zu blicken. Der kurze Moment, in dem sich ihre Augen trafen, schien mehr auszudrücken als Worte es jemals konnten und machten den Bruchteil jener Sekunden so besonders, wie es die Grundlagen ihrer Beziehung an sich waren. Kaum ein Mensch wusste das Schweigen und monotone Brummen des bärenhaften Hünen zu lesen wie Matthew es tat, einem offenen Buch gleich; und gleichzeitig hab es wohl kaum einen Zweiten auf der Welt der den Dunkelhaarigen und dessen Befinden jemals hatte lesen können wie Clarence, der schon immer mehr hinter dem leeren Lachen des Jüngeren gesehen hatte als die anderen losen Bekanntschaften.
Nicht nur auf Vertrauen und Gefühlen beruhte ihre Beziehung zueinander, sondern unzweifelhaft auch darauf einander bis auf den Grund ihrer Gedanken zu verstehen, ganz ohne dass sie dafür Worte miteinander hätten wechseln müssen.
Wenngleich der Ausdruck seiner Iriden erst noch einen Hauch von Trotz beinhaltet hatte, kämpfte Clarence nicht dagegen an als sein Mann ihn schließlich an sich zog, sondern schmiegte die Stirn - ganz im Gegenteil - sogar noch etwas fester gegen den Bauch des anderen und offenbarte damit, wie sehr er die Nähe und Geborgenheit des Jüngeren brauchte um nicht nur die Welt mit all ihren Komplikationen, sondern auch sich selbst zu ertragen. Was Matthew für ihn war und wie viel er ihm bedeutete, das würde dieser Mann vielleicht nie zur Gänze verstehen können und dannoch behelligte der Blonde ihn nicht mit Plattitüden, während er seine Arme ohne zu zögern um die Schenkel des Jüngeren zu legen begann.
Ganz ohne sich aus der Masse abzuheben, hoben sie sich von anderen Paaren ab und das nicht nur durch ihr ungleiches Auftreten, sondern vor allem durch ihren Umgang miteinander. Was der Blonde schon immer ganz besonders geliebt hatte an ihnen beiden, das war die fehlende Rollenverteilung, wie so viele andere sie aufwiesen. In ihrer Bindung gab es kein stark und schwach, kein schwarz und weiß, nicht denjenigen der grundsätzlich eine weichere Position einnahm und den anderen, der sich immerwährend über alles hinweg erhob. Fühlte sich der eine klein, dann war der andere für beide groß und überschatteten Wolken voller Kummer jemanden von ihnen beiden, dann teilten sie miteinander den Schmerz den sie empfanden, damit niemand von ihnen alleine seine Last zu tragen hatte. Für Matthew konnte er der Fels sein wann und wie lange er es wollte, der unerbittliche Bär der sich nahm wonach ihm begehrte... und gleichfalls verlor sein Mann doch nie sein Baby oder sein Bärchen aus den Augen, wenn jenes verzweifelt war ob seiner eigenen Empfindungen.
Es waren nicht die Facetten die sie aneinander anzogen, die sie sehen und erleben wollten - sondern einzig un den Augen des Jüngeren fand Clarence sich als einheitliches Ganzes gesehen, geliebt und vor allem auch gewollt, zu jeder Zeit und an jedem Ort.
Leise und sonor brummte der Bäär gegen die warme Haut seines Mannes, schloss die Augen und gab sich den behutsamen Fingern in seinem Haar hin, während er das Gesicht etwas wandte um seine Wange gegen den geliebten Bauch seines Partners zu schmiegen. Er wusste, er war kein einfacher Mensch und noch weniger war es ein müheloses Unterfangen, mit einem Kerl wie ihm ein gemeinsames Leben zu beschreiten - doch einzig Cassie hatte die Gabe auf eine Weise auf ihn einzuwirken, wie es niemals zuvor jemand geschafft hatte. Clarence konnte nicht mit Gewissheit sagen wann ihn das letzte Mal jemand auf diese Weise gehalten hatte wie sein Mann es zu tun pflegte um ihn zu beruhigen, aber was er unumstößlich wusste war, dass er unter den Fingern des Jüngeren die Bedeutung des Wortes Familie einmal mehr in jeder Faser seines Herzens voller Wärme spürte.
"Als ich dich geheiratet habe...", erhob er schließlich leise die Stimme und brummte bei jener Erinnerung ein weiteres Mal, die Arme etwas fester um die Schenkel seines Mannes legend. "...da habe ich mich nicht durch Verpflichtungen und Versprechen an dich gekettet gefühlt... sondern losgelöst von allem, was mich verfolgt hat. Zu dir Ja zu sagen... war sich bewusst für die Freiheit und für ein echtes Leben zu entscheiden. Das habe ich bis heute nicht bereut... und ich will diese Freiheit mit dir nie wieder hergeben müssen."
Vorsichtig blickte er wieder zu Cassie hinauf, lehnte sein bärtiges Kinn auf dem Bauch seines Partners an und es bedurfte keiner weiteren Erklärung, um bereits schon jetzt das Aber zu erahnen, das unweigerlich folgen musste.
"Jäger sind eigen, Matthew. Verschworen... loyal ihrem Clan und auch ihren Brüdern und Schwestern gegenüber. Ihnen den Rücken zu kehren... das kommmt nicht nur nicht gut an, sondern es hat immer Konsequenzen. Wer geht, ist ein Verräter und was mit denen passiert... das kannst du dir denken."
Der Status des Verschollenen hatte ihm lange Zeit hinweg so etwas wie Immunität gewährt, denn wer nicht offiziell als vogelfrei galt, der war uninteressant und so lange zu seinem Verschwinden nichts bekannt war, hatte es auch keinen Grund gegeben sich um ihn Gedanken zu machen. Mittlerweile, daran wagte Clarence nicht im Geringsten zu zweifeln, hatte es seine Kreise gezogen dass der Anführer der Kestrel mitsamt seinem Zögling verschwunden war und letzteren nach all der langen Zeit plötzlich ohne seinen Meister in der Öffentlichkeit auftauchen zu sehen, würde unausweichlich Fragen aufwerfen.
Unangenehme Fragen, die man erst stellte nachdem man gehandelt hatte.
"Die Wahrhheit ist: Ich weiß nicht was vor uns liegt. Ich weiß was ich will und was ich nicht will, aber nichts davon lässt sich mit dem vereinbaren, was sein wird. Träume und Realität... die treffen genau hier in dieser Stadt aufeinander und ich sage dir schon jetzt, dass das eine nicht zusammen mit dem anderen existieren kann."
Eine eigenartige Stille herrschte zwischen ihnen, während das warme Licht der kleinen Lämpchen ihre beiden Schatten zu einem einzigen werden ließ, als Clarence die Arme um Matthew schlang und das Gesicht ohne Gegenwehr an seinen nackten Bauch schmiegte.
Schweigsam geworden streichelte der Jüngere durch das Haar seines Liebsten, kämmte durch die goldenen Strähnen und war einfach nur da.
Er musste nicht mehr darum bitten, dass Clarence den Anfang machte, dass wusste er und er würde es auch nicht tun.
Alles was den Blonden daran hinderte mit ihm zu sprechen, war der innere Zwiespalt, in dem er sich befand und der ihn - auch wenn Clarence schwieg - zu zerreißen schien.
All die Schweigsamkeit, all die Gereiztheit, all die gesuchte Einsamkeit der letzten Tage waren nur Ventile der inneren Anspannung, welche mehr und mehr Besitz von ihm ergriff.
Je näher sie Rio Nosalida gekommen waren, umso unwirscher war er geworden und Matthew hatte ihn gewähren lassen.
Und auch jetzt, drängte er den Größeren nicht, sondern wartete ab bis Clarence soweit war - und sein Vertrauen in den Hünen wurde nicht enttäuscht.
Mit tonloser Stimme ergriff der Ältere das Wort, schmiegte sich fester gegen ihn und begann, von der bewussten Entscheidung zu sprechen, die ihre Ehe dargestellt hatte.
Worauf genau er hinauswollte, verstand Cassie sofort - er war ein helles Köpfchen und er hatte so seine Erfahrungen gemacht mit Clans, die waren ja im Grunde auch sowas wie Bruderschaften.
Loyalität wog schwer in derartigen Kreisen, allerdings nur wenn es in eine Richtung ging. Sich als Einzelner abzuwenden, weil man nicht mehr konform mit dem ging, wofür die Brüder und Schwestern oder Lehrmeister standen, kam niemals gut an und immer bot derartiges Verhalten einen Freibrief um drakonische Strafen zu vollstrecken.
Matthew wusste wie der Hase lief und es überraschte ihn nicht, zu erfahren, dass es bei den Jägergilden ganz genauso aussah wie überall.
Man war nur so lange befreundet, geschätzt oder gar geliebt, wie man den Grundsätzen folgte und sobald man sich anders entschied... wurde man zu einem losen Ende, welches man abschneiden musste.
Nein, es überraschte den Dunkelhaarigen nicht was er hörte, einzig die Ernsthaftigkeit mit der Clarence sprach und zu ihm hinaufblickte, beunruhigte Matt und machte ihm klar, was auf dem Spiel stand. Alles was sie hatte.
Zu sehen, wie mutlos Clarence war und wie angespannt, führte dem Jüngeren auf deutliche Weise vor Augen, dass es in Rio Nosalida Alles oder Nichts hieß.
Aber Matthew war nicht dazu bereit Clarence zu verlieren und ihre Zukunft einzutauschen gegen schöne Erinnerungen, die ihm in kalten Nächten das Herz wärmten.
„Jäger sind so eigen wie alle Bruderschaften, Vereinigungen, Gangs oder Orden.“
Sein Tonfall war düster und entbehrte jeglicher Überraschung.
Ernst erwiderte er den Blick des Blonden, der ihn anschaute und in dessen Augen Cassie wohl gerade zum ersten Mal echte Ratlosigkeit sah.
Seine Hände legten sich an die bärtigen Wangen seines Mannes und das Schweigen seiner Lippen klang so eindringlich wie es der Situation angemessen war.
Alles was er zu sagen hatte, sagte er mit den Augen und so wie Matthew den Größeren Stumm verstand, so war er sicher, dass auch Clarence in ihm lesen konnte, was er ihm zu sagen hatte. Und doch durchbrach er schließlich die Stille zwischen ihnen, nachdem er über das Gesagte seines Mannes nachgedacht und seine eigenen Rückschlüsse gezogen hatte.
„Als ich in der Kirche gestanden habe...und auf die Frage des Pfarrers, ob ich dich heiraten will mit Ja geantwortet habe, da habe ich nicht nur unsere Gegenwart und Zukunft geheiratet. Ich habe Ja zu allem gesagt, was zu dir gehört. Zu dem was vor uns liegt und zu dem was hinter dir liegt. Wenn uns in dieser Stadt deine Vergangenheit einholt...dann musst du dich ihr nicht mehr allein stellen. Verstehst du? Du gehörst jetzt zu mir, so wie ich zu dir gehöre und ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand versucht uns das wegzunehmen.“
Was immer es kosten würde, die Vergangenheit des Hünen abzuschließen, er würde den Preis dafür bezahlen. Clarence herzugeben oder dem zu überlassen was sein einstiger Clan für ihn als Schicksal auserkoren hatte stand nicht zur Debatte. Es würde nicht mit Verbannung getan sein oder mit der Zahlung irgendeiner Summe, obgleich Matthew letztere Option nicht völlig ausschloss.
Aber in aller Regel, so schätzte er die martialischen Jägerclans ein, sollte an einem Abtrünnigen ein Exempel statuiert werden. Blut sollte fließen um die Mitglieder abzuschrecken, einzuschüchtern und gleichzeitig zu motivieren selbst immer dem eigenen Clan treu zu bleiben.
Matthew waren diese Regeln egal. Es war ihm egal, dass sein Mann jenen Schwur gebrochen hatte um ein Leben mit ihm zu führen, dass er sich schuldig gemacht hatte an dem Komplott gegen seinen Meister und den Führer der Kestrels.
Clarence hatte sein halbes Leben irgendwem untergeordnet, er hatte seine Loyalität hundertfach bewiesen und nun war es genug. Nun sollte er niemandem mehr dienen außer sich selbst und die einzige Frage, die er sich stellen sollte, wenn es darum ging Entscheidungen zu treffen, war die Frage danach ob es ihn glücklich machte.
„Was immer zu tun ist, damit wir zusammenbleiben können, das werden wir tun.“
Und wenn sie dafür über Leichen gehen mussten, würde Matthew auch das tun.
Er war nicht bereit dazu, Clarence allein zu lassen. Er war nicht bereit dazu, dass er sich vor irgendwem aus seiner Vergangenheit rechtfertigen oder sich länger verstecken musste. Der Mann, der vor ihm saß, war immer für andere da gewesen. Für seine Eltern, für seine Freunde, für sein Dorf mit indoktrinierten Fanatikern. Er hatte getan was andere von ihm wollten. Für seine Frau, seinen Lehrmeister, seine Kollegen im Clan und auch für Matthew.
„Erzähl mir, was damals passiert ist und weshalb wir hier sind. Wen genau sollen wir hier treffen und wohin, wenn alles so läuft wie ihr es euch vorstellt, wird das Treffen führen?“ – aber blauäugigen Optimismus konnten sie sich nicht leisten. Dazu war die Gefahr zu real und die Bedrohung zu groß. Also fügte er nach einer kurzen Pause auch die entscheidende Frage an:
„Und vor allem…reden wir darüber was passiert, wenn es nicht so läuft wie gedacht. Was wird dann passieren…und wie verhindern wir es?“
Still schaute er zu seinem Mann hinauf und scheute dabei nicht ihre Blicke, die sich schweigsam trafen.
Früher noch, in einem gefühlt ganz fremden Leben, da hatten die es vermieden bei unangenehmen Themen dem anderen länger in die Augen zu blicken als nötig. Viel zu groß war die Gefahr, dass der andere darin hätte lesen können was man dachte oder was dunkel vergraben in ihrem Inneren ruhte und den anderen nichts anging. Trotz ihrer vertrauensvollen Freundschaft waren sie einander zwei Fremde gewesen die nichts weiter miteinander geteilt hatten als das Hier und Jetzt. Was sie ausmachte, was sie zu dem gemacht hatte was und wer sie waren… es hatte verborgen gelegen in dem milchigen Nebel aus Schleier, hinter den sie sich immer wieder dann aufs Neue dankbar verirrt hatten, sobald es darum gegangen war den Gefährten mehr wissen zu lassen als nur das Nötigste.
Aus diesem Fremden, der sie für den anderen gewesen waren, war längst ein Geliebter, Partner und Ehemann geworden und ein Vertrauter, der einen kannte so gut wie kein Zweiter auf der Welt. Mit Matthew teilte er, was mit einem anderen Menschen völlig unmöglich gewesen wäre und auch der Dunkelhaarige hatte ihm seitdem Teile seines Lebens anvertraut, die sonst niemanden etwas angingen.
Sich abwendend von den Männern zu denen er lange Zeit gehört hatte, hatte man den jungen Mann gejagt, gefangen, wieder freigelassen und für eine halbe Ewigkeit durch die Gegend gehetzt, bis er schließlich halb verblutet und von Pfeilen durchbohrt zum Sterben zurück gelassen worden war – ein Plan der sicher seine Erfüllung gefunden hätte, wäre Clarence jenen Machenschaften nicht in die Quere gekommen. Den geschwächten Findling hatte er mit letzten Kräften mit in sein Lager geschleppt um ihn dort zu versorgen, so wie der Christ es Zeit seines Lebens schon immer gehandhabt hatte, auch wenn man solches Verhalten einem schweigsamen Barbaren wie ihm gar nicht recht zutrauen mochte. Ob und inwiefern diese ominöse Gruppe von Männern noch immer nach seinem Mann suchte, hatte Clarence bis heute nicht wirklich verstanden; wenn man der verwirrten Fremden aus Coral Valley Vertrauen schenken mochte, dann wäre es allerdings weiterhin eine ratsame Haltung, den Kleinen besser zu hüten wie den eigenen Augapfel.
Dass Matthew etwas Ähnliches bereits schon einmal durchgemacht hatte wie das, was dem Blonden noch bevorstand, war für jenen allerdings alles andere als tröstlich – nicht etwa weil er Ängste hätte die dadurch nicht gemildert wurden, sondern weil diese Jagd geschehen war, bevor sie einander etwas bedeutet hatten. Bekanntermaßen hatte Clarence noch nie gescheut der Gefahr ins Auge zu blicken, sodass alles was blieb die Gedanken um seinen Mann waren, welcher derartige Sorgen um sein Baby einfach nicht verdient hatte.
„Damals…“, griff der Blonde schließlich die Worte seines Partners auf, wobei die Formulierung ziemlich seltsam in seinen eigenen Ohren nachhallte. Es stimmte, zeitlich gesehen lagen die Geschehnisse unglaublich lange zurück und doch hatte Claire sie selbst heute noch glasklar in Erinnerung, was sicher auch daran lag, dass sie einfach nicht abgeschlossen waren.
„Damals haben eine Handvoll Mitglieder und ich beschlossen, dass es uns mit Nagi reicht. Wir haben lange darüber nachgedacht wie man es anstellen könnte ihn loszuwerden ohne dafür selbst den Kopf hinhalten zu müssen und schließlich… haben Adrianna und ich eine Lösung für unser Problem gefunden.“
Viel zu oft schon hatte er oberflächliche Erzählungen eingestreut um sich noch sicher sein zu können welche Fakten dem Jüngeren bereits bekannt waren oder nicht, wobei er es selbst heute noch tunlich vermeiden würde, unnütze ins Detail der einstigen Ereignisse zu gehen.
„Wir haben den Fluch als Ausrede benutzt es könnte möglich sein, dass ich ihn auf der nächsten Reise umbringe, weil Nagi geplant hat ihn zu brechen. Seine Tochter hat bei unserem Aufbruch die stellvertretende Führung übernommen und mich wissen lassen, dass… wenn ihr Vater nicht zurück kehrt, dass mich dann aufgrund der Gegebenheiten keine Konsequenzen erwarten, wenn ich einem gewissen Zeitraum reumütig zurück kehre. Wenn nicht… und sie nicht mit Gewissheit sagen kann, dass ich in der Zeit meiner Abwesenheit gestorben bin, wird sie mich als vogelfrei ausrufen und zurück bringen lassen.“
Dass sich das Zeitfenster bis zu diesem Moment noch nicht geschlossen hatte wurde alleine schon dadurch offensichtlich, dass Clarence sich überhaupt in eine Weltstadt wie Rio Nosalida hinein traute, ohne sein Gesicht völlig zu verhüllen. Erkannt zu werden würde zwar seinem Status als Verschollener nicht gut tun, aber bislang gab es keine offizielle Grundlage um ihm ein Haar zu krümmen – wie er auch einem Kerl vor Aufbruch in Coral Valley während einer kurzweiligen Handgreiflichkeit klar gemacht hatte.
„Für den Fall, dass ich nicht von alleine zurück komme aber noch lebe, habe ich mit Adrianna verabredet ihr eine Nachricht zukommen zu lassen um sie und noch jemand anderes aus der Gruppe zu treffen, damit ich ihnen erklären kann was passiert ist. Das hab ich von Coral Valley aus getan… bevor wir beide zueinander gefunden haben.“ – Etwas das er mittlerweile bereute, auch wenn ihn das von der aktuellen Lage nicht befreit hätte.
„Sie werden davon ausgehen, dass sie mich hier abholen können um mit ihnen zurück nach Hause zu gehen, weil das damals so der Plan gewesen ist“, erklärte er Matthew und hatte sich dabei nicht von diesem gelöst. Seine Arme lagen noch immer um die Schenkel des Jüngeren, Unwillens ihn gehen oder nicht an seinem Leben teilhaben zu lassen, das schon längst auch zu dem des anderen gehörte. Sein Zuhause war nicht länger Falconry Gardens, ganz gleich ob ihm das den Arsch retten würde oder nicht.
„Wenn es nicht so läuft wie gedacht und ich nicht bald zu meinem Clan zurück kehre… bin ich vogelfrei - und das bedeutet nicht, dass die Kestrel nach mir suchen“, fügte er nahtlos an, noch bevor der andere Luft holen und verkünden konnte, dass sich damit doch erträglich leben ließe.
„Das bedeutet, dass mein Verbrechen, Name, Aussehen, meine Tätowierungen und die Orte, an denen ich mich aufhalten könnte, an alle Clans des Kontinents raus gehen um nach mir suchen und mich jagen zu lassen, bis mich jemand findet und zurück bringt. Ein vogelfreier Jäger gerät auch nicht nach ein paar Jahren in Vergessenheit, bis er sich irgendwann in Ruhe absetzen kann… so etwas gibt es bei uns nicht. Es geht auch nicht um Gold oder Gefälligkeiten, wenn man einen solchen Jäger zurück überführt, sondern ausschließlich um Ruhm und Ehre. Für die meisten jedenfalls“, erklärte er Matthew verhältnismäßig ruhig, denn für den Blonden waren das eben die Regeln der Welt in der er lebte, ähnlich wie er sich auch bei den Fanatikern über Jahre hinweg erfolgreich gefügt hatte, ohne etwas zu hinterfragen.
„Clans, die Schwurbrecher zurück bringen, genießen hohes Ansehen. Wer so jemanden einfängt, den vergisst man nicht mehr so schnell. Dorthin zurück zu gehen ist für mich aber keine Option, gleichzeitig scheitert es an Alternativen… und ich wage zu bezweifeln, dass die anderen beiden bessere Vorschläge haben werden als ich.“
Still und aufmerksam hörte Matthew zu, erfuhr von der gereiften Idee, den Lehrmeister Clarence‘ und den Anführer der Kestrels loszuwerden. Von dem Plan, die Verantwortung für den forcierten Tod auf Clarence und dessen Fluch zu schieben. Und auch davon, wie die Tochter der Getöteten seinem Mann Immunität schenkte, für den wahrscheinlichen Fall, dass Nagi Tanka den Tod finden würde.
Die Idee war simpel aber – dass musste Matthew den Akteuren lassen – clever gewesen, durch die Einfachheit der Logik geradezu bestechend.
Und alles wäre auch aufgegangen, hätte der Blonde nicht entschieden, sich um ihn zu kümmern statt zurück zu seinem Clan zu kehren und dort das Leben zu führen, dass als Jäger auf ihn wartete.
Die Ereignisse in Coral Valley, die Verabredung hier in Rio Nosalida… all das bewies, dass es noch nicht zu spät war, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Die Tragweite dessen, was passieren würde sollte Clarence als vogelfrei ausgerufen werden, wurde von dem Blonden deutlich gemacht und Matthew begriff mit unbarmherziger Härte, dass nicht mal seine vielen Kontakte zu wichtigen Leuten dafür würden sorgen können, dass sein Mann den Kopf aus der Schlinge zog. Zumindest nicht auf Dauer.
Ihr Gold konnte ihnen Zeit verschaffen und wenn Matthew den ein oder anderen Gefallen einforderte, die andere ihm schuldig waren, würden wichtige Menschen ihnen zur Seite stehen. Es würden Deals ausgehandelt werden können und bestimmt ließen sich auf diese Weise ein paar Jahre der Ruhe erkaufen. Aber was Matthew ebenso verstand und was seine Brust zuschnürte, war die Erkenntnis, dass es auf diese Weise nie einen Abschluss geben würde.
Es würde nie vorbei sein. Die Unruhe, das Warten darauf wann jemand auftauchte der Clarence holen wollte, der in Brand steckte was sie hatten, der zerstörte was sie sich in den Jahren des Friedens geschaffen hatten.
Es ließ sich keine Zukunft planen, mit dieser Bedrohung im Nacken.
Wenn Matthew eine Sache sicher wusste, dann dass die Menschen endlos gierig waren und die meisten hatten einen Preis für den sich ihr Schweigen oder ihre Stimme kaufen ließ. Aber irgendwann bot immer irgendeiner mehr als man selbst, irgendwann war der eigene Kredit aufgebraucht und irgendwer entsann sich des vogelfreien Jägers Clarence Sky, den auszuliefern Ruhm und Ehre für das eigene Dasein bedeuten würde. Es konnte ein Nachbar sein, ein Reisender, irgendein Passant. Irgendwer der Clarence erkannte.
Was Matthew just in dem Moment bewusst wurde, war die unumstößliche Tatsache, dass es vor der Vergangenheit seines Mannes kein Entkommen geben würde, wenn es ihnen nicht gelang zu verhindern, dass er als vogelfrei ausgerufen wurde.
Danach würde es kaum noch eine Möglichkeit geben, ein normales Leben zu führen – es sei denn, sie suchten ein Leben als Einsiedler in völliger Wildnis. Fernab von jedweder Gesellschaft.
Als der Größere vorerst wieder verstummt war, blickte Cassiel seinem Mann still ins Gesicht.
In den graublauen Augen lagen Sorge und Ernsthaftigkeit, kein winziges Lächeln umspielte die Wundwinkel. Kein Funken von Schalk oder Optimismus zeichnete die ernsten Züge des Blonden.
Matthew seufzte kurz und fuhr mit den Fingern beider Hände durch Clarence‘ Haar an den Schläfen, strich bis nach hinten durch und legte die Hände dann wieder an die Wangen seines Mannes.
„Das heißt…unsere beste Chance besteht darin, zu verhindern, dass dein Clan dich als Eidbrecher sieht und bekanntgibt.“
Wie die Chancen dafür standen, weigerte sich Clarence wieder nach Falconry Gardens zurückzukehren, konnte Matthew sich denken.
„Du sagtest, dorthin zurückzugehen sei keine Option, aber so wie ich die Sache sehe, ist es vielleicht nicht unsere einzige aber zumindest die beste.“, er legte den Kopf schief, überlegte kurz und sagte schließlich:
„Diese Adrianna mit der du dich hier verabredet hast…ist die bestechlich? Wir könnten ihr eine Menge Gold bieten, wenn sie erzählt du bist auf dem Weg zum Clan gestorben. Und was deine Tattoos angeht… du lässt einen Teil überstechen, ausmalen, verändern… was auch immer. Und wenn wir uns dann aus den Metropolen heraushalten… wird niemand deiner alten Kollegen dich je wieder zu Gesicht bekommen und andere Clans werden nicht nach dir suchen.“
Diese Idee fußte auf der Vertrauenswürdigkeit der Fremden, doch Matthew setzte voraus, dass Clarence seine Zukunft nicht in die Hände irgendeines Miststücks gelegt hatte. Wenn man schon ein Komplott plante, dann suchte man sich dafür klugerweise die Menschen, denen man das eigene Leben anvertraute. „Wäre eine Option nicht zurück zu müssen. Aber ich weiß nicht wie klug es ist, ihr zu vertrauen. Angenommen sie und…wer auch immer sie begleitet, lässt sich auf den Deal ein…wird immer die einzige Person sein, die sicherstellt, dass du frei bist. Wenn sie uns verrät...geht alles von vorne los. Ich weiß nicht ob mir das gefällt, aber danach geht es vermutlich nicht.“
Es war kein Geheimnis, dass Matthew ein misstrauischer und skeptischer Mensch war, der sich eigentlich nur auf sich selbst verließ.
Das Leben seines Mannes einer Fremden anzuvertrauen gefiel ihm folglich nicht, was man ihm auch ansehen konnte.
Trotzdem hatte er den Vorschlag nicht für sich behalten, denn bei allem Widerstreben, so oblag es schlichtweg nicht ihm allein, was sie tun würden und was nicht. Wie abwegig oder wie klug die Idee war, konnte Clarence am Besten einschätzen.
„Oder…wir gehen nach Falconry Gardens und sprechen dort mit der Person, die den Laden führt. Wir bleiben bei der Geschichte warum Nagi Tanka tot ist und erklären, dass du nicht länger Teil des Clans sein kannst. Weil du es nicht mehr erträgst dort zu sein, nachdem das mit deinem Anführer passiert ist, weil du unzurechnungsfähig bist, weil du nicht mehr tun kannst was deine Aufgabe dort wäre…wir denken uns etwas aus. Wir bitten sie, dich gehen zu lassen und wiegen deinen Verlust mit Gold auf. Wenn nötig geben wir ihnen alles was wir haben. Gold lässt sich ersetzen.“ – Clarence‘ Leben jedoch nicht.
Und wenn auch diese Idee sich nicht umsetzen ließ, so würde Matthew nicht müde werden weitere Vorschläge zu machen. Auf keinen Fall würde er nachlassen und sich den Gegebenheiten einfach fügen.
„Das Beste wäre, wir kriegen deinen Clan dazu dich herzugeben und einfach zu entlassen. Aber wenn das nicht funktioniert… wenn sie darauf bestehen, dass du bei ihnen bleibst…oder wenn sie versuchen…dich irgendwie zu bestrafen…“
Matthew machte eine gewichtige Pause, in der er den Blonden eindringlich musterte und ihm stumm zu verstehen gab, dass er bereit war alles zu tun, was nötig sein sollte um Clarence‘ Freiheit zu erreichen.
In der zurückliegenden, gemeinsamen Zeit hatte Matthew viel von seinem Mann gesehen. Er hatte ihn beobachtet beim Bau von Fallen, beim Flicken von Kleidung, bei der Jagd, bei der akribischen Vorbereitung von Exorzismen. Er hatte gesehen, wie Clarence sich prügelte, Streit anfing oder selbigem aus dem Wege ging, er hatte ihn kämpfen und andere töten sehen.
In all jenen Monaten hatte sicher auch Clarence den ein oder anderen Blick auf die Fähigkeiten Matthews erhascht, doch die unbedingte und unbeugsame Entschlossenheit jedes notwendige Opfer zu bringen, diese Facette hatte der Dunkelhaarige in ihrer gemeinsamen Zeit noch nicht von sich gezeigt.
Es hatte einen Grund, warum die Hydra ihn gejagt hatte, warum Le Rouge ihn nicht einfach hatte gehen lassen.
Matthew war nicht die Sorte Mensch, die die Hand biss die einen fütterte – aber falls er zubiss, dann war er eine Gefahr.
Selbst für die Mitglieder der Hydra. Rouge hatte das gewusst.
„…werden sie es bereuen, so wahr ich dich in der Kirche deines Gottes geheiratet habe.“
Mit wachen Blick betrachtete Clarence seinen Mann von unten herauf und musterte den Dunkelhaarigen, der ihm einfach alles bedeutete und der ihn immer wieder aufs Neue zu überraschen wusste. Mit absoluter Aufopferung wenn es darum ging ihm das Leben zu retten, wenn sie von einem brennenden Wald voller toter Spinnen umgeben waren oder mit seiner behütenden, liebevollen Art, während Cassie ihm vorsang oder dafür sorgte, dass er im Krankheitsfall artig seine Mahlzeiten aß und genug trank. Er überraschte ihn mit seinem schallenden glücklichen Lachen wenn er ausgelassen war und mit ausufernder Wut, offenbarte man ihm, dass der Mann den er liebte von einem Fluch belegt war, der ihm das Glück nahm. Der freiheitsliebende junge Kerl überraschte ihn damit ihn heiraten zu wollen wo er doch sonst seine Ungebundenheit genoss, ebenso aber mit absoluter Unterwürfigkeit und Fixierung auf den Blonden hinter geschlossener Tür ihres Schlafgemachs – was so gar nicht zu dem ehemaligen Söldner zu passen schien und es dadurch nur umso prickelnder machte.
Und heute überraschte sein Ehemann ihn mit Plänen, mit Ideen zu einem Gegenkomplott und spann mit ihm Lösungswege für eine Zukunft aus die alles war, aber nicht von einer potentiellen Trennung gezeichnet.
Wie sehr Clarence diesen Kerl liebte ließ sich mit bloßen Worten nicht beschreiben und doch konnte man es in diesem Augenblick den blaugrauen Iriden ablesen, die das ernste Antlitz des Jüngeren musterten.
Cassie, der sonst irgendwelche muffigen Tinkturen in ihr Badewasser goss aus Gründen die Claire bis heute nicht nachvollziehen konnte, konnte so kernig sein wenn er denn wollte. Dann schwor er seinem wilden Barbaren niemanden zu verschonen wenn man auch nur eines der blonden Haare krümmte, hielt sein Blondie mit seinen starken Händen fest wie nur ein echter Mann es konnte und sprach mit tiefer Stimme von Verschwörung, die Clarence innerlich ganz schwach werden ließ.
Der Jäger liebte es wenn sein Mann so war wie in diesem Augenblick und beinahe hätte er darunter vergessen, dass er ja eigentlich gegen jedwede Möglichkeit war, sich überhaupt irgendwie mit dem Thema Clan und Konsequenz zu beschäftigen.
„Kann ich mir ziemlich gut vorstellen, dass sie es bereuen werden…“, griff Clarence nach längerem Schweigen, während dem sie sich einfach nur angesehen hatten, leise die Worte seines Mannes auf und zweifelte in keiner Sekunde daran wie ernst es Cassie damit war.
Schon lange bevor überhaupt an so etwas wie romantische Gefühle zwischen ihnen zu denken gewesen war, hatte der Jäger nicht gezögert seinen Gefährten eines nachts vor Plünderern zu bewahren, die sich still und heimlich in ihr Lager geschlichen hatten. Sie waren schon immer ein Team gewesen, gefühlt vom ersten Moment an wo sie sich dazu entschlossen hatten, gemeinsam ihren Weg fortzusetzen – und von Beginn an hatte das für Claire bedeutet, keine Kompromisse zu machen wenn es um andere oder sie selbst ging. Damals waren sie nichts anderes gewesen als zwei Kerle auf Reisen in die gleiche Richtung… welche Ausmaße das dringende Bedürfnis annehmen würde einander zu beschützen nun wo sie sogar miteinander verheiratet waren, das konnte er sich nur allzu gut vorstellen. Ganz gleich, von wem dieser Instinkt auch ausging.
Zart senkte Clarence sein Antlitz erstmalig wieder hinab, drückte sein Gesicht zurück gegen den Bauch des Jüngeren und hauchte einen zarten Kuss auf die warme Haut, die sich vertraut und schützend anfühlte.
„Adrianna muss man nicht bestechen, ich vertraue ihr. Genau wie den anderen, die mit uns geplant haben“, erhob er wieder ernster die Stimme und suchte Cassies Blick um zu beweisen, wie unumstößlich man diesen Leuten alles anvertrauen konnte, was man hatte – wenn es sein musste, dann auch das eigene Leben. „Sie hätten genug Zeit und Distanz zu mir gehabt um zu singen seitdem ich weg war. Aber das hat keiner von ihnen, sonst wäre ich schon längst einen Kopf kürzer. Alle hatten einen guten Grund Nagi loszuwerden und dadurch haben sie auch einen guten Grund, mich nicht zum Buhmann zu machen.“
Ob dieses Wissen seinen Mann trösten konnte blieb fraglich, immerhin kannte Matthew keinen einzigen dieser Menschen und musste sich alleine auf das Gespür des Blonden verlassen. Doch so unerschütterlich wie ihr beider Vertrauen ineinander war, so viel wog auch das Gespür des jeweils anderen für sie auf.
„Zu behaupten ich wäre auf dem Weg gestorben, ist keine gute Idee. Da meine Weste derzeit nicht blütenrein ist, wird man einen Beweis für meinen Tod verlangen und der geht entweder über meinen Kopf oder meine Tätowierungen. Das heißt, die beiden müssten mir zumindest einen Teil meiner Wappen häuten ohne sie dabei zu zerstören und beim besten Willen… ich kann mir durchaus Besseres vorstellen.“
Natürlich würde er alles für Matthew tun wenn es darum ging ihr Glück zu retten. Im Zweifelsfall würde er sich sogar unters Messer legen, auch wenn die Heilung danach Wochen dauern und die Schmerzen unbeschreiblich sein würden. Es gab kein Opfer, das er nicht bereit war für den Mann den er liebte zu bringen, aber so war eben der Stand der Dinge wenn sie einfach seinen Tod vortäuschen würden und Claire wusste, der Dunkelhaarige würde dem nicht zustimmen, wenn es noch andere Möglichkeiten gab sie von der Vergangenheit des Größeren loszusprechen.
Zögerlich löste er die Umarmung ohne sich wirklich von Cassie zu entfernen, legte die Hände stattdessen auf der Hüfte des Jüngeren ab und streichelte langsam über die Oberschenkel seines Mannes hinweg, der sich nicht die geringsten Vorstellungen davon machen konnte, wie es in Falconry Gardens war und welche Chancen sie dort haben würden.
„Zum Clan gehören nicht nur Nagis Tochter… sondern auch seine Frau. Das sind auch die beiden Personen mit denen wir reden müssten, solltest du versuchen wollen mich frei zu kaufen. Stell dir vor, ich wäre von irgend so einem Trottel umgebracht worden… würdest du es durch den Austausch von ein bisschen Gold als erledigt sehen, mh?“
Die Frage war unfair und das wusste Clarence, aber genau deshalb musste sie auch gestellt werden. Die Idee war löblich vom ehemaligen Söldner alles herzugeben was sie besaßen, solange ihnen wenigstens blieb, beieinander und vor allem unversehrt zu sein. Aber der Jäger war nicht naiv, es würde nicht getan sein mit blauäugigen Vorstellungen einer komplikationslosen Ablöse und der guten Hoffnung, die Dinge regelten sich schon irgendwie durch ein paar diplomatische Worte und großzügige Angebote ihrerseits.
Nachdenklich leckte sich der Blonde über die Lippen und ließ den Blick an der Brust seines Mannes hinab gleiten, beinahe so als könne er an den wenigen bunten Bildern die unter dem ledernen Harnisch hervor blitzten einen Lösungsweg erahnen oder gar die Zukunft lesen, was sich aber letztlich nicht bewahrheiten sollte.
„Es mag die beste Option sein nach Falconry Gardens zu gehen, das gebe ich zu“, gestand er nach einem unbequemen Brummen widerwillig ein, jedoch ohne so zu klingen, als würde er auch in die Umsetzung dessen einwilligen. „Aber mir gefallen all die Dinge nicht, die da noch mit dran hängen. Man wird dich nicht ins Hauptquartier lassen weil du nicht zum Clan gehörst und sobald ich zurück bin wird man mich derart unter Beobachtung stellen, dass ich auch nicht außerhalb mit dir im Gasthaus unterkommen kann. Wenn ich dorthin zurück gehe, Cassie… werde ich, wenn auch nur zum Anschein, als Jäger und einer von ihnen dorthin zurückkehren müssen. Als jemand der seine Loyalität beweisen muss bevor er sich lossagen kann und als ein Mann, der viele Fragen zu beantworten hat, bevor man ihn überhaupt wieder mit dem kleinen Zeh durchs Tor raus ans Sonnenlicht lässt. Das kann Tage dauern… oder Wochen, wenn es schlecht läuft. Wochen, in denen ich lieber irgendwo anders wäre, mit dir zusammen statt von dir getrennt zu sein.“
Er ertrug den Gedanken daran verfolgt zu werden, vogelfrei zu sein, die Ungewissheit ob nicht schon am nächsten Tag jemand vor ihrer Tür stehen konnte um ihnen all das zu nehmen, was sie sich aufgebaut hatten. Aber eine unbestimmte Zeit lang von seinem Mann getrennt zu sein, im schlimmsten Fall ganz und gar?
Clarence war sich nicht sicher ob er das aushalten konnte, nicht nachdem sie seit ihrem Kennenlernen keinen einzigen Tag mehr ohneeinander verbracht hatten. Selbst getrennt in Städten mit nur einem grob verabredeten Punkt zum Wiedersehen bei Aufbruch, waren sie sich ungewollt doch immer wieder irgendwie über den Weg gelaufen und wenn nicht, dann hatte ihre Abstinenz voneinander nie länger angehalten als zwei oder drei Tage.
Ein Leben ohne Cassie, ein Alltag in dem sein Ehemann keinen Part einnahm… das konnte der Blonde sich nicht vorstellen, egal wie sehr er sich auch bemühte.
„Weißt du wie Ehen ablaufen zwischen einem Jäger und normalen Menschen, mh? – Jäger sind in erster Instanz mit ihrem Clan verheiratet und erst in zweiter mit ihrem Partner. Die Familie hat irgendwo draußen in der Stadt ein Haus wo die Frau die Kinder hütet oder der Mann sein Geld verdient, während die Jäger den Tag in ihrem Clan verbringen. Sie sind wochenlang weg wenn ein Auftrag ruft, sie haben Verpflichtungen ihrem Clan gegenüber der ihre Zeit fordert und wenn du dann doch mal in der Stadt bist, jedenfalls in Falconry Gardens, dann hast du wenn es schlecht läuft in der Nacht Torwache und kannst nicht mal bei deiner Familie übernachten. Ich will nicht einer von diesen Kerlen sein der die dummen Fratzen aus dem Clan öfter sieht als seine Familie, Cassie… denn ich hab keine Ahnung wie lange es dauern würde da wieder raus zu kommen, wenn wir dorthin gehen.“
Die Situation in der sie sich befanden, war alles andere als leicht aufzulösen.
Der Clan hatte Ansprüche an Clarence und Clarence, der sich vor Jahren ihnen verschrieben hatte, würde nicht so leicht aus jenem Bund herauskommen.
Den eigenen Tod vorzutäuschen war ebenso keine gute Idee, wie die Vorstellung ihn freizukaufen.
Matthew zog unwillig die Augenbrauen zusammen und seufzte.
Es war nicht so, dass er keine weiteren Ideen im Petto hatte, aber die mit der größten Chance auf ein Gelingen hatte er schon vorgetragen und sie hatten leider wenig getaugt.
Es stimmte, dass er keine Ahnung von dem Leben als Jäger hatte. Wie der Alltag eines solchen aussah, was möglich und was undenkbar war.
Aber er wusste, dass er lieber eine harte Zeit mit Clarence durchstand, als das er mit ihm ein Leben auf der Flucht führte, ständig mit dem Gedanken im Hinterkopf wann ihr Versteck aufflog.
„Ich verstehe...“, räumte er schließlich nachdenklich ein und nickte überlegend.
Clarence wollte nicht nach Falconry Gardens, etwas das auf Cassie ebenfalls zutraf.
Andrerseits würde es unmöglich sein aus der Nummer vernünftig herauszukommen, wenn sie es nicht schafften, den Blonden unzweifelhaft für tot erklären zu lassen oder er sich offiziell aus dem Clanleben zurückzog.
Ob letzteres überhaupt ging, dass wusste Matthew nicht, weshalb seine nächste Frage naheliegend war und zugleich offenbarte, wie wenig der Dunkelhaarige Ahnung von dem Thema hatte.
„Nehmen wir an, wir kehren zusammen nach Falconry Gardens zurück. Wir beißen in den sauren Apfel, man trennt uns und du wirst wieder Jäger für eine gewisse Zeit...“
Der Gedanke gefiel ihm nicht mehr als Clarence, doch im Unterschied zu ihm, wollte Matthew nichts ausschließen.
„Könnte ich eurem Clan folgen, ohne ihm beizutreten? Als eine Art unabhängiger Söldner? Vielleicht könnte ich für die Anführer arbeiten, ohne ihnen gleich mein Leben zu verschreiben. Auf diese Weise würden wir uns sehen können, Aufträge gemeinsam erledigen. Es wäre nicht viel anders als früher zwischen uns.
Und irgendwann, wenn deine weiße Weste wiederhergestellt ist, verlässt du den Clan offiziell und mit erhobenem Haupt. Wir kehren Falconry Gardens gemeinsam den Rücken und bauen uns das Leben auf, das wir führen wollen.
Gemeinsam und ohne, dass wir uns verstecken müssen wie Hunde.“
Fragend sah er auf seinen Mann herunter, löste eine Hand von dessen Gesicht und fing sein Kinn ein, um es mit sanftem Druck empor zu drängen.
Er selbst beugte sich herunter, schloss die dunklen Augen und suchte die verehrten Lippen seines Mannes um sie zart und zugleich besitzergreifend zu küssen.
Niemandem würde es gelingen sie voneinander zu trennen, weder den American Kestrels, noch Fremden, Feinden oder Freunden.
Sie voneinander fernzuhalten war, als würde man versuchen dem Meer das Rauschen zu verbieten. Es war unmöglich.
Unwillig den Kuss zu lösen aber wissend, dass dies gerade nicht der richtige Augenblick war um sich zu verlieren, richtete sich Cassie schließlich wieder auf und gab die Lippen seines Mannes somit frei.
„Jeder, der versucht mich von dir fernzuhalten, wird irgendwann resignieren. Ich bin kein Heimchen, dass in irgendeiner Hütte darauf wartet, dass mein Mann wiederkehrt, ich werde nicht die Hunde hüten, die Hände im Schoß liegend, während du da draußen bist und dein Leben riskierst. Wenn wir nach Falconry Gardens gehen...dann werden sie versuchen uns zu trennen, aber sie werden es nicht hinbekommen.“
Matthew wusste nicht wie das Leben dort sein würde, aber das war ihm auch egal, so lange er es mit Clarence lebte.
Sie waren beide mehr als nur irgendwelche Männer. Clarence war begnadet in seinem Metier und Matthew war von einer Legende ausgebildet worden. Egal wie drakonisch die Strafen auch sein sollten, wenn sie nicht gehorchten, Matthew glaubte nicht, dass man sie beide wegen Ungehorsam töten oder verletzen würde.
„Ich weiß nicht viel über die American Kestrels...deshalb muss ich so direkt fragen:
Gibt es überhaupt die Möglichkeit, den Clan lebendig und offiziell zu verlassen, ohne für vogelfrei erklärt zu werden? Wenn ja... sollten wir in Betracht ziehen, nach Falconry Gardens zu gehen. Wir können den Anführern deines Clans verschiedene Vorschläge machen. Sie wollen dich ja zurück...und so lange keiner erfährt, dass ihr den Mord an Nagi geplant hattet, wird dich keiner dafür anrühren. Dass wir da ankommen und umgebracht werden, ist also unwahrscheinlich, oder nicht?“
Es sei denn, die Leute die sie hier treffen sollten, hatten entschieden ihn zu verraten, ein Risiko, welches Matthew im Hinterkopf behielt, auch wenn Clarence vollkommen von der Loyalität seiner Mitverschwörer überzeugt war.
„Und wenn du nach eine Weile Anwesenheit wirklich gehen kannst, dann halten wir das aus. Aber wenn es gar nicht vorgesehen ist, dass du deinem Clan den Rücken kehren kannst... dann sollten wir einen Bogen um diese Stadt und um alles machen, dass mit ihm zutun hat. Wir können abhauen, weiter in den Süden, uns irgendein kleines Kaff suchen wo wir eine zeitlang leben, bevor wir weiterziehen. Ich meine, wenn das die einzige Möglichkeit ist, dass wir zusammen bleiben, dann bin ich sofort dabei.“
Er lebte lieber mit Clarence auf der Flucht, als das er ein ruhiges Leben ohne ihn führte.
„Deinen Tod könnten wir vortäuschen lassen, du könntest gefressen worden sein, oder ertrunken. Man könnte dich geschnappt und verbrannt haben. Es gibt duzende Möglichkeiten zu sterben, ohne das man einen Beweis dafür erbringen kann. Mir ist klar, dass man skeptisch sein wird und die ersten Jahre vielleicht trotzdem nach dir Ausschau hält...aber irgendwann, wird das Interesse abflauen.“ - zwangsläufig würde es irgendwann darauf hinauslaufen, dass man nicht mehr gezielt nach ihm suchte, aber die Gefahr eines Zufallstreffers konnte eben nie ganz ausgeschlossen werden.
Das Problem war, dass die Welt groß und leer war, untergehen in der Masse war schön und gut - nur gab es nicht genug Masse um so unterzutauchen, dass man verschwand - zumindest nicht, wenn man irgendwann mal irgendwo ankommen wollte - und zwar nicht gerade in der völligen Einöde eines Sumpfes.
Mit Le Rouge war Cassie immer auf Achse gewesen. Falsche Namen, falsche Lebensgeschichten, falsche Rollen hatten sie überall begleitet.
Wenige Menschen auf ihren Reisen hatten wirklich gewusst, mit wem sie es zutun hatten und darin lag unter anderem auch der Schlüssel zum Erfolg.
Die Bruderschaft des Lichts beziehungsweise Die Hydra waren bekannt, die Mitglieder ebenso wie die vollbrachten Heldentaten. Aber unterm Strich war Le Rouge nie in eine Stadt oder Metropole einmarschiert und hatte sich als der zu erkennen gegeben der er war. Und in den Momenten in denen sich die Brüder hatten feiern lassen, hatten sie ihr Bad in der Menge genossen ohne zu offenbaren wer sie wirklich waren.
Es gab keine echten Namen, die Gesichter waren bemalt oder maskiert gewesen, die Kleidung üppig ausstaffiert. Wer hinter den Namen Le Verre, Le Rouge, Le Blanc, Le Jaune, Le Gris, Le Vert, Le Noir und L‘Azur steckte, dass wusste kaum jemand.
Die lebenden Legenden waren weitestgehend anonym, wenn sie mit den Massen gefeiert hatten und sie waren vollkommen unsichtbar, legten sie es darauf an, unerkannt zu bleiben. Aber das funktionierte nur, in dem sie in Bewegung blieben und jederzeit aufmerksam waren.
Dauerhaft ein solches Leben zu führen, ohne Möglichkeit sich einen Ort zu erschaffen wo man einfach nur verschnaufen konnte, dass war zwar nicht unmöglich, aber hart.
Und für einen Mann wie Clarence, der Gesellschaft und Familie liebte, sicherlich noch härter als es das für Cassie sein würde.
sie ein friedliches Leben miteinander führen konnten.
abhanden gekommen war. Und noch während er das tat begriff Clarence wie er sich selbst in seiner Haltung treu blieb – aber damit auch reichlich kurzsichtig, ein defizitärer Charakterzug, den er selbst in drei Jahrzehnten Dasein auf Erden nie wirklich hatte ablegen können.
oder auch nicht…“
Über lange Zeit hinweg, selbst als sie schon verheiratet gewesen waren, hatte Clarence es vermieden in der Öffentlichkeit dazu zu stehen und zu bekennen, dass er einen anderen Mann liebte.
Für den bis dato freiheitsliebenden Matthew war es erstaunlicherweise kein Problem gewesen, sich nur noch auf Clarence zu fokussieren, ging es um emotionale wie auch körperliche Nähe.
Dem Kleineren war es leicht gefallen, seinen alten Lebensstil einzutauschen gegen ein Leben als verheirateter Mann. Es war ein bisschen so, als habe etwas in ihm immer genau das gesucht und gebraucht, was er in dem Größeren gefunden hatte. Er hatte nie an Clarence gezweifelt, hatte sich nie zurück gewünscht, wie es vorher gewesen war.
Freiheit hin oder her.
Nicht für eine einzige Sekunde, hatte Cassie es bereut, jenen Mann geheiratet zu haben. Denn Clarence verkörperte alles, was Matthew sich je erträumt hatte.
Er war sein Zuhause, er war seine Liebe - und auch kein Stein, den man ihm an den Kopf warf, hatte seine unbedingte Liebe ins Wanken gebracht.
Dass der Ältere ihre Verbindung lieber nicht offen gezeigt hatte, damit hatte Cassie gelebt und er hatte gelernt, es auch nicht überzubewerten.
Der Blonde kam aus einer Gesellschaft, in der es nicht nur nicht legitim war, liebte ein Mann einen anderen Mann, sondern in der eine solche Verbindung dazu führte bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Es gab keinen Spielraum für Verhandlungen oder dergleichen, nur den Tod. Und wenn man so aufwuchs, den Worten eines Buches folgend welches auf Angst und Strafe fußte, dann schüttelte man die Dogmen der Erziehung nicht so einfach ab.
Dafür hatte Matthew Verständnis gehabt.
Gerade deshalb war ihm die Überraschung anzusehen gewesen, als Clarence vorhin am Pier seine Hand genommen hatte - es war ihm vorgekommen wie ein Zeichen, dass Clarence hatte setzen wollen und seine Worte bestätigten schließlich genau das.
Keine Geheimniskrämerei mehr in Bezug auf sie beide, ein Entschluss der Cassie das Herz wärmte und ihm ein verliebtes Lächeln ins Gesicht zauberte.
„Das ist...überaus ehrbar von dir, nur hast du nicht bedacht, dass Rio Nosalida der völlig falsche Ort für Offenheit ist. Nicht so lange wir nicht wissen, wie genau das Treffen mit deinen alten Freunden ablaufen soll.“
Bis dahin war es klüger, sie waren Joseph und Anthony, sie spielten ihre Rollen und verhielten sich so unauffällig wie möglich.
Matthew löste eine Hand von Clarence‘ Gesicht und legte sie über eine der Pranken, die seinen Rücken streichelten.
In jeder Geste, mit der der Blonde ihn bedachte, steckte Liebe und Zuneigung. Niemand hatte Cassie jemals so angesehen wie Clarence es tat, niemand hatte jemals so auf ihn geachtet wie der Hüne und niemand würde jemals in Matthew dieses vollkommene Gefühl der Hingabe wecken, wie es der Blondschopf tat.
Mit sanftem Zug löste Matthew die Hand des Größeren von seiner Taille, hob sie selbst an sein Gesicht und schmiegte die Wange in Clarence‘ Hand.
Clarence wollte sich nicht länger verstecken. Weder vor seinen ehemaligen Clan-Brüdern und Schwestern, noch vor der Allgemeinheit, noch vor Gläubigen seiner eigenen Religion. Die Art, wie Clarence feststellte, dass er sich nicht mehr mit Matthew verstecken wollte, war seltsam nüchtern und klang gerade deshalb glaubhaft.
Der Hüne sagte diese Dinge nicht in einem Zustand, in dem er von Emotionen überwältigt war, er sagte es auch nicht als Erwiderung auf emotionale Worte Matthews.
Clarence sagte es von sich aus, so als sei diese Gewissheit in ihm gewachsen.
„Ich würde mich mit dir verstecken, wann immer wir das müssten.“, setzte er nach, noch bevor der Blonde die Sprache zurück auf etwas lenkte, über das sie nur ein einziges Mal gesprochen hatten - unter dem benebelnden Einfluss der Vetala.
Matt wich nicht zurück, noch versuchte er, Clarence von sich selbst zu lösen.
Aber sein Blick wurde abwägend und die Hand des Größeren, in welche er seine Wange eben noch geschmiegt hatte, wurde in Matthews eigene genommen und sinken gelassen. Schließlich gab er sie frei und Clarence legte sie zurück an Cassies Rücken, wo sie zusammen mit der anderen weiter über die freie Haut streichelte.
Der Dunkelhaarige blieb eine Antwort zunächst schuldig und das Schweigen gab Clarence Raum, mehr dazu zu sagen.
Und mit jedem Wort, welches ihm über die Lippen kam, wurde eines immer deutlicher:
Clarence wollte die Familie, deren mögliche Existenz sie im Traumgespinst der Vetala erstmals benannt hatten.
In dem Zustand, in dem sich beide zu jenem Zeitpunkt befunden hatten, hatte Matt lediglich Unruhe und ein gewisses Maß an Respekt vor der Aufgabe verspürt, ein möglicher Vater zu sein. Doch Angst und Ablehnung hatte er nicht empfunden.
Jetzt, wach und etliche Tage später, waren seine Gefühle bei jenem Thema gemischter und weniger eindeutig zu benennen.
Während Clarence sprach und in aller Deutlichkeit sagte, dass er bereit wäre für diese Familie Wege zu beschreiten, die er sonst lieber meiden würde, begriff Cassie immer mehr, dass er vor diesem Schritt gewaltige Angst hatte.
Nicht weil er Clarence nicht vertraute, nicht weil er glaubte, es stecke ein Monster in seinem Mann. Sondern er fürchtete sich davor, was Clarence zu riskieren bereit war.
Und während er auf den Blonden herabsah und dieser zu ihm aufblickte, schnürte sich seine Brust immer weiter zu und in seine Augen trat ein schrecklich verzweifelter Ausdruck. Er fing an, den Kopf zu schütteln und presste die Lippen zusammen.
„Du würdest...alles für diese Familie tun...“, brachte er schließlich hervor und schluckte.
Er hob die Arme und fuhr sich mit beiden Händen durch das dunkle Haar, dann strich er auf die selbe Weise durch Clarence‘ Schopf.
„Du würdest alles für sie tun, du würdest durch die Hölle gehen wenn es sein müsste, du würdest... jedes Opfer bringen. Jedes.“ - er schwieg kurz, musterte seinen Mann ernst.
„Aber ich nicht. Dich werde ich niemals opfern können, hörst du? Lieber renne ich mit dir weg, für den Rest meines Lebens. Ich verzichte auf alles, wenn ich dafür nur dich haben kann.“ - seine Finger verkrallten sich etwas im goldenen Flachs, welches sich so weich und vertraut anfühlte.
Er war nicht bereit dazu, das Leben seines Liebsten zu riskieren. Nicht für eine Familie, die es geben könnte, nicht für Ruhm oder Ehre, nicht für alle Reichtümer dieser Welt.
„Wenn ich alles haben könnte...und dafür aber dich hergeben müsste..:“, noch immer schüttelte er den Kopf.
„Würde ich nichts wollen. Weil nichts dich ersetzen kann.“, Clarence war seine Familie.
„Das einzige, das wirklich einzige, was ich unbedingt will, dass bist du. Du bist meine Familie und du bist alles was zählt für mich.“
Er würde alles hergeben, seine Sicherheit, sein Gold, sein eigenes Leben.
„Ich würde...nein, nochmal von vorn... ich wollte nie...Kinder, du weißt warum.“ - eindringlich betrachtete er seinen Mann.
„Aber mit dir...mit dir...ach mein Bärchen...du wärst ein großartiger Vater und ich...würde versuchen mir etwas davon abzuschauen, um auch nur einen halb so guten Job zu machen, wie du ihn machst...“, Cassie lächelte vage, rieb mit den Daumen über Clarence‘ Wangen und beugte sich erneut zu ihm herunter, doch dieses Mal nicht um ihn zu küssen, sondern die nächsten Worte auf Augenhöhe zu ihm zu sprechen.
„Wenn du mich fragst, ob ich wirklich dieses Zuhause will, dann antworte ich darauf mit ‚Ja‘ - aber nicht um jeden Preis, verstehst du? Nicht wenn es auf deine Kosten geht. Ich weiß, du würdest alles geben. Aber ich nicht. Ich werde dich nicht hergeben, für diesen Traum.“
Natürlich war es klüger sie blieben vorerst Joseph und Anthony und natürlich fiel dem Bären ein plausibles Argument ein, warum dies anders sein sollte. Aber das änderte nichts an den Worten, die gesagt hatten werden wollten. An der Bedeutung die Matthew für ihn hatte, an den Gefühlen die der Blonde für seinen Mann hegte und an dem innerlichen Sinneswandel, der sich über Wochen hinweg stillschweigend eingeschlichen hatte, ohne dass Clarence genau sagen konnte wieso dem überhaupt so war.
Aber sein Mann verstand ihn, auch entgegen der Unmöglichkeit ihre Liebe hier in dieser Stadt voll auszuleben, und so spiegelte sich das verliebte Lächeln des Jüngeren für einen Augenblick auch auf den Lippen des Älteren, als Cassie seine Hand nahm um sie an die eigene Wange zu führen und sich hinein zu schmiegen in einer Geste der Zuneigung, wie er sie bislang nur bei seinem Partner kennengelernt hatte.
Matthew war wahrlich ein bewundernswerter Mann. Ein Mensch mit so viel Vergangenheit, dass sie für mehr als nur ein Leben reichte. Er hatte tiefe Hürden überwunden, hatte Grausamkeit überlebt und das nicht nur ohne äußerlich, sondern auch ohne innerlich daran zu zerbrechen. Er war ein Mann voller Liebe und Freude trotz seiner tiefen seelischen Narben, kokettierte mit seiner Schönheit trotz der Makel die seine Haut zeichneten und war sich vom ersten Tag, seit dem sie sich kannten, entgegen aller Umstände immer selbst treu geblieben – und das, ohne darüber hinweg seinen Gefährten außen vor zu lassen.
Was der Christ in diesem Menschen gefunden hatte, war die Erfüllung lang gehegter Wünsche und ein Traum der in Erfüllung ging, ganz ohne dass Claire ihn jemals bewusst geträumt hätte. Ohne gewusst zu haben was genau er vom Leben wollte, war er sich darüber gewiss gewesen, dass Matthew die Antwort auf all seine Fragen gewesen war und so sehr der plötzlich verängstige Ausdruck in den Iriden seines Liebsten ihn auch hätte verstören sollen, tat er es entgegen aller Erwartung nicht.
Matthew hatte ihn verändert, auf eine positive Art und Weise, wie der Größere sie niemals für möglich gehalten hätte. Er hatte ihn offener gemacht und zugewandt, kommunikativ; er hatte ihm die raue Schale genommen ohne ihm den gestandenen Mann abzusprechen der er war und zeitgleich hatte er dem Blonden eine innere Stärke verliehen wie sie nur denen zu Eigen war, denen ein starker Partner im Rücken stand. All die Zweifel, die Clarence früher nicht nur an seinem Leben oder an anderen Menschen, sondern vor allem auch an sich selbst gehegt hatte, hatte der Dunkelhaarige ihm genommen ohne dafür Zwang oder explizite Worte zu verwenden.
Die Liebe, die Cassie für ihn hegte, war heilsam – und eben jene war es auch die Clarence just in diesem Augenblick in den ängstlichen Iriden seines Mannes erkannte anstelle von Abneigung oder Verneinung, wie er sie noch vor Monaten in eine derartige Reaktion des Kleineren hinein interpretiert hätte.
Hingebungsvoll lehnte er sein Haupt in die Hände die durch seinen blonden Schopf strichen und fürchtete den Blick des anderen nicht, der eindringlich auf ihn hinab sah. Clarence hörte nicht nur zu oder ließ über sich ergehen was sein Mann ihm zu sagen hatte, sondern er verstand was Matthew damit meinte, ohne mehr hinein zu interpretieren als in den Worten des Jüngeren ruhte. Was Cassie ihm sagte war kein Nein und auch keine Abneigung gegen all die Dinge, die sie sich in einem längst vergangenen Traum zugeflüstert hatten, sondern die Angst vor dem Weg dorthin von dem der Dunkelhaarige nicht wusste, wie er aussehen würde.
Genauso wie Clarence seinen Partner niemals hergeben würde, nie mehr unnötig in Gefahr bringen und letztlich missen wollte, so ging es auch Cassie. Der Jäger, welcher einstmals jede mögliche und unmögliche Gefahr gesucht hatte um seine Lust nach Abenteuer zu stillen, hatte aus seinen Fehlern gelernt und seinem Mann längst geschworen, keine unüberlegten Risiken mehr einzugehen.
Anfangs, und das musste Claire gestehen, war er sich nicht mal wirklich sicher gewesen ob er dieses Versprechen einhalten konnte… ob er wirklich gemeint hatte, was er da zu seinem Mann gesagt hatte. Doch mittlerweile wusste der Bär, was ihm im Leben wichtiger geworden war als wilde Abenteuer und der Atem des Todes in seinem Nacken.
„Ach mein Böckchen…“, entgegnete er schließlich leise im gleichen Tenor wie auch sein Mann zu ihm gesprochen hatte und musterte mit warmem, weichen Blick den Jüngeren, welcher sich auf seine Höhe hinab gebeugt hatte.
„Du hast recht, ich würde alles für diese Familie tun… - wenn wir sie hätten“, fügte Clarence an und musterte die kandisfarbenen Iriden eindringlich in denen so viel Angst um ihn lag lag, wie Matthew sie gar nicht verdient hatte. „Ich würde alles dafür geben, dass es euch immer gut geht… dass ihr alles habt, was ihr braucht um glücklich zu sein… und würde versuchen euch vor allem zu beschützen, was sich als Gefahr über euch erhebt. Aber momentan… da besteht diese Familie nur aus dir und aus mir und ich weiß, dass alles was du brauchst um glücklich zu sein, ein heiler Bär ist.“
Gerade weil er das wusste, sprach er mit Matthew. Verheimliche ihm nicht wer in Rio Nosalida auf ihn wartete, breitete vor seinem Mann aus was ihre Optionen waren und versuchte gemeinsam mit Cassie den Weg herauszufinden, der für sie beide in Frage kam.
Er war nicht mehr länger alleine und sie waren auch nicht mehr zwei Hälften einer Medaille die zwar nur zusammen ein Ganzes waren, sich aber letztlich doch nie wirklich zu Gesicht bekamen. Sie waren Eins, Matthew und er, und so wie er nicht alleine beschließen wollte ob sie zusammen die Flucht ergriffen oder nach Falconry Gardens gingen, so wollte er auch nicht alleine entscheiden wie ihre gemeinsame Zukunft aussehen würden und was sie dafür bereit waren zu zahlen.
Mit einem hingebungsvollen Brummen ließ er seine Hände an Cassies Leib hinab fahren bis an dessen Schenkel und dirigierte den Jüngeren seine Knie hinauf aufs Bett zu heben, damit er sich auf dem Schoß des Bären niederlassen konnte.
„Wenn wir es schlau anstellen, dann wäre ein Besuch bei meinem Clan… unangenehm für mich, aber nicht derart… gefährlich, wie du vielleicht denkst. Es gibt ein altes Gesetz, das besagt, dass… wenn ein Anführer wechselt und man mit dem neuen Oberhaupt unzufrieden ist, man das Recht hat zu gehen, um sich einem anderen Clan anzuschließen. Ich wüsste zwar von keinem einzigen Fall, wo sich das jemand gewagt hätte der zu einem sesshaften Clan gehört anstelle eines wandernden… aber das bedeutet nicht, dass dieses Gesetz dort nicht gilt“, erklärte er Matthew leise und beinahe etwas verschwörerisch, fast so als befürchte er, die Wände könnten Ohren haben. „Wird Nagi durch mein Geständnis offiziell für tot erklärt, muss ein neuer Anführer eingesetzt werden. Die Diskussionen um die Führung und mein weiterer Verbleib, sollte ich Anspruch erheben… die werden sich ziemlich hinziehen. Aber das Argument, ich würde mich unbehaglich im Clan fühlen nach allem was passiert ist… vor allem dann, sollte seiner Tochter danach offiziell das Sagen zugesprochen werden…“, vielsagend und voller Unschuld zuckte der Jäger mit den Schultern.
„Wenn es so weit ist, wird man mich offiziell entlassen. Man wird die Clansymbole auf meiner Haut unkenntlich machen. Durch Feuer, Schwärze oder eine Klinge… aber das wird meine Entscheidung sein. Und dann, wenn das getan ist… wird man erwarten, dass ich auf Wanderschaft gehe, um mich einem neuen Clan anzuschließen. Weil sich das so gehört.“
Behutsam strich legte er seine Arme zurück um Cassies Taille, dort wo sie hingehörten und er sie am liebsten ruhen spürte.
„Aber es gibt niemanden, der kontrolliert, ob man irgendwo neu angekommen ist. Es gibt keine Suchmeldung nach einem solchen Jäger… und irgendwann, wenn man lange genug von der Bildfläche verschwunden ist… gerät man in Vergessenheit, so wie jeder Mensch, der nicht mehr in aller Munde ist.“
Die Art und Weise, wie Clarence die Überlegungen ausführte welche er als Option für sie sah, verriet anhand ihrer Strukturierung bereits, dass er nicht das erste Mal über jene Möglichkeit nachdachte. Ähnlich wie er sich einen wasserdichten Plan überlegt hatte um seinen einstigen Lehrmeister zur Strecke zu bringen, war Claire sich in vielerlei Bereichen nicht zu schade darum, alte Regeln und Gesetze zu seinem eigenen Vorteil zu verbiegen und bewies damit nur einmal mehr, welch helles Köpfchen in ihm lauerte und dass man den sonst so voreiligen Jäger nicht unterschätzen sollte, wenn einem das eigene Leben lieb war.
„Ich will eigentlich wirklich nicht dorthin zurück, aber… wenn du sagst, dass es sich… lohnen wird…
Ob wir meine Haut auf der Flucht verschandeln oder in Falconry Gardens entstellen lassen, das kommt am Ende aufs Gleiche raus. Ich weiß noch nicht in welche Rolle wir dich in der Geschichte stecken müssten, damit es nicht zu offensichtlich wäre… aber da würde uns sicher auch noch irgendwas Brauchbares einfallen…“

Manchmal, so wie in jenem Moment als Clarence seinen Blick voller Wärme und Sanftheit erwiderte, fragte sich Matthew unwillkürlich, wie er jemals hatte leben können ohne einen Menschen zu haben, der ihn so ansah.
Er hatte nicht gewusst wie es sich anfühlte so vollkommen und bedingungslos geliebt zu werden. Und folglich hatte er auch nicht gewusst, was es hieß jene Liebe zu vermissen.
Sein Leben vor Clarence, war nicht von permanenter Trauer geprägt, doch er hatte etwas vermisst...ohne zu wissen was es war.
Erst der Blonde hatte ihm gezeigt, was es wirklich hieß zu leben.
Die Augen des Größeren versprachen ihm unendliche und unerschütterliche Liebe. Nichts was er sagte, fragte oder vorschlug würde dumm genug sein, als das Clarence sich nicht bemühen würde es ihm neu zu erklären. Und kein Wutausbruch seinerseits würde heftig genug ausfallen, um Clarence dazu zu bringen vor ihm zurückzuweichen.
Was immer zwischen ihnen stand, irgendwie würden sie immer wieder zueinanderfinden- all das und noch viel mehr, konnte Cassiel im tiefen Blaugrau finden, welches Clarence’ Augen auszeichnete. Clarence gab ihm stumm ein Versprechen - nämlich immer auf seiner Seite zu sein - und Matthew zweifelte nicht an dieser Wahrheit.
Zweifelte nicht an Clarence.
Der Dunkelhaarige wusste, dass seine Antwort nicht das vorbehaltlose Ja gewesen war, welches sich ein Partner vom anderen erhoffte, wenn es um die Frage der Familienplanung ging. Doch vorbehaltlos konnte er gar nicht sein.
Nicht nach allem was sie bereits erlebt hatten, sowohl gemeinsam als auch allein und jeder für sich.
Was es hieß einen Vater zu haben, wusste Matthew nicht. Wie sollte er dann erst eine Vorstellung davon haben, wie es sein würde ein Vater zu sein?
Fakt war, er hatte keine. Aber er verließ sich auf Clarence, denn ihn konnte er sich geradezu bildlich in dieser Rolle vorstellen.
Jener Mann hatte so viel erlebt, doch unter der rauen Schale und der Fassade aus abweisendem Einsiedlertum, hatte Clarence niemals seine Wärme und Güte verloren. Er war nicht wirklich der reservierte, schweigsame Mann als den man ihn hatte wahrnehmen sollen und als den ihn die meisten Menschen kennengelernt hatten.
Hielt man Clarence für einen brutalen Jäger, für einen Schlächter der sich einzig um das Schicksal jener scherte, die ihn zu bezahlen wussten, so wurde man ihm schlichtweg nicht gerecht und täuschte sich so sehr in ihm, wie man sich nur täuschen konnte.
Allein die Art wie er Matthews Worte spiegelte und ihn mein Böckchen nannte, machte deutlich wie sehr er den Kleineren liebte. Da war keine Ungeduld und keine Verärgerung - weder in seinem Blick, noch in seinen Worten.
„Ich weiß, dass du das würdest...du würdest auf uns aufpassen und du würdest immer für uns da sein. Du bist...der liebevollste Mensch den ich mir vorstellen kann und ich weiß...dass die Kinder die wir hätten, keinen besseren Vater haben könnten als dich.“
Es lag in Clarence‘ Natur eine Familie zu haben, er war dafür geschaffen kleinen Kinderfüßen hinterherzulaufen, verlorengegangenes Spielzeug wiederzufinden, Pflaster auf kleine Knie zu kleben, wenn diese vom Toben aufgeschürft waren.
Tränen zu trocknen und Kinderlachen zu forcieren.
Aber um all das tun zu können, musste er am Leben sein, gesund und heil. Sie durften nicht verfolgt werden, keine offenen Rechnungen mehr mit sich herumschleppen.
Matthew lächelte ertappt, als Clarence feststellte, dass er zum glücklich sein nur einen unversehrten Bären brauchte.
„Kann man so sagen... ein gesundes Bärchen ist die Grundvoraussetzung. Alles weitere baut darauf auf...“
Ohne Widerstand zu leisten, folgte er dem sanften Druck, setzte die Knie auf dem Bett auf und begab sich mit gewohnt geschmeidiger Bewegung auf den Schoß seines Mannes. Er verschränkte die Arme in Clarence‘ Nacken, legte den Kopf schief und hörte zu.
Der Blonde sprach von einem alten Gesetz, das es einem Jäger erlaubte den Clan zu wechseln, sollte er mit der Clan-Führung nicht einverstanden sein.
Er machte deutlich, was ihm blühen würde, wenn er sich dazu entscheiden würde den Clan zu verlassen, aber gleichfalls wurde klar, dass er diese Idee gerade nicht zum ersten mal gedanklich durchspielte.
Allerdings - und das konnte man dem Dunkelhaarigen ansehen - gefiel ihm der Part nicht, in dem Clarence erklärte, dass man die Tattoos unkenntlich machen würde, die zum Clan gehörten.
Der Größere war über und über bemalt mit bunten Bildern. Einige waren nur klein und unscheinbar, andere dafür riesig und flächig und je nachdem welche der Tätowierungen nun zu den American Kestrels gehörte, würde die Prozedur nicht nur extrem schmerzhaft sondern durchaus auch gefährlich sein. Brandwunden neigten dazu sich zu infizieren, eine Gefahr die durch Schwärzen ebenfalls noch bestand und wie das entfernen durch den Einsatz einer Klinge aussah, wollte sich der Jüngere nicht zu genau vorstellen.
Und natürlich setzte die Durchführung voraus, dass man sich innerhalb des Clans an diese alte Regelung hielt, die laut Clarence derart selten genutzt wurde, dass er niemanden kannte, der je diesen Weg beschritten hatte um der eigenen Gilde den Rücken kehren zu dürfen.
Die Ehrbarkeit dieser Leute würde darüber entscheiden, ob der Plan aufging oder nicht - und dieser Fakt bereitete Matthew Kopfzerbrechen. Dabei war Cassie durchaus klar, dass es wohl keine Lösung geben konnte mit der er vollkommen zufrieden sein würde, denn in jedem Szenario mussten sie sich zum Teil auf andere verlassen.
Auf die Verschwiegenheit der Mitverschwörer, auf die Regeltreue der Clanführer, darauf, dass sie Clarence wirklich gehen ließen ohne ihnen nachzuspüren.
Es war eine Situation, in der sich der Dunkelhaarige unwohl fühlte, denn nichts widerstrebte seinem Wesen mehr, als ihr Leben in die Hände anderer zu geben.
Aber dieses Mal gab es keinen Ausweg. Ohne auf das Vertrauen der anderen zu zählen, würde nichts funktionieren. Weder ein ausgehandelter Deal bei dem sie Clarence freikauften, noch ein offizieller Austritt aus der Jägergruppe.
Ernst blickte Matthew seinem Mann in die Augen, suchte in ihnen eine Spur von Zweifeln und fand stattdessen...Hoffnung.
Die Idee, die Clarence ihm vorschlug, war nicht neu für den Blonden und so wie er Matthew ansah, war diese Option nach seinem Dafürhalten die beste Chance die sie hatten. Und auch wenn der Jüngere niemandem vertraute, so vertraute er zumindest Clarence und dessen Einschätzung. Schweigend ließ er sich das Gesagte durch den Kopf gehen und seufzte leise. Seine Hände strichen über die Schultern des Hünen, seine Arme hinunter und schließlich über seine Seiten hinweg.
Unter dem weichen Stoff des Oberteils fühlte er straffe Haut und feste Muskeln. Clarence war wunderschön, er war perfekt in jeder Hinsicht und es gab nichts, dass an dieser Tatsache etwas ändern konnte. Nicht in Matthews Augen.
Seine Finger vergriffen sich im Oberteil des Größeren, rafften den Stoff zusammen und schoben ihn erst ein Stückchen empor und nach einem flüchtigen Moment des Innehaltens schließlich ganz hinauf und über Clarence‘ Kopf hinweg.
Das Oberteil warf er achtlos auf das Bett hinter Clarence und die Hände legte er zurück auf die breiten Schultern seines Mannes.
Er musterte die Bilder und Linien, die wie eine Landkarte waren, die er bereits so oft studiert hatte, dass er jeden Pfad auswendig kannte.
„Erzähl mir... erzähl mir welche der Bilder zu deinem Clan gehören und welche entfernt werden würden.“, forderte er den Größeren auf und hob den Blick von den Linien und Figuren und sah Clarence neuerlich in die Augen.
Der Blondschopf hatte es unangenehm genannt was ihm in Falconry Gardens blühen würde. Aber wurde diese Beschreibung der Sache wirklich gerecht?
Unangenehm war auch ein juckender Mückenstich den man nicht kratzen konnte oder ein Sturz in Brennnesseln. Unangenehm war, wenn man einen Sonnenbrand bekam oder am Morgen nach einen Saufgelage mit dröhnendem Schädel aufwachte.
„Was ist mit dem hier, hm?“
Es prangte ein äußerst prestigeträchtiger Greifvogel auf der breiten Brust seines Mannes. Ein Bild, von dem Matthew fürchtete es gehöre zum Clan. Das Tier war groß, mit dunklen Schwingen und einem weißen Kopf. Der Schnabel war geöffnet und der Blick des Vogels angriffslustig. Es gab rote Akzente im angedeuteten Gefieder, ansonsten war die Tätowierung weitestgehend dunkel.
Wollte man dieses Bild unkenntlich machen, würde das mehr als unangenehm sein.
„Sag mir...ob das zu deinem Clan gehört, Baby. Und wenn ja...“, er zögerte, schüttelte zaghaft den Kopf und ließ den Satz vorerst unvollendet, während er behutsam und beschützten mit den Fingern über die bunte Brust seines Liebsten streichelte.